Handlungsfelder
VDI-Initiative Stadt:Denken
Bausteine für die Stadt der Zukunft
Juni 2015
Titelbild: VDI-Haus Düsseldorf
Vorwort
Seit 2009 lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Im Jahr 2050 werden es voraussichtlich mehr als zwei Drittel sein. Dieser Trend ist in
Deutschland bereits deutlich spürbar: 74 % der Deutschen wohnen in urbanen Ballungsräumen. In
Deutschland wie auch weltweit werden daher Strategien und Maßnahmen der Städte eine Schlüsselrolle
spielen, diese globalen und umweltpolitischen Herausforderungen zu bewältigen.
Mensch und Technik näher als in einer Stadt können
sie sich kaum kommen. Neue Ideen, Innovationen und
zukunftsfähige Techniken wirken unmittelbar auf
Gesundheit und Lebensqualität der Menschen. Mobilität von Menschen, Gütern und Informationen, Integration der Arbeitswelt in den Lebensraum, sichere,
bezahlbare Ver- und Entsorgung (Wärme, Strom, Gas,
Breitband, Wasser, Abwasser), Zusammenspiel der
Generationen mit durchaus divergierendem Lebensstilen, und das alles in einem lebenswerten Klima einer
Stadt. Diese komplexen Wirkungszusammenhänge
diverser sozioökonomischer Subsysteme basieren
auch auf fundierter Ingenieurskunst.
Die VDI-Initiative Stadt:Denken stellt das strukturierte Zusammenwirken der stadtaffinen Ingenieurdiszip-
linen in Kombination und unter Einbeziehung der
Gesellschaftswissenschaften mit dem Ziel, Wissensvermittlung und Managementunterstützung für Entscheidungsträger zu initiieren, dar.
Diesen Ansatz spiegeln die VDI-Gesellschaften Fahrzeug- und Verkehrstechnik (FVT), Bauen und Gebäudetechnik (GBG), Energie und Umwelt (GEU), Produktion und Logistik (GPL), aber auch die Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL), das VDI-Zentrum
Ressourceneffizienz (ZRE) und das VDI/VDE Innovation und Technik mit ihren aktiven Experten in der
thematischen Ausrichtung auf „Stadtaffinität“ wider.
Ergänzt wird die VDI-Fachkompetenz um externe
Experten aus Disziplinen, die im VDI nicht ihre erste
Heimat haben.
Die zahlreichen Entscheider in einer Stadt müssen die
Vielfalt der vorhandenen Informationen zum Wohle
einer nachhaltigen Stadtentwicklung nutzen. Dabei
zählt es nicht, fachlich singuläre Lösungen in
schnellster Zeit vorzubringen, sondern mit einem
interdisziplinären Konzept langfristig beständige
Strukturen aufzubauen. Hier leistet die VDI-Initiative
Stadt:Denken einen Beitrag.
Düsseldorf im Juni 2015
Prof. Dr.-Ing. Ralf Holzhauer
Vorsitzender der VDI-Initiative Stadt:Denken
www.vdi.de
An dieser Publikation haben folgende Mitglieder der VDI-Initiative Stadt:Denken mitgewirkt.
Dr.-Ing. Nicole Becker, VDI Zentrum Ressourceneffizienz, Berlin
Dr. Marc Bovenschulte, VDI/VDE Innovation + Technik, Berlin
Dipl.-Geogr. Nomo Braun, agiplan GmbH, Mülheim an der Ruhr
Prof. Dr. rer.pol. habil Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Stuttgart – VDI-GBG
Dipl.-Geol. Dipl.-Wirtsch.Ing. Klaus Dosch, Aachener Stiftung Kathy Beys, Aachen – VDI-GEU
Angelika Frederking, VDI/VDE Innovation + Technik, Berlin
Dipl.-Ing. Detlef Frank, München – VDI-FVT
Dr. Daniel Fulger, Altran GmbH & Co.KG, Düsseldorf – VDI-FVT
Dipl.-Ing. Michael Hertwig, Fraunhofer IAO, Stuttgart, – VDI-GMM
Prof. Dr.-Ing. Ralf Holzhauer, Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen – VDI-GEU
Dipl.-Geogr. Martin Keil, BMW AG, München
Prof. Dr. Wilhelm Kuttler, Universität Duisburg Essen, Essen – VDI-KRdL
Dipl.-Ing. Joachim Lentes, Fraunhofer IAO, Stuttgart
Dr.-Ing Peter Markus, Ev. Akademie Villigst, Institut für Kirche und Gesellschaft, Schwerte
Prof. Dr.-Ing. Johanna Myrzik, TU Dortmund, Dortmund
Prof. Dr.-Ing. habil. Markus Oeser, RWTH Aachen, Aachen – VDI-FVT
Dipl.-Min. Kurt Pommerenke, Wirtschaftsförderung Dortmund, Dortmund
Dipl.-Soz.-Arb. Axel Rolfsmeier, Ev. Akademie Villigst, Institut für Kirche und Gesellschaft, Schwerte
Dipl.-Ing. Architektin Saskia Schöfer, LWL Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen, Münster
Prof. Dr.-Ing. habil. Stefan Siedentop, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS), Dortmund
Dipl.-Ing. Thomas Werner, Stadt Münster, Münster – VDI-GEU
www.vdi.de
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
3
Inhalt
Vorwort
1
Zusammenfassung
4
1
Warum Stadt:Denken
6
2
Neue Denkanstöße und Tendenzen
7
2.1
Stadtentwicklung
7
2.2
Kommunales Verwaltungsmanagement
9
2.3
Wirtschaftsförderung
9
2.4
Sozioökonomische und ökologische Aspekte
10
2.5
Religiöse, soziale und kulturelle Aspekte
11
2.6
Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)
11
3
Bausteine für die Stadt der Zukunft
13
3.1
Demografie
13
3.2
Beteiligung
15
3.3
Stadtklima
17
3.4
Gebäude der Zukunft
20
3.5
Mobilität
23
3.6
Energie
26
3.7
Urbane Produktion
28
3.8
Urbane Logistik
31
3.9
Kreislaufwirtschaft
34
3.10 Ressourceneffizienz
36
www.vdi.de
4
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Zusammenfassung
Basierend auf lokalen Lösungen zukünftiger urbaner
Organisations- und Lebensstrukturen mit einer anzustrebenden globalen Vorbildfunktion entsteht für die
Menschen ein lebenswertes Umfeld und gleichzeitig
für die Unternehmen eine Förderung der Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext.
Die internationalen Erfahrungen im stadtregionalen
Management von Wachstums- und Schrumpfungsprozessen zeigen, dass es vielerorts an geeigneten
institutionellen Handlungsarenen fehlt, in denen interkommunal abgestimmte Planungen und Maßnahmen
umsetzbar sind. Großstadtregionen sind heute immer
noch durch ein sachlich-räumliches Nebeneinander
von institutionellen Verantwortlichkeiten (Raumplanung, Ver- und Entsorgung, Kultur- und Sozialplanung etc.) geprägt, was eine effektive regionale Handlungskoordination stark erschwert.
Die „Stadt der Zukunft“ muss Effizienzvorteile konsequenter nutzen, was aber ein radikales Umdenken in
der Planung und Gestaltung von Städten voraussetzt.
Die nicht vorhandene Kopplung der innovationsbasierten lokalen Wirtschaft und der urbanen infrastrukturellen Planung kann hemmend für die wirtschaftliche Entwicklung sein.
Trotz vieler Modernisierungsprozesse stehen viele
Kommunen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Das
hat zum einen damit zu tun, dass sie auf der Einnahmenseite nur wenige selbst zu beeinflussende Quellen
wie die Gewerbesteuer zu Verfügung haben und auf
Zuweisungen des Bundes und der Länder nach komplizierten Schlüsseln angewiesen sind, während auf
der anderen Seite die übergeordneten Ebenen immer
mehr Aufgaben an die Gemeinden delegieren, ohne
auf ausreichende finanzielle Kompensation zu achten.
Zwar ist das Konnexitätsprinzip gesetzlich festgeschrieben, doch die Umsetzung lässt deutlich zu wünschen übrig. Selbstverständlich haben Technisierung
und Digitalisierung auch in den Gemeinden Einzug
gehalten; allerdings in Form von Insellösungen. Die
Gemeinden müssen die Integration der vorhandenen
heterogenen Systemstruktur zum vorrangigen Ziel
machen.
www.vdi.de
mehr allein materielle Produkte gefragt, sondern auch
die Verbindung mit innovativen Dienstleistungsprodukten. Dabei verlängern die Städte die bekannten
Wertschöpfungsketten und eröffnen neue Märkte für
die Unternehmen.
Auch dieser Megatrend begünstigt den Bedeutungsgewinn des „Akteurs Mensch“ in der Stadt.
Im Rahmen einer nachhaltigen Stadt- und Quartiersentwicklung ist es ein Ziel kirchlichen Handelns, das
Gemeinwesen im Zusammenwirken mit Bürgerinnen
und Bürgern partnerschaftlich zu gestalten und Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen in jeder Lebensphase zu schaffen. Glaubensgemeinschaften verstehen sich als „Ermöglicher“ von
Kommunikation, Partizipation und Entwicklung integrierter und religiös motivierter Handlungskonzepte.
Die begründete Erwartungshaltung an Informationsund Kommunikationstechnik ist, über Datenaustausch
zwischen bisher unverbundenen „Systemen“ im weitesten Sinne nicht nur eine Optimierung der bisherigen Prozesse zu erzielen, sondern auch ganz neue
Vorgehensweisen hervorzurufen, die die Nachhaltigkeit verbessern und menschliche Bedürfnisse (besser)
befriedigen.
Der demografische Wandel manifestiert sich in Städten kleinteilig auf der Quartiersebene. Neue Wohnformen, die auf Selbsthilfe, Selbstverantwortung und
Selbstbestimmung beruhen, werden verstärkt nachgefragt. Die barrierefreie Bewegung im städtischen
Raum für alle Altersgruppen ist eine beständige Herausforderung. Mit dem Klimawandel verbundene
Extremwetterereignisse bringen eine spezielle Gefährdung für die wachsende Gruppe der älteren
Wohnbevölkerung. Eine neue Beteiligungskultur ist
entstanden und befördert den Zusammenhalt und die
Identifikation mit dem städtischen Quartier.
Städte sind seit jeher Zentren ökonomischer Aktivität.
Ökonomische Traditionen und Pfade bestimmen bis
heute formelle und informelle Institutionen des ökonomischen Austauschs. Städte sind Treiber des Wandels von der Industrie- und Dienstleistungsökonomie
hin zur Wissensökonomie.
Große Bau- und Infrastrukturprojekte stoßen aber
häufig auf Widerstand von Teilen der Bevölkerung.
Gesellschaftlich nachhaltige Lösungen erfordern
Konzepte für Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung. Dabei muss Kommunikation systematisch
geplant werden – von der Grundlagenermittlung bis
zur Baufertigstellung. Es ist zu Beginn eine gründliche Themen- und Stakeholderanalyse unumgänglich.
Verständlichkeit und Visualisierungen sind zusätzlich
für die Akzeptanz von Projekten von besonderer Bedeutung.
Wissensintensive Dienstleistungen als Wirtschaftsmotor steigern die Wettbewerbsfähigkeit. Es sind nicht
Die charakteristischen Unterschiede zwischen Stadt
und Umland lassen sich hinsichtlich Klima und Luft
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
auf die Zuordnung und Mischung von bebauter und
nicht bebauter Fläche ebenso zurückführen wie auf
die Freisetzung von Abwärme aus technischen Prozessen und die Emission gas- bzw. partikelförmiger
Luftinhaltsstoffe. Änderungen der Strahlungsbilanz,
der Wärmebilanz, der Luftfeuchtigkeit des Winds und
der atmosphärischen Spurenstoffe müssen berücksichtigt werden.
Gebäude sind wichtige historische Quellen, vermitteln
Identität mit dem Lebensraum, unterliegen aber auch
einem ständigen Veränderungsdruck. Das Bauwesen
benötigt einen erheblichen Anteil der in Deutschland
genutzten Ressourcen, dabei ist ein ganzheitlicher,
lebenszyklusweiter Ansatz von der Rohstoffgewinnung bis zum Recycling erforderlich. Gebäude der
Zukunft bedürfen in planerischer und ausführender
Sicht eines ganzheitlichen Ansatzes.
Der Stadtverkehr wird durch eine zunehmende Zahl
von Mobilitätsangeboten bestimmt. Fahrzeug- und
Verkehrstechnik haben dazu beigetragen, dass die
negativen Folgen der Mobilität (Unfälle, Emissionen)
nicht mit der gestiegenen Verkehrsnachfrage angestiegen sind, sondern zum Teil sogar deutlich verringert werden konnten. Eine zentrale Schlüsseltechnologie für die weitere Entwicklung des Stadtverkehrs
ist die Informationstechnologie. Sie ermöglicht direkt
an den Fahrzeugen im motorisierten Individualverkehr und im öffentlichen Verkehr Verbesserungen
und erweitert die Potenziale der Kombination verschiedener Verkehrsmittel (Multimodalität). Neue
Antriebssysteme (Elektrofahrzeuge, Hybridfahrzeuge)
werden die Verkehrsemissionen (Abgase, Geräusch)
senken.
71 % des Energieverbrauchs in deutschen Haushalten
ist Wärme. Bis 2020 sollen 14 % des Endenergieverbrauchs für Wärme und Kälte aus erneuerbaren Energien stammen. Gerade im Gebäudebestand besteht ein
erhebliches Potenzial zur Steigerung der Energieeffizienz. Dabei ist die Berücksichtigung des Quartiers
als kleinste Einheit extrem wichtig und ohne die Integration der Menschen keine Energiewende in der
Stadt denkbar
Digitalisierung, insbesondere durch die Industrie 4.0,
befähigt effektive und effiziente Produktion, auch mit
neuen Konzepten. Die Produktkomplexität steigt, bei
kürzer werdenden Lebenszyklen, weiter. Neue und
weiterentwickelte Fertigungsverfahren ermöglichen
eine ressourceneffiziente, emissionsarme Produktion,
5
auch im städtischen Umfeld. Die Symbiose von Betriebsstätte und Umfeld zum Wohl aller Beteiligten
muss zum Unternehmensziel werden. Die Nutzung
von Skaleneffekten durch eine kundenneutrale Vorproduktion sowie die kundenindividuelle Endproduktion (nah am Kunden) stellen die Zukunft der wirtschaftlichen Produktion dar.
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels,
des zunehmenden Internethandels und des ökologischen Wertewandels, ist die urbane Logistik kurzfristig vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt. Die
exekutive Logistik wird als einer der Hauptverursacher des Klimawandels verantwortlich gemacht. Die Entwicklung von Konzepten und Lösungen zur Optimierung logistischer und nicht logistischer Dienstleistungen für die Bündelung verschiedener Material- und Warenströme führt zu Vermeidung
von Logistikverkehren im urbanen Raum.
Eine konsequente Weiterentwicklung des arbeitsteiligen und globalisierten Weltwirtschaftssystems ist die
Implementierung von Kreislaufwirtschaftsstrukturen.
Seit 1992 erfolgen in Deutschland erste Umsetzungen
ausgewählter Kreislaufwirtschaftssysteme. Die Stadt
der Zukunft benötigt für die Weiterentwicklung der
Ressourceneffizienz Lösungsansätze, die das urbane
Wohnen, den nachhaltigen Konsum und eine ortsnahe
Aufbereitungs- und Verwertungstechnik verbinden.
Hier muss insbesondere mit der Integration der Bürger durch eine mögliche Individualisierung der Abfallströme auch eine Bewusstseinsbildung einhergehen.
Die zunehmende Urbanisierung und die damit einhergehende steigende Rohstoffnachfrage wird die weltweite Rohstoffknappheit weiter verschärfen. Durch
eine verstärkte Innenentwicklung lassen sich Ressourcen- und Flächenverbrauch von Städten im Vergleich
zur Außenentwicklung merklich reduzieren. So bietet
z. B. Urban Mining eine Versorgungsquelle für unsere
Zukunft, da der Gebäudebestand in unseren Städten
ein erhebliches Rohstofflager darstellt.
Nunmehr gilt es, die Vielfalt der vorhandenen Informationen zum Wohle einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu nutzen. Dabei zählt es nicht, fachlich
singuläre Lösungen in schnellster Zeit vorzubringen,
sondern mit einem interdisziplinären Konzept langfristig nachhaltige Strukturen aufzubauen.
www.vdi.de
6
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
1 Warum Stadt:Denken
Städte sind komplexe Systeme. Der Wunsch der Bürger nach intakten Verkehrssystemen, bezahlbarem
Wohnraum sowie einer funktionierenden Wasser-,
Energie- und Nahrungsversorgung trifft auf Herausforderungen wie den Klimawandel, Migrationsströme
und demografische Veränderungen. Die Bandbreite
der Lösungsansätze ist dementsprechend groß und
reicht von der lokalen und regionalen Subsistenzwirtschaft mit angepassten Technologien bis hin zu technologisch hochentwickelten Stadt- und Infrastruktursystemen.
Seit 2009 lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Im Jahr 2050 werden es voraussichtlich mehr als zwei Drittel sein. Dieser Trend ist in
Deutschland bereits deutlich spürbar: 74 % der Deutschen wohnen in urbanen Ballungsräumen. In
Deutschland wie auch weltweit werden daher Strategien und Maßnahmen der Städte eine Schlüsselrolle
spielen diese globalen und umweltpolitischen Herausforderungen zu bewältigen.
Die Trends zum Nachdenken über die Stadt der Zukunft wurde Ende der 1990er-Jahre mit dem Begriff
Smart City geprägt. In den letzten vier bis fünf Jahren
finden sich in den Medien ebenfalls Begriffe wie
Zukunftsstadt, Morgenstadt, Stadt der Zukunft, Smart
Regions usw. Es sind global viele Initiativen entstanden. Allen Argumentationen und Interessensgruppen
gemein ist der Ursprung des Trends: die Notwendigkeit zu einer ökologisch nachhaltigen Lebensform in
urbanen und ländlichen Gegenden angesichts des
menschlichen Ressourcenverbrauchs. Je nach Perspektive und Interessen werden dafür unterschiedliche
Ansätze vorgebracht. Weit verbreitet ist die HochTechnologie als Basis. Ebenso wird die fundamentale
Änderung der Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur
als wirksamster Weg gesehen.
Gleichzeitig erfordert die im Ballungsraum unvermeidbare Nähe von Produktion und Wohnen neue
Konzepte sowohl zur Vereinbarkeit von vorhandenen
Industriestandorten und Wohngebieten sowie die
Möglichkeit der Schaffung neuer (oder geänderter)
Produktionsstandorte im Ballungsraum bzw. im stadtnahen Umfeld. Speziell in den Ballungsräumen der
„alten Bundesländer“ sind die Beispiele hierzu vielfältig und die Probleme offensichtlich.
Da sich Städte hinsichtlich ihrer Größe und Dichte
sowie klimatischen, geografischen, sozioökonomischen und kulturellen Bedingungen unterscheiden,
sind angepasste Konzepte und Planungsprozesse unabdingbar. Allen gemein sollte allerdings ein ganzheitlicher Ansatz sein, der Stadtentwicklung als eine
www.vdi.de
gesamtgesellschaftliche Aufgabe unter Beteiligung
aller betroffenen Stadtbewohner betrachtet.
Die Stadt der Zukunft erfordert das Denken in Systemen und Alternativen unter teilweise schwierigen
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Für die Entwicklung nachhaltiger Lösungen für die Städte von morgen ist sowohl das interdisziplinäre Arbeiten als auch die Beteiligung von Stakeholdern bereits bei der Konzeption der Prozesse
zwingend notwendig. Bei der Vernetzung, dem Monitoring und der Optimierung städtischer Infrastrukturen
nimmt die Informations- und Kommunikationstechnologie eine Schlüsselrolle ein und ermöglicht zudem
neue Geschäftsmodelle.
Diese VDI-Handlungsfelder beleuchten die sozialen,
kulturellen, administrativen und technologischen
Aspekte der urbanen Siedlungs- und Wirtschaftsformen, vergessen aber nicht den neuen, systemischen
Ansatz. Dieser beinhaltet die ganzheitliche Sicht auf
bisher administrativ und technologisch getrennte
Bereiche einer Stadt (sowie Region) in der Annahme,
dass ein hoher Grad an Optimierung sowie neuen
Geschäftsmodellen hebbar sind. Insbesondere hat der
Mensch als „Konsument“ der neuen Lebensumgebung
permanent als Ausgangspunkt aller Veränderung im
Fokus zu stehen.
Es gibt viele weit auseinandergehende Definitionen
der Trends zur Stadt der Zukunft. Die System Evaluation Group Smart City der International Electrotechnical Commission (IEC) zählt in einer nicht repräsentativen Studie mehrere hundert. Je nach Ursprung der
Definition, sei es IKT-Industrie, Automobilindustrie,
Wissenschaft oder Politik, ist erkennbar, was die
jeweilige Motivation ist.
Der Fokus der VDI-Initiative Stadt:Denken liegt, im
Unterschied zu vielen anderen „Smart-City-Bewegungen“, auf der mitteleuropäischen gewachsenen Stadt
mit ihren teils in Jahrhunderten entwickelten Strukturen und Systemen.
Angesichts der Komplexität, Breite und Auswirkung
des Themas sieht sich der VDI in der Kompetenz,
Position zu beziehen. Diese Expertise beinhaltet ebenso politisches Verständnis, Kenntnis der (deutschen)
administrativen Prozesse sowie Regularien, die eine
entscheidende Rolle in der lokalen Umsetzung eines
globalen Trends zur Nachhaltigkeit spielen.
In jedem Falle beschreiben die nächsten Schritte zur
Stadt der Zukunft keinen direkten Weg, der durch die
Vorgabe einer Roadmap erreicht werden kann.
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
7
2 Neue Denkanstöße und Tendenzen
2.1
Stadtentwicklung
Die durch Menschen verursachten physischen Veränderungen des Planeten sind inzwischen so immens,
dass Wissenschaftler von einem neuen Erdzeitalter,
dem „Anthropozän“, sprechen. Einer der wirkmächtigsten Prozesse ist dabei die Verstädterung. Bereits
heute wird von einer mehrheitlich „städtischen“ Weltbevölkerung gesprochen, und die Urbanisierung wird
sich in den kommenden Jahrzehnten nach allgemeiner
Einschätzung ungebrochen fortsetzen.
