DER STÄDTEBAU
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durch eine starke Höhenentwicklung in Erscheinung tritt.
(Standpunkt i siehe Textbild i).
Es ist immer wieder von neuem Reiz für jeden, den
der Städtebau interessiert, sich mit dem Studium alter
Stadtanlagen zu beschäftigen. Auf Schritt und Tritt wächst
das Gefühl, wie sehr doch frühere Zeiten es verstanden,
Zweckmäßigkeit und Schönheit in eine Form zu gießen,
ohne auf Kosten der einen der anderen den Vorzug zu
geben. Die Aufgabe ist so einfach und doch — so scheint
es nach den Erfahrungen der jüngstvergangenen Zeit —
so schwer zu lösen: die gegebenen natürlichen Verhältnisse
als grundlegend zu betrachten, nicht selbstverständliche
Forderungen zu umgehen, widerspruchsvoll zu erfüllen oder
gar rücksichtslos zu verleugnen.
Wirft man einen Blick auf den vorliegenden Teil des
Stadtplans von Büttstedt, so überrascht und erfreut zuerst
die lineare Schönheit der Anlage. Der Plan schon läßt
ahnen, welch besonnene Überlegungen sie geschaffen haben.
Das Auge folgt zwanglos den feinen Zügen der Straßen,
die in zufällig erscheinenden und doch so sehr berechneten
Schwingungen vom Außenring auf den Marktplatz zugehen.
Nirgends, ausgenommen in der „Neuen Straße“, die ihr
Name schon bezeichnet, findet man eine Härte oder einen
widersinnigen Zwang,
Das unterscheidet die alten Stadtanlagen von denen
aus neuerer, noch immer nicht ganz überstandener Zeit,
die an dem mißverstandenen Dogma der Zweckmäßigkeit
gescheitert ist und mit dem in unwirkliche Höhen getrie
benen Ideal der „verkehrserleichternden Geradlinigkeit“
andere wertvolle Ideale mutwillig oder gedankenlos zer
störte.
Um die Linienführung auf dem Plane verständlich zu
machen, ist es natürlich nötig, die Beschaffenheit des
Geländes zu kennen. Fast errät man diese schon aus der
Bewegung der Straßenzüge, die kaum Mißdeutungen zu
lassen. Büttstedt ist auf einem flachen Hügel aufgebaut,
der nach der Westseite zu * in etwa halbkreisförmigem
Bogen ziemlich steil abfällt, während er nach den übrigen
Seiten flach in die Ebene ausläuft. Auf der Höhe liegt der
Marktplatz mit dem Rathaus und der Kirche, die ihre be
herrschende Stellung auch nicht einen Augenblick verleug
net und durch kein falsches Gegengewicht um ihre herr
liche Wirkung gebracht wird.
Dies Grundgesetz aller baulichen Gruppierungen, das
in späterer Zeit gar zu oft in Vergessenheit verfiel, haben
frühere Zeiten immer streng befolgt. Der ebenen Gleich
mäßigkeit, dem Gleichgewicht in der Verteilung der Massen,
Straßen und Plätze geht eine Steigerung gegen den herr
schenden Mittelpunkt zur Seite, dem alles übrige ohne
Widerspruch sich unterordnet. In Büttstedt bildet diesen
herrschenden Zentralpunkt die St. Michaelskirche, ein
mehr als nur wohlgebildeter Bau, dessen eigenartiger
Turm einer der schönsten Kirchtürme Thüringens ist. Der
Bau, in seinen Uranfängen wohl noch in der Gotik wur
zelnd, erstand im Anfang des 16. Jahrhunderts. (Näheres,
auch über das im ganzen schmucklose Rathaus, dessen
Einzelheiten, besonders der Nordostgiebel, aber bemerkens
wertes aufweisen, in „Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler
Thüringens.“) Sie ist dem Marktplatze bewunderungswürdig
geschickt eingefügt, gibt ihm zum großen Teil sein Ge
präge, ohne das Rathaus zu unterdrücken und schließt die
verschiedensten Straßenperspektiven ab. Ihre Westfront ist
ganz an den steil abfallenden Teil des Hügels gerückt, von
dessen Fuß sie einen beinahe großartigen Anblick gewährt.
Durch Kirche und Rathaus wird die dreieckige Fläche
des Marktes in zwei, bezw. drei Plätze gegliedert, die den
umschließenden Gebäudemassen entsprechend wohl abge
wogen sind, (Auf dem Lageplane,Tafel 89 mit 1,11, III bezeich
net.) Platz I ist inbezug auf die ihn im Westen abschließende
Kirche ein Tiefenplatz im Sinne Camillo Sittes, Platz II
mitbezug auf das Rathaus und auch auf die Ostseite des
Kirchenschiffs ein Breitenplatz, ebenso Platz III, der sehr
geschickt durch einen Einschnitt in' die südliche Platzwand
gebildet wurde. Mitbezug auf das Rathaus könnte Platz I
auch Breitenplatz genannt werden. Er ist besonders in
dieser Auffassung sehr geschickt angelegt; die ganz
schlichte, breit gelagerte Ostfront des Rathauses mit dem
davor liegenden überaus reizvollen, von Kugelakazien um
standenen Brunnen mit dem Standbild St. Michaels, des
Schutzpatrons der Stadt, wirkt hier vortrefflich.
Wie einerseits durch die Dreiteilung des im ganzen
sehr großen Marktes in kleinere Plätze eine angenehme
Trennung des Marktverkehrs herbeigeführt wird, so wird
andererseits dadurch eine strenge Geschlossenheit der Bild
wirkung erzielt. Nirgends, wieder abgesehen von der
schrecklichen „Neuen Straße“, entsteht ein Loch in der
Abb. 1. Blick auf die St. Michaelskirche. Standpunkt 1.
Platzwand, obwohl eine große Anzahl von Straßen auf ihn
münden. Und wie sehr Camillo Sittes Behauptung, daß
Tiefenplätze nur dann eine Berechtigung haben, wenn sie
von entsprechend hohen Gebäuden abgeschlossen und be
herrscht werden, der guten Praxis entnommen ist, dafür
ist diese Anlage wieder ein vorzügliches Beispiel.