DER STÄDTEBAU
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VOM SECHSTEN TAGE FÜR DENKMALPFLEGE
ZU BAMBERG.
Von THEODOR GOECKE, Berlin.
Wenn ich jetzt noch, kurz vor der siebenten Tagung,
auf den sechsten Tag für Denkmalpflege zurückkomme,
so tue ich dies in dem Bewußtsein seiner Bedeutung für
die mit dem Städtebau zusammenhängenden Fragen der
Denkmalpflege. Lediglich der Mangel an Raum hat den
schon längst abgeschlossenen Bericht immer wieder hinaus
schieben lassen.
Der Protektor, Seine Königl. Hoheit der Prinz Rupp-
recht von Bayern, betonte in seiner Ansprache, daß
die Denkmalpflege nicht nur eine geschichtliche Bedeutung
habe, sondern auch das künstlerische und kulturelle Gut
unserer Vorfahren der Gegenwart und Zukunft sichern
und übermitteln wolle, um den Nachkommen zu ermög
lichen, auf dem ihnen Überlieferten weiter zu bauen und
die Entwicklung fortzuführen. Derselbe Grundton klang
immer wieder durch die Verhandlungen hindurch, ein Ton,
der geradezu befreiend wirkte von dem dumpfen Drucke,
der sich bereits auf manche Gemeinde zu legen begann
und in deren Bürgerschaft zu einem mehr oder minder
geheimen Widerstande geführt hatte, in der Befürchtung,
als ob die antiquarische Richtung der Denkmalpflege sich
der notwendigen Freiheit moderner Entwicklung hemmend
in den Weg legen wolle. Diese Sorge als eine unbegrün
dete zurückzuweisen, war eine Notwendigkeit geworden.
Dies kam gleich in dem ersten Vortrage des Baye
rischen Konservators Dr. Hager aus München „Über
Denkmalpflege und moderne Kunst“ zum Durch
bruch. Das Streben, dio alten Kunstwerke zu erhalten,
ist nach seinen Ausführungen dem Zeitalter der Romantik
entsprungen, und lange hat man darunter das Wiederher
stellen der Denkmäler in ihrer ursprünglichen Form ver
standen unter Beseitigung späterer Zutaten. Dieser For
derung nach Stileinheit ist eine Masse von Kunstwerken
zum Opfer gefallen. Später erst kam die Überzeugung,
daß alle Stilerzeugnisse gleichberechtigt und daher neben
einander zu dulden seien, wie sie sich im Laufe der Zeit
zusammengefunden hatten. Endlich rang sich die Er
kenntnis durch, daß überhaupt nicht das Wiederherstellen,
sondern das Erhalten Ziel der Denkmalpflege sei. Nun
ist die erhaltende Tätigkeit aber nur eine beschränkte, denn
die gute Unterhaltung fordert auch vielfache Ausbesserungen
und Wiederherstellungen; dazu drängt das Bedürfnis in
noch benutzten Bauwerken zu Veränderungen, Erweite
rungen, so daß es meist nicht ohne Zutaten, Anbauten usw.
abzugehen pflegt. Für diese Neuschöpfungen wird dann
fast immer der überkommene geschichtliche Stil vorge
schrieben; schließlich gilt also auch heute noch die Stil
einheit als Ziel, nur mit dem Unterschiede gegen früher,
daß wir inzwischen gelernt haben, den alten Stil treuer
und echter nachzuahmen. Man kann das Alte vom Neuen
kaum mehr unterscheiden, wobei es allerdings noch dahin
gestellt bleiben, muß, ob eine spätere Zeit auch noch diese
Stileinheit als solche empfinden wird. Trotz aller Stil
virtuosität ist das künstlerische Ergebnis aber meist ein
unbefriedigendes und regt sich deshalb der Gedanke immer
mehr, daß das Geheimnis der Anpassung des Neuen an
das Alte nicht in der Wahl der gleichen Stilformen, son
dern in der künstlerischen Erfindung und Ausführung liegt.
Der Eigenart des Künstlers muß ein größerer Spielraum
gelassen werden. Denn nicht die geschichtlichen Formen
begründen die künstlerische Gesamtwirkung eines ver
schiedene Stile in sich vereinenden Bauwerks, sondern
der Kunstwert der einzelnen Teile und das künstlerische
Verhältnis der Teile zum Ganzen. Nicht Stileinheit ist an
zustreben, sondern künstlerische Einheit.
- An einigen Beispielen wurde dies näher erläutert, von
denen ich zwei dem Gebiete des Städtebaus entnommene
kurz anführen möchte. Nach dem einen war die malerische
Mauer einer altertümlichen Stadt neben einem gotischen
Turme, dessen Torweg den einzigen Zugang zur Stadt
bildete, bei einem großen Neubau durchbrochen worden,
so daß eine Lücke klaffte zwischen diesem Neubau und dem
Turme. Daß die alte Tordurchfahrt zu eng und der neue
Durchbruch als zweite Verkehrsader zu benutzen sei, war
allen klar. Doch wie? Die Einen wollten die Lücke als
Weg einfach offen lassen, die Andern sie durch einen über
bauten Torbogen wieder schließen. Die Einen machten
dagegen geltend, daß durch die Zutat eines zweiten Tor
bogens, bei dessen Ausführung man Jedenfalls den Stil
formen des Turmes folgen wolle, der Charakter der alten
Befestigung völlig verändert und damit ein Bild vorge
täuscht werde, wie es früher nie bestanden habe. Die
Andern erklärten darauf, die Rücksicht auf das Straßen-
und Stadtbild verlange wieder einen architektonischen Ab
schluß. Beiden Anschauungen wurde schließlich da
durch Rechnung getragen, daß eine zweite überbaute
Durchfahrt neben dem alten Torturme hergestellt und in
ihren Umrissen dem Turm und seiner Umgebung zwar
angepaßt, in den Einzelformen jedoch unabhängig von dem
geschichtlichen Stile des Turmes ausgebildet werden solle,
damit der Anbau auch abgesehen von dem Baumateriale
sofort als modern zu erkennen sei, sich mit dem alten
aber zu einer künstlerischen Gesamtwirkung vereine.
So verfuhr man in ähnlichen Fällen fast in allen Zeiten.
Wir nahmen die Stilunterschiede ruhig hin, eben weil sie
alt sind, gönnen aber der Kunst der Gegenwart es nicht,
mit ihrer Eigenart neben das Alte zu treten. Auch heute
dürften sich aber zahlreiche schaftensfreudige Architekten,
Maler, Bildhauer finden, die einer solchen Aufgabe ge
wachsen seien, wenn sie nur gestellt würde. Freilich
nicht sofort, weil das Neue Zeit und Gelegenheit gebraucht,
sich aus dem Alten zu entwickeln.
In dem anderen Beispiele handelte es sich um eine
alte Stadt mit mehreren mittelalterlichen Kirchen, zahl
reichen alten Häusern, die namentlich am Marktplatze
stehen. Hier brannte ein Haus ab, das vor 30 Jahren in
nüchternster Weise neuerbaut war. Die baupolizeilichen
Vorschriften verlangen nun, daß bei der Wiedererrichtung
der Umgebung Rechnung getragen werde. Da wird denn
ein in der Nähe stehendes altes Renaissance-Haus des
16. Jahrhunderts zum Muster genommen und überdies eine
Menge dekorativer Einzelheiten von vielen gleichaltrigen