Der vielbeschworene Beginn eines „urbanen Zeitalters“ ruft in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft
durchaus widersprüchliche Wertungen hervor. So
werden Metropolen und Stadtregionen als Motoren
ökonomischen Wachstums und Hauptschauplätze
wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts
wahrgenommen. Zugleich gelten sie aber auch als
Orte, an denen soziale Ungleichheit und ressourcenintensive Lebens- und Konsumstile augenscheinlich
werden. Unstrittig ist, dass die Urbanisierung zugleich
Ursache und Ergebnis einer weitreichenden Transformation von Gesellschaften und ihren ökonomischen, sozialen und kulturellen Grundlagen ist. Die
Globalisierung des produktiven Kapitals und die Herausbildung einer neuen, weltumspannenden kapitalistischen Marktordnung befördern die räumliche Konzentration von Bevölkerung und Wirtschaftsleistung
in urban geprägten Regionen in nie gekanntem Umfang. Die Weltbank schätzt, dass etwa ein Viertel der
globalen Wirtschaftsleistung auf nur 0,3 % der Landfläche des Planeten produziert wird. Großstadtregionen wie New York oder Tokio weisen ein höheres
Inlandsprodukt auf als ganze Staaten wie Kanada oder
Spanien [1].
Urbanisierung ist dabei kein einheitliches Phänomen,
sondern zeigt in ihren regionalen Dynamiken und
Ausprägungen gravierende Unterschiede. Dies gilt für
die Intensität demografischen und wirtschaftlichen
Wachstums ebenso wie für die raumstrukturellen
Ausprägungen einer zunehmenden Verstädterung.
Während die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer derzeit eine stark expansive Wachstumsphase
ihrer verstädterten Räume erleben, erfahren westliche
Industriestaaten eine auslaufende Urbanisierungsdynamik.
Ein Ende der Urbanisierung in dem Sinne, dass in
Zukunft wahrscheinlich nicht wesentlich mehr Menschen in großen Städten und Stadtregionen leben
werden, bedeutet aber alles andere als ein „Ende der
Entwicklung“. Im Gegenteil, verstädterte Regionen in
Europa und Deutschland sind mit äußerst dynamischen ökonomischen, sozialen wie auch politischinstitutionellen Restrukturierungsprozessen konfrontiert. Auch im 21. Jahrhundert lässt sich Stadtentwicklung nur als stetiger Wandlungsprozess, als permanente, sich eher noch beschleunigende Veränderung
begreifen. Das in zeitlicher wie räumlicher Hinsicht
anzutreffende Nebeneinander von demografischem
Wachstum und Schrumpfung, von ökonomischer
Aufwertung und Destabilisierung, von sozialer Integration und Marginalisierung kennzeichnet die
Raum- und Stadtentwicklung im „post-industriellen“
Zeitalter mehr noch als in früheren Epochen. Akteure
aus Politik und Planung haben heute mehr denn je
unter Bedingungen von Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit zu handeln.
Eine nachhaltige Urbanisierungspolitik muss Antworten auf beides finden, auf dynamische Wachstumsprozesse und krisenhafte Schrumpfung von Bevölkerungen und Wirtschaftsleistung. Hier stellen sich für
die relevanten Akteure aus Gesellschaft, Politik und
Wissenschaften fundamentale Fragen: Wie lässt sich
eine kompakte und urbane Stadt schaffen (oder bewahren), die aber zugleich eine „grüne“ Stadt ist? Wie
können Städte ressourceneffizienter werden, ohne für
weniger einkommensstarke Bevölkerungsteile unbezahlbar zu werden? Wie lassen sich „kreative“ Städte
schaffen, die wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten bieten, ohne dabei Ziele von Gerechtigkeit und
gesellschaftlicher Solidarität zu relativieren. Technologisch aufgerüstete „Smart Cities“ versprechen Effizienz- und Komfortgewinne, zugleich wird vor den
Risiken von Überwachung und Bevormundung durch
den Staat oder multinationale Unternehmen gewarnt.
Schließlich soll die Stadt der Zukunft offen sein für
baulich Neues, sie soll aber auch Historisches bewahren, sie soll risikovorsorgend und resilient sein.
Die diskontinuierlichen und disparaten Entwicklungsbedingungen, denen sich die Raum- und Stadtentwicklung in den Ländern des globalen Nordens und
Südens, aber auch innerhalb von Europa und Deutschland ausgesetzt sehen, machen deutlich, dass derartige
– in Politik und Gesellschaft weithin geteilte – Idealvorstellungen einer „Stadt der Zukunft“ auf ganz
individuelle Handlungsvoraussetzungen treffen: in
wachsenden und schrumpfenden Städten, in Städten,
die immer stärker in globale Wirtschaftszusammenhänge eingebunden sind und solchen, die mit ihrem
altindustriellen Erbe zu kämpfen haben, in Städten,
die schuldenfrei sind und solchen, die sich als fiskalisch kaum mehr handlungsfähig ansehen müssen.
Eine wie auch immer geartete „Blaupause“ einer
www.vdi.de
8
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Zukunftsstadt erscheint daher wenig instruktiv. Gefordert ist eine Pluralität von Zukunftsentwürfen angesichts der von Stadt zu Stadt vielfältig differenzierten Herausforderungen, Risiken, Chancen und Begabungen. Jede Stadt muss eigene Antworten darauf
finden, wie Attribute von „Kompaktheit“, „Resilienz“
oder „Gerechtigkeit“ lokal adaptiert und in gesellschaftlich vermittelbare Handlungskonzepte übersetzt
werden können.
In diesem Zusammenhang gehört auch das in Politik
und Gesellschaft bis heute dominante Verständnis von
„Stadt“ auf den Prüfstand. Was ist Stadt, wo hört sie
auf? Es ist ein fundamentales Missverständnis, Stadt
allein mit baulich verdichteten und sozial gemischten
Siedlungsräumen gleichzusetzen. Wie die meisten
Staaten des globalen Nordens ist auch Deutschland
eine suburbane Nation, in der die Bevölkerungsmehrheit in Gebieten lebt, die nach traditionellem Verständnis nicht als „urban“ zu bezeichnen sind. Allein
aus diesem Grund kann das suburbane Umland nicht
aus den Überlegungen zur Gestaltung einer nachhaltigen Urbanität ausgeklammert werden, im Gegenteil,
hier stellen sich womöglich noch weitaus größere
Herausforderungen für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft des „Städtischen“.
Die Überwindung eines Bilds von Stadt als „räumlicher Container“ wird auch durch die vielfältigen
(umwelt-)funktionalen Verflechtungen großer Metropolen nahegelegt, die den Bestand urbaner Systeme
erst ermöglichen. Große Städte sind keine autark
funktionsfähigen Systeme, sie eignen sich Tragfähigkeit aus einem weiten Umland an, indem sie große
Mengen an Energie, Wasser und Nahrungsmitteln
importieren und verschiedene Formen von Schadgasen und Abfallstoffen freisetzen. Allerdings wäre es
vollkommen falsch, Stadtregionen als „parasitäre“
Systeme zu diskreditieren. Bei gegebenem Wohlstandsniveau können Städte aufgrund ihrer größenund dichtebedingten Effizienzvorteile produktive und
reproduktive Aktivitäten ressourcenschonender organisieren als gering verdichtete suburbane oder ländliche Siedlungsformen. Dies äußert sich in vergleichsweise geringeren spezifischen Energieeinsätzen und
Schadstoffausstößen des städtischen Wohnens und der
Mobilität sowie in einer kostengünstigeren Bereitstellung infrastruktureller Leistungen.
Die „Stadt der Zukunft“ muss diese Effizienzvorteile
konsequenter nutzen, was aber ein radikales Umdenken in der Planung und Gestaltung von Städten voraussetzt. Eine zukunftsfähige Stadt wird nicht nur
eine Umrüstung ihrer energietechnischen Systeme
voraussetzen. Auch der Umbau von Städten mit dem
Ziel der Bewahrung und Förderung von Dichte, Kompaktheit und Nutzungsmischung sowie des Schutzes
wertvoller Freiräume muss als wichtiger Beitrag zur
Nachhaltigkeit angesehen werden. Gleiches gilt für
www.vdi.de
die Bewältigung der gravierenden Probleme mit der
Wohnungsversorgung sowie der Infrastrukturversorgung. Wesentliche Prinzipien sind dabei eine höhere
Nutzungsdichte und zentrenorientierte Entwicklung
sowie die Mischung städtebaulicher Funktionen.
Dichte, Mischung und Kompaktheit gewährleisten
günstige Voraussetzungen für nicht motorisierte Mobilität und den öffentlichen Verkehr und verringern
damit die Abhängigkeit von motorisierten Verkehrsmitteln. Vorteile lassen sich zudem in positiven Skaleneffekten bei der Vorhaltung öffentlicher Infrastrukturleistungen, einem geringeren Maß an sozialer Segregation und Exklusion sowie im Schutz von Agrarund Naturflächen erkennen.
In den Metropolen des globalen Südens, in denen
Städte schon heute zum Teil extrem verdichtet sind
und weitere Verdichtung kaum möglich bzw. nicht
vertretbar erscheint, ist eine koordinierte Außenentwicklung erforderlich, um den vielerorts großen
Wachstumsdruck zu bewältigen. Handlungsleitend
können hier Konzepte punkt-achsialer Entwicklung
sein („Transit Oriented Development“), mit denen
neue Siedlungsgebiete im fußläufigen Einzugsgebiet
der Haltepunkte des stadtregionalen öffentlichen
Schienenschnellverkehrs entwickelt werden.
Der anhaltende Bevölkerungsrückgang in vielen europäischen oder auch nordamerikanischen Städten
und seine komplexen Wirkungen auf die Immobilienund Wohnungsmärkte sowie die städtischen Infrastruktursysteme haben zudem eine weltweite Debatte
um geeignete planerische Strategien im Umgang mit
städtischer Schrumpfung ausgelöst. Wie sich eine den
negativen demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungsbedingungen anpassende Stadtentwicklung
vollziehen kann, welche neuen Governance-Strukturen, Instrumente, Planungs- und Partizipationskulturen dies voraussetzt, ist Gegenstand eines noch lange
nicht abgeschlossenen Diskurses in Wissenschaft,
Politik und Gesellschaft.
Die internationalen Erfahrungen im stadtregionalen
Management von Wachstums- und Schrumpfungsprozessen zeigen, dass es vielerorts an geeigneten institutionellen Handlungsarenen fehlt, in denen interkommunal abgestimmte Planungen und Maßnahmen umsetzbar sind. Großstadtregionen sind heute immer
noch durch ein sachlich-räumliches Nebeneinander
von institutionellen Verantwortlichkeiten (Raumplanung, Ver- und Entsorgung, Kultur- und Sozialplanung etc.) geprägt, was eine effektive regionale Handlungskoordination stark erschwert. Nur in wenigen
Regionen existieren regionale Planungskompetenzen,
mit denen der strukturelle „Mismatch“ aus überkommunalen Verflechtungsräumen und fragmentierten
Zuständigkeiten für öffentliche Aufgaben zumindest
teilweise überwunden wird. Die „Stadt der Zukunft“
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
muss daher technologische Innovationen mit solchen
des politisch-institutionellen Fortschritts verbinden.
2.2
Kommunales
Verwaltungsmanagement
All business is local – nirgendwo kommt diese Erkenntnis mehr zum Tragen als in einer Gemeinde.
Dort, wo der Mensch lebt und arbeitet manifestiert
sich alles staatliche Handeln. Ob EU-Verordnungen,
Bundes- oder Landesgesetze, in den allermeisten
Fällen kümmern sich kommunale Dienststellen um
deren Umsetzung und Einhaltung. Kommunale Verwaltungen waren bis in die 1990er Jahre nach Aufgaben klar hierarchisch gegliedert. Die Gemeinden orientierten sich an den Vorgaben der Kommunalen
Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement –
KGSt. Die Haushalte wurden kameral geführt, in den
Haushaltsplänen wurden voraussichtliche Einnahmen
und Ausgaben gegenübergestellt, die am Ende ausgeglichen zu gestalten waren. Betrachtet wurde die
jeweils augenblickliche Situation. Wirkungen der
aktuellen Haushaltführung auf die nachfolgenden
Generationen waren nur schwer zu ermitteln.
Dann wurde die starre Gliederung nach Aufgaben
aufgegeben. Die Kommunen bekamen größere Gestaltungsmöglichkeiten. Der Dienstleistungsgedanke
nahm Einzug. Das Schlagwort von der Verwaltungsmodernisierung machte die Runde. Viele Aufgaben,
die bis dato in starr organisierten Ämtern verortet
waren, wurden in städtische Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Eigenbetriebe bzw. eigenbetriebsähnliche Einrichtungen ausgegliedert. Dort wurde natürlich nach kaufmännischen Prinzipien gewirtschaftet und Buch geführt. Schließlich zog die Doppik
auch in die kommunalen Haushalte ein. Die Gemeindeverwaltungen mussten umdenken; sie hatten sich
nicht mehr nach Aufgaben zu orientieren, sondern
nach Produkten. Mit dem „Neuen Kommunalen Finanzmanagement“ wurde es möglich, auch die langfristigen Wirkungen des eigenen Wirtschaftens über
langfristige Verbindlichkeiten und Rücklagen in den
Betracht zu ziehen.
Doch trotz dieser Modernisierungsprozesse stehen die
Kommunen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Das
hat zum einen damit zu tun, dass sie auf der Einnahmenseite nur wenige selbst zu beeinflussende Quellen
wie die Gewerbesteuer zu Verfügung haben und auf
Zuweisungen des Bundes und der Länder nach komplizierten Schlüsseln angewiesen sind, während auf
der anderen Seite die übergeordneten Ebenen immer
mehr Aufgaben an die Gemeinden delegieren, ohne
auf ausreichende finanzielle Kompensation zu achten.
Zwar ist das Konnexitätsprinzip gesetzlich festge-
9
schrieben, doch die Umsetzung lässt deutlich zu wünschen übrig.
Wenn die ebenfalls gesetzlich festgeschriebene
Schuldenbremse für den Bund im Jahre 2016 in Kraft
tritt und die für die Länder vier Jahre später, ist zu
erwarten, dass dies auf die Finanzsituation der Kommunen gravierend durchschlagen wird. Damit die
Kommunalverwaltungen in Zukunft auch nur den
Hauch einer Chance haben, mit ihren Ressourcen
auskömmlich zu wirtschaften, sind sie in allen Bereichen auf intelligente Lösungen angewiesen.
Selbstverständlich haben Technisierung und Digitalisierung auch in den Gemeinden Einzug gehalten;
allerdings in Form von Insellösungen. Die Gemeinden
müssen die Integration der vorhandenen heterogenen
Systemstruktur zum vorrangigen Ziel machen. Bereits
aus dem riesigen, tagtäglich anfallenden und nur unzureichend genutzten Datenvolumen lässt sich großer
Nutzen ziehen und durch gemeinsame IKT für identische Aufgaben extrem kostspielige und unnötige
Redundanz vermeiden.
Der Begriff Smart City geht allerdings deutlich weiter
als die Einführung von Technologie einzig zum Zwecke der verbesserten Durchführung der bestehenden
Verwaltungsprozesse. Technik, Prozesse, Betriebswirtschaft und die kommunale Strategie sollten eine
Einheit bilden mit Investition und Innovationsmanagement als inhärentem Teil. Einnahmequellen werden heute schon seitens der Industrie z. B. in Bezug
auf Daten ausdrücklich angeboten, aber nicht genutzt.
Auch wenn keine gesetzliche Hürde im Weg steht,
kann wegen politischer Bedenken oder Fehlens eines
Geschäftsprozesses nicht betriebswirtschaftlich agiert
werden. Hier bedarf es der Bereitstellung von Geschäftsmodellen und (technischer) Interoperabilität
mit der Nachbarkommune, der Region, dem Land und
der administrativ-geografisch unabhängigen industriellen IKT. Des Weiteren kann auf diese Weise die
positive Kopplung an das lokale, innovationsbasierte
Wirtschaftswachstum verstärkt werden, wovon die
Wirtschaft wie auch die Verwaltung als Teil eines
gemeinsamen Kreislaufs selbstverstärkend profitieren.
2.3
Wirtschaftsförderung
„Aufgabe der Wirtschaftsförderung ist es, die kommunalen und regionalen Rahmenbedingungen für
privatwirtschaftliches Handeln so zu beeinflussen,
dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die
Menschen einer Kommune oder Region positiv beeinflusst werden.“ [2] Die Aufgaben der Wirtschaftsförderung gehen heute weit über Flächenbereitstellung
und Vermarktung für Gewerbetreibende oder die
Funktion eines „kommunalen Kummerkastens“, bei
dem die Unternehmen ihre Probleme mit Verwaltunwww.vdi.de
10
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
gen abladen können, hinaus. Sie ist das Bindeglied
zwischen Unternehmen, Verwaltung und Politik, um
so den Informationsfluss sicherzustellen und die Interessen aller Seiten zu wahren. Sie informiert über
Energie- und Ressourceneffizienz oder Förder- und
Finanzierungsinstrumente und initiiert Gründungen.
Sie ist auch die Vernetzungsplattform zwischen Unternehmen, Wissenschaft und anderen Einrichtungen.
Dabei werden aber auch wirtschaftsfern scheinende
Lebensbereiche wie Familie, Bildung und Freizeit
einbezogen. Dies ist gerade in Zeiten des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und der Internationalisierung der Wirtschaft von Bedeutung. Die
Bestandspflege ist dabei ein zentrales Thema [3].
Qualifiziertes Personal ist ein entscheidender Standortfaktor, um sich von anderen Standorten zu unterscheiden. Hochschulstandorte und Großstädte haben
ein größeres Potenzial. Für die Fachkräftesicherung
wird die Wirtschaftsförderung zur wichtigsten
Schnittstelle zwischen Kommune, Unternehmen,
Kammern, Arbeitsverwaltung, Hochschulen, Erwerbspersonen und Nachwuchs. Weiche Faktoren wie
Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Bildungs- und Integrationsprojekte oder Optionen
der beruflichen Weiterbildung vor Ort sind mitbestimmend für den Erfolg. Das Management von lokalen und regionalen Netzwerken oder Initiativen zum
Wissenstransfer zwischen Unternehmen und Wissenschaft festigen das Interesse am Standort und ist deshalb eine Daueraufgabe.
Wissensintensive Dienstleistungen als Wirtschaftsmotor steigern die Wettbewerbsfähigkeit. Es sind nicht
mehr allein materielle Produkte gefragt, sondern auch
die Verbindung mit innovativen Dienstleistungsprodukten. Dies sind unternehmensnahe, aber eigenständige Leistungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wissensintensive Dienstleistungen verlängern die bekannten Wertschöpfungsketten und eröffnen neue Märkte für die Unternehmen. Unterstützt
wird diese Tatsache durch die Faktoren der Kreativwirtschaft, die als entscheidender Faktor auf dem Weg
zur wissensbasierten Ökonomie gewertet wird.
Klimaschutz, Klimawandel, Ressourceneffizienz oder
Energiewende bieten neue Chancen und Risiken für
Standorte, Infrastrukturen, Wirtschaftsbranchen und
Unternehmen (green economy). Steigende Rohstoffund Energiepreise sowie verstärkter Wettbewerb
verlangen sowohl weitere Effizienzsteigerungen beim
Energieeinsatz, als auch den Schutz von Klima und
Umwelt zur Erhaltung und Verbesserung der Standortbedingungen. Energiewende oder die Förderung
neuer Mobilitätskonzepte sind geeignet, Standorte zu
Kompetenzzentren in den Bereichen Energie, IKT
und Mobilität zu machen. Sie lösen eine neue Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen aus. Das
Schließen von Wissenslücken und die Schaffung von
www.vdi.de
Anreizen, diese Märkte zu erschließen, ist eine der
neuen Herausforderung der Wirtschaftsförderung [4].
2.4
Sozioökonomische und ökologische
Aspekte
Städte waren schon immer der Nukleus gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklungen. Durch ihre
räumliche Dichte und das Neben- und Miteinander
von Vielfalt und Gegensätzen, von gesellschaftlichen
Gruppen und Architekturen bilden sich Reibungsflächen, die einen fruchtbaren Nährboden für Innovationen bilden. Die Stadt bildet somit den optimalen Experimentierraum alle Arten von Innovationen - also
für Produkt-, Service-, Prozess-, Geschäftsmodell-,
aber vor allem auch soziale und Systeminnovationen
(Stichwort Sharing Economy, Upcycling etc.) [5].
Eine wichtige Ressource für Innovationen sind kreative Talente. Auch sie werden durch Reibungsflächen
angezogen. Das Neben- und Miteinander von Menschen, Ideen und Problemlösungsansätzen unterschiedlichster Herkunft ist ein interessantes Betätigungs- und Inspirationsfeld für Designer, Medienschaffende, aber auch für Forscher und Entwickler
[6].
Aufgrund dieser Eigenschaften sind Städte seit jeher
Zentren ökonomischer Aktivität. Ökonomische Traditionen und Pfade bestimmen bis heute formelle und
informelle Institutionen des ökonomischen Austauschs. Städte sind Treiber des Wandels von der
Industrie- und Dienstleistungsökonomie hin zur Wissensökonomie. Auch dieser Megatrend begünstigt den
Bedeutungsgewinn des „Akteurs Mensch“ in der
Stadt.
Aus der sozialen und ökologischen Perspektive haben
Städte auch vielfältige Probleme. Gentrifizierung
kann zu einer „Vertouristierung“ bzw. zu Verdrängungsprozessen führen, die authentische sowie einzigartige städtische Identitäten gefährden. Damit ist
auch die Vielfalt sozialer Milieus, und damit unmittelbar die städtische Attraktivität und Urbanität sowie
mittelbar die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit
bedroht. Genauso ist die „Ökologische Stadt“ angesichts der Dichte an Menschen und Industrie eine
besondere Herausforderung. Dies betrifft insbesondere die Handlungsfelder Stadtklima, Luftreinhaltung
und Kreislaufwirtschaft. Derzeit beschäftigen sich
eine Reihe von Initiativen mit dem ökologischen
Stadtumbau im Spannungsfeld von Energieeffizienz,
sozialer Verträglichkeit, städtebaulicher Attraktivität
und Zukunftsfähigkeit (insbesondere Digitalisierung)
[7]. Im Sinne der Flächeneffizienz sind ist hierbei
auch die Reaktivierung von Brachflächen von besonderer Bedeutung.
