DER STÄDTEBAU
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der Organismus der Bäderstadt in Schönheit zur Wieder
erlangung der Gesundheit und zu frohem Lebensgenuß auf.
Die in einigen unserer bedeutendsten Bäderstädte in
Aussicht genommenen oder bereits ausgetührten Neuein
richtungen und Erweiterungen bieten eine willkommene
Erläuterung zu den vorstehend gegebenen Erörterungen.
Aus dem von der Stadtgemeinde Karlsbad veranstalteten
Wettbewerb zur Erlangung von Plänen für die Ver
bindung der Schloßbrunn- und Marktbrunnkolonnade mit
der Mühlbrunnkolonnade sind eine Anzahl bemerkens
werter Entwürfe hervorgegangen, nicht allein bemerkens
wert wegen ihres mehr oder weniger gelungenen archi
tektonischen Aufbaues, sondern auch wegen der sich er
gebenden Gesichtspunkte für die Ausgestaltung des Stadt
bildes. Es galt in Karlsbad kein weitläufiges, mehrfach
zu teilendes Gelände zu bebauen; es stand vielmehr nur ein
geschlossenes ansteigendes Platzdreieck zur Verfügung.
Ebenso waren die begrenzenden Straßenzüge in fester,
nicht zu verändernder Lage gegeben. Allerdings war es
in das Ermessen der Bewerber gestellt, ob sie den vor
handenen Stadtturm und die ältere Schloßbrunnkolonnade
erhalten oder beseitigen wollten. Der Schwerpunkt der
architektonischen Lösung der Aufgabe bestand in diesem
Falle in dem Auffinden der richtigen Verhältnisse fü; die
neu zu schaffenden Aufbauten zu den immerhin be
schränkten Abmessungen des Bauplatzes, zu den geringen
Straßen- und Platzbreiten und schließlich zu den Formen
der umgebenden Baulichkeiten. In bezug auf diese For
derungen möchten wir uns der Meinung des Stadtbau
direktors Herrn Drobny anschließen, nach welcher bei
allen eingegangenen Entwürfen der Aufwand an monu
mentalen Mitteln etwas übertrieben hervortritt; und es
mag erlaubt sein, für das wesentliche der nachfolgenden
Erörterungen außer dem durch das Preisrichterkollegium
gefüllten Urteile auch die von Herrn Drobny als natur
gemäß besonderen Ortskundigen geäußerten Ansichten
heranzuziehen.
Die im Mittelalter und der Renaissanceperiode so.
selbstverständlich geübte Kunst, die Masse der öffentlichen
und privaten Gebäude rhythmisch dem Stadtbilde einzu-
gliedern ohne Vordringlichkeit des einzelnen, ebenso wie
ein einsichtiger Schauspieler sich dem Ganzen unterzu
ordnen weiß, scheint der Hauptsache nach der Neuzeit
verloren gegangen zu sein und muß erat mit Mühe wieder
erobert werden. Die aus dem Schatze der überlieferten
Denkmäler und der etwa neu hinzukommenden Er
findungen dem Architekten zu Gebote stehenden Kunst
mittel reizen allzusehr die Phantasie zur Nachahmung
an, so daß es schwer wird die Gefahr einer erdrückenden
Fülle zu vermeiden. Ein solcher „embarras des richesses“
tritt auch sowohl in den preisgekrönten als in den zum
Ankauf empfohlenen, noch stärker freilich in den meisten
nicht ausgezeichneten Entwürfen zutage. Dieserhalb muß
auf die Veröffentlichung in Band III, Heft 3 der Architek
tur-Konkurrenzen (Verlegt bei Ernst Waamuth A.-G.,
Berlin) im Jahre 1908 verwiesen werden.
