1905
8. Heft
2. Jahrgang
99
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INHALTSVERZEICHNIS: Rheinische Kleinstadtbilder. Von Jacob Berns, KÖln-Remscheid. — Abänderung und Fortführung des Bebauungs
planes von Triebes. Von A. Stiefelhagen, Gera (Reuß). — Aufgaben der Gartenkunst. Von F. Zahn, Steglitz. — Ein Stadtplanvergleich. Von P. Hall-
tnan, Stockholm. — Anlage eines Landhausviertels bei Hannover. Von G. Aengeneyndt, Hannover. — Soziale und wirtschaftliche Vorarbeiten für Stadt-
erweiterungspläne. Von Forbdt, Frankfurt a. M.-Budapest. — Neue Bücher. Besprochen von Dr, Rud, Eberstadt, Berlin. —- Chronik.
Nachdruck der Aufsätze ohne ausdrückliche Zustimmung der Schriftleitung verboten.
RHEINISCHE KLEINSTADTBILDER.
Von JACOB BERNS, Köln-Remscheid.
Das abgelaufene Jahrhundert mit den zeitlich schnell
aufeinandergefolgten Erfindungen und mit dem bis dahin
ungewohnten, gewaltig emporgeschnellten Reiseverkehre,
welcher die Stadt dem Lande näher brachte, hatte es
unter anderem im Gefolge, daß dem Volke allmählich aber
stetig der Sinn für das Schöne und Bodenständige ab
handen ging, und daß dieser Verlust an Schönheitssinn in
allen Dingen, so auch bei dem Bauen zum Ausdruck kam.
Wenn heute hierin zum Teil auch schon ein Wandel zum
Besseren eingetreten ist, so ist die Allgemeinheit dennoch
weit davon entfernt, das Maß von Schönheitsgefühl ihr
eigen zu nennen, wie es unseren Altvorderen, und selbst
noch unseren Großvätern zur Biedermeierzeit, gleichsam
in Fleisch und Blut steckte. Mit Freude erfüllt es uns
daher, wenn die Werke der Vergangenheit unversehrt auf
uns überkommen sind, und es ist unsere heilige Pflicht,
bei Eingriffen, die durch die moderne Entwicklung be
dingt werden und die es zum Zwecke haben, das Alte oder
seine Umgebung mehr oder weniger neuzeitlichen Forde
rungen anzupassen, mit Takt und Pietät zu verfahren.
Ein taktvoller Baumeister muß der Erbauer des alten
Rathauses in Mayen i. d. Eifel (Doppeltafel 57/58) gewesen
sein, denn als ihm die Aufgabe gestellt wurde, an dem
Marktplatz ein Rathaus zu errichten, setzte er seinen Bau
einfach und schlicht, der kleinen Stadt würdig, in die vor
handene Umgebung hinein, so daß das geschaffene Ganze
jeden Beschauer entzücken muß. Man hätte es nun als
selbstverständlich ansehen sollen, daß dem genannten
Werke mit gleicher Rücksicht begegnet würde, als es sich
um eine Veränderung des Geschaffenen handelte, und mit
aufrichtigem Bedauern sehen wir heute das schöne Bild
zerstört, lediglich durch jenes Nachbarhaus, das der Bau
meister des Rathauses ehemals so beachtete.
Die Laien sehen freilich den Neubau mit ganz anderen
Augen an, als der Fachmann und Kunstverständige; werden
erstere doch in ihren Anschauungen vielfach durch die
Ortsblätter bestärkt, die mit Freuden feststellen, daß wieder
ein alter Kasten einem Neubau weichen mußte, der der
Stadt zur Zierde und seinem Erbauer zur Ehre gereicht.
Angesichts solcher Tatsachen ist jeder Einspruch eines
Andersdenkenden ein Stich in ein Wespennest, und man
hat seine liebe Not, den Leuten beizubringen, daß gerade
mit dem Alten ein gut Teil Schönheit und Poesie verloren
gegangen ist. Derartige Erfahrungen macht man in der
kleinen Stadt und draußen auf dem Lande Tag für Tag.
Da baut man, wo es seit altersher üblich war, die Fronten
in Fachwerk zu verzimmern oder mit Schiefer zu ver
kleiden, auf einmal ohne zwingenden Grund einen Rohbau
in jener verdammenswerten Art, wie Schulze-Naumburg
sie als Gegenbeispiele in seinen Kulturbildern abgebildet
hat. Leider gehen die Behörden hierbei sehr oft mit
schlechtem Beispiel voran, namentlich wo es üblich ist,
den Privatarchitekten bei behördlichen Arbeiten auszu
schalten und alles durch die angestellten Beamten auszu
führen, die bei der kleinen und mittleren Stadt und auch
auf dem Lande nicht allein Verwaltungstechniker des