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Full text: Der Berliner Arbeitsmarkt (Rights reserved)

Der Berliner Arbeitsmarkt Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger imPreSSum inHAlt Hartz-IV-Hauptstadt und rote Laterne − das Bild des Berliner Arbeitsmarktes in der Öffentlichkeit 5 Wie es ist − Analyse der spezifischen Arbeitsmarktsituation in Berlin 7 Was Berlin braucht – Acht iHk-Vorschläge zur reduzierung der Arbeitslosigkeit 1. Gemeinsam zum Erfolg − Länderübergreifende Arbeitsmarktstrategie 2. Migranten als Kunden − Konsequentes Diversity-Management 3. Vor Ort aktiv − dezentrale Ansätze für belastete Kieze 4. Betriebsnah statt schulisch – Qualifizierung für den Arbeitsmarkt 5. Der Mittelstand als Jobmotor – Neuausrichtung des Arbeitgeberservice 6. Beziehungspflege zu Unternehmen – Qualifizierung nach Bedarf der Wirtschaft 7. Konkurrenz belebt das Geschäft − Stärkung privater Anbieter 8. Vorfahrt für Arbeit − Politik zur Erleichterung von Beschäftigung 16 17 18 19 20 22 23 24 25 fazit: Der Arbeitsmarkt als Hoffnungsträger – eine Vision für Berlin 26 Herausgeber IHK Berlin Fasanenstraße 85 10623 Berlin Telefon: +49 30 31510-0 Telefax: +49 30 31510-166 E-Mail: service@berlin.ihk.de www.ihk-berlin.de redaktion Bereich Wirtschaftspolitik Telefon: +49 30 31510-293 E-Mail: wirtschaftspolitik@berlin.ihk.de gestaltung Thomas Röthlich IHK Berlin fotos Titel: © SVLuma - Fotolia.com | Seite 4: © H-J Paulsen - Fotolia.com | Seite 17: © IHK Berlin Druck Druckerei Hermann Schlesener KG Ullsteinstraße 108 12109 Berlin |3 Vom SorgenkinD zum HoffnungSträger Hartz-IV-Hauptstadt und rote Laterne − das Bild des Berliner Arbeitsmarktes in der Öffentlichkeit „Es ist wie verhext“, so beschrieb kürzlich eine Berliner Tageszeitung die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit in der Hauptstadt trotz ordentlichen Wirtschaftswachstums noch immer erschreckend hoch ist. Andere umschreiben die Lage am Berliner Arbeitsmarkt weniger charmant. Danach sei Berlin die „Hartz-IV-Hauptstadt“, Schlusslicht im Bundesländervergleich bei der Arbeitslosenquote und biete überhaupt schlechte Aussichten für Arbeitslose, wieder reguläre Beschäftigung zu finden. Stattdessen uferten künstliche Beschäftigungstherapien wie Arbeitsgelegenheiten (sog. „Ein-Euro-Jobs“) aus, ohne dass daraus eine Perspektive für die Betroffenen entstünde. Zusammenbruch des Industriestandortes nach der Wiedervereinigung Egal zu welcher Aussage man tendiert, der Arbeitsmarkt ist am Wirtschaftsstandort Berlin seit Jahren das Sorgenkind schlechthin. Dass die Hauptstadt im Vergleich zu anderen Regionen auch in Ostdeutschland so schlecht dasteht, hat viele Gründe. In erster Linie ist es historisch bedingt. Mehr noch als die neuen Bundesländer hatte Berlin nach der Wiedervereinigung mit vielschichtigen Problemen zu kämpfen: Im Ostteil der Stadt mit maroden, staatlich geführten Industriebetrieben, die den Umstieg zur Marktwirtschaft nicht bewältigen konnten. Im Westteil dagegen mit hoch subventionierter Massenproduktion, die durch den innerhalb von vier Jahren nach der Wiedervereinigung vollzogenen Auslauf der Berlin-Förderung nicht mehr konkurrenzfähig war. Hinzu kam der in beiden Teilen der Stadt ausufernde öffentliche Dienst, in dem der erforderliche Stellenabbau bis heute nicht abgeschlossen ist. Was zu Zeiten der geteilten Stadt durch Subventionen in beiden Teilen künstlich kaschiert wurde, trat nach der Wiedervereinigung umso deutlicher zu Tage. Der einst stolze Industriestandort Berlin hatte durch fehlende Innovationen und hohe Produktionskosten im Wettbewerb mit anderen Regionen das Nachsehen. Erfolgreicher Strukturwandel in der Wirtschaft Vieles hat sich seitdem geändert. Nach langen Jahren, in denen Berlin fast ausschließlich auf Dienstleistungen und Tourismus setzte, besinnt sich die Stadt wirtschaftlich auf ihre Stärken. Eine neue Industrie- und Ansiedlungspolitik mit einer Cluster- und Kompetenzfeldstrategie, die systematisch die vielen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen der Stadt mit der Wirtschaft verbindet, trägt erste Früchte. Technologiestandorte wie Adlershof, Buch oder Marzahn sind entstanden, an denen die Berliner Unternehmen auf innovative Produkte statt billige Massenproduktion setzen, wodurch zugleich Arbeitsplätze für wissensintensive Dienstleistungen entstehen. Die einzelnen Erfolge machen sich auch auf dem gesamten Arbeitsmarkt bemerkbar: Seit dem Tiefpunkt im Jahr 2005 stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Hauptstadt um fast 17 Prozent. Zugleich strömen kontinuierlich neue Unternehmen, Gründer, Arbeitnehmer und Studenten in die Stadt, um an der Entwicklung teilzuhaben. |5 Der Berliner Arbeitsmarkt Arbeitslose profitieren (noch) nicht in ausreichendem Maße Auch die Berliner Arbeitslosigkeit hat sich im Zuge des Aufholprozesses spürbar verringert. Seit dem Höchststand im Jahr 2005 ist die Arbeitslosenquote um über fünf Prozentpunkte auf zuletzt 13,3 Prozent im Jahresdurchschnitt zurückgegangen. Noch immer ist sie damit allerdings unerträglich hoch. Vor allem für Langzeitarbeitslose, die circa ein Drittel der in Berlin registrierten Arbeitslosen ausmachen, fehlen Beschäftigungsperspektiven. Andere ostdeutsche Bundesländer waren bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erfolgreicher. In Thüringen, Sachsen und auch Brandenburg liegt die Arbeitslosenquote mittlerweile im einstelligen Bereich und nähert sich dem Bundesdurchschnitt. Leicht übersehen wird dabei jedoch der Einfluss des demografischen Wandels. Ein Gutteil des Rückgangs in den ostdeutschen Flächenländern dürfte schlicht darauf zurückzuführen sein, dass die ehemals Arbeitslosen das Renteneintrittsalter erreicht haben. Auch die Abwanderung Jüngerer hat sich entlastend auf die Arbeitslosenstatistik ausgewirkt. Arbeitslosigkeit schadet dem Standort Berlin Die öffentliche Wahrnehmung greift daher oft zu kurz und übersieht die zweifellos vorhandenen Fortschritte. Dennoch betrachtet die Berliner Wirtschaft die weiterhin angespannte Situation mit Sorge. Nicht nur nimmt das Image des Wirtschaftsstandorts Berlin Schaden, wenn die hohe Arbeitslosigkeit als prägnantestes Merkmal der Hauptstadt bei jedem Standortvergleich angeführt wird. Vor allem kann sich die Wirtschaft in Zeiten knapper werdender Fachkräfte und steigender Probleme bei der Besetzung offener Stellen brach liegende Erwerbspersonenpotenziale nicht leisten. Nicht zuletzt braucht Berlin eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit auch, um eine Entlastung des Landeshaushalts bei Sozialausgaben zu erreichen und so die dringend benötigte weitere Konsolidierung zu ermöglichen. Mit dem vorliegenden Positionspapier greift die IHK Berlin diese Herausforderungen auf und erarbeitet Lösungsansätze. Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger Wie es ist − Analyse der spezifischen Arbeitsmarktsituation in Berlin Wie oben erläutert, ist die Höhe der Berliner Arbeitslosigkeit besonderen, Berlin-spezifischen Gründen zuzuschreiben. Natürlich findet man auch in der Hauptstadt Ursachen mit bundesweiter Gültigkeit vor, wie z. B. einen engen Zusammenhang von fehlender Bildung und Erwerbslosigkeit. Dennoch reicht eine derart weit gefasste Betrachtung nicht aus, um den Berliner Herausforderungen gerecht zu werden. Bundesweite Ansätze können zwangsläufig nicht auf regionale Gegebenheiten Rücksicht nehmen. Zur Erarbeitung von individuellen „Berliner Lösungen“ bedarf es daher zunächst einer tieferen Analyse der hiesigen Struktur der Arbeitslosen. In der Folge werden die aus Sicht der Wirtschaft wichtigsten spezifischen Merkmale des Berliner Arbeitsmarktes erörtert. Stadt und Umland − Räumliche Besonderheiten in Berlin-Brandenburg Für ein besseres Verständnis der Berliner Arbeitslosigkeit ist zunächst eine Einordnung der hohen Arbeitslosenquote in der Region hilfreich. Wie die anderen Stadtstaaten zeichnet sich auch Berlin durch eine enge Verflechtung mit seinem Umland aus. Das engmaschige Verkehrsnetz zog im Jahr 2010 allein aus Brandenburg fast 180.000 Pendler in die Hauptstadt, davon über 140.000 aus den angrenzenden Umlandgemeinden. Im Gegenzug fuhren nur gut 70.000 Berliner zur Arbeit ins Nachbarbundesland − über 84 Prozent davon ins Berliner Umland. Per Saldo pendelten im Jahr 2010 allein aus dem direkten Umland knapp 82.000 Personen mehr nach Berlin als umgekehrt. Pendlerströme Berlin-Brandenburg 2000 - 2010 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit Wohn- bzw. Arbeitsort in Brandenburg 200.000 179.258 175.000 141.159 150.000 125.000 100.000 50.000 25.000 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Einpendler aus Brandenburg Auspendler nach Brandenburg 6|  59.367 38.099 11.194 70.561 75.000 2010 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Einpendler Berliner Umland* Auspendler Berliner Umland* Einpendler weiterer Metropolenraum* Auspendler weiterer Metropolenraum* |7 Der Berliner Arbeitsmarkt Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger Derartige Agglomerationseffekte sind typisch für Ballungsräume und zeugen nebenbei bemerkt von der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Berlin. Sie wirken sich jedoch negativ auf die Berliner Arbeitslosenstatistik aus. Während die Beschäftigungsstatistik zumeist den Arbeitsort als Basis nimmt, werden die Arbeitslosen am Wohnort ausgewiesen. Ein in der Hauptstadt arbeitender Brandenburger erhöht folglich die Berliner Beschäftigtenzahlen, ohne jedoch die hiesige Arbeitslosenquote zu entlasten. Neben der hohen Zahl der nach Berlin neu zuziehenden Arbeitnehmer ist dies der Hauptgrund für das in den vergangenen Jahren mehrfach zu beobachtende Paradoxon, nach dem die Zahl der Beschäftigten in Berlin ansteigt, während die Zahl der Arbeitslosen gar nicht oder nur unterproportional zurückgeht. führt nämlich auch zu einer Verschiebung der in Berlin erzielten Einkommen in die angrenzenden Regionen. Während ein Berliner Einwohner im Mittel auf 90,5 Prozent der bundesweiten Durchschnittskaufkraft kommt, liegt dieser Wert insbesondere in den südwestlichen Umlandgemeinden deutlich über 100 Prozent. Im gesamten Ballungsraum Berlin liegen neben der Hauptstadt selbst einzig die Stadt Potsdam und die Gemeinden im Landkreis Oder-Spree unter dem Bundesdurchschnitt. Berliner Umland im Bundesdurchschnitt Wichtiger als die skizzierten statistischen Effekte ist jedoch die dahinterstehende Bedeutung. Die 140.000 Einpendler aus dem Berliner Umland entsprechen über zwölf Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Hauptstadt. Demnach ist es nur folgerichtig, für den Ballungsraum Berlin von einem gemeinsamen Arbeitsmarkt zu sprechen und diesen auch entsprechend auszuwerten. Die Arbeitslosenquote des Berliner Umlandes liegt mit 7,0 Prozent im Jahresdurchschnitt noch unter dem Bundesdurchschnitt. Gemeinsam mit der Quote des Landes Berlin kommt der Ballungsraum auf einen Wert von 11,9 Prozent. Zweifellos ist auch das noch viel zu hoch, allerdings über einen Prozentpunkt niedriger als die „offizielle“ Arbeitslosenquote Berlins, die sich an politischen Ländergrenzen statt an wirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert. Bei realistischer Betrachtung ist die Lage des Ballungsraums Berlin daher nicht so verheerend wie die nach Bundesländern unterscheidende Statistik suggeriert. Dies muss bei etwaigen Lösungsansätzen der Berliner Herausforderungen berücksichtigt werden. Insbesondere gilt es, die Stärken Berlins, die sich im Umland manifestieren, für die Stadt selbst zu nutzen. Gleichwohl soll und darf die Anpassung der Statistik kein Anlass zur Entwarnung sein. Die Herausforderungen am Berliner Arbeitsmarkt sind erst gelöst, wenn sich auch die Daten innerhalb der Stadt an das Bundesniveau anpassen.   Herkunft entscheidend − der Einfluss des Migrationshintergrundes auf Erwerbschancen Ergänzend zur Arbeitsmarktstatistik verdeutlicht ein Blick auf die Kaufkraftdaten der GfK die Bedeutung der Umlandgemeinden für den Ballungsraum Berlin. Das hohe Pendleraufkommen Neben den regionalen Besonderheiten eines Stadtstaates zeichnet sich Berlin durch einen enorm hohen Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund aus. Fast ein Viertel (24,3 Prozent) aller Berliner haben ausländische Wurzeln. Bei den unter 18-Jährigen ist es mit 42,9 Prozent sogar fast die Hälfte, sodass der Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung – insbesondere bei Personen im erwerbsfähigen Alter – in Zukunft noch deutlich zunehmen dürfte. Es überrascht, dass trotz dieser immensen Bedeutung nur unzureichende Daten über die Verbreitung von Arbeitslosigkeit unter Migranten existieren. Die Arbeitslosenstatistik unterscheidet bislang nur nach Staatsangehörigkeit − also zwischen Deutschen und Ausländern − Arbeitslosenquoten in Berlin-Brandenburg im Jahresdurchschnitt 2011 Erwerbslosenquoten nach Alter und Migrationshintergrund 15 30 Pendler erzeugen hohes Kaufkraftgefälle 12 13,3 25 12,8 25,5 11,9 10,7 20 20,1 9 15 7,0 6 3 8| 0 5 Berlin Berliner Umland Ballungsraum Berlin* Äußeres Brandenburg 0 Brandenburg 7,2 8,8 15-25 9,4 16,1 15,0 13,5 14,8 9,4 7,7 25-35 Deutsche ohne Migrationshintergrund  16,9 12,0 10 *Berlin inkl. Berliner Umland Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnung 15,5 Quelle: Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen, Gender Datenreport Berlin 2010 7,4 35-45 45-55 Deutsche mit Migrationshintergrund 55-65 Ausländer |9 Der Berliner Arbeitsmarkt Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger vernachlässigt aber eine getrennte Ausweisung von Migranten mit deutschem Pass. Einzig der Mikrozensus bietet Daten zur Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund. Eine tiefere Analyse ist damit aber nur schwer möglich. losenquote (Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte) sehr hohe Bewohneranteile an Migranten (zwischen 34 und 44 Prozent), aber auch in Bezirken mit unterdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit wie Charlottenburg-Wilmersdorf oder Tempelhof-Schöneberg besitzt noch ca. ein Drittel der Einwohner einen Migrationshintergrund. Umgekehrt weisen die Bezirke SteglitzZehlendorf und Reinickendorf sehr große Differenzen bei ihren Arbeitslosenquoten auf, obwohl sie sich hinsichtlich ihres Migrantenanteils kaum unterscheiden. Erwerbschancen von Migranten sind keine Frage des Alters Wie wichtig eine genauere Erfassung