DER STÄDTEBAU
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Verbindung mit der Mutterstadt gegebenen Linien ein un
beschriebenes Blatt vor sich hat und nun nach Herzens
lust großen Ideen Raum geben kann. Der beiliegende
Plan der ersten englischen Gartenstadt ist kein „Non
plus ultra“, aber er zeigt doch auch schon, daß ein
ganz anderes zu schaffen ist, als bei der „Erweiterung“
irgend einer verbauten Landstadt, die zur Industriestadt
ausgewuchert ist, oder bei ähnlichen Aufgaben. Und
dann in den Bauten selbst, in den öffentlichen Gebäuden
sowohl wie in den kleinen „Eigenheims“, welche Fülle
von künstlerischen Aufgaben sind in ihnen enthalten,
wo nicht mehr der teure Grund und Boden Sparsamkeit
in schönheitlicher und gesundheitlicher Beziehung heischt!
Auch in dieser Hinsicht hat die deutsche Gartenstadt
gesellschaft schon eine sehr bemerkenswerte Propaganda
gemacht und zwar insbesondere durch die Flugschrift
„Gartenstadt und ästhetische Kultur“ von H. Kampffmeyer,
in der auch die hier ebenfalls beigefügten Abbildungen
siehe Tafel 24, von Häusergruppen aus der englischen
Arbeiterkolonie „Bournville“, einer Gründung des Kakao~
fabrikanten Cadbury enthalten sind.
Ich will hier noch die Kampffmeyerschen Ausführungen
über die allgemeine Kunstpflege in der Gartenstadt für
sich selbst reden lassen.
Es sei mir nun gestattet, kurz auf einige der ästhetischen Aufgaben
hinzuweisen, die schon gegenwärtig durch den Dürerbund, durch die freie
Volksbühne und andere Vereinigungen mit Glück gelöst sind und die ans
den eben erwähnten Gründen in der Gartenstadt auf ganz besonders rege
Anteilnahme rechnen dürfen.
Ich sprach vorher von dem Stadtplan, den Gärten und Häusern, Es
gälte nun die Wohnungen mit dem passenden Hausrat zu versehen, und
es läge nahe, auch hier das genossenschaftliche Prinzip anzuwenden. Das
würde am besten in der Form geschehen, daß man eine Organisation
nach Analogie der Konsumgenossenschaften gründete, die sich Kunst
genossenschaft nennen könnte und in deren Vorstand auch einige Künstler
zu wählen wären. Der Vorstand würde nun einfache und dabei schöne
Möbel nach guten Entwürfen bei einer leistungsfähigen Möbelfabrik be
stellen und den Mitgliedern zum Selbstkostenpreis abgeben. Auch künst
lerischer Wandschmuck und Reproduktionen von guten Skulpturen könnten
auf dieselbe Weise billiger beschafft werden.
Diese Kunstgenossenschaft müßte ihre Wirksamkeit allmählich auf
alle Gebiete ästhetischer Kultur ausdehnen. Jede neue Sektion würde ihren
eigenen Vorstand haben, der gleichzeitig im Zentralausschuß säße und
dadurch ein geschlossenes Zusammengehen der einzelnen Bestrebungen
verbürgte.
So würde sich bald das Bedürfnis nach einer guten Volksbücherei
geltend machen, mit der einige Lese- und Gesellschaftsräume sowie eine
Verkaufsstelle guter Volkslitteratur zu verbinden wäre. Außerdem müßte
ein geeigneter Raum für Ausstellungen aller Art geschaffen werden. Darin
würde, ähnlich wie in dem erwähnten Ruskinhause in Bournville, die
Veredelung des dilettantischen Kunstschaffens besonders berücksichtigt
werden. Vor allem dadurch, daß mustergiltige Handarbeiten, geschmack
volle Kostüme, künstlerische Photographien und kunstgewerbliche Arbeiten
aller Art gezeigt würden. Natürlich müßten regelmäßig tüchtige Künstler
zur Veranstaltung von Sonderausstellungen eingeladen werden.
Sobald die Stadt genügend herangewachsen wäre, müßte zum Bau
geeigneter Konzert-, Theater- und Vortragsräume geschritten werden.
Aehnlich wie es bei der „Freien Volksbühne“ der Fall ist, könnte auch
hier der Vorstand mit den betreffenden Schauspielern und Musikern in
direkte Verbindung treten und den Mitgliedern gediegene Kunstgenüsse
für geringen Entgelt beschaffen. Die Verbilligung hätte hier wie auf den
vorher genannten Gebieten seinen Grund darin, daß infolge einer zweck
entsprechenden Organisation von vornherein auf einen gefüllten Saal ge
rechnet werden darf und der einzelne Platz infolgedessen billiger zu stehen
kommt.
Auch für persönliche Kunstübung in Liebhabextheater-, Gesang- und
Orchestervereinen würde Gelegenheit und Anregung zu schaffen sein.
Um nun den rechten Boden für die Saatkörner zu bereiten, die in
der Bibliothek und den Ausstellungen, in den Konzerten und Theater
vorstellungen verstreut werden, hätten Hand in Hand mit den jeweiligen
Veranstaltungen regelmäßige Vorträge stattzufinden, in denen wissen
schaftliche wie ästhetische Probleme erörtert würden.
Diese Bestrebungen würden kluger Weise von den Besitzenden, be
sonders von einsichtigen Fabrikinhabern nach Möglichkeit gefördert werden.
Die Industriellen*), die ihre Fabriken aus der Großstadt hinaus verlegen,
tragen schon jetzt dem Vergnügungsbedürfnis ihrer Arbeiter Rechnung
und suchen ihnen durch Lesehallen-, Bibliotheken und Musikkapellen edlere
Vergnügungen zu bieten. Sie wissen, daß der Mensch nun einmal Lebens
freude nötig hat und dass er in Ermangelung von besseren Genüssen
zum Schnaps greift, der seine Arbeitskraft und Zuverlässigkeit beein
trächtigt.
An Anregungen für die genannten Bestrebungen wird es nicht fehlen.
Schon jetzt haben wir eine Anzahl von Künstlern und Kunstfreunden in
der Gartenstadtgesellschaft. Es werden sich ihnen hoffentlich noch neue
Freunde zu gesellen. Denn nur durch die rege Beteiligung künstlerisch
gebildeter Menschen kann das für unsere ästhetische Kultur so wichtige
Unternehmen die Entwickelung erhalten, die ich mit wenigen Strichen
skizzierte.
Zudem liegt es ja im eigensten Interesse der Künstler, sich hier ein
Wirkungsfeld für ihre Ideen zu schaffen, wie es unter anderen Verhält
nissen kaum erreicht werden könnte. Ob die Entwicklung ganz meiner
Darstellung folgen wird, das kann erst die Zukunft lehren. Der Zweck
meines Aufsatzes ist erreicht, wenn er den Leser überzeugte, daß durch
die Gartenstadt der Kunst ein weites fruchtbares Gebiet erschlossen wird.
Hoffen wir, daß dem Felde die Arbeiter nicht fehlen.
Es soll nun noch kurz der Fall besprochen werden,
der bei ganz großen Städten gegeben sein wird, wo in
der Nähe der eigentlichen Stadt und überhaupt innerhalb
des Weichbildes oder dicht an seiner Grenze keine Mög
lichkeit mehr besteht, zu landwirtschaftlichen Preisen das
erforderliche Gelände zu erwerben. Hier sind in der Regel
ausgezeichnete Bahn- und Schiffahrtsverbindungen mit den
entlegeneren Vororten vorhanden, die auch meistens die
großstädtische Industrie schon veranlaßt haben, sich weit
ab von der Zentrale anzusiedeln. Dabei spielen oft 20 bis
30 km weite Entfernungen nur eine geringe Rolle.
Auf den gleichen Standpunkt kann sich nun auch die
Großstadt stellen: kein Spekulationsland, sondern Acker
land, billiges und billigstes Land, erwerben, ganz gleich»
ob es ein paar Kilometer mehr oder weniger von der
Stadt ab ist, wenn es nur an der Eisenbahn liegt und in
der Nähe einer Station. Die Verbindung mit der Großstadt
ist ja nur für die Gesamtheit der Kolonie als solche, nicht
aber für jeden Ansiedler Lebensbedingung. Der empfängt
seine wirtschaftliche Existenz nicht von der Mutterstadt,
sondern aus der Kolonie selbst heraus und kann also einer
besonders nahen und innigen Verbindung mit jener ent-
raten. Die Industriekolonien bei den ganz großen Städten
werden zu Anfang in einem ähnlichen Verhältnisse zur
Großstadt stehen, wie die näheren Provinzialkleinstädte zur
Provinzialhauptstadt, nur daß alle Vorteile, die der Klein
stadt erwachsen, für die Hauptstadt unmittelbar eine er
höhte Einnahme im Gefolge haben.
Ich komme jetzt zu einem Punkte, der für das Zu
standekommen solcher kommunalen Industriekolonien
von besonderer Wichtigkeit ist, nämlich zu der Schwierig
keit, die großstädtische Industrie möglichst schnell und
Es sei hier nur an die Wohlfahrtseinrichtungen von Krupp und
Schwartzkopff erinnert.