DER STÄDTEBAU
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baues überhaupt, wenn auch damit oft der Örtlichkeit
Gewalt angetan werden mußte.
Doch nun ist ein gewisser Beharrungszustand ein
getreten (wenn es auch jetzt noch vorkommt, daß ganze
Städte, wie Cordova in Alaska mit den Gebäuden versetzt
werden), ist die Zeit der Sammlung, des Studiums ge
kommen — der ungeheuerlich gesteigerte Verkehr, dem
Zeit Geld ist, sticht abkürzende Wege, die das Schema
durchbrechen, er braucht neue Mittel, deren Notwendigkeit
der erste Planverfasser nicht hätte ahnen können. Die
Volkswohlfahrt fordert Luft und Licht für die im Innern
der Städte zusammengedrängte Bevölkerung. Reichtum
und Machtbewußtsein drängen zum Ausdruck auch in der
äußeren Erscheinung der Stadt. So ist eine große Be
wegung in die Stadtverwaltungen und die Architekten
gesellschaften gefahren, die sich in großzügigen Planungen
und Umwälzungen zur Verbesserung der Stadtanlage Luft
macht.
Schon die Begründung der Bundeshauptstadt washington
hatte einen Vorschmack davon gegeben, wie die [Männer
über dem großen Teich derartige Aufgaben anfassen. Andere,
größere und wichtigere Städte wollen jener die „Repräsen
tation“ nicht mehr allein überlassen und suchen sie wo
möglich unter Ausnutzung der ihnen von der Natur ge
botenen Reize noch zu Übertrumpfen. Wem ist nicht die
Überraschung noch in Erinnerung, die Mr. Frank Mües
Day of Philadelphia, Präsident des Amerikanischen Instituts
der Architekten, dem Internationalen Architektenkongreß
zu London im Jahre 1906 durch Vorführung der Pläne zum
Wiederaufbau von San Franzisko bereitete! Konnten wir
auch im einzelnen nicht alles billigen, namentlich die
spitzen Ecken der Dreiecksblöcke nicht, so riß uns doch
die große Auffassung, der künstlerische Schwung im
ganzen mit! Dazu wurde über mehr oder minder umfang
reiche Stadtverbesserungen in Cleveland, Buffalo, St. Louis,
St. Paul und Mlnneapolis berichtet. Insbesondere spielt da
bei die in erster Linie aus klimatischen Rücksichten be
dingte, dann aber für jede Großstadt überhaupt notwendige
Durchbrechung der Baumassen durch grüne Oasen, Pro
menaden, Gartenplätze und Parkanlagen die Hauptrolle.
Hierin liegt das charakteristische des modernen Städte
baues! Im 2. Jahrgange der Zeitschrift S. 113 wurden die
durch Parkstraßen zu Parkringen verbundenen Parkanlagen
von Washington, New York, Boston und Chikago vor
geführt, ohne damit auch nur annähernd das zu erschöpfen,
was die Vereinigten Staaten auf diesem Gebiete schon ge
leistet haben.
Auf die von den Architekten angeregten Verbesserungen
ist ferner bei Besprechung des umfassenden Planes zur
Verbesserung der Stadt San Diego am Stillen Ozean und
zum Umbau der Stadt Roanoke im Staate Virginia hin
gewiesen worden (siehe S. 83 des verg. Jahrgangs unserer
Zeitschrift). Beide Pläne rühren vom Landschaftsarchitekten
— wie er sich nennt, wohl Gartenkünstler und Architekt
zugleich, oder gar Städtebaukünstler?! — John Nolen in
Cambridge (Massachusetts), her und sind von eingehenden,
durch Vergleiche mit anderen, südamerikanischen und
europäischen Städten erläuterten, sowie durch Vorschläge
für Einzellösungen, namentlich Platz- und Parkanlagen
bereicherten Berichten an Ausschüsse gerichtet, die zum
Zwecke der Stadtverbesserung berufen waren. Es ist er
staunlich, welche Kosten allein auf diese Vorarbeiten ge
wendet werden, mit ihren zahlreichen Plänen und Schau
bildern, mit ihrer buchtechnischen Aufmachung. Daß diese
Anregung sich nicht allein auf die Vereinigten Staaten be
schränkt, hat endlich ein Beispiel aus Kanada mit dem
Stadtplane von Prince Rupert im vergangenen Jahrgange S. 12
gezeigt.