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Weitere aktuelle Themen sind „Low-Budget Urbanity”, also die Sicherstellung einer Urbanität unter dem
Primat des Sparens sowie das bürgerschaftliche Mitwirken an städtischen Entwicklungsprojekten und
deren Akzeptanz.
2.5
Religiöse, soziale und kulturelle
Aspekte
Die Kirchen sind wichtige gesellschaftliche Akteure.
In ihren großen zivilgesellschaftlichen Netzwerken
bringen sie ausgeprägtes fachliches Wissen zur Stärkung von Gemeinwesen ein. Im Rahmen einer nachhaltigen Stadt- und Quartiersentwicklung ist es Ziel
kirchlichen Handelns, das Gemeinwesen im Zusammenwirken mit Bürgerinnen und Bürgern partnerschaftlich zu gestalten und Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen in jeder Lebensphase zu schaffen. Kirchen verstehen sich als
„Ermöglicher“ von Kommunikation, Partizipation und
Entwicklung integrierter und religiös motivierter
Handlungskonzepte. Die unterschiedlichen Gruppen
unserer Gesellschaft sollen sich aktiv beteiligen können – selbstverständlich auch Menschen mit prekärem
sozialen Status ebenso wie (Neu-)Bürger ausländischer Herkunft. Die gesellschaftliche Akzeptanz der
Institution Kirche erleichtert eine sektor- und themenübergreifende Arbeit.
Leben, Wohnen, Arbeiten in der Stadt: Für alte, gewachsene Stadtteile gilt es, neue Planungskulturen
und lebenswerte Perspektiven zu entwickeln. Andere
Stadtquartiere entstehen neu – oft urban, modern,
mondän; auch gerne in ehemaligen Industriestadtteilen. Sie sind in der Regel schick, hipp und teuer:
Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf, Köln – stadt- und
wassernahe Quartiere, die aber nicht selten künstlich
bleiben und denen es an sozialem Zusammenhalt
fehlt. Diesen Zusammenhalt erwarten Menschen aber
von der Stadt der Zukunft. Kirche setzt sich bei der
Entwicklung der Stadt der Zukunft dafür ein, dass alle
Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigt werden und
moderiert gegebenenfalls einen Ausgleich gegenläufiger Interessen. So geschieht Stadtentwicklung im
Sinne aller Menschen, die in der Stadt leben. Das
entspricht auch den Zielsetzungen einer sozioökologischen Transformation.
Eine Stadt der Zukunft braucht flexible, intelligente,
bezahlbare Wohn- und Lebensmodelle in allen Größen und Wohnformen: energieeffizient und ressourcenschonend, altersgerecht und mit hohem Wohnstandard. Solche Modelle wollen gut geplant sein.
Ältere Stadtteile zukunftsfähig zu entwickeln, ist die
eine Herausforderung. Die aktuelle – auch visionäre –
Neuplanung ist die andere Herausforderung, die ebenso große Chancen bietet, den Bedürfnissen einer äl-
11
terwerdenden und differenzierteren Gesellschaft
Rechnung zu tragen. Das heißt vor allen Dingen, den
Wunsch nach Zusammenleben zuzulassen und den
sozialen Zusammenhalt zu stärken. Nachbarschaftsagenturen, Stadtteilläden, Nachbarschaftswerke, Caféund Begegnungsangebote sind gute Beispiele der
Zusammenarbeit von kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.
2.6
Informations- und
Kommunikationstechnik (IKT)
Im Kontext des technologischen wie politischen
Trends “Smart City” kommt der Informations- und
Kommunikationstechnologie eine Sonderrolle zu. Die
IKT hat keinen Wert für sich alleine, sondern ist „Ermöglicher“ für viele Zwecke, und zwar ausnahmslos
aller eine Stadt der Zukunft tragenden Technologien.
Sie stellt eine Kombination von Querschnittstechnologien dar.
Die begründete Erwartungshaltung an IKT ist, über
Datenaustausch zwischen bisher unverbundenen „Systeme“ im weitesten Sinne nicht nur eine Optimierung
der bisherigen Prozesse zu erzielen, sondern auch
ganz neue Vorgehensweisen hervorzurufen, die im
Sinne des Themas die Nachhaltigkeit verbessern und
menschliche Bedürfnisse (besser) befriedigen.
Mit Ausnahme von Aspekten der Datensicherheit,
stellt aus rein technologischer Sicht die IKT keine
Hürde für die smarte Transformation des menschlichen Lebensraums zur Nachhaltigkeit dar. Ein Datenaustausch für bekanntermaßen sinnvolle Szenarien
zwischen Geräten, Menschen und einer Mischung
daraus lässt sich technisch wie kostengünstig heute
mit vorhandenen Mitteln verhältnismäßig einfach
herstellen. Allerdings war die Entwicklung der IKT
der letzten ca. 20 Jahre nötig, um einen markttauglichen Mindestreifegrad herzustellen. Was nun fehlt
sind hauptsächlich administrative Prozesse auf öffentlicher Seite und die regulatorische Homogenisierung
eines ausreichend großen Markts, um Geschäftsmodelle zu ermöglichen.
Die Cloud als virtueller und omnipräsenter Ort ist
längst kein Mysterium mehr und trennt effektiv IKTServices (Ressourcen) vom Geschäftsmodell. Ähnliches kommt in Teilen auf die Services der urbanen
Zentren zu. Der Begriff der „hoheitlichen Aufgabe“
wird bislang immer noch mit Besitz und Betrieb der
entsprechenden Hardware assoziiert. Die Trennung
dieser Kombination wird durch den Zwang zur Kostenreduktion getrieben. Gleichzeitig werden die Services der urbanen Zentren immer komplexer. Es kann
nicht jede lokale Administration das gesamte (hochqualifizierte) Personal und Material vorhalten, um
www.vdi.de
12
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
nahezu gleiche Dienste wie andere Städte vorzuhalten.
Eine Stadt ist nicht autark und ist durch wirtschaftliche Verflechtung (im administrativen und geometrischen Sinne) zu immer weitreichenderer Interoperabilität gezwungen. Hierbei ist Mobilität und Logistik
das wahrscheinlich beste Beispiel für maximale Anforderung an Interoperabilität und Continuity of Services. Dabei bezieht sich die Anforderung nicht nur
auf Datenschnittstellen und interoperable Systeme,
sondern auch auf Dateninhalte bzw. deren Beschaffenheit im Sinne der Anwendung.
Die Traditionen der Städte in Bezug auf den Einkauf
von Dienstleistungen sind sehr unterschiedlich. Der
Betrieb einer Stadt wird dennoch mit großer Wahr-
www.vdi.de
scheinlichkeit nicht durch genau eine, monolithische
und proprietäre Softwareplattform geschehen, die
auch noch alle Aspekte steuert. Des Weiteren kann
ein städtisches System nicht wie bisher in technologischer Top-down-Doktrin in allen Details seitens der
Administration vorgegeben werden. Es ist wahrscheinlich, dass wegen der Systemkomplexität ein
durch viele Anbieter gespeistes Code-offenes Ökosystem entsteht, das in Form einer Dienstleistung angeboten wird. Dieses Verfahren ist in der Telekommunikation bereits erprobt. Durch standardisierte Schnittstellen ist es möglich, Dienstleister für spezielle
Dienstleistungen gegeneinander und im laufenden
Betrieb auszutauschen.
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
13
3 Bausteine für die Stadt der Zukunft
3.1
Demografie
Fakten in Kürze
Der demografische Wandel manifestiert sich in
Städten kleinteilig auf der Quartiersebene.
Neue Wohnformen, die auf Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstbestimmung beruhen,
werden verstärkt nachgefragt.
Die barrierefreie Bewegung im städtischen
Raum für alle Altersgruppen ist eine beständige
Herausforderung.
Mit dem Klimawandel verbundene Extremwetterereignisse bringen eine spezielle Gefährdung
für die wachsende Gruppe der älteren Wohnbevölkerung.
Eine neue Beteiligungskultur ist entstanden und
befördert den Zusammenhalt und die Identifikation mit dem städtischen Quartier.
Stand
Die Strahlkraft der Stadt als Lebens-, Wirtschafts- und
Interaktionsraum ist seit Jahrhunderten ungebrochen.
So verwundert es nicht, dass die Urbanisierung einer
der weltweiten Megatrends ist: Seit dem Jahr 2008
lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Auch in Deutschland setzt sich dieser Trend fort.
Die Urbanisierungsrate beträgt hier derzeit 74 %, die
Wachstumsrate der Verstädterung liegt bei jährlich
0,3 % [8]. Dabei sind die Klein- und Mittelstädte
anders betroffen als Großstädte. Aber auch die 76
großen deutschen Städte, die häufig von Zuzug, Wirtschaftskraft und Wissensakkumulation geprägt und
weit weniger von Alterung betroffen sind, müssen den
demografischen Herausforderungen begegnen [9].
Denn innerhalb dieser Städte grenzen Teilräume, die
wachsen, nicht selten direkt an solche, die schrumpfen
oder altern. Entsprechend zeigt vor allem die kleinteilige Betrachtung großstädtischer Quartiere, dass sich
der positive Mittelwert einer Stadt sehr häufig aus den
extrem unterschiedlichen Entwicklungen einzelner
innerstädtischer Räume zusammensetzt und nur bedingt repräsentativ ist [10]. Die Herausforderungen
des quartierspezifischen demografischen Wandels der
Stadt unterscheiden sich zwar in ihrer Ausprägung vor
Ort, lassen sich jedoch mit einigen aktuellen Trends
umreißen.
Tendenzen
Die absehbare Zunahme prekärer Einkommensverhältnisse im Alter, die Zunahme von Einpersonenhaushalten sowie der Trend zur Freundesfamilie lassen eine verstärkte Nachfrage nach neuen Wohnformen, die auf Selbsthilfe, Selbstverantwortung und
Selbstbestimmung beruhen, erwarten. Viele Städte
unterstützen bereits heute die Entstehung gemeinschaftlicher Wohnformen, von deren integrativer und
den Austausch fördernder Gestaltung sowohl ältere
Menschen, Alleinerziehende als auch junge Familien
profitieren.
Dem Quartier wird insbesondere eine besondere Bedeutung bei der Versorgung älterer Menschen im
städtischen Leben zukommen. Bis zum Jahr 2030
wird es in Deutschland 3,4 Mio. Pflegebedürftige
geben [11]. Die sorgende Gemeinschaft, mit professioneller Versorgung, kleinen wohnortnahen Einrichtungen und den Alltag unterstützenden Dienstleistungen gewinnt auch im Bereich der Pflege an Bedeutung. Kommunen kaufen in der Vergangenheit privatisierte Pflegeeinrichtungen zurück, um heute Pflege
im vertrauten Umfeld wohnortnah anzubieten. Versorgung und Pflege im städtischen Quartier muss die
älteren Menschen aktivieren, professionelle Hilfe
stärken und bürgerschaftliches Engagement erweitern.
Bild 1. Barrierefreiheit für alle Altersgruppen
Quelle: Topro
www.vdi.de
14
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Die barrierefreie Bewegung im städtischen Raum für
alle Altersgruppen ist eine beständige Herausforderung der Stadt der Zukunft (Bild 1). Dies beinhaltet
materielle Barrieren im „klassischen“ Sinne (Vermeidung von Stufen etc.), aber auch mentale Barrieren,
die sich eher auf ein subjektives Sicherheitsgefühl
beziehen, wie etwa eine unzureichende Beleuchtung.
In Bezug auf den städtischen Verkehr werden Verkehrsleitsysteme zur Verkehrsaufkommensregulierung, städtische Sharing-Konzepte für Pkw oder Fahrrad sowie umweltfreundliche Fahrzeuge (eMobility)
entwickelt und getestet. Durch diese Maßnahmen
werden langfristig Abgasemissionen reduziert und das
innerstädtische Mikroklima verbessert. Zielen diese
Angebote bisher verstärkt auf die Zielgruppe jüngerer
Erwachsener, deren Wertvorstellungen oftmals auch
den eigenen Pkw obsolet werden lassen, fehlen bisher
noch weitgehend Angebote, die explizit die Mobilität
älterer Menschen adressieren.
Klimawandel und demografischer Wandel bilden
zukünftig zwei der maßgeblichen Herausforderungen
– sowohl im globalen Maßstab als auch auf Ebene der
kommunalen Stadtentwicklung. Beide Phänomene
sind zudem nicht völlig voneinander zu trennen. Klimaforscher prognostizieren bis zum Jahr 2050 einen
Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur um
ein bis zwei Grad. Daraus können absehbar längere
sommerliche Hitzeperioden und damit verbundene
Extremwetterereignisse resultieren, die eine spezielle
Gefährdung für die wachsende Gruppe der älteren
Wohnbevölkerung darstellen. Um diese Veränderungen zu bewältigen, bedarf es lokal angepasster und
integrierter Ansätze.
Schlussfolgerungen
Das städtische Quartier ist bei allen Maßnahmen eine
wichtige, wenn nicht die entscheidende Bezugsgröße.
Als alltägliches Lebensumfeld der Bewohner lassen
sich hier innovative Ideen besonders gut umsetzen.
Die Rückbesinnung auf diese kleinste öffentlichprivate Einheit einer Stadt ist eine vielfach zu beobachtende Entwicklung. Ganz im Sinne des Konzepts der Transition Towns, das der Abhängigkeit von
den Schwankungen des Erdölpreises etwas entgegen
setzen will, werden kleine Maßnahmen vor Ort
durchgeführt, die in der Summe ein beachtliches Veränderungspotenzial haben. Die Pluralität der Gesellschaft manifestiert sich somit auch in der Vielschichtigkeit der Stadt und des städtischen Lebens. Dazu
gehören auch in deutschen Städten zu beobachtende
Trends, z. B. die Rückbesinnung auf Lokales und
Selbstgemachtes über Urban Farming-Ansätze und
Reparatur-Cafés, der schonende Umgang mit der
Natur und den Energiereserven (z. B. durch Fahrge-
www.vdi.de
meinschaften) sowie die Rückkehr zu einer lokalen
Wirtschaft durch den Bezug regionaler Produkte.
Die Veränderungen in der Zusammensetzung der
Bevölkerung in vielen Städten führt zum kritischen
Hinterfragen bestehender Formen der Daseinsvorsorge sowie zu engagierten Debatten nach Generationengerechtigkeit. Diese und weitere anstehende Entscheidungen mit spürbarem Einfluss auf den Alltag des
Einzelnen haben die Eigenmobilisierung der Bürgerschaft befördert. Zivilgesellschaftliche Akteure suchen für ihr Engagement verstärkt neue Wege.
Eine neue Beteiligungskultur, hervorgerufen durch
einen notwendigen, teils tiefgreifenden und auch
demografisch bedingten Handlungsbedarf, ist entstanden und befördert den Zusammenhalt, die Identifikation mit dem städtischen Quartier und erzeugt lokal
nutzbares Wissen. Je größer der Anteil der eingebundenen Bevölkerung in ihrer Vielfalt ist, umso inklusiver ist die Stadt und kann innovative Potenziale entwickeln.
Ausgewählte VDI-Publikationen
VDI 2242 „Konstruieren ergonomiegerechter
Erzeugnisse“
VDI/GGT 2236 „Generationsgerechte Gestaltung
und Bewertung technischer Produkte“
VDI 6008 Blatt 1 „Barrierefreie Lebensräume;
Planungsgrundlagen“
VDI 6008 Blatt 1.2 „Barrierefreie Lebensräume;
Schulungen“
VDI 6008 Blatt 2 „Barrierefreie Lebensräume;
Möglichkeiten der Sanitärtechnik“
VDI/VDE 6008 Blatt 3 „Barrierefreie Lebensräume; Möglichkeiten der Elektrotechnik und Gebäudeautomation“
VDI 6008 Blatt 4 „Barrierefreie Lebensräume;
Möglichkeiten der Aufzugs- und Hebetechnik“
VDI/VDE/IT – Institut für Innovation und Technik „Facetten des Demografischen Wandels. Neue
Sichtweisen auf einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess“
VDI/VDE/IT – Institut für Innovation und Technik „Zukunftsprojekt „Zukunftsstadt“ – Eine Fallstudie zur systemischen Transformation“
VDI/VDE/IT – Institut für Innovation und Technik „Älter, weniger, vielfältiger – innovativer?“
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
VDI/VDE/IT – Innovationspolitische Standpunkte
aus der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH
zum Thema Zukunftsstadt
Broschüren, die durch die VDI/VDE-IT im Rahmen der Projektträgerschaft für das Referat 524 im
Bundesministerium für Bildung und Forschung
„Demografischer Wandel; Mensch-TechnikInteraktion“ entstanden sind:
‒ Forschung für mich – Forschung mit mir. Ergebnisse der Senioren-Werkstattgespräche zur
Forschungsagenda der Bundesregierung für
den demografischen Wandel „Das Alter hat
Zukunft“
‒ Demografie-Werkstattgespräche. Mit Forschung den Weg in die Zukunft gestalten
3.2
Beteiligung
Fakten in Kürze
Bau- und Infrastrukturprojekte stoßen häufig
auf Widerstand von Teilen der Bevölkerung.
Gesellschaftlich nachhaltige Lösungen erfordern Konzepte für Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung.
Kommunikation muss systematisch geplant
werden – von der Grundlagenermittlung bis zur
Baufertigstellung.
Beteiligung erfordert zu Beginn eine gründliche
Themen- und Stakeholderanalyse.
Verständlichkeit und Visualisierungen sind für
die Akzeptanz von Projekten von besonderer
Bedeutung.
Stand
Nachhaltiges Bauen umfasst ökologische, ökonomische und soziale Aspekte. In jüngster Zeit tritt ein
vierter Aspekt neben die traditionellen Säulen der
Nachhaltigkeit: Bürgerbeteiligung. So betont z. B. das
Umweltministerium Baden-Württemberg in seinem
aktuellen Pilotprojekt „Nachhaltige Kommunalentwicklung“ die Bedeutung von Bürgerbeteiligungsverfahren für das nachhaltige Bauen in Gemeinden, Städten und Landkreisen – etwa, wenn es um die Entwicklung von Ortskernen oder Gebieten im Hinblick auf
Sanierung, Wohnen und Nahversorgung geht. Vor
allem beim Bauen im Bestand, bei dem zahlreiche
15
Anwohner betroffen sind, sei eine nachhaltige Entwicklung ohne Bürgerbeteiligung nicht möglich.
Auch bei Bauvorhaben aus den Infrastrukturbereichen
Energie und Verkehr spielt die Akzeptanz der Bevölkerung eine immer größere Rolle. Nicht nur gegen
große Bauprojekte, sondern auch gegen Infrastrukturprojekte regt sich oft Protest. Ziel muss es aber sein,
Bürgerinnen und Bürger vor Ort sowie lokale Verbände, Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen bei Bau- und Infrastrukturprojekten als Partner zu gewinnen, um gemeinsam gesellschaftlich
tragfähige Lösungen zu finden.
Gesellschaftlich tragfähige Lösungen erfordern von
Ingenieuren und Vorhabenträgern neue Fähigkeiten.
Technische, rechtliche und wirtschaftliche Kenntnisse
alleine reichen nicht mehr aus. Neben Formen der
Bürgerbeteiligung kommt der Kommunikation zwischen Vorhabenträgern, Politik, Verwaltung und Bürgern eine entscheidende Bedeutung zu. Dies schlägt
sich nicht zuletzt in zahlreichen Untersuchungen und
Leitfäden nieder, wie informelle Bürgerbeteiligung
organisiert werden kann [12, 13, 14]. In BadenWürttemberg traten am 01.03.2014 die Verwaltungsvorschrift und der dazugehörige Leitfaden für Öffentlichkeitsbeteiligung in Kraft. Die Verwaltungsvorschrift regelt, wie Landesbehörden informelle Bürgerbeteiligung praktizieren sollen, wenn sie selbst Vorhabenträger sind. Und sie regelt, dass Landesbehörden
bei privaten Vorhabenträgern auf informelle Bürgerbeteiligung hinwirken sollen. Die Verwaltungsvorschrift verweist explizit auf die Richtlinie VDI 7001,
die ebenfalls am 01.03.2014 veröffentlicht wurde. Sie
beschreibt, wie durch frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung und Dialog-Kommunikation in allen Leistungsphasen der Ingenieur-Planung – von der Grundlagenermittlung, über die Detail- und die Genehmigungsplanung, die Bauausführung bis hin zur Baufertigstellung und Inbetriebnahme – gesellschaftlich
tragfähige Lösungen gefunden werden können. Zudem beschreibt sie Grundprinzipien und Standards,
wie eine „gute“ Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung gestaltet werden soll.
Tendenzen
Vorhabenträger erkennen immer häufiger: Das Kommunikationsmanagement muss permanenter Bestandteil des Projektmanagements sein – von der Grundlagenermittlung bis zur Baufertigstellung. Frühzeitige
und umfassende Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung sichern die inhaltliche Angemessenheit
der technischen Lösung für den gesellschaftlichen
Bedarf und senken damit die Wahrscheinlichkeit
eskalierender Konflikte. Vorhabenträger, Ingenieure
sowie die weiteren Beteiligten treten daher idealer-
www.vdi.de
16
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
weise bereits in der Entwicklungsphase von Bau- und
Infrastrukturprojekten in einen intensiven Austausch
mit dem gesellschaftlichen Umfeld und stellen sich
einem ernst gemeinten Dialog (Bild 2). In dessen
Mittelpunkt steht einerseits die grundsätzliche Notwendigkeit von Bau- und Infrastrukturprojekten.
Andererseits geht es um die gesamtgesellschaftliche
Abwägung der technischen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Auswirkungen dieser Projekte.
Bild 2. Praxisdialog – Quelle: IFOK
Formelle Verfahren, die der Gewährleistung von
Rechtssicherheit und Klagerechten dienen, können
durch Kommunikation und informelle Beteiligungsprozesse begleitet und ergänzt werden. Gute Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung und ihre Instrumente lassen sich nach der angestrebten Wirkung
unterscheiden in drei Ebenen:
Information
Konsultation
Mitgestaltung
Jede dieser Ebenen stellt unterschiedliche kommunikative Anforderungen und erfordert entsprechende
Instrumente. Auf allen drei Ebenen spiele Verständlichkeit und Visualisierungen eine zentrale Rolle.
