Rundbrief Stadtteilarbeit
Verbundene Vielfalt
Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
Rundbrief 1–2020
ISSN 2510-5132
54. Jahrgang, Heft Nr. 1
April 2020
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Position beziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Tradition und Geschichte der Nachbarschaftsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Vom Verband deutscher Nachbarschaftsheime zum Verband für sozial-kulturelle Arbeit . . . . . . . . 12
Lebenswelt „Nachbarschaft“ als lokales Potenzial städtischer Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Die Bedeutung einer Orientierung am Gemeinwesen für die Potentiale von
Nachbarschaftshäusern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Haltungen in der Gemeinwesenarbeit entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Methoden in der Gemeinwesen - und Nachbarschaftsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Berichte und Erfahrungen aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Praxisbeispiele zum Arbeitsfeld Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Praxisbeispiele zum Arbeitsfeld Partizipation und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Praxisbeispiele zum Arbeitsfeld Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Praxisbeispiele zum Arbeitsfeld Begegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Praxisbeispiel zum Arbeitsfeld Nachbarschaftshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Neues aus Verband und Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Vorstellung neuer Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Wir gratulieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Rundbrief Stadtteilarbeit 1-2020
VERBUNDENE VIELFALT // INNOVATION UND TRADITION IN DER NACHBARSCHAFTSARBEIT
POSITIONEN, EINDRÜCKE UND BERICHTE AUS FORSCHUNG UND PRAXIS
ISSN 2510-5132
54. Jahrgang, Heft Nr. 1
April 2020
VskA // Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.
Fachverband der Nachbarschaftshäuser
2
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
1
Vorwort
Mich fasziniert immer wieder wie groß die Kontinuitäten der Nachbarschaftsarbeit sind und das
damit nicht etwa Stillstand sondern stetige Innovation einhergeht. Die Methoden, Kompetenzen
und Haltungen der Mitarbeiter*innen tragen über
die Jahrzehnte hinweg dazu bei, Lebensbedingungen so zu gestalten, dass Menschen entsprechend
ihrer Bedürfnisse im Stadtteil zufrieden(er) leben
können.
Daher werden in diesem Rundbrief Stadtteilarbeit
Menschen vorgestellt, die mit ihren Ideen und
Tätigkeiten für die Nachbarschaftsarbeit ihrer Zeit
typisch waren. Sie werden als Einzelne vorgestellt,
doch haben sie nie alleine gewirkt, waren sie immer
mit anderen gemeinsam aktiv. Eine Leerstelle hat
das historische Gedächtnis der Nachbarschaftsarbeit jedoch noch. Die professionellen Nachbarschaftsaktivitäten und Ansätzen von Gemeinwesenarbeit zu Zeiten der DDR fehlen.
Seit mehr als 150 Jahren fördert Nachbarschaftsarbeit weltweit Begegnung, Gemeinschaft und
Selbsthilfe vor Ort. Schon die Pionierinnen und
Pioniere dieser Form zu arbeiten wollten Demokratie, Toleranz und Vielfalt stärken, Partizipation
und bürgerschaftliches Engagement fördern. Der
Ansatz milieu- und generationenübergreifend
zu arbeiten, hat es damals und heute ermöglicht
Themen aufzugreifen und Aktivitäten zu organisieren, die gleichzeitig nachhaltig und innovativ sind.
Das zeigen auch die hier zusammen getragenen
Praxiseinblicke in die großen Handlungsfelder. Die
Einblicke können natürlich nicht abschließend und
vollständig sein, beschreiben aber die aktuellen
Schwerpunkte.
die ganz besonders unter den Einschränkungen leiden: Alte und kranke Menschen, alleinstehende und
einsame oder psychisch kranke Menschen, Menschen mit Handicap, Frauen und Kinder in prekären
Wohnsituationen.
Der Bedarf zu reden und zu zuhören ist groß, die
Bereitschaft zu Helfen ebenso. Spannend bleibt
wie diese herausfordernde Zeit Nachbarschaften
und unsere Arbeit verändern wird. Aber Nachbarschaftshäuser werden wie in der Vergangenheit
auch weiterhin Nachbar*innen Möglichkeiten für
Mitwirkung und Gestaltung, für das Engagement in
überschaubaren Räumen bieten und damit einen
wichtigen Beitrag zur demokratischen Entwicklung
und einer solidarischen, vielfältigen Gemeinschaft
leisten.
Herzliche Grüße und bleibt gesund!
H Barbara Rehbehn
Geschäftsführerin des VskA // Fachverband der
Nachbarschaftsarbeit
Der Rundbrief Stadtteilarbeit erscheint in einer
Zeit, in der alle Nachbarschaftshäuser für die Nachbar*innen geschlossen sind. Die gebotenen Abstandsregeln und Kontaktverbote, die die Ausbreitung des Corona Virus verlangsamen, verhindern
das vor Ort in den Häusern Angebote und Aktivitäten, Begegnung und Austausch stattfindet.
Manfred Zimmermann
Titelbild: Theaterprojekt Alt trifft Jung
Und wieder zeigt Nachbarschaftsarbeit ihre
Wandlungs- und Innovationsfähigkeit. Angebote
der Nachbarschaftshäuser werden in den digitalen
Raum verlegt, die Kontakte mit freiwilligen Mitarbeiter*innen, Teilnehmer*innen und Besucher*innen brechen nicht ab, sondern finden neue Formen
– sei es digital oder am Telefon, über den Gartenzaun, per Post oder mit Kreativtüten und –boxen,
die verteilt werden. Engagement in der Nachbarschaft wird koordiniert und Beratungen mit dem
gebotenen Abstand weiter angeboten. Dabei gilt
das Augenmerk auch und vor allem den Menschen,
2
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
ist pensionierter Lehrer in der Erwachsenenbildung. Seit seiner Jugend fotografiert und schreibt er. Insbesondere hat er in den letzten Jahren mehrere Broschüren mit Porträts (Fotos und Interviewtexte) von
Wohnungslosen, Menschen mit Beeinträchtigungen und Besucher*innen von Nachbarschaftseinrichtungen gemacht.
2019/20 hat er Eindrücke eines Theaterprojektes in fünf Berliner Stadtteilzentren mit Fotos und Interviews festgehalten.
Die hier veröffentlichten Fotos stammen aus unterschiedlichen Projekten der Nachbarschaftsarbeit.
3
Position beziehen
Tradition und Geschichte der
Nachbarschaftsarbeit
STREIFLICHTER AUS IHRER VORGESCHICH–
TE BIS ZUR GRÜNDUNG DER NACHBAR–
SCHAFTSHEIME NACH DEM II. WELTKRIEG,
GEKÜRZTE VERSION EINES VORTRAGES ZUR
JAHRESTAGUNG 2018 IN KÖLN1
Es wird ein Bogen gespannt werden aus der Frühphase unserer Vorgeschichte in den 80er Jahren
des 19. Jahrhunderts bis in die engere Vorgeschichte und Gründung der Nachbarschaftsheime in den
ersten Jahren nach dem II. Weltkrieg.
Meine Ausführungen zu den Anfängen bauen auf
der Darstellung des Wirkens von Stanton Coit auf.
Zur Gründung der Nachbarschaftsheime nach dem
II. Weltkrieg zitiere ich ein Papier, nach dem wir alle
seit Jahren mit hoher Intensität und wachsender
Verzweiflung gesucht haben. Es ist das häufig erwähnte und doch im Wortlaut unbekannte Memorandum von Hertha Kraus aus dem Jahr 1943, das
allgemein als Gründungsdokument der Nachbarschaftsheime nach 1945 gilt.
