DER STÄDTEBAU
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bedingung der Baukunst lautet: Charakteristik entwickelt
aus dem Gebäudezweck, raumkünstlerisch behandelt nicht
nur als Einzelstück, sondern auch mit Rücksicht auf das
Ganze einer Stadt, eines Platzes oder einer Straße oder
eines einzelnen Nachbars.
Anders geartete Beispiele können als Gegenbeispiele
gelten, die eines erziehlichen Wertes, wie bekannt, nicht
entbehren und daher auch die Aufmerksamkeit des Ama
teurs verdienen. Die Charakteristik des Gegenbeispiels
jedoch ist uferlos.
PLATZ UND MONUMENT. Besprochen von TH. GOECKE.
Unter dieser Bezeichnung ist vor kurzem ein von Ernst
Wasmuth A. G. verlegtes Werkchen erschienen, das Unter
suchungen zur Geschichte und Ästhetik der Städtebau
kunst bietet. Ein junger Kunsthistoriker, Dr. A, E, Brinck-
mann betritt hiermit ein bisher noch wenig durchforschtes
Gebiet. Die Handbücher der Architektur verzeichnen wohl
die geringste Einzelheit, lassen aber den Stadtbau als
Ganzes, die letzte Vollendung architektonischen Gestaltens,
wie derVerfasser einleitend bemerkt, außer Acht. „Nun wird
eine Formgeschichte des neuen Stadtbaues bei dem Mangel
an Einzelstücken in absehbarer Zeit nicht geschrieben
werden. Mir liegt nichts ferner, als mein Buch dafür aus
zugeben. Es hat in dieser Hinsicht seinen Zweck erfüllt,
wenn es Richtungen angiebt und aufmerksam macht, welch
Material hier des Kunsthistorikers harrt“.
Dies tut der Verfasser in sieben Kapiteln, deren Reich
haltigkeit schon das Inhaltsverzeichnis ahnen läßt. Erbehan
delt eine mittelalterliche Stadtanlage mit den gewachsenen
und angelegten Städten, dem gotischen Monument, dann die
Renaissance in Italien, insbesondere die am Gattamelata-
und Colleoni-Monument erläuterte Denkmalsplastik, die
Piazza della Signoria in Florenz und den Renaissanceplatz
überhaupt mit dem Beispiele der Piazza von Pienza, sowie
die italienischen Theoretiker über die Stadt als Gesamtbau,
die Straßen und Plätze; weiter den Bewegungsausdruck des
Raumes im römischen Barock, gezeigt an Piazza del
Campidoglio, Piazza del San Pietro und anderen Plätzen
Roms, der Straßenanlage und dem monumentalen Platz
schmuck, auch des übrigen Italiens. Dann der Wandel
der Raumdarstellung des XVI. und XVII. Jahrhunderts in
Deutschland, die Brunnen- und Mariensäulen, um sich
nun Frankreich zuzuwenden seit der Zeit der Renaissance
mit den Abschnitten: Raumgefühl und Formausdrück, die
Stadt Paris mit Place des Vosges und Place Dauphine, Ein
wirkung des italienischen Barocks, die Ausbildung des Stern
platzes, der rechteckige Monumentalplatz, Nancy, Stellung
des Monuments, Städtebau und der französische Klassizis
mus; endlich wieder zu Deutschland seit 1700 zurück
kehrend, dessen regelmäßige Stadtanlagen, Niedergang der
Städtebaukunst, monumentaler Platzschmuck und moderne
Bestrebungen im Städtebau im einzelnen erörtert werden.
Das Kapitel über die mittelalterliche Stadtanlage ist
dabei etwas kurz ausgefallen, nur durch den Hauptmarkt
von Nürnberg illustriert; es findet zwar noch eine kleine
Ergänzung im Abschnitte 23 — die Stadt Paris — mit der
Abbildung des ehemaligen Stadtteils um Notre-Dame, steht
aber doch gegen die Übrigen Kapitel nicht unerheblich
zurück. Auch die Deutschland betreffenden Kapitel um
fassen nur verhältnismäßig wenige Seiten und Abbildungen
(Domplatzgruppe in Salzburg, Zähringer Brunnen in Bern,
Untere Maximilianstraße in Augsburg, Marktplatz in Lud
wigsburg und Opernplatz in Berlin). Englische und nor
dische Städte usw. fehlen gänzlich. Um so glänzender
sind die Kapitel über Italien und Frankreich ausgestattet,
auf die von den 170 Druckseiten nebst 49 Abbildungen
des ganzen Werkes weitaus die meisten mit 130 Seiten mit
43 Abbildungen entfallen. Besonders anziehend für den
Städtebauer ist das dritte Kapitel über die italienischen
Theoretiker mit den idealen Stadtplänen nach Vasari di
Giovane und von Scamozzi. „Die Stadtanlage als künst
lerische Einheit zu entwickeln, wie es einst auch der
perikleische Städtebau anstrebte, ist Ziel der Rennaissance“
Doch fand sich noch bei Alberti die Forderung, daß die
Form der Stadt sich der Örtlichkeit anpassen müsse —
später kam die regelmäßige Anlage, die die Ebene auf-
suchen muß, mit dem Beiwerk der Befestigung, die wieder
die offene Stadtlage erforderte. Eine liebevolle Darstellung
hat der Städtebau im römischen Barock erfahren mit
Beigabe zahlreicher Abbildungen, von denen manche bis
her weniger bekannt, oder gar unbekannt waren. Das
beste Kapitel scheint mir aber das über Frankreich seit
der Renaissance zu sein, insbesondere zunächst der Ab
schnitt über die Ausbildung des Sternplatzes, der mancher
anderen Stadtanlage zum Unstern geworden ist, mit den
Beispielen: Place des Victoires in Paris und Entwurf
von Roußet für Place de Louis XV. Der Verfasser sagt
selbst dazu: „der Sternplatz gewinnt im XVIII. Jahrhun
dert seine Berechtigung im Städtebau. Er muß es sich
gefallen lassen, im XIX. vom ödesten Reißbrettschematismus
mißbraucht und herabgewürdigt zu werden.“ Zum zweiten
der Abschnitt über den rechteckigen Monumentalplatz mit
den Beispielen: Place Vendome in Paris, Place de Louis XV.
in Rouen, Place de Louis XV. (de la Concorde) in Paris
und der besondere Abschnitt über Nancy mit der berühmten
Anlage — Place Royale genannt - in 3 Abbildungen. Drittens
die allgemeinen Betrachtungen über den französischen
Städtebau mit dem auf Grund eines Zehnecks entworfenen
Stadtplane nach Roland Levirloys.
Die Darstellungsweise ist eine frisch lebendige, an
regende und zeugt nicht allein von eigener Anschauung,
sondern auch von selbständiger Auffassung. Sie wird dazu
beitragen, weiteren Kreisen die Augen zu öffnen, welch
hervorragend künstlerischem Thema wir im Städtebau
gegenüberstehen.