DER STÄDTEBAU
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Praterstern bis zum Stephansdom eröffnen sollte („Avenue
Riehl“). Letzteres erwähnen wir hauptsächlich deshalb,
weil uns in Wien ebenso wie anderswo etwas gar zu viel
Gewicht auf die „Blicke“ gelegt zu werden scheint. Auch
der großartige „Wald- und Wiesengürtel“ und seine
„Höhenstraße“ scheinen uns etwas viel Gewicht auf schöne
Ausblicke zu legen, während vielleicht eine der gewichtig
sten Aufgaben dieser Straße dahinter zurücktritt: die Ver
bindung der Vororte untereinander. Wir wissen es ja aus
Berlin und anderswoher, daß bisher nicht bald etwas um
ständlicher ist, als von dem einem Vororte zu seinem
Nachbarvororte zu gelangen.
Kehren wir in die Innenstadt zurück, so dürfte derzeit
eine der wichtigsten Fragen die Erhaltung des bisher dem
Kriegsministerium dienenden Gebäudes sein, das den Platz
„Am Hof“ an dessen Südecke abschließt. Der schon vorhin
erwähnte Aufsatz vom 8. November bedauert die Gefahr,
daß dieses Gebäude einem modernen Ungebäude weichen
könnte. Dagegen sollte allermindestens seine Platzfassade
erhalten werden. Die an der anderen Seite dieses Gebäudes
führende Bognergasse ist allerdings so enge, daß sie ein
Stück von der Baufläche jenes Gebäudes benötigen dürfte.
Aber gerade hier Verweist jener Aufsatz darauf, daß künftig
dieser Verbreiterungsbedarf zurücktreten werde, wann eben
die Unterbahn bestehe. Neuerdings erfahren wir (25. De
zember), daß bereits die Pläne einer neuen Fassade fertigge
stellt seien. (Das Ministerium selbst kommt in einen, abermals
dem Für und Wider ausgesetzten, Neubau am Stubenring.)
Von unserer Seite wird vor allem der Vorschlag ge
macht, die Verbreiterung der Bognergasse durch Lauben
gänge für den Fußgängerverkehr an der Seite des neuen
Gebäudes zu bewerkstelligen. Ein Teil des Fußgänger
verkehres führte bereits längst durch das Gebäude hin
durch; die Durchführung auch eines Wagenverkehres läßt
sich erörtern, und die Ablenkung durch einen Parallelzug
ist bereits im Regelungsantrage vom 1895 (Motivenbericht
Seite 3 Nr. 5) vorgeschlagen worden. Die erwähnte neue
Nachricht spricht ebenfalls von einer Verlegung des einen
Gehsteiges unter einen Arkadengang; und die „Enquete“
von 1897 zeigt (Seite 28) für den Engpaß in der Wipplinger
Straße zwischen der ehemaligen Böhmischen Hofkanzlei
und dem alten Rathause den Vorschlag eines Lauben
ganges in dem letzteren.
Natürlich besteht noch ein Versuch des Widerstandes
gegen den modernen Ersatz (Architekt Baumann) des
Kriegsministeriums. Dabei heißt es auch, der Platz habe
durch neue Gebäude ohnehin schon seinen ursprünglichen
Charakter verloren, und das alte Gebäude des Kriegs
ministeriums sei nicht einmal eines der schönsten und
historisch typischesten. Abermals gefährliche Gedanken
gänge! sie reißen die leider bereits bestehende Strömung
widerstandslos ins Ungewisse fort.
Mayreder und die seine Arbeit ergänzende „EnquSte“
hatten, abgesehen von dieser Frage, auch eine Verbreite
rung der die Bognergasse parallel begleitenden Naglergasse
vorgeschlagen,* so daß ein bequemer, jedoch einförmiger
Straßenzug vom Graben nordwestlich hinausführen könnte,
zumal wenn man den „Schottenhof“ um 4 m zurücksetzte.