Zwischen diesen beiden Polen, an denen es neue
Entdeckungen gibt, wird es in meinem Beitrag auch
um das gehen, was sich in den Zwischenzeiten in
Deutschland in Bezug auf die Nachbarschaftsarbeit
abgespielt hat. Mehr werde ich dann aber auch
nicht machen, 1947 ist Schluss.
wander*innen im neuen Land konfrontiert waren.
Dazu gehörten vor allem fehlende Sprachkenntnisse und unzureichende berufliche Qualifikationen.
Die Nachbarschaftshäuser haben die Vision von
Amerika in etwas übersetzt, das für die Neuankömmlinge greifbar war.
Stanton Coits Motivation, ein Nachbarschaftshaus
in New York zu gründen, entspricht einem typischen Muster, das bei fast allen entschiedenen Aktivisten der ersten Gründergenerationen zwischen
1884 und dem 1. Weltkrieg zu finden ist:
Es handelt sich um Menschen mit einem christlichen Hintergrund, die außerhalb der etablierten
Amtskirche nach Möglichkeiten für ein engagiertes
soziales Wirken in der gegenwärtigen Welt suchten. Es sind ausnahmslos Menschen aus wohlhabenden Familien, die angesichts der wahrgenommenen sozialen Ungerechtigkeiten Wege finden
wollten, die gesellschaftliche Spaltung zu überbrücken ohne dass es zu revolutionären Gewaltausbrüchen kommt.
Stanton Coit, geboren 1857, studierte an einer
renommierten Privatuniversität, dem Amhurst-College (in Massachusetts) bis 1879 Theologie. Schon
während seines Studiums beschäftigte er sich mit
der Frage, ob sich moralische Leitlinien auch ohne
Transatlantischer Ideentransfer und die Gründung
des ersten Amerikanischen Settlements
Stanton Coit – ein später Pionier
Settlements (Nachbarschaftshäuser) in New York
haben als gute Nachbarn gehandelt und neue
Lebenschancen geboten. Stanton Coit hat 1886
Amerikas erstes Nachbarschaftshaus in der Lower
Eastside von New York ins Leben gerufen, das (noch
heute bestehende) University Settlement. Danach
wurden weitere Nachbarschaftshäuser gegründet,
um den hunderttausenden Einwanderern zu helfen.
Die Mitarbeiter*innen des Settlements haben sich
mit den Problemen beschäftigt, mit denen die Ein-
Mutter Eva R. und Tochter Daniela
(Besucherinnen der inklusiven Lernwerkstatt Familienküche)
HERBERT SCHERER
dogmatisch-religiösen Bezug zu einem konventionell verstandenen höheren Wesen (im Sinne
eines persönlichen Gottes) verbindlich formulieren
lassen. Nach Abschluss des Studiums ließ ihn diese
Frage nicht los. 1881 hörte er in New York einen
Vortrag von Felix Adler, der dort eine „Ethische
Gesellschaft“ gegründet hatte, die sich etwas Ähnliches vorgenommen hatte.
Stanton Coit war von dem Vortrag so begeistert,
dass er für Felix Adler und die Ethische Gesellschaft
als Sonntagsredner tätig wurde und dort Kinder in
die Grundlagen der Ethik einführte. Felix Adler sah
die Möglichkeit, diesen hoch engagierten jungen
Mann zu einer führenden Kraft in seiner Organisation aufzubauen. Dafür erwartete er aber eine
vertiefte wissenschaftliche Ausbildung, wie sie seiner Meinung nach nur durch das Studium an einer
europäischen Universität zu erlangen sei. Das führte den Amerikaner Stanton Coit 1883 nach Berlin,
dort studierte er Philosophie an der Friedrich-Wilhelm-Universität (der heutigen Humboldt-Universität). Das Studium beendete er zwei Jahre später
mit einer in Deutsch verfassten Doktorarbeit unter
dem Titel „Die innere Sanktion als Endzweck des
moralischen Handelns“. Er entwickelte dort, wie er
meinte, allgemein verbindliche ethnische Handlungsmaximen:
Gemüthsrichtung dieselbe befördern würde. […]
Wenn die innere Sanktion zum Endzweck des
Lebens gemacht wird, so wird die höchste Regel des
Rechten diese sein: Lass den Endzweck im Leben
deinen eigenen Seelenfrieden sein, indem du thust,
was nach deiner besten Ueberzeugung zur allgemeinen Glückseligkeit führt. […] Das sociale Ideal
muss ein Zustand sein, in welchem jeder Mensch
sich seinen eigenen Gewissensfrieden zum höchsten Lebensziele setzt.“2
Mit einer Standardformel entwickelt Coit den kategorischen Imperativ gewissermaßen weiter: Richtig
ist, was in einer konkreten Situation mehr Glück
bringt als jede andere Handlungsalternative.
Nach dem Abschluss seines Studiums in Deutschland machte sich Stanton Coit auf die Rückreise in
die USA. Ein dreimonatiger Zwischenstopp in London, den er im weltweit ersten Settlement Toynbee
Hall verbrachte, motivierte ihn dazu, ein ähnliches,
aber in mancher Hinsicht auch anders konzipiertes
Vorhaben in Amerika zu starten. Bei aller Bewunderung für Toynbee Hall sieht er einiges durchaus
kritisch:
„Es gibt Gründe, in Frage zu stellen, ob selbst Toynbee Hall trotz aller guten Arbeit, die dort geleistet
wird, als dauerhafte Kraft auf Seiten von Kultur und
Jahrestagung auf www.vska.de veröffentlicht.
Stanton Coit
„Die alleinige moralische Rechtfertigung einer
Handlung oder Willensrichtung besteht in ihrer
Tendenz, die Summe der universellen Glückseligkeit unter den gegebenen Umständen mehr zu
befördern, als irgend eine andere Handlung oder
4
Tradition und Geschichte der Nachbarschaftsarbeit
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
1
Der vollständige Vortrag ist in der Dokumentation der
2
Stanton Coit „Die innere Sanktion als Endzweck des mora-
lischen Handelns. Inaugural Dissertation zur Erlangung der
Doktorwürde von der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin, 1885
5
Charakter Bestand hat, wenn es ihr nicht gelingt,
ihre tausend zersplitterten und weitreichenden
Ambitionen zu vereinheitlichen und sie dadurch
zu demokratisieren, dass sie ihre eigene unmittelbare Nachbarschaft als ihr Arbeitsfeld annimmt.
Die Menschen in der Toynbee Hall wollen weder
Methode noch System haben, sondern einfach
die Chance wahren, bei allem, was gerade auf sie
zukommt, etwas Gutes zu tun – und dabei die Lebensbedingungen und Einstellungen der Menschen
kennenzulernen.“3
und Kinder, die zusammen in einer Straße oder
einer Reihe von Straßen wohnen, in einer Reihe
von Klubs organisiert werden sollen, die entweder
selbst oder gemeinsam mit den Klubs aus anderen
Nachbarschaften all die Reformen auf häuslichem,
wirtschaftlichen oder Bildungsgebiet ausführen
oder veranlassen, die das soziale Ideal fordert –
das ist so etwas wie die Erweiterung der Idee von
Kooperation, wie sie die Familie kennzeichnet. […]
lasst die Gesamtheit des Lebens eines Menschen
von einer Organisation behüten, die so breit angelegt ist wie das Leben selbst.4
Walter Classen – der liberale Reformer
Ein kühnes Vorhaben mit gesamtgesellschaftlicher
Perspektive, Sozialreform von unten durch umfassende Organisation der Bürger*innen in Nachbarschaftsvereinigungen – gleichzeitig wird deutlich,
für wie wichtig Aufklärung und Bildungsarbeit als
Aufgabe dieser Organisationen gehalten wird.
