DER STÄDTEBAU
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Nachfrage die eigenen Beamten der Stadt in die Häuser
ziehen können,“
Ulm gibt von seinem umfangreichen Geländebesitz
auch einzelnen industriellen Niederlassungen Boden zu an
gemessenem Preise, behält sich aber vor, daß die Stadt das
Land zum alten Preise wieder zurückkaufen kann. Einen
sehr beachtenswerten Weg, den städtischen Bodenbesitz
zu verwerten, hat Kiel seit alters her verfolgt. Die Stadt
verpachtet ihren freien Boden teilweise als Gartenland.
1869 hatte sie schon 492 Pachtgärten vergeben, 1875 waren
es 708 geworden, aus denen die Stadt eine Einnahme von
10529 Mark erzielte. 1900 waren 2518 Gärten mit zu
sammen 120 ha Fläche vergeben, die 50000 bis 55000 Mark
Pacht einbrachten, und 1905 waren 653115. Da im allge
meinen nur Familien, und hauptsächlich wohl kinder
reiche Famlilien, solche Gärten pachten, ist durch diese
Einrichtung einer erfreulich großen Anzahl Personen die
unmittelbare Berührung mit ländlichem Boden, die in der
werdenden Großstadt sonst verloren gehen mußte, erhalten
worden. Und neben den wirtschaftlichen Erfolgen der
Stadt sind die sittlichen Ergebnisse der gärtnerischen
Tätigkeit so vieler Familien gewiß nicht gering zu achten.
Seit der Herausgabe des neuen bürgerlichen Gesetz
buches von 1900 ist eine neue Form der Vergebung städti
schen Bodens gesetzlich geregelt: Die Vergebung mit Erb r
baurecht gegen Zins. Bei dieser Form ist «ine industrielle
Nutzung des Bodens in spekulativer Weise allerdings aus
geschlossen, denn die Grundstücke werden praktisch, so
lange der Pachtvertrag besteht (das sind 60 bis 100 Jahre)
aus dem öffentlichen Verkehre so gut wie ausgeschaltet.
Aber darum ist diese Form auch für Private oft unan
nehmbar - selbst für solche, die ein Wohnhaus lediglich
zum eigenen Gebrauch errichten wollen. Wer kann heute
sagen, daß er — oder seine Nachkommen — 60 oder
100 Jahre lang an einer Stelle unter unveränderten Ver
hältnissen bleiben kann oder will? Erbbauboden wird im
allgemeinen nur jemand erwerben, der für sich selber
bauen will, und der wird in den meisten Fällen ein seinen
besonderen persönlichen Bedürfnissen entsprechendes Haus
errichten. Steht erst einmal ein solches Haus, dann ist
das Erbbauland sicher sehr schwer zu veräußern, und das
wird für viele Leute ein ernster Grund sein, um auf Erb
bauland zu verzichten. Dazu kommt es vor allem noch
auf die einzelnen Bestimmungen des Erbbauvertrages an.
Wenn sie weitgehender Ausnutzung des Bodens wehren
sollen, müssen sie scharf sein und hindern dann sehr;
sind sie aber milde, erfüllen sie den Zweck nicht. Ob
gleich seit Jahren so außerordentlich viel vom Erbbau
recht geredet wird und viele von ihm Großes erhoffen,
hat es sich noch in keinem Fall verwirklichen lassen,
wenn Private das Baugeld hergeben sollten. Halle z. B.
wollte zu verhältnismäßig recht günstigen Bedingungen
Erbbauland vergeben, und es waren auch Interessenten
vorhanden, die es benutzen wollten — aber keiner konnte
das Baukapital auftreiben. Mannheim ist dazu ge
kommen, ,,von der Vergebung von Erbbaurechten an Bau
lustige im allgemeinen abzusehen“, „stellt die Tatsache
fest, daß der Erbbauzins keine ausreichende Rente vom
Gegenwartswert der vergebenen Grundstücke darstellt“
und daß „der während der Erbbauperiode zuwachsende
Mehrwert des Bodens nur ungenügenden Ausgleich bietet“.