Auf der Informationsebene ist es Ziel, die breite Öffentlichkeit auf ein konkretes Vorhaben aufmerksam
zu machen und über Projektziele und Planungsstand
in Kenntnis zu setzen. Auch geht es darum, aktiv um
Verständnis für den Nutzen eines Projekts zu werben.
Bereits von Anfang an müssen Vorhabenträger Transparenz herstellen. Hier können angemessene Visualisierungen einen erheblichen Informationsbeitrag leisten und die geforderte Transparenz sicherstellen.
Auf der Konsultationsebene werden in einem intensiven Prozess konkrete Vorschläge diskutiert sowie
Ideen und Handlungsempfehlungen erarbeitet, auf die
die beteiligten Akteure später aufbauen können. Die
direkte Interaktion zwischen Vorhabenträgern und
einer (interessierten) Öffentlichkeit hat dabei beraten-
www.vdi.de
den Charakter. Ziel ist es, lokales Wissen abzufragen
sowie vielfältige Interessen und Perspektiven in die
Planung einzubeziehen. Hier können angemessene
Visualisierungen einen erheblichen Betrag dazu leisten, die Auswirkungen alternativer Planungen und der
Vorschläge aus der Bürgerschaft darzustellen und zu
überprüfen. Angemessene Visualisierungen ermöglichen somit den Variantenvergleich in einer für die
Bürger anschaulichen Art und Weise – möglichst in
Echtzeit, noch während eines Bürgerforums oder
eines Planungsworkshops.
Auf der Ebene der Mitgestaltung geht es um die strukturierte Bearbeitung von Kontroversen, konkreten
Problemstellungen und gegensätzlichen Interessenlagen im Zuge des Planungs- und Bauprozesses. Ziel ist
eine auf Ausgleich zwischen den unterschiedlichen
Interessengruppen ausgerichtete Problemlösung, mindestens aber eine Versachlichung der Debatte mittels
einer gemeinsamen Faktenklärung. Hier können angemessene Visualisierungen eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die beteiligten Akteure darstellen.
Eine durchdachte Kommunikationsstrategie mit aufeinander abgestimmten Informations-, Konsultationsund Mitgestaltungsinstrumenten vergrößert den Handlungsspielraum der Vorhabenträger. Sie spart tendenziell Zeit und Geld. Und sie steigert die Sicherheit der
Planung und Realisierung, weil Verzögerungen und
Kosten durch spätere Einwände bei der Projektumsetzung vermieden werden können. Welche Instrumente
im jeweiligen Fall bzw. in der jeweiligen Leistungsphase einzusetzen und welche Instrumente wann und
wie miteinander zu kombinieren sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab: vom Konflikt- und Eskalationspotenzial, vom in der öffentlichen Debatte wahrgenommenen Nutzen des Bauvorhabens, von den
vorhandenen Verhandlungsspielräumen, von den zur
Verfügung stehenden finanziellen und personellen
Ressourcen, u.a.m.
Schlussfolgerungen
Ohne eine systematische Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung lassen sich kaum noch gesellschaftlich tragfähige Lösungen für Bau- und Infrastrukturprojekte finden. Um die Kommunikationsund Beteiligungsinstrumente passgenau einsetzen zu
können, müssen sich die Projektverantwortlichen
zwingend am Anfang des Projekts ein umfassendes
Bild über Stimmen und Stimmungen verschaffen. Sie
müssen versuchen, Konfliktlinien und deren Hintergründe zu ermitteln und zu verstehen. Ohne eine
gründliche Themen- und Stakeholderanalyse wird
Beteiligung nicht erfolgreich sein.
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Und nur wer sich verständlich ausdrückt, kann auch
überzeugen. Das gilt auch für Ingenieure, die sich der
öffentlichen Diskussion stellen. Grundsätzlich ist
Verständlichkeit in allen Phasen der Ingenieurplanung
wichtig – vor allem aber in der Entwurfs- und in der
Genehmigungsplanung. Pläne, die für Ingenieure zum
täglichen Handwerkszeug gehören, können von Laien
oft nicht „gelesen“ werden. Sie müssen daher in eine
verständliche Sprache übersetzt werden.
Neben der Verständlichkeit von Texten und Sprache
erleichtern Visualisierungen sowohl Kommunikation
als auch Beteiligung. Die Bandbreite möglicher Visualisierungen wird durch den technischen Fortschritt
von Jahr zu Jahr größer. Sie reicht inzwischen vom
herkömmlichen Architektenplan bis hin zu interaktiven 3-D-Echtzeitumgebungen. Besondere Impulse
erfährt sie durch die Möglichkeiten, die Building
Information Modeling (BIM) bietet. Mit BIM lassen
sich auf realen Daten basierende Visualisierungen für
Bürgerbeteiligungsverfahren anfertigen, die weit über
das bislang Übliche hinausgehen: Vor allem die interaktiven 3-D-Echtzeitumgebungen erlauben ein intuitives Erleben von Baumaßnahmen, bevor diese realisiert sind. So können Bürgerinnen und Bürger nicht
nur besser informiert werden, sie können auch in die
Planung einbezogen werden. Solche Visualisierungen
können zum einen das Interesse von Menschen wecken und zum anderen Bauvorhaben plastisch veranschaulichen. Auch können sie die Auswirkungen
eines Bauvorhabens auf die Umgebung leicht nachvollziehbar verdeutlichen – beispielsweise hinsichtlich der Sichtachsen, Verkehrsströme oder Umweltauswirkungen. Die Kombination aus BIM und Bürgerbeteiligung bietet daher für alle einen Mehrwert –
für Vorhabenträger, Verwaltung, Politik und Bürger.
Ausgewählte VDI-Publikationen
VDI 3883 Blatt 3 „Wirkung und Bewertung von
Gerüchen; Konfliktmanagement im Immissionsschutz“
VDI 7000 „Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei
Industrie- und Infrastrukturprojekten“
VDI 7001 „Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planung und Bau von Infrastrukturprojekten; Standards für die Leistungsphasen
der Ingenieure“
VDI 7001 Blatt 1 „Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planung und Bau von Infrastrukturprojekten; Schulungen für die Leistungsphasen der Ingenieure“
17
VDI-Tagungsband zum Zukunftskongress 2012
„Infrastruktur für unsere Zukunft – Gesellschaftlich tragfähige Lösungen entwickeln“
VDI-Tagungsband zum 26. Deutschen Ingenieurtag 2013 „Infrastruktur der Zukunft – Menschen
sinnvoll vernetzen“
VDI-Stellungnahme „Infrastruktur für unsere
Zukunft – Gesellschaftlich tragfähige Lösungen
gemeinsam entwickeln“
VDI-Studie „Standortbezogene Akzeptanzprobleme in der deutschen Industrie- und Technologiepolitik – Zukünftige Herausforderungen der Energiewende“
3.3
Stadtklima
Fakten in Kürze
Die charakteristischen Unterschiede zwischen
Stadt und Umland lassen sich hinsichtlich Klima und Luft auf die Zuordnung und Mischung
von bebauter und nicht bebauter Fläche ebenso
zurückführen wie auf die Freisetzung von Abwärme aus technischen Prozessen und die
Emission gas- bzw. partikelförmiger Luftinhaltsstoffe.
Strahlungsbilanz: Beeinträchtigung aller Strahlungsbilanzglieder in Abhängigkeit der Strahlungsabsorption und Rückstrahlung; Beeinflussung durch Straßenschluchtgeometrie; höhere
Oberflächentemperaturen
Wärmebilanz: fühlbarer Wärmestrom höher als
latenter Wärmestrom; zusätzliche „anthropogene Wärme“ durch menschliche und technische
Abwärme; dadurch Auftreten städtischer Wärmeinseln
Luftfeuchtigkeit: absolute Luftfeuchtigkeit
generell geringer durch reduzierte Regenwasserversickerungen sowie eingeschränkte Verdunstung
Wind: geringere Windgeschwindigkeit, reduzierter Luftaustausch, Zunahme der Böigkeit
Stand
Städte verursachen im Vergleich zu ihrem nicht bebauten Umland klimatische und lufthygienische Veränderungen, die man allgemein unter dem Begriff
www.vdi.de
18
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
„Stadtklima“ zusammenfasst. Da im Verlauf des 21.
Jahrhunderts über 70 % der Erdbevölkerung in Städten – darunter in zahlreichen Megastädten mit mehr
als 10 Mio. Einwohnern – leben werden, ist davon
auszugehen, dass immer mehr Menschen den überwiegend nachteiligen stadtklimatischen und lufthygienischen Auswirkungen ausgesetzt sein werden. Neben der Grundlagen orientierten Stadtklimaforschung
hat insbesondere der anwendungsbezogene Bereich
dieser Disziplin die Aufgabe, eine nachteilige Stadtentwicklung zu verhindern bzw. zu versuchen, bestehende Flächennutzungen und Baustrukturen positiv in
ihrer Gestaltung zu beeinflussen.
Die Projektionen des globalen Klimawandels auf
stadtklimatische Parameter zeigen, dass nicht nur die
städtische Überwärmung hinsichtlich ihrer Intensität,
Dauer und Ausbreitung zunehmen, sondern auch die
Konzentration verschiedener Luftinhaltsstoffe, wie
die von Ozon, Partikeln (PM2,5) und allergenen Pollen
in einzelnen Stadtquartieren ansteigen werden. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass häufigere
Starkregen zu Überschwemmungen führen werden.
Unter Nutzung des noch verbleibenden Reaktionszeitraums seitens der Entscheidungsträger sollte damit
begonnen werden, diesen Problemen durch Einsatz
geeigneter Planungsmittel auf lokaler Maßstabsebene
entgegenzuwirken.
Da Städte bereits unter den gegebenen klimatischen
Verhältnissen meist wärmer als ihr Umland sind,
können sie als Vorboten des globalen thermischen
Klimawandels angesehen werden [23]. Es wird davon
ausgegangen, dass die bestehende städtische Überwärmung zukünftig häufiger, intensiver und länger
auftreten wird. Weiterhin ist zu erwarten, dass darüber
hinaus auch Flächen betroffen sein werden, die derzeit
noch nicht überwärmt sind [16]. Mithilfe planerischer
Gegenmaßnahmen sollte bereits heute dieser Entwicklung Einhalt geboten werden [18], denn eine starke
und über mehrere Tage andauernde Wärmebelastung
führt nicht nur zu gesundheitlichen Problemen in der
Bevölkerung, sondern erhöht auch deren Sterberate
[19]. Das belegt beispielsweise eine Auswertung der
beiden Hitzewellen Anfang August des Jahres 2003 in
Deutschland, die zu mehr als 7.000 Hitzetoten in
Deutschland führten [27].
Überwärmung städtischer Siedlungsräume lassen sich
jedoch nicht nur in der bodennahen Atmosphäre als
„städtische Wärmeinseln“ nachweisen, sondern auch
im Untergrund, und zwar im Boden [22] und damit
auch im Grund- und Trinkwasserniveau [25, 31].
Vergleichend zur Überwärmung der Stadtatmosphäre
wird in diesem Fall von einer „Unterflurwärmeinsel“
gesprochen [26]. Die vergleichsweise Überwärmung
des Stadtbodens kann für die Einwohner positiv, aber
auch negativ gesehen werden: Positiv, weil Boden
und Grundwasser durch Wärmetauscher zur Energiewww.vdi.de
gewinnung dort genutzt werden könnten, wo besonders hohe Bodentemperaturen anfallen [22]. Negativ
hingegen, weil es durch die höhere Temperatur in den
Trinkwasserleitungen zu einer Vermehrung hygienisch relevanter Mikroorganismen kommen kann,
wodurch die Trinkwasserqualität herabgesetzt wird.
Denn schon bei 20 °C Trinkwassertemperatur kann
eine zehnmal höhere Bakterienkonzentration entstehen als bei 10 °C temperiertem Wasser [28]. Exemplarisch in Oberhausen durchgeführte Untersuchungen
wiesen eine Überschreitungshäufigkeit des 20°CWerts an 120 Tagen auf, im Vergleich zu einem naturbelassenen Freilandstandort, der nur eine maximale
Bodentemperatur von 18°C erreichte.
Auch atmosphärische Spurenstoffe können in ihrer
Konzentration durch höhere Temperaturen beeinflusst
werden. Hierzu zählen z. B. der sekundäre Spurenstoff Ozon sowie biogene flüchtige Kohlenwasserstoffe (BVOCs; engl. Biogenic Volatile Organic Compounds), die von verschiedenen Bäumen abgegeben
werden und als Ozonvorläufersubstanzen wirken [16].
Auch können die BVOCs organische Partikel in der
Atmosphäre bilden, wodurch die Strahlungsbilanz
beeinflusst wird [17]. Ferner werden Pollen bestimmter Pflanzen, die beim Menschen zu Allergien führen
können, durch hohe Lufttemperatur bei gleichzeitig
starken Konzentrationen verschiedener Luftinhaltsstoffe in ihrer Freisetzung verstärkt [32].
Tendenzen
Unter Berücksichtigung des globalen Klimawandels
werden sich die thermischen Verhältnisse auf höhere
Temperaturbereiche verschieben. So werden für die
Region Essen mittlere Lufttemperaturerhöhungen von
bis zu 2,9°C für die ferne Zukunft (2091 bis 2100) im
Vergleich zu heute erwartet.
Bild 1 zeigt, dass beispielsweise bei Zugrundelegung
verschiedener mathematischer Modelle („Ensembles“) die Anzahl der Sommertage von derzeit 25/30
Tagen auf dann 31/65 Tage und die der heißen Tage
von gegenwärtig 4/14 Tage auf 11/38 Tage ansteigen
wird.
Auch die Tage mit Hitzestress werden sich von 4/9
Tage auf 13/48 Tage in der fernen Zukunft erhöhen
Das entspricht im extremsten Fall einer Zunahme von
mehr als den Faktor 5 zum Vergleichszeitraum. Auch
der Schlafkomfort wird durch den Klimawandel im
Essener Raum beeinträchtigt werden, da sich die
Anzahl der Tropennächte bis zur nahen Zukunft verdoppeln und – projiziert auf die ferne Zukunft – sogar
verfünffachen wird.
Der regionale Klimawandel bewirkt während der
Wintermonate jedoch durchaus thermische Vorteile,
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
19
da z. B. die Anzahl der Eistage bis zur fernen Zukunft
auf 0 bzw. 3 Ereignisse pro Jahr zurückgehen und die
der Frosttage, für die nahe Zukunft projiziert (2041
bis 2050), einen Rückgang auf mindestens die Hälfte
erfahren wird. Dadurch können zum Beispiel erhebliche Kosten, unter anderem für die Beseitigung von
Schnee und Eis auf Straßen und Gehwegen, eingespart werden [15].
Bild 3. Bandbreite der Auftrittshäufigkeiten
klimatischer Ereignistage für den Ist-Zustand
(1961-1990) sowie für die nahe (2041-2050) und
ferne (2091-2100) Zukunft für die Region Essen
– Quelle: [23]
Die Folgen des globalen Klimawandels werden sich
z. B. auch auf die Höhe der Ozonkonzentrationen
auswirken, wie Modellrechnungen [24] zeigen. So
wird sich der EU-Zielwert für Ozon von 120 µg/m³
als höchstem 8-h-Mittelwert pro Tag von derzeit 8
„Ozonüberschreitungstagen“ auf 19 Tage pro Jahr
mehr als verdoppeln, wenn das projizierte Jahresmittel der Lufttemperatur tatsächlich um 2,9°C zunimmt.
Die bereits genannten biogenen Kohlenwasserstoffe
werden bei hohen Temperaturen von einigen Laubund Nadelbäumen infolge thermischen Stresses verstärkt emittiert [29]. Bekanntester BVOC-Vertreter ist
Isopren. Zwar ist die Vegetationsdichte in Städten im
Allgemeinen geringer als im Umland, jedoch kompensiert die hohe chemische Reaktivität von Isopren
seine im Vergleich zu den anthropogenen flüchtigen
Kohlenwasserstoffen (AVOCs; engl. Anthropogenic
Volatile Organic Compounds) allgemein geringere
Freisetzung. Bekanntester Vertreter der AVOCs ist
das Benzol. Biogene Isoprenkonzentrationen können
bei heißem Wetter um ein Mehrfaches höher sein als
die Konzentrationen des anthropogenen Benzols, da
die Emission von letzterem nicht von der Lufttemperatur abhängt. Nehmen die für den globalen Klimawandel projizierten Lufttemperaturen zu, muss in
Straßen mit stark Isopren emittierenden Bäumen wie
Ahornblättriger Pappel, Traubeneiche und Gemeiner
Robinie davon ausgegangen werden, dass die Ozonkonzentration in diesen Bereichen ansteigen wird
[29]. Bild 4 zeigt ein Messfahrzeug, mit dem sowohl
meteorologische als auch luftchemische Größen während der Fahrt und im Stand gemessen werden können.
Bild 4. Messbus zur mobilen und stationären
Erfassung lufthygienischer und meteorologischer Komponenten in Essen – Quelle: Universität Duisburg-Essen
Schlussfolgerungen
Urbane Gebiete sind vom globalen Klimawandel
besonders betroffen, da sie sich durch hohe Bevölkerungsdichte, starke Oberflächenversiegelung sowie
durch erhebliche Luftverschmutzung vom umgebenden Freiland abheben. Objekt und Flächen bezogene
Maßnahmen der Mitigation und Adaptation sind deshalb in besonderem Maße auf städtischer Ebene anzuwenden, um sowohl die Emission Treibhaus und
Ozon verursachender Gase zu reduzieren als auch
Luft- und Strahlungstemperaturen zu senken. Zu den
Maßnahmen, die auf lokaler städtischer Ebene durchgeführt werden sollten, stehen an erster Stelle das
Bestreben, Energie für die Kühlung und Erwärmung
von Gebäuden einzusparen. Grundsätzlich senken
begrünte Flächen die Oberflächentemperaturen. Bäume sind – zusätzlich durch ihren Schattenwurf – stärker wirksam als ausschließlich mit Rasen bedeckte
Flächen. Neben einem anzustrebenden höheren Anteil
an Grünflächen in Städten, sollte ein ausreichender
Frisch-/Kaltlufttransport zwischen Stadt und Umland
sichergestellt werden, um warme durch umlandkühle
Luft in den Städten zu ersetzen (ausführliche Zusammenstellung in [21]).
www.vdi.de
20
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Ausgewählte VDI-Publikation
VDI 2716 „Luft- und Körperschall bei Schienenbahnen des öffentlichen Personennahverkehrs“
VDI 3783 Blatt 9 „Umweltmeteorologie; Prognostische mikroskalige Windfeldmodelle; Evaluierung für Gebäude- und Hindernisumströmung“
VDI 3783 Blatt 10 „Umweltmeteorologie; Diagnostische mikroskalige Windfeldmodelle; Gebäude- und Hindernisumströmung“
VDI 3785 Blatt 1 „Umweltmeteorologie; Methodik und Ergebnisdarstellung von Untersuchungen
zum planungsrelevanten Stadtklima“
VDI 3785 Blatt 2 „Umweltmeteorologie; Methoden bodengebundener Stadt- und Standortklimamessungen mit mobilen Messsystemen“
VDI 3787 Blatt 1 „Umweltmeteorologie; Klimaund Lufthygienekarten für Städte und Regionen“
VDI 3787 Blatt 2 „Umweltmeteorologie; Methoden zur human-biometeorologischen Bewertung
von Klima und Lufthygiene für die Stadt- und Regionalplanung – Teil I: Klima“
VDI 3787 Blatt 5 „Umweltmeteorologie; Lokale
Kaltluft“
VDI 3787 Blatt 9 „Umweltmeteorologie; Berücksichtigung von Klima und Lufthygiene in räumlichen Planungen“
VDI 3787 Blatt 10 „Umweltmeteorologie; Human-biometeorologische Anforderungen im Bereich Erholung, Prävention, Heilung und Rehabilitation“
VDI/KRdL-Schriftenreihe „Anthropogene Änderungen des lokalen Klimas“
VDI/KRdL-Schriftenreihe „Gerüche in der Umwelt“
VDI/KRdL-Schriftenreihe „Stoffeinträge in terrestrische Ökosysteme und ihre Bewertung“
VDI/KRdL-Schriftenreihe „Bioaerosole in der
Landwirtschaft – Bedeutung für Mensch und
Umwelt“
3.4
Gebäude der Zukunft
Fakten in Kürze
Gebäude sind wichtige historische Quellen,
vermitteln Identität mit dem Lebensraum, unterliegen aber auch einem ständigen Veränderungsdruck.
Das Bauwesen benötigt einen erheblichen Anteil der in Deutschland genutzten Ressourcen,
dabei ist ein ganzheitlicher, lebenszyklusweiter
Ansatz von der Rohstoffgewinnung bis zum
Recycling erforderlich.
Gebäude der Zukunft bedürfen in planerischer
und ausführender Sicht eines ganzheitlichen
Ansatzes.
Steigerung der Ressourceneffizienz durch Erhöhung des Nutzens oder Verminderung des
Ressourceneinsatzes
Stand
Der Begriff „Stadt“ wird allgemein immer mit Häusern verbunden. Gebäude sind und bleiben integraler
Bestandteil der Stadt. Deren Wert wird oft gemessen
an der Qualität ihrer Bebauung, und für die Menschen
ist ihr Grundbedürfnis nach Schutz und Rückzugsmöglichkeit hier gegeben. Gebäude sind wichtige
historische Quellen, vermitteln Identität mit dem
Lebensraum, unterliegen aber auch einem ständigen
Veränderungsdruck. Insbesondere die stetig steigenden Komfortbedürfnisse, der Bedarf an mehr Wohnfläche und die Anforderungen an eine deutlich höhere
Energieeffizienz und Klimaneutralität beeinflussen
die Gebäude unserer Städte erheblich.
Das Bauwesen benötigt einen erheblichen Anteil der
in Deutschland genutzten Ressourcen. So werden
85 % der in Deutschland verwendeten mineralischen
Rohstoffe (551 Mio. t) jährlich für die Produktion von
Baustoffen und -produkten eingesetzt. Am gesamten
Abfallaufkommen ist der Bausektor zu 54 % beteiligt;
40 % des gesamten Endenergiebedarfs in Deutschland
wird für den Energieverbrauch in Häusern aufgewendet [33].
Dabei ist der Anteil der Neubauten im Wohnungsbau
rückläufig und betrug z.B. im Jahr 2012 nur 26 %
aller Baumaßnahmen [34]. Das heißt ein Großteil der
Bautätigkeit findet nicht im Neu-, sondern im Bestandsbau statt. Zumeist werden die Ansprüche an
www.vdi.de
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Komfort, Barrierefreiheit und Energieeffizienz durch
Instandsetzungen gedeckt.
Nachhaltige Bauweisen finden sich überwiegend in
Nischenbereichen des Bauwesens wie dem ökologischen Bauen und der Denkmalpflege. Baudenkmäler
haben durch ihren zumeist langen Bestand und die
Verwendung von regionalen und natürlichen Baustoffen in Bezug auf der Ressourcenschonung einen deutlichen Vorteil gegenüber heutigen Bauten. Denkmalgerechte Instandsetzungsarbeiten sind in der Regel
umweltfreundlich und ökologisch nachhaltig.
Tendenzen
Bislang wird eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs im Hochbau hauptsächlich während der Nutzungsphase von Gebäuden angestrebt. Die Verbesserung der Wärmedämmung von Wand, Dach, Fenstern
und Kellern sowie effizientere Heizungsanlagen und
die Integration erneuerbarer Energien sind dabei vordringliche Ziele.
Durch IT-gestützte Steuerungen und digitale Kommunikationssysteme soll hierbei das Nutzerverhalten
optimiert und Energieeinsparungsziele erreicht werden (Bild 5). Ganzheitliche Lösungen wie block- oder
quartierübergreifende Energieversorgungen werden
gebräuchlicher und nehmen den Druck von kostenintensiven und baukulturell oft nicht akzeptablen Veränderungen bei Einzelsanierungen. Die Rückbesinnung auf traditionelle Bauweisen mit regionalen Baustoffen sowie die Tendenz zum Erhalt von Bauwerken
im Gegensatz zu Abriss und Neubau wird verstärkt
erkennbar.
21
Wird eine Verringerung des Ressourcenverbrauchs
des gesamten Gebäudesektors angestrebt, reicht eine
Verbesserung der Energieeffizienz während der Nutzungsphase von Gebäuden nicht aus. Auch Gebäudezertifizierungssysteme berücksichtigen dies bislang
nur unzureichend. Vielmehr ist ein ganzheitlicher,
lebenszyklusweiter Ansatz erforderlich, der die Potenziale von der Rohstoffgewinnung bis zum Recycling sicht- und nutzbar macht.
Schlussfolgerungen
Die Gebäude der Zukunft bedürfen in planerischer
und ausführender Sicht eines ganzheitlichen Ansatzes,
das heißt interdisziplinäre Arbeitsweisen und ein
ständiger Informationsaustausch aller am Prozess
Beteiligter wird unumgänglich sein, um die Aufgaben
technisch, gesellschaftlich und kulturell nachhaltig zu
lösen.
Flexible Nutzungskonzepte im Alt- wie im Neubau
durch variable Wohnungsgrößen, Durchmischung von
Nutzungen und besonders barrierefreie Erschließbarkeit müssen Grundlage aller Baumaßnahmen sein, um
die Städte und ihre Gebäude langfristig zu erhalten
und bedarfsgerecht zu gestalten.
Für eine Steigerung der Nutzungseffizienz ist es notwendig, den Leerstand zu reduzieren, die Lebensdauer
zu verlängern und die Wohnungsgrößen anzupassen.
Die Gebäudeerstellung und -instandsetzung muss im
Gesamtzusammenhang der umgebenden Bebauung
gesehen werden und sich in das gebaute Umfeld in
Erscheinungsbild, Kubatur, Material und Nutzung
einfügen.
Mit zunehmender Energieeffizienz von Gebäuden und
Gebäudeinstandsetzung gewinnt auch die zur Gebäudeerstellung benötigte Energie beispielsweise zur
Baustoffherstellung an Gewicht. Gleichzeitig sollten
auch die Potenziale einer Rohstoffnutzung am Lebenswegende beispielsweise durch eine thermische
Verwertung oder eine hochwertige Kreislaufführung
verbauter Materialien nicht vernachlässigt werden.
Damit weitet sich der Fokus einer energetischen Bilanzierung von Gebäuden von der Nutzungsphase auf
den gesamten Lebenszyklus.
Bild 5. Bedienelement einer Gebäudeautomation
– Quelle: VDI
Soll der Ressourcenverbrauch im Bausektor langfristig sinken, ist neben der Energieeffizienz auch der
Aspekt der Materialeffizienz zu berücksichtigen. Im
Zusammenspiel ergibt sich daraus Ressourceneffizienz, die als Quotient aus Nutzen und Ressourceneinsatz definiert wird. Eine Steigerung der Ressourceneffizienz kann daher durch eine Erhöhung des Nutzens
oder eine Verminderung des Ressourceneinsatzes
erzielt werden.
www.vdi.de
22
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Folgende Ansatzpunkte für eine Steigerung der Nutzungseffizienz ergeben sich:
Ausgewählte VDI-Publikationen
Reduktion des Leerstands
VDI 3807 Blatt 3 „Wasserverbrauchskennwerte
für Gebäude und Grundstücke“
Verlängerung der Lebensdauer
bedarfsangepasste Wohnungsgröße
Dies kann u. a. durch eine hohe gestalterische Qualität
von Neubauten erzielt werden, die diese über die
Jahrzehnte hinweg attraktiv hält, was in der Konsequenz zu einer geringen Leerstandsquote sowie einer
überdurchschnittlich hohen Lebensdauer führt. Weist
die Statik von Gebäuden noch gewisse Reserven für
zusätzliche Lasten aus, so erleichtert dies eine später
Umnutzbarkeit und erhöht damit die Lebensdauer.
Eine flexible Grundrissgestaltung ermöglicht bei
geringem Materialinput eine Nutzungsänderung bzw.
veränderte Wohnungszuschnitte, die sich an die Bewohnerzahl in verschiedenen Lebensabschnitten anpassen lassen. Remanenzeffekte, die zu einem nicht
unerheblichen Anteil zum immer weiter steigenden
Wohnflächenbedarf beitragen, können so reduziert
werden. Innenarchitektonische Anleihen aus dem
Boots- oder Wohnmobildesign helfen, den Raumbedarf zu reduzieren.
VDI 3811 „Modernisierung heiztechnischer Anlagen“
VDI 3812“ Assistenzfunktionen zum Wohnen;
Bedarfsermittlung für Elektroinstallation und Gebäudeautomation“
VDI 3813 „Gebäudeautomation (GA); Grundlagen
der Raumautomation“
VDI 4710 Blatt 1 „Meteorologische Grundlagen
für die Technische Gebäudeausrüstung; Außereuropäische Klimadaten
VDI 6002 Blatt 1 „Solare Trinkwassererwärmung
- Allgemeine Grundlagen; Systemtechnik und
Anwendung im Wohnungsbau“
VDI 6002 Blatt 2 „Solare Trinkwassererwärmung;
Anwendungen in Studentenwohnheimen, Seniorenheimen, Krankenhäusern, Hallenbädern und
auf Campingplätzen“
Ein verminderter Ressourceneinsatz pro Quadratmeter
Wohn- bzw. Nutzfläche kann durch folgende Konzepte erzielt werden:
VDI 6011 Blatt 1 „Optimierung von Tageslichtnutzung und künstlicher Beleuchtung; Grundlagen“
integrale Planung um Ressourceneinsatz über alle
Gewerke hinweg zu optimieren
VDI 6012 Blatt 1.1 „Regenerative und dezentrale
Energiesysteme für Gebäude; Grundlagen, Projektplanung und -durchführung“
Substitution ressourcenintensiver Baustoffe durch
Stoffe mit geringerem lebenszyklusweitem Material- oder Energieverbrauch
verstärkte Nutzung erneuerbarer oder rezyklierter
Rohstoffe
Leichtbaukonzepte
Verwendung besonders langlebiger Materialien
modulare Austauschbarkeit und optimierte Reparierbarkeit von technischer Gebäudeausrüstung
Recyclinggerechtheit
Das ressourceneffiziente Gebäude der Zukunft kombiniert im Idealfall den verminderten Ressourceneinsatz mit einer gesteigerten Nutzungseffizienz und
architektonisch anspruchsvoller Gestaltung.
VDI 6022 Blatt 1 „Raumlufttechnik, Raumluftqualität; Hygieneanforderungen an Raumlufttechnische Anlagen und Geräte (VDI-Lüftungsregeln)“
VDI/DVGW 6023 „Hygiene in TrinkwasserInstallationen; Anforderungen an Planung, Ausführung, Betrieb und Instandhaltung“
VDI 6028 Blatt 1.1 „Bewertungskriterien für die
Technische Gebäudeausrüstung; Technische Qualität für nachhaltiges Bauen
VDI 6200 „Standsicherheit von Bauwerken; Regelmäßige Überprüfung“
VDI-Positionspapier „Gebäude 2030 – Entwicklung von Lebens- und Arbeitsräumen im Spiegel
globaler Trends“
VDI-Positionspapier „Klimaschutz und Energiepolitik – Kriterien für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden“
www.vdi.de
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
VDI ZRE Kurzanalyse „Potenziale eines hochwertigen Recyclings im Baubereich“
VDI ZRE Kurzanalyse „Ressourceneffizienz der
Tragwerke“
VDI-Bericht „Verfahrenstechnik im Ingenieurbau
– Neue Entwicklungen bei Bauverfahren, Bauhilfsmitteln und Baustoffen für Neubau, Instandhaltung und Instandsetzung der Infrastruktur
VDI-Bericht „Fassaden – Blick in die Zukunft“
VDI-Bericht „Bürogebäude der Zukunft“
VDI-Bericht „Bauen mit innovativen Werkstoffen“
3.5
Mobilität
Fakten in Kürze
Der Stadtverkehr wird durch eine zunehmende
Zahl von Mobilitätsangeboten bestimmt (zu
Fuß, Fahrrad, motorisierter Individualverkehr
(MIV), öffentlicher Verkehr (ÖV), Carsharing)
Fahrzeug- und Verkehrstechnik haben dazu
beigetragen, dass die negativen Folgen der Mobilität (Unfälle, Emissionen) nicht mit der gestiegenen Verkehrsnachfrage angestiegen sind,
sondern zum Teil sogar deutlich verringert
werden konnten.
Eine zentrale Schlüsseltechnologie für die weitere Entwicklung ist die Informationstechnologie. Sie ermöglicht direkt an den Fahrzeugen im
MIV und ÖV Verbesserungen und erweitert die
Potenziale der Kombination verschiedener Verkehrsmittel (Multimodalität).
Neue Antriebssysteme (Elektrofahrzeuge, Hybridfahrzeuge) werden die Verkehrsemissionen
(Abgase, Geräusch) senken.
Stand
Mit Beginn der Industrialisierung haben sich motorisierte öffentliche (Massen-) und private (Individual-)
Verkehrsmittel entwickelt. Die Verteilung zwischen
MIV und ÖV in Ballungsgebieten richtete sich sowohl nach der Verfügbarkeit von Verkehrsangeboten
als auch den sozioökonomischen Verhältnissen und
spezifischen Präferenzen der Bevölkerung. Auch die
städtischen Strukturen der „gebauten Umwelt“ haben
23
Auswirkungen auf die Mobilität. Insbesondere die
Zentren der großen Städte bieten aufgrund hoher
Bevölkerungsdichte und Konzentration von Nutzungen das Potenzial für ein effizientes Verkehrssystem
und neue Mobilitätskonzepte. Das Zusammenspiel
dieser Faktoren ist oft örtlich bedingt und bewirkt
jeweils eine ganz unterschiedliche Verteilung zwischen MIV und ÖV. Hamburg hat z. B. einen ÖVAnteil von 18 %, während 42 % den MIV nutzen. In
Berlin dagegen werden 27 % aller Fahrten im ÖV
zurückgelegt und 32 % mit dem MIV. Allerdings gilt
für alle großen Städte: Die städtischen Bewohner
nutzen unterschiedliche Verkehrsangebote für verschiedene Wege oder kombinieren diese im Rahmen
einer Wegekette.
Die Entwicklung des Verkehrs in Städten hat auch
„Nebenwirkungen“. Staus verlängern Fahrzeiten,
Verkehrsunfälle führen zu Sach- und Personenschäden. Mit den Verbrennungsmotoren sind Geräuschund Abgasemissionen verbunden und die Bewegung
sowie das Abstellen der Fahrzeuge verbraucht Fläche,
was insbesondere in hochverdichteten Gebieten zu
Nutzungskonkurrenzen führt. Die Entwicklung der
Infrastruktur konnte mit den seit 1970 um den Faktor
3 gestiegenen Fahrleistungen nicht mitwachsen.
Industrie, Wissenschaft und Politik bewirkten durch
Forschung und Entwicklung sowie angemessene
Prüfmethoden und Grenzwerte, dass die negativen
Auswirkungen des Straßenverkehrs zumindest reduziert werden konnten. So sind die straßenverkehrsbedingten Emissionen von Kohlenmonoxid und unverbrannten Kohlenwasserstoffen so weit reduziert, dass
die Luftqualitätsstandards eingehalten werden. Auch
bei Stickoxid- und Partikelemissionen konnten Verbesserungen erreicht werden, allerdings besteht hier
noch teilweise weiterer Handlungsbedarf.
Diese Fahrzeugentwicklung geht kontinuierlich weiter. Elektrische Antriebe (Hybrid-, Batterie- und
Brennstoffzellenfahrzeuge) bieten große Potenziale
zur Verringerung der Abhängigkeit von Erdöl. Die
Markteinführung von Elektro- und Hybrid-Fahrzeugmodellen in den vergangenen Jahren zeigt, dass die
Notwendigkeit und Nachfrage für nachhaltigere urbane Mobilität erkannt wurden.
Noch sind reine Elektroautos vergleichsweise teuer
und in ihrer Reichweite auf kürzere Strecken vor
allem auf die Nutzung in Ballungsräumen ausgerichtet. Daher sind zur Umsetzung der Elektromobilität
besondere Anstrengungen und Maßnahmen erforderlich. Im Rahmen der „Nationalen Plattform Elektromobilität“ (NPE) hat die Bundesregierung bereits im
Mai 2010 Vertreter von Industrie, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zusammengeführt, um Deutschland als „Leitmarkt und Leitanbieter für Elektromobilität 2020“ aufzustellen.
www.vdi.de
24
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Einer der größten Erfolge im verkehrlichen Umfeld ist
die Verbesserung der Verkehrssicherheit. Im Vergleich zu 1970 sank die Zahl der getöteten Verkehrsteilnehmer auf ein Sechstel. Gleichzeitig ist ein signifikanter Anstieg der Verkehrsleistung zu beobachten.
Gerade auch im städtischen Umfeld, wo durch das
Zusammentreffen der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer erhöhtes Gefahrenpotenzial besteht, lässt sich
dieser Trend beobachten. Innerorts kamen laut Statistischem Bundesamt im Jahr 1991 3.349 Menschen bei
Unfällen ums Leben – 2012 waren es noch 1.062.
Allerdings passieren in Städten immer noch mehr
Unfälle als auf Außerortsstraßen. Mehr als 1,75 Mio.
Unfälle registrierte die Polizei im Jahr 2012 fast genauso viele wie 1991 (1,7 Mio.). Trotz des steigenden
Verkehrsaufkommens konnte die Zahl der Schwerverletzten in diesem Zeitraum aber halbiert werden
Bei der für die Verkehrssicherheit wichtigen Fahrzeugführung ist der Fahrer heute nicht mehr nur auf
seine eigenen sensorischen und intellektuellen Fähigkeiten angewiesen. Assistenzsysteme unterstützen ihn
sowohl bei der Reiseplanung (Verkehrslageinformationen) als auch bei der Navigation (Navigationssysteme) und der sicheren Führung des Fahrzeugs (ABS,
ESC, Abstandswarner, Regensensor, Parkhilfe,
Spurhalteassistent etc.). Bisher haben sich Fahrzeug
und Infrastruktur allerdings zu sehr nebeneinander
entwickelt. Das mögliche Potenzial durch eine bessere
Vernetzung von Fahrzeugen untereinander und mit
der Infrastruktur wurde noch nicht ausreichend ausgeschöpft. Die weitere Ertüchtigung der Infrastruktur
und die Bereitstellung der notwendigen Datengrundlagen für innovative Verkehrstechnologien bieten
erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten für einen
nachhaltigeren Verkehr. Gleichzeitig sind mit der
zunehmenden Automatisierung des Verkehrs weitere
positive Wirkungen u. a. auf städtische Flächennutzungen möglich.
Bei der Nutzung des öffentlichen Verkehrs sind mangelnde Transparenz bei Tarifen und Umsteigeinformationen noch immer eine Barriere. Die Verknüpfung
der verschiedenen Modi (nicht motorisierter Verkehr,
ÖV, MIV) findet nur unzureichend statt. Der Ausbau
elektronischer Anzeigesysteme vor Ort, die Nutzung
von Smartphones (Apps) für Echtzeit-Fahrplaninformationen tragen dazu bei, diese Barriere zu durchbrechen.
Tendenzen
Fortschritte in Fahrzeug- und Infrastrukturentwicklung können dazu beitragen, dass trotz zunehmender
Siedlungsdichte in den Agglomerationsräumen die
unerwünschten Nebenwirkungen der Verkehrsnachfrage nicht zu-, sondern eher abnehmen.
www.vdi.de
Derzeit diskutierte alternative Antriebstechnologien
sind neben Gasantrieben die Hybride, eine Kombination aus Verbrennungsmotor und Elektromotor, und
die Elektrofahrzeuge, die mit Elektromotoren als
Antriebsquelle fahren (Bild 6). Für die reine Elektromobilität ist die Batterietechnik die Schlüsseltechnologie. Derzeit sind aber die Kosten für leistungsfähige
Batterien (noch) zu hoch, die Systeme (noch) zu
schwer und die Ladezeiten (noch) zu lang. Deshalb
haben Elektrofahrzeuge, die sich nur im Stadtverkehr
gut einsetzen lassen, noch keine breitere Käuferakzeptanz gefunden. Hierzu trägt das Fehlen einer öffentlichen Ladeinfrastruktur bei. Das E-Fahrzeug kann
noch nicht wie ein heute übliches Auto in allen
Transportfällen genutzt werden. Daher wird der Verbrennungsmotor als Antriebsquelle für weitere Jahrzehnte bestehen, wenn auch mit abnehmender Tendenz.
Bild 6. Aktuelle Generation von unterschiedlichen Elektrofahrzeugen – Quelle: VDI
Auch Fahrzeuginnovationen im Zweiradbereich
(eScooter und eBikes) bieten aufgrund des geringeren
Flächenbedarfs eine Chance, die Verkehrsbelastung in
Ballungsräumen zu senken. So ist beispielsweise die
Nachfrage nach sogenannten Pedelecs in den vergangenen Jahren von 70.000 in 2007 auf 410.000 in 2013
angewachsen.
Die Ausstattung mit elektronischen Assistenzsystemen wird sich schnell weiterentwickeln. Das Fahrzeug wird nicht mehr ein zu jeder Zeit vom Fahrzeugführer solitär gelenktes Verkehrselement sein, sondern
„integrierter Teil des Systems“ werden. Es wird mit
der Infrastruktur (Grüne Welle, Ampelbedarfsschaltung etc.) und mit anderen Fahrzeugen kommunizieren und unter bestimmten Umständen „teilautonom“
fahren. Gleichmäßigerer Verkehrsfluss und „vorausschauendes Verhalten der Fahrzeuge“ werden:
Abgasemissionen und Verbrauch reduzieren,
die vorhandene, nicht beliebig erweiterbare Infrastruktur besser ausnutzen (optimale Routenberechnung, Vermeidung von Parksuchverkehr etc.)
und
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
die Verkehrssicherheit deutlich erhöhen.
Allerdings werden sich derartige Potenziale erst wirklich realisieren lassen, wenn eine weitgehend vollständige Automatisierung der Flotte erfolgt ist und
städtische Infrastrukturen angepasst sind, die Interaktion mit dem nicht motorisierten Verkehr funktioniert
und ethische und rechtliche Fragen geklärt sind. Eine
wesentliche Frage ist auch, ob sich das autonome
Fahren eher als Bestandteil des ÖV oder des MIV in
das Verkehrssystem integriert.
Durch den Einsatz von Informationstechnologie und
neuen Mobilitätsdiensten wird die intermodale Verbindung von zu Fuß gehen, Fahrrad, Taxi, Bus, Bahn
oder ein Auto nutzen besser möglich.
Carsharing ist ein wachsendes Segment in Ballungsräumen. Die Anzahl der Carsharing-Fahrberechtigten
stieg seit 2010 von 150.000 auf 750.000 Personen an.
Entsprechend wuchs die Fahrzeugflotte von ca. 4.000
Fahrzeugen auf 13.500. Großen Anteil an dieser Entwicklung haben stationsunabhängige CarsharingAngebote. Die hohe Flexibilität der Verfügbarkeit
eines Fahrzeugs macht dieses Angebot gerade für
Menschen in Großstädten interessant. Carsharing hat
das Potenzial, den hohen Parkdruck in Innenstädten
zu senken. Die hohe Durchdringung von Smartphones
ermöglicht eine flexible, spontane Buchung, Ortung
und mittlerweile vereinzelt bereits Öffnung der Carsharing-Fahrzeuge.
Schlussfolgerungen
Die Mobilität von Menschen in Deutschland hat sich
in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Neben Veränderungen der Einstellung gegenüber bestimmten
Verkehrsmitteln und ihrer Nutzung ist insbesondere in
Städten eine Diversifizierung oder Kombination der
Verkehrsmittelwahl zu beobachten. Neben dem klassischen ÖV werden Carsharing und Fahrradverleihsysteme zunehmend attraktiver.
Das zunehmend multimodale Mobilitätsverhalten und
die Potenziale, nicht motorisierten Verkehr und den
ÖV besser zu nutzen, beziehen auch die bessere Vernetzung zwischen MIV und ÖV durch bauliche Maßnahmen und standardisierte Kommunikationsmittel
ein.