Anschließend kam er nach Deutschland zurück und
schrieb ein Buch mit dem Titel „Soziales Rittertum
in England“6, in dem sich begeistert zu den Ideen
von Toynbee-Hall bekannte. Ihn hatten insbesondere der „Geist wahren Christentums“ und die
vornehme und ehrbare Haltung derjenigen Angehörigen der Oberklasse beeindruckt, die bereit
waren, „ihr Bestes mit den Armen zu teilen“ - eine
Formulierung von Samuel Barnett, dem Gründer
des Toynbee-Hall Settlements.
Stanton Coit formuliert weiterhin
Handlungsansätze:
Toynbee-Hall-London
Stanton Coit beginnt sehr pragmatisch. Er zieht
selbst in die Lower Eastside von Manhattan, den
Teil New Yorks, wo es die meisten sozialen Probleme gibt. An der Tür seines Wohnhauses bringt
er ein Türschild mit der Aufschrift „Neighborhood
Guild“ an und beginnt seinen systematischen Organisationaufbau damit, dass er Jugendliche aus der
Nachbarschaft zu Partys und Ausflügen in die nähere Umgebung einlädt. Die Rechnung geht auf, und
so werden diese ersten Anfänge der Grundstein
zum Aufbau einer Nachbarschaftsorganisation,
die für ihn exemplarisch für die Machbarkeit einer
Vision steht, die er wenig später in seiner Schrift
Nachbarschafts-Gilden als gesamtgesellschaftlichen Entwurf präsentiert.
„Wie auch immer die fundamentalen Veränderungen aussehen werden, […] muss es eine dem
vorausgehende Aufklärung der breiten Massen
zu ökonomischen Fragen und sozialen Prinzipien
geben. [...] Der erste Schritt in der Sozialreform
muss, wenn meine Psychologie stimmt, die bewusste Organisation des intellektuellen und moralischen
Lebens der Menschen sein. […] Allein schon der
Name Nachbarschaftsvereinigung legt nahe, um
welche fundamentale Idee es hierbei geht: vor
allem, dass unabhängig von religiösem Glauben
oder Unglauben alle Menschen, Männer, Frauen
„An welche Klasse richtet sich die Nachbarschaftsgilde? Es muss klar geworden sein, dass ihre Natur
keine Gesellschaftsklasse ausschließt, von der
Aristokratie bis zum niedrigsten Bodensatz der
Slums. Alles hängt davon ab, wie die Nachbarschaft
beschaffen ist.
Ich habe oft davon gesprochen, dass man mit den
besten Leuten aus der Nachbarschaft starten und
über diese die schlechtesten erreichen soll. Beginne mit den besten und die schlechtesten werden
stolz sein, sich beteiligen zu dürfen; starte mit den
schlechtesten und du wirst es nie schaffen, die
anderen zu erreichen.
Walter Classen aus Hamburg war ein junger Theologe, der von dem reichen und politisch aktiven
Gummiwaren-Fabrikanten Heinrich Traun unterstützt wurde. Dieser ermöglichte es ihm, nach
Abschluss seines Studiums 1899 in der Welt herumzufahren, um zu entscheiden welche berufliche
Perspektive außerhalb eines Pfarramtes es für ihn
geben könnte. Auf dieser Reise kam Classen auch
nach London, wo er für ein halbes Jahr in Toynbee
Hall wohnte.
In Hamburg versuchte Classen, wenig erfolgreich,
Mitstreiter*innen für seine Idee zu finden und
nach englischem Beispiel das erste Settlement auf
deutschem Boden zu gründen. Seine Reaktion darauf war recht pragmatisch: Er änderte einfach das
Konzept. Anstelle eines originalgetreuen Settlements (im Sinne von Ansiedlung) sollte es jetzt nur
noch ein „Volksheim“ in einem Arbeiterviertel sein.
Dieses Zentrum sollte ein Ort der Erholung und
Bildung sein - mit einem besonderen Schwerpunkt
Unterschiedliche Ansätze bei der Übertragung des
Toynbee-Hall-Vorbildes nach Deutschland
Walter Classen
Social Reform, 1891
5
Eben da
6
Tradition und Geschichte der Nachbarschaftsarbeit
3
Stanton Coit: Neigbourhood Guilds. An Instrument of
„Das Volksheim will sozial-getrennte Schichten,
insbesondere Gebildete und Arbeiter, gesellig verbinden und dadurch zur Annäherung der Lebensanschauungen beitragen. Der Zweck der Gesellschaft ist die Beschaffung von Versammlungs- und
Unterhaltungsräumen mit einzelnen anhängenden Wohngelassen inmitten der Arbeiterviertel
Hamburgs (Niederlassungen), um zur Herstellung
persönlicher Beziehungen und gegenseitigen
Vertrauens Reich und Arm zusammenzuführen
und dadurch den Gebildeten und Wohlhabenden
Gelegenheit zu geben, das Arbeiterleben und seine
Bedürfnisse durch eigene Anschauung kennen zu
lernen und zur Verbesserung beider beizutragen.“7
Schon die gönnerhaften Töne in der Satzung, aber
auch das, was Classen über Ort und Arbeitsinhalte
des Volksheims berichtet, zeigen, dass es sich hier
um eine vergleichsweise zahme Unternehmung
handelte.
Nach einigen Jahren hauptamtlicher Tätigkeit
im Volksheim musste Classen sich nach anderen
Erwerbsmöglichkeiten umsehen, da das Volksheim
nach dem Krieg und dem Rückzug einiger Geldgeber in finanzielle Schwierigkeiten gekommen war.
Die Organisation Volksheim überlebte die NaziZeit, indem sie sich weit von den Ideen entfernte,
die einmal zu ihrer Gründung geführt hatten:
Fragen der Sozialreform wurden gänzlich von der
Tagesordnung gestrichen. Die Organisation konzentrierte sich ganz auf kulturelle Aktivitäten, die
nicht im Konflikt mit dem Regime standen. So waren es erst die Bombenteppiche des II. Weltkrieges,
die zur Zerstörung der Besitztümer des Volksheims
führten.
Der „Urknall“ dieser Bewegung (Toynbee Hall in
London) hat als unmittelbarer Ideengeber Pate
gestanden bei der Gründung der ersten amerikanischen Settlements (neben Toynbee Hall auch dem
Hull House in Chicago) und bei der voneinander
ansonsten unabhängigen Gründung zweier deutscher Einrichtungen, die jeweils wieder Vorbilder
für weitere Einrichtungen werden sollten.
Eben da
Walter Classen gehörte politisch zu einem reformorientierten Liberalismus. Das bedeutete, dass er
für soziale Reformen eintrat, aber gleichzeitig sehr
darum bemüht war, radikale Brüche zu vermeiden
und die gesellschaftlichen Besitzverhältnisse nicht
in Frage zu stellen.
Er übernahm Lehraufträge an der Universität, wo er
in der Ausbildung angehender Religionslehrer*innen tätig war. 1927 wurde er daher zum Ehrendoktor ernannt, 1931 wurde ihm darüber hinaus
der Professorentitel verliehen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er vorzeitig
pensioniert.
