DER STÄDTEBAU
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nichten! Sondern ganz im Gegenteil, daß man vernünf
tigerweise einen solchen Lageplan nicht machen darf, der
keinerlei Rücksicht auf die vorhandenen Wege und Eigen
tumsgrenzen nimmt. Es fragt sich nur, ob das auch ge
leistet werden kann, und diese Möglichkeit soll Abbildung a
dartun.
Ganz selbstverständlich muß die Richtung des alten
Fahrweges als Straße beibehalten werden, denn jeder solche
alte Weg hat seine meist mehrhundertjährige Geschichte
hinter sich und bedeutet eine natürliche Verkehrsnotwen
digkeit. Die zweite schon von Natur aus gegebene Linie
ist die das Grundeigentum trennende Linie mn. Diese Linie
muß in einen neuen Straßenzug hineingelegt werden, ent
weder in die Mitte desselben oder, wenn man einen mehr
senkrechten Stoß der Ackerparzellen gegen die Straßenflucht
wünscht, in einen S-förmig geschwungenen Straßenzug. Die
Ausgleichung kann auch durch keilförmige Vorgärten ge
schehen oder durch Abtreppung der Straße mit Einschiebung
eines kleinen sogen. Turbinenplatzes. Diese letzte Variante
ist in Abbildung 2 gewählt, um zu zeigen, wie gerade hier
durch vorteilhaft verwendbare Bauplätze entstehen. Der
Eckbauplatz B hat 17 m Breite auf der Schmalseite des vor
handenen Baugrundes, also gerade dasjenige Maß, welches
eine gute Eckhauslösung mit guter Zimmerteilung und Trep
penanlage zuläßt. Die Eckbauplätze A und C haben 18 m
Breite und D sogar 25 m. Außerdem haben die Zimmer
fenster in der Richtung der eingezeichneten Pfeile die sehr
angenehme und daher wertvolle Aussicht in die gegenüber
liegende Straßenflucht und eben deshalb keine unmittelbar
herüberschauende Nachbarschaft. Grade diese Vorteile be
kommt man nur durch das Versetzen der Straßenarme so,
daß sie nicht nach der strengen, aber gänzlich zwecklosen
Regel des geometrischen Städtebaues in einer steten graden
Flucht durchlaufen. Würde man eines der vier Eckhäuser
noch obendrein um 4 bis 5 m zurückversetzen und dort einen
Vorgarten anordnen, an dessen Ecke auch ein Brunnen oder
ein Standbild oder eine kleine Wartehalle gestellt werden
könnte, so würde der kleine Platz mit geringfügigen Mitteln
auch noch den Reiz des Grünen und der künstlerischen
Ausgestaltung gewinnen und zweifellos auch so zur leichten
Orientierung imHäusergewirrebeitragen, was alles der bloßen
Abliniierung regelmäßiger rechteckiger Baublöcke mangelt.
Die Seitengasse EF kann gemacht werden oder auch weg
bleiben, je nach dem Zusammenhänge mit den übrigen Stadt
grenzen. Nun sehe man diesen Plan daraufhin an, ob da
nicht sofort überall gebaut werden kann oder auch nicht,
ohne Rechtsstreit, ohne Beeinträchtigung des Privateigen
tums, ohne Zwangsmaßregeln. Es ist sicher: zu dieser
Straßenführung und Baublockhildung ist keinerlei Ent
eignungsgesetz nötig, jeder behält seine Eigenbestimmung,
und jeder hat seinen Vorteil dabei.
Genau so wie bei diesem Beispiele verhält es sich
ausnahmslos mit sämtlichen bisher überall durchgeführten
und veröffentlichten Umlegungen und Zusammenlegungen
mittelst Enteignung in Mainz, Heidelberg, Zürich, Manchester,
Florenz, Neapel, Budapest, Agram, Ostrau, Bielitz, Brüssel
u. s. f.*) Nirgends ist man bei der Planverfassung von den
*) Eine grössere Anzahl solcher UmlegungscntwUrfe ist in dankens
werter Weise veröffentlicht in dem 1897 erschienenen Werke von B. Bau
meister, J, Claassen und J. Stübbcn: „Die städtischen Grundstücke und die
Zonenenteignung“ und in dem vortrefflichen Werke von E. Genzmer:
„Die städtischen Strassen 1897“.
Eigentumsgrenzen und sonstigen von Natur aus gegebenen
Bedingungen ausgegangen, sondern überall wurde schon bei
der Aufstellung des Straßennetzes mit reiner Willkür ver
fahren, und nur deshalb mußte auch bei der Ausführung
Willkür das Werk leiten und das Zwangsverfahren ein-
greifen. Nur einwillkürlicherLageplan braucht Enteignungs
gesetze, ein naturgemäßer praktischer kann sie entbehren.
Man kann es oft gar nicht begreifen, bis zu welchem
Widersinn das geometrische Konstruieren von Lageplänen
kommen kann. Als Beispiel hierzu sei eine von berufs
mäßigen Parzellierungsgeometern verfaßte und veröffent
lichte Straßenführung in Olmütz der von der Stadtgemeinde
festgesetzten und ausgeführten gegenübergestellt in Abbil
dung 3 und 4. In beiden Abbildungen bedeutet die punktierte
Linie am oberen Rande die Grenze des Stadtgebietes an einer
Stelle im Norden von Olmütz. Die von der Stadtverwaltung
angenommene Parzellierung (Abb. 4) folgt dieser Gebiets
grenze, was doch unbedingt nötig und gradezu selbstver
ständlich ist. Der ältere Plan (Abb. 3) nach geometrischer
Schule liniiert aber seine Baublockrechtecke auch über die
Stadtgebietsgrenze fort. Soll man so etwas noch für mög
lich halten? Wer soll denn auf einem Bauplatz bauen, der
zur Hälfte in der Stadt zuständig ist und zur Hälfte in der
Nachbargemeinde? Wo soll man da Steuer zahlen? wo sein
Wahlrecht ausüben? u. s. w.
Interessant ist es zu sehen, wie stetig bei der Straßen
führung nach Eigentumsgrenzen Straßennetze ganz von selbst
entstehen, die ganz den Typus unserer unregelmäßig ge
gliederten Altstädte zeigen, neben denen dann die schema
tischen Regelungen grade in ihrer gewaltsamen Willkür
höchst auffallend erscheinen. Dies zeigt sich deutlich An
den beiden auf Tafel 1 gegenübergestellten Lösungen eines