Auf das Studium der Verkehrsnöte in New York hat
eine Chroniknotiz auf S. 126 des vergangenen Jahrgangs
unserer Zeitschrift schon hingewiesen; in neuester Zeit ist
man nun eifrig in Boston nebst Vorstädten am Werke.
Schon im Jahre 1907 hatte die Architektengesellschaft einen
Bericht des von ihr für Verbesserungsvorschläge ein
gesetzten Ausschusses, sowie eine Feiertagsstudie über
Städte- und Hafenanlagen ihres Mitgliedes Peabody ver
öffentlicht. Der praktische Erfolg bestand in der Bestellung
einer Kommission, zu deren Mitglieder vom Gouverneur
des Staates Benjamin V. Johnson und zwar als Vorsitzender,
ferner Henry B. Day und Desmond Fitzgerald, sowie vom
Bürgermeister der schon inzwischen verstorbene Thomas
J. Gargan und Robert S. Peabody bestimmt wurden, und
als deren Sekretär Mr. Sylvester Baxter tätig war. Diese
mit amtlichem Charakter bekleidete, von Staat und Ge
meinde mit Geldmitteln ausgestattete Kommission hat jetzt
einen tiefgründigen Bericht mit zahlreichen Anhängseln auf
318 Druckseiten veröffentlicht, dem nicht weniger als
10 Tabellen einverleibt und 51 besondere Tafeln und große
mehrfach auslegbare Pläne beigefügt sind.
Nach Mitteilung des Wortlautes der Beschlüsse, die zu
dieser Arbeit geführt haben, kommt der eigentliche Kom
missionsbericht, erstattet von Herrn Benjamin V. Johnson,
Henry B. Day, Desmond Fitzgerald und Robert S. Peabody.
Dann folgen besondere, wichtige Einzelfragen erörternde
Abhandlungen, über die Eisenbahnen und Bahnhöfe von
George B. Wadsworth, Ingenieur, über die Dockanlagen
von Desmond Fitzgerald, beratendem Zivilingenieur, über
den Stadtplan von Arthur A. Shurtfeff, Landschaftsarchi
tekt — den Hauptteil mit den großen Plänen in Anspruch
nehmend —, weiter über ein neues Stadtzentrum von
Robert S. Peabody und Arthur A. ShurtlefF, schließlich
über die Finanzen von Henry B. Day; die Wasserwege
von Richard A. Haie, Zivilingenieur, und die Wasserfront
der Bostonbai von Sekretär Sylvester Baxter. Alle Vor
schläge beruhen auf statistischen Grundlagen und sind von
Stadtteil zu Stadtteil bis in alle Einzelheiten durchgearbeitet,
wie zur Ausführung bestimmte Entwürfe. Offenbar hat
den Bearbeitern ein Material zur Verfügung gestanden, wie
es bei uns nur die statistischen Vermessungsämter, die
Park- und Baudeputationen, die Eisenbahn- und Wasser
verwaltungen zu liefern vermögen. Und wie ist dieses
Material verarbeitet?!
Als Beispiel der den Stadtplan betreffenden Verbesse
rungsvorschläge teilen wir auf den Tafeln zwei Pläne
mit*); der eine stellt den Durchbruch eines neuen Straßen
zuges dar zur Verbindung der Howardbrücke mit der
Wellingtonbrücke der Vorstädte Cambridge und Sommer-
ville. Im Vergleich mit dem gegenwärtigen Zustande
beachte man die Sicherheit, mit der die Schlangenlinie
unter Benutzung vorhandener, unter sich in kaum erkenn
barem Zusammenhänge stehender Straßenzüge mit mög
lichst geringer Durchbrechung verbauter Stadtteile ge
*) Die zugehörigen Abbildungen folgen in Heft 2 nach. D. S.