Jede Nachbarschaftsgilde ist wichtig für mich und
sei sie noch so klein. Sie ist für mich nicht ein Tropfen im Ozean sondern ein Samen im Boden, der,
wenn es gut läuft, zu seiner Zeit ganze Landstriche
mit einem grünen Kleid überzieht.“5
4
in der Arbeit mit Kindern (Kindertagesbetreuung,
Klubs, Ferienreisen etc.).
6
Nach dem Krieg fanden sich einige alte Freunde
und Mitglieder des Volksheims zusammen, um sei-
Walter Classen, Soziales Rittertum in England. Ein Reise-
bericht, 1900
7
Aus der Satzung des Hamburger Volksheims, 1901
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
7
Harald B. (Mitglied des Obdachlosentheaters im Brückeladen,
hier auf einem Fest des Bundespräsidenten)
mund-Schultze wurde, außerdem war er Chefredakteur der Zeitung des Weltbundes.8 Das ermöglichte Siegmund-Schultze ein freies Engagement für
die Soziale Arbeitsgemeinschaft (SAG), von der er
wirtschaftlich nicht abhängig war.
ne Aktivitäten neu zu starten. Der Schwerpunkt des
Volksheims blieb die Kulturarbeit. Das fand seinen
Ausdruck darin, dass die Organisation ihren Namen
in „Kulturelle Vereinigung Volksheim“ änderte.
Sie existiert noch heute - in der Selbstdarstellung
vor allem als Träger des „Theaters in der Marschnerstraße“, eines sehr aktiven Amateurtheaters.
Neben dem Theater betreibt der Verein noch zwei
Kindertagesstätten und eine Ferieneinrichtung
außerhalb der Stadt.
Friedrich Siegmund-Schultze – der Versöhner
Auch Friedrich Siegmund-Schultze war Theologe.
Er hatte im Jahre 1908 gerade sein Studium beendet und begonnen, als Vikar zu arbeiten, als er die
Chance zur Teilnahme an einer Studienreise nach
England bekam. Dabei kam auch er in Kontakt mit
Toynbee Hall. Er war tief beeindruckt von dem, was
er bei seinem kurzen Besuch sah - vor allem, weil er
eine Menge Ähnlichkeiten zwischen der Situation
der armen Menschen in Ost-London und in Berlin
sah. Insbesondere spürte er die gleiche Abwehr der
Menschen gegen jede Art von Bevormundung. Er
war überzeugt davon, dass die „Settler“ (= die Siedler = diejenigen, die ihren Wohnsitz in den Arbeiterbezirk verlegt hatten) die richtige Konsequenz
aus dieser Erfahrung gezogen hatten, nämlich als
Nachbar*innen auf gleicher Augenhöhe mit denen
zu leben, die unter den Verhältnissen litten.
8
In den nächsten drei Jahren reifte in Siegmund-Schultze die Idee, ein deutsches Settlement
nach dem Vorbild von Toynbee Hall ins Leben zu rufen. Das war ein radikaler Bruch mit seinem bisherigen Karriereweg, war er doch schon als Prediger an
der Friedenskirche in Potsdam tätig gewesen, die
auch der Kaiserfamilie als Gotteshaus diente.
Er warb vor allem unter Studenten für die Idee
eines deutschen Settlements und war dabei überzeugend und charismatisch genug, um ausreichend
Freiwillige zu finden. Gemeinsam mit seiner Frau,
seiner Schwester und einigen Theologiestudenten
zog er 1911 in das Arbeiterviertel Friedrichshain im
Berliner Osten.
„Das erste Ziel, das ich mir stellte, als ich mit meiner
Familie und einigen Freunden ins Arbeiterviertel
von Berlin-Ost zog, war: die Wirklichkeit kennen zu
lernen. Die Wahrheit überwindet alles – mit diesem
Willen gingen wir zu den Menschen der anderen
Klassen.“ (1922)
Die konkrete Arbeit hatte viele Ähnlichkeiten mit
der des Volksheims in Hamburg und mit der von
Toynbee Hall in London: Bildungsveranstaltungen
und -kurse, Klubs vor allem für Kinder und Jugendliche, kulturelle und Freizeit-Aktivitäten, Foren für
Debatten - politische Debatten nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil besonders gewünscht,
inklusive der Einladung an Vertreter*innen der
Sozialdemokratie und später – in der Weimarer
Republik – der Kommunisten.
Das angebotene Programm war für die Aktiven der
SAG aber nicht der eigentliche Zweck der Arbeit,
sondern eine Methode, durch die der persönliche
Kontakt der SAG mit den Nachbar*innen ermöglicht werden sollte.
Von der Begegnung auf Augenhöhe zwischen den
Akademiker*innen und ihren neuen Nachbar*innen
versprach man sich Impulse für die als notwendig
empfundenen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen.
Friedrich Siegmund-Schultze blieb der Leiter der
Organisation bis 1933, gleichzeitig blieb er aktiv in
der Friedensarbeit und der ökumenischen Bewegung. Kurz nach der Machtübernahme durch die
Nationalsozialisten, wurde Siegmund-Schultze
1933 verhaftet und ins Exil in die Schweiz gezwungen. Die Außenstellen der Organisation in den
anderen deutschen Städten stellten ihre Tätigkeit
ein, die SAG Berlin-Ost wurde 1940 verboten.
Friedrich Siegmund-Schultze kam nach dem II.
Weltkrieg nach Deutschland zurück und nahm
großen Einfluss auf die Entwicklung der professionellen Sozialarbeit im Westen Deutschlands,
insbesondere durch die Gründung einer Sozialarbeitsakademie in Dortmund, die später in die
Universität integriert wurde.
Auch wenn sich Siegmund-Schultze an den Nachbarschaftsheim- Neugründungen nach dem II.
Weltkrieg nicht beteiligt hat, wirkten die Ideen,
die ihn einmal zur Gründung der SAG veranlasst
hatten, weiter, da sie in die Ausbildungsinhalte des
neuen Berufsstandes der Sozialarbeit Einzug fanden. Sichtbar wird das u.a. in der Person von Dietmar Freier. Ein Schüler Siegmund-Schultzes, der in
„Als ich vor vier Jahren auf der Rückkehr von einer
Studienreise nach England einige Artikel über Settlementarbeit schrieb […], stand ich bereits unter
dem Eindruck jener Tatsache der Versöhnung der
Stände, doch hatte ich viel zu einseitig als Objekt
der Versöhnung nur die `niederen Zehnmillionen´aufgefasst, anstatt auch die `oberen Zehntausend´
als den anderen Teil der trägen, volkszerstörenden
Masse anzusehen.“
„In England hat während der letzten Jahrzehnte
eine Bewegung eingesetzt, die tatsächlich es fertiggebracht hat, dass die Kluft zwischen Gebildeten
und Arbeiterstand, die vor etwa fünf Jahrzehnten
in England zur Revolution zu führen schien, durch
die weitgehende Freundschaft zwischen Reich und
Arm im Großen und Kleinen überbrückt worden
ist.“ (1912)
Die SAG war sehr einflussreich in Berlin, sie wuchs
schnell und wurde in immer mehr Aspekte der
Wohlfahrtsarbeit einbezogen. Ihre Ideen verbreiteten sich über ganz Deutschland, und in wenigen
Jahren gab es ähnliche Soziale Arbeitsgemeinschaften in vielen anderen Städten in Deutschland u.a. in
Bielefeld, Breslau, Frankfurt/Main, Görlitz, Halle,
Jena, Leipzig, Marburg, Stettin
Friedrich Siegmund-Schultze
den 80er und 90er Jahren fördernden Einfluss auf
die Entwicklung der Nachbarschaftsheimbewegung
nahm – als Senatsdirektor in der Berliner Sozialverwaltung und nach seiner Pensionierung als Vorstandsmitglied des Bundesverbandes und später
der Berliner Landesgruppe.
