DER STÄDTEBAU
54
vielleicht auf den ersten Blick etwas Anmutendes haben
mag. Die sich erweiternde Stadt bleibt auch in ihren neuen
Teilen Stadt und soll einen dementsprechenden Charakter
tragen. Wer will Überhaupt heute im Zeitalter einer ganz
außerordentlichen Städteentwicklung einer Stadt eine Grenze
ziehen und sagen, bis dahin dürfe sie sich noch als Stadt
fühlen und ausgestalten, weiter draußen aber habe sie den
städtischen Charakter abzustreifen und allmählich aufzu
gehen im Lande? Liegen doch Straßen, die heute noch in der
Tat den Übergang von der Stadt aufs Land darstellen, bei
der raschen Ausdehnung der Stadt vielleicht schon in we
nigen Jahren inmitten des eigentlichen städtischen Verkehrs
und haben diesen zu vermitteln! Dann aber tragen die
daran gelegenen Häuser jedenfalls nicht mehr mit Recht
einen landhausartigen Charakter und die Forderung hieraut
erscheint dann als die Forderung einer Unwahrheit, eines
Widerspruches zwischen Zweck und Bedeutung der Straße.
Wirtschaitliches Leben pulsiert nur in Straßen, wo die ge
werblichen und kommerziellen Veranstaltungen gedrängt
sind. Man stelle sich den Kern unserer Großstädte aus
Häusern mit Abständen und Vorgärten vor. Wenn dort
jetzt für unser Gefühl und unsere Bedürfnisse zu eng gebaut
ist, so wäre es doch eben so unzweckmäßig, wenn solche
Stadtteile mehr als nötig auseinander gezogen wären. Das
wird auch kaum jemand in Abrede stellen, man bildet sich
aber ein, es handle sich von jetzt an nur noch um Stadt
teile, die dauernd die Peripherie der Stadt bilden und stets
bloß der Befriedigung des Wohnbedürfnisses dienen werden.
Das ist aber ganz grundlos. Die Neuheranziehenden treiben
Gewerbe im gleichen Prozentsatz wie die jetzt schon in der
Stadt Wohnenden, und wenn diese neuen Gewerbe auch
teilweise die inneren Stadtteile aufsuchen werden und die
dort Wohnenden verdrängen und sie veranlassen, ihre Woh
nungen an der Peripherie zu suchen, so ist dies doch nur
zu einem Teil der Fall, und es muß daher auch im Stadt
erweiterungsgebiet Gelegenheit zur Ansiedlung von Gewerbe
und Handel geschaffen werden. Daraus ergibt sich die Not
wendigkeit der Unterscheidung von Geschäfts- und Wohn
straßen im engeren Sinne, die nicht ohne weiteres nach den
gleichen Grundsätzen behandelt werden, können. Für die
Geschäftsstraßen, die den durchgehenden Verkehr zu ver
mitteln haben, ist die geschlossene Bauweise unzweifelhaft
auch für Stuttgart die einzig zweckmäßige, wie sie auch in
anderen Großstädten für solche Zwecke allenthalben fest
gehalten wird. Die Zulassung solcher Straßen ist nötig im
Interesse der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung der
Stadt. Es ist aber auch unökonomisch, gerade an solchen
Straßen den wertvollen Vorderpiatz zu vergeuden zu Ab
ständen, die für den Verkehr ebenso hinderlich sind, als
sie das gute Aussehen der Stadt und der betreffenden Straßen
schädigen.“
Dieser kurze Auszug mag einen Begriff geben von den
allgemeinen Grundsätzen, die nunmehr in Stuttgart die lei
tenden sein sollen und die geradezu einen Bruch mit den
bisher nicht bloß in Stuttgart betätigten Anschauungen über
Stadterweiterungen und Bauordnungen bedeuten. Den Fach
genossen sei das Studium des Druckwerks eindringlich em
pfohlen. Was bei der Bebauung der südlichen Berglehne
von der NeckarstraBe und derHauptstätter Straße aufsteigend
bis zum Kanonenwege und zur Olgastraße sowie an den
Berghängen im Norden bis zur Jäger- und der Rosenberg
straße usw. gegen den Geist der Städtebaukunst gesün
digt worden ist, kann allerdings nicht wieder gut gemacht
werden. Professor Theodor Fischer hat in einem Vortrage
,,Stadterweiterungsfragen mit besonderer Rücksicht auf
Stuttgart“, der im Druck mit 32 Abbildungen in der Deut
schen Verlagsanstalt zu Stuttgart 1903 erschienen ist und
auf dessen geistvolle Ausführungen an dieser Stelle noch
besonders aufmerksam gemacht wird, den Weinbergsweg
vor und nach dem Ausbaue der Straße, die Sonnenbergstraße
und den früheren Sonnenbergweg, die Karlshöhe in der
Nüchternheit gleichmäßiger Bebauung und demgegenüber mit
idealer Bekrönung durch ein öffentliches Gebäude usw. in
Bildern vorgeführt, die in äußerst anschaulicherWeise dar
stellen, wie wenig Rücksicht auf die natürlichen Verhält
nisse bei der Anlage der Straßen genommen worden, und
wie auch nicht ein Hauch der früheren Poesie auf die
neuen Straßenanlagen übergegangen ist.