der Herkunft wäre, zeigt ein Blick auf die wenigen vorhandenen Daten: Über alle Altersklassen hinweg tritt Erwerbslosigkeit bei Menschen mit Migrationshintergrund häufiger auf als bei Berlinern ohne ausländische Wurzeln, und zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Auch wenn Arbeitslosigkeit bei Ausländern in der Regel noch stärker verbreitet ist, überrascht die Eindeutigkeit der Zahlen. Mit erstaunlicher Ähnlichkeit liegt die Erwerbslosenquote von Migranten mit deutschem Pass in allen mittleren Altersgruppen um ca. sechs Prozentpunkte höher als die der Einheimischen ohne Migrationshintergrund. Zu prüfen ist, ob die geringere Differenz bei Jüngeren auf erste Verbesserungen der Arbeitsmarktchancen von Migranten oder nur einen evtl. früheren Eintritt ins Arbeitsleben zurückzuführen ist. In jedem Fall verdeutlicht die Diskrepanz, dass es dringend gezielter Handlungsansätze für diese Bevölkerungsgruppen bedarf. Herkunftsland hat großen Einfluss Dafür sind allerdings weitere Differenzierungen zwischen einzelnen Migrantengruppen unerlässlich. Auch hier mangelt es an brauchbarem Datenmaterial, da weder der Mikrozensus noch die Arbeitslosenstatistik die genaue Herkunftsregion von Erwerbs- bzw. Arbeitslosen ausweist. Ersatzweise hilft jedoch ein Blick auf die Arbeitslosigkeit in den Berliner Bezirken. Dabei zeigt sich, dass ein hoher Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund allein nicht zwangsläufig zu höherer Arbeitslosigkeit im Bezirk führt. Zwar haben die Bezirke mit der höchsten Arbeits- Ein Indiz für die unterschiedliche Auswirkung von Migrantenanteilen auf die Höhe der Arbeitslosigkeit in den Bezirken findet sich bei genauerer Betrachtung der dort vertretenen Migrantengruppen. In Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte sind vor allem Migranten türkischer und arabischer Herkunft sowie mit Wurzeln in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens vertreten. In Bezirken wie Lichtenberg oder Marzahn-Hellersdorf, die eine durchschnittliche Arbeitslosenquote aufweisen, trifft man dagegen vornehmlich auf Migranten aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion oder Vietnam. Diese Unterschiede lassen sicher noch keine abschließende Aussage dergestalt zu, dass das Herkunftsland eines Migranten der entscheidende Faktor für Erwerbschancen ist. Dennoch scheint es einen beachtenswerten Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung von Migranten zu haben. Im Umkehrschluss heißt dies, dass es unterschiedlicher Maßnahmen in den Berliner Bezirken bedarf, die auf die dort vorhandenen Migrantengruppen zugeschnitten sind. Was in MarzahnHellersdorf vergleichsweise gut funktioniert, kann in Neukölln durchaus scheitern, weil es den Anforderungen an die dortigen Arbeitslosen nicht Rechnung trägt. Dies ist insbesondere bei der Suche nach Lösungsansätzen für „Problemkieze“ zu berücksichtigen, in denen sich die Arbeitslosigkeit seit Jahren verfestigt hat und bisher übliche Maßnahmen nicht zu Erfolgen führten. Arbeitslosigkeit und Migrantenanteil in den Berliner Bezirken Migrantenanteil nach Herkunftsländern in ausgewählten Bezirken 50 12 10 40 8 30 6 20 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Der Beauftragte für Integration und Migration in Berlin, eigene Berechnung 4 10 0 0 Stegl.Trept- Pankow Tempelh.- Marz.- Charlbg- LichtenZehlend. Köpenick Schöneb. Hellersd. Wilmersd. berg Anteil Personen mit Migrationshintergrund (Juni 2010) 10 |  Quelle: Der Beauftragte für Integration und Migration in Berlin, eigene Berechnung 2 Span- Reinicken- Mitte dau dorf Friedrh.- Neukölln Kreuzb. Marz.-Hellersd. ehemalige Sowjetunion Arbeitslosenquote (Jahresdurchschnitt 2010)  Lichtenberg Vietnam Mitte Friedrichsh.-Kreuzb. ehemaliges Jugoslawien arabische Länder Neukölln Türkei | 11 Der Berliner Arbeitsmarkt Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger Ohne Abschluss wenig Chancen − Bildung als Schlüssel zur Erwerbsbeteiligung allgemeine Hochschulreife besitzen, kaum von dem ihrer Mitbürger mit ausschließlich deutschen Wurzeln unterscheidet, sind wesentliche Unterschiede bei der mittleren Reife und den Personen ohne Abschluss zu erkennen. Zusammengefasst erreichen 82 Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund mindestens den Realschulabschluss, während es bei den Migranten nur 60,7 Prozent sind. Wie eingangs erwähnt, besteht bundesweit ein enger Zusammenhang zwischen dem erreichten Bildungsstand und dem Risiko, arbeitslos zu werden. Für Berlin ist dies von besonderer Bedeutung, da fast 50 Prozent aller hier registrierten Arbeitslosen über keinen Berufsabschluss verfügen. Eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit in der Hauptstadt kann folglich nur gelingen, wenn das Qualifikationsniveau der Erwerbslosen systematisch gesteigert und gleichzeitig die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss deutlich reduziert wird. Dies gilt umso mehr, wenn es um die Verhinderung generationenübergreifender „Karrieren“ in Arbeitslosigkeit geht. Der enge Zusammenhang zwischen dem Schulabschluss Jugendlicher und dem Bildungsstand bzw. der Erwerbsbeteiligung der Eltern offenbart, dass bessere Bildung einer Generation direkte Auswirkungen auch für die Folgegenerationen hat, was Anstrengungen auf diesem Gebiet umso lohnender macht. Je besser der Abschluss, desto geringer die Arbeitslosigkeit Schon durch einen Hauptschulabschluss wird das Risiko der Arbeitslosigkeit spürbar geringer. Die Erwerbslosenquote der Hauptschulabsolventen liegt in Berlin um fast zehn Prozentpunkte niedriger als jene der Schulabgänger ohne Abschluss. Noch größer ist der Unterschied durch Erreichen der mittleren Reife, bei der die Erwerbslosenquote nur noch bei 12,9 Prozent und damit annähernd in Berliner Durchschnitt liegt. Die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit bleibt weiterhin die Erlangung der Hochschulreife. Noch dramatischer sind die Differenzen bei den höchsten beruflichen Abschlüssen. 42,8 Prozent der Migranten zwischen 25 und 65 Jahren haben weder eine Berufsausbildung noch ein Studium erfolgreich abgeschlossen. Demgegenüber müssen nur 13 Prozent der Berliner ohne Migrationshintergrund ebenfalls ohne jeglichen Berufsabschluss durch das Erwerbsleben gehen. Bei den unter 35-jährigen sind diese Werte ähnlich hoch. Auch bei denjenigen, die über einen Abschluss verfügen, zeigen sich Unterschiede: Während die Differenz bei tertiären Abschlüssen bei unter acht Prozentpunkten liegt, beträgt sie bei Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung über 22 Prozentpunkte. Mehr als die Hälfte der Berliner ohne Migrationshintergrund wählt diesen Weg der Ausbildung, bei Migranten sind es unter 30 Prozent. Besonders besorgniserregend ist dies, weil in immer mehr Unternehmen nicht nur akademische Fachkräfte sondern auch solche mit abgeschlossener Berufsausbildung fehlen. Bislang werden hier also große Chancen vertan, die Erwerbschancen von Migranten wirksam zu verbessern. Das gilt auch für Schulabgänger mit einem schwachen oder überhaupt keinem Abschluss. Eine geeignete Vorqualifizierung und die Motivation der Beteiligten vorausgesetzt, können sich auch in dieser Gruppe Chancen bieten, über eine