DER STÄDTEBAU
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DIE BODENREFORM UND DIE STÄDTE.
Von Zivil-Ingenieur OTTO GEISSLER, Groß-Lichterfelde.
Nach der Wirtschaftslehre der Bodenreformer sind zu
jeder produktiven Tätigkeit drei Faktoren nötig: Boden,
Arbeit und Kapital. Boden umfaßt die ganze sichtbare
Schöpfung mit Ausnahme des Menschen: alle natürlichen
Stoffe, Kräfte und Vorteile. Wie es der Wortführer der
Bodenreformer, Damaschke, ausdrückt: „Es ist das Feld,
auf dem sich der Mensch betätigen, das Vorratshaus, aus
dem er seine Bedürfnisse befriedigen, das Rohmaterial, mit
und an dem er Arbeit verrichten kann“. Arbeit ist jede
menschliche Anstrengung, die Werte erzeugen soll, und
Kapital schließt alles ein, was weder Boden noch Arbeit
ist, aber durch die Vereinigung beider hervorgebracht
wurde, und als Vorrat oder als Werkzeug wieder der Pro
duktion dient. „Boden und Arbeit sind die Voraussetzungen
jeder menschlichen Tätigkeit — und in der modernen Volks
wirtschaft tritt in der Regel das Produktionswerkzeug, das
Kapital, als dritter Faktor hinzu“.
Boden, Arbeit und Kapital teilen sich in den Ertrag
jeder menschlichen Tätigkeit. Für die Benutzung des
Bodens oder anderer Naturvorteile wird eine Grundrente
gewährt, die Arbeit bekommt den Lohn und das Kapital
Zins. Die Begriffe sind scharf zu scheiden. Zur Grund
rente gehört z. B. keineswegs eine Vergütung für Ver
besserungen des Landes, für aufgeführte Bauten u. dergl. —
sie ist nur die Bezahlung für Benutzung der Rohmaterialien,
des Bodens oder seiner Erzeugnisse. Lohn ist jede Ver
gütung für geistige oder körperliche Bemühung, und Zins
die Entschädigung für Benutzung des Kapitals, der Wohn-
und Werkstätten, Vorräte, Werkzeuge, Maschinen usw.
Die Bodenreformer meinen nun, daß die eingetretene
Entwicklung diese drei Werte in gefahrbringender Weise
verschoben hat, und lehren das an folgendem Beispiel:
Wo heute Berlins Häuser sind, standen vor 1000 Jahren
zwei arme wendische Dörfer. Die Arbeit ihrer Bewohner
war, zu fischen oder die mageren Äcker zu bestellen.
Kapital waren Boot, Holz, Pflug, Haus und Vorräte, die
Grundrente wurde als eine Abgabe an den Schutzherrn
geleistet. Die Arbeit nährte; der Wende konnte in ruhigen
Zeiten ohne allzu bittere Sorgen leben. Das Kapital trug
ausreichend Zins, denn jede Verbesserung an Netz und
Pflug, an Boot und Haus, erleichterte die Arbeit und machte
die Erträge reichlicher. Die Grundrente wurde in Natu
ralien entrichtet und stand wohl im Verhältnis zu den Er
trägen von Lohn und Zins, denn niemand konnte mehr
geben, als er hatte (was oft wohl wenig genug war). —
Jetzt sind 1000 Jahre voll Mühe und Arbeit dahin ge
gangen — der Menschheit Streben hatte Erfolge, die kein
noch so kühner Traum erhofft hatte: Erfindungen und Ent
deckungen, Maschinen und Verkehrsmittel bringen der
Arbeit die unerhörtesten Erleichterungen . . . und das Er
gebnis von alledem? — Die Arbeit ringt noch heut in
hartem Kampfe gegen Sorgen und Entbehrungen, und auch
das Kapital muß sich, von seltenen Ausnahmen abgesehen,
immer noch mit verhältnismäßig geringem Ertrage be
gnügen. Aber die Quadratmeile armseligen Sandbodens,
auf dem Berlin steht, gilt heute vier Milliarden Mark —
und an jedem Arbeitstage müssen Berlins Bewohner
500000 M. allein für die Bodenbesitzer verdienen. „Das
ist nun Bodenreformlehre: Diese Grundrente soll das
soziale Eigentum und durch irgend welche Reformarbeit
der Gesamtheit zurück errungen werden“. Denn nur die
Gesamtheit hat das Steigen der Bodenpreise verursacht, -
verlassen heut Berlins Bewohner ihre Scholle, ist der Boden
wieder wertlos wie jetzt der von Troja, Babylon oder
Kathago.