Hertha Kraus
Auch bei Hertha Kraus gibt es eine aus religiösen
Überzeugungen gespeiste Motivation, sich aktiv
für soziale Reformen einzusetzen. Sie stammte aus
einem jüdischen Elternhaus und fühlte sich 1918
durch das Beispiel der Quäker, ihre Glaubensüberzeugungen durch Handeln in der Welt zu leben,
so angesprochen, dass sie sich dieser Glaubensgemeinschaft anschloss. Nach ihrem Studium
wurde sie in Berlin Mitarbeiterin der Quäker und
beteiligte sich an deren Hilfe für die nach dem I.
Siegmund-Schultze war es wichtig, seine Arbeit im
Settlement unbezahlt und ehrenamtlich zu leisten.
Das wurde ihm durch eine großzügige Spende des
amerikanischen Industriellen Andrew Carnegie
ermöglicht. Die Spende galt allerdings nicht dem
Settlement sondern der Arbeit des Weltbundes
für Freundschaftsarbeit der Kirchen, der sich um
einen positiven Beitrag der Kirchen zur Bewahrung
des Friedens bemühte und dessen Sekretär Sieg-
cher Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland
Tradition und Geschichte der Nachbarschaftsarbeit
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
8
Die Eiche. Vierteljahresschrift zur Pflege freundschaftli-
9
Hertha Kraus
Weltkrieg notleidende Bevölkerung. In diesem
Zusammenhang begegnete sie auch Friedrich
Siegmund-Schultze und beschäftigte sich mit der
Settlement-Idee. 1923 holte sie der damalige
Oberbürgermeister Konrad Adenauer (als jüngste
Sozialdezernentin Deutschlands) nach Köln. Aber
nicht nur dadurch wurde Hertha Kraus landesweit
bekannt, sondern auch durch ihr beispielgebendes
Projekt einer Umwandlung ehemaliger Kasernen in ein ausgedehntes Wohnprojekt für ältere
Menschen mit und ohne Pflegebedarf sowie für
Menschen mit psychischen Problemen oder körperlichen Beeinträchtigungen. Es handelte sich um die
Riehler Heimstätten. Eine Besonderheit war dort
die Ergänzung des Wohnangebotes durch Gemeinschaftseinrichtungen, kleine Nachbarschaftszentren, weil Hertha Kraus davon überzeugt war, dass
sich soziale Unterstützung nicht auf fürsorgerische
Versorgung beschränken dürfe, sondern ebenfalls
Möglichkeiten zur positiven aktiven Lebensgestaltung zur Verfügung stellen sollte.
1933 ins amerikanische Exil gezwungen, widmete
sie sich dort an einer Privatuniversität der Quäker
der Ausbildung angehender Sozialarbeiter*innen.
Aber ihr war nicht gleichgültig, was in Europa und
besonders in Deutschland vor sich ging. Und so
schrieb sie 1943 den Text, den wir als Gründungsdokument der Nachbarschaftsheime sehen können,
die ab 1947 in Deutschland entstanden – das
Memorandum.9
nicht kannten. Es wurde erst 2018 wieder entdeckt
und im folgenden Jahr durch den Mittelhof e.V. veröffentlicht.10 Deswegen ist immer wieder einiges
darüber berichtet worden (auch von mir, auch von
Stephan Wagner), das einer genaueren Überprüfung, wie sie dankenswerter Weise heute möglich
ist, nicht mehr standhält.
nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Zusammenfassung der Diskussionen auf einer Konferenz der
Mitarbeiter*innen der AFSC-Abteilung für Auslandsdienste und Freunde (= Quäker) zur Nachkriegsplanung11
Die beiden folgenden (mehr oder weniger verbreiteten) Irrtümer müssen korrigiert werden:
Rechtzeitige umfassende Planung und
Gesamtkonzept:
Das Memorandum wurde nicht für die Amerikanische Regierung geschrieben sondern für die Hilfsorganisation der Quäker. Es hat deswegen auch
nicht den Charakter eines Appells an den Staat,
sondern ist vor allem ein Plan für selbst bestimmtes
Handeln aus eigener Kraft und auf Basis eigener
Prinzipien.
„So wie die Armee ihre Führungskräfte dadurch
vorbereitet, dass sie sie zu Führungsakademien
entsendet, sollten wir uns einem vergleichbaren
Training unterziehen, weil wir in Europa ein Problem im Auge haben, das genauso kompliziert ist wie
das, was die Armee zu bewältigen hat.“
Das Papier setzt sich (indirekt) sehr kritisch mit
dem während des Krieges entwickelten und in
der unmittelbaren Nachkriegszeit umgesetzten
Konzept von Re-Education im Sinne einer Art
„Umerziehung zu demokratischer Gesinnung“ auseinander. Daraus lässt sich die These ableiten, dass
die Gründung der Nachbarschaftsheime zumindest
kein integraler Bestandteil dieses Konzepts ist,
sondern andere Wege zur Demokratie-Entwicklung
im Sinn hat.
Das, was uns jetzt vorliegt, ist nicht der Originaltext des ersten Herta-Kraus Vorschlages, sondern
etwas eigentlich noch Wertvolleres: nämlich das
Protokoll eines internen Treffens, auf dem Hertha
Kraus ihre Ideen weiter ausführt und zur Diskussion stellt. Daraus lassen sich die Intentionen noch
genauer nachvollziehen.
Ich stelle einige Textausschnitte aus diesem Dokument weitgehend unkommentiert vor. Beim Lesen
seien die historischen Zusammenhänge bedacht.
Das Papier ist 1943 geschrieben worden, als die
deutschen Armeen noch auf dem Vormarsch waren.
Stalingrad war zwar schon geschehen, aber die Invasion in der Normandie sollte erst ein Jahr später
stattfinden. Schon zu diesem Zeitpunkt planen die
Quäker Hilfen für Europa nach dem Krieg.
Dies Memorandum ist immer wieder in Darstellungen der Geschichte der Nachbarschaftsheime
eingegangen, obwohl wir den genauen Wortlaut
9
Vertrauliches Memorandum
„Wir können nicht zwischen der Verteilung von
Hilfsgütern und dem Aufbau von Produktion und
Fähigkeiten wählen; wir müssen beides tun.“
Nachbarschaftszentren
„Dieses Projekt, vergleichbar mit der Idee der
Settlement-Häuser, besteht einfach daraus, vier bis
sechs Mitarbeiter*innen an einer Stelle in einer bestimmten Gegend zusammenzubringen, von denen
jede*r eine Dienstleistung anbieten kann, für die in
dieser Nachbarschaft Bedarf besteht. […] Sie leben
in einer Basisstation zusammen.“
„Das Zentrum könnte ein möglicher Ausgangspunkt für zusätzliche Dienste sein, z.B. für Kinder,
z.B. für die Unterstützung von Pflegefamilien.
