DER STÄDTEBAU
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nicht» daß diese Erscheinung ausschließlich den verschiedenartigen Lebens
bedingungen zwischen Stadt und Land zuzuschreiben sei. Wie aus der
weiter mitgeteilten Statistik Uber die Wehrfähigkeit der Bevölkerung in Stadt
und Land, besonders Uber den Rückgang der TauglichkeitszifTem in den
Städten, herv orgeht, ist von wesentlichem Einfluß auf die Sterblichkeit die
Art der Tätigkeit, der Beruf und wird man daher nicht das Leben in
der Stadt mit ihrer vorwiegend gewerblichen und industriellen Bevölkerung
dem des Landes mit seiner landwirtschaftlichen Bevölkerung gegenüber
stellen können; ein zutreffender Vergleich müßte gegenüberstellen z, B.
einen industriellen Landort einer industriellen Stadt usw. Die Gegen
überstellung der absoluten Sterblichkeitsziffem zwischen Stadt und Land,
ohne dabei die Art der Tätigkeit ihrer Bewohner zu scheiden, muß zu
einem falschen Bilde führen. Ein Beruf z. B. der einen hohen Prozent
satz Tauglicher zum Waffendienst stellt, ist der des Schiffers, und doch in
wie kleinen Räumen wohnt gerade eine Schifferfamüie! Der Wohnungs
zustand läßt also noch keinen Rückschluß auf die Sterblichkeit zu, es
kommt auf den Beruf an und wieviel Bewegung man in frischer Luft hat.
Der Verfasser geht dann des weiteren auf die Ursachen des Gegen
satzes von Stadt und Land in Bezug auf die leibliche Gesundheit ein,
wobei er allerdings dem platten Lande gegenüber immer nur die engräumig
gebaute Großstadt im Auge hat. Drückende Sommerhitze in schachtartigen
Höfen, enge Straßen in der ganzen Stadt überhaupt, mangelnder Sonnen
schein im Winter, Verunreinigung der Luft, (schlechte, weil unbewegte
Luft in den Höfen und in schwer zu lüftenden Räumen, ferner Staub,
Ansteckungskeime, Ruß, Rauch usw.). Verunreinigung des Bodens und
des Wassers, endlich die Lebensweise an sich (Stubenluft, Straßenlärm,
Wirtshausbesuch, ungenügende Bewegung) beeinflussen die Gesundheit des
Stadtbewohners in ungünstiger Weise, namentlich schon im Kindesalter.
Der Gegensatz von Stadt undLand wirke aber auch aufdiegeistigeGesund-
heit und die sittlichen Zustände. Geistige Genüsse (Theater, Konzert usw.
neben der Tagesarbeit) bringen geistige Ermüdung, Nervenschwäche mit sich,
ein weniger geregeltes Leben, das keine Rücksicht auf die Nachbarn nehme, im
Gegensätze zu der in kleineren Städten und die auf dem Lande geschlossenere
Geselligkeit. Lichte, weiträumig gebaute, schlupfwinkelfreie Stadtteile, nament
lich locker und luftig angelegte Vororte mit gutgeordnetem Wohnungswesen
seien in Bezug auf die Einschränkung sozialer Übel (Verrohung, Prostitution,
Verbrechen) den dicht bebauten Großstadtvierteln mit ihren Riesenhäusem
und Massenwohnungen überlegen, wobei namentlich bei den Großstadt-
kindem eine lebendige Naturanschauung wieder geweckt werden könne.
Im 2. Kapitel stellt nun der Verfasser das Stockwerkhaus dem Ein
familienhause gegenüber, indem er meint, daß das Stockwerkhaus von der
dichten Bebauung bedingt wird, während das Einfamilienhaus eine weit
räumige Stadtbebauung voraussetzt. Hierzu wäre nun erwünscht gewesen,
wenn schärfer unterschieden worden wäre zwischen dem Massenmiethause,
der Mietkaseme, dann dem kleineren Miethause, dem Bürgerhause und
endlich dem Einfamilienhause, das sowohl als Stockwerkhaus in geschlossener
Reihe, wie als freistehendes Landhaus seine Berechtigung hat. Die ge
schlossene Bauweise wird stets als die eigentlich städtische anzusehen
sein, zum Unterschiede von der ländlichen, denn das engere Zusammen
rücken der Bevölkerung ermöglicht erst städtisches Leben. Dabei kann
aber auch weiträumig gebaut werden in dem vom Verfasser gewünschten
Sinne. Dieser fährt dann fort, daß die hoben Bodenpreise ein straffes Fest
halten an der Stockwerktürmung, die bereits in den zu eng gewordenen
mittelalterlichen Städten eingetreten sei, veranlaßt und die Entwicklung
des Eigenhauses gehindert hätten. Wie Dr. Rud. Eberstadt nachgewiesen
hat, ist das Stockwerkhaus im Sinne des heutigen Miethauses erst von
Italien zu uns gekommen, mit der damals auf atchitektoniche Monumen
talität ausgehenden Kunstrichtung. Wenn die moderne Entwicklung unserer
Städte aber an dieser Bauart festgehalten und sie noch weiter ausgebildet
hat, so liegt die Ursache dafür nur zum Teil in den Vorteilen, die der
Bodenspekulation daraus erwachsen.