Berufsausbildung den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden. Wie schon im vorangegangenen Kapitel lohnt auch hier wieder ein genauerer Blick auf die Auswirkung eines Migrationshintergrundes. Während sich der Anteil der Migranten, die die   Erwerbslosenquoten nach Schulabschluss Höchster erreichter allgemeinbildender Abschluss nach Herkunft 40 40 35 37,9 37,0 25 20 20 15 15 12,9 10 ohne Schulabschluss Hauptschulabschluss Mittlere Reife 19,3 16,4 16,2 10 9,1 5 23,0 Fachhochschulreife 5 6,8 0 allg. Hochschulreife 5,5 1,8 ohne Schulabschluss Hauptschulabschluss mit Migrationshintergrund 12 |  37,9 30 28,2 25 0 39,5 35 30 Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Mikrozensus Wenig Migranten mit beruflicher Ausbildung  Mittlere Reife Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Mikrozensus 3,5 Fachhochschulreife allg. Hochschulreife ohne Migrationshintergrund | 13 Der Berliner Arbeitsmarkt Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger Anonymität und fehlendes Verständnis − Kommunikation zwischen Arbeitsagenturen und Unternehmen und Jobcenter hinsichtlich des Vorgehens von Unternehmen bei der Mitarbeitersuche. Nicht die Maßnahme oder das Förderprogramm, mit dem eine finanzielle Unterstützung erzielt werden kann, steht dabei für die Unternehmen im Vordergrund, sondern die richtig qualifizierte und motivierte Person, die zur offenen Stelle passt. Erst im Anschluss, wenn dem oder der gefundenen Kandidaten/-in z. B. noch eine Weiterbildung fehlt, kann über die Möglichkeiten zur Förderung einer solchen nachgedacht werden. Der umgekehrte Weg wirkt dagegen eher abschreckend, da die Unternehmen neue Bürokratie fürchten. Einzig spezialisierte Firmen, deren Geschäftsmodell auf der Ausnutzung dieser Förderprogramme zu basieren scheint, suchen auf diese Weise. Damit derartige Mitnahmeeffekte jedoch nicht die Überhand nehmen, muss der Zugang für eine breitere Zielgruppe kundengerechter werden. Die bundesweit gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hat Politik und Verwaltungen zu einer Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik hin zu einem stärkeren Fokus auf den ersten Arbeitsmarkt veranlasst. Die hohe Fachkräftenachfrage der Unternehmen soll auch in Berlin genutzt werden, um Arbeitslose weniger in sog. „Beschäftigung schaffenden Maßnahmen“ wie z. B. Arbeitsgelegenheiten unterzubringen, sondern stattdessen verstärkt auf freie Stellen in der Wirtschaft zu vermitteln. Auch der neue Berliner Senat hat sich zu dieser Neuausrichtung bekannt. Die IHK Berlin unterstützt grundsätzlich diesen Ansatz und begrüßt, dass damit Arbeitslose wieder eine Perspektive auf „echte“ Arbeit und Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt erhalten. Binnensicht der Arbeitsagenturen Entscheidend für den Erfolg der neuen Strategie ist das zügige Zusammenführen der Fachkräftenachfrage von Unternehmen auf der einen und der dazu passenden Qualifikation eines Arbeitslosen auf der anderen Seite − die zentrale Aufgabe der Arbeitsvermittlung. Dies kann nur gelingen, wenn bei Arbeitsagenturen und Jobcentern aktuelle Informationen über beide Seiten vorliegen. Bei den Arbeitslosen ist dies in der Regel kein Problem, da sie als „Kunden“ ohnehin regelmäßig im Jobcenter vorstellig werden müssen. Mit der seit einiger Zeit durchgeführten Einordnung in Profillagen erfolgt zudem eine recht genaue Segmentierung der Arbeitslosen, mit deren Hilfe sofort vermittelbare von sog. marktfernen Kunden unterschieden werden können. Der enge Kontakt zu den Unternehmen gestaltet sich dagegen schwieriger. Der gemeinsame Arbeitgeberservice, den Arbeitsagenturen und Jobcenter mit dieser Aufgabe betraut haben, konzentriert sich aus Effizienzgründen vor allem auf größere Unternehmen, die oft mehrere offene Stellen gleichzeitig zu besetzen haben. Der in Berlin aber bei weitem bedeutendere Mittelstand − 99 Prozent der Berliner Unternehmen mit fast 70 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze rechnen sich dazu − wird noch zu oft vernachlässigt. Gerade kleine Unternehmen, die anders als bekannte große Konzerne keinen natürlichen Fachkräftezulauf haben, brauchen aber Unterstützung bei der Suche nach Personal. Ein Verweis auf die Online-Jobbörse oder die anonyme Hotline des Arbeitgeberservice reicht dafür nicht aus und entspricht nicht dem Anspruch an eine dienstleistungsorientierte Verwaltung. Dazu passt, dass die Unternehmen nur einen Bruchteil der zu besetzenden Stellen auch tatsächlich den Arbeitsagenturen melden. Ob aus schlechter Erfahrung oder weil bessere alternative Wege der Mitarbeitergewinnung verfolgt werden, der Weg zur Arbeitsagentur ist für viele Unternehmen scheinbar noch nicht so lohnend, wie er sein sollte. Die Maßnahme steht nicht im Vordergrund Eng hiermit in Zusammenhang steht auch die relativ geringe Resonanz der Unternehmen auf wirtschaftsnahe Fördermaßnahmen, die ihnen die Einstellung Arbeitsloser erleichtern sollen. Trotz großer finanzieller Anreize wurde bspw. der Beschäftigungszuschuss, mit dem Unternehmen einen Teil ihrer Lohnkosten bei der Einstellung eines Langzeitarbeitslosen für Hilfstätigkeiten erstattet bekommen, bislang kaum genutzt. Dahinter steht zum Teil mangelnde Information über bestehende Programme, häufiger aber das fehlende Verständnis der Arbeitsagenturen 14 |   | 15 Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger Was Berlin braucht – Acht IHK-Vorschläge zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit Nachdem die Berlin-spezifischen Hintergründe der hiesigen Arbeitslosigkeit erörtert wurden, wird schnell klar, dass eine wirksame Beschäftigungspolitik für die Hauptstadt nicht mit bundesweiten Mitteln gelingen kann. Vielmehr braucht es gezieltere Ansätze, die der besonderen Berliner Situation gerecht werden. Diese sollten durchaus vielfältig sein. Leitbild muss dabei aber stets das Ziel einer Vermittlung von Arbeitslosen in reguläre Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt bleiben. 1. Gemeinsam zum Erfolg − Länder­ übergreifende Arbeitsmarktstrategie Die geschilderte enge Verflechtung des Berliner Arbeitsmarktes mit den Umlandgemeinden macht eine Verzahnung der Arbeitsmarktstrategien Berlins und Brandenburgs zwingend erforderlich, solange die von der großen Mehrheit der Wirtschaft geforderte Länderfusion nicht umgesetzt ist. Grundlage dafür muss die Erhebung und Publikation der Daten des Ballungsraums Berlin im Rahmen der Arbeitsmarktstatistik sein. Die bisherige Trennung der Berliner und Brandenburger Werte ist für eine sich an realen Bedingungen orientierende Arbeitsmarktstrategie nicht sachgerecht. Auch die Publikation von gemeinsamen Arbeitsmarktdaten gesamt Berlin-Brandenburgs, die bereits erfolgt, reicht nicht aus. Damit verkauft sich der Großraum Berlin unter Wert. Wie gezeigt, unterscheidet sich die Struktur des Berliner Umlandes immens von jener der Brandenburger Peripherie, so dass hier eine differenzierte Betrachtung erforderlich ist. Berlin braucht... • die Erhebung und Publika­ tion länderübergreifender Arbeitsmarktdaten • eine engere Abstimmung von Jobcentern und Arbeitsagen­ turen über Ländergrenzen hinweg • eine gemeinsame politische Arbeitsmarktstrategie für