DER STÄDTEBAU
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in der Hauptsache zwischen 1780 und 1800 entstanden sind
und, mit den prächtigen Barockanlagen Pedettis beginnend,
eine Menge Ideen des Parisers Salin de Montfort, Pläne
des Engländers Bourdet, streng an altrömische Fora an
schließende Anlagen des Straßburger Architekten Antoine,
endlich aber die wenigstens zum Teil ausgeführten, frei
antikisierenden Entwürfe Friedrich Weinbrenners. Nur
zum Teil verwirklichte Pläne zu Stadterweiterungen aus
dem 18. und 19. Jahrhundert treten hinzu, fortgesetzt bis
auf die Gegenwart und Zukunft. Nun aber beginnt das
Neuland, zu dem gerade die eigentümlichen Karlsruher
Verhältnisse den Weg erleichtern. Wir sind imstande,
einen Plan zu zeichnen, der zeigt, wann eine jede Straße
angelegt, einen anderen, wann sie bebaut ist. Ausführ
liche Akten aus den Zeiten größter Bautätigkeit, vor allem
von 1800 bis 1818 ermöglichen es, sie lassen uns auch die
Entwicklung der Löhne, der Preise von Boden, Materialien
und Gebäuden verfolgen, die Bildung der Viertel für die
Vornehmen, die Geschäftsleute und das arme Volk. Häuser
zahl, Einwohnerzahl, Straßenlänge — bei Berücksichtigung
der, übrigens fast nur infolge dahingehender obrigkeitlicher
Beeinflussung, steigenden Dichte der Bebauung, werden ver
glichen. Hervorragend lehrreich ist die Entwicklung der
Beamten- und Hofstadt parallel mit dem Wachstume des
Landes, bis nach 1870 Industrie undVerkehr das Bild ändern,
ohne es zu verwischen. Graphische Veranschaulichung
der Bevölkerungsgliederung, ihr Verhältnis zur Zahl und
Zunahme der Öffentlichen Gebäude und Anstalten zeigen
dies. Darstellungen der Verteilung dieser Bauten, ihrer
wechselseitigen Abstände sowie der Anlagen und Gärten
würden folgen. Angabe der Verkehrswege vor und nach
Anlage des gegenwärtigen Bahnhofes, dazu die voraus
sichtliche Entwicklung nach Anlage des neuen, Abstufung
der einzelnen Straßen nach ihrer Wichtigkeit für den Ver
kehr und ihrer Lage für Industrie und Handel. Die sich
hier vorbereitenden Umwälzungen lassen sich bereits emp
finden. Eine andere Frage ist die Wertung der Geschäfts
und Wohnstraßen nach Sonnen- und Schattenseite, die
Nähe öffentlicher Gebäude, Bahnhöfe, Straßenkreuzungen
usw. Dies wird zugleich veranschaulicht durch die Häufig
keit des Häuserneubaues, der in der Altstadt natürlich am
bedeutendsten ist, durch das Alter der Häuser in verschie
denen Straßen und Straßenteilen, die Zahl ihrer Stock
werke, vor allem aber selbstverständlich durch die Preise.
Von Interesse sind auch gerade hier die Formen des
Pnvatbauwesens. Bei der Gründung wurden überall kleine
einstöckige Mansardhäuser in holländischer Art gebaut,
nur am Schloßplatze zweistöckige, sämtlich von Holz;
noch ein einziges besteht bis heute von ihnen! Dann nahm
Carl Friedrich sich vor, seine Residenz von Stein neu zu
schaffen, einfache aber schmucke Bauten in Putzstil, Ba
rock und etwas Louis XVI. Jeder mußte nach dem so
genannten Modell bauen; so blieb es auch bis ins 19, Jahr
hundert hinein, nur daß sich das Modell jetzt meist auf
die Masse beschränkte; für den Markt wurden besondere
Modelle entworfen. Durch sogenannte Baugnaden, durch
unverzinsliche Darlehen und durch weitherzige Unter
stützungen seitens der Beamten und des Fürsten selbst
wurde das Bauen neuer wie das Ersetzen alter Häuser
gefördert. Für Pflasterung und Beleuchtung, Tore und
Umgrenzungen der Stadt wurde Sorge getragen. Das mehr
als reichlich erhaltene Material hierfür wird weiter er
gänzt durch Entwürfe für Denkmäler und Brunnen, wie
für die bedeutendsten Baulichkeiten.
