DER STÄDTEBAU
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NEUE BÜCHER.
Z EUSS. GEDANKEN ÜBER KUNST UND DASEIN VON
EINEM DEUTSCHEN. - Verlag von Ferd. Enke, Stuttgart 1904.
Ein zum Nachdenken einladendes Buch, das dem Architekten wieder
eine bessere Meinung von der in seiner Wertschätzung mit der Zeit arg
gesunkenen Ästhetik beizubringen vermag. Ausgestattet mit dem Riist-
zeuge des Philosophen geht der Verfasser doch in frischer, leicht ver
ständlicher Sprache all den Fragen zuleibe, die das gegenwärtige Kunst
schaffen aufwühlen. Die Architektur erhebt er wieder in die ihr fast schon
aberkannte Stellung einer freien Kunst, weil, der Lehre der Mannheimer
Ästhetikers Dr. Alt (System der Künste) folgend, der praktische Zweck
lediglich die Voraussetzung für die Entstehung des Architekturwerkes sei,
das ebenso aus einer Idee geschaffen werde, wie jedes andere Kunst
werk, — die Idee sei eben die Vorstellung des Zweckes.
Schon das erste Kapitel zu lesen, das vom Künstler und der Mensch
heit handelt, und die oft umstrittene Frage, gibt es ewige Gesetze des
Schönen?, gibt es dauernde Gesetze der Kunst?, L’art pour l’art?, zu be
antworten versucht, ist ein von keinem trockenen Schulbegriffe getrübter
Genuß. Im zweiten Kapitel wird das Wesen des Genies erörtert, unter
anderem der geniale Einfall, die Persönlichkeit des Genies, der Weg zur
genialen Tat, der Jugendstil usw. — Im dritten Kapitel legt der Verfasser
die Gründe für den Mangel an Kunstverständnis dar, wobei auch die Schul
bildung der Techniker, die Folgen des Mangels an ästhetischen Kenntnissen,
das Verhältnis der Ästhetik zur Kunstschreiberei, die Kunstmoden zur Be
sprechung kommen. — Das vierte Kapitel handelt von den Gesetzen der
Kunst, von der Schöpferkraft des Künstlers, vom Phantasiegesetze in der
Architektur, von der Monumentalität der Kunst, von der nationalen Kunst,
von Kunst und Können in Deutschland bis 1860, von der nord- und süd
deutschen Kunst und von der Freiheit der Kunst. — Dann kommt „das
Ewig-Schöne* 1 im Kapitel 3, und zwar das Ewig-Schöne des Menschenleibes,
das Malerisch-Schöne, das Schöne der Landschaft und der Baukunst, die
Volkskunst usw. Endlich im Kapitel 6 die erzieherische Bedeutung der
Kunst, insbesondere der bildenden Künste.
Dem Architekten und dem Städtebauer seien besonders empfohlen
die Seiten;
130 — „Der subjektive Individualismus ist der Verderb der Kunst, der
objektive aber ihre Größe“;
164, 165 — die Symmetrie in der Architektur und die malerische
Architektur behandelnd;
184 bis igi — Die moderne Eisenkonstruktion in der Architektur, ins
besondere ihre raumbildende Kraft, der neue Baustil, neuzeitliche Bestre
bungen auf antiquarischer Grundlage, Prinzip einer individuellen freien
Verwendung alter Stile, mit besonderer Bezugnahme auf Semper, Wallot,
Bruno Schmitz, das Moderne in der Architektur (in Holz nachgeahmte
Eisenkonstruktion von van de Velde, Kugelgelenke von Pankok, eigen
artiger Steinschnitt als Stümotiv von Herrn. Obrist, Peter Behrens, Herrn.
Büling, Biedermeierstil von Schulze-Naumburg, der der Antike sich an
nähernde Dekorationsstil von Olbrich). Man mag in manchen der Betrach
tungen anderer Ansicht sein, jedenfalls weiß der Verfasser die seinige
geistreich vorzutragen.
Zum Schluß:
Seite 214 — „Die Schönheit ist die sittliche Aufgabe der Kunst nach
dem Vemunftgesetze. Unsere Einsicht führt dahin, daß die Menschheit
hinaufgeführt werden müsse zu höheren Zielen, nicht hinab, daß wenigstens
die Hoffnung auf die Erreichung eines höheren Zieles die unumgängliche
Bedingung ist, damit die Menschheit diesen Kampf nicht aufgebe, daß
mithin die aus der Kunst fließende Daaeinsfreude ein Mittel ersten Ranges
ist, um die Menschheit an die Erreichbarkeit höherer Ziele glauben und an
diesem Leben nicht verzweifeln zu lassen, daß es also die Aufgabe der
Kunst ist, ihr solche Ziele vor Augen zu stellen und sie dadurch zu diesem
Kampf zu stählen“, denn „Zeus, der ewig fortzeugende, der Vater des
Dyonisos und Appollon, der wirkend in nie versiegender Schöpferkraft die
Ziele des Daseins durch die Kunst offenbart, hat uns nicht,“ wie das
einleitende Vorwort des Buches sagt, „auf seine lichte Höhe hingestellt,
sondern auf ein Schlachtfeld, wohin der Weg erstritten werden müsse“.
Besprochen von THEODOR GOECKE, Berlin.
D AS WOHNUNGSWESEN, bearbeitet von Dr. Rud. Eberstadt,
Privatdozent an der Königl. Friedrich Wilhelms-Universität in Berlin.
Besonderer Abdruck aus dem Handbuch der Hygiene; herausgegeben
von Dr, Theod. Weyl in Berlin. Vierter Supplementband, Soziale
Hygiene. Jena, Verlag von Gust. Fischer, 1904.
Der Verfasser hat schon früher (1903) in demselben Verlage das für
die Praxis des Wohnungswesens und des Städtebaues wichtige Buch:
„Rheinische Wohnverhältnisse und ihre Bedeutung für das Wohnungs
wesen in Deutschland“ erscheinen lassen. — Das oben angekündigte neue
Werk umfaßt die Darstellung des Wohnungswesens auf breiterer Grundlage.
In vier Abschnitten werden die Entwicklung städtischer Bauweise, die
Wohnungsstatistik, die gesundheitlichen Verhältnisse, die sozialen und ver
waltungstechnischen Maßnahmen im Wohnungswesen vorgeführt. Für die
Geschichte des Städtebaues wichtig ist die scharfe Abgrenzung der drei
Zeitabschnitte, in denen die Städte gegründet oder erweitert wurden; das
Mittelalter, die landesfürstliche Bautätigkeit im 17. und 18. Jahrhundert und
die Gegenwart. In ebenso klarer Anschaulichkeit wird der gegenwärtige
Gemeindebesitz an Grund und Boden („öffentliche Parkanlagen entstammen
meist der älteren Zeit“), die Hausform und Bodenbeschaffung („die Festungs
etgenschaft trägt nicht die Schuld an der unbefriedigenden Gestaltung der
Wohnungsverhältnisse, fast die ganze Bevölkerung wohnt in Miets
kasernen“), die Mietspreise und deren Entwicklung („die Wohnungsteuerung
in Deutschland kommt aus dem Osten“) und die Bodenverschuldung („für
1903 beträgt die Bodenverschuldung insgesamt rund 45 Milliarden Mark,
Die Boden- und Häuserspekulation kann ihren Gewinn ausschließlich nur
durch Bodenbelastung realisieren“) dargestellt# Dazu kommt die Schilderung
der Entwicklung, die die Wohnung auf den Gesundheitszustand ihrer
Bewohner ausübt, durch die Art der Wohnungsbenutzung, wobei die Tuber
kulose eine wesentliche Rolle spielt, und durch Beschaffung der Wohnung
an sich, — der Grundriß der Mietkaseme ist auf die herrschaftliche Vorder
wohnung zugeschnitten; für die kleinen Wohnungen dagegen ist er untauglich
und schlechthin unverbesserlich. Ferner wird noch die Bautätigkeit unter
Gewinnverzicht durch Reich, Staat und Gemeinde, durch Arbeitgeber und
Stiftung dargestellt, um endlich unter den verwaltungstechnischen Maß
nahmen die Aufstellung von Bebauungsplänen nach sozialen, wirtschaft
lichen und politischen Gesichtspunkten hin zu fordern;
1. Die Bearbeitung des städtischen Bebauungsplanes ist zu betrachten
als eine Aufgabe der Bodenparzellienmg;
2. Die Anpassung der Bauordnung an die unterschiedlichen Bedürfnisse
des Wohnungswesens — der richtige Zustand ist, daß die gedrängte Bau
weise von innen nach außen, falsch, daß sie von außen nach innen vor
dringt.
3. Die Anlage der Straßen durch die Gemeinde ist eine der vor
nehmsten Aufgaben der Kommunalbodenpolitik.
4, Zweckdienliche, einfache Ausführung der Wohnstraße, sozialpoli
tische Regelung der Straßenbaukosten, der Kanalisationsbeiträge und der
Baupolizeigebühren.
5. Verbesserung und etwaige Verbilligung der Verkehrsmittel.
6. Maßnahmen der Besteuerung, wobei zu unterscheiden ist: Erhöhung
des Bodenwertes durch nützliche Aufwendung (Meliorationen im weitesten
Sinne, Häuserbau usw.) und Erhöhung ohne nützliche Aufwendung (Speku
lationen, immaterielle Wertsteigerung).
7. Erwerb und etwaige Hergabe von städtischem Gelände.
8. Organisation des Realkredits.
9. Beaufsichtigung der Wohnungen — die Wohnungsreform ist die
unerläßliche Voraussetzung für eine wirkungsvolle Wohnungsaufsicht.
zo. Städtischer Wohnungsnachweis und städtische Wohnungsaufsicht.
Der reiche, durch mehrere Abbildungen erläuterte Inhalt ist übersichtlich
geordnet und unter sorgfältiger Berücksichtigung der Literatur verarbeitet#
Das Werk zeichnet sich vor vielen Erscheinungen auf diesem Gebiete durch
eine wissenschaftliche Gründlichkeit und die Vertrautheit mit den praktischen
Forderungen lobenswert aus.