DER STÄDTEBAU
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wilden Bebauung als unantastbar hinzunehmen sind, und
da ist es gerade dieses wichtigsten Punktes wegen dankbar
anzuerkennen, daß eine gemeinsame Aussprache zwischen
Magistratsvertretern und einem vom Architekten- und
Ingenieur-Vereine gewählten Ausschüsse hat stattfinden
können. Die Besprechung erstreckte sich aber auch noch auf
andere Punkte, von denen der nächst wichtige in der von
verschiedenen Rednern angeregten Frage lag, obaucheine
ausreichende Weiträumigkeit nach außen hin gewährleistet
sei und ob nicht etwa dort, wo jetzt freiwillig weiträumig
gebaut werde, für die Zukunft das Gegenteil in Aussicht
stehe? Ein dritter erwähnenswerter Punkt betraf die
Vorschrift zusammenhängender Höfe, die die Anlage von
Rückgebäuden (Seitenflügeln und Hinterhäusern) geradezu
herausfordere.
Im Verlaufe der Erörterungen wurde namentlich vom
Architekten Tittrich gefordert, die Anzahl der Staffeln zu
verringern, innerhalb der Staffeln aber bei freiwilliger
Baubeschränkung Erleichterungen zu gewähren, um das
Einfamilienhaus zu fördern. Diese Vorschläge bewegen
sich in derselben Richtung, die ich schon öfter als eine
allgemein anzustrebende, meist auf eine soziale Differen
zierung hinauslaufende und noch zuletzt für den Ausbau
der Berliner Vorortbauordnung als eine zweckmäßig ein
zuschlagende befürwortet habe. (Deutsche Bauzeitung 1901,
Städtebaufragen mit besonderer Beziehung auf Berlin No. 36,
37 und 40, Zeitschrift für Wohnwesen, 1903, Bauordnung
Und Bebauungsplan No. 14.) Bei ihrer Verfolgung könnte
dadurch, daß das Untermaß an der Bauhöhe oder in der
Geschoßzahl, daß die Einschränkung in der Anlage von
Seitenflügeln und von umbauten Höfen in bebaubarer Mehr
fläche, besonders auch für selbständige Hinterhäuser
durch Herabsetzung der Ansprüche an die Bauart je nach
Zahl der Geschossse vergütet würde, auch das Bedürfnis
der Industrie nach Fabrikanlagen (doch nur da, wo man
sie etwa hin haben will) mit ihrem Gefolge von Arbeiter
wohnungen (in Kleinhäusern oder bei hoher Bebauung nur
in Vorderhäusern) am besten und bequemsten befriedigt
werden. Damit wäre schon einer schablonenhaften Be
bauung, die sich bei der Festsetzung unveränderlicher Bau
flächenregeln und Bauwichbreiten stets einstellen wird,
so daß jeder Baustaffel immer nur ein Bautypus entspricht
□ach Möglichkeit vorzubeugen.
In der gutachtlichen Äußerung des Vereins ist schließ
lich aber, wie die Tagesblätter berichten, doch keine Ein
wendung gegen die gewählte Anzahl von Staffeln erhoben
worden, weil zunächst in ein erneutes Studium der so
genannten kubischen, also auf dem Raumausmaße der
Bebaubarkeit beruhenden Bauordnung, (die seinerzeit in
München von Rettig angeregt war) eingetreten werden solle.
Die oben angefürten Vorschläge weisen ja schon auf eine
ähnliche Regelung hin. Für die Anwendung der eigent
lichen kubischen Regel wurden, wie seiner Zeit von der
Vereinigung Berliner Architekten in Berlin, wesentlich
künstlerische Gründe geltend gemacht, insbesondere die
damit dem Architekten zu gewährende größere subjektive
Freiheit des Schaffens. Von der Staffelbauordnung meinte
übrigens einMann, wie Gabriel von Seidl, daß die Vielheit der
Staffeln schon eine reichere Abwechselung im Stadtbilde her
vorbringen könne. Die Annahme der kubischen Regel
würde die Staffelung wohl vereinfachen lassen, ob aber
in dem erhofften Umfange mag dahingestellt bleiben, denn
es kann gar nicht erwünscht sein, vom alten Stadtkern
als dem einzigen Mittelpunkte ausgehend, die Bauhöhe
nach außen hin durchgängig, also zonenweise zu ver
flachen; es muß vielmehr darauf ankommen, neben dem
Hauptmittelpunkt imUmkreise der Stadt nochNebenmittel-
punkte mit wieder steigender Bauhöhe zu erhalten, zu
deren Schaffung die älteren, in die Stadterweiterung ein
bezogenen Niederlassungen den Ansatz bieten.
