DER STÄDTEBAU
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Stellung zugleich eine Raumumschließung bewirkt. Man
kann mit Ausnahme der Fernwirkungen geradezu sagen,
das Stadtbild ist nur dann schön, wenn es zugleich ein
Raumbild ist. Zur Erzielung einer Raumwirkung genügt
aber nicht ein einfaches, lockeres Umstellen eines freien
Platzes, sondern es muß ein inniges Zusammenschließen
der einzelnen Baukörper in möglichst individueller Weise
gesucht werden. Parin unterscheiden sich unsere moder
nen Platzanlagen sehr unvorteilhaft von den alten histo
rischen. Die Platzbildungen im modernen Stadtplane sind
nicht nur von schematischer Nüchternheit un'd daher über
all von gleicher, ermüdender Wirkung, ihre Wandungen
sind auch bei Weitem nicht so fest gefügt wie bei den
Alten Es lassen sich Teile ohne Verstümmelung des Ge
samteindruckes leicht entfernen. Ganz anders ist es mit
den alten historisch gewordenen Plätzen bestellt; hier kann
Münsterplatz in Ulm — früherer Zustand.
gerade bei den auffallend schönen Beispielen nichts von
einander gelöst werden, ohne das Ganze stark zu beein
trächtigen oder überhaupt zu zerstören; so innig verbun
den, auf gegenseitige Beziehung gestellt und damit orga
nisch verwachsen erscheinen hier die Teile mit dem
Ganzen. So etwas hat Charakter; aber ein Ganzes, an
dem etwas dableiben oder auch wegbleiben kann ohne
störende Wirkung, hat keinen Charakter. Und hier haben
wir den Punkt, an dem wir einsetzen müssen in der Frage
der früher mit so viel Leidenschaft betriebenen Freilegun
gen hervorragender Bauwerke. Es ist ein nicht oft genug
hervorzuhebendes Verdienst Camillo Sittes, zuerst auf die
Schönheit einer gewissen Gruppierung von Plätzen im Zu
sammenhänge mit öffentlichen Gebäuden in alten Stadt
kernen aufmerksam gemacht zu haben und zwar unter
besonderer Berücksichtigung der Art und Weise, wie
Kirchen als Mittelpunkte von Platzgruppen aufgestellt wor
den sind.'
Gewöhnlich sind es drei sich bestimmt abgrenzende
Plätze, für deren jeden die Kirche eine andere Seite als
Schauziel darbietet, eine Gruppierung, die sich also von
der heute noch vielfach üblichen Art, Kirchen auf freie,
große Plätze zu stellen, ganz wesentlich unterscheidet. Die
Absonderung dieser drei, manchmal auch vier Plätze, wird
dadurch bewirkt, daß die die Kirche umsäumenden Häuser
an bestimmten Stellen recht nahe an sie herantreten.
Dieses Herantreten fremder Baumassen an die Kirche ist
aber oft auch noch aus einem anderen Grunde ein ästhe
tisches Erfordernis. Es ist bekannt, daß nicht jede archi
tektonische Form der Kirche eine in sich selbst ausge
glichene Massenanordnung besitzt; diese ist in idealer
Weise eigentlich nur in dem Zentralbau vorhanden, und
ein solches Bauwerk wirkt deshalb auch am besten in
freier Aufstellung. Die meisten Kirchen, namentlich die
jenigen mit ein oder zwei Westtürmen, bedürfen einer An
lehnung an fremde Baumassen, um ihnen in der Erschei
nung das ihnen selbst mangelnde Gleichgewicht der Masse
zu ersetzen.
Nun denke man sich diese an die Kirche herantretenden
Häuser, welchen die Funktion der Abtrennung in einzelne
Plätze oder der Herstellung des mangelnden Gegengewichts
zugewiesen ist, zu dem Zwecke entfernt, um die Kirche
freizulegen, so wird natürlich gerade das, auf was es hier
in erster Linie ankommt, vernichtet, und das hat man in
vielen Fällen wenn auch in der besten Absicht — zum
Schaden und auf Kosten einer vorher bestandenen Fülle
von architektonischen Reizen tatsächlich getan. Rechnet
man dann noch alles dazu, was dem Moloch Verkehr an
solchen ästhetischen Zusammenhängen alles schon ge
opfert worden ist, und das ist weitaus der größere Anteil,
so haben wir viel, viel unwiderbringlich verloren an bau
lichen Schönheiten unserer deutschen Städte, was bei
einigem ehrfurchtsvollen Maßhalten hätte erhalten werden
können.
Daß solche störende Eingriffe in künstlerisch wirkende
Gefüge überhaupt Vorkommen konnten und noch weiter
zu befürchten sind, diese betrübende Tatsache ist wohl
auf die beiden schon erwähnten verschiedenen Möglich
keiten des Schauens, kurz gesagt einerseits des Einzel -
schauens, andrerseits des BUdschauens, zurückzuführen.
Den Anstoß zu den jetzt so beklagten Freilegungen gab
offenbar das Einzelschauen, man wollte das Bauwerk zur
freien Betrachtung aus allem Zusammenhänge herausschälen,
von allem Zubehör absondern, und um es so, von allem
unbeeinträchtigt, ganz für sich genießen zu können, ähnlich
wie der Gelehrte den Gegenstand seiner Untersuchung von
allen Nebenumständen zu befreien und in ein bestimmtes
Beobachtungsfeld eng zu begrenzen bemüht ist oder wie
ein wertvolles Museumsstück, wie eine seltene Pflanze in
einem botanischen Garten, wie ein besonders interessanter
Gegenstand in irgend einer naturwissenschaftlichen Samm
lung von der Masse herausgehoben wird, um die Auf
merksamkeit darauf besonders zu lenken. Das ist aber
eine Auffassung des Schauens, die in einem Museum am
Platze sein mag, wo die verschiedenartigsten Dinge für das
Studium zusammengetragen sind, wo also schon der Zweck
in einer Trennung von Benachbartem — wenn auch nicht
in allen Fällen — an sich besteht; ganz sicher aber ist