Ebenso denkbar: Gesundheitsdienste, allgemeine
und Ernährungsberatung, Erholung für Kindergruppen. […] Abends könnte das Haus als soziales
Begegnungszentrum dienen, aber nicht mit einem
formalisierten Bildungsprogramm. Kein Re-Education- Programm kann wie eine Massenware künstlich übergestülpt werden, wenn es einen Effekt
haben soll. Es geht darum, einen neutralen Ort zu
schaffen, wo Menschen zusammenkommen und
sich über die Dinge aussprechen können.“
„Die Menschen, die Hilfe durch das Zentrum erfahren, müssen ebenfalls in dessen andere Aktivitäten
einbezogen werden. Das war die große Schwäche
eines Programms, das sich ausschließlich auf die
Nahrungsversorgung beschränkt hat oder darauf,
die nationalen Ressourcen durch Subventionen
zu stärken: es gab keine wirkliche Begegnung der
Gemüter.“
Memorandum. Internes Protokoll über eine Klausurta-
gung des AFSC (American Friends Service Committee), der
11 Confidential memorandum – not for circulation. This sum-
sozialen Hilfsorganisation der Amerikanischen Quäker. Im
marizes the discussions in a conference oft he Foreign Service
Amerikanische Helfer und die Rolle der
Einheimischen
„Jeder Anteil der Arbeit sollte unter der Leitung eines ausländischen Mitarbeiters sein, und sie sollten
von Menschen aus dem betreffenden Land selbst
unterstützt werden.“
„Wenn das Nachbarschaftsheim von Anfang an
über einen geeigneten Standort und Förderung verfügt hat, kann es schließlich vom lokalen Gemeinwesen übernommen werden.“
Die besondere Aufgabe der Quäker
„Wir können Freunde aller sein – und ich denke, wir
sind das auch. Wir besitzen die Freiheit, einige der
weniger populären Aufgaben zu übernehmen.“
„Es wird wahrscheinlich unpopuläre Gruppen
geben, die den Schutz durch eine Gruppe wie die
unsere brauchen, die sich nicht davor scheut, ihnen
diesen Schutz zu geben – Nazis aus den zivilen Verwaltungen, jüdische Gruppen (der Antisemitismus
wird wahrscheinlich nicht tot sein).“
„Schließlich werden die Menschen auch eine
geistige Rehabilitierung brauchen – und nicht viele
Organisationen sind dafür geeignet, sich darum
zu kümmern. Das kann also insbesondere eine
Aufgabe für unsere Gemeinschaft sein. Das schließt
das ein, was gemeinhin „Re-Education“ genannt
wird. Wir wollen nicht einfach die Parole um die
Ohren hauen: Vergiss den Nazismus, glaube an die
Demokratie.“
„Anfangs sind sie vielleicht feindliche gestimmte
Beobachter, dann aktivere Beobachter und schließlich aktive Teilnehmer, die etwas aufgenommen
haben, das sie für bedeutend genug halten, um es in
ihre eigenen Gruppen hineinzutragen und fortzusetzen. Der allererste Schritt ist es, ihnen eine
andere Erfahrung von Mitwirkung zu geben und sie
zu einer solidarischen Haltung zum Leben zu motivieren, angewandt auf umfassende und realistische
Bedürfnisse – so zum Beispiel: ihnen die Ausrüstung zu geben, Schulen wieder aufzubauen usw.“
Klug, vorsichtig, sensibel – ein nachvollziehbarer
erfolgversprechender Ansatz voller Empathie und
Fähigkeit zum Perspektivwechsel.
Kaum denkbar, dass wir ohne das, was diese Vordenker*innen auf die Beine gestellt haben, heute
hier so zusammengekommen wären. Deswegen
sollten wir ruhig manchmal an sie denken und ihnen
durch unsere eigenen Taten danken!
Mittelpunkt der Diskussion: ein Papier von Hertha Kraus zur
10 Anhang in: 70 Jahre Mittelhof. 1947 – 2017, herausgege-
Staff of AFSC with friends on post-war planning. Veröffent-
Planung der Nachkriegsaktivitäten in Europa, 4.-5- Juni 1943
ben vom Mittelhof e.V. 2019
licht unter www.vska.de
10
Tradition und Geschichte der Nachbarschaftsarbeit
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
11
MARITA DOCKTER
Vom Verband deutscher Nachbarschaftsheime
zum Verband für sozial-kulturelle Arbeit
• Grundgedanken für beide Organisationen waren Mitmenschliche Beziehungen ermöglichen
• Aufgaben angehen, für die in der Nachbarschaft
ein besonderes Bedürfnis besteht
• Menschen als einzelne ansprechen und ernst
nehmen
• Gelegenheit geben, sich in der Gemeinschaft
persönlich zu entfalten
Nach dem 2. Weltkrieg erfolgten viele Neugründungen oft durch das Engagement von amerikanischen Freiwilligen, die für Freikirchen wie die
Quäker tätig waren. Sie verstanden diese Tätigkeit als Beitrag des re-education Programms der
Militärregierung, als Beitrag für die Erziehung der
Deutschen zur Demokratie.
Die Arbeit der Mitgliedsorganisationen in der
Gründerzeit nach dem Krieg waren bestimmt von
der Not und Mühe, sich zu ernähren, sich zu kleiden
und Kriegsfolgeschäden zu beheben. Es gab viele
behinderte Kriegsversehrte. Die Nachbarschaftsheime haben sich dieser Personengruppen angenommen und von der Wärmestube bis zur Schusterwerkstatt Alltagshilfe geleistet.
Ehrenamtliche Arbeit und demokratische Organisationsstrukturen (auch wenn die Väter und Mütter
der Nachbarschaftsbewegung das nie so genannt
hätten) waren Merkmale der Arbeit und unterschieden die Nachbarschaftsheime fundamental
von anderen sozialen Einrichtungen.
Schon 1951 schlossen sich 16 Nachbarschaftsheime im Verband deutscher Nachbarschaftsheime
zusammen. Sie zeigten mit der Gründung eines
Verbands auch ihre Bereitschaft, nicht nur die Verantwortung für ihre Häuser, sondern auch für die
Nachbarschaftsbewegung zu übernehmen.
Ob es eine Diskussion um den Namen gab und
aus welchen Gründen er gewählt wurde, ist nicht
dokumentiert. Wahrscheinlich ist, dass den Gründungsmitgliedern aus der Tradition ihrer Häuser,
den Namen ihrer Häuser und geschichtlichen Vorbilder, aufgrund ihrer besonderen Arbeitsweise und
12
ihres gesamten “So-Seins“ diese Bezeichnung sehr
selbstverständlich war.
In den 50iger Jahren bekam die Arbeit in den einzelnen Nachbarschaftsheimen einen neuen Akzent:
von der Einzelfallhilfe zur Betonung der sozialen
Gruppe. Gruppenpädagogik wurde zum zentralen
Begriff und Grundverständnis der Arbeit, verknüpft
mit einer zunehmenden Professionalisierung der
sozialen Arbeit überhaupt. Die Prinzipien von social
group work - uns heute selbstverständlich – für die
Zeit nach dem Faschismus war es ein ungewohnter
und wichtiger Schritt in Richtung Demokratie.
Die bisher stark fürsorgerisch geprägte Arbeit und
die Gruppenarbeit ergänzten sich und gehörten
zusammen: Das Ziel war, die Besucher*innen der
Einrichtungen so einzubinden, dass Ansätze der
Selbsthilfe entstanden. Diese Veränderung wurde
vom Verband mitgetragen und durch Fortbildungen
unterstützt.
Daraus entstand verbandsintern immer wieder die
Frage nach den Aufgaben des Verbandes deutscher
Nachbarschaftsheime. Sollte er ausschließlich
Interessenvertretung sein oder auch inhaltlicher
Impulsgeber, Vordenker, Mitdenker?