den Ballungsraum, welche die Umlandgemeinden einbezieht. Neben der Datengrundlage braucht es eine engere Abstimmung vor allem zwischen Jobcentern angrenzender Berliner Bezirke und Brandenburger Gemeinden. Bisher ist dies − bspw. zur Vorbereitung der Eröffnung des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg − nur sporadisch und unsystematisch erfolgt. Noch dazu profitieren davon in erster Linie SGB III-Kunden der Arbeitsagenturen. Auch bei SGB II-Kunden darf jedoch eine Mobilität über Ländergrenzen hinweg eingefordert werden. Damit wird die Zahl der potenziellen Arbeitgeber deutlich erhöht, und gleichzeitig können Unternehmen aus einem weit größeren Erwerbspersonenpotenzial schöpfen. Gerade Firmen im unmittelbaren Berliner Umland dürften durch die dort immer weniger verbreitete Arbeitslosigkeit an Fachkräften aus der Hauptstadt interessiert sein. Wichtig ist die Unterstützung dieser Verzahnung durch eine gemeinsame Arbeitsmarktstrategie, die die Auswahl z. B. einer beruflichen Weiterbildung passend zu einem Arbeitsplatz im Nachbarbundesland zulässt und den reibungslosen Austausch zwischen dem dortigen Arbeitgeber mit dem Jobcenter am Ort des Arbeitslosen ermöglicht. Auf Seite der Bundesagentur für Arbeit (BA) finden sich durch die länderübergreifende Regionaldirektion Berlin-Brandenburg bereits gute Voraussetzungen für diese Abstimmung. Nun muss sich auch die Politik, die wirtschaftspolitisch z. B. im Rahmen der gemeinsamen Kompetenzfeld- und Clusterstrategie bereits eng kooperiert, klar zum gemeinsamen Arbeitsmarkt und zu den regionalen Besonderheiten im Berliner Umland bekennen.  | 17 Berlin braucht... • eine spezifische Ansprache von Migranten als Kunden­ gruppe • ein stärkeres Motivieren und Einfordern von Mitwirkungs­ pflichten bei Migranten • eine standardisierte Erhebung des Merkmals „Migrationshintergrund“ bei Arbeitslosen. Der Berliner Arbeitsmarkt Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger 2. Migranten als Kunden − Konsequentes Diversity-Management 3. Vor Ort aktiv − dezentrale Ansätze für belastete Kieze Was für Dienstleistungsunternehmen selbstverständlich ist, muss sich auch bei Arbeitsagenturen und Jobcentern noch stärker als bisher durchsetzen: Die konsequente Ausrichtung der Angebote am Kunden. Bereits heute findet richtigerweise eine separate Betreuung und Vermittlung von Arbeitslosen unter 25 Jahren statt, da diese andere Hürden zur Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung überwinden müssen als die übrigen Kunden. Auch bei der Zielgruppe alleinerziehender Frauen sind die Hürden zur Vermittlung in Arbeit bzw. zur Aufnahme einer Tätigkeit anders gelagert und erfordern eine spezielle Berücksichtigung. Wie bereits erwähnt, braucht Berlin spezifische Ansätze, die gezielt an bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Migranten oder Ältere angepasst werden müssen, die häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Hierbei sind neben stadtweiten Ideen vor allem lokale Anstrengungen in besonders von Arbeitslosigkeit betroffenen Kiezen gefragt. Damit kann den oft multiplen Vermittlungshemmnissen der dort Lebenden besser Rechnung getragen werden, denn selbst wenn man eine ähnliche Ferne zum Arbeitsmarkt z. B. durch einen fehlenden Schulabschluss unterstellt, hat ein Arbeitsloser in Pankow andere Herausforderungen im Umfeld zu bewältigen als jemand in Kreuzberg. Die konsequente Ausrichtung der Angebote am Kunden sollte auch in Bezug auf eine weitere Zielgruppe umgesetzt werden: Trotz der eingangs geschilderten hohen Erwerbslosigkeit unter Migranten und der zunehmenden Bedeutung dieser Bevölkerungsgruppe existiert für diese Kunden keine besondere Ansprache. Das ist besonders kritisch, weil gerade Personen mit Migrationshintergrund größere Anpassungsschwierigkeiten an die deutsche Verwaltungsmentalität haben können. Hilfreich wäre hier eine gesonderte Ansprache z. B. durch Jobcenter-Mitarbeiter, die über einen ähnlichen Migrationshintergrund verfügen, die gleiche Sprache sprechen und intuitives Verständnis für etwaige Befürchtungen der Arbeitslosen haben. Damit kann eine Vertrauensbasis entstehen, die Voraussetzung ist für Motivation und Mitwirkung der Arbeitslosen − ein entscheidender Schlüssel für eine Integration in den Arbeitsmarkt. Auch sind arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erfolgversprechender, wenn der Kunde deren Notwendigkeit erkennt. Gerade in Bezirken mit besonders hoher Erwerbslosenquote unter Migranten sollten Jobcenter daher gezielt entsprechende Mitarbeiter suchen und ein Diversity-Management betreiben. Auch eine Anpassung des Betreuungsschlüssels muss dabei geprüft werden. Unternehmen können an dieser Stelle mitwirken, indem sie generell die Vorteile von Vielfalt unter ihren Mitarbeitern stärker in den Blick nehmen. Insbesondere sollten noch mehr einheimische Unternehmer ohne Migrationshintergrund bzw. mehrheitlich deutsch geprägte Unternehmen bspw. die Wichtigkeit von Zwei- oder Mehrsprachigkeit erkennen – nicht zuletzt auch, weil es neue Kundengruppen erschließen kann. Letztendlich ist auch hier eine ausreichende Datengrundlage Voraussetzung für Verbesserungen. Jobcenter und Arbeitsagenturen müssen zwingend den Migrationshintergrund eines Kunden kennen, um eine passende Qualifizierungs- und Vermittlungsstrategie ausarbeiten zu können. Das bedeutet nicht, dass jedem Migranten derselben Herkunftsregion mit der gleichen Maßnahme geholfen ist. Der Verzicht auf die Abfrage der Herkunft eines Arbeitslosen verhindert aber, dass überhaupt die Suche nach einer passgenauen Integrationsstrategie beginnen kann. Dabei ist es unerheblich, ob eine bundesweit einheitliche Definition des Merkmals „Migrationshintergrund“ vorliegt, die zweifellos wünschenswert wäre. Berlin hat hier größeren Handlungsbedarf als Kommunen mit einem geringen Migrantenanteil. Dies allein erscheint Grund genug für einen offensiven Umgang mit der Thematik.   18 |  Ein Beispiel für einen derartigen Ansatz ist die „High-Deck-Siedlung“ in Neukölln. Gemeinsam mit dem Quartiersmanagement werden dort Angebote vieler Institutionen vor Ort gebündelt. Neben einer dezentralen Anlaufstelle des Jobcenters, in der täglich neue Jobangebote unterbreitet werden, können Anwohner auch auf Beratungsangebote in mehreren Sprachen, Informationen zu möglichen Weiterbildungen, Erstberatungen für Unternehmensgründer, Stadtteilmütter, Jugendtreffs und gemeinsame Stadtteilveranstaltungen zugreifen. Darüber hinaus wären Suchtberatungsstellen, Schuldnerberater o. ä. denkbar, um das Angebot zu ergänzen. Mit der Nähe zum Kunden wird so die Hemmschwelle zur Inanspruchnahme von Unterstützung spürbar gesenkt. Gerade für Menschen, in deren Umfeld Arbeitslosigkeit allgegenwärtig und ein geregelter Alltag in weite Ferne gerückt ist, kann dies der entscheidende Anstoß sein, sich aus der Monotonie zu befreien und der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Parallel dazu muss für Jugendliche mit einem stärkeren Ausbau von Ganztagsschulen ein Ausweg aus diesen Milieus geschaffen werden, sodass die Verbreitung von Perspektivlosigkeit von vornherein verhindert wird. Berlin braucht... • individuelle Ansätze für besonders von