DER STÄDTEBAU
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Potsdam zu sollte jedenfalls als eiserner Viadukt inmitten
einer in ihrem Zuge anzulegenden Straße angenommen
werden. Nun pflegen Bahndammböschungen im Stadtge
biete keinen erfreulichen Anblick zu gewähren; man müßte
denn Bäume davorstellen, wie es der mit dem II. Preise
bedachte Entwurf,,Heimatsinn“ (Tafel 26) vorgeschlagen hat;
gärtnerische Anpflanzungen auf den Böschungen selber sind
der Gefahr ausgesetzt, Flugfeuer von der Dampflokomotive
zu fangen. Doch wären lebende Hecken am Böschungsfuße
wohl zulässig. Immerhin bleibt die einseitig bebaute
Straße eine kostspielige Anlage, die den Gemeindesäckel
belastet, zumal ihr Wert durch den Lärm des Bahnverkehrs
noch beeinträchtigt werden kann. Bei der Ausdehnung
der Bahndämme war daher zu überlegen, wie weit man
mit den Begleitstraßen gehen könne, ob und wo insbeson
dere noch über das Verkehrsbedürfnis hinaus. Die Vor
schläge erschöpften in ihrer Mannigfaltigkeit fast alle Mög
lichkeiten. Es scheint fast so, als ob der mit dem I. Preis
ausgezeichnete Entwurf „Videant consules“ (Tafel 25) dem
Umstande seinen Erfolg zu verdanken hat, daß er beide
Seiten der Treuenbrietzener Bahn (nach „Wildpark“ hin) und
die Fernbahnseite der Magdeburger Linie fast gänzlich zu
verbauen angenommen hatte. Man könnte dagegen ein
wenden, daß die Höfe hinter den Häusern dem Reisenden
keine angenehme Einblicke gewähren. Doch ist zu beden
ken, daß sich die Bahn nicht nachträglich ihren Weg durch
eine etwa vorhandene Bebauung gewaltsam zu brechen
braucht, die nachfolgende Bebauung sich vielmehr nach
der Bahn richten kann, die Entstehung kahler Brandgiebel
also keine Notwendigkeit sein würde, und dies umsoweniger,
wenn hier, wo bessere Wohnungen schwerlich gesuchte
sein werden, vielleicht die Erbauung von Hinterhäusern
für kleinere gewerbliche Betriebe dadurch gefördert wer
den könnte, daß an der Eisenbahn entlang schmale Wirt
schaftswege angelegt würden. An der Vorortbahnseite der
Magdeburger Linie (Nordseite) wäre aber selbst bei Aus
führung eines Viaduktes eine Verbauung erwünscht, um
den Streifen bis zur Viktoriastraße für sich behandeln, die
Bebauung möglichst schonen und damit die Gartengrund
stücke gegenüber dem Parke von Charlottenhof erhalten
zu können, zumal hier die offene Bauweise zu fordern
wäre. Hierin liegt vermutlich der Grund für den Vorzug
des mit dem III. Preise gekrönten Entwurfes „Victoria
Luise“ (Tafel 27) und des diesem vielfach ähnlichen zum
Ankauf empfohlenen Entwurfes „Übersichtlich“ (siehe Text
bild 2). Auch der Entwurf „Havel“ zeigt dieselbe An
ordnung. Eine besondere Schwierigkeit hat dabei die Be
handlung des Zwickels in der Gabelung der beiden Eisen
bahndämme und des sich nach der Straße hin öffnenden
Viaduktes. Der mit dem II. Preise gekrönte Entwurf hatte
ebenso wie der Entwurf „Havel“ hier Gartenanlagen vor
gesehen, der Entwurf „Camillo Sitte“ (siehe Tafel 28) im
ganz entgegengesetzten Sinne Plätze für gewerbliche An
lagen. Die meisten Bewerber wollten aber auch hier
eine Bebauung durchgeführt wissen, die im Entwürfe
„Städtebau“ z. B. als offene, überwiegend jedoch als ge
schlossene gedacht war. Die Verfasser des Entwurfes
„Heimatsinn“ haben sich im Erläuterungsberichte näher
mit dieser Frage befaßt, indem sie die verschiedenen Mög
lichkeiten zu ihrer Lösung erörterten, Danach wurde von
der vollständigen Bebauung als nicht empfehlenswert Ab
stand genommen, weil das Wohnen zwischen den Eisen
bahnen zweifellos wenig angenehm sei. Die Beschränkung
der geschlossenen Bebauung aber auf die Südostseite und
eine Bebauung mit einzelnen Gebäuden zwischen Baum
gruppen in den dahinter liegenden Zwickeln könne zwar
den Bedürfnissen z. B. einer Hospitalanlage entsprechen,
deren Errichtung an dieser Stelle jedoch des Lärmes wegen
nicht angehe. Eine Parkanlage sei einfach, aber kost
spielig und, man darf wohl hinzufügen, angesichts der be
nachbarten ausgedehnten Kgl. Gärten auch ziemlich über
flüssig und für den Ruhe suchenden Spaziergänger kaum
verlockend. Deswegen hatte der Entwurf eine einheitliche
Frontbebauung vorgesehen und zwar für Geschäftsräume
der Eisenbahnverwaltung oder auch wohl für einige Privat
häuser, während dahinter Erholungsplätze für Erwachsene
und Spielplätze für Kinder angelegt werden sollen, die
mitten in dem neuen Stadtteil und unmittelbar an der
Straßenbahn gelegen sein würden.