Der Verband deutscher Nachbarschaftsheime
leistete in dieser Zeit mannigfaltige Unterstützung
für die Leitung der Heime:
Musterarbeitsverträge, Praktikantenverträge, Arbeitsplatzbeschreibungen wurden erarbeitet. Für
viele Jahre wurde eine Betreuerin für die Mitgliedsorganisationen eingestellt, die vor Ort tatkräftig
beriet.
Und der Verband wuchs, es gründeten sich neue
Einrichtungen, die als Stadtteilzentren, Bürgerhäuser oder unter anderen Namen Mitglied im Verband
wurden. Viele davon waren in Neubauvierteln der
expandierenden Städte entstanden, viele in sozial
schwierigen Gegenden. Ihre Tätigkeiten waren wieder andere als in der direkten Nachkriegszeit.
Die 60iger Jahre brachten einen gesellschaftlichen
Auf- und Umbruch, der auch im Verband schnell ankam. Den Protokollen von Mitgliederversammlungen und Vorstandssitzungen kann man einen erst
schleichenden, dann immer deutlicher werdenden
Paradigmenwechsel entnehmen:
Vom Verband deutscher Nachbarschaftsheime zum Verband für sozial-kulturelle Arbeit
Ingrid S. (Besucherin und ehrenamtliche Mitarbeiterin im
Nachbarschaftszentrum Hellersdorf)
1951 wurde der Verband Deutscher Nachbarschaftsheime e.V. in Köln gegründet. Er verstand
sich in der Nachfolge der Deutschen Vereinigung
der Nachbarschaftssiedlungen, die 1925 gegründet
und 1933 von den Nationalsozialisten aufgelöst
wurde.
Es war der Übergang von Hilfe und Besserstellung
des Individuums hin zu demokratischen und politischen Fragestellungen und Arbeitsansätzen.
Nach diesen Diskussionen war der Name Verband
Deutscher Nachbarschaftsheime nicht mehr haltbar, er stand nicht mehr für die mühsam erreichte
neue Ausrichtung und die neu definierten Aufgaben
der Einrichtungen.
Der Blick ging von der Zentrierung aus das Nachbarschaftsheim weg und richtete sich auf das soziale Gemeinwesen. Dieser Blickwechsel hatte Folgen
für das Rollenverständnis des Sozialarbeiters: weg
vom helfenden, betreuenden zum beratenden Gemeinwesenarbeiter.
1971 kam es dann zur Umbenennung. Der Vorstand
schlug damals der Mitgliederversammlung1 als
neuen Verbandsnamen vor: „Verband für Gemeinwesenarbeit und sozial-kulturelle Zentren“
Gemeinwesenarbeit war dann der neue Begriff
und die Methode, an dem sich die Mitglieder des
Verbands rieben und auch erbittert stritten. Es
gründete sich eine „Sektion Gemeinwesenarbeit“
die ab 1970 (und bis 1988) einen eigenen Publikationsteil im Rundbrief, dem Publikationsorgan des
Verbandes, erhielt.
Dieser Name konnte sich in der Mitgliederversammlung nicht durchsetzen, als Kompromiss wurde der heute noch gültige Name gewählt: Verband
für sozial-kulturelle Arbeit (VskA). Er wird bald 50
Jahre alt. Der Begriff der sozial-kulturellen Arbeit“
erfordert immer wieder Erläuterungen, Erklärungen oder auch Abgrenzungen.
Ein bedeutender Schritt für die Rolle und die Aufgaben des Verbands war die Satzungsänderung 1969,
bei der die Ziele des Verbandes um den Aspekt der
wissenschaftlichen Arbeit zur Praxisbegleitung
erweitert wurden.
Der Vorstand des VskA hat daher in 2018 eine
Begriffsbestimmung versucht: „Sozial-kulturelle
Arbeit bezeichnet den historisch gewachsenen
Arbeitsansatz von Nachbarschaftshäusern von den
Anfängen der Settlement-Bewegung bis heute.
Soziale Arbeit und Kulturarbeit werden dabei in
Nachbarschaftshäusern so miteinander verbunden, dass darüber möglichst viele Menschen im
Gemeinwesen angesprochen werden, mit dem Ziel,
Die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der Bundesrepublik kamen im Verband an
und führten zu umfassenden Auseinandersetzungen um die Ziele, Methoden und Arbeitsweisen der
Mitgliedseinrichtungen.
1
die am Do, 20.05.71 von 15.00 – 18.00 und am Sa, 22.05.,
13.00 – 18.00 tagte
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
13
SIMONE TAPPERT
Menschen verschiedener Milieus, Lebensstile und
Ressourcen miteinander in Kontakt und Austausch
zu bringen.“
Lebenswelt „Nachbarschaft“ als lokales
Potenzial städtischer Entwicklung
In den letzten 50 Jahren hat sich unsere Arbeit
in allen ihren Dimensionen massiv verändert und
zeigt doch immer wieder erstaunliche, bestärkende
Kontinuitäten.
H Marita Dockter war Geschäftsführerin des
Quäker Nachbarschaftsheim Norbert-Bürger-Bürgerzentrum in Köln bis zu ihrem Eintritt
in den Ruhestand 2016 und ist Mitglied im
Vorstand des VskA Bundesverbandes.
Jane Addams wurde am 06. September 1860 in
Cedarville, Illinois, geboren und gründete 1889
gemeinsam mit Ellen Gates Starr mit Hull House
das erste Settlement in Chicago, welches weltberühmt wurde. Dort lebte und arbeitete sie bis zu
ihrem Tod im Jahr 1935. Als erstes organisierte
sie Kulturveranstaltungen und hörte gleichzeitig
sehr genau auf die Bedarfe und Interesse in der
Nachbarschaft. Daher wurde als nächstes ein
Kindergarten gegründet und wurde Hull-House
schnell zu einem Ort, an dem Menschen mit und
ohne Migrationshintergrund zusammen tanzen,
musizierten, aßen, diskutiert und lernten.
Jane Addams schrieb: „Die eine Sache, die es zu
fürchten gilt, ist das ein Settlement seine Flexibilität
verliert, seine Fähigkeit sich schnell anzupassen, seine
Bereitschaft seine Methoden zu ändern wie es das
Umfeld verlangt. Es muss eine tiefen und unvergänglichen Sinn von Toleranz haben. Es muss gastfreundlich
und experimentierfreudig sein. Seine Bewohner sind
verpflichtet das ganze Leben einer Stadt als organisch
zu betrachten und sich anzustrengen es zu vereinigen
und gegen eine Über-Differenzierung zu protestieren.“
Jane Addams: Twenty years at Hull House, S. 126
zitiert nach Clement Richard Attlee: The Social
Worker, London 1920, S. 194,
Seit Mitte der 1990er Jahre gewinnt Nachbarschaft
als Interventionsebene und Planungsdimension in
der Stadtentwicklungspolitik wieder an Bedeutung.
Das geht oftmals mit idealtypischen Vorstellungen
über das Zusammenleben und lokaler Gemeinschaftlichkeit einher: über die Planung räumlicher
Nähe soll soziale Kohäsion gefördert werden. Gerade im Kontext des gesellschaftlichen Wandels und
einer zunehmenden Ausdifferenzierung erscheint
eine Fokussierung auf Nachbarschaften vielversprechend, denn die Reduktion auf territoriale und
sozialräumliche Ausschnitte suggeriert Berechenbarkeit und Planbarkeit. Entsprechend besteht eine
Vielzahl an Programmen und Konzepten zur Aktivierung nachbarschaftlicher Beziehungen und zur
Förderung lokaler Vergemeinschaftung. Dadurch
soll gesellschafts- und stadtpolitischen Herausforderungen entgegengewirkt werden.
