DER STÄDTEBAU
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Bedürftige und für wohltätige Zwecke verteilt wurden und
die in New York vielleicht größer sind als irgendwo
anders.
Wieviel von diesen zusammen mehr als 100 Millionen
Mark jährlich fließt schließlich in die Taschen der New
Yorker Immobilienbesitzer? Nicht nur auf dem Wege von
unmittelbaren Unterstützungen an Leute, die */s oder mehr
ihres Arbeitseinkommens für Wohnungsmiete zahlen müssen,
sondern auch auf dem mittelbaren Wege, den die alt
modische Philantropie begünstigte, die nicht den Bau ge
sunder Häuser erzwingt, sondern die neben die mörde
rischen Häuserblöcke ein prächtiges Krankenhaus stellt
und somit für den Schaden aufkommt, den die Erbauer
der ungesunden Häuser anrichten.
Die modernere Form der Nächstenliebe und d. h. der
Selbstachtung sucht Unglück zu verhüten und jedem von
vornherein Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, statt den
Mißhandelten nachträglich zu pflegen. Es ist wohl kein
unberechtigter Stolz, zu sagen, daß die deutschen Städte
verwaltungen auf diesem Wege einige entschlossene Schritte
vorwärts getan haben. An der Bewunderung des Aus
lands hat es nicht gefehlt. Ja, man ist wohl ein wenig
zu weit gegangen in der Verherrlichung Berlins als der
Ewigreinen, der Stadt, in der die Vorschüsse der staat
lichen Arbeiterversicherungsanstalten die Baugenossen
schaften der Arbeiter befähigt haben, ideale Wohnhäuser
an Stelle der verpesteten Armeleuteviertel anderer Groß
städte zu setzen usw. Der Widerspruch gegen solche
Übertreibungen konnte nicht Ausbleiben. Es ist neuerdings
in der amerikanischen Presse wiederholt worden, daß
90000 Menschen in Berlin in Kellern wohnen, daß 32000
Familien nur über einen einzigen Raum verfügen und
zum Teil obendrein noch Schlafgänger aufnehmen müssen,
und daß in Berlin beinahe 100 000 Personen nur sogenannte
Schlafstellen als Wohnung mieten können. Man hätte auf
die verhältnismäßig so hohe Kindersterblichkeit in Berlin
hinweisen können, die für ganz Berlin so hoch ist wie in
New York nur in den ungesundesten italienischen Ein-
wanderervierteln. Wie hoch mag sie in Berlins Keller
wohnungen sein? Man hätte ebenfalls von den schauder
haften Zuständen sprechen können, die die Heimarbeiter
ausstellung in Berlin vor gar nicht langer Zelt ans Licht
gebracht hat und von manchem anderen mehr.
Gerade das schwierige Heimarbeitsproblem, das in
New York so eng mit ungesunden Verhältnissen im Woh
nungswesen verknüpft ist und dort durch das verhältnis
mäßig schnelle Aufsteigen der betroffenen Klassen eine so
bequeme Lösung erfährt, muß in Berlin in einer viel nüch
terneren Weise gelöst werden. Im gegenwärtigen Augen
blicke, wo der Kampf für das neue Berlin, für Groß-
Berlin, angefangen hat die Geister zu beschäftigen, und
wo die öffentliche Meinung wieder und immer wieder auf
diese Aufgabe gelenkt werden muß, die nicht eher zu
Ruhe kommen darf, als bis sie gelöst ist — gerade jetzt
wäre es an der Zeit, die Zusammenhänge, die auch in
Berlin zwischen kranken Heimarbeitsverhältnissen und
ungesunden Zuständen im Wohnungswesen bestehen mögen,
klarzustellen und auf die Heilmittel hinzuweisen, die die
Durchführung eines modernen Stadtplanes etwa bringen
könnte.
In dieser Richtung und in vielen anderen könnte eine
ähnliche Ausstellung wie die New Yorker City Planning
Exhibition für Berlin sicher sehr viel Anziehendes, vielleicht
sogar ganz Unerwartetes und Aufsehen Erregendes brin
gen und damit weitere Kreise für diese wichtigen Fragen
gewinnen, die öffentliche Meinung beleben und so die ein
schneidenden Änderungen im Stadtbilde und Bebauungs
pläne Berlins vorbereiten helfen, deren Verzögerung nach
dem Urteile der besten Fachleute eine unmittelbare Gefahr
für die Reichshauptstadt bedeutet.
FRANZÖSISCHE IDEALSTÄDTE
UM 1600 UND 1800.
Von Dr. A. E. BRINCKMANN.
Dieser Aufsatz wendet sich zunächst an den Architektur
historiker. Man darf aber von dem modernen Städte
bauer ein gleiches Interesse für frühere Schöpfungen und
Versuche erwarten, wie es der moderne Architekt für die
Leistungen der Vergangenheit zeigt, nicht nur, um An
regungen zu erhalten oder einzusehen, wie man es nicht
machen darf, sondern schon um der Erkenntnis willen,
daß sein Bemühen sich an die Arbeit von Generationen
anreiht und seine Tätigkeit Entwicklung einer alten, vor
nehmen Kunst ist.
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Zur ästhetischen Gesamtform zu gelangen, die Stadt
anlage als künstlerische Einheit zu entwickeln, wie es
einst der perikleische Städtebau anstrebte, ist im Gegen
satz zur Gotik Ziel der Italienischen Renaissance, Livorno
wird im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts die erste Anlage
nach durchdachter Planung des Alessandro Pierroni.
Sehr lehrreich für die Entwicklungsgeschichte der
Stadtbaukunst ist nun die Art und Weise, wie Frankreich,
das Heimatland der Gotik, auf die Anregungen der italie
nischen Renaissance eingeht. Bei den engen Beziehungen
ist ein unvermitteltes Nachgestalten jener regelmäßigen
italienischen Anlagen nicht verwunderlich, um so mehr
erstaunt man über fünf ideale Stadtpläne des Jacques
Perret de Chambery, die in seinem 1601 zu Paris er
schienenen, Heinrich IV. gewidmeten Buch: „Des Forti-
fications et Artifices, Architecture et Perspective“
dargestellt sind. Das Buch wurde unter dem Titel: „Et
licher Festungen Statt, Kirchen, Schlösser und Häuser,
wie die auffs Starkeste, zierlichste und bequemste können
gebawet oder auff-gerichtet werden“, von I. Th. de Bry
ins Deutsche übertragen. Es erschien mit verkleinerten
Nachstichen bereits 1602 zu Frankfurt, ein Beweis für
die Aufmerksamkeit, die das französische Buch er
weckte.