Zu dieser schon von Henrici und Fischer vertretenen
Anschauung hat sich auch ein ungenannter Architekt in
den Münchener Neuesten Nachrichten bekannt. Am ersten
könnte noch ein in den Straßenanlagen abgestufter Be
bauungsplan zur Verminderung der Staffeln beitragen, wie
denn überhaupt in dessen Ausgestaltung immer die ent
scheidende Grundlage für die städtische Entwickelung, auch
in künstlerischer Hinsicht, gegeben wird. Das Gelingen
hängt also davon ab, ob der Bebauungsplan, der bekannt
lich von Theodor Fischer um viele schöne Lösungen be
reichert worden ist, in seinem ganzen Zusammenhänge
noch die Möglichkeit bietet, polizeiliche Eingriffe auf ein
geringstes Maß zurückzuführen. Denn Eins gehört nun
einmal zum eisernen Bestände jeder moderneh Bau
ordnung, das Verbot, über eine genau festgelegte Flucht
linie hinauszubauen — darauf begründet sich der Be
bauungsplan. Auf den Verlauf der Fluchtlinie kommt es
also unter allen Umständen an, oder richtiger gesagt, da
der Verkehr i n den Straßen anderen Gesetzen folgt, als der
Bau an den Straßen zu folgen braucht, auf den Verlauf
einer zwiespältigen Fluchtlinie, die einerseits den Verkehrs
raum, andererseits die Wandungen der Straßen begrenzend
sich zu einer die Bauflucht von der Straßenflucht scheiden
den Flucht fläche aus wachsen muß. — vergl. dieserhalb
u. A. Deutsche Bauzeitung 1901, No. 36, 37 und 40.
In einer „Wege und Ziele moderner Städtekunst“ über-
schriebenen, ebenfalls in den Münchener Neuesten Nach
richten erschienenen und später in einer sehr lesenswerten
Broschüre (E. Mühlthalers Buch- und Kunstdruckerei A.-G.,
München 1903) herausgegebenen Abhandlung hat Herr Archi
tekt Tittrich diesen Gedanken in eine feste Formel zu fassen
gesucht, deren Leitsatz: „Baulinien und Straßenlinien haben
in der Regel divergierend zu verlaufen“, in dieser allge
meinen Einschränkung jedoch kaum annehmbar erscheint.
Im übrigen ist, wie die Verhandlungen in München
erkennen lassen, auch dort schon das anliegende Gelände
dermaßen von der Bodenspekulation verteuert, daß es immer
schwerer hält, öffentliche Plätze in der erwünschten Zahl
freizulegen und die Wälder als Windschützer und Luft
spender der städtischen Bevölkerung zu erhalten — ganz
wie bei uns!
Späteren Zeitungsnachrichten zufolge soll auf Anregung
des Herrn Architekten Hecht aus Nürnberg die ganze An
gelegenheit im Architekten- und Ingenieur-Verein weiter
verfolgt werden.
Inzwischen hat nun die Staffelbauordnung rechtliche
Gültigkeit erlangt (siehe das Werk vom Rechtsrat Stein
häuser, Verlag bei C. H. Beck in München). Wie aber
Professor Theodor Fischer, der in jahrelanger Arbeit die
Staffelbauordnung entworfen hat, in seinem Vortrage über
Stadterweiterungsfragen mit besonderer Rücksicht auf
Stuttgart (Stuttgart, „Deutsche Verlagsanstalt 1903“) selber
sagt, wäre es verfehlt, in derselben Weise auch unter
anderen Verhältnissen vorzugehen; es sei eben-ein Un