DER STÄDTEBAU
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vorgingen, so lobenswert die Absicht, — der Erfolg, wie er
sich bisher anzulassen scheint, wird gewiß nicht auf die
Dauer befriedigen. Über kurz oder lang muß die Er
kenntnis sich Bahn brechen, daß dieser Weg nur in ganz
seltenen Fällen zu dem erwünschten Ziele führt. Das zeigen
jene prächtig ausgestattetenVorlagenmappen nur zu deutlich.
Beim Durchblättern dieser hunderte von oft unbestreit
bar reizvollen Entwürfen, in denen so viel fleißiges Alter
tumsstudium einer ganzenSchar deutscherBaumeister steckt,
überfällt den Nicht-Romantiker ein gelindes Gruseln. Er
sieht, daß es zwar nicht allzu schwer ist, aus dem reichen
Formenschatze der Vergangenheit einiges Hübsche auszu
wählen und damit eine neue Fassade auszustaflieren, sodaß
sie beinahe, vielleicht sogar ganz genau aussieht, wie eine
alte, aber wie wenige unter diesen Hunderten von Entwür
fen bringen etwas wirklich Neues im Geiste des Alten!
Und das allein dürfte doch nur das Erstrebenswerte sein.
Gerade daß bei diesen Preisausschreiben so viel Entwürfe
eingegangen sind, die nichts recht Altes und nichts recht
Neues darstellen, sondern ein mehr oder weniger willkür
liches, oft recht unorganisches Gemisch aus beiden, und
zweitens die Tatsache, daß gerade derartige Entwürfe in
Menge von den Preisrichtern angekauft und zur Verviel
fältigung ausgewählt worden sind, zeigt, daß das an sich
so löbliche Ziel, die heimische historische Bauweise neu
zu beleben und fortzusetzen, noch nicht von der richtigen
Seite her erfaßt worden ist. Noch bedenklicher ist es, daß
diese Vorlagenwerke nicht nur in den betreffenden Städten,
für welche die Preisausschreiben erfolgten, nun sozusagen
offizielle Giltigkeit für Neubauten in der Altstadt und oft
auch in den neuen Stadtteilen erlangt haben, sondern daß
die Baugewerkschulen allenthalben sich mit wahrem
Heißhunger auf diese bequem zubereitete Kost gestürzt
haben, die es auch dem unbegabtesten Mauermeister er
möglicht, ohne eigenes Nachdenken etwas zu schaffen, was
offiziell als ,,hübsch“ gilt und noch obendrein aussieht, als
wäre es alt oder beinahe alt. Welcher Ruhm für den
Mauermeister!
Durch die fleißige Benutzung dieser Vorlagenwerke»
wie sie der heranwachsenden Generation der Baubeflissenen
in ihren Fachschulen besonders anempfohlen wird, wird
nun diese Generation in Bahnen geleitet, welche der Ent
wickelung eines gesunden neuen eigenen Stiles stracks zu
widerlaufen. Auch insofern können diese Preisausschreiben,
so gut gemeint sie waren, geradezu verhängnisvoll wirken.
Nicht dadurch setzen wir die gute alte Überlieferung fort,
daß wir Erkerchen, Türmchen, Dachbauten, Zinnen da
und dort ansetzen, auch wo sie überflüssig und sachlich
nicht berechtigt sind, oder daß wir hohe, schmale Giebel
auftürmen, die doch ihre innere Berechtigung nur in einer
Zeit hatten, als ausgedehnte Speicherräume über den Wohn-
geschossen eine Notwendigkeit waren, sondern dadurch,
daß wir aus dem Material heraus die Zierformen ge
stalten, wie das die alte Zeit tat, und daß wir von innen
nach außen bauen, Fassade und Form des Hauses nach
der Anordnung der Räume gliedern, Zweck und Aufgabe
des Baues außen erkennen lassen, mit einem Worte: die
Wahrheit anstreben. Jedes Haus soll klar und offen
sagen, was es soll und will und je nachdem auch aus
welchem Material es besteht. Darin beruht der große Reiz
alter Städtebilder, nicht darin, daß alle Gebäude mit ähn
lichen Schmuckformen verziert und der gleichen Stilart
angenähert sind. Wie viele von ihnen sind ganz schlicht,
ohne alle Zierformen, und wirken doch so harmonisch im
Gesamtbilde! Ja solche einfache, ganz anspruchslose Bauten
sind geradezu eine Notwendigkeit Im Straßenbilde, um dem
Auge und der Phantasie Ruhepunkte zu gewähren. Sie
verhelfen den einzelnen wertvolleren Nachbarbauten erst
zur rechten Wirkung. Legen wir aber, wie es durch diese
Preisausschreiben unmittelbar veranlaßt und dem ent
werfenden Baumeister nahe gelegt wird, den entscheiden
den Wert auf die alten Zierformen, die um des alter
tümlichen und malerischen Eindrucks willen auch sinn
widrig angewandt werden dürfen, so führt das zu unge
sunder Altertümelei, wir erziehen unsere Architektur zur
Unwahrheit oder vielmehr: wir erhalten sie darin. Denn
seit einem halben Jahrhundert schon quält sie sich mit der
Wiederholung vergangener Stilarten ab, nur daß sie darin
immer raffinierter geworden ist.
Die Gefahr wird verstärkt durch die Baubestimmungen
einiger der oben genannten Städte. Für mein Empfinden
geht es entschieden zu weit, wenn das Hildesheimer Bau
statut vom 17. Juni 1899 ausdrücklich vorschreibt: „Bei
Neu- und Umbauten in bestimmten Straßenzügen der Alt
stadt dürfen nur Bauformen angewandt werden, die sich
an die deutschen Stilarten bis zur Mitte des 17. Jahr
hunderts anschließen.“ Eine solche Verordnung ist aus der
Stimmung unserer immer noch etwas romantischen Zeit
und aus dem Streben nach malerischer Wirkung wohl zu
verstehen, aber sie ist kurzsichtig. In Nürnberg besteht,
wie allbekannt, schon seit einem Menschenalter ein ähn
liches Gesetz. Hier läßt sich der Erfolg dieser Bauordnung
beobachten: Alle Häuser der Altstadt sind im Alt-Nürn-
berger Stile gehalten. Und das praktische Ergebnis? Daß
kein Mensch mehr unterscheiden kann, was nun wirklich
alt und was nachgeahmt alt ist. Unsere Zeit hat das
Nachmachen des Alten gar zu gut gelernt. Malerisch
und scheinbar altertümlich ist das Straßenbild, aber un
wahr. Es wird, je mehr infolge der Verwitterung und
des Rußes die neuen und die alten Bauten sich ähnlich
werden, zu zahllosen geschichtlichen Irrtümern Anlaß geben.
Und die wirklich alten Gebäude verlieren dadurch an Wert:
man wird beim Durchwandern der Straßen mißtrauisch
gegen die alten Zeugen, da so viele falsche „gemacht alte“
dazwischen stehen. Was ist noch echt, was nicht? Diese
Frage wird selbst dem Fachmanne mit jedem Jahre schwie
riger. Jede Zeit hat ihre eigene Formensprache gehabt,
herausgebildet aus ihren praktischen Bedürfnißen und
aus ihrer instinktiven Geschmacksrichtung. Wenn wir
von der Gegenwart aus in übertriebenem geschichtlichem
Interesse die altertümlichen Formen, die nur für jene Zeiten
Sinn und Berechtigung hatten, wieder hervorsuchen um
damit unsere Neubauten zu kostümieren, so handeln wir
nicht in instinktivem Geschmack, sondern aus unklarer
Romantik, wir tun nichts anderes, als wenn wir zum Masken
ball gehen, uns eine Allonge-Perrücke aufsetzen und Knie
hosen anziehen. Aber um zwecklose Altertümelei zu treiben,
dazu ist unsere Zeit doch zu groß und zu ernst und sind
die Aufgaben der Stadtverwaltungen zu vielseitig und ver
antwortungsvoll.
Die Dresdner Städte-Ausstellung des vergangenen Som
mers hat viel lehrreiches Material für die Bestätigung dieser
eben entwickelten Anschauung, die zwar in schroffem Ge
gensätze steht zu einer sehr weit verbreiteten Anschauung