Eine zentrale Rolle in dieser Dynamik kommt der
akteursorientierten und auf lokaler Ebene wirkenden Praxis zu – der Nachbarschaftsarbeit. Diese distanziert sich von bestehenden Idealvorstellungen,
lehnt eine kategorische Festschreibung dessen, was
„die“ Nachbarschaft ist, ab und stellt die Planbarund Steuerbarkeit von Nachbarschaften in Frage.
Von Interesse ist stattdessen, wie sich Menschen
in einem räumlichen Gefüge unter sich dynamisch
wechselnden Bedingungen begegnen, und wie das
Mit- und Nebeneinander am geteilten Wohnort
unterstützt werden kann1. Hier setzt die Studie
„Nachbarschaft als lokales Potenzial städtischer
Entwicklung – Konstitutionsbedingungen, Bedeutungen und Möglichkeiten der Verstetigung“2, in
Auftrag gegeben durch den vhw Bundesverband für
Wohnen und Stadtentwicklung, an. Die ethnografische Forschung in einem Kreuzberger Stadtteil in
Berlin geht der Frage nach, wie Nachbarschaften im
städtischen Alltag durch die Bewohnenden gelebt
werden, und welche Bedeutung Nachbarschaften
für die Aufgaben intermediärer Institutionen haben
können.
https://archive.org/details/socialworker00attliala/
page/194/mode/2up
1
JANE ADDAMS
Quelle: Jane Addams Hull-House Museum, The
University of Illinois at Chicago https://www.
hullhousemuseum.or
2
Nachbarschaft als Prozess
Konzeptionell wird Nachbarschaft in der Studie
nicht als etwas Gegebenes (im Sinne einer sozialen
Tatsache), sondern als etwas Situatives und Kontextabhängiges verstanden, dass kontinuierlich
durch menschliche Handlungen im Alltag hervorgebracht wird. Nachbarschaften sind somit nicht
statisch, sondern befinden sich ständig im Prozess
des „Werdens“. Es geht dabei um die Auseinandersetzung mit und die Verortung im eigenen
Wohnumfeld; um ein kontinuierliches Sich-in-Beziehung-Setzen der Bewohnenden durch soziale
und räumliche Praktiken des Alltags. Damit einher
geht stets die Verhandlung des Mit- und Nebeneinander am gemeinsamen Wohnort, dem „richtigen“
Verhältnis von Nähe und Distanz3.
Eine solche Perspektive ist von Relevanz, da sie
Nachbarschaft nicht auf ihr Potential als Ressource
prüft, oder diese entlang der Frage nach Qualität,
Dichte und Ausprägung sozialer Beziehungen an
einem Wohnort beurteilt. Denn während Nachbarschaftsforschung bisher vor allem auf das Vorhandensein von „starken“ oder „schwachen Beziehungen“4 fokussiert hat, machen die Ergebnisse der
Studie deutlich, dass gerade „passive Kontakte“5
oder so genannte „abwesende Beziehungen“6 von
Bedeutung sein können. Gemeint sind damit flüchtige Begegnungen und scheinbar nicht-signifikante
Beziehungen, sei es zwischen der Bewohnerin und
dem Verkäufer, bei dem regelmäßig die Tageszeitung gekauft wird, oder das Antreffen derselben
Personen auf dem morgendlichen Weg zur Bushaltestelle. Bei diesem Beziehungstypus ist nicht
wichtig, dass man einander persönlich oder per
Namen kennt, sondern die Regelmäßigkeit der Begegnungen. Durch die alltägliche oder regelmäßige
Routine entstehen Vertrautheit und Wissen, die
Wohnumgebung wird einschätzbar und lesbar. Das
kann zur Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls
zur Nachbarschaft führen, unabhängig davon, ob
man sich mit dem konkreten Ort identifiziert oder
direkter Kontakt mit Nachbar*innen besteht7.
3
Crow et al. 2002
4
Putnam 2000
5
Grannis 2001
6
Granovetter 1973
7
Blokland und Nast 2014
Drilling et al. 2017
Der Artikel stellt erste Ergebnisse der Studie vor. Der
vollständige Abschlussbericht der Studie ist auf der Webseite
des vhw Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung
(www.vhw.de) verfügbar.
14
Vom Verband deutscher Nachbarschaftsheime zum Verband für sozial-kulturelle Arbeit
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
15
Ahmed A. (Geflüchteter Zahnarzt aus Syrien, Erstaufnahmeheim Forckenbeckstraße)
Nachbarschaften brauchen Möglichkeitsräume
Die Frage nach der räumlichen Routine in der Wohnumgebung rückt die Alltagswege der Bewohnenden und die der Nutzung der lokalen Infrastruktur
in den Fokus. Denn für das Entstehen flüchtiger
Begegnungen und passiver Kontakte braucht es
Möglichkeitsräume, die durch die Bewohnenden
formell oder informell angeeignet und genutzt
werden können. Eine wesentliche Rolle spielen
hier der öffentliche Raum (z.B. Grünflächen und
Plätze, Gehwege, Kinderspielplätze), so genannte
dritte Orte8 (z.B. Friseurläden, Spätis, Kaffees) und
temporäre Orte (z.B. Hofflohmärkte, Straßenfeste, Wochenmärkte). Aber auch die Zwischen- und
Übergangsräume des Alltags, wie Hausflure und
Hinterhöfe bieten hier Chancen, denn sie wirken
unverbindlich, sind ein Bindeglied zwischen der
Privatheit der Wohnung und der Öffentlichkeit
der Straße, und fördern dadurch die Flüchtigkeit
der belanglosen Alltagskommunikation – sei es das
Tratschen im Hausflur, das Reden über Alltägliches
oder das Weitergeben lokalbezogener Information.
Die scheinbar belanglose Kommunikation ist für
das Entstehen und Aufrechterhalten eines nachbarschaftlichen Gefüges wesentlich. Ebenso tragen
die Spuren des Wohnens dazu bei, ob Fahrräder,
Pflanzen oder Graffitis. Orte werden dadurch
8
16
Oldenburg 1999
lesbar, vielschichtig und bedeutungsträchtig und
ermöglichen die (durchaus auch konfliktive) Auseinandersetzung mit der Wohnumgebung und den
Nachbar*innen.
Konkurrierende Nutzungspraktiken und hinterlassene Spuren führten im Untersuchungsraum immer
wieder zu Konflikten. Die beobachteten Auseinandersetzungen zeigen, dass Konflikte und deren
Lösung nicht immer funktional betrachtet werden
sollten. Sie können Ausdruck von Unzufriedenheit
oder Unsicherheit (z.B. zunehmender Tourismus,
lokale Transformationsprozesse, Problematisierung
einzelner Bevölkerungsgruppen) sein und als eine
Verhandlung dessen interpretiert werden, was als
das „richtige“ nachbarschaftliche Mit- und Nebeneinander am geteilten Wohnort verstanden wird,
oder wer als Teil der Nachbarschaft gewertet wird
und wer nicht. Als solches geben sie Aufschluss
über die Befindlichkeit und die Bedürfnisse des
nachbarschaftlichen Gewebes.
Soziale Praktiken und die nachbarschaftliche
Etikette
Soziale Interaktionen im nachbarschaftlichen
Kontext folgen kontextabhängigen Regeln, Normen
und Erwartungen. Gesprochen wird hier auch von
der „nachbarschaