DER STÄDTEBAU
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lungen wären die Kosten für den Erwerb der Forsten
herauszuschlagen. Um nun den Grunewald unter diesen
Gesichtswinkel zu bringen, wollen wir zunächst seinen
gegenwärtigen Zustand mit den Augen des modernen Städte
bauers, d. h. als Künstler und als Sozialpolitiker — und
auch als Lokalpatriot anschauen.
Stübben stellt in der Einleitung der neuesten Auflage
seines Werkes „Der Städtebau“ den grundlegenden Satz
auf: „Die Anlage einer neuen Stadt oder eines neuen
Stadtteiles oder die Verbesserung alter Stadtviertel hat aus
zugehen von den obwaltenden örtlichen Erfordernissen des
Wohnens, der gewerblichen Tätigkeit, des Verkehrs und
der Gemeinsamkeit; sie hat an die örtlichen Gepflogen
heiten und Bestrebungen anzuknüpfen und sie verbessernd
und umgestaltend einer vollkommeneren Entwicklung ent
gegenzuführen.“
Wenn auch der Grunewald noch nicht zur Anlage
eines neues Stadtteiles bestimmt ist, so liegt er — wie ge
sagt — innerhalb des Gebietes, das der Bebauungsplan
von Groß-Berlin umfassen wird. Man ist also berechtigt,
den städtebaulichen Leitsatz auf ihn zur Anwendung zu
bringen. Westlich von Berlin, von Spandau bis zum Wannsee
sich erstreckend und im Westen bis zur Havel reichend,
liegt das den Berlinern so teure Waldgelände — teuer bis
jetzt nur in ideellem Sinne. 4676 ha ist der Grunewald
groß, mehr als zwanzigmal so groß wie der Berliner Tier
garten. Hierzu wäre wohl noch der Machnower Forst
und der an der Pfaueninsel gelegene Teil des Potsdamer
Forstes zu rechnen mit rund 2271 ha, so daß der ver
größerte Grunewald eine Fläche von 6947 ha bedeckt. Seit
Generationen betrachtet man diesen Teil von Berlins Um
gebung als Berliner Eigentum, als mit sich, mit Berlin
verwachsen. Eine Art Heimatliebe verbindet den Berliner
mit diesem Stück Natur. Deshalb darf wohl mit Recht
behauptet werden, daß in der Überlieferung, in den über
lieferten Werten und nicht nur in der landschaftlichen
Schönheit ein guter Teil der Sympathien wurzelt, die dem
Grunewald entgegengebracht werden. Denn die Umgegend
Berlins bietet eine ganze Reihe von Ausflugsorten, die
landschaftlich mindestens ebenso anziehend sind. Nur
kann der Grunewald verschiedene Vorzüge aufweisen. Er
liegt in dem vornehmen Westen und ist leicht und schnell
zu erreichen. Das sind auch die Gründe, weshalb der
wohlhabende Teil der Bevölkerung sich dort Villen und
Landhäuser erbaut hat. Die Kolonien Grunewald, Zehlen
dorf, Schlachtensee, Nikolassee, Wannsee, Kl. Machnow
u. a. legen ein beredtes Zeugnis hiervon ab. Der minder
begüterte Teil der Berliner begnügt sich in seiner freien
Zeit, das ist meistens Sonntag nachmittags, auf ein paar
Stunden hinauszufahren. Hiermit erschöpft sich die Frage
des gesamten „Verkehrs“ im Grunewald.
Betrachten wir den ersten Teil etwas genauer. Nur
wer mit irdischen Gütern gesegnet ist, kann sich in den
Kolonien, die den eigentlichen, größtenteils dem Fiskus ge
hörenden Wald umgeben, sein Haus bauen und somit der
verschiedenen Annehmlichkeiten teilhaftig werden, ln
einer halben Stunde befindet man sich im Herzen der Groß
stadt. Eine rasche Zugfolge vom frühesten Morgen bis in die
Nacht hinein läßt die Entfernung gar nicht gewahr werden.
Leider ist nur ein geringer Prozentsatz der Berliner Be
völkerung in der Lage, der Wohltat teilhaftig zu werden,
den Wald richtig auszumitzen, d. I. im Walde zu wohnen.
