DER STÄDTEBAU
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von geben. Wir beginnen mit dem Lande der ältesten
Kultur, mit Ägypten. Entsprechend der Bedeutung des
Flusses lagen die ägyptischen Städte in der Ebene, nahe
am Nil. Weil sie fortgesetzt den Überschwemmungen aus
gesetzt waren — der Nil stieg in alter Zeit jährlich um
eine Höhe von n-12 m —, mußten sie auf künstliche
Sockel gestellt werden. Hierzu wurde ein meist viereckiger
Unterbau aus einem Netzwerk von Mauern hergestellt,
dessen Zwischenräume mit Boden aufgefüllt waren. Da
rauf erhoben sich dann die oft bis zu 20 m breiten und
ebenso hohen Ringmauern, aus sonnengetrockneten Nil
schlammziegeln errichtet und zum Schutze der Krieger
mit Brustwehren besetzt. Wo es angängig war, wurden
zur weiteren Befestigung um die Stadt Kanäle oder künst
liche Wasserbecken angelegt. Wie im Äußern, so war
auch im Innern die ganze Stadt planmäßig geschaffen.
Durch Abbildungen an Bildwerken und erhaltene Ruinen
sind wir sehr genau darüber unterrichtet. So zeigt die
Anlage von Kahun geradlinige Straßen, die sich rechtwinke
lig schneiden und auf die Tore zulaufen. Das Schloß oder
die Burg des Königs erhebt sich auf einem erhöhten, durch
Stufen zugänglich gemachten Rechteck; daran stoßend
liegen längs der Nordmauer die Wohnungen der Großen,
in anderen Vierteln, nach Süden und Osten hatten die Ar
beiter ihr Heim. An der Südmauer erblickt man eine
großartige Tempelanlage. Wie im heutigen Orient kehrten
die Häuser den Straßen nur eine langweilige, wohl weiß
getünchte Mauerseite ohne Fenster zu, während im Innern
sich um weite Höfe mit Baumpflanzungen und Brunnen
die Wohnräume anordneten. Die ganze Anlage der Stadt
ist nach den Himmelsrichtungen aufgestellt.
Für uns ist das Beachtenswerte, daß wifr hier zum
ersten Male künstlich geschaffenen, also nicht gewordenen
Städten begegnen, die mit geraden und rechtwinklig sich
schneidenden Straßen bebaut sind. Weiter bemerken wir,
wie die Bodenbeschaffenheit niemals berücksichtigt wurde.
Die ägyptischen Städte lagen fast ausnahmslos in der Nil
ebene ; waren sie von Wasser umgeben, so ist dieses künstlich
hineingeleitet, niemals aber wurde eine vorhandene, natür
liche Anlage geschickt verwendet. Hieraus scheint sich ein
mal die schnelleVergänglichkeit dieser Städte zu erklären —
es legte beinahe jeder ägyptische Herrscher eine neue Stadt
für sich an — andererseits auch die regelmäßige Anlage,
Ähnlich den ägyptischen waren die Städte des Landes,
das nach den neuesten Forschungen die Uranfänge aller
menschlichen Kultur in sich birgt, des Landstriches zwi
schen Euphrat und Tigris. Die beiden mesopotamischen
Großstädte, Babylon und Ninive, lagen wieder in der Ebene,
aber nicht am Flusse, sondern Babylon schräg vom
Euphrat durchschnitten, Ninive mit zwei Ecken an den
Tigris angelehnt. Bekannt ist die Beschreibung Babylons
durch den griechischen Geschichtsschreiber Herodot, der
die Stadt aus eigener Anschauung kannte und in ihr Er
kundigungen über den früheren Zustand eingezogen hatte.
Er schreibt: „Dieselbige Stadt ist also beschaffen: sie liegt
in einer großen Ebene und ist ein Viereck, dessen jegliche
Seite 120 Stadien beträgt — das sind 3 geographische
Meilen oder za 1 /? km — das macht im ganzen einen
Umkreis von 480 Stadien. Keine Stadt Ist aber so prächtig
gebaut, so viel wir wissen. Denn erstlich läuft ein Graben
umher, der ist breit und tief und voll Wasser, dann eine
Mauer, die ist fünfzig königliche Ellen breit und zwei
hundert Ellen hoch — das sind nach heutigem Maße 105 m
— und rings umher in der Mauer waren hundert Tore
ganz von Erz. Die Stadt aber besteht aus zwei Teilen,
denn mitten durch fließet ein Strom, der da heißet Euphra-
tes. Die Mauer macht nun von beiden Seiten einen Winkel
an dem Fluß, und dann kommt eine Mauer von Back
steinen an beiden Ufern des Flusses entlang. Aber die
Stadt selber besteht aus lauter Häusern von drei bis vier
Stockwerken und ist durchschnitten von geraden Straßen,
die längs gehen oder qu£r durch nach dem Flusse zu.
Und am Ende einer jeglichen Straße waren Pforten in der
Mauer an dem Flusse, so viel Straßen, so viel Pforten. Auch
diese waren von Erz. Die erste Mauer nun ist gleichsam
der Stadt-Panzer, innerhalb läuft noch eine zweite umher,
die ist nicht viel kleiner, als die erste, jedoch etwas schmä
ler. Und in der Mitte einer jeglichen Hälfte der Stadt
stehet ein befestigter Bau, nämlich in der einen die Königs
burg, die ist umgeben mit einer großen und starken Mauer,
und in der anderen das Heiligtum des Baal mit ehernen
Toren. Das war noch zu meiner Zeit zu sehen und ist
ein Viereck, jegliche Seite zwei Stadien lang. Und in der Mitte
desselbigen Heiligtums war ein Turm gebaut, durch unddurch
von Stein, ein Stadium lang und breit, und auf diesem Turm
stand ein anderer Turm, und auf diesem wieder ein anderer
und so acht Türme, immer eitler auf dem andern. Auswärts
aber um alle die Türme ging eine Wendeltreppe hinauf, und in
dem letzten Turm ist ein großer Tempel des Baal.“
Nach den neuesten Ausgrabungen und der Beschrei
bung von Delitzsch hat sich die Schilderung des Herodot
nicht so ganz bestätigt, da die Angaben über die Ausdeh
nung der Stadt und die Höhe der Mauern übertrieben sind.
Das eigentliche Babylon hatte in Wirklichkeit etwa den
Umfang des heutigen Berlin. Interessanten Aufschluß über
die mutmaßliche Anlage der Mauern in mesopotamischen
Städten geben die Funde in Tello. Hier wurde eine sitzende
Figur ausgegraben, die auf dem Schoße eine Tafel hält,
worauf sich die geometrische Darstellung eines Planes mit
danebenllegendem Griffel und Maßstab befindet (siehe Ab
bildung 1), Man sieht deutlich die Anlage breiter Mauern,
von Toren mit vorspringenden Seitenbauten unterbrochen; das
Ganze scheint eine Burg oder kleine Stadtanlage zu sein.
Die Entstehung der Statue wird auf das Jahr 3100 vor
Christo zurückgeführt. Wir hätten also hier vielleicht den
ältesten Stadtplan vor uns. (Fortsetzung folgt in Heft 4).