Die Elektromobilität kann sich in diese Entwicklung
einklinken. Erste Lademanagementsysteme zum Aufladen von Elektrofahrzeugen sind auf dem Markt
verfügbar (H2V, „home to vehicle“). Für eine kostengünstige Elektromobilität bedarf es weiterer Anstrengungen der Branchen Automobil-, Maschinen- und
Anlagenbau, Energieversorgung, Elektroindustrie,
Chemieindustrie, Metallindustrie, IT-Technologie.
25
Die Entwicklung des automatisierten Fahrens lässt
noch viel weiterreichende Wirkungen auf Mobilität,
Verkehrssystem und städtische Strukturen erwarten.
Während technologische Lösungen hier bereits in der
Entwicklung sind, bestehen aber noch große Unsicherheiten bezüglich der Wirkungen auf das „System“
Stadt.
Ausgewählte VDI-Publikationen
VDI 2166 Blatt 2 „Planung elektrischer Anlagen
in Gebäuden; Hinweise für die Elektromobilität“
VDI 2510 „Fahrerlose Transportsysteme (FTS)“
VDI 2510 Blatt 3 „Fahrerlose Transportsysteme
(FTS); Schnittstellen zu Infrastruktur und peripheren Einrichtungen“
VDI 3782 Blatt 7 „Umweltmeteorologie - KfzEmissionsbestimmung; Luftbeimengungen“
VDI 3782 Blatt 8 „Umweltmeteorologie; Ausbreitungsrechnung für Kfz-Emissionen“
VDI 4280 Blatt 2 „Planung von Immissionsmessungen; Regeln zur Planung von Untersuchungen
verkehrsbedingter Luftverunreinigungen an Belastungsschwerpunkten“
VDI-FVT „Berliner Erklärung zur Fahrzeugsicherheit“
VDI-Positionspapier „Sicherheit und Elektromobilität“
VDI-Bericht „Commercial Vehicles 2015 – Truck,
Bus, Van, Trailer”
VDI-Bericht „Fahrerassistenz und Integrierte
Sicherheit 2014“
VDI Bericht „Der Fahrer im 21. Jahrhundert –
Fahrer, Fahrerunterstützung und Bedienbarkeit“
VDI-Bericht „Fahrzeugsicherheit – Sicherheit 2.0“
VDI-Bericht „Innovative Fahrzeugantriebe 2012 –
Perspektiven in Markt und Technologie“
VDI-Bericht „Erprobung und Simulation in der
Fahrzeugentwicklung 2010“
VDI-Bericht „Energieeinsparung durch Elektronik
im Fahrzeug“
VDI-Bericht „Nutzfahrzeuge 2007 – Lösungen für
Transporteffizienz, Sicherheit und Umweltverträglichkeit – Omnibusforum“
www.vdi.de
26
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
3.6
Energie
Bei öffentlichen Gebäuden liegt der Anteil bei ca.
50 %.
Fakten in Kürze
In der Industrie liegt der Prozesswärmebedarf bei
ca. 66 %.
71 % des Energieverbrauches in Haushalten ist
Wärme
Im Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen
liegt der Anteil bei ca. 40 %.
Bis 2020 sollen 14 % des Endenergieverbrauchs für Wärme und Kälte aus erneuerbaren
Energien stammen.
Die zur Bereitstellung der Wärme in Haushalten eingesetzten Techniken haben sich in den vergangenen
zehn Jahren deutlich gewandelt:
erhebliches Potenzial zur Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudebestand
2001 – 39 % Gas-Niedertemperatur, 32 % GasBrennwert und 27 % Öl-Niedertemperatur
Berücksichtigung des Quartiers als kleinste
Einheit
2011 – 17 % Gas-Niedertemperatur, 57 % GasBrennwert, 14 % Öl und bereits 9 % Wärmepumpen
Ohne die Integration der Menschen ist eine
Energiewende in der Stadt nicht denkbar.
Tendenzen
Stand
Das pulsierende Leben einer Stadt verliert schlagartig
an Intensität, wenn eine der energetischen Versorgungstrassen ausfällt. Ohne Elektrizität und Wärme
sind moderne Städte nicht denkbar. Kommunikation,
Gesundheitswesen, Verkehrslenkung und Lebensqualität in wohltemperierten Räumen sind nur ausgewählte Beispiele. Die weltweite Liste der historischen
Stromausfälle ist lang. 2005 wurde auch im Münsterland schnell erkannt, dass gerade im Winter eine
Hightech-Heizung nur im Zusammenspiel mit einer
ununterbrochenen Stromversorgung funktionieren
kann. Im Ergebnis waren alle Gasheizstrahler der
Region umgehend ausverkauft.
Die klassischen drei Hauptversorgungsinfrastrukturen
laufen im urbanen Gebiet zusammen: Gas, Elektrizität
und Wärme. In der Vergangenheit wurden diese Infrastrukturen meistens getrennt betrachtet, aber u. a.
durch effiziente Energieanwendungen (z. B. Kraftwärmekopplung, Wärmepumpen, Einbindung erneuerbarer Energiequellen, Smart Home, Smart Grid,
Smart City, Notwendigkeit von Energiespeicherung in
Form von Wärme und Elektrizität) wachsen diese
zusammen und weisen stärkere Abhängigkeiten auf.
Energieversorgung und Energieeffizienz ist im städtischen Umfeld auf engem Raum verwoben und kann
daher nur im Zusammenhang betrachtet werden.
Mehr als die Hälfte des gesamten Energieverbrauchs
in Deutschland dient der Wärmebereitstellung [35]:
Die Bereitstellung der Raumwärme hat einen
Anteil von 71 % am Gesamtenergiebedarf eines
Haushalts.
www.vdi.de
Die Energieversorgung muss auch bei einem wachsenden Anteil von Wind- und Sonnenstrom zuverlässig, umweltverträglich und kosteneffizient bleiben.
Für diesen Wandel muss der Strommarkt fit gemacht
werden [36]. Derzeit beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung etwa 25 %. Dieser Wert ist allerdings lediglich ein Durchschnittswert
für das gesamte Jahr. Innerhalb des Jahresverlaufs ist
der Anteil zeitweise heute schon deutlich höher. Stundenweise erreichen die fluktuierenden erneuerbaren
Energien – Wind und Photovoltaik – einen Anteil von
über 60 %. Neben einem großräumigen Ausgleich der
wetterbedingten Fluktuationen der erneuerbaren
Energien muss sich zukünftig die Stromerzeugung
besser an der Nachfragesituation orientieren. Andererseits muss aber auch der Stromverbrauch flexibler
werden, beispielsweise durch ein Lastmanagement.
Hierbei wird Strom gezielt dann verbraucht, wenn
gerade viel davon zur Verfügung steht, z. B. in Starkwindzeiten [37].
Es ist ein zentrales Ziel der Bundesregierung, bis
2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu
erreichen. Bereits bis 2020 sollen 14 % des Endenergieverbrauchs für Wärme und Kälte aus erneuerbaren
Energien stammen. Dafür ist eine Verdoppelung der
Sanierungsrate in Gebäuden erforderlich [38].
Der steigende Einsatz von Wärmepumpen (Bild 7)
und die Nutzung von Brennwerttechnik zeigen einen
deutlichen Trend zu effizienteren Wärmeversorgungen.
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
27
elektrischer und thermischer Solarenergie
Wärme-Kraft-Kopplungstechnologien (auch mit
Einbezug von Biogas, Abfall),
Wärmepumpen und Geothermische Nutzung und
stadtnahe (Fern-)wärme und (Fern-)kälte
und letztlich Technik im und am Gebäude:
nachhaltige Energieeffizienzmaßnahmen an der
Gebäudehülle
Energiemanagementsysteme sowie
Smart-Home-Anwendungen.
Schlussfolgerungen
Bild 7. Erdwärmepumpe mit Erdwärmesonde im
Einfamilienhaus – Quelle: Bundesverband Wärmepumpe (BWP) e.V.
Im Gegensatz dazu stagniert die Energieeffizienzsteigerung an der Gebäudehülle. 75 % des Wohngebäudebestands sind vor der 1. Wärmeschutzverordnung in
Jahr 1978 gebaut worden und weisen einen sehr hohen Energiebedarf auf. Aktuell besteht ein erhebliches
Potenzial zur Steigerung der Energieeffizienz im
Gebäudebestand.
Energieversorgung im urbanen Gebiet bedeutet Integration und Interdependenz diverser Themenfelder.
An globalen Themen sind zu nennen:
gesellschaftliche Integration, sowohl mit Blick auf
den demografischen Wandel wie auch Fragestellungen der zunehmenden Migration,
Gerade die gesellschaftliche Integration stellt die
größte Herausforderung für die Entwicklung, Planung
und Betrieb der Energieversorgung dar. Ohne die
Integration der Menschen ist eine Energiewende in
der Stadt nicht denkbar. Sinnvoll erscheint es daher,
als kleinste Einheit das Quartier zu betrachten und
hier mit integrativen Maßnahmen zu beginnen. Es gilt
die sieben Dimensionen des Betrachtungsraums Quartier (rechtlich, kulturell/historisch, ökonomisch, technisch, soziodemografisch, baulich-räumlich, funktional) mit den Querschnittsfunktionen soziotechnische
Dynamik, Akteure/Governance/Handlungsoptionen
und den volkswirtschaftlich übergeordneten Zusammenhängen zu denken und weiterzuentwickeln.
Ausgewählte VDI-Publikationen
VDI 3781 Blatt 2 „Ausbreitung luftfremder Stoffe
in der Atmosphäre; Schornsteinhöhen unter Berücksichtigung unebener Geländeformen“
Infrastrukturelle Konsequenzen, z. B. Bau neuer
Stromtrassen,
VDI 3789 Blatt 3 „Umweltmeteorologie; Wechsel-wirkungen zwischen Atmosphäre und Oberflächen – Berechnung der spektralen Bestrahlungsstärken im solaren Wellenlängenbereich“
Betrachtung der Stadt als Speicher im Gesamtkontext nationaler Energieversorgung,
VDI 3922 „Energieberatung für Industrie und
Gewerbe“
Entwicklung neuer Wärme- und Kältespeicherung
und
VDI 3985 „Grundsätze für Planung, Ausführung
und Abnahme von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen mit Verbrennungskraftmaschinen“
Berücksichtigung der Elektromobilität auch als
elektrische Speicher,
für die Energiewandlung, Integration und Weiterentwicklung von:
VDI 4620 Blatt 2 „Wasserkraftanlagen; Technik
und Planung“
VDI 4631 „Gütekriterien für Biogasanlagen“
www.vdi.de
28
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
VDI 4640 Blatt 2 „Thermische Nutzung des Untergrunds; Erdgekoppelte Wärmepumpenanlagen“
VDI 4640 Blatt 3 „Thermische Nutzung des Untergrundes; Unterirdische Thermische Energiespeicher“
VDI 4650 Blatt 1 „Berechnung der Jahresarbeitszahl von Wärmepumpenanlagen; Elektrowärmepumpen zur Raumheizung und Trinkwassererwärmung“
VDI 4656 „Planung und Dimensionierung von
Mikro-KWK-Anlagen“
VDI 4680 „Blockheizkraftwerke (BHKW);
Grundsätze für die Gestaltung von Serviceverträgen“
VDI 4682 „Brennstoffzellen-Heizgeräte; Gestaltung von Serviceverträgen“
VDI-Positionspapier „Klimaschutz und Energiepolitik – Ziele und Handlungsbedarf für eine ressourcenschonende und CO2-arme Energieversorgung und -nutzung in Deutschland“
VDI-Positionspapier „VDI-Empfehlungen zur
Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes“
VDI-Statusreport „Regenerative Energien in
Deutschland“
VDI-Statusreport „Fossil befeuerte Großkraftwerke in Deutschland“
VDI-Statusreport „Mikro-Kraft-WärmeKopplungsanlagen“
VDI ZRE Kurzanalyse „Ressourceneffizienz von
Windenergieanlagen“
VDI-Bericht „Hybride Gebäudeenergiesysteme“
VDI-Bericht „Erneuerbare Energien in der multivalenten Gebäudeenergieversorgung“
VDI-Bericht „Geothermische Technologien 2010
– Technologien zur Nutzung der tiefen Geothermie und ihre Integration in Energieversorgungssysteme“
VDI-Bericht „Elektrische Energiespeicher –
Schlüsseltechnologie für energieeffiziente Anwendungen“
www.vdi.de
3.7
Urbane Produktion
Fakten in Kürze
Digitalisierung, insbesondere durch die Industrie 4.0, befähigt effektive und effiziente Produktion, auch mit neuen Konzepten.
Die Produktkomplexität steigt, bei kürzer werdenden Lebenszyklen, weiter.
Neue und weiterentwickelte Fertigungsverfahren ermöglichen eine ressourceneffiziente,
emissionsarme Produktion, auch im städtischen
Umfeld.
Die Symbiose von Betriebsstätte und Umfeld
zum Wohl aller Beteiligten muss zum Unternehmensziel werden.
Die Nutzung von Skaleneffekten durch eine
kundenneutrale Vorproduktion sowie die kundenindividuelle Endproduktion nah am Kunden
stellen die Zukunft der wirtschaftlichen Produktion dar.
Stand
Im Zuge der Industrialisierung kam es insbesondere in
Europa und in Nordamerika zur Entwicklung aufgabenteiliger Fabriken, die aufgrund ihres Erfolgs
wuchsen und häufig von Städten umschlossen wurden. Aufgrund der beschränkten Verfügbarkeit und
Erreichbarkeit von Flächen im städtischen Raum
wurden Produktionsstandorte außerhalb von Städten
„auf der grünen Wiese“ gegründet.
Erhalten Unternehmen trotz Gründung neuer Betriebsstätten Standorte im städtischen Bereich, entsteht in Abhängigkeit von den betriebsinternen Abläufen zum Teil erheblicher Aufwand für die Logistik
von Material und Personal zwischen den Standorten.
Damit steigt die Belastung für die Umgebung, da
mehr Verkehr typischerweise mit erhöhtem Schadstoffausstoß, Abgasen, Staub und Schall verbunden
ist. Weiterhin muss dann der ursprüngliche Standort
an veränderte Rahmenbedingungen angepasst und auf
technisch ausreichendem Stand gehalten werden.
Wird der ursprüngliche Standort zugunsten eines
neuen aufgegeben, besteht meist die Herausforderung
einer sinnvollen Nutzungsüberführung. Die dann zur
Verfügung stehenden begrenzten Flächen bieten meist
nur geringe Erweiterungsmöglichkeiten für Betriebsstätten, sodass sie im Rahmen einer Standortentschei-
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
dung eines Unternehmens häufig nicht ausgewählt
werden können. Diese Flächen sind aber als Kristallisationskeim für Neugründungen und Unternehmen
mit hohem Kreativanteil geeignet, da sich Leben und
Arbeiten oft vorteilhaft vereinigen lassen. Allerdings
sind entsprechende Flächen durch ihre zentrale Stadtlage verhältnismäßig teuer und damit kostenseitig
wenig attraktiv.
Wird die Betrachtung über die Grenzen von Europa
und Nordamerika hinaus erweitert, dann werden Mechanismen aktueller und ehemaliger Schwellenländer
deutlich sichtbar. Die Hoffnung auf Arbeit und Auskommen lässt immer mehr Menschen in Städte ziehen. Durch diese Mobilität in die Städte wachsen
diese überproportional schnell. Damit sind die Infrastruktur und andere Systeme meistens überfordert.
Grund ist, dass die Entwicklung der Infrastruktur
nicht parallel zum Wachstum erfolgt ist. Das erhöhte
Verkehrsaufkommen führt zu permanenten Staus und
enormen Emissionsbelastungen durch Abgase, Geräusche und Staub. Durch die Verdichtung von Lebensraum steigt auch die Gefahr von sozialen Spannungen.
Dies ist besonders bei fehlendem Einkommen und
starken Wohlstandsgefälle zu beobachten. Damit
korrespondiert die Lebensqualität der Bewohner. So
leben vor allem in aufstrebenden Städten und Schwellenstädten zwischen durchschnittlich zwischen 7 %
und 25 % der Bevölkerung in benachteiligten Bezirken mit unzureichender Infrastruktur [39].
Anderseits bieten diese Megastädte vielen Menschen
Lebensraum und Auskommen. „Gateway-Städte“ sind
explizite Wirtschaftsmotoren. Oftmals weisen Metropolregionen ein höheres Pro-Kopf-BIP im Vergleich
zum nationalen Durchschnitt auf, was sich auch auf
die Arbeitsproduktivität und Wachstumsraten übertragen lässt. Diese Megastädte mit Flächenbedarfen von
1.000 bis 14.000 Quadratkilometern, stellen die Ansiedlung von Industriegebieten in Randzonen infrage,
denn das entstehende Verkehrsaufkommen der Berufspendler führt zum Verkehrskollaps. Dazu kommen Herausforderungen im Kontext von Wasserverschmutzung, Luftqualität und Abfallbeseitigung [40].
Die wachsende Bevölkerung und zunehmende Produktion führen zu erhöhtem Rohstoffbedarf. Der aktuelle Rohstoffbedarf der Weltbevölkerung hat bereits
Werte angenommen, die eine langfristige, nachhaltige
Entwicklung unmöglich machen. Die Menschheit
verbraucht aktuell ungefähr die anderthalbfache Menge dessen, was für eine nachhaltige Verwendung der
weltweiten Ressourcen möglich wäre. Bei steigendem
Wohlstand der Weltbevölkerung wird darüber hinaus
ein rasanter Anstieg des Ressourcenverbrauchs prognostiziert [41, 42].
Eine exakte Abgrenzung hinsichtlich der Bezeichnung
Urbanität im Kontext der Produktion ist nicht hinrei-
29
chend möglich. Aus Sicht von Unternehmensvertretern sind Unternehmen mit signifikantem Einfluss auf
das Stadtleben urbane Unternehmen. Stadtplaner
sehen innerstädtische Bereiche als urbanes Umfeld an
und sprechen, wenn dort Fertigung und Montage
erfolgen von, urbaner Produktion.
Tendenzen
Anforderungen von Kunden an Produkte steigen:
Durch Funktionsintegration nimmt die Produktkomplexität zu, Belastungsfälle werden komplexer und
Produktlebenszyklen kürzer. Damit müssen Entwicklungszyklen bei komplexerer Produktentwicklung
verkürzt werden. Die zunehmende Individualisierung
von Produkten führt zu sinkenden Stückzahl gleichartiger Produkte in der Herstellung.
Die Digitalisierung erlaubt durch die Vernetzung von
Produktionsnetzwerken eine effektive und effiziente
verteilte Produktrealisierung. Durch die Nutzung von
Produktionsnetzwerken können Funktionsbaugruppen
mit hoher Stückzahl in Fabriken mit Serienausrichtung unter Erzeugung von Skaleneffekten erfolgen.
Montage von Individualteilen, die möglicherweise vor
Ort angepasst oder gefertigt werden, kann in der Nähe
des Kunden lokal, besonders im urbanen Raum, erfolgen. Mögliche Formen für eine kundennahe Produktion sind Ateliers oder Custom-Center, die entsprechende Maschinen besitzen und in Stadtteilen mit
hohem Kundenverkehr angesiedelt sind. Diese Produktionsnetzwerke stehen im Spannungsfeld „Zentralisierung – Dezentralisierung“, mit der Produktion
kundenneutraler Vorprodukte in größeren Werken in
Randgebieten (vgl. Megaplants [43]) und der Endproduktion kundenindividueller Produkte kundennah in
Stadtgebieten. Damit werden Transportwege verkürzt
und das Transportvolumen reduziert. Weiterhin ist die
Nutzung bestehender Infrastrukturelemente der Stadt
möglich. Die Belieferung mit benötigten Mengen, die
exakt mittels Auswertung digitaler Daten abgestimmt
werden kann, ist auch täglich im Verbund für mehrere
Einheiten möglich. Damit könnte durch entsprechende
Skaleneffekte auch das öffentliche Verkehrsnetz, z. B.
Straßenbahn, U-Bahnen und Busspuren, ökonomisch
genutzt werden. Auch muss die Ausnutzung von bestehenden Räumen anders betrachtet werden. Die
Umnutzung bestehender Räume und Flächen sollten
mit Blick für Nutzen aller stehen. So können große
Fabrikgebäude die Infrastruktur für mehrere kleinere
Unternehmen bieten, die so die nötigen Voraussetzungen für ihre Prozesse vorfinden können.
Der Einsatz neuer Fertigungstechnologien unterstützt
auch eine nachhaltige Produktion im städtischen Umfeld unter geringer bis minimaler Belastung des Umfelds. Bei der Entwicklung und Anpassung von Ferti-
www.vdi.de
30
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
gungstechnologien müssen Minimierung des Ressourceneinsatzes, Energieeffizienz, Emissionsreduktion sowie Ergonomie und Bedienbarkeit im Fokus
stehen. Neue Werkstoffe erlauben weniger Materialeinsatz für die Produkte. Alternative Verfahren wie
die additive Fertigung erlauben bereits heute die kundenspezifische Fertigung von Einzelteilen und sogar
Baugruppen direkt aus digitalen Daten, und dass ohne
Abfall durch Verschnitt und Späne. Allerdings ist für
den effizienten Einsatz neuer Technologien gut ausgebildetes Personal nötig. Diese Tendenz verstärkt
den Fachkräftemangel weiter. Unternehmen stehen
vor neuen Herausforderungen, da nicht mehr nur das
adäquate Gehalt, sondern auch Arbeitsbedingungen
und berufliche sowie private Entfaltungsmöglichkeiten im Zentrum des Interesses der potenziellen Arbeitskräfte stehen. Unternehmen mit städtischem
Bezug werden im „War of Talents“ erfolgreicher
benötigtes Personal mit entsprechendem Know-how
für sich gewinnen können, wenn sie Mitarbeitern
neben dem Einkommen weiteren Mehrwert bieten
[44].
Bild 8. Handlungsfelder für die urbane Produktion – Quelle: Fraunhofer IAO
Die Urbanisierung der Produktion schafft Möglichkeiten für die nachhaltige Herstellung insbesondere kundenindividueller Produkte durch stadtverträgliche
Fabriken und Produktionssysteme, flexible Produktionskapazitäten und dezentrale Produktionsnetzwerke
sowie stadtverträgliche Logistik (Bild 8). Der Mensch
als Mitarbeiter und Kunde muss dabei im Mittelpunkt
stehen. Der Beitrag der Betriebsstätten zur Verbesserung des Umfelds kann größer als die Schädigung
durch den Betrieb sein und im Sinne einer symbiotischen Einbindung sogar positive Effekte erzeugen.