Nun würde dieser gesamte Komplex von Fragen wahrlich
leicht zu lösen sein, wenn die genügenden Mittel vorhanden
wären. Diese sollten soweit reichen, daß der schmale
Baublock zwischen Bognergasse und Naglergasse, ein
schließlich seiner Fortsetzung bis vor die Apostolische
Nuntiatur hin, abgebrochen werden könnte. Dann könnte
die nordwestliche Fortsetzung des „Grabens“ in groß
artiger und dabei stadtbaulich schöner Weise gelingen. Am
neuen Eintritt in den Zug jener beiden Gäßchen würde
eine naturgemäße Axenverschiebung des auf diese Weise
verlängerten Grabens. stattfinden, welche ln symphatische-
ster Weise Ausblicke schließen und eröffnen könnte. Von
da würde es dann über Hof und Freiung bis zum Mölker
Hofe gehen, dessen Abschleifung doch wohl in Rechnung
gestellt werden darf. Hier führt die „Avenue“ hinaus in
die Universitätsgegend und öffnet die Verbindung mit dem
VIII. und IX. Bezirk. Diese von St. Stephan ausgehende
„Avenue“ findet dann leicht rückwärts ihre Fortsetzung
in dem längst geplanten Durchbruche zur Liebenberggasse,
der die Verbindung mit dem Stadtpark und dem III. Be
zirke vermitteln will.
Zu Gunsten der Fassade des Kriegsministeriums wird
weniger ihr besonderer ästhetischer, als ihr historischer
und dem Stadtbilde dienender Wert betont. Die gesamte
Front des Platzes „AmHof“ müsse als solche erhalten bleiben,
zumal in einer Zeit, die wohl kein besseres Platzbild schaffen
könne, und ganz besonders im Vergleiche mit den auf
ähnliche Weise bereits zerstörten Stadtbildern. Einig
scheinen alle Stimmen darin zu sein, daß bereits eine Ab
schneidung der jetzigen Fassade, zum Zweck einer Ver
breiterung der Bognergasse, zerstörend wirken würde. Um
so eher neigt sich die Meinung auf die Seite eines Gesamt
ersatzes durch Neues. Und weil nun die Bognergasse
durchaus nach dieser Seite verbreitert werden soll, so gilt
es jetzt als eine würdige Aufgabe für die Architekten Wiens,
eine Fassade zu komponieren, welche sich möglichst har
monisch an die bestehende Kirche anschließt und das der
zeitige Stadtbild tunlichst aufrechthält. Es ist auch bereits ein
Wettbewerb für österreichische Architekten zur Erlangung
von Fassadenentwürfen ausgeschrieben worden. Zur Ver
teilung gelangen Preise von 1200, 800 und 400 Kronen. Das
Ehrenamt eines Preisrichters haben die Herren Oberbaurat
Baumann, Oberbaurat Professor Deininger und Hofrat
Professor König übernommen. Die Arbeiten sind bis
15. April 1909 bei der Unionbaugesellschaft, Wien, 1. Bezirk,
Ebendorferstraße 6, einzureichen, wo auch dieWettbewerbs-
unterlagen erhältlich sind. („Neue Freie Presse“, 13. Fe
bruar 1909.)
Zur Innenstadt Wiens gehören großenteils formell und
auch tatsächlich die am Außenrande der Ringstraße liegen
den Stadtteile. Eine besondere Perle unter ihnen, der alte
Stadt- und Kinderpark, mußte seinerzeit zum Schmerze
der Wiener zusammengeschnitten werden, um der Stadt
bahn Platz zu machen. Inzwischen ist er, wenn auch ver
kleinert und zum Teil seiner Idyllen beraubt, doch wieder
in einer erfreulichen Weise erstanden. Zu danken haben
wir dies vor allem dem Architekten Friedrich Obmann,
dem „genialsten unserer einheimischen Baukünstler“ (wie
ihn Th. Kornke in einer auch sonst beachtenswerten
Gemeinderatsrede vom 2, Dezember 1902 genannt hat). Es
handelt sich hier um den sogenannten „Wientalabschluß“,
der die von einem Stadtbahnhof Otto Wagners bedingte
Axenverschiebung künstlerisch überwand und jetzt als
eine der hübschesten Parkanlagen Beachtung und Betrach
tung verdient. Dies um so mehr, als eine solche dekora
tive Aufgabe dem Städtebau nicht häufig gestellt wird.