DER STÄDTEBAU
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maßvollen Grenzen; beide wollen die seitlichen Säulen
hallen neben dem Tore erhalten, letzterer auch noch die
Wachtgebäude an ihrem gegenwärtigen Standorte, während
erstere die Wachtgebäude an die Seitenwandungen des
Pariser Platzes verschieben, an deren Stelle A. F. M. Lange
den Wachtgebäuden ähnliche Bauwerke neu hinzufügt.
Gegenüber weit radikaleren Freilegungsgelüsten, wie sie
in anderen Entwürfen und namentlich auch in der Tages
presse sich gezeigt haben — vergl. z. B. den Lokalanzeiger
vom 5. Mai d. J. — spricht hieraus die richtige Empfindung,
daß ein Abschluß des Pariser Platzes wenigstens an
gedeutet werden müsse, wie dies in bescheidenem
Maße die Torhäuser zwischen Leipziger und Potsdamer
Platz tun.
Das Brandenburger Tor ist heute wirklich noch ein
Tor, das zwei Plätze von einander scheidet, den Vorplatz
zur Feststraße der Reichshauptstadt und den Vorplatz zum
Tiergarten, einen Stadtplatz und einen Gartenplatz. Wenn
er noch nicht stände, müßte er eigens zu diesem Zwecke
errichtet werden, so verschieden ist die Art, so ausgeprägt
die Eigenart beider Platzanlagen. Wird es nun frei gestellt,
so hört es auf, ein wirkliches Tor zu sein; es verbliebe
ihm nur die Eigenschaft des Sieges- und Triumphtores.
Es fragt sich, ob diese Scheidung genügen würde, um
die beiden, nun unmittelbar miteinander verbundenen
Plätze auch nebeneinander erträglich zu finden.
Weitergreifende Umgestaltungen und zwar beider Plätze
müßten sicherlich folgen,
denn die Öffnung der Platz
wand würde dem Pariser
Platze einen anderen Maß
stab geben und der dann
notwendige Abschluß des
Platzes vor dem Tore
könnte kaum ein anderer
als ein architektonischer
sein. Unter diesen Umstän
den wäre die Schaffung
einer einheitlichen Doppel
platzanlage wohl denkbar, die jedoch einer fast völligen
Neuschöpfung gleichkommen würde.
Dritte Hauptgruppe; Hans Bernoulli hat die letzte
Folgerung gezogen, indem er den Gartenplatz weiter in
den Tiergarten hineinschiebt und an seiner Stelle den
Pariser Platz forumartig erweitert unter Versetzung des
Brandenburger Tores. Gewiß ein großartiger Plan, der
natürlich auch die Aufhebung der jetzt die Bebauungshöhe
am Pariser Platz beschränkenden Bebauungshöhe bedin
gen würde. Gegen den Plan ist vom Verkehrsstandpunkte
das Bedenken eingewendet worden, daß die Einmün
dungen der Königgrätzer und der Sommerstraße nun
mehr auch mit Toren überbaut werden sollen. Dies jedoch,
wie der Umstand, daß die Denkmäler vor dem Tore ver
setzt werden müßten und daß am Pariser Platze — nach
eben geschehener Vollendung des anstelle des Redernschen
Palastes entstandenen Hotelneubaus, nach kaum beendigter
Einrichtung des früher Arnimschen Palastes zum Sitze der
Akademie der Künste, nach erst vor wenigen Jahren er
folgter Erbauung eines vornehmen Privathauses usw. —
so bald wohl keine wesentlichen Änderungen eintreten
werden, alles dies wiegt nicht so schwer, als der vor
geschlagene Abbruch des Brandenburger Tores und seines
Wiederaufbaus an anderer Stelle, des letzten noch auf
rechtstehenden Tores der früheren Stadtmauer und eines
in seiner schlichten, herben Größe ausdrucksvollen Denk
males des alten Preußengeistes zugleich.
Aus der Menge der übri
gen Entwürfe seien schließ
lich neben den mit den
Kennzeichen: Homer, S. P.
Q. R, 1788, das Tor, 1907
und Silhouette versehenen,
noch die vonAlfredSasse in
Hannover (So oderSo!), von
Reinhold Schmidt in Köln
a.Rh. (Schinkel) und von C.
F. Richard Müller in Dres
den (Freie Bahn) genannt.
STÄDTEBAU IM MITTELALTER.
Von M. BREITSPRECHER, Pr.-Holland.
Ein eigenartiges und folgerichtig durchgeführtes Bei
spiel einer Stadtanlage aus dem Mittelalter ist die alte
Stadt Pr.-Holland, Es läßt sich nicht mit Sicherheit be
stimmen, ob die gegenwärtige Stadtanlage innerhalb der
alten Stadtmauer noch aus der Zeit der Gründung der Stadt
durch den deutschen Ritterorden — 1297 — oder aus der
Neuanlage nach einem großen Brande im Jahre 1543 her
stammt, welcher fast die ganze Stadt vernichtet hatte.
Jedenfalls haben nach der letztgenannten Zeit erhebliche
Veränderungen des Stadtplans nicht mehr stattgefunden, man
kann den Plan mindestens als spätmittelalterlich ansprechen.
Die Stadt scheidet sich darnach scharf (siehe Textbild S. 116)
in Wohn-, Verkehrsstraßen und Stall- bezw. Abfuhrstraßen.
Die in dem Stadtplane mit Namen bezeichneten Straßen
sind die Haupt-Wohn- usw. Straßen, sie sind breiter als die
Hinterstraßen, auch im Gefälle besser geregelt. Die Hinter
straßen sind nur eben so breit, daß ein Wagen gut durch
fahren kann, sie sind auch fast durchweg gerade und kurz,
so daß leicht zu übersehen ist, ob ein Wagen einfahren kann.
Auch heute noch dienen die Haupt- und Nebenstraßen
fast ausnahmslos ihren entgegengesetzten Bestimmungen.
Nur längs der Stadtmauer haben sich, namentlich im
Süden ärmliche, nur ein Zimmer tiefe, Häuschen stadt
seitig an die Mauer geklebt, und in den inneren Blocks
ist an einer Ecke aus einem Stall ein Hinterwohnhaus ge
worden. Sonst besteht noch streng die alte Sonderung inner
halb der alten Stadt. Man hat es daher noch nicht für
nötig gehalten und eigentlich auch nicht nötig gehabt, die