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DER STÄDTEBAU'
hunderts, auch diese in den Bereich ihrer Betätigung ziehen
und gegebenenfalls auch Formen verschiedener Epochen,
soweit sie dem Begriffe des ,,baugeschichtlichen Entwick
lungsganges“ entsprechen,an einemBauwerke geltenlassen.
Der Wiederherstellungsgedanke fand in den Kreisen der
Architekten mehr und mehr Aufnahme und gewann an
Ausdehnung; es ist daher nicht zu verwundern, daß man
dazu gelangte, seinen gläubigen Anhängern damit den
nötigen Halt zu sichern, daß man bestimmte dogmatische
Leitsätze aufstellte,, deren strenge Befolgung den sicheren
Erfolg gewährleistete und die Seligkeit und Freude an dem
einst gelungenen Werke vollendeter, lückenloser Nach
empfindung vorahnen ließ,
Auf den Denkmaltagen verkündigte man die falsche
Botschaft von der Wiederkunft der Herrlichkeit ver
gangener Kunst. Wenn wir heute, nach wenigen Jahren,
nachlesen, welches Programm der Metzer Dombaumeister
Tornow auf dem Dresdner Denkmalstag im Jahre 1900
unter großer Anerkennung aufgestellt hat, das in dem
Satze gipfelt, „Ein jedes, auch nur leisestes Hervortreten
der künstlerischen Eigenart des herstellenden Architekten
über den den Baustil und die Erscheinung des Denkmals um
fassenden Rahmen hinaus, ist bei solchen Neuschöpfungen
(An- und Aufbauten) auf das Peinlichste zu vermeiden“,
so muß das einen Menschen, der nur einige Beziehung zu
dem gewaltigen Schöpfungsgeheimnis und Schöpfungswerte
einer echten Kunst gefunden hat, anmuten, wie ein Dogma
aus dem finstersten Mittelalter oder ähnlich dem Rezept
eines Alchimisten. Und wenn man in einem leitenden
Fachblatte lesen konnte; — „Dank der fortgeschrittenen
Teilnahme deutscher Baukünstler für die kunstgeschicht
lichen Leistungen früherer Jahrhunderte im eigenen Vater
lande, dank der Vertiefung in die deutsche Kunstübung
von den Zeiten des Mittelalters an bis in die Zeiten des
Barock und Rokoko haben wir jetzt nicht mehr nötig,
uns hinter die Ruinenromantik zu verschanzen und zu
rufen: „Non possumus.“ Nein, wir rufen jetzt mit Stolz
und ohne Überhebung: Was du ererbt von deinen Vätern
hast, erwirb es, um es zu besitzen, d. h. wir stellen her,
was zertrümmert auf uns gekommen ist, wo immer es
sich lohnt und die Mittel zu beschaffen sind, wir stellen
es her treu und echt im Geiste der Zeit, aus der das Werk
stammt.“ — Hört man solche Worte, so weiß man nicht,
ob man mehr staunen soll über diese kindliche Naivität
oder über das an Fanatismus grenzende Selbstvertrauen.
Solche Aussprüche und alle die ausgegebenen Rezepte
dafür, wie man sich im Geist in die Lage des alten Meisters,
des Erbauers, zu versetzen habe, um „treu und echt“, eben
im Geiste der vergangenen Zeit bauen zu können, das
alles macht auf den unbefangenen Menschen den Eindruck,
als ob er es mit Hypnotisierten zu tun habe. Alles schaut
nach dem einen Punkt, um den sich die Bewegung der
Restaurierung mit Zentrifugalkraft dreht. Den Geist des
Alten heraufzubeschwören, sich von ihm ganz erfüllen zu
lassen, aus ihm sein ganzes Wissen zu ziehen, sein ganzes
Können in seinen Dienst zu stellen, sich selbst und alle
reine, persönliche künstlerische Regung zu verleugnen, um
ganz die Mysterien der Stilreinheit begreifen zu können,
das ersehnt man als das höchste Ziel. So hofft man, eine
täuschende Auferstehung zu erreichen!
Es wäre ergötzlich, diesem Treiben zuzuschauen, hätten
wir nicht in der Schändung unserer Kunstschätze die trau
rigen Folgen, den „Fluch der bösen Tat“ zu tragen.
Aus dem großen Archive der Aufnahmetätigkeit, die für
die historisch-archäologische Forschung und die Kunst
wissenschaft von hoher Bedeutung ist, saugen die Wurzeln
der Wiederherstellungsmanie ihre erste Kraft.
Im besonderen Falle dienen Sonderwerke, Photogra
phien, Abformungen; mitden peinlichgenauen Vermessungen,
in denen alle Zerstörungen, alles Fehlende, aber auch die
unscheinbarsten Reste verzeichnet sind, aus denen man
Schlüsse ziehen, an welche die in den Geist der Alten ver
setzte Phantasie sich anklammern könnte, bilden sie das
gewaltige Rüstzeug, mit dem der Restaurator seinen armen
Opfern gegenübertritt. Nun kann die Operation beginnen,
ob der Patient unter dem Messer bleibt, hat nichts mit
dem hohen Ziel dieser Wissenschaft zu tun; er wird ge
flickt „nach allen Regeln der Kunst“, tadellos neu herge
richtet ; nichts mehr erinnert an sein ehrwürdiges Alter, die
Restaurierung ist ein Jungbrunnen, aus dem das Denk
mal in jugendlicher Frische hervorgeht. Die Altersge
brechen sind abgestreift, nun könnte das neue Leben be
ginnen; aber sie haben den Geist totgeschlagen, die Seele
ist aus dem Organismus gewichen, es ist nur ein trüge
risches Scheinleben, das uns für ein neuerstandenes aus
gegeben wird. (Schluß folgt in Heft 7.)
ZUR ÄSTHETIK DES BEPFLANZTEN PLATZES.
Von Dr. A. E. BRINCKMANN, Posen.
Es ist das große Verdienst Camillo Sittes, die Gestal
tung des Platzes zuerst wieder als künstlerischen Vorwurf
in Betrachtung gezogen zu haben. Ein erster Versuch
wird nun stets dem Materiale gegenüber sich allgemein
verhalten, er wird die Erscheinungen auf ganz wenige
und um so ausgeprägtere Formeln zurückführen, und erst
im weiteren Verfolge des Grundgedankens finden sich er
weiternde Beobachtungen ein. So könnte der italienische
und deutsche Platz untersucht werden, indem die Unter
schiede zwischen dem italienischen blockartigen und glatt-
fenstrigen Hause und der nordischen unregelmäßigen und
malerischen Anlage sich auch im Platze wieder finden;
eine Entwicklungsgeschichte des Platzes (der Gotik, Re
naissance, der Schloßplatz des 18. Jahrhunderts) könnte
geschrieben werden. Hier sollen einige Worte über den be
pflanzten Platz, der heut so stark vorwiegt, gesagt werden.
Das Bestimmende eines alten Stadtplanes war die
Stadtbefestigung. Es kam darauf an, mit einem aus Ver
teidigungsrücksichten möglichst kleinen Mauerring*) eine
möglichst große Häuser- und somit Einwohnerzahl zu um
fassen. Freie Plätze waren überflüssig, denn bei der ge
*) Der Mauerring war aber auch oft recht weit gezogen und schloß
Gärten und Felder mit ein. D. H.