Jedenfalls müßte die Neubebauung genügenden Raum
zwischen sich und der Dreifaltigkeitssäule und ebenso
zwischen der hinter dieser liegenden Terrasse offen lassen;
das einseitig aufsteigende Platzdreieck, wie es hier vor
liegt, dürfte nicht übereck gelöst werden, weil die diago
nale Mittelaxe wohl im Grundrisse, nicht aber in der
Raumwirkung zur Anschauung gebracht werden könnte;
ferner sollte an der aufsteigenden Straßenflucht keine
höhere Bebauung stattfinden, da die schräge Linie stört
und der Ausblick über die ganze Anlage verhindert wird;
auch dürfte der Bau im oberen Teile des Platzdreiecks
am besten zurückgeschoben und möglichst mit dem Stadt
turm in Verbindung gesetzt werden; endlich wäre es
wünschenswert, die ganze untere Bebauung in geringerer
Höhenentwickhmg auszuführen, um den Gesamteindruck
des Ganzen nicht zu beeinträchtigen.
Ein weiteres lehrreiches Beispiel zur Ausgestaltung
der Bäderstadt liefert die nach allgemeiner Meinung einer
Erneuerung und Erweiterung bedürftige Kuranlage in
Baden-Baden. Für das unzulänglich gewordene Konver
sationshaus ist ein Neubau wünschenswert, und ebenso
muß eine neue Trinkhalle geschaffen werden, da die vor
handene, von Hübsch erbaute und mit Fresken gezierte
außerhalb des Kurgartens liegt und wegen der zu erstei
genden Freitreppe für schwächliche Kurgäste beschwer
lich zu erreichen ist. Der mitgeteilte Plan der Archi
tekten Scherzinger und Härke versucht für die Frage der
Zusammenziehung der Baden-Badener Kuranlagen eine
genügende Lösung zu bieten. Die geplanten Bauanlagen
gruppieren sich um den Kurgarten und den Hamiltonpark,
die sich an beiden Ufern der Oos gegenüberliegen. — Siehe
Tafeln 25 und 26 (Lageplan und Vogelschaubild). Das
neue Kurhaus erscheint gegen den Berg zurückgeschoben
und würde reichlichen Platz zur Anlage von langen, teils
gedeckten, teils offenen Sitzterrassen bieten, die dem jetzigen
Kurhause besonders fehlen. Die Trinkhalle wäre vorläufig
in das im städtischen Besitze befindliche „Palais Hamilton“
zu verlegen und somit in den Mittelpunkt der Stadt und in
den nächsten Bereich des Kurgartens zu rücken. Der Haupt
eingang zum Palais würde von der Luisenstraße durch den
Anbau eines Portikus mit anschließendem Dienstgebäude
und langgestreckter Trinkhalle ermöglicht, letztere in der
Richtung der Insetstraße liegend. Die eine Hälfte der
Halle öffnete sich gegen Süden und gegen den Hamilton
garten mit dem Kiosk für Frühkonzerte, während die
andere Hälfte geschlossen bliebe und mit eigenem
Orchesterraum ausgestattet würde. Eine Überbrückung
des Oosbachs in der Mittelaxe würde den Hamilton
garten mit dem gegenüberliegenden Kurpark in unmittel
bare Verbindung bringen. Die ältere, von Hübsch erbaute
Trinkhalle könnte in eine würdige Vorhalle für eine an
zugliedernde Gemäldeausstellung umgewandelt werden.
Man könnte nur wünschen, daß der im Entwürfe vorlie
gende Vorschlag zur Zentralisation der Baden-Badener
Kuranlagen in absehbarer Zeit in seinen Grundzügen zur
Verwirklichung gelangen möchte.
Bei der bedeutenden Steigerung des Nationalwohl
standes, wie sie in den letzten Jahrzehnten in Deutsch
land stattgeftmden hat, und um demzufolge den Ansprüchen
an eine bessere Lebenshaltung genügen zu können, mußte
auch der Besuch der vornehm ausgestatteten Badeorte
zunehmen. Mehr als je erstrebt die Menschheit, ein Leben
in Schönheit zu führen, wozu allerdings die Gesundheit
den Untergrund bilden muß. Unter diesen Verhältnissen
entstanden für Kissingen wie andere Orte mehrfach Pläne,
um durch Anlage neuer Kur- und Konversationshäuser,
sowie schließlich durch Stadterweitemngen, welche die
Beschaffung einer größeren Zahl komfortabler Wohnungen