Es ist nicht möglich alles zu erwähnen, das an der
modernen Entwicklung verfolgt werden kann, der Einfluß
des Rheinhafens, der Straßenbahnlinien. Zu berücksichti
gen ist vor allem die ästhetische Bewertung des ursprüng
lichen Stadtplanes und seiner Erweiterungen, Straßenbilder
und Plätze. Es ist viel verdorben, aber doch auch manches
glücklich gelöst worden und kann — das ist das wichtigste
— noch viel nachgeholt werden; es ist noch Zeit, aber es
kann bald zu spät sein! Der im „Städtebau“ vorigen Jahr-
veröffentlichte Wettbewerb hat gezeigt, daß Wollen und
Können dazu vorhanden ist, hoffen wir, daß Karlsruhe in
Zukunft als Beispiel modernen Schaffens einen Ehrenplatz
in den Annalen unserer Wissenschaft einnehmen kann und
daß in der Weise, wie es hier nur flüchtig skizziert werden
konnte, an recht vielen Orten unser Blick für die Ent
wicklungsbedingungen der Vergangenheit und die Auf
gaben und Verhältnisse der Gegenwart geschult werde;
die Praxis wird dafür dankbar sein können und der
Wissenschaft werden eine Fülle von Anregungen und
neuen Pfaden erschlossen werden!
KLEINE MITTEILUNGEN.
B auordnung für grossstadterweiterun-
GEN UND WEITRÄUMIGKEIT. Mit besonderer Berück
sichtigung Berlins von Th. Oehmke, Reg.- und Baurat a. D. Gr. Lichter-
felde-Berlin. Mit 15 Abbildungen, davon zwei Tafeln. Sonderabdruck
aus dem „Technischen Gemeindeblatt“ 1906, Nr. 4, 5 und 6. Berlin,
Carl Heymanns Verlag, 1906. 0,80 M.
I Aer in Nr. 5 des vergangenen Jahrgangs unserer Zeitschrift mitgeteilte,
von der Königl. Staatsregierung beim preußischen Landtage einge-
brachte Gesetzentwurf, die VERUNSTALTUNG DER STRASSEN
UND PLÄTZE betreffend, war schon vom Herrenhause, und zwar mit
einigen nicht unerheblichen Änderungen, die sich sogar auf die Überschrift
erstreckten, angenommen, im Hause der Abgeordneten aber nicht mehr
zur Beratung gekommen. Infolgedessen hat folgende Kundgebung auf dem
Vll. Tage für Denkmalpflege in Braunschweig Annahme gefunden:
,,Der Tag für Denkmalpflege begrüßt die Einbringung eines Gesetz
entwurfs seitens der Königl. preußischen Staatsregierung betreffend den
Schutz gegen die Verunstaltung der Straßen und Plätze in geschlossenen
Ortschaften und die einmütige Annahme der Vorlage der Herrenhauskom-
mission in der Sitzung des preußischen Herrenhauses am 28. Mai d, J,
auf das freudigste und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß bei dem nächsten
preußischen Landtage von neuem eine Gesetzvorlage über diesen Gegen
stand eingebracht und seitens der beiden Häuser des Landtages in gleich
einmütiger Weise angenommen werde.
Er betrachtet das höchst dankenswerte Vorgehen der Königl. preußi
schen Staatsregierung als den ersten Schritt auf dem Wege zu einer all
gemeinen gesetzlichen Regelung der Denkmalpflege in Preußen.“
Bei der Wichtigkeit der Sache setzen wir die Regierungsvorlage noch
einmal hierher und zum Vergleiche daneben die Beschlüsse des Herren
hauses.