Schlussfolgerungen
Urbanisierung, Ressourcenendlichkeit, Fachkräftemangel und stetig steigende Anforderungen an Produkt und Unternehmen sind Ursachen, die eine Veränderung in den Zielen der produzierenden Unternehmen erfordern. Nicht mehr nur der wirtschaftliche
Erfolg, sondern auch die Berücksichtigung des Menschen und der lebenswerten Umwelt müssen als wewww.vdi.de
sentliche Ziele für die Unternehmensführung verstanden werden. Deshalb sind diese Aspekte (Bild 9) bei
der strategischen Unternehmensplanung in ein Gleichgewicht zu bringen.
Bild 9. Gleichgewicht der Themenfelder für
urbane Produktion – Quelle: Fraunhofer IAO
Eingesetzte Technologien sind hinsichtlich Materialeinsatz, Energiebedarf und Emissionsreduktion zu
optimieren. Bei Planung und Betrieb der Produktion
im urbanen Umfeld muss das Umfeld berücksichtigen, um dessen Bedürfnisse zu adressieren und von
Verfügbarkeiten optimal profitieren zu können. Dabei
spielen andere Unternehmen, die Politik mit gesetzlichen Regeln und Vorschriften sowie Förderangeboten
und die Gesellschaft als Repräsentant der Menschen
im Umfeld eine wichtige Rolle als Meinungsträger
und Interessensgruppen. Der Mensch ist Mitarbeiter,
damit Teil der Wertschöpfung, aber auch Kunde und
Nachbar. Menschen haben in Abhängigkeit ihrer
Zugehörigkeit zu Gruppen unterschiedliche Anforderungen und Ziele, die nicht immer miteinander im
Einklang sind.
Die Verbindung von Digitalisierung und neuen Fertigungstechnologien erlaubt effektivere und effizientere
Prozesse. Die Entwicklung von Prozesstechnologie
und Fertigungsverfahren ist für viele Unternehmen im
Fokus, um das Wachstum langfristig sicherzustellen.
Die Menge und Art der Daten und Informationen wird
zunehmen. Deshalb wird die Herausforderung für
Unternehmen nicht nur die Entwicklung von Prozesstechnologien sein, sondern zur richtigen Zeit am richtigen Ort auf die geeigneten Ressourcen mit den entsprechenden Daten zugreifen zu können. Damit
wächst die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen,
die nah am Kunden sind und flexibel auf seine Anforderungswünsche reagieren können. Bestehende, erfolgreiche Geschäftsmodelle haben sich häufig von
der Produktorientierung zur Serviceorientierung gewandelt und werden wohl zur Datenorientierung hin
weiterentwickelt werden müssen. Unternehmen sind
daher dazu gezwungen, geeignete Mitarbeiter, die den
Prozess der Digitalisierung begleiten, unterstützen
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
und antreiben können, zu gewinnen, weiterzuentwickeln und zu halten. Darüber hinaus gewinnen Kooperationen zwischen Unternehmen zur besseren Ausnutzung von Ressourcen an Bedeutung, bedingen allerdings häufig eine Weiterentwicklung der Bereitschaft
der Unternehmen, sich zu öffnen. Heute implementierte Prozesse sind zu hinterfragen und an Veränderungen der Bedürfnisse der Kunden, insbesondere
hinsichtlich Individualität und Lebenszyklus, anzupassen. Basis aller Veränderungen dabei muss der
Blick auf die nachhaltige Stadt der Zukunft sein.
Ausgewählte VDI-Publikationen
VDI-Richtlinien-Handbuch „Produktionstechnik –
Band 1 bis Band 3“
VDI-Richtlinien-Handbuch „Fabrikplanung und betrieb – Band 1 und Band 2“
VDI-Studie „Produktion und Logistik in Deutschland 2025“
VDI-Handlungsempfehlungen „Produktion und
Logistik in Deutschland 2025“
VDI-Statusreport „Industrie 4.0 – Wertschöpfungsketten“
VDI-Statusreport „Industrie 4.0 – „Gegenstände,
Entitäten, Komponenten“
VDI-Statusreport „Industrie 4.0 – Auf dem Weg
zu einem Referenzmodell“
VDI-Statusreport „Industrie 4.0 – CPS-basierte
Automation – Forschungsbedarf“
VDI/ZVEI-Statusreport „ Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 (RAMI4.0)“
VDI/TZ-Studie „Innovations- und Effizienzsprünge in der chemischen Industrie? Wirkungen und
Herausforderungen von Industrie 4.0“
3.8
31
Urbane Logistik
Fakten in Kürze
Vor dem Hintergrund des demografischen
Wandels, des zunehmenden Internethandels und
des ökologischen Wertewandels ist die urbane
Logistik kurzfristig vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt.
Viele Lösungen sind bereits erforscht und werden derzeit erprobt – sie müssen aber in den
nächsten Jahren implementiert werden.
Die exekutive Logistik wird als einer der
Hauptverursacher des Klimawandels verantwortlich gemacht.
Entwicklung von Konzepten und Lösungen zur
Optimierung logistischer und nicht logistischer
Dienstleistungen zur Bündelung verschiedener
Material- und Warenströme und somit Vermeidung von Logistikverkehren im urbanen Raum
Stand
Rund 85 % der Menschen in Europa werden im Jahr
2050 in Städten leben. Doch in den hoch komplexen
und verdichteten Lebensräumen ist eine nachhaltige
Versorgung der Menschen mit Gütern und Waren mit
den derzeitigen Strukturen nicht gewährleistet. Handelsunternehmen, Lieferanten, Kurier-, Express- und
Paketdienste (KEP) sowie Logistik-Dienstleister benötigen daher effiziente Logistiklösungen speziell für
den urbanen Raum.
Urbane Regionen sind Wachstumsmotoren und Zentren der Produktivität. Wie unter einem Brennglas
kann man in Städten und Ballungsräumen beobachten,
wie das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sich
verändert. Für die urbane Logistik sind folgende Entwicklungen von entscheidender Bedeutung:
zunehmende Restriktionen der innerstädtischen
Belieferung durch unzureichende oder überlastete
Infrastruktur oder Zeitfenster für die Belieferung
Der demographische Wandel verändert die Ansprüche an die Urbane Versorgung: Ältere Menschen haben spezielle Ansprüche an LogistikDienstleister bzw. Versorgungsprozesse.
weiterhin zunehmender Internethandel, der unter
anderem im Konflikt mit der wohnortnahen Versorgung steht
www.vdi.de
32
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Der ökologische Wertewandel verändert Lebensstile und verlangt ressourceneffiziente und regionale Versorgung.
Die Folgen für die urbane Logistik sind vielfältig: Der
Internethandel begünstigt die Bestellung von Kleinstmengen, mehr und mehr Einzelsendungen verlassen
die Läger, der Bedarf an flexiblen Anlieferungen rund
um die Uhr steigt. Im stationären Handel lässt sich ein
ähnlicher Trend beobachten – die Wiederauferstehung
des Tante-Emma-Ladens ist ein wegweisendes Beispiel. Mit dem wachsenden Anteil älterer Menschen
in der Gesellschaft, von denen ein immer größer Anteil auch im hohen Alter zu Hause wohnen möchte,
steigt die Nachfrage nach gänzlich neuen Versorgungskonzepten, die in das Gesamtsystem der urbanen Versorgung integriert werden müssen. Insgesamt
sinken die Mengen je Lieferung bei gleichzeitiger
Steigerung der Lieferfrequenzen – eine ungeheure
Herausforderung für die Belieferung der letzten Meile. Zugleich nimmt die Logistik große innerstädtische
Flächen in Anspruch – Flächen, die unter ökologischen und planerischen Gesichtspunkten andere Funktionen erhalten sollten. Diese gegensätzlichen Tendenzen gilt es zu vereinen, indem Lösungen für einen
effizienten Umgang mit Ressourcen bei gleichzeitiger
Wahrung der Individualität – sowohl im Hinblick auf
die Versorgung mit Waren und Informationen als
auch auf den Erhalt der individuellen Mobilität – gefunden werden. Die Logistik hat hier eine besondere
Verantwortung, denn Änderungen bei ihren Prozessen
und Technologien haben große Auswirkungen auf das
urbane System.
Tendenzen
Die Gesellschaft insgesamt – und ganz besonders
Verbraucher, Politik und Teile der Wirtschaft – verlangen ressourceneffiziente, integrierte und gesellschaftsverträgliche Logistikprozesse. Diese müssen
sowohl sozialwissenschaftlich als auch technologisch
entwickelt werden. In der Stadt gilt dies umso mehr,
da hier die Folgen einer Vernachlässigung unmittelbar
sichtbar werden bzw. unmittelbarer wirken, als in
anderen Räumen. Dies gilt auch für die Logistikunternehmen, denn wenn sie entsprechende Tendenzen
nicht berücksichtigen, hat dies mittelfristige Folgen
für Ansehen und Umsatz.
Vielfältige Lösungsansätze sind bereits konzipiert und
befinden sich in Erprobung bzw. wurden bereits unternehmensseitig implementiert:
Konzepte und Lösungen zur Bündelung logistischer und nicht logistischer Dienstleistungen
(Handel, KEP, Pflegerische Versorgung) im Hinblick auf den demografischen Wandel sowie zur
Bündelung verschiedener Material- und Warenwww.vdi.de
ströme zur Vermeidung von Logistikverkehren im
urbanen Raum, z.B. das Urban-Hub-Konzept
(Bild 10)
Bild 10. Bündelung von Warenströmen im Urban-Hub – Quelle: EffizienzCluster LogistikRuhr
Navigationslösungen, die Restriktionen, Zufahrtsbeschränkungen oder Anforderungen innovativer
Transportsysteme berücksichtigen
Konzepte, die eine Einbindung von alternativen
Antrieben in urbane Versorgungsstrukturen ermöglichen, wie z.B. das Parkhäuser, die sowohl
als Ladestationen für elektrifizierte Lieferfahrzeuge als auch als Lagerstätten für die Feinverteilung
in der Stadt dienen
innovative Warenübergabesysteme auf der letzten
Meile, die Konzepte zur urbanen Versorgung
komplettieren
Konzepte für die Micro-urbane-Logistik, also der
Einsatz von Lastenfahrrädern oder Kleinstfahrzeugen zur Belieferung, ggf. mit elektrischem Unterstützungsantrieb (Bild 11)
integrierte Planung für Infrastrukturen, die ökologische und ökonomische Bedürfnisse miteinander
vereinen
Konzepte für eine regionale, nachhaltige Versorgungslogistik
wandelbare Logistikknoten: Innovative Hubs
passen ihre technische Infrastruktur dynamisch an
die an sie gestellten Anforderungen an und können
gleichzeitig mit minimalem Zeitaufwand ihren
Standort verändern.
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
33
standardisierte und verursachungsgerechte Bewertung von ökologischen Wirkungen logistischer
Prozesse und Systeme
Eine urbane Logistik, die ökologischen und sozialen
Verbraucherbedürfnissen gerecht wird, muss mittelund langfristig auch ökonomisch sinnvoll sein.
Stärkung des Know-hows und Zertifizierung der
Unternehmenskompetenz und unternehmerischer
Verantwortung im Bereich Nachhaltigkeit
Ausgewählte VDI-Publikationen
VDI 2520 „Einführung einer Unternehmenslogistik; Arbeitsplan“
VDI 2691 „Optimale Bestellmenge“
VDI 3626 „Checkliste für Planung und Ausführung von Hochregalanlagen“
VDI 4404 „Lieferstrategien in der Logistik“
VDI 4443 „Kontaktlose Energieübertragung für
mobile Systeme der Stückgutfördertechnik“
Bild 11. Elektrifiziertes Lastenfahrrad zur
innerstädtischen Belieferung – Quelle: EffizienzCluster LogistikRuhr
Hierbei ist es von besonderer Bedeutung, dass diese
Bausteine möglichst systemisch – also in Kombination – die Herausforderungen, aber auch die Chancen
der urbanen Versorgung in der Stadt der Zukunft
angehen bzw. nutzen. Dafür gilt es auf sozialer Ebene,
Stakeholder und Betroffene in Entscheidungsprozesse
mit einzubinden bzw. deren Bedürfnisse so weit möglich zu berücksichtigen und auf technologischer Ebene möglichst viele Prozesse zu digitalisieren und zu
verbinden, wie es z. B. das Konzept Industrie 4.0 vorschlägt.
Schlussfolgerungen
VDI 4485 „E-Commerce und Logistik“
VDI 4491 Blatt 1 „Logistikbudgets“
VDI 4491 Blatt 2 „Logistikcontrolling“
VDI-Richtlinien-Handbuch „Technische Logistik
– Band 1 bis Band 8“
VDI-Studie „Produktion und Logistik in Deutschland 2025“
VDI-Handlungsempfehlungen „Produktion und
Logistik in Deutschland 2025“
VDI-GPL- „Outsourcing schafft WIN-WINEFFEKTE“
VDI-Bericht „Flughafenlogistik Wachstum ohne
Grenzen“
Die exekutive Logistik wird als einer der Hauptverursacher des Klimawandels verantwortlich gemacht. Für
die Logistik im Allgemeinen und die urbane Logistik
im Speziellen gilt es, dies als Chance zu nutzen, denn
die Auswirkung, die von einer ressourceneffizienten
und verantwortungsvollen Logistik ausgehen kann, ist
sehr stark.
Die urbane Logistik hält vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels, der Urbanisierung und des
gesteigerten Bewusstseins bezüglich Ressourceneffizienz Lösungen bereit, die nun verstärkt Anwendung
finden müssen.
Eine effiziente und effektive urbane Versorgung ist
nur möglich, wenn die entwickelten und hier benannten Lösungsansätze systemisch umgesetzt werden.
www.vdi.de
34
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
3.9
Kreislaufwirtschaft
Fakten in Kürze
Eine konsequente Weiterentwicklung des arbeitsteiligen und globalisierten Weltwirtschaftssystems ist die Implementierung von Kreislaufwirtschaftsstrukturen.
seit 1992 erste Umsetzungen ausgewählter
Kreislaufwirtschaftssysteme (z.B. Verpackung,
E-Schrott, Altauto)
Erhöhung der Gesamtabfallrecyclingquote in
Deutschland im Jahre 2012 auf 70 %
Erhöhung der Elektronikschrottsammelquote
bis 2021 auf 85 % der in Verkehr gebrachten
Waren
Erweiterung und Optimierung der Erfassungssysteme für Siedlungsabfälle mittels Wertstofftonne.
Stand
Die konsequente Weiterentwicklung des arbeitsteiligen und globalisierten Weltwirtschaftssystems ist die
Implementierung von Kreislaufwirtschaftsstrukturen.
Die Schaffung effizienter Nutzungsstränge für die
eingesetzten Produktionsmittel ist das notwendige
Ergebnis. Derartige Ansätze sind für die deutsche
Volkswirtschaft nicht neu und für augenscheinlich
wirtschaftliche Produkte wie Papier, Metalle und Glas
schon seit Jahrzehnten umgesetzt. Auch komplexe
Produkte wie Automobilmotoren und Kupplungen
werden in ausgefeilten Sammel-, Aufarbeitungs- und
Nutzungssystemen auf hohem Wertschöpfungsniveau
geführt.
Neben diesen ökonomisch autark agierenden Kreislaufwirtschaftssystemen steht die Notwendigkeit der
öffentlichen Fürsorge im Rahmen des Umgangs mit
Siedlungsabfall. In Deutschland finanziert und betrieben über staatliche Abgaben- und Gebührensysteme.
Hinzugetreten ist im Rahmen der dualen Abfallwirtschaft eine Gesetzgebung, die auch die Inverkehrbringer von komplexen, aber nach dem Ende der Nutzungsphase nicht wirtschaftlich zu nutzenden Produkten zur Realisierung von Kreislaufwirtschaftssystemen und Einhaltung von Recyclingquoten zwingt.
Der Nutzer steht somit im Blickpunkt der Recyclingindustrie als Ausgangspunkt für Stoffströme, mit
denen eine Wertschöpfung zu erzielen ist.
www.vdi.de
Im Jahre 2012 fielen in Deutschland im Durchschnitt
611 Kilogramm Siedlungsabfall je Einwohner an. Wie
das Statistische Bundesamt mitteilt, lag die Abfallmenge damit deutlich über dem EU-Durchschnitt von
rund 492 Kilogramm je Einwohner [45]. Diese auf
den ersten Blick negative Nachricht wird jedoch sofort relativiert, wenn die Abfallintensität als Kennzahl
zur Messung der Nachhaltigkeit herangezogen wird.
Hierbei wird die erzeugte Abfallmenge in Relation
zur Wirtschaftsleistung gesetzt, z. B. gemessen durch
das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Eine nachhaltige
Abfallwirtschaft liegt vor, wenn die Entwicklung des
Abfallaufkommens deutlich hinter dem Wirtschaftswachstum zurückbleibt. Genau diese Entwicklung ist
seit 1996 in Deutschland eingetreten. Der Indikator
zeigt für 2012 ein um 40 % kleineres Abfallaufkommen als es die wirtschaftliche Entwicklung hätte erwarten lassen. Die Maßnahmen der vergangenen
Jahrzehnte haben also gegriffen [46]. Die Recyclingquote bezogen auf das Gesamtabfallaufkommen betrug in 2012 70 %. Für Siedlungsabfälle wurden 65 %
ermittelt [47].
Tendenzen
Recyclingtechnik, Closed Loop Engineering, Kreislaufwirtschaft, Cradle to Cradle und Ressourceneffizienz sind die Begriffe, die von Inhalten und Intensionen nicht gleich, aber ähnlich zu deuten sind. In den
vergangen Jahrzehnten wurden enorme Anstrengungen unternommen, nachhaltige Kreislauf Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Kunststoffrecyclate im Automobilbau, Gold aus verschrotteten Computern, Biodiesel aus Schlachtabfällen und Energie aus komplexen Restabfällen sind positive Beispiele, die heute den
Stand der Technik repräsentieren. Aber es entstehen
täglich neue Herausforderungen. Wie sehen die Wertschöpfungsstrukturen für fein verteilte seltene Erden
in Energiesparlampen, Computerfestplatten und Handys aus, die jedoch unsere zukünftige Elektromobilität
sichern sollen? Was bedeutet Recycling von Fotovoltaikanlagen?
Aktuell laufen aus verschiedenen Blickrichtungen
diverse Diskussionen zur Erhöhung des Recyclinganteils bei dem Umgang mit Abfällen. Diskutiert wird,
sowohl der energetische Beitrag der Abfälle zur Energiewende als auch die Umsetzung der novellierten
WEEE-Richtlinie, des Kreislaufwirtschaftsgesetzes
und des Umweltstrafrechts in deutsches Recht für
2014. Eine wesentliche Herausforderung ist, dass vier
Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinien, eine Mindestsammelquote für Elektro- und Elektronikschrott von
45 % erreicht werden muss; sieben Jahre nach Inkrafttreten muss eine Mindestsammelquote von 65 % auf
Basis der in Verkehr gebrachten Geräte oder alterna-
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
tiv 85 % auf Basis des Abfallaufkommens aus Altgeräten erzielt werden (Bild 12).
35
Die zukünftigen Herausforderungen kann eine Kommune alleine nicht meistern. Es bedarf weiterer gemeinschaftlicher Anstrengungen und Zusammenarbeit
zwischen der Politik, der produzierenden Unternehmen, der Recyclingunternehmen und der Wissenschaft, um die Aufgaben der Zukunft zu meistern.
Als Prämissen für Kreislaufwirtschaftssysteme in
urbanen Räumen stehen:
Realisierung ortsnaher Verwertungssysteme
Als Ergebnis stehen die Optimierung der notwendigen logistischen Leistung und die Dokumentation der Sinnhaftigkeit der Anlagentechnik auch für
den ortsnahen Bürger.
Weiterentwicklung bestehender Erfassungssysteme bezogen auf:
Bild 12. Recycling von Elektrogeräten –
Quelle: Holzhauer
Die Einführung der Wertstofftonne erfolgt in diversen
Pilotvorhaben. Die Konzepte sind sehr unterschiedlich
und orientieren sich in der Regel an den kurzfristig
vorhandenen Möglichkeiten der entsorgungspflichtigen Körperschaft (Bild 13).
‒ Erhöhung der Akzeptanz bei den Bürgern und
Unternehmen
‒ Erhöhung der Energieeffizienz bezogen auf
den Energieeinsatz in der Gesamtkette der Abfallaufbereitung
‒ Erhöhung der Ressourceneffizienz und somit
Steigerung der Eigenversorgung der Industrie
mit insbesondere kritischen Rohstoffen
‒ Erhöhung der Stadtkonformität durch Sammelsysteme, die Transparenz schaffen und somit
zu einer Individualisierung des Abfalls beitragen
Entwicklung weitergehender Nutzungskonzepte
für komplexe Produkte
Die heranwachsenden Generationen zeigen Verhaltensweisen, die das Teilen und das gemeinsame
Nutzen von Produkten fördern. Leasing und Charing können richtig eingesetzt zu Konzepten führen, die die Lebensdauer von Produkten als wesentliches Produktmerkmal wieder in den Vordergrund rücken lassen. Hier könnten für einige Produzenten auch Lösungen jenseits von geplanter
Obsoleszenz wirtschaftlich nachhaltig werden.
Bild 13. Wertstofftonnen im Kreislaufwirtschaftssystem – Quelle: Holzhauer
Neben rein technischen Fragen existieren auch organisatorische und rechtliche Herausforderungen. Ohne
die Menschen, und ganz speziell jeden einzelnen
Menschen, sind alle Anstrengungen zum Scheitern
verurteilt. Der Mensch muss sich in den Strukturen
wohlfühlen und aktiv beteiligen. Insbesondere in
Städten gilt es Erfassungssysteme aufzubauen, die den
Gegebenheiten der Städte und Städter entgegenkommen.
Erhöhung der Akzeptanz von städtischen Produktionsstandorten
Der Mitarbeiter wird in der Produktion vor dem
Hintergrund des demografischen Wandels und der
Entwicklung zur Wissensgesellschaft einen höheren Stellenwert erlangen. Ein logistisch optimiertes Wohnen und Arbeiten wird in Städten der Zukunft für die Mitarbeiter ein entscheidender Faktor
für die Arbeitsplatzwahl sein. Somit gilt es, stadtaffine Industrieansiedlungen aufzubauen, die unter
Realisierung abfallarme Produktionsprozesse und
interne Kreisläufe für die eingesetzten Ressourcen
schaffen.
www.vdi.de
36
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Schlussfolgerungen
Die Ressourceneffizienz stellt eine der großen Herausforderungen im Rahmen gelebter Nachhaltigkeit
dar und die Ressource Siedlungsabfall ist in der Abfallwirtschaft eine der komplexesten Stoffgruppen.