Im 3. Kapitel wird dann die Nutzanwendung der vorher angestellten
Betrachtungen gegeben und besonders der Vorzug ländlichen Wohnens
in den Vororten und Vorstädten mit mehr oder weniger lockerer Bebau
ung gerühmt, und in vermindertem Grade auch das Wohnen in weiträu
migeren Teilen des Stadtinneren anerkannt. Dem wird man zustimmen
können mit dem Vorbehalte, daß Weiträumigkeit und offene Bauweise
eben nicht dasselbe sind. Ähnlich verhält es sich mit dem Wohnen
jm Einfamilienhause gegenüber dem Wohnen im Mehrfamilienhause,
zu dessen Entstehung der Verfasser die weiträumige Anlage von Vor
orten oder einzelner Stadtteile als Vorbedingung ansieht. Hierzu ist
zu bemerken, daß die Bebauung mit Einfamilienhäusern in England
doch vielfach eine recht engräumige ist, und es doch noch nicht als
unbedingt sicher hingeötellt werden kann, daß eine weiträumige Bauweise
die Anlage von Gesundheitswerken erübrigt — denn dann hört überhaupt
städtische Bebauung auf und müßte die Stadt in eine ländliche Bebau
ung auseinander gezogen werden.
Die weiteren Betrachtungen des Verfassers beziehen sich ausschließ
lich auf die Entwicklung von Berlin mit seinen Nachbarstädten und Vor
orten, wozu eine Anzahl von Forderungen aufgestellt werden, die sich im
wesentlichen decken mit dem, was die moderne Städtebaulehre verlangt.
Er übt dazu namentlich Kritik an der zuletzt erlassenen Vorortsbauord
nung von 1903, die in der Tat einer sehr weitgehenden Ausdehnung groß
städtischer Bebauung mit 4- und s geschossiger Bebauung Raum bietet
und das Zwischenglied zwischen dieser großstädtischen und der landhaus
mäßigen Bebauung, nämlich die niedrigere Reihenbebauung arg vernach
lässigt. Von letzterer führt der Verfasser ein Beispiel aus Groß-
Lichterfelde vor, wo zwischen der Mittel- und Ruprechtstraße schmale
Einfamilienhäuser in geschlossener Reihe errichtet worden sind und, um
an die Hintergärten bequem heran zu kommen, der ganze Baublock in der
Mitte durch einen Wirtscbaftsweg aufgeschlossen worden ist.
Zum Schlüsse bespricht der Verfasser noch die Anforderungen, die
an die Schaffung von Öffentlichen Gärten, Park- und Platzanlagen zu er
heben sind, indem er Berlin und London mit einander vergleicht. In
Berlin entfallen danach auf 1000 Einwohner 0,2s Hektar derartige Erho-
lungs- und Schmuckanlagen, in London dagegen 0,56 Hektar, also gerade
das Doppelte.
Das Buch gibt also eine gute Übersicht Über die hygienischen An
forderungen des Städtebaus und kann deshalb allen denjenigen, denen
die Volksgcsundheit am Herzen liegt, zum Studium nur empfohlen
werden. Außer der angeführten medizinischen Literatur hätte aber auch
wohl die bautechnisch-hygienische Literatur etwas Beachtung verdient.
BÜCHERSCHAU.
The Garden City. The Offlcial Organ of the Garden City Association. —
Cottage Exhibition Nummer. Garden City Press Limited, Hitchin.
Simpkin, Marshall & Co., 23, Paternoster Row, London 1905.
Die Großstadt als Städtegründerin. Von A. Abendroth, städtischer
Oberlandmesser und Kulturingenieur, Hannover, Abdruck der gleich
namigen Abhandlung in Heft 2 bis 4 unserer Zeitschrift, 1905.
Schlachtensee, Verlag der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft. Flug
schrift 8. Preis 50 Pfennig,
Geschäftsbericht der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft.
1904— 1 9°5* Verlag der Deutschen Gartenstadt - Gesellschaft,
Schlachtensee.
Die Aufstellung und Durchführung von amtlichen Be
bauungsplänen. Leitfaden für kommunale Verwaltungsbeamte
und Gemeindetechniker, bearbeitet von Alfred Abendroth, städtischen
Oberlandmesser in Hannover. Mit 10 Textzeichnungen. Zweite ver
besserte Auflage. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1905, Preis 3 Mark.
Das Heidelberger Schloß. Werden, Zerfall und Zukunft, ln xa Vor
trägen dargestellt von Adolf Zeller, Kgl. Regierangsbaumeister, Privat
dozent für Baugeschfchte und Stillehre an der Technischen Hoch
schule in Darmstadt. XVI und 144 Seiten nebst 100 Abbildungen
im Texte und auf 34 Tafeln. Karlsruhe, Druck und Verlag der
G. Braunachen Hofbuchdruckerei. 1905.