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1904
9. Heft
1.Jahrgang
DER STÄDTEBAU
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sozialen- Grundsätzen; geqründet-von
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EgJ VERLAG^ ERN\T WASHUTH, BERLIN.!
INHALTSVERZEICHNIS: Stadtbauplan, Enteignung und Umlegung. Von Dr. ing. J. Stubben, Berlin. — Architekt oder Landmesser? (Schluß.) Von
Alfred Abendroth, Hannover. — Fluchtlinienplan für das Bahnhofsgelände in Wiesbaden. Von Bornhofen, Wiesbaden. — Schöne Brunnen. Von Joseph
Aug. Lux, Wien. — Stadterweiterung der Stadt Helsingfors in Finnland. Von Valter Thom«£, Helsingfors. — Die Sammlung von deutschen Stadtplänen
auf der Dresdener Städteausstellung. Von C. Sitte, Wien. — Chronik.
Nachdruck der Aufsätze ohne ausdrückliche Zustimmung der Schriftleitung verboten.
STADTBAUPLAN, ENTEIGNUNG UND UM
LEGUNG.
Von DR. ING. J. STÜBBEN, Berlin.
In den Heften i, 2 und 3 dieser Zeitschrift findet sich
ein vom verstorbenen C. Sitte verfaßter Aufsatz mit der
Überschrift „Enteignungsgesetz und Lageplan“, in welchem
der größeren Berücksichtigung der Eigentumsverhältnisse
bei Aufstellung von Bebauungsplänen das Wort geredet
und ein allgemein gültiges Enteignungsgesetz als für den
Städtebau entbehrlich dargestellt wird. Ersteres ist zweifel
los richtig, letzteres ein Irrtum.
In den Abbildungen auf Tafel 65 u. 66 sind zwei Beispiele
mitgeteilt, welche zeigen, wie der Bebauungsplan durch
engeren Anschluß an die Eigentumsgrenzen leichter aus
führbar wird und zugleich an Reichhaltigkeit und Eigenartig
keit gewinnen kann. Beide Abänderungsentwürfe wurden
vom Unterzeichneten im vorigen Jahre aufgestellt, der
jenige für Oberlahnstein im Aufträge der Stadt, der für
Ravensburg im Aufträge eines gemeinnützigen Bau
vereins. In beiden Fällen sind die Stadtverwaltungen auf
die Anregungen eingegangsn.
Sitte hat in dem erwähnten Aufsatze versucht, im
gleichen Sinne an ausgeführte Bebauungspläne, die vor etwa
25 Jahren entworfen und in einer Denkschrift des Ver
bandes D. A. u. I. V. von 1897 als Unterlage für die Be
sprechung von Umlegungen skizzenhaft vorgeführt sind,
vorbildliche Verbesserungsvorschläge zu knüpfen. Auf
S. 33 der genannten Denkschrift heißt es; „Mögen auch in
den mitgeteilten Beispielen die Fluchtlinienpläne selbst
verbesserungsfähig sein, so dürfte aus denselben doch das
Wesen und der Nutzen der Umlegung zweifellos hervor
gehen“. Indem Sitte, obschon unter gewissen Vorbehalten,
solche Verbesserungsvorschläge akademischer Art vor
legte, begab er sich in die Gefahr dessen, der an die
Lösung einer Stadtbauplanfrage herantritt, ohne die ört
lichen Vorbedingungen zu kennen. So ist es erklärlich,
daß seine Vorschläge für Hannover und Köln zwar gut
gemeint sind, aber von vornherein unausführbar gewesen
wären. In Köln unterdrückt er (vergl. Abb. B auf
Tafel 1 — siehe Heft 1 — und im Textbilde auf S. 128) die
Bismarckstraße, weil ihm nicht gegenwärtig war, daß
diese Straße eine von Ursprung an für den Straßenbahn
verkehr bestimmte Hauptverbindung von zwei Stadttoren
(dem Mastrichter und dem Venloer Tore) nach der nörd
lichen Hälfte der großen Ringstraße ist. Wären nicht
Verkehrsgründe maßgebend, so würde mancher Bebau
ungsplan ganz anders aussehen. Dabei soll gar nicht ge
leugnet werden, daß der Unterzeichnete den in Rede
stehenden Ausschnitt des Kölner Stadtbauplans heute ver
mutlich nicht ganz so gestalten würde, wie es vor einem
Vierteljahrhundert geschehen ist; denn, so pflegte einer
meiner Lehrer drastisch zu sagen, nur ganz alte Esel
lernen nichts mehr zu. Aber der Sittesche Verbesserungs
vorschlag ist für Ortskundige unannehmbar.
Im allgemeinen aber muß jeder, der auch nur wenige
Erfahrungen im Städtebau gesammelt hat, Sittes Mahnung
bestätigen, daß noch immer viel zu geometrisch in den