DER STÄDTEBAU
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ROMS STRASSEN AN LAGEN SEIT DER
RENAISSANCE.
Von HANS VOLKMANN, Düsseldorf.
Wenn der deutsche Wanderer in Rom der heimischen
Städtebilder gedenkt, so kann er bei allen Wundern, die
die sieben Hügel tragen, in Bezug auf Bildwirkung etwas
vermissen. Der künstlerisch durchdachte Gruppenbau
unserer nordischen Weichbilder, die zweckgeborene und
zugleich prächtig malerische Unregelmäßigkeit eignet den
Straßenbildern Roms nur in geringem Maße. Den Plätzen
fehlen so reizvolle Umrißlinien, beherrschend aufragende
Baumassen; die wichtigsten Straßen seit der Renaissance
sind gerade und ohne weit sichtbaren Zielpunkt — es fehlt
der Reiz der leichten Krümmung mit ihren Überraschungen.
Rom ist eben die Geburtsstätte der geraden Straßen
führung, wie sie das 19. Jahrhundert allenthalben wahllos
ausführte. Der Sinn für große Durchführungen ist echtes
Erbe der alten Römer, deren großplanender Geist Straßen
zu Heeres- und Handelszwecken in hervorragend prak
tischer Weise anlegte.
Praktische Rücksichten — das ist wesentlich — leiteten
auch zum ersten Mal einen Papst, einen geraden Straßen
zug im modernen Sinne durchzubrechen. Die Verbindung
der Altstadt mit der Engelsbrücke und der Peterskirche,
die im Mittelalter durch Winkelgäßchen ging, wurde von
Julius II. durch eine breite gerade Straße, [die via Giulia,
neu gestaltet. Die Würde, die er bei dieser vornehmen
Straße zum Ausdruck bringen wollte, stellte natürlich auch
künstlerische Forderungen. Von den begleitendenFassaden-
bauten, die Bramante unternahm, ist allerdings nur wenig
erhalten. Die Straße ist jetzt Öde, da sich der Mittelpunkt
der Handelsstadt mehr nördlich verschoben hat. Der von
hier aus in unserer Zeit vorgenommene Durchbruch, der
Corso Vittorio Emanuele, ist ohne künstlerische Selbstän
digkeit der Anlage, bei der nur die ehrbietige Rücksicht
gegen alte Bauten maßgebend war.
Gerade Straßen deuten immer auf einen Fürsten
willen; — den Senat Roms kann man füglich auch als
Alleinherrscherbezeichnen — und die großartigste Entwicke
lung nahm der römische Straßenbau unter einem Willens
stärken Papste Sixtus V, Dieser ließ mit echt barocker
Rücksichtslosigkeit — in Rom bilden nicht nur die Ruinen
der Alten, sondern auch die Hügelbildungen besondere
Hindernisse — große neue Richtungen durchführen.
Der Korso war allerdings in seiner Geradheit seit dem
Altertum erhalten; seinen Abschluß, die piazza del popolo,
ließ er als weites Rund ausgestalten und erweiterte den
Gedanken der Anlage durch die zwei im spitzen Winkel
dazu laufenden Straßen Ripetta und Babuino. Hier kann
man die Entstehungsart römischer Straßen sich klar machen.
Sie sind auf dem Papier entstanden, einem Gesamtgedanken
eingeordnet; hier dem, daß dem nach Rom Einwandernden
diese auseinander strahlenden Tiefensichten großen Ein
druck machen sollen.
Zwei andere, noch längere Straßenzüge ließ Sixtus
durchbrechen: Vom Lateran zur Säulenhalle der Maria
Maggiore führt die via Merulana, 1300 m lang ohne irgend
ein bedeutendes Denkmal. Die Wirkung ist hier die, daß
der Pilger nicht abgelenkt wird auf dem Wege von einem
Heiligtume zum andern: südlich, mit seinen etwas artigen
Formen und langweiligen Eselsohren grüßt ihn der Haupt
eingang des Lateran, nördlich die herrlich schwungvolle,
tiefschattende Eingangshalle der Marienkirche. Und beide
gesteigert, weil sie auf Hügeln sich heben, und man durch
die Talsenkung von einer zur andern wallfahrtet.
Von Hügel zu Hügel geht auch die via Sistina, weiter
Quatro Fontane. Von der Nordseite der M. Maggiore senkt
sie sich zunächst, führt dann über den Viminalausläufer
wieder hinab und läuft aus auf den Pincio. Die ganze
Länge übersieht man jedesmal nur, wenn man einen Höhen
kamm erreicht, wie ein im Boote von der Woge Hochgeho-
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bener. Und jedesmal ist man seinem Ziele bedeutend näher.
Denn auch hier werden die Zielpunkte bezeichnet; durch den
auf stattlichen Freitreppen stehenden Chor der Maria Mag
giore und durch den Obelisken vor der Trinita dei Monti.
Diese beiden Denkmäler dienen als „point de vue“ zu
gleich noch andern Straßenzügen. Zu dem Chor führt
herauf von der Altstadt via Panisperna, auf den Obelisken