Arbeitslosig­ keit betroffene Kieze • eine Bündelung arbeits­ marktpolitischer und sozial­ integrativer Angebote unter Einbindung des Quartiersma­ nagements • die konsequente Beachtung des Grundsatzes „Fördern & Fordern“ auch bei schwer ver­ mittelbaren Kundengruppen. Fördern & Fordern Unabhängig vom Alter der Zielgruppe ist es wichtig, dass es nicht bei bloßen Angeboten bleibt. Der Austausch aller beteiligten Ämter und die konsequente Aktivierung der Arbeitslosen − sollte deren Mitwirkung zu wünschen übrig lassen − ist die Voraussetzung für einen breiten Erfolg nach dem Grundsatz „Fördern & Fordern“. Die theoretische Grundlage dafür bietet das „Rotterdamer Modell“, das insbesondere Jugend-Brennpunktviertel mit hohem Migrantenanteil im Fokus hat. Ein striktes Vorgehen gegen Schulschwänzer und die Ahndung von Störungen der öffentlichen Ordnung gehören dort ebenso dazu, wie der Aufbau von Jugendeinrichtungen und gezielte Familienberatung. Sicher zeichnen sich nicht alle belasteten Berliner Kieze durch einen hohen Anteil an Migranten aus − erst recht nicht von Migranten derselben Herkunftsländer. Das Prinzip lokaler Anlaufstellen mit Angeboten für Arbeitslose unter einem Dach bleibt aber das gleiche. Gerade die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit kann nur gelingen, wenn die multiplen Vermittlungshemmnisse dieser Personen konzertiert angegangen werden, um die Maßnahmen aufeinander abzustimmen.  | 19 Der Berliner Arbeitsmarkt Berlin braucht... • betriebsnahe Qualifizierun­ gen für nicht ausbildungs­ reife Jugendliche • die Abkehr von Arbeits­ gelegenheiten als wieder­ kehrender Beschäftigungs­ therapie • eine Qualifizierung von Arbeitslosen besonders bei stark nachgefragten Berufen zur Bedienung des Fachkräfte­bedarfs der Wirtschaft. 4. Betriebsnah statt schulisch – Qualifizierung für den Arbeitsmarkt Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Qualifizierungen für den Arbeitsmarkt erfolgreicher sind, wenn sie möglichst unternehmensnah erfolgen. Rein schulische Ausbildungen führen dagegen eher selten zu einer Integration in reguläre Beschäftigung. Das gilt insbesondere für Jüngere, bei denen der Königsweg in Arbeit über eine duale Berufsausbildung führt. Gerade deshalb soll hier mit einem Nebenblick auf das Bildungssystem auch die Notwendigkeit einer frühzeitigen, systematischen Berufsorientierung ab der siebten Jahrgangsstufe betont werden. Denn damit wird gewährleistet, dass auch Jüngere bereits Orientierungswissen über Chancen und Möglichkeiten einer dualen Berufsausbildung erhalten. Aus diesem Grund macht sich die IHK Berlin gemeinsam mit den Partnern des Dualen Lernens für eine systematische Integration beruflicher Praxis in den schulischen Alltag stark, um die Berufsorientierung in den Berliner Schulen voran zu bringen. Hinzu kommen Aktivitäten wie die Kampagne „Berlins Wirtschaft braucht Dich!“, mit dem Anliegen, besonders mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund in eine duale Ausbildung zu bringen. In Fällen, in denen Jugendliche nach Beendigung der Schule noch keine Ausbildungsreife vorweisen können, z. B. weil es ihnen an grundlegenden mathematischen Kenntnissen oder auch sicheren Umgangsformen fehlt, ist auch diese möglichst über betriebsnahe Maßnahmen wie eine Einstiegsqualifizierung (EQ) nachzuholen. Mit diesem Instrument können angehende Auszubildende kombiniert mit einem Besuch der Berufsschule ein bis zu zwölfmonatiges Praktikum im Ausbildungsbetrieb absolvieren, um die betriebliche Praxis kennenzulernen. Bei einem erfolgreichen Einstieg kann das Praktikum jederzeit in eine reguläre Ausbildung übergehen, wobei die Zeit der EQ angerechnet werden kann. Mit einer Integrationsquote von bundesweit rund 60 Prozent ist dieses Instrument bei weitem erfolgreicher als vergleichbare schulische Maßnahmen für diese Zielgruppe. Die IHK Berlin wird ihre Unterstützung in Form der „EQ-Offensive“ Berlin gemeinsam mit den Partnern von Arbeitsagentur und Handwerkskammer daher fortsetzen und bei Unternehmen für eine verstärkte Nutzung werben. Gelingen kann dies allerdings nur, wenn auch alle Jobcenter und Arbeitsagenturen die entsprechenden Jugendlichen auswählen, damit bereitgestellte Plätze nicht unbesetzt bleiben. Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger „Ein-Euro-Jobs“ tätig ohne Perspektive auf echte Arbeit. Das wiederkehrende Muster von Langzeitarbeitslosigkeit, nur unterbrochen von zeitweiligen AGHs, kann nicht die Lösung sein. Allenfalls als Einstieg in einen geregelten Tagesablauf ist dieses Instrument für einen klar eingegrenzten Personenkreis ggf. sinnvoll. Dies muss dann aber Bestandteil eines längerfristigen Integrationsfahrplans sein, dessen Fortbildungen zu Qualifikationen führen, die in der Wirtschaft benötigt werden. Denkbar wäre die Ausrichtung auf Branchen, in denen bereits heute akute Engpässe bei Fachkräften bestehen, wie z. B. in der Krankenpflege oder im Gastgewerbe. Politisch hat der Senat mit der angekündigten Qualifizierungsoffensive einen vielversprechenden Weg eingeschlagen, der den skizzierten Weg flankieren sollte. Die IHK Berlin wird alle Beteiligten aktiv dabei unterstützen, Fachkräfteengpässe frühzeitig zu erkennen und geeignete Qualifizierungen für besonders nachgefragte Berufsbilder zu entwickeln. An dieser Stelle sei jedoch ergänzt, dass Qualifizierung mit Perspektive gerade bei schwer vermittelbaren Arbeitslosen auch bedeuten kann, dass fehlende grundsätzliche Kompetenzen als Hemmnis bei der Vermittlung abgebaut werden müssen. Ein bedenkenswerter Ansatz dazu könnte ein sozialintegratives Angebot von Coaching- und Qualifizierungselementen sein, bei dem sowohl fehlende Kenntnisse vermittelt als auch für eine Tätigkeitsaufnahme erforderliche soziale Kompetenzen gestärkt werden.   Teilnehmer unter 25 Jahren an ausgewählten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen August 2011 2.500 2.000 2.006 Arbeitsgelegenheiten noch zu stark verbreitet Statt betriebsnaher Qualifizierungen werden derzeit noch zu oft rein schulische Aus- und Weiterbildungen gewählt, die den Betroffenen eher wie eine Warteschleife vorkommen müssen. Ihre Entfernung zum Arbeitsmarkt wird dadurch in der Regel nämlich nicht verringert. Noch problematischer ist die nach wie vor hohe Zahl an Arbeitsgelegenheiten (AGH), bei denen zumeist überhaupt keine Qualifizierung sondern reine Beschäftigungstherapie stattfindet. Gerade für Jugendliche braucht es aber eine erkennbare Perspektive zur Vermittlung in reguläre Beschäftigung, die sie dort nicht erhalten. So ist der dauerhafte Verbleib in diesen sog. „Beschäftigung schaffenden Maßnahmen“ vorgezeichnet. 