Ein letzter Punkt von Bedeutung betraf die Einziehung
weiterer Verkehrstraßen. Dazu war der ungefähre Verlauf
des bereits im Eingänge der Besprechung erwähnten
Mittelweges ohne weiteres gegeben. Dann kam wohl die
Königliche Villa „Ingenheim“ als Ausgangspunkt für einen
Straßenzug in Frage, der entweder nach einer ungefähr
inmitten des Bebauungsgebietes verlangten Platzanlage oder
als Schrägstraße nach dem Bahnhofe „Wildpark“ hin zu
richten gewesen wäre.
Ersteres ist in den Entwürfen „Heimatsinn“ und „Keine
Grundstücksumlegung“ (siehe Tafel 34) geschehen, letzteres
in den Entwürfen ,»Victoria Luise“ und „Übersichtlich“,
weniger stark ausgeprägt auch in dem Entwürfe „Bran
denburg“ (Tafel 31 u. 32), besonders schön aber in dem
Entwürfe „Neues Palais-Villa Ingenheim“ (Tafel 30). Diese
Diagonale könnte, wenn nur Verkehrsrücksichten zu
nehmen wären, auch etwas unterhalb der Villa Ingenheim
von der Neuen Luisenstraße ausgehen, wie dies z. B,
der Entwurf „Camillo Sitte“ zeigt. Andere haben die Ab
zweigung noch weiter nach Westen hin verschoben und
schließlich auf eine Diagonale überhaupt verzichtet, um
sich mit einer auch in den genannten Entwürfen außerdem
vielfach vertretenen Straße zu begnügen, die annähernd
parallel zur Wildparkgrenze verläuft, wobei allerdings die
geforderte Straßenbahnschleife zu einem großen Umwege
führt. Eine gute Diagonale war übrigens auch im Ent
würfe „Licht, Luft, Leben“ zu sehen und zwar in tadel
losem Anschlüsse an die Stadt.
Daß sich unter der großen Zahl von Entwürfen auch
unreife Arbeiten gefunden haben, kann nicht auffallen,
kommt dies doch immer in allgemeinen Wettbewerben vor,
umsomehr also dann, wenn eine Aufgabe gestellt war,
die sich fast jeder, der Zirkel und Lineal zu handhaben
gelernt hat, zutraut, ohne viel Federlesens lösen zu können.
Deshalb kann es auch nicht Wunder nehmen, daß die
Straßengeometrie zum Teil mit merkwürdigen Anläufen,
auch in Kunst machen zu wollen, überwogen hat. Plätze,
für die gerade die Überbleibsel schematisch zugeschnittener
Baublöcke gut genug gewesen sind, wahre Irrgärten und
Wurmgänge statt Straßen waren zahlreich vertreten. An
dere Bewerber, wie eine an die Schriftleitung gelangte Zu
schrift ausführt, hatten, ebenfalls unter Verzicht auf fast
jede rechtwinklige und geradlinig umrissene Blockform,
schwungvolle Linien auf das Papier geworfen mit möglichst
vielen Symmetrieaxen (die meist die Bahndämme abgaben)