Dagegen will die Stadt „ausführliche Grundsätze für die
Anwendung des Erbbauvertrages gegenüber Genossen
schaften und gemeinnützigen Gesellschaften aufstellen“.
Aber auch Genossenschaften können auf Erbbauboden
nur dann wesentlich billigere Mietpreise erzielen, wenn
sie Hypothekarkredite aus öffentlichen Mitteln bekommen,
wie z. B. die Genossenschaften in Ulm, Essen, Ruhr
ort, Frankfurt, Leipzig, Kiel, Dahlem, Posen,
Wilhelmshaven, Dresden usw., denen Mittel vom Staat,
vom Reich, von Landesversicherungsanstalten oder von
den Städten selber (wie z. B. in Frankfurt, und mittelbar —
durch Bürgschaft — in Leipzig) bereit gestellt wurden.
Solche Genossenschaften und hier und da einmal eine
Privatperson können nach den bisherigen Erfahrungen
allein als Abnehmer von Boden mit Erbbaurecht in Frage
kommen. Der Kreis der Interessenten wird in den meisten
Gemeinden zu klein sein, um das Erbbaurecht als Grund
lage für eine städtische Bodenpolitik dienen zu lassen, die
der Allgemeinheit zum Nutzen sein soll, Eine Herab
setzung der städtischen Durchschnittsmieten wird man von
der — für einzelne oft segensreichen — Tätigkeit der Ge
nossenschaften nicht erhoffen dürfen, bisher hat sie sich
wenigstens anscheinend noch nirgends gezeigt. In Lichter
felde und Steglitz sind zahlreiche Genossenschaftswoh
nungen, die wesentlich billiger als zu den Durchschnitts
preisen in diesen Orten vermietet werden — aber schon
auf der andern Seite derselben Straße kosten die Woh
nungen ebenso viel wie in den anderen Ortsteilen. In
Frankfurt sind 1200 Wohnungen auf Erbbauland durch
schnittlich etwa 25 % billiger wie die „freien“ Wohnungen,
in Essen etwa 200 Wohnungen 20—257Der Unterschied
ist wohl zu erklären: wer keinen Gewinn zu erarbeiten
braucht, Geld zu 3 % aus öffentlichen Mitteln bekommt
und Land zu vorzugsweisen Bedingungen, kann billiger
bauen und vermieten wie der, der von seiner Arbeit leben
und für Baugeld 6-8 °/ u bezahlen muß. Aber ausgleichend
wirkt der Unterschied nicht.
Das sind einige der Tatsachen, die bisher erarbeitet
wurden. Aus ihnen ergibt sich mit großer Gewißheit eins,
was für alle Gemeinden gültig ist: besorgt zu sein, soviel
Land zu erwerben, wie zu angemessenen Preisen zu haben
und wirtschaftlich zu halten ist. Das ist die Grundlage
für jede gedeihliche Wirksamkeit. Wie das Land aber am
Vorteilhaftesten verwertet werden kann, hängt ganz von
den örtlichen Verhältnissen ab. Zunächst ist zu unter
scheiden zwischen den großen, wohlhabenden, schnell
wachsenden Städten, und den kleinen Gemeinden, die sich
ruhig und stetig entwickeln. Ein Teil der bisherigen
Mißerfolge ist dadurch verursacht worden, daß man dies
nicht auseinander hielt, und Erfahrungen, die nur bei be
stimmten Voraussetzungen maßgebend sein konnten, kritik
los auf andere Verhältnisse tibertrug.
In den großen Städten wird die Frage, wie die Bevölke
rung angemessen wohnen kann, wohl durch den Ausbau der
Verkehrswege der Lösung näher gebracht werden. Berlin
hat eine Kommission nach London geschickt, die die Ver
hältnisse in der englischen Hauptstadt studieren sollte.
Die Herren fanden (Herr Regierungsrat a. D. Kemman
Unterzeichnete den Bericht), daß die Wohnpreise in London
wohlfeiler sind als in Berlin, daß man für den Preis einer
bescheidenen Berliner Mietwohnung ein Londoner Ein
familienhaus bewohnen kann — und glauben, das zum