1.500 804 500 0 Qualifizierung mit Perspektive gefragt Was für Jugendliche im Besonderen zutrifft, ist für andere Arbeitslose vom Prinzip her ebenso richtig. Auch hier sind trotz beachtlicher Rückgänge noch deutlich zu viele Personen in den 20 |  1.142 1.000  471 208 269 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit EinstiegsGründungs- Eingliederungs- Berufliche Maßnahmen Arbeitsqualifizierung zuschuss zuschüsse Weiterbildung zur gelegenheiten § 235b SGB III § 421f, §421p Aktivierung nach § 16d SGBIII und berufl. SGB II Eingliederung | 21 Berlin braucht... • einen engeren Kontakt des Arbeitgeberservice zu kleinen und mittelständischen Unter­ nehmen • eine Nutzung bestehender Netzwerke und Bestands­ pflegeinstitutionen zur direkten Ansprache von Unternehmen • die Möglichkeit für persön­ lichen Kontakt und direktes Feedback durch Unterneh­ men, die Leistungen der Jobcenter und Arbeitsagen­ turen in Anspruch nehmen möchten. Der Berliner Arbeitsmarkt Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger 5. Der Mittelstand als Jobmotor – Neuausrichtung des Arbeitgeber­ service 6. Beziehungspflege zu Unternehmen – Qualifizierung nach Bedarf der Wirtschaft Ein Grund für die geringe Anwendung betriebsnaher Qualifizierungen ist sicher in fehlenden Kontakten zu großen Teilen der kleinen und mittelständischen Unternehmen zu sehen. Im Zuge der Neuorganisation der Arbeitsvermittlung und durch hohe Personalfluktuation gingen viele persönliche Kontakte verloren, die nun schmerzlich fehlen. Wer den Fachkräftebedarf der Wirtschaft nicht konkret kennt, kann Arbeitslose nicht zielgenau weiterbilden. Arbeitssuchende mit falschen Qualifikationen haben wiederum schlechte Karten bei der Bewerbung – ein Teufelskreis. Gerade in mittelständischen Betrieben, in denen der persönliche Kontakt einen besonderen Stellenwert besitzt, bieten sich für Arbeitslose, die vielleicht nur etwas Unterstützung und ein direktes Feedback zum Einstieg benötigen, aber gute Chancen, die es zu nutzen gilt. Vernetzung mit dem Unternehmensservice Um dies zu erreichen und allein schon aufgrund der relativen Bedeutung des Berliner Mittelstandes für den hiesigen Arbeitsmarkt, muss der Arbeitgeberservice sich stärker diesen Unternehmen widmen. Sinnvoll wäre dazu eine enge Kooperation mit dem Unternehmensservice, der über weitreichende Kontakte zur Wirtschaft verfügt und von Firmen angesprochen werden kann, die z. B. eine Expansion mit entsprechendem Personalbedarf planen. In der Vernetzung mit den Institutionen der Bestandspflege bieten sich viele Möglichkeiten, die Kontakte der Arbeitsvermittlung zu Unternehmen ohne großen zusätzlichen Aufwand zu verbreitern. Auch hier bieten sich wieder lokale Veranstaltungen vor Ort an, mit denen nicht nur Arbeitslose sondern auch Unternehmen gezielt angesprochen werden. Je umfangreicher die dadurch erfolgten Vermittlungen sind, desto stärker werden sich die Vorteile des Arbeitgeberservice herumsprechen und so auch zu einer höheren Quote der dort gemeldeten offenen Stellen führen. Mit der Berliner Joboffensive gehen die Arbeitsagenturen und Jobcenter bereits einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Neben einer höheren Betreuungsdichte für die Arbeitslosen steht dabei vor allem der direkte Kontakt zu Arbeitgebern im Mittelpunkt, die z. B. bei SpeedDatings gleich mehrere potenzielle Kandidaten kennenlernen können. Vor allem die Möglichkeit zum direkten Austausch zwischen Unternehmen und den Arbeitsvermittlern vor Ort ist positiv hervorzuheben. Ein kürzerer Weg zur Benennung der gesuchten Fachkräfte und möglicher Unterstützungen durch die Jobcenter ist kaum vorstellbar. Nun gilt es, das Projekt neben verstärkten Integrationen auch für eine echte Verbesserung der Zahl der Unternehmenskontakte zu nutzen und diese dauerhaft zu pflegen. Sobald enge Kontakte zu Unternehmen bestehen, müssen die dort gesuchten Qualifikationen möglichst präzise erfasst werden. Das ist nicht nur erforderlich, um geeignete Arbeitslose dorthin zu vermitteln. Auch die Auswahl und Ausgestaltung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente wird davon beeinflusst. Momentan erfolgt die Betreuung von Kunden in den Jobcentern noch zu oft losgelöst von der Situation am ersten Arbeitsmarkt. Zwar treffen Jobcenter mit ihren Kunden sog. Eingliederungsvereinbarungen, in denen neben gemeinsamen Zielen und Mitwirkungspflichten auch Qualifizierungsstrategien festgehalten werden, diese sind jedoch zu selten auf konkrete offene Stellen ausgerichtet. Spätestens wenn ein Arbeitsloser ggf. durch vorige Aktivierungsmaßnahmen eine hinreichende Nähe zum Arbeitsmarkt erreicht, muss ein direkter Bezug von Maßnahmen und zu besetzenden Stellen erfolgen, da Qualifizierungen sonst am Bedarf der Wirtschaft vorbei gehen. Berlin braucht... • einen engen Bezug von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu konkreten offenen Stellen in der Wirtschaft • Branchenansprechpartner mit aktuellen berufsprakti­ schen Kenntnissen, die Un­ ternehmen in den Jobcentern und Arbeitsagenturen als Anlaufstelle dienen. Branchenansprechpartner benötigt Grundlage für ein Verständnis, welche Qualifikationen einem Arbeitslosen für eine bestimmte Tätigkeit noch fehlen, sind hinreichende berufspraktische Kenntnisse auf Seiten der Jobcenter. Berufsbilder unterliegen einem ständigen Wandel und dementsprechend auch die dafür nötigen Qualifikationen. Daher muss das Wissen darüber fortwährend erneuert werden. Optimal kann dies durch die Benennung von Branchenexperten gelingen, die gegenüber den Unternehmen klar als Ansprechpartner für ihre Belange erkennbar sind und intern als Multiplikatoren dienen. Zum einen wird dadurch eine direkte Rückkopplung über die Zufriedenheit der Unternehmen mit dorthin vermittelten Arbeitslosen möglich. Zum anderen finden mögliche geänderte Anforderungen von Seiten der Wirtschaft so den direkten Weg in die Jobcenter. Über eine zentrale Hotline mit wechselnden Ansprechpartnern kann ein derartiger Austausch nicht funktionieren. Sie eignet sich bestenfalls für eine Erstberatung zum Einstieg.     22 |   | 23 Berlin braucht... • stärkeren Wettbewerb unter privaten Anbietern von Qualifizierungsmaßnahmen • die Ausrichtung der Maß­ nahmen am individuellen Bedarf der Arbeitslosen • eine Evaluation und Erfolgs­ kontrolle durchgeführter Maßnahmen • eine Stärkung privater Arbeitsvermittler. Der Berliner Arbeitsmarkt Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger 7. Konkurrenz belebt das Geschäft − Stärkung privater Anbieter 8. Vorfahrt für Arbeit − Politik zur Erleichterung von Beschäftigung Wettbewerb erhöht die Produktvielfalt und kann Kundenbedürfnisse deutlich besser befriedigen als staatliche Zuteilung. Dieser Grundsatz gilt nicht nur beim täglichen Einkauf, er ist auch auf die Arbeitsvermittlung übertragbar. Zwar ist es Aufgabe des Staates, die Gewährung von Sozialleistungen zur Grundsicherung bei Bedarf sicherzustellen, weder die eigentliche Vermittlung in Arbeit noch die dafür ggf. notwendige Qualifizierung müssen aber durch seine Einrichtungen selbst erfolgen. Bereits heute werden viele Weiterbildungen für Arbeitslose durch freie Träger durchgeführt, die für ihre Leistungen entlohnt werden. Die bisherige Ausgestaltung dieser Vergabe von öffentlichen Leistungen muss jedoch dringend optimiert werden. Auch wenn man in der öffentlichen Debatte hin und wieder den Eindruck gewinnt, ist es nicht zutreffend, dass Politik selbst durch Gesetze und Förderprogramme neue Arbeitsplätze schaffen kann. Wohl aber kann sie Unternehmen dabei unterstützen, indem die Beschäftigung von Mitarbeitern erleichtert wird. Dafür sind – gerade im Hinblick auf die Berliner Haushaltslage – noch nicht einmal Steuermittel nötig. Eine