DER STÄDTEBAU
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Kaiserstraße sind die guten Werke so in der Minderzahl, daß sie durch
die sie umgebenden minderwertigen Arbeiten erdrückt werden.
Das rasche Wachstum der Stadt bedingt eine Entwicklung des Ge
schäftsbetriebes, der mit Rücksicht auf die Wertsteigerung des Geländes
den letzten Quadratzentimeter auszunutzen sucht, und der wachsende Wett
bewerb zwingt den Kaufmann, seine Ware mehr als bisher in den Vorder
grund zu schieben. Kurz, es entstehen neue Bedürfnisse, die sich nur
schwer in das alte bauliche Gewand kleiden lassen. Die Industrie will
diesen Bedürfnissen entgegen kommen, bringt aber, solange ihre Ware
nicht von Künstlerhand vorgezeichnet war, Surrogate auf den Markt, die
den Schaden noch vergrößern. Der Hauptumschwung der Verhältnisse
wird durch die Einführung der raumerspareitden Eisenstützen bewirkt.
Damit wurde die Aufgabe des Geschäftshausbaues eine so schwierige, daß
sich wahrlich nur die Besten hätten daran versuchen sollen. Aber der
Hauptauftraggeber, der Spekulant, sucht an Architektenhonorar zu sparen.
Es ist eine logische Folge, daß die von ihm Beauftragten nicht nur mit
ihrer eignen Arbeit, sondern auch durch ihre Geschmacksbeeinflussung auf
die großen Massen und damit wieder auf ernststrebende Architekten, die durch
die Massen zur Nachgiebigkeit gezwungen werden, schädigend wirken.
Das Warenhaus oder das allein zu Geschäftszwecken dienende Haus
ergab natürlich in seinem Aufbau leichter eine befriedigende Lösung als
das vereinigte Wohn- Und Geschäftshaus. Die charakteristische Waren
hauslösung, mit der der Berliner Architekt Messel in seinem Wertheim
bau tonangebend wurde, hat hier im System nur das Haus Robinsohn als
Nachahmnng gezeitigt. Das Warenhaus vollständig in Eisenkonstruktion
herzustellen, ist eine dankbare Aufgabe, die weiter fortschrittlich entwickelt
werden kann. Weit schwieriger ist die Lösung des vereinigten Wohn-
und Geschäftshauses. Die richtige Lösung scheint mir da zu sein, wo
der die Pfeiler abdeckende horizontale Sturz sich ungeteilt so stark zeigt,
daß die Tragfähigkeit dieser horizontalen Massen dem Auge sicher er
scheint. Aber auch beim vereinigten Wohn- und Geschäftshaus ist man
hier, wie in anderen Großstädten häufig zu der einfachen Lösung des
Pfeilerbaues zurückgekehrt, wie das z. B. auch bei dem Neubau des „Hohcn-
zollernhauses“ von v. Seidl geschehen ist. Ein Problem ist mit einer
solchen Ausführung nicht gelöst und es bleibt Aufgabe der Zukunft, eine
Lösung für einen Bau aus Eisen und Stein zu Anden. Die immer größer
werdende Ausdehnung der Geschäftsräumlichkeiten in der neuen Kaiserstraße
hatte zur Folge, daß in den alten Straßen die Räumlichkeiten auch nicht mehr
ausreichend gefunden wurden, und viele ehrwürdige Bauten mußten fallen,
z. B. der schöne alte Englische Hof, an dessen Stelle mit Ausnahme des
Hauses „Schwarzschild Ochs“ Häuser entstanden sind, die den historischen
Roßmarkt in seinem Aussehen bedenklich beeinflussen. Ertragreich mögen
diese Häuser schon sein, daß dagegen das schlechte Aussehen eines Hauses
im Verhältnisse zur steigenden Ertragsfähigkeit steht, ist wohl Einbildung.
Es ist unerklärlich, daß unsere Geschäftsleute, die an woblgewählter Ware
so viel guten Geschmack beweisen, im allgemeinen so wenig Geschmack
f Ür den Rahmen der ihre Waren umgebenden Häuser haben. Hier müssen
sich Faktoren geltend machen, die den ernst strebenden Architekten bis
jetzt Geheimnis geblieben sind.
Für die architektonische Behandlung der öffentlichen Gebäude ist der
hier herrschende Geschmack, der sich um das Jahr 1880 herum für Bau
ten gebildet, aber nicht den Verhältnissen entsprechend weiter entwickelt
hat, maßgebend. Es würde zu weit führen, hier alle diese Gebäude, wie
das Rathaus, den Römerumbau und die jüngst errichteten Akademiegebäude
usw. usw. zu behandeln. Einengroßen Teil dieser Gebäude machen die
fast durchweg von einer Bauuntemchmerfirma errichteten Bankgebäude aus,
die ihren Straßenfassaden nach Monumentalbauten von großer Schönheit
voratellen, die aber von dieser Monumentalität auf ihren Hinter- und Seiten
fassaden oft verlassen werden. — Eine Entwicklung neuer Ideen ist bei
diesen Bauten, ebenso wie bei den vorhin genannten öffentlichen Gebäuden
grundsätzlich vermieden und darin ist wohl der Grund zu suchen, daß
Frankfurt selbst inbezug auf seine großen Arbeiten anderen Städten gegen
über, wie Karlsruhe, Parmstadt usw. in architektonischer Beziehung ins
Hintertreffen geraten ist. Dabei darf allerdings nicht verkannt werden, daß,
wenn Frankfurt in baulicher Entwicklung den hergebrachten Weg verließ,
wie beim Bau des Theaters, es eine arge Niederlage erlitt. — Aber diese
Niederlage ist nicht durch den neuen Gedanken, sondern durch die Art,
wie derselbe gebracht wurde, bedingt.
Was uns von Monumentalbauten von Berlin aus gebracht wurde,
konnte, abgesehen vom Zirkusbau, nur wenig befriedigen. — Das die Zeil
bedrückende Postgebäude hätte nach dem schönen Vorbilde des Thurn-
und Taxis’schen Palaste mit einem Hofe an der Zeil ausgebildet werden
müssen. Eine gleiche Anlage wäre auch unbedingt für das Gebäude des
Eisenbahnfiskus am Hohenzollernplatze nötig gewesen. Unter der zur Aus
führung kommenden Anlage wird die Mathäuskirche bedenklich zu leiden
haben.*) Es ist schade, daß bei der großzügig beabsichtigten Anlage des
Hohenzollernringes die Bauherren der einzelnen Gebäude nicht besser zu
einer Gesamtheit vereinigt werden konnten.
An Kultuabauten sind auf dem Wege des Wettbewerbes in den letz
ten Jahren eine ganze Reihe hervorragender Bauten, wie die Peterskirche,
Lutherkirche, Mathäuskirche und die wenig glücklich gelagerten katholi
schen Antonius- und Bernhardkirchen entstanden. Als ein hervorragender
Kultusbau der jüngsten Zeit ist die von den Berliner Architekten Jürgens
& Bachmann erbaute Synagoge an der Obermainanlage zu bezeichnen.
Eine besonders erfreuliche Wendung hat die städtische Bautätigkeit
genommen. Hier ist unter der Leitung von Stadtbaurat Schaumann, der
an der Spitze einer Reihe tüchtiger Bauinspektoren steht, mit dem alten
Schema gebrochen worden und es sind in den letzten Jahren eine ganze
Reihe Schulgebäude von frischer Eigenart entstanden; von den trefflichen
Arbeiten seien an dieser Stelle nur die Comenius- und Günthersburgschule,
die Viktoriaschule, die Kaufunger und Kurfürstenscbule genannt. — Die
Stadt erweitert ihre Bautätigkeit immer mehr und damit ist eine Beschrän
kung der von den Privatarchitekten geübten Tätigkeit bedingt.
Das Miethaus, das in den achtziger Jahren noch von ersten Archi
tekten behandelt wurde, ist heute zum größten Teil der Spekulation an
heim gefallen. Selbst bei den guten Arbeiten beschränkte sich bis vor
kurzen die architektonische Ausbildung auf eine vorgekI?bte Vorderfassade,
während die sich scheinbar ins Unendliche ziehenden Seitenfassaden nach
lässig behandelt wurden. —■ Diese viel zu langen Seitenfassaden können
nur durch eine andere Parzellierung des Baugeländes vermieden werden.
Aber auch auf dem Gebiete des Miethausbaues sind gerade in der
letzten Zeit gute Arbeiten entstanden, die auf jede Dekoration, die nicht
mit der sachlichen Entwicklung des Hauses zusammensteht, verzichten und
so hoffentlich den Spekulationsbauten ein Beispiel vernunftmäßiger Bau
weise sein werden.
Im Einfamilienhaus kommt der Geschmack des Auftraggebers am
schärfsten zum Ausdruck. Die Bedingungen sind die verschiedenartigsten
und damit sollte auch das Aussehen dieser Einfamilienhäuser das ver
schiedenartigste sein. Das ist aber hier gerade bei den größeren Bauten
nicht der Falk Man bat am althergebrachten festgehalten, ohne die vor
handenen guten Beispiele weiterzubilden, sondern ihre Nachahmung brachte
Rückschrittliches. Es ist kaum zu verstehen, wie man immer wieder mit
denselben paar Motiven seine Riesenaufträge erledigt, ohne sich die Mühe
und Zeit zu nehmen, für jeden Auftraggeber nach dessen Eigenart ent
sprechend neu zu bilden. Weit besser sieht es mit den kleineren Bauten
aus, die häufig viel Frische und Individualität zeigen. Damit ist es be
wiesen, daß nicht die Höhe der Bausumme den künstlerischen Wert eines
Hauses ausroacht.
Leider war die Zeit für die Vorbereitungen zur Ausstellung nur sehr
knapp bemessen. Aber immerhin hat sie ein Büd geben können von
dem, was auf dem Gebiete der Baukunst von Frankfurter Architekten und
Ingenieuren geleistet wird. Es war sicherlich höchste Zeit, daß man auch
hier gegenüber den vielen erduldeten Übergriffen sich auf sich selbst be
sann und sich zu einem gemeinsamen Hervortreten entschloß. Die Aus
stellung sollte klarlegen, daß in Frankfurt genügend tüchtige Kräfte vor
handen, die auch zu größeren Aufgaben berufen sind, als man ihnen bis
heute anvertraut hat. Das gute Wollen und das wahre Können und ernstes
Streben auf der einen Seite nutzt nichts, wenn nicht auch der Auftrag
geber Interesse an einer künstlerischen Weiterentwicklung unserer Stadt
nimmt. Wenn Frankfurt heute noch keine für die Stadt charakteristische
Architektur bat, so liegt das eben so sehr an den Auftraggebern, als an
den Architekten. Aber eine für unsere Stadt eigenartige Baukunst wird
*) Vergl. hierzu die Bemerkung zur Veröffentlichung des den Hoben-
zollemplatz betreffenden Gertenplanes Heft 6 vorigen Jahrganges unserer
Zeitschrift.