DER STÄDTEBAU
3
hat geholfen, das Gotteshaus hochzutreiben, nicht allein
durch Steigerung der Höhe im Verhältnisse zur Grund
fläche des Kirchengebäudes, durch Vervielfältigung und
Höherführung der Türme, sondern auch oft durch Hebung
der Grundfläche über den Erdboden, früh schon durch
die Höhenlage (oft wohl wegen des Grundwasserstandes)
des von niedrigen Mauern eingefaßten Kirchhofes (z. B. des
mit prächtigen Bäumen bepflanzten Kirchplatzes zu Anger-
münde, eines ähnlich behandelten in Landshut i. B.) —
durch Auffüllung der aus den Fundamentgräben geschach
teten Massen, durch Einebnung von Bodenmulden und dann
durch Erbauung von Plattformen, im Hügellande von Futter
mauern und Steinbrüstungen eingefaßt. Ansteigende Straßen
und Freitreppen führen zum Kirchplatze empor (Dom und
Ober-Pfarrkirche in Bamberg, Michaelskirche in Schwä-
bisch-Hall, Dom in Erfurt, Abteikirche in Aachen-
Burtscheid). In älterer Zeit hat Überdies oft die Anlage
einer Krypta einen Unterbau geschaffen. Der geringe Um
fang des Kirchplatzes mit seiner verhältnismäßig niedrigen
Umbauung gibt den Maßstab für die Größe und Höhe des
Gotteshauses ab (Münster in Straßburg). Cornelius Gur
litt hat in seinem Werke über ,,die Kirchen“ (Handbuch
der Architektur — Darmstadt, Bergsträßer) die Gesamt
wirkung mit beredten Worten dargestellt.
Die so gestellte Aufgabe hat die Gotik trefflich gelöst.
Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn die in neuerer
Zeit so beliebte Freilegung alter, auf Höhenwirkung und
Untersicht erbauter Kirchen, die Harmonie des Gesamt
bildes beeinträchtigt, die stolze Größe des Gotteshauses
herabmindert. Zwar war der Maßstab des Bildes und
der Kirche im Wandel der Zeiten, insbesondere nach Ein
führung des von Italien hergekommenen Stockwerkhauses
vielfach ein anderer, ein höherer geworden, so daß zur
Wiederherstellung der ursprünglichen Wirkung ein Zurück-
weichen der Platzwandungen geboten erschien. Doch ist
man oft über das notwendige Maß hinausgegangen und hat
namentlich der Döm zu Köln a. Rh., das Münster zu Ulm
geschädigt, so daß schon Vorschläge auftauchen konnten,
die auf eine Wiederverbauung der zu groß geratenen
Plätze hinauslaufen. Neuerdings begeht man in Magde
burg (Dom) denselben Fehler und hat in Stralsund (Ni
kolaikirche) den besten Willen dazu, ihn zu begehen. In
maßvoller Weise ist dagegen die Stadtkirche in Darm
stadt vom Oberbaurat Hoffmann freigelegt worden, und
zwar nach der Chorseite, während der Hauptbau durch
eine niedrige Toreinfahrt mit der benachbarten Anbauung
verbunden wurde.
