DER STÄDTEBAU
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ohne ernste gesundheitliche Nachteile in Kauf nehmen zu
müssen.
Etwaige Schwierigkeiten, die sich der Gewinnung einer
günstigen Lage der Gebäudeaußenwände zur Sonne ent
gegenstellen, müssen daher durch den Bebauungsplan be
seitigt werden. Nicht geht es an, dieser Schwierigkeit in
Großstädten durch die Anwendung der halboffenen Bau
weise begegnen zu wollen- Nur dort, wo die Gesamt
straßenkosten belanglos bleiben, z. B. in ländlichen Gebieten,
ist die offene und die halboffene Bauweise für Kleinwoh
nungen ohne Schaden durchführbar.
.Die Freilage des Kleinwohnungshauses durch
höheren Geld-Aufwand zu erkaufen, ist aber nicht nur ein
volkswirtschaftlich falsches Beginnen, sondern es hat stets
auch gesundheitliche Nachteile im Gefolge: Je höher die
Mietpreise ausfallen, um so dichter werden die Wohnungen
belegt, weil entweder die Mieter Einschränkungen bei der
Wahl der Wohnung in Hinsicht auf Raumzahl oder Raum
größe sich auferlegen oder Aftermieter aufnehmen. Mit der
dichteren Belegung der Wohnung wächst die Ansteckungs
gefahr in genau dem gleichen Grade wie die Luftverschlech
terung. Die stärkere Durchlüftung des Blockinnern macht
sie nicht wett.
Untersucht man nun, was die Freilage des Kleinwoh-
mmgshauses oder die halboffene Blockanlage für Vorteile
schafft, dann müssen sie jenem gewichtigen Nachteile gegen
über als völlig bedeutungslos bezeichnet werden. Für den
Bewohner hat die Freilage des Hauses meist nur Nachteile.
Der Grundriß der Wohnung pflegt durch sie nicht ver
bessert zu werden. Es kommen vielmehr in der Regel
fensterlose Umfassungswände von Aufenthaltsräumen zur
Freilage, die hierdurch desjenigen Wärmeschutzes verlustig
werden, dessen die Kleinwohnung mehr als irgend eine
andere Wohnung bedarf, weil die Geldmittel zu einer aus
giebigen Heizung mangeln und die Möglichkeit fehlt, während
der heißesten Jahreszeit den Wohnort gegen eine „Sommer
frische“ zu vertauschen. Die stärkere Durchlüftung des
Blockinnern wirkt zwar in der warmen Jahreszeit günstig,
erhöht aber bei kaltem windigen Wetter die Wärmeableitung
ganz wesentlich. Der etwa mangelnde Wetterschutz macht
sich beim Kleinwohnungshaus ebenfalls in besonders un
günstiger Weise bemerkbar, weil er den Wassergehaltder vom
Schlagregen getroffenen Raumwände dauernd zu einem
hohen werden läßt. Denn im Kleinwohnungshaus findet
man allgemein bereits einen höheren Wassergehalt der
Wände als in den Wohngebäuden der Bessergestellten, weil
im ersteren mit der Heizung bis auf das Äußerste gespart
werden muß, die Wasserdampferzeugung aber eine erhöhte
ist infolge des dichteren Belegens und der geringeren Größe
der Räume sowohl, wie durch die in der Regel stattfindende
Benutzung der Aufenthaltsräume zum Kochen, Aufwaschen,
Reinigen der Babywäsche u. dgl. Auch die stärkere Wasser
verwendung zum Säubern der Fußböden tritt hinzu und
besonders ungünstig pflegt die unzureichende Anwendung
der Fensterlüftung wie etwa angelegter künstlicher Lüftungs
einrichtungen zu wirken.
Daß aber durch die offene oder die halboffene Bau
weise der Arbeiteransiedlungen Vorteile für die Allgemein
heit erwachsen sollten, muß ich stark in Zweifel ziehen.
Weder pflegt ihre architektonische Erscheinung hierdurch
erheblich zu gewinnen, noch der Einblick in die Höfe und
Gärten von Vorteil zu sein. Auch der Lärm, der vielfach
im Innern solcher Wohnhausblöcke entsteht, bleibt besser
in ihm zurückgehalten, als daß man ihn durch Bauwiche
zu weiteren Wohngebieten gelangen läßt. Das Bedürfnis
nach Ruhe ist tagsüber für die Kleinwohnungen ein sehr
geringes; erst abends pflegt es sich einzustellen, daher tritt
man dem Entstehen von Geräusch dort wenig oder gar
nicht entgegen. Sein Austritt zu anderen Wohngebieten ver
mag dagegen erhebliche Nachteile hervorzurufen.
Alles dieses spricht daher für die ausschließliche An
wendung der geschlossenen Bauweise in städtischen Klein
wohnungsgebieten und Arbeitersiedlungen, während die
Vorteile der offenen wie der halboffenen Bauweise für sie
so geringfügig auszufallen pflegen, daß sie als nennenswert
kaum bezeichnet werden können. Oder glaubt Stübben
etwa, daß dem Arbeiter mit dem Einblick der Vorüber
gehenden und Gegenüberwohnenden in seinen Hof oder
Gemüsegarten gedient sei? oder daß er großes Verlangen
nach verstärktem Windanfall trage? oder daß das Städte-
bildGewinn davontrage, wenn jedermann Einsicht zu nehmen
vermag, wie oft, wie viel und welche Wäsche im Block
innern der Arbeiteransiedlungen zum Trocknen gehängt
wird? Daß sie bei Anwendung der offenen oder halboffenen
Bauweise lustiger im Winde flattert, ist allerdings richtig,
auch wird sie rascher trocknen. Diese großen Vorzüge
zuzugeben bin ich gern bereit, glaube dennoch aber zu
der Ansicht berechtigt zu sein, daß die vollständige Um
schließung der Blöcke für Kleinwohnungen ebenso sehr im
Sinne ihrer Bewohner wie in dem der Allgemeinheit ge
legen ist.
Aus den vorstehenden Erörterungen geht hervor,
daß die geschlossene Bauweise, bei gesundheitsgemäßer
Gestaltung, der offenen Bauweise gegenüber wesentlich
größere Vorzüge aufweist als Nachteile. Auf eine solche
Gestaltung der geschlossenen Bauweise in den noch wenig
bebauten oder unbebauten Gebieten der Großstädte sollte
daher die Hygiene wirken. Denn das zu erstrebende Ziel
ist errreichbar und schafft ausschließlich Nutzen, während
die Durchführung der offenen Bauweise mindestens volks
wirtschaftliche Nachteile im Gefolge hat.
Wird ein Baublock mit Vordergebäuden beliebiger
Tiefenausdehnung in geschlossener Zeile umgeben, während
sein Inneres von Quer- oder Rückgebäuden frei bleibt*)
und zu Hausgärten dient, welche sich rings berühren, dann
lassen durch zweckmäßige Grundplangestaltung selbst weit
gehende Ansprüche an die Durchlüftung und die Lichtfülle
der Aufenthaltsräume, an den freien Ausblick in blühende,
grünende Gärten, an staubfreie reine Luft und an Ruhe
sich erfüllen.
Wohlbefinden und Wohlbehagen werden nicht durch
die geschlossene Bauweise als solche ungünstig beeinflußt,
sondern durch eine übermäßige Ausnutzung des Baulandes,
indem z. B. das Blockinnere durch Quer- und Rückge
bäude in Einzelhöfe von mäßigem oder geringem Umfang
aufgeteilt wird, welche die ebengenannten Ansprüche an
gesundes Wohnen nicht oder nicht in ausreichender Weise
zu erfüllen vermögen.
Derartige nachteilige Zustände aufzuheben ist auch die
offene Bauweise nicht ohne weiteres im Stande. Es ist
vielmehr die gleiche Fürsorge durch Bebauungsplan und
*) Niedere Rückgebäude für Stallungen, Wagenremise u. dgl. dürfen
ohne wesentlichen Schaden zur Ausführung gelangen. Ihr Abstand von
bewohnten Gebäuden muß jedoch mindestens ihrer Höhe gleich sein.