Daß dieser Teil auch die gebotenen Schönheiten mit künst
lerischem Verständnis zu sehen und zu genießen versteht,
dürfte anzunehmen sein. Es soll nur an den mit Segel
jachten und Motorbooten bedeckten Wannsee erinnert
werden. Obwohl der Grund und Boden zum Anbau er
heblich teurer ist wie in den Östlichen oder nördlichen
Vororten, so finden sich immer noch genügend Käufer, die
sich hier niederlassen. Das beweisen die aufgezählten
Landhauskolonien, die eine raschere Entwicklung zu ver
zeichnen haben, wie die Landhaussiedelungen im Nor
den, Osten oder einem anderen Teile von Berlins Um
gebung. Es zeigt sich hier wieder einmal der Zug nach
dem Westen. Kommt es doch vor, daß Villenbesitzer in
einem anderen Vororte ihr Haus verkaufen, um sich im
Westen, in der Grunewaldzone, anzubauen. Wollte irgend
eine Gesellschaft oder Behörde für ihre Beamten eine
Landhauskolonie gründen und zwar im Osten oder Norden,
sicher würde ein großer Teil der Beamtenschaft ungern
seinen Wohnsitz nach dort verlegen; während für ein
Heim in einer Grunewaldkolonie alle ohne Ausnahme zu
haben wären.
Nun zum anderen Teile, der durch die Ausflügler ge
bildet wird. Als unverrückbares Bild erscheint da die
Berliner Familie, die mit Kind und Kegel hinauszieht, auf
dem Waldboden ihr Lager aufschlägt und Stullenpapier,
Eierschalen, leere Bierflaschen und andere unerfreuliche
Dinge in selbstherrlicher Rücksichtslosigkeit zurückläßt.
Ganz so schlimm sieht es in Wirklichkeit nicht aus. Doch
muß dem Berliner der Vorwurf gemacht werden, daß das
Ziel seiner Ausflüge nicht ein landschaftlich schöner Punkt,
sondern fast stets eine Wirtschaft mit Restaurationsbetrieb
ist. Daß diese auch oftmals herrlich gelegen ist, soll nicht
bestritten werden. Allein der größte Teil der Grunewald-
besucher bleibt in den Kaffee- und Bierwirtschaften, die
sich in der Nähe der Bahnhöfe befinden, und begnügt sich
mit kleinen Spaziergängen in den weniger interessanten
Teilen des Waldes. Selbst an sehr schönen Sonntagen
sind die reizvollsten Punkte wie Pichelswerder, das
Havelufer am Kaiser-Wilhelm-Turm, die Havelberge,
die Pfaueninsel nicht so besucht, wie zu erwarten wäre.
Die Pfaueninsel macht allerdings eine Ausnahme, weil
man sie billig und bequem durch Dampferfahrten er
reichen kann.
Während sich so auf einzelnen bevorzugten Punkten
das Leben zusammendrängt, bleibt der größte Teil des
Grunewaldes unbenützt — und, wie gesagt, nicht nur
Wochentags, sondern auch Sonntags. Nur einzelne Wege,
richtige Heerstraßen, die zu einem bestimmten Ziele führen,
z. B. nach Schildhorn, haben einen starken Verkehr auf
zuweisen. Oft sieht man auch Familien im Walde lagern,
die aber merkwürdigerweise sich kein schönes Plätzchen
aussuchen, sondern dicht an einem vielbegangenen Wege,
sozusagen noch halb auf der staubigen Straße, die freie
Natur zu genießen glauben. Es ist auch eine bekannte Tat
sache, daß die Bahnverwalfung den gewaltigen Verkehr an
den Sonntagen der Sommermonate kaum zu bewältigen ver
mag. In Abteilen für sieben Personen werden off zwanzig
und mehr Menschen befördert. Hieraus ergibt sich ein
weiterer Übelstand. Die Bewohner der vorher aufgezähl
ten Landhauskolonien können oftmals am Sonntag nur mit
großen Unbequemlichkeiten nach Berlin oder von dort nach
ihrer Wohnung gelangen.