DER STÄDTEBAU
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Fahrstraße nach dem Hinterlande von Eßlingen mit der
Oberen Straße sowie mit dem zur Burg führenden Anstieg
und der Augustinerstraße. (Abb. b, Tafel 94 und b, Tafel 95).
Das Einbiegen in die Augustinerstraße ist wegen der sehr
bedeutenden Steigung -f 246,9 auf + 249,0 sehr schwierig
(etwa 2 m Steigung auf 12 m! Länge, so daß durch kleine
Umwege mit Futtermauern der Anstieg genommen werden
muß. Es ist also das gleiche System wie in Wimpfen,
dort einseitig, hier zweiseitig verwandt. Am Ende der
Rampe liegt der große Brunnen, wie unser Bild zeigt,
stark benutzt von den Küfern und Winzern; ein Treppchen
dahinter verkürzt dem Fußgänger den Weg.
Das letzte Beispiel betrifft das malerische Rothen
burg. Hier ist es der Anstieg zur Stadt, aus dem Taubertal
durch das Koboldzeller Tor, an der Vereinigung mit der
Unteren Schmidtgasse. Es ergibt sich ein ähnliches, hoch
malerisches Bild, in dessen Hintergründe die Tortürme des
genannten wie des inneren Spitaltores sich prächtig abheben
(Abb. c, Tafel 94 und a, Tafel 95). Auch hier Futtermauer,
Brunnen und Fußgängerabkürzung, keinerlei Erdarbeiten
zum Ausgleich der Oberfläche. Welch überraschende
Wirkungen in diesen Orten bei so einfacher Lösung*. Wie
einfältig muten den Kenner im Gegensätze dazu die be-
VOM FÜNFTEN TAGE
Von Dr. ing. ERNST VETTERLEIN, Darmstadt.
Am 26. und 27. September d. J. tagte zu Mainz unter
dem Protektorate Sr. Kgl. Hoheit des Großherzogs von
Hessen der fünfte Tag für Denkmalpflege. Die Tagung war
außerordentlich stark besucht, unter anderen von einer
großen Anzahl Vertretern von Regierungen, Gemeinden und
sonstigen Körperschaften. Dadurch erhielt der Kongreß
einen Untergrund, der es erhoffen läßt, daß sich die Er
gebnisse der wichtigen Verhandlungen in praktische Er
folge umsetzen.
Unter den Punkten der Tagesordnung waren einige,
die für den Städtebau eine nicht geringe Bedeutung besitzen.
So wurde besonders in den Verhandlungen über die
städtischen Bauordnungen imDienste derDenkmal-
pflege Fragen von großer städtebaukünstlerischer Wichtig
keit angeschnitten. Die Verhandlungen über Aufnahme,
Sammlung und Erhaltung von Kleinbürgerhäusern
mittelalterlicher Städte, über die der Stadtbauinspektor
Stiehl eingehend berichtete, warfen manches Streiflicht
auf moderne Wohnungsfragen. Von besonders spannendem
Interesse hätte die Verhandlung über die mit der Er
haltung des Berliner Opernhauses zusammen
hängenden Fragen werden können. Leider aber mußte
dieser Punkt von der Tagesordnung abgesetzt werden, da
der hierfür als Berichterstatter in Aussicht genommene
Professor Walle vor kurzem durch einen schnellen Tod
uns entrissen worden ist.
Umso umfangreicher gestaltete sich die Aussprache
über die beiden oben genannten Punkte, die jeweils durch
formvollendete Vorträge eingeleitet wurden.
Herr Stadtbauinspektor Privatdozent Stiehl führte etwa
folgendes aus: *
Die Mühe, die man auf die Erhaltung eines Besitzes
verwendet, hängt von der Wertschätzung ab, die man dem
sonders in Städten mit schwachen Bodenwellen so be
liebten Regelungen an, die darauf ausgehen, den letzten
Rest natürlicher malerischer Bodenbeschaffenheit durch
sorgfältiges Abgraben und Ausfüllen ganz zu verwischen.
Wie viel reizvolle Lösungen gehen dem Architekten hier
durch verloren, alle die feinen Überraschungen mit Futter
mauern; auf ihnen aufsitzenden Häusern oder nur Garten
mauern, Pavillons usw., die Schultze-Naumburg so treffend
zu schildern weiß; für sie bleibt kein Platz. Wie ange
nehm die Überraschung für den Baupiatzkäufer, wenn er
sich 3 m durch aufgefüllten Boden bis zum festen Grund
zur Anlage der Fundamente seines Wohngebäudes „durch
buddeln“ muß. Zweimaliger großer Geldverlust durch
überflüssige Erdarbeit, künstliche Zerstörung der künst
lerischen Werte; alles zuliebe dem schönen Wort: „Regu
lieren.“ Wieviel Geldmittel könnten da gespart und frei
werden für Straßenschmuck, Brunnen, Treppchen, ja selbst
Terrassenanlagen, wenn etwas mehr Sinn und Phantasie für
die natürliche schöne Wirkung der unverfälschten Boden
beschaffenheit vorhanden wäre. Wie es anders gemacht
werden kann, zeigen viele unserer historischen Städte; möchte
der Städtebauer den künstlerischen Werten nachgehen, die
sich ihm bei liebevollem Studium aus ihrer Anlage ergeben!
FÜR DENKMALPFLEGE.
Besitz entgegenbringt. So sind denn auch zuerst die großen,
in einer reichen Litteratur erschöpfend behandelten Denk
mäler der kirchlichen Baukunst, später auch die reicheren
Werke der Profanbaukunst in den Bereich der Denkmal
pflege einbezogen worden. Schlimmer steht es mit den
schlichten Denkmälern, den einfachen Bürgerhäusern, Das
ist umso bedauerlicher, als diese Denkmäler einer reißend
fortschreitenden Vernichtung anheimzufallen drohen. Aller
dings hat sich neuerdings die Literatur auch dieser lang
vernachlässigten Kinder angenommen. Aber diese For
schungen befassen sich meist mehr mit einzelnen Teilen,
und geben kein ganz richtiges Bild der Entwicklung, zu
mal manche Ausdrücke, deren sich die Literatur bedient,
provinziell eine verschiedene Bedeutung haben. Es fehlt
eben bisher ein übersichtlich geordnetes Anschauungs
material, etwa in der Art, wie jüngst das Bauernhaus eine
klare Darstellung gefunden hat. Die bisher bekannten
Einzelheiten sind fast immer den reicher ausgestalteten
Patrizierhäusern entnommen.
Es herrscht vielfach die Anschauung vor, als ob sich
das einfache Bürgerhaus aus dem niedersächsischen
Bauernhaus entwickelt hätte. Das Bauernhaus des Südens
ist von diesem wesentlich verschieden und demgemäß seine
Entwickelung eine andere. Demgegenüber weist das ein
fache Bürgerhaus in Nord und Süd einen merkwürdig
übereinstimmenden Typus auf, der auf eine gemeinsame
Urquelle hindeutet, die nun aber nicht das verschieden
gestaltete Bauernhaus sein kann. An der Hand von Skizzen
und Aufnahmen aus vielen Gegenden Deutschlands gibt
der Redner ein klares Bild dieses überall vorherrschenden
Bautypus. Trotz der Einheit des Grundrißschemas zeigen
die Beispiele eine reich wechselnde Fassadengestaltung,
bald mit starker Betonung der Vertikalen, bald mit