Wobei die Komplexität nicht nur in der Zusammensetzung des Abfalls liegt, sondern auch in den
menschlichen, rechtlichen und organisatorischen
Rahmenbedingungen.
Die Stadt der Zukunft benötigt für die Weiterentwicklung der Ressourceneffizienz Lösungsansätze, die das
urbane Wohnen, den nachhaltigen Konsum und eine
ortsnahe Aufbereitungs- und Verwertungstechnik
verbinden. Hier muss insbesondere mit der Integration
der Bürger durch eine mögliche Individualisierung der
Abfallströme auch eine Bewusstseinsbildung einhergehen.
Möglichkeiten zur Steigerung der Verwertungsquoten
durch Effizienzsteigerung der Sammelsysteme z. B.
durch Erhöhung des Erfassungsgrads und Verbesserung der Sortenreinheit der Stoffströme aus der Siedlungsabfallerfassung müssen entwickelt werden. Ein
besonderes Augenmerk liegt auf den sich bildenden
neuen Stoffströmen der strategischen Metalle.
Der Fokus liegt auf Lösungen zur Individualisierung
des Abfalls an der Anfallstelle (Integration des Bürgers in den Informationsstrang und wertbezogene
Abrechnung), bei der Erfassung (weitgehende Getrennthaltung technisch nicht sinnvoll zu trennender
Stoffströme) und der Zuordnung zu den Verwertungstechniken (Zuordnung des Stoffstroms zu der optimalen Verwertungslinie).
Ausgewählte Publikationen
VDI 2343 Blatt 7 „Recycling elektrischer und
elektronischer Geräte; Re-use“
VDI 3397 „Entsorgung von Kühlschmierstoffen“
VDI 3925 Blatt 1 „Methoden zur Bewertung von
Abfallbehandlungsverfahren“
VDI 4070 Blatt 1 „Nachhaltiges Wirtschaften in
kleinen und mittelständischen Unternehmen; Anleitung zum nachhaltigen Wirtschaften“
VDI 4080 „Automobilverwertung; Qualität von
Kfz-Gebrauchtteilen“
VDI 4082 „Automobilverwertung; Trockenlegung
und Vorbehandlung von Fahrzeugen auf die Demontage“
VDI 4091 „Wirtschaften in Kreisläufen und Stoffstrommanagement – Methodik – Papier
VDI 4413 „Entsorgungslogistik in produzierenden
Unternehmen“
VDI 4431 „Kreislaufwirtschaft für produzierende
Unternehmen“
3.10 Ressourceneffizienz
Fakten in Kürze
Die zunehmende Urbanisierung und die damit
einhergehende steigende Rohstoffnachfrage
wird die weltweite Rohstoffknappheit weiter
verschärfen.
VDI 2074 „Recycling in der Technischen Gebäudeausrüstung“
Durch eine verstärkte Innenentwicklung lassen
sich Ressourcen- und Flächenverbrauch von
Städten im Vergleich zur Außenentwicklung
merklich reduzieren.
VDI 2343 Blatt 1 „Recycling elektrischer und
elektronischer Geräte; Grundlagen und Begriffe“
Urban Mining: Der Gebäudebestand in Städten
stellt ein erhebliches Rohstofflager dar.
VDI 2343 Blatt 2 „Recycling elektrischer und
elektronischer Geräte; Logistik“
VDI 2343 Blatt 3 „Recycling elektrischer und
elektronischer Geräte; Demontage“
VDI 2343 Blatt 4 „Recycling elektrischer und
elektronischer Geräte; Aufbereitung“
VDI 2343 Blatt 5 „Recycling elektrischer und
elektronischer Geräte; Stoffliche und energetische
Verwertung und Beseitigung“
www.vdi.de
Stand
In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern geht
die zunehmende Urbanisierung der Bevölkerung mit
einem steigenden Wohlstandsniveau und einem erhöhten Konsum an Gütern und Waren einher. Gleichzeitig bedeutet dies einen erhöhten Ressourcenverbrauch. Dabei überschreitet bereits heute der globale
Ressourcenverbrauch die Grenzen eines nachhaltigen
Wirtschaftens. Dies veranschaulicht der ökologische
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Fußabdruck, der jene Fläche angibt, die ein Mensch
für seinen Lebensstil und Lebensstandard benötigt.
Derzeit liegt er im weltweiten Mittel bei 2,7 Hektar,
was bereits heute einer Überschreitung der global
verfügbaren Fläche um 50 % entspricht [48].
Ein wichtiger Aspekt ist auch die Inanspruchnahme
der Ressource Fläche durch die Städte selbst. Mit
zunehmendem Wachstum der urbanen Räume wird
immer mehr Naturraum im Umland vereinnahmt. In
Deutschland betrug die zusätzliche Flächeninanspruchnahme für Bebauung und Infrastrukturprojekte
zwischen 2007 und 2010 durchschnittlich 87 Hektar
pro Tag [49]
Dabei stellt die Bausubstanz der Städte inzwischen
ein immenses Rohstofflager dar: Schätzungen gehen
davon aus, dass im deutschen Gebäudebestand
100 Mrd. t Material verbaut sind (Bild 14) [50].
37
räume mit hohen Ressourcenverbräuchen bieten hierfür vielfältige Möglichkeiten beispielsweise durch
kurze Wege und die Nähe von Produzent und Konsument. Gleichzeitig ist eine immer größere Ausweitung
der Städte in die Fläche zu beobachten. Dies zieht
neben dem Ressourcen- und Flächenverbrauch für die
zu errichtenden Wohn- und Gewerbeobjekte auch
einen ganz erheblichen Verbrauch für die begleitende
Infrastruktur in Form von Straßen, Schulen, Supermärkten etc. nach sich. Daraus ergibt sich für die
Zukunft eine immer höherer Ressourcenbedarf für
Erhaltungsmaßnahmen, da einmal gebaute Infrastruktur im Allgemeinen nicht wieder zurück gebaut werden kann. Bereits heute übersteigen die Aufwendungen für den Erhalt von Straßen bei weitem den Rohstoffbedarf für Neubaustrecken.
Schlussfolgerungen
Um eine weitere Zersiedelung der Fläche mit den
obengenannten weitreichenden Auswirkungen auf den
langfristigen Ressourcenbedarf von Städten zu verringern, bietet sich eine verstärkte Innenentwicklung an.
Folgende Ansätze liefern hierfür einen wertvollen
Beitrag:
Umnutzung bestehender Gebäude
Sanierung innerstädtischer Brachflächen
Bild 14. Rohstofflager Gebäudebestand –
Quelle: Deutscher Abbruchverband e.V.
Tendenzen
Aufgrund der weltweit zunehmenden Knappheit von
Ressourcen gewinnt das Thema Ressourceneffizienz
stetig an Bedeutung. Die im Entwurf vorliegende
Richtlinie VDI 4800 Blatt 1 „Ressourceneffizienz –
Methodische Grundlagen, Prinzipien und Strategien“
definiert Ressourceneffizienz als Verhältnis eines
bestimmten Nutzens oder Ergebnisses zum dafür
nötigen Ressourceneinsatz. Unter Ressourcen werden
dabei alle natürlichen Ressourcenquellen verstanden,
das heißt abiotische und biotische Rohstoffe, Wasser,
Land sowie die Senkenfunktion der Umweltmedien
Boden, Wasser und Luft.
Als Orte intensiver wirtschaftlicher Aktivität können
Städte über eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zur Erhöhung der Ressourceneffizienz beitragen. Gelingt es gleichzeitig, die großen Stoffströme
in Städten effizienter zu gestalten und damit eine
Entkopplung des BIP vom Ressourceneinsatz zu erzielen, so kann eine signifikante Steigerung der Ressourceneffizienz erzielt werden. Städte als Ballungs-
Nachverdichtung und Aufstockung bestehender
Gebäude
Nullemissionsgewerbegebiete
Aufgrund ihrer stark verminderten Emissionen eignen
sich Nullemissionsgewerbegebiete auch für eine Ansiedelung im direkten Wohnumfeld. Neben den sich
daraus ergebenden kurzen Wegen bietet dies auch die
Möglichkeit einer effizienten Energienutzung beispielsweise durch den Aufbau lokaler Wärme- und
Kältenetze, die eine Kaskadennutzung zwischen Industrie und Wohngebiet erlauben.
Die Bausubstanz in Städten stellt ein immenses Rohstofflager dar. Gelingt es, dieses im Sinne geschlossener Stoffkreisläufe zu nutzen, kann nicht nur wertvolles Primärmaterial eingespart werden. Auch die
Transportaufwendungen lassen sich merklich reduzieren, da in Städten mit einer dynamischen Entwicklung
der Rückbau bestehender Bausubstanz und der Neubau häufig räumlich sehr dicht beieinander liegen. So
kann beispielsweise sortenrein vorliegender Betonabbruch stadtnah aufbereitet und als Recyclinggesteinskörnung in Frischbeton eingesetzt werden. Die Transportaufwendungen für Primärkies und -schotter von
weiter entfernt liegenden Steinbrüchen können so
reduziert werden, was sich positiv auf die Ökobilanz
www.vdi.de
38
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
auswirkt. Dabei können Städte sowohl für den Hochbau als auch für den Tiefbau als Materiallager dienen.
Im Tiefbau ist es außerorts bereits gängige Praxis
ausgebaute Materialien vor Ort aufzubereiten und
sofort wieder einzubauen. Innerstädtisch fehlen hierfür noch geeignete Verfahren, deren Entwicklung
einen weiteren Beitrag zur Ressourcenschonung liefern könnte.
VDI ZRE Kurzanalyse „Potenziale eines hochwertigen Recyclings im Baubereich“
Aufgrund ihrer Dichte bieten Städte optimale Voraussetzungen für Konzepte der Sharing Economy, die
den Ressourcenverbrauch merklich reduzieren können, indem nicht mehr jeder einzelne Bürger bestimmte Produkte besitzt.
VDI ZRE Kurzanalyse „Ansätze zur Steigerung
der Ressourceneffizienz im Automobilbau“
Ausgewählte VDI-Publikationen
VDI 4800 Blatt 1 „Ressourceneffizienz; Methodische Grundlagen, Prinzipien und Strategien“
VDI-Agenda „Ressourceneffizienz – VDIRichtlinien zur Zielerreichung“
VDI ZRE Kurzanalyse „Ressourceneffiziente
Wasserkonzepte für Krankenhäuser“
VDI ZRE Kurzanalyse „Material- und Energieeffizienzpotenziale durch den Einsatz von Fertigungsdatenerfassung und -verarbeitung“
VDI ZRE Kurzanalyse „Ressourceneffizienz von
Windenergieanlagen“
www.vdi.de
VDI ZRE Kurzanalyse „Ressourceneffizienz der
Dämmstoffe im Hochbau“
VDI ZRE Kurzanalyse „Ressourceneffizienz im
Fokus der betrieblichen Kostenrechnung“
VDI ZRE Kurzanalyse „Ressourceneffizienz
durch Werkstoffsubstitution“
VDI ZRE Kurzanalyse „Kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe im Fahrzeugbau“
VDI ZRE Kurzanalyse „Ressourceneffizienz der
Tragwerke“
VDI ZRE Kurzanalyse „Rohstoffquelle Biomasse“
VDI Technologiezentrum „Mehr Wohlstand –
weniger Ressourcen – Instrumente für mehr Ressourceneffizienz in Wirtschaft und Gesellschaft“
VDI Technologiezentrum „Mehr Wissen – weniger Ressourcen – Potenziale für eine ressourceneffiziente Wirtschaft“
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
39
Literatur
[1]
Reshaping economic geography, part 1 and part 2. World Development Report 2009. World Bank. Washington DC: 2009
[2]
Rechschl, R.; Rogg, W.: Kommunale Wirtschaftsförderung, Standortdialog und Standortentwicklung in Kommunen und
Regionen. Verlag Wissenschaft & Praxis, 2003
[3]
Aufgaben, Organisation und Schwerpunkte der kommunalen Wirtschaftsförderung. Deutscher Städte- und Gemeindebund.
Verlag Winkler & Stenzel, 2008
[4]
Hennchen, S.: Wirtschaftsförderung 2020. Wie sieht die Wirtschaftsförderung der Zukunft aus? Jahrestagung 2010 der
AGKW NRW. Duisburg: 2010: http://www.mittelstandsfreundliche-kommunen.de/infothek/content/
hennchen(2010)_wirtschaftsfoerderung_2020.pdf (abgerufen am 22.06.2015)
[5]
Bathelt et. al.: Clusters and knowledge: local buzz, global pipelines and the process of knowledge creation. 2004
[6]
Florida, R.: The Rise of the Creative Class. 2002
[7]
Smart-City-Cologne in der Stegerwaldsiedlung in Köln-Mülheim: http://www.ksta.de/muelheim/projekt--smart-citycologne--die-zukunft-von-koeln-beginnt-in-muelheim,15187568,30528210.html (abgerufen am 22.06.2015)
[8]
Anzahl städtische Bevölkerung: http://data.worldbank.org/indicator/SP.URB.TOTL.IN.ZS (abgerufen am 22.06.2015)
[9]
Anzahl Großstädte mit über 100.000 Einwohnern: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/1353/umfrage/
einwohnerzahlen-der-grossstaedte-deutschlands/, (abgerufen am 22.06.2015)
[10] Wachsende Stadt, schrumpfende Quartiere, In: Maretzke, S. (Hrsg.): Städte im demografischen Wandel. Wesentliche Strukturen und Trends des demografischen Wandels in den Städten Deutschlands, 2007, S. 65–74.
[11] Anzahl Pfelgebedürftige: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/157217/umfrage/prognose-zur-anzahl-derpflegebeduerftigen-in-deutschland-bis-2030/, (abgerufen am 22.06.2015)
[12] Mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung – Prozessanalysen und Empfehlungen am Beispiel von Fernstraßen, Industrieanlagen und Kraftwerken. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 2012
[13] BMVBS (2012): Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung. Planung von Großvorhaben im Verkehrssektor. Berlin: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
[14] RWE (2012): Akzeptanz von Großprojekten. Eine Standortbestimmung über Chancen und Grenzen der Bürgerbeteiligung
in Deutschland. Essen: RWE.
[15] Brandt, K.: Die ökonomische Bewertung des Stadtklimas am Beispiel der Stadt Essen. Essener Ökologische Schriften, Band
25, Westarp-Wissenschaften, Hohenwarsleben, 2007, S. 112
[16] Dütemeyer, D., Barlag, A.-B., Kuttler, W., Axt-Kittner, U.: Measures against heat stress in the city of Gelsenkirchen, Germany. Die Erde, 144, Nr. 3-4, 2013, S. 181–201
[17] Ehn, M. et al.: A large source of low-volatility secondary organic aerosol. Nature 506, 2014, S. 476–479
[18] Goldbach, A., Kuttler, W.: Quantification of turbulent heat fluxes for adaptation strategies within urban planning.
International Journal of Climatology, 2012
[19] Hassi, J., Rytkönen, M.: Climate warming and health adaptation in Finland. Finadapt Working Paper 7, Finish Environment
Institute Mimeographs 337, Helsinki: 2005
[20] Kuttler, W.: Climate Change on the Urban Scale – Effects and Counter-Measures in Central Europe. In: Chhetri, N.: Human
and Social Dimensions Change, Chapter 6, 2012, S. 105–142
[21] Kuttler, W.: Klimatologie. 2. Paderborn: Schöningh-Verlag, 2013, S. 306
[22] Kuttler, W., Püllen, H., Dütemeyer, D., Barlag, A.-B.: Unterirdische Wärmeinsel in Oberhausen – Untersuchung subterraner
Wärme- und Energieflüsse in verschiedenen Klimatopen. dynaklim-Publikation Nr. 23, März 2012 im interdisziplinären
Verbundforschungsprojekt dynaklim – Dynamische Anpassung regionaler Planungs- und Entwicklungsprozesse an die
Auswirkungen des Klimawandels am Beispiel der Emscher-Lippe-Region (Nördliches Ruhrgebiet) des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF), Berlin: 2012, S. 38
[23] Kuttler, W., Miethke, A., Dütemeyer, D., Barlag, A.-B.: Das Klima von Essen. Hohenwarsleben: Westarp Wissenschaften,
2015, S. 250
www.vdi.de
40
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
[24] Melkonyan, A., Wagner, P.: Ozone and its projection in regard to Climate Change. Atmospheric Environment 67, 2013,
S. 287–295
[25] Menberg, K., Bayer, P., Zosseder, K., Rumohr, S., Blum, P.: Subsurface urban heat island in German cities. Science of the
Total Environment 442, 2013, S. 123–133
[26] Müller, N., Kuttler, W., Barlag, A.-B.: Counteracting urban climate change: adaptation measures and their effect on thermal
comfort. Theoretical Applied Climatology, 2013
[27] Schär, C., Jendritzky, G.: Hot news from summer 2003 – The European heatwave 2003. Nature 432, 2004, S. 559–560
[28] Uhl, W., Schaule, G., Gimbel, R.: Preventing bacterial regrowth in old distribution systems without disinfection. Water
Supply 2(3), 2002, S. 259–266
[29] Wagner, P. (2014): Analyse von biogenem und anthropogenem Isopren und seiner Bedeutung als Ozonvorläufersubstanz in
der Stadtatmosphäre.- Essener Ökologische Schriften, Band 34, Westarp-Wissenschaften, Hohenwarsleben; S. 122
[30] Wagner, P., Kuttler, W.: Biogenic and anthropogenic isoprene in the near-surface urban atmosphere – A case-study in Essen, Germany. Science of the Total Environment 475, 2014, S. 104–115
[31] Zhu, K., Blum, P., Ferguson, G., Balke, K.D., Bayer, P.: The geothermal potential of urban heat islands. Environ Res Lett 5,
2010, S. 1–6
[32] Ziska, L.H., Gebhard, D.E., Frenzu, D.A., Faulkner, S., Singer, B., Straka, J.G.: Cities as harbingers of climate change:
common ragweed, urbanization and public health. Journal of Allergy and Clinical Immunology 111, 2003, S. 290–295
[33] Bauen und Wohnen – ressourcenschonend und energieeffizient. DBU und VDI-ZRE (Hrsg.), Osnabrück: 2013
[34] Strukturdaten zur Produktion und Beschäftigung im Baugewerbe; http://www.bmvi.de/cae/servlet/contentblob/
104830/publicationFile/71078/diw_bauvolumensbericht_2012_zwischenbericht.pdf (abgerufen am 22.06.2015)
[35] Energiedaten Deutschland, http://bmwi.de/DE/Themen/Energie/Energiedaten-und-analysen/energiedaten.html (abgerufen
am 22.06.2015)
[36] Strommarkt Deutschland, http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/Strommarkt-der-Zukunft/strommarkt-2-0.html (abgerufen am 22.06.2015)
[37] Strommarkt Deutschland – Systemintegration, http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/Strommarkt-derZukunft/systemintegration.html, (abgerufen am 22.06.2015)
[38] Sanierungsrate Gebäudebestand, http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/Gebaeude/plattform-gebaeude.html (abgerufen
am 22.06.2015)
[39] UN Millennium Project 2005, http://www.unmillenniumproject.org/reports/fullreport.htm, (abgerufen am 22.06.2015)
[40] Megacities und ihre Herausforderunge, http://www.verantwortungzukunft.de/themenbereiche/
megacities?page=2, (abgerufen am 22.06.2015)
[41] United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division, World Population Prospects, the 2012,
Highlights and Advance Tables Revision, New York: 2013
[42] WWF, Global Footprint Network, ZSL Living Conservation, 2012, Living planet report 2012: biodiversity, biocapacity and
better choices, Gland: WWF International
[43] VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik: Studie Produktion und Logistik in Deutschland 2025: Trends, Tendenzen,
Schlussfolgerungen. Düsseldorf: VDI e.V., 2012
[44] Spath, D., Lentes, J.: Urban production to advance the competitiveness of industrial enterprises, 22nd International Conference on Production Research, 2013
[45] Abfall in Deutschland: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/zdw/2014/
PD14_027_p002pdf.pdf?__blob=publicationFile, (abgerufen am 22.06.2015)
[46] Abfallintensität in Deutschland: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Umwelt/
UmweltstatistischeErhebungen/Abfallwirtschaft/Tabellen/Abfallintensitaet.html, (abgerufen am 22.06.2015)
[47] Recyclingquoten in Deutschland: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/197703/umfrage/recyclingquoten-derhauptstroeme-von-abfaellen/, (abgerufen am 22.06.2015)
[48] Living Planet Report 2014: http://www.wwf.de/living-planet-report/, (abgerufen am 22.06.2015)
www.vdi.de
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
41
[49] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Deutsches Ressourceneffizienzprogramm
(ProgRess), 2012, S. 73
[50] Schulze-Darup, B. (Hrsg.): Energetische Gebäudesanierung mit dem Faktor 10, Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBUProjekt AZ 19208), S. 5
www.vdi.de
42
VDI-Initiative Stadt:Denken – Handlungsfelder
Der VDI
Sprecher, Gestalter, Netzwerker
Ingenieure brauchen eine starke Vereinigung, die sie bei ihrer Arbeit unterstützt, fördert und vertritt. Diese Aufgabe
übernimmt der VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. Seit über 150 Jahren steht er Ingenieurinnen und Ingenieuren
zuverlässig zur Seite. Mehr als 12.000 ehrenamtliche Experten bearbeiten jedes Jahr neueste Erkenntnisse zur
Förderung unseres Technikstandorts. Das überzeugt: Mit etwa 154.000 Mitgliedern ist der VDI die größte Ingenieurvereinigung Deutschlands. Als drittgrößter technischer Regelsetzer ist er Partner für die deutsche Wirtschaft und
Wissenschaft.
www.vdi.de
Verein Deutscher Ingenieure e.V.
Christof Kerkhoff
Technik und Wissenschaft
Tel. +49 211 6214-645
kerkhoff@vdi.de
www.vdi.de