DER STÄDTEBAU
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gungs- und unterirdische Entwässerungsanlagen, durch
Straßenbahnen usw. verwickelte Aufgabe nicht gleich voll
kommen gelöst wurde, zumal die Gemeinden nicht mehr,
oder wenigstens nur noch zum Teil Herren über den
städtischen Baugrund geblieben sind.
Es wäre nun ungerecht,. wollte man das Innere
einer mittelalterlichen, so anheimelnden Stadt mit den vor
der früheren Umwehrung sich ausbreitenden, oft nüch
ternen neuen Stadtteilen unmittelbar vergleichen. — Ver
hältnisse und Maßstäbe sind eben andere; doch auch ab
gesehen davon, wird man bald finden, daß fast alle diese
Stadterweiterungen sich nach derselben Schablone voll
zogen haben, einer Schablone, die allerdings bereits in
den fürstlichen Städtegründungen des 17. und 18. Jahr
hunderts mit der Einführung des Miethauses vorbereitet
war. Die Straßenbreite schwankt mit wenigen Aus
nahmen nur zwischen engen Grenzen, die Straßenlänge
kann meist bis ins Unendliche fortgesetzt werden, die
Straßenwandungen sind durchweg parallel, die Straßen
ecken fast alle gleichmäßig verbrochen, die Straßen
kreuzungen einfache Überschneidungen, die nur da, wo
Schrägstraßen einen Knotenpunkt im Straßennetze bilden,
sich zu sogenannten Sternplätzen auswachsen usw. Zwei
Faktoren sind es namentlich, die zu einem vom mittel
alterlichen so gänzlich verschiedenen Plansysteme geführt
haben — der Verkehr und die Volksgesundheit. Die
Frage, die ich zunächst beantworten möchte, ist nun die,
müssen diese beiden Faktoren gerade zu der geschil
derten Lösung, oder können und sollten sie nicht zu einer
besseren führen, die uns nicht allein alle die nackten
praktischen Einrichtungen des modernen Lebens, sondern
auch das Gefühl ihrer Zweckmäßigkeit und ihre An
nehmlichkeiten mit Behagen genießen zu können, bietet!?
Schon diese Frage schließt die Antwort in sich, daß da
mit einem Schema nichts zu machen sei!.
Bevor man an die Erweiterung der Stadt, an die Er
schließung neuen Baugeländes herantritt, wird man sich
immer die Frage vorzulegen haben, für wen sollen Woh
nungen beschafft werden, für den Arbeiter oder den wohl
habenden Mann, für den Beamten oder den Gewerbe
treibenden; hier muß die Statistik die erforderlichen Unter
lagen bieten, den prozentualen Bevölkerungszuwachs in
den verschiedenen Gesellschaftsschichten ermitteln, denn
das Wohnbedürfnis, also auch die Größe der Wohnung
und damit die Anlage des Hauses, der Hofraum und die
Gartenfläche für ein Mietwohnhaus oder ein Eigen- oder
Einfamilienhaus sind verschieden je nach der Lebenslage.
Ebenso wichtig ist es, statistisch die Beschäftigungsarten
der Bevölkerung festzustellen, welche davon aut Haus
gewerbe, welche auf Fabrik- und Speicherbetriebe ent
fallen, denn letztere erfordern größere, am besten zu
sammenhängende Bauflächen in der Nähe der Eisenbahnen
und Schiffahrtswege, erstere immerhin größere Hofräume
und auch Hintergebäude für Stallungen, Werkstätten und
Lagerräume. Bevor die Straßen festgelegt werden, muß
man sich also über die Größe und Form des Bau
blocks klar sein. Weiter sind die voraussichtlichen Ver
kehrsansprüche zu ermitteln durch Zählung und Schätzung
der Fußgänger und Fuhrwerke in bestimmten Richtungen
zur Verbindung der Vororte, des Landes mit der Stadt
und der einzelnen Stadtteile unter sich, der Fabrikviertel
mit den Wohnvierteln, Endlich kommen die Rücksichten
auf die allgemeinen Gesundheitsverhältnisse, die Haupt
windrichtung, Besonnung, Bodenbeschaffenheit usw.; die
Abtrennung eines besonderen Fabrikviertels ist schon der
Rauch- und Rußplage wegen von großer Bedeutung.
Erst, wenn in solcher Gestalt ein Programm für die
Stadterweiterung geschaffen wird, bei dessen Aufstellung
der Techniker allerdings notwendigerweise schon mitzu
wirken hat, um jederzeit die theoretische Forderung mit
der praktischen Ausführbarkeit in Einklang zu bringen,
beginnt die eigentliche Arbeit des Städtebauers, der mit
Hilfe des Landmessers die Bodengestaltung und mit Hilfe
des Ingenieurs die Entwässerungsanlagen, Straßenbahnen
usw. festzustellen und nunmehr mit schöpferischer Kraft
seine Vorstellung von der neu zu schaffenden Stadt in
einem Plane, der der Verwirklichung zu Grunde gelegt
werden soll, darzustellen hat, und zwar zunächst in einem
allgemeinen Entwürfe, dessen einzelne Teile später nach
weiterer Durcharbeitung den zuständigen Behörden unter
breitet und dem gesetzlichen Feststellungsverfahren unter
worfen werden.
Auf Grund eines derartigen Programmes wird sich
eine schematische Bebauung vermeiden lassen. Nach dem
bisherigen, fast ausschließlich von Verkehrs- und Gesund
heitsrücksichten beherrschten Systeme drangen sowohl der
Ingenieur als auch der Arzt auf möglichst breite und
gerade Straßen, der eine in der Meinung, man könne die
Entwicklung des Verkehrs nicht voraussehen und müsse
sich deshalb darauf einrichten, daß nötigenfalls eine jede
Straße dem Verkehre zur Auswahl zu stellen sei; der
andere in dem Wunsche, allen Einwohnern ein annähernd
gleiches Maß von Licht und Luft zukommen zu lassen.
Beide hatten die Nachteile der alten Stadt kennen gelernt,
deren enge Gassen den gewachsenen Verkehrsanforde
rungen nicht mehr genügten und deren mit dem steigenden
Bodenwerte gesteigerte Bebauungshöhe sowohl, als auch
deren Umschließung durch einen Gürtel neuer Stadtteile
einen ausreichenden Luft- und Lichtzutrirt hinderten. Es
hätte nahe gelegen, da die mittelalterliche Stadt nun ein
mal den modernen Anforderungen nicht entsprechen konnte,
auszuwandern, eine neue Stadt daneben zu gründen und
in diese Verwaltung und Geschäftsviertel zu verlegen;
dann wäre die alte Stadt als Wohnplatz und gewisser
maßen als eine Sehenswürdigkeit erhalten geblieben. Auf
diesen Gedanken ist man aber im allgemeinen nicht ver
fallen, wenngleich es in einzelnen Fällen an Versuchen
dazu nicht gefehlt hat. Man mußte also gewaltsame Ein
griffe machen; doch die Straßen-Durchbrüche und Ver
breiterungen kosteten viel Geld. Da wollte man in den neuen
Stadtteilen von vornherein klüger verfahren. Die dabei
entstandene Schablone hatte aber eine zwiefache, nicht
vorausgesehene Folge. Die breiten Straßen brachten tiefe
Grundstücke mit sich, mit den bei engräumiger Bebauung
gesundheitlich wenig erfreulichen umschlossenen Höfen
— die Bevölkerung wurde zum größeren Teile in Hof
wohnungen, durchweg aber in Mietkasernen hinein ge
drängt, die vornehme sowie die geringere. Die Bevölke
rungsdichte wurde also eine ganz ungleichmäßige, am
stärksten da, wo die kleinen Leute wohnen. Die breite
und gerade Straße brachte auch Staub und Zug mit sich;
die vermeinten Vorzüge waren also mit erheblichen Nach
teilen belastet. Durchlüftung ist erforderlich, aber darum
ist es nicht nötig, scharfe Winde einzulassen. Die Be-