beschäftigungsfreundliche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik mit der Prämisse „Vorfahrt für Arbeit“ kann allein durch Unterordnung politischer Vorhaben unter das Ziel der Senkung der Arbeitslosigkeit funktionieren. Dazu muss jede geplante Maßnahme vor ihrer Implementierung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Berliner Arbeitsmarkt geprüft und ggf. verworfen werden, wenn sie Beschäftigung gefährdet. Ausschreibung und Erfolgskontrolle Viele Bildungsträger bieten innovative Trainings an, mit denen bereits Vermittlungserfolge erzielt werden konnten. Das bedeutet aber nicht, dass diese gleichermaßen bei anderen Arbeitslosen funktionieren müssen. Vielmehr muss die Auswahl einer Qualifizierungsmaßnahme dem Leitgedanken folgen, dass sich ihre Ausgestaltung an den Defiziten des Kunden orientiert und nicht umgekehrt Arbeitslose den immer gleichen Maßnahmen zugeordnet werden. Dies ist nur dann möglich, wenn der Beauftragung privater Unternehmen mit Weiterbildungen konsequent eine Ausschreibung vorangeschaltet wird, in der die geforderten Qualifizierungsinhalte und -ziele konkret benannt werden. Das fördert den Wettbewerb und führt zu optimalen Angeboten für jeden Arbeitslosen. Weiterhin ist eine nachträgliche Erfolgskontrolle erforderlich. Dies kann − wie bereits durchgeführt − durch eine Betrachtung der in der Folge erzielten Integrationsquoten geschehen, aber auch die individuelle Bewertung der Maßnahmen durch die Teilnehmer ist wertvoll. Dabei ist etwa durch Anonymisierung sicherzustellen, dass von keiner Seite Druck auf den Arbeitslosen ausgeübt werden kann, im Falle einer schlechten Bewertung persönliche Nachteile wie z. B. ein schwaches Zeugnis ausgestellt zu bekommen. Neben Qualifizierungen kann auch eine stärkere Beteiligung privater Anbieter bei der Arbeitsvermittlung sinnvoll sein. Oft verfügen diese über gute Kontakte zu Unternehmen, sind flexibler bei der Suche nach passenden offenen Stellen und bringen eigene Ideen hervor, um Arbeitslose für Beschäftigung fit zu machen. In jedem Fall bedarf es einer regelmäßigen Evaluierung, für welche Zielgruppen die Betreuung durch private Vermittler im Vergleich zu jener der Arbeitsagenturen und Jobcenter vorteilhaft ist. 24 |  Berlin braucht... • Erleichterungen für Unter­ nehmen bei der Einstellung neuer Mitarbeiter • eine Überprüfung und einen Abbau von Hindernissen bei der Schaffung von Arbeits­ plätzen • keine öffentlich finanzierten künstlichen Beschäftigungs­ programme. Leider hat der Berliner Senat in der Vergangenheit diesen Grundsatz trotz der hohen Arbeitslosigkeit zu oft unberücksichtigt gelassen. Die Einführung und jüngst sogar die Anhebung des Mindestlohns im Vergabegesetz war nicht nur als vergabefremdes Kriterium völlig unsachgemäß, sie hat sicher auch die Beschäftigungschancen von Geringqualifizierten geschmälert und zugleich Betriebe mit ihren Mitarbeitern von beschäftigungssichernden öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen. Auch mit der Verhinderungshaltung zum Ausbau der Zeitarbeit, die für viele Arbeitslose als Brücke in die Erwerbstätigkeit dient, wurde das Ziel des Abbaus von Arbeitslosigkeit konterkariert. Richtige Beschäftigungspolitik für Berlin Richtig verstandene Beschäftigungspolitik schafft keine Arbeitsplätze in öffentlichen Programmen, sie sucht vielmehr nach Möglichkeiten, Hindernisse beim Aufbau regulärer Beschäftigung aus dem Weg zu räumen. Dazu gehört z. B. eine Steuer- und Abgabenpolitik, die Arbeitskosten begrenzt, indem nachhaltige Finanzierungsmodelle für die Sozialversicherung umgesetzt und die Lohnzusatzkosten gesenkt werden. Auch erleichtert sie flexible Beschäftigungsmodelle wie befristete Verträge oder Zeitarbeit, um die Hürden zum Einstieg in den Arbeitsmarkt für mehr Menschen zu senken. Nicht zuletzt ermöglicht sie auch die Verständigung von Unternehmen und Arbeitslosen z. B. auf Abfindungsregelungen, mit deren Hilfe auf allzu starre Regelungen des Kündigungsschutzes verzichtet werden kann. So können Unternehmen eher eine Festanstellung in Betracht ziehen, und Arbeitnehmer sind finanziell abgesichert, sollte der Arbeitsplatz doch keinen Bestand haben. Gerade für die vielen Langzeitarbeitslosen in Berlin wird der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ohne diese und weitere Maßnahmen eine kaum überwindbare Hürde sein. Wer die Arbeitslosigkeit wirklich angehen will, muss sich dieser Herausforderung stellen.  | 25 Der Berliner ArBeitSmArkt Fazit: Der Arbeitsmarkt als Hoffnungsträger – eine Vision für Berlin Die scheinbar ewig wiederkehrenden Negativmeldungen im Zusammenhang mit dem Berliner Arbeitsmarkt haben sich bereits derart in der öffentlichen Wahrnehmung verfestigt, dass der Glaube an eine Trendwende schon beinahe vermessen erscheint. Der Arbeitsmarkt als Hoffnungsträger – für Viele kaum vorstellbar. Berlin hat jedoch bereits gezeigt, dass es zur Erneuerung imstande ist. Nach mutigen und zum Teil auch schmerzhaften Strukturveränderungen entwickelt sich der Wirtschaftsstandort zunehmend erfreulich. In den Jahren zwischen 20052011 ist das Berliner BIP in der Summe klar stärker gewachsen als das des Bundes. Zudem zeigt sich die hiesige Wirtschaft auch in den jüngsten Krisen erstaunlich robust. Viele Berliner Unternehmen haben ihre Hausaufgaben gemacht und können im internationalen Wettbewerb bestehen. Damit ist der Grundstein für eine bessere Entwicklung am Arbeitsmarkt bereits gelegt. Die rapide gestiegenen Beschäftigungszahlen unterstreichen dies eindrucksvoll. Dass der bisherige Beschäftigungsaufbau nicht zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit in ähnlicher Höhe geführt hat, muss aber als Mahnung verstanden werden, jetzt nicht nachzulassen. Eine nachhaltige Senkung der Erwerbslosigkeit wird nicht von allein gelingen. Es braucht den Willen aller Beteiligten, die Arbeitslosen mit entschiedenen Maßnahmen für die Bedarfe der Unternehmen fit zu machen. Der Berliner Senat hat mit seinem Bekenntnis zum ersten Arbeitsmarkt und der angekündigten Qualifizierungsoffensive die richtige Richtung vorgegeben. Auch mit dem Programm „BerlinArbeit“ und der in diesem Rahmen vorgesehen Förderung von Arbeitgebern, die langzeitarbeitslose Jobsuchende einstellen, durch den Einsatz des arbeitsmarktpolitischen Instruments der Förderung von Arbeitsverhältnissen (FAV), will der Senat Akzente setzen. Hierbei ist aber begleitend die Qualifizierung der Jobsuchenden im Auge zu behalten und eine Verdrängung von Ausbildungsstellen zugunsten einer Vermittlung zu vermeiden. Nur so wird es gelingen, die Attraktivität dieses Programms für die Unternehmen sicherzustellen. An der Umsetzung der Pläne wird auch die IHK Berlin den Berliner Senat messen, ihn gleichzeitig dabei aber auch konstruktiv unterstützen. Die gute Beschäftigungsnachfrage mit über 19.000 gemeldeten offenen Stellen in den Unternehmen muss genutzt werden, um nun zügig voranzukommen. Das Erreichen des Bundesdurchschnitts bei der Arbeitslosenquote ist das Ziel. Es ist Zeit, die rote Laterne abzugeben. 26 | Industrie- und Handelskammer zu Berlin | Fasanenstraße 85 | 10623 Berlin | Telefon: +49 30 31510 - 0 | Internet: www.ihk-berlin.de
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