Die Renaissance hat sonst nicht viel an den alten Ver
hältnissen geändert. Schon Camillo Sitte wies darauf
hin, daß die weitaus größere Zahl der Kirchen in Rom
eingebaut, dicht umbaut oder mit einer Seite, mit einer
Ecke an die Wohnhausblöcke angelehnt ist. Auch in der
Barockzeit, in der man sich doch auf so großräumige
Wirkungen verstanden hat, ist diese Überlieferung lebendig
geblieben, In München steht die Johanneskirche in der
Straßenfront eingebaut, wie so manche Jesuitenkirche,
z. B. die Hofkirche St, Michael ebenda mit dem vormaligen
Jesuitenkolleg verbunden, die Martinskirche in Bamberg;
die St. Andreas - Pfarrkirche in Düsseldorf an einer
Straßenecke mit der Nordseite ebenfalls’an ein jetzt der Re
gierung dienendes früheres Jesüitenkioster stoßend. Die
Nord- und Ostseite der Nikolauskirche in Prag, des Stiftes
Haug in Würzburg sind verbaut, die jetzt protestantische
Ägidienkirche in Nürnberg ist dicht an die Bebauung
herangeschoben. Und da, wo man einen größeren Platz
anlegte, hielt man doch auf Geschlossenheit der Anlage,
wie vor dem Dome zu Passau, dessen Westfront unter
Überbauung des Einganges zu einer an seiner Südseite
sich entlang ziehenden Gasse an die südliche Platzwandung
stößt. Der den Dom zu Salzburg umgebende Raum ist
gar durch die Westfront mit den benachbarten (erzherzog-
liehen und fürstbischöflichen) Residenzen verbindende
Säulenhallen in drei Plätze zerlegt. Besonders nahe liegen
uns aber hier die neuen Kirchen des Protestantismus, die
eng umbaute Kreuzkirche, die Frauenkirche zu Dresden,
letztere schon etwas geschädigt durch den Abbruch und Aus
bau kleiner Häuser gegen den„NeuenMarkt“hin. (C.Gurlitt,
„Über Baukunst“, Verlag JuliusBard,Berlin), In Frankfurt
a. M. ist die Katharinenkirche längs an die Straße gestellt,
die Paulskirche in eine Ecke des Paulsplatzes gedrückt.
Was haben nun derartige Betrachtungen für den pro
testantischen Kirchenbau der Gegenwart zu bedeuten?
Betrachtungen eines auf der Wanderschaft gewesenen
Architekten, der an der Wirklichkeit sein Urteil zu schärfen,
seine Empfindung für natürliche Lösungen zu verfeinern
sucht. Dabei werden abstrakte Kunstmeinungen abgestreift.
Eben deswegen läßt sich wohl daraus entnehmen, daß
dieselbe Aufgabe, den jedesmal gegebenen Verhältnissen
angepaßt, auf verschiedene Weise gelöst werden kann. Wie
Freiheit in der Ausgestaltung der Kirche zu fordern ist, so auch
Freiheit in der Aufstellung der Kirche, um zu der zweck
entsprechendsten und würdigsten Lösung zu kommen. Wie
steht es denn nun heute mit der Kirche im Stadtbilde?
In der kleinen, in der Landstadt, in der nur langsam
wachsenden Stadt, wohl nicht viel anders als früher. Zwar
sind die Wehrmauern meist gefallen, oft auch die Stadt
türme oder Burgen verschwunden; dafür hat sich hier und
da der Dampfschornstein einer Fabrik eingestellt, ein
Wasserversorgungsturm oder ein Aussichtsturm vielleicht
nicht allzuweit davon. Für die Stellung der Kirche, die
Bedeutung des Kirchturmes hat sich aber kaum etwas ge
ändert. Ebenso liegt es in den Landhausvierteln und
vielen Arbeitersiedelungen, in den Vororten der Groß
stadt, überhaupt überall da, wo die Bebauungshöhe eine
mäßige ist, wie noch in manchen Städten des westlichen
Deutschlands. Doch wird eingewandt, die Volksgesund
heit verlange heute breitere Straßen und größere Plätze,
also auch weiträumigere Kirchplätze, Soweit diese An
forderungen berechtigt sind, wird man sie erfüllen müssen
— es kommt nur auf das Maß an; und in dieser Hinsicht
dringt doch langsam die Überzeugung durch, daß man
schon vielfach über das Notwendige hinausgegangen sei,
und dies hat im Verein mit der unter den „Ratschlägen“
für den Kirchenbau in Preußen erhobenen Forderung: Die
Würde des Gotteshauses erfordere eine freie Stellung, die
Kirche gehöre auf einen offenen Platz und solle sich nicht
an andere Gebäude anlehnen, insofern ungünstig gewirkt,
als es in neuerer Zeit selten gelungen ist, Platz und Kirche
in Harmonie zu setzen. Ausgezeichnete Stellung, reich
liches Licht, bequeme Zugänge lassen sich erreichen, auch
ohne daß es einer Freistellung bedarf. Nach Gurlitt
kommt in jener Forderung „lediglich die allgemein geltende
ästhetische Ansicht zum Ausdruck, daß für ein öffentliches
Gebäude die Freistellung die würdigste sei“. — Daß man