Es ist viel ehrliche Arbeit aufgewendet worden, um
herauszuflnden, wie solche Bodenreform möglich gemacht
werden kann. Auch die rücksichtslosesten Vertreter der
neuen Lehre geben zu, daß eine etwaige Umwandlung mit
äußerster Vorsicht erfolgen müßte, wenn Wirtschaftskata-
strophen ungeheuerlichenUmfangs vermieden werden sollen.
Sie legen sich die Sache so zurecht: Die Bodenwerte in
den Städten begannen zu steigen, als einzelne Besitzer er
kannten, daß ihre Grundstücke für Stadterweiterungen not
wendig gebraucht wurden, und sie darum festhielten, bis
ihnen der gewünschte Preis gezahlt wurde. Schließlich
waren dann Grund und Boden so teuer, daß Häuser mit
wohlfeilen oder preiswerten Wohnungen nicht mehr gebaut
werden konnten. „Die schrankenlos der Privatspekulation
überlassene Grundrente ist die Ursache des Bodenwuchers“
— also die Bodenspekulation muß eingedämmt werden.
Das soll durch eine hohe Besteuerung der unbebaut liegen
den Flächen geschehen, durch die der Besitzer gezwungen
wird, seine Grundstücke bald zu verwerten. Bis vor
kurzem wurden in deutschen Städten für unbebaute Grund
stücke Gemeindesteuern nach dem Nutzungswerte gefordert,
der bei brach liegenden Geländen natürlich gering Ist.
Die Bodenreformer wollen die Steuer nach dem gemeinen
Werte, dem Verkaufs werte der Grundstücke erhoben sehen.
In Breslau war der Steuerertrag von unbebauten Grund
stücken im Jahre 1898 nach dem Nutzungswerte nur 10800M.;
dann führte die Stadt die Steuer nach dem gemeinen Wert
ein, die sofort 316000 M. brachte. - Außerdem soll eine
Wertzuwachssteuer erhoben werden. In Charlotten
burg betrug 1886 der Bodenwert 45 Millionen Mark, 1897
war er auf 300 Millionen gestiegen. „Diese Riesenwerte
werden von der Allgemeinheit erzeugt, ohne das Hinzutun
des Einzelnen, dem diese Reichtümer mühelos in den Schoß
fallen. Ist es da unbillig, das Zunehmen der Werte mit
einer Steuer zu belegen, um diese Zunahme wenigstens
zum Teil den notwendigen Erfordernissen der Allgemein
heit zu retten?“ — Und dann wird noch ein drittes vor
geschlagen: jede Gemeinde soll soviel Land wie möglich
in eigenen Besitz bringen, überall, wo sie Land zum Ver
bessern und Vermehren der Wohnungen braucht, es zu
angemessenen Preisen enteignen dürfen. Das Gemeinde
land soll dann an einzelne Nutznießer gegen eine jährliche
Rente auf eine Reihe von Jahrzehnten mit Erbbaurecht
verpachtet werden zu Bedingungen, die wucherischer Aus
nutzung des Bodens wehren. Mit wohlfeilen Pachtpreisen
soll die Gemeinde auf die übrigen Grundstückspreise drücken,
sie dadurch niedrig halten, und so nach und nach billige
Wohngelegenheiten schaffen.
Die moderne Bodenreform beschränkt sich freilich nicht
auf die Städte. Ein wesentlicher Teil handelt von der
Reform der Verschuldung des Früchte tragenden Landes.