DER STÄDTEBAU
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Wachstum des Obstbaumes und der Sträucher gar nicht
behindern, fehlt. Der geringe Verkaufswert des ge
wonnenen Brennholzes wird oft genug als Geschäft be
trachtet.
Nur eindringliche Belehrung vermag hier Erfolg zu
zeitigen. Jeder Verkauf von waldbestandenen Grund
stücken müßte die Bestimmung enthalten, daß bei Bebauung
zunächst nur der Grundriß des Hauses abgeholzt werden
dürfe. Erst nach vollendetem Rohbau kann man sich ein
Bild davon machen, welche Bäume aus ästhetischen und
praktischen Gründen der Axt noch anheimfallen müssen.
Unsere Bodengesellschaften, deren jeweilige Bauklasse
dies durchführbar macht, pflegen derartige Vorschriften
neuerdings zu machen. Von Privatbesitzern und Klein
spekulanten ist ähnliches kaum zu verzeichnen.
Volkstümliche Schriften müßten, möglichst von Amts
wegen den Vorortgemeinden zur Belehrung, Aufklärung und
Vorbereitung zugehen, behördliche Bekanntmachungen und
Aufsätze in den Vorortzeitungen in ständiger Wieder
holung erscheinen, Anschläge an den Waldeingängen und
Verkehrstraßen noch mehr als bisher wieder und wieder zur
Schonung und Achtung unseres Baumbestandes mahnen.
In einigen wenigen Vorortsiedelungen ist erziehlicher
Einfluß in diesem Sinne zu verspüren. Mit unglaublicher
Gleichgültigkeit ist noch allerwärts zu rechnen. Wo die An-
regung unfruchtbaren Boden findet und versagt, muß der
Großgrundbesitz mit vertraglichen Forderungen im Kauf
verträge der Zerstörungssucht zu steuern suchen. Im Verein
mit rechtzeitiger Schaffung brauchbarer Bebauungspläne,
womit die kleineren Gemeinden stets zu spät zu kommen
pflegen, kann in der Berliner näheren Umgebung und der
entsprechenden Bauklasse noch so manche idyllische
Gartenstadt entstehen.
Der Ikarusflug zum Eigenlandhaus mit großer Grund
stücksfläche für den unteren Mittelstand wird indessen an
den Forderungen der Praxis sein Ende finden. Erst beim
Doppellandhaus für je zwei Familien kann die Grund
stücksgröße etwas reichlicher werden, ohne den Mietsatz
nennenswert zu erhöhen. Das Einfamilienhaus, am zweck
mäßigsten im sogenannten Reihenbau, muß beziehungs
weise kann bescheidener sein. Das Endziel bleibt noch
immer erstrebenswert genug, um ihm auf dieser Grundlage
bald möglichst Verbreitung und Erfolg zu wünschen. Es
wäre für weite Kreise interessant,’ nüchternen und zahlen
mäßigen Nachweis über die tatsächliche Entstehungs
möglichkeit der Gartenstadtsiedelung recht bald vorzu
bereiten, damit nicht Enttäuschungen der guten Sache
Abbruch tun.
STÄDTEBILDER AUS KEMPTEN IM ALGÄU.
Von Architekt H. THURN, Kempten. Hierzu 7 Originalaufnahmen von Photograph Leonhardt Färber, Kempten. )
Wie so manche alte Reichsstadt, so blickt auch die
Stadt Kempten auf eine vielhundertjährige Vergangenheit
zurück. Bis in die Zeiten der Römerherrschaft — vor
Jahren hat man auf einem südlich der Stadt gelegenen
Höhenrücken die ehemalige Römerstadt, „Campodunum“
geheißen, bloßgelegt. Durch alle Drangsal und Wirrnis
hat sich der ältere Teil der heutigen Stadt, kurzweg „Alt
stadt“ geheißen, in seinen Grundzügen erhalten, und selbst
unter den Schrecken des 30jährigen Krieges — wie uns
die Chronik besichtet — hat die Stadt wenig gelitten.
Ehemals von den Fürstäbten von Kempten
beherrscht, nahm die freie Reichsstadt die
Reformation an und nach den folgenden
Sturm- und Drangjahren ging die Entwick
lung der Stadt schnell vor sich. Ringmauer
mit Tor, Wall und Graben umschloß das
Gemeinwesen; nur kümmerliche Reste kün
den uns von der ehemaligen Reichsstadt
Herrlichkeit.
Die bauliche Hauptentwicklung der
Stadt fällt etwa in das Ende des 16., in das
17. und den Anfang des 18. Jahrhunderts.
Die beigegebenen Aufnahmen sind gelegent
lich der Wiederherstellung der evangelischen
Kirchevon der Kirchturmspitze aus gemacht,
etwa aus einer Höhe von 100 m. Was für
ein Durcheinanderschieben und -drängen,
Überschneiden von Dächern! Behäbige
Mansarddächer wechseln ab mit steilen
Giebeldächern. Giebel, Dachluken, Schorn
steinköpfe ergänzen das eigenartige Bild.
Reizende Einblicke in Gäßchen und Höfe aus längst ent
schwundener Zeit entzücken uns. So recht läßt sich an
diesen Aufnahmen die künstlerische Bedeutung der Straßen
führung und die des Daches studieren. Eine Fülle von
Bildern zeigt uns jede Aufnahme. Siehe Tafel 28.
Die in sanfter und feiner Linie geschwungene Bäcker
straße — eine durchgehende Verkehrstraße — (Abb. a)
*) Photographien dieser Aufnahmen zu beziehen durch Photograph
Färber, Kempten.
Abb. 1.