Doch darüber hinaus ist noch freies Feld zur Betäti
gung künstlerischer Auffassung, wenn auch manche bereits
festgestellte Fluchtlinie wieder abgeändert oder ausgemerzt
werden muß. Durchweg handelt es sich hier um städti
sche Bebauung auf Berghöhen. Das Stuttgarter Tal ist
nach Südwesten geöffnet und die Hauptwindrichtung geht
ebenfalls dahin, wie in einem dem obengenannten Werke
angehängtenhygienischen Gutachten ausgeführt wird, Frische
Luft wird von oben her über die Häuser an den Berghängen
hinweg der Stadt zugeführt, indem der Luftstrom sich in
Wogen und Wirbeln in die Tiefen des Tales, in die Straßen
und Höfe einsenkt. Bei dieser Art der Luftbewegung können
Gebäude, seien es frei- oder in der Reihe stehende, die
Luftzufuhr niemals abschneiden und darum kann auch
hier nach Bedarf eine geschlossene Bebauung unbedenk
lich zugelassen werden.
Von den nunmehr durchgedrungenen Anschauungen
sollen im folgenden einige Teilpläne Kunde geben, die
Herr Oberbürgermeister Gauß mir in zuvorkommendster
Weise zur Veröffentlichung überlassen hat.
Vorangestellt sei zu diesem Zwecke eine Abbildung
— siehe Tafel 28, Abbildung a des in Dresden auf der Städte
ausstellung gewesenen Modells — der Gesamt-Stadtlage
mit den geplanten Erweiterungen, die sich den natürlich
gegebenen Verhältnissen auf das beste anpassen. Als der
interessanteste der Pläne ist mir der vonProfessorTh.Fischer
aufgestellte, für das im Westen der Stadt gelegene Gelände,
das sich rechts von der Silberstraße und Bergstraße, und zwar
von der Forstsfraße als der unteren Grenze bis zur Gäubahn
hin erstreckt, etwa von der Höhenkurve 280 bis 336 bez. von
292 bis 346 also um rund 55 m ansteigend, interessant nicht
allein an sich wegen seiner meisterhaften Straßenführungen,
sondern auch wegen seiner Entstehungsgeschichte, die für die
Entwicklung des modernen Städtebaues ein ausgezeichnetes
Beispiel bietet. Die Pläne auf den Tafeln 26, 27 u. 28 spiegeln
die hauptsächlichsten Phasen dieser Entwicklung wieder bis
zum gegenwärtigen Stande derStädtebaukunst. AufTafel 26/27
Abbildung a ist der festgestellte Plan aus den Jahren 1860 bis
1870 dargestellt, das ein nur von der Schwabstraße schief
durchsetztes Rechtecknetz über das ansteigende Gelände ge
breitet hat. Auf einen kreisrunden Platz sollten einige Diago
nalstraßen zusammenlaufen, im ganzen vier Straßenzüge und
zwei Straßenstumpfe, die an der steilen Berghöhe einfach
aulhörten, wie in Verlegenheit darüber, was nun wohl weiter
geschehen solle. Nach diesem Schema, das keine Rück
sicht auf vorhandene Weggrenzen und Steigungen nahm,