DER STÄDTEBAU
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ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE EUR DIE
AUFSTELLUNG STÄDTISCHER BEBAU
UNGSPLÄNE.*)
Von THEODOR GOECKE, Berlin.
Stadtgrtindungen und Stadterweiterungen sind in erster
Linie rechtliche und volkswirtschaftliche Vorgänge denen
Gesetzgebung und Verwaltung gerecht zu werden haben.
Besonders die vielseitigen wirtschaftlichen Fragen geben
den Gemeinden manch harte Nuß zu knacken. Damit
zum Teil verquickt folgen die gesellschaftlichen und volks
gesundheitlichen Rücksichten — endlich die technischen
und baupolizeilichen Maßnahmen. AU dies zusammen
macht den Städtebau aus. Es wäre aber ein Irrtum, an
zunehmen, darin bestehe auch die Städtebaukunst! Denn
in der Tat handelt es sich schließlich hierbei um eine
Kunst! Freilich hat der Städtebauer dem Bebauungspläne
gegenüber nicht, oder doch nur selten, etwa die Stellung
eines Architekten, der aus seinem Geiste ein einheitliches
Werk schafft; er kann beim Entwürfe nur Möglichkeiten
vorbereiten, bei der Ausführung nur anregend, leitend
wirken. Doch aber ist seine Tätigkeit, oder sollte es
wenigstens sein, eine künstlerische, er muß Bilder
schauen, sich den Schwung der Fluchtlinien, den Auf
bau der Häuserreihen, die Gruppierung der Straßenecken,
den Schluß der Platzwandungen vorstellen, mit starker
Einbildungskraft Form und Farbe der zukünftigen Be
bauung, Masse und Umriß der öffentlichen Gebäude,
Anlage und Aufstellung eines Brunnens oder Denk
mals voraussehen. Wird ihm nachher auch in sein Ge
mälde manch fremder Pinselstrich hineingesetzt, ihm auch
manch guter Zug seiner Phantasiestadt verdorben, so wird
er doch um so weniger Luftschlösser bauen, je mehr er
die wirklichen Baubedürfnisse, die gewohnten Bauweisen
im Auge gehabt hat. Es kommt dabei weniger auf die
Einzelheiten an, als auf die Wirkung im ganzen, wozu
der Städtebauer den Rahmen zu liefern, für den Grundriß
und für den Aufbau gewisse Fingerzeige und auch Zwangs
lagen zu geben hat; zur Ausfüllung und zur Ausgestaltung
im einzelnen sind dann viele berufen, die um so besseres
leisten werden, je mehr sie ihre Werke dem Gesamtpläne
einzuordnen verstehen. Insofern hängt das Gelingen in
letzter Linie vom Zufall, d. h. von den gerade bauenden
Personen ab, von der Absicht und Einsicht der Bauherren
sowohl, als besonders von dem künstlerischen Verständ
nisse und Vermögen der Baumeister. In der Vergangen
heit war einmal fast jeder Handwerksmeister auf seine
Art ein Künstler; heute steht ein mehr baugeschäftliches
Unternehmertum im Vordergründe und selbst der idealer
gesinnte Architekt vermag sich oft nicht protzenhaften An
sprüchen der Bauherren zu entziehen. Dem Architekten
beiden gegenüber zu einem größerem Einflüsse zu ver
helfen, ist ein Ziel, das gegenwärtig mit allen Kräften an
zustreben versucht wird.
Die Baukunst ist keine Nutzkunst im landläufigen
Sinne; einem neueren Ästhetiker Dr. Alt folgend, ist der
Gebrauchszweck eines Bauwerkes nur die Voraus
setzung zur architektonischen Schöpfung — die Idee des
Bauwerkes liegt in der Vorstellung seines Zweckes.
Für die Baukunst gibt es also auch Ideale zu realisieren.
So bilden die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ge
sundheitlichen Grundlagen des Städtebaues lediglich Vor
aussetzungen zur schöpferischen Tätigkeit des Städtebauers,
der seine Aufgabe um so besser löst, je schärfer er die
verschiedenartigen Zwecke erfaßt hat, um zu einer mög
lichst vollkommenen Zweckmäßigkeit zu gelangen, je
stärker die Gestaltungskraft seiner Seele ist, um diese
Zweckmäßigkeit auch zum Ausdrücke zu bringen, d. h.
Schönes zu schaffen. Die Städtebaukunst hat also das
selbe Ziel, wie die Baukunst überhaupt, ihre Aufgaben sind
aber heute vielfach andere, als früher.
Die mittelalterliche Stadt war ein in sich geschlossenes
Kunstwerk. Kirchen und Tortürme beherrschten das Stadt
bild; die Bebauung stufte sich der sozialen Schichtung der
Einwohner entsprechend ab — ein Hügel war sicherlich
mit einem hervorragenden Bauwerke gekrönt. Heute ist
mit den Stadtmauern mancher Turm gefallen und an seine
Stelle der Dampfschornstein getreten; nur der Wasserturm
ist noch als beherrschendes Motiv zu verwenden. Die
Kirchen, an sich schon kleiner als die stolzen Gottes
häuser des Mittelalters, versinken in der höher, und zwar
zu einer ziemlich gleichmäßigen Höhe gestiegenen Bebau
ung. Berg und Tal sucht die moderne Verkehrstechnik
möglichst auszugleichen.
Rathäuser werden wie ehedem gebaut, wenn auch
viel weitläufiger, die Amtshäuser der Zünfte sind durch
Verwaltungsgebäude der Genossenschaften, Tuchhallen und
Käsehallen durch Markthallen, die Zunftstraßen durch
Warenhäuser, Fleischbänke durch Schlachthöfe usw. er
setzt, die an kunstvoll geschmiedeten Armen hängenden
Aushängeschilder durch oft aufdringliche Reklamebilder.
Die Speicher, die man früher in bestimmten Stadtteilen
zusammenbaute, stehen heute durcheinander; dazu sind
Fabriken gekommen, Kasernen für das Heer und was fast
für jede Stadt eine Hauptsorge bildet, die Schulhäuser; so
dann Krankenhäuser, öffentliche Badeanstalten, Wasser-,
Gas- und Elektrizitätswerke, Straßenreinigungs- und
Feuerwehrkasernen, die sozialen Anstalten (Arbeiter-
Kaffee- und Speisehallen usw.). Der gesteigerte Verkehr,
die Freizügigkeit fördern das Entstehen von Miethäusern,
die gewerbsmäßig hergestellt werden; das ruhige Bürger
haus, der Familienbesitz sind im Schwinden begriffen;
denn die Bedingungen zum Bau eines eigenen Hauses, zur
Begründung einer festen Heimstätte sind ungünstigere ge
worden. Gewaltige Änderungen sind also eingetreten und
haben den heutigen Städtebau zu einer neuen Aufgabe ge
macht. Da kann es denn nicht Wunder nehmen, wenn
diese vielseitige, durch die Beleuchtungs-, Wasserversor-
*) Nach einem Vorträge auf dem Brandenburgischen Städtetage zu
Cottbus, 1904.