DER STÄDTEBAU
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Mit dem Bebauungsplan der Hauptstadt hat sich die
öffentliche Meinung schon seit längerer Zeit beschäftigt.
Bereits im Jahre 1901 hielt G. H. Knibbs, der Leiter des
technischen Bildungswesens von Australien, ein bedeuten
der Ingenieur und Geodät, sowie Vorsitzender mehrerer
gelehrter Gesellschaften und technischer Vereine, in der
Royal Society von Neusüdwales einen Vortrag über Be
bauungspläne, der aut die neue Hauptstadt zugeschnitten
war. Von den dabei behandelten Anordnungen, Schach
brett, ein Kreis mit zwei rechtwinkligen Durchmessern
und ein Kreis mit drei oder vier Durchmessern, endlich
ein Quadrat mit diagonal verlaufenden Straßen, gab der
Vortragende der Anordnung den Vorzug, bei der dem
Stadtplan ein Kreis mit drei Durchmessern zugrunde ge
legt wird. Er hatte berechnet, daß dabei der Weg zwi
schen zwei beliebigen Punkten der Stadt mit dem gering
sten Umweg zurückzulegen sein würde. Zugleich schlug
J. Sulman, ein führender Architekt von Sydney, in der
Australischen Gesellschaft zur Förderung der Wissen
schaften einen spinnwebartigen Grundriß für die neue
Stadt vor.
Von den modernen Ansprüchen, die man an einen Be
bauungsplan stellen muß, scheinen die australischen Fach
leute noch wenig zu ahnen. Sie haben lange nach einem
vollständig ebenen Gelände für ihre Hauptstadt gesucht,
um einen rein geometrischen Bebauungsplan durchführen
zu können. Da sie aber in der Wahl des Platzes sehr
beschränkt waren — er mußte an der Bahn Sydney—Mel
bourne und im Bundesgebiete liegen — so ist ihnen dies
nicht gelungen. Die Haupthandelsstädte werden stets Syd
ney und Melbourne bleiben, und diese hätten nie gelitten,
daß die Verbindung zwischen ihnen der neuen Hauptstadt
zuliebe einen Umweg gemacht hätte; auch dagegen, die
Hauptstadt etwa durch eine Zweigbahn an die Hauptlinie
anzuschließen, hätte man Bedenken gehabt. Da nun die
Eisenbahn Sydney—Melbourne das Bundesgebiet nur an
einer Ecke schneidet, war hierdurch der Ort für die Stadt
nahezu eindeutig festgelegt.
Bei dem eigenartigen Standpunkt, den die Kommission
dem Bebauungsplan gegenüber einnimmt, erscheint es er
wünscht, daß sie für diesen einen internationalen Wettbewerb
ausschreiben möchte. Freilich wird es denFachleuten außer
halb Australiens nicht leicht sein, ihre etwaigen Entwürfe
den örtlichen Verhältnissen anzupassen, doch sind bei einem
MITTEILUNGEN.
T7RUMME UND GERADE STRASSEN. In einer Fußnote zu
AX seinem gleichnamigen Aufsätze in der Zeitschrift „Die Raumkunst“,
Heft 6 des laufenden Jahres, hat Dr. E. A. Brinckmann den Unterzeich
neten in Gegensatz zu den städtebaulichen Anschauungen von O. March
und H. Muthesius zu bringen gesucht. Ein solcher Gegensatz besteht
nicht und kann auch nicht davon bergeleitet werden, daß der Schriftleiter
einer von ihm mit Camillo Sitte gemeinsam gegründeten Zeitschrift es
für seine Pflicht hält, den verstorbenen Freund gegen Angriffe zu schützen,
selbst wenn diese mehr Berechtigung haben sollten, als es ihm zuzutreffen
scheint.
Sittes Ideal war die Akropolis von Athen, wie denn überhaupt seine
künstlerische Anschauung in der Antike und der davon abgeleiteten Kunst
der Renaissance und Barocke beruhte. Xn seinem berühmten Buche stellte
er neben dem Domplatz von Pisa, der Signoria von Florenz als deutsches
Beispiel die regelmäßige Anlage des Marktplatzes von Breslau. Unregel
mäßigkeiten nahm er hin, soweit sie noch vom Auge im Sinne genauer
solchen Wettbewerb immerhin fruchtbare Gedanken zu
erwarten, und wenn dann etwa die einheimischen Fach
leute mit der endgültigen Ausarbeitung beauftragt werden,
so können sie durch die Wettbewerbsentwürfe wenigstens
auf die Gesichtspunkte hingewiesen werden, die in den
Kreisen europäischer Sachverständiger, die sich mit diesem
schwierigen Zweig der Technik befaßt und dabei schon
Mustergültiges geleistet haben, für den Städtebau jetzt Gel
tung erlangt haben.
In gewissen Beziehungen sind andererseits für die neue
Hauptstadt ganz richtige Grundsätze aufgestellt worden;
so spricht man von der verschiedenen Bemessung der
Straßenbreite, je nachdem es sich um stille Wohn- oder
lebhafte Verkehrsstraßen handelt, und von der Trennung
des Schnellverkehrs von dem gewöhnlichen Straßenverkehr.
Besondere Radfahrwege sind in Aussicht genommen und
auch — was in Australien von großer Bedeutung ist —
die Überdachung eines Teiles der Gangbahnen zum Schutze
gegen Sonne und Regen. Die Anlage von Parks, Spiel
plätzen und dergleichen ist ebenfalls geplant. Wenn sich
Fabriken nicht vermeiden lassen, so sollen sie in ein be
sonderes Stadtviertel verwiesen werden, und zwar an der
der herrschenden Windrichtung entgegengesetzten Seite
der Stadt.
Maßgebend für die Wahl von Yaß war auch noch der
Umstand, daß es nur 190 km von der Jervis-Bai, einem
ausgezeichneten, natürlichen Haien, entfernt ist. Man be
absichtigt, die beiden Punkte durch eine Bundesbahn zu
verbinden, und in Jervis-Bai einen Bundeshafen anzulegen,
so daß die neue Hauptstadt unabhängig von den Häfen und
Eisenbahnen der Bundesstaaten wird.
Die neue Talsperre im Tale des Murrumbidge, die nur
30 km von Yaß entfernt ist, wird elektrischen Strom für
die Beleuchtung, den Betrieb der Straßenbahnen und alle
sonstigen Zwecke liefern. Allerdings liegt sie außerhalb
des Bundesgebietes, und so wird die Hauptstadt von dem
Staate Neusüdwales abhängig sein, was nach den Meinun
gen der gesetzgebenden Körperschaften eigentlich hätte
vermieden werden sollen. Immerhin hofft man diese
Schwierigkeiten zu überwinden, und wenn auch Reibungen
zwischen den Einzelstaaten nicht ganz ausbleiben werden,
so erwartet man doch, sie beseitigen zu können, und sieht
in der Gründung der Bundeshauptstadt ein Mittel, die Ge
meinschaft der Bundesstaaten enger und fester zu knüpfen.
Regelmäßigkeit idealisiert werden können. Er wollte Rythmus und Ruhe
trotz allen Unregelmäßigkeiten; er meinte nur, daß zu diesem Zwecke
nicht überall Symmetrie zu herrschen brauche.
Die neuere Ästhetik der krummen Straße rührt nicht von ihm, sondern
von Henrici und Ourlitt her; aber auch diesen ist es niemals eingefallen,
deshalb die gerade Straße an sich zu verdammen. Und dem Unterzeich
neten gilt die eine so viel wie die andere; die krumme Straße ist durch
aus berechtigt, wo sie, wie es heute so oft vorkommt, von der Örtlichkeit
(zur bequemeren und billigeren Ersteigung von Anhöhen, zur Verfolgung
bereits vorhandener Wege usw.) bedingt wird. Die von dem Herrn Kri
tiker angeführten Beispiele könnten nun den Anschein erwecken, als ob
derartige Zirkelschläge von Sitte gut geheißen worden wären; dieser selbst
hat noch in seinem Plane für Marienberg in Böhmen die gerade Straße
bevorzugt — siehe Tafel 73/74» Jahrgang I unserer Zeitschrift — und ist
nur an wenigen Stellen aus praktischen Gründen davon abgewichen. Seine
Vorschläge zu einem verbesserten, modernen Städtebausystem enthalten