DER STÄDTEBAU
100
Ul
Ein derartiges Verfahren ist unwirtschaftlich und un-
künstlerisch zugleich; schon bei Abfassung des Baupro
grammes muß der Architekt mitwirken. Für diese Not
wendigkeit zeugt auch das Programm des Kasseler Wett
bewerbes, das nur eine architektonische Ausschmückung
kennt, ganz wie das Preisgericht später nur von künstle
rischen Zutaten sprach, als ob die Gestaltung des Bau
werkes selbst im wesentlichen nur Ingenieurarbeit sei.
Sogar ein Friedrich von Thiersch hat gegen solche An
schauungen nicht aufkommen können und ist, einer ge
schlossenen Reihe von Ingenieuren gegenüberstehend, mit
seinem Anträge, den I. Preis dem Entwürfe „Kasseler
Wappen“ für die Hafenbrücke zuzuerkennen, glatt ab
gefallen. Darin muß Wandel geschaffen werden, wenn das
neue, gegen die Verunstaltung der Landschaft und des
Stadtbildes in Preußen gerichtete Gesetz wirksamen Erfolg
haben soll.
Das Programm ging von ziemlich engbegrenzten Vor
aussetzungen aus und war in seiner Fassung auch nicht
durchweg so klar, daß es einer ergänzenden Feststellung,
die allerdings zugleich zu einer weitherzigeren Auslegung
wurde, durch das Preisgericht hätte entraten können. Zum
ersten Punkt ist kurz zu bemerken: ein Teil der Altstadt
sowie die Neustadt jenseits der Fulda liegen gegenwärtig
im Hochwassergebiete des Flusses, dessen Bett mit der
Folge zu regeln beabsichtigt wird, daß beiderseits hoch
wasserfreie Uferstraßen mit vorgelagerten, unter der
Brücke hindurchzuführenden Ladestraßen und auf dem
rechten Ufer Anrampungen der Brückenzufahrten mit einer
Höchststeigerung von i : 30 anzunehmen waren. Der Be
bauungsplan war ebenso wie der Flußregelungsplan als
feststehend gegeben. Für die Fuldabrücke konnte in der
Tat auch keine andere Lage in Frage kommen — anders
jedoch für die Hafenbrücke, bei der es sich wohl gelohnt
haben würde, den Bewerbern in der Führung und Höhen
lage der Brückenstraßen etwas mehr Bewegungsfreiheit
zu gewähren. — Schwieriger möchte sich dies in bezug
auf die Gestaltung des Flußbettes haben machen lassen;
wenn man aber bedenkt, wie stark damit die Form der
Brücken und insbesondere die geforderte Einpassung der
Fuldabrücke in das Stadt- und Landschaftsbild hätte be
einflußt werden können, so ist es doch kaum gerechtfertigt,
gerade der Forderung des Wasserbautechnikers ein Blüm-
lein „Rührmichnichtan“ vorzustecken, als ob sie einzig
unfehlbar wäre.
Den zweiten Punkt betreffend, hat der Verfasser des
Programms offenbar nur an eiserne Brücken gedacht, die
in einer Öffnung das ganze Flußbett zwischen den hoch
gelegenen Uferstraßen, also mit den tieferliegenden Lade
straßen überspannen sollten. Erst der Umstand, daß einer
der eingelaufenen Entwürfe eine dreibogige Betonbrücke
vorschlug und verschiedene andere Entwürfe überhaupt
eine Überbrückung mit dreiöffnungen derart, daß die beiden
Pfeiler auf das Vorland zu stehen kämen, die Vorschrift
der einen Öffnung also nur auf den gewöhnlichen Fluß
lauf bezogen war, gab dem Preisgericht Anlaß, auch solche
Lösungen zuzulassen, doch mit der einschränkenden Be
merkung, daß aus überwiegend wasserbautechnischen
Gründen eine Brücke mit drei Öffnungen nicht zur Aus
führung empfohlen werden könne. In der Tat ist auch
kein derartiger Entwurf mit einem Preise ausgezeichnet
worden, obwohl sich außerordentlich schöne Lösungen
darunter befanden, was zum Teil durch den Ankauf an
erkannt wurde.
Die preisgekrönten und angekauften Entwürfe seien
hier nun, abgesehen von einigen Zwischenbemerkungen mit
der Beurteilung vorgeführt, die ihnen das Preisgericht hat
zu Teil werden lassen.
I. Hafenbrücke.
Kennwort: Kaiserstadt. I. Preis von 4000 M. Ver
fasser; Louis Eilers, Fabrik für Eisenhochbau und
Brückenbau in Hannover - Herrenhausen und Architekt
Johann Roth in Kassel. Siehe Tafel 57a und 59a.
Bei bedingungsgemäßen und ausreichenden Annahmen
für die Konstruktion weist dieses Bogenfachwerk das
größte Gewicht und der ganze Entwurf die niedrigsten
Ausführungskosten auf. Dabei sind die Verhältnisse des
Hauptträgers sehr glücklich gewählt und die Grundmauern
in sachgemäßer Weise auf Pfählen bis in ausreichende
Tiefe geführt. Der obere Windverband ist auf der ganzen
Brückenlänge durchgeführt, aber in einer Weise aus
gebildet, daß er den guten Eindruck der Brücke nicht
stört. Die architektonische Ausbildung, namentlich der
Brückenabschluß mit den durch nichts motivierten, das
Brückenportal weit überragenden schweren Aufbauten
von sonderbarer Form, ist nicht als glücklich zu be
zeichnen und in praktischer Hinsicht bleibt zu bemängeln,
daß die Pfeiler neben dem Portale stehen und den Ver
kehr stark beeinträchtigen. Doch auch bei diesem Ent
würfe ist auf eine befriedigende Wirkung ohne künstle
rische Zutaten zu rechnen.
Kennwort: Kasseler Wappen. Nebenentwurf zu einem
mit gebogenem Blechträger konstruierten Hauptentwurfe.
Ein II, Preis von 2000 M. Verfasser; Brückenbauanstalt
Gustavsburg, Ph. Holzmann & Co., Frankfurt a. M. und
Architekt M. Elsässer, Stuttgart. Siehe Tafel 58a; dazu
eine dem- Hauptentwurfe entnommene Teilzeichnung auf
Tafel 59 b.
Der Entwurf sieht einen Bogenfachwerkträger vor,
dessen obere Gurtung an den Auflagern in Fahrbahnhöhe
beginnt. Abgesehen von der Schwierigkeit der Konstruk
tion bietet diese Trägerform den Nachteil, daß der Wind
verband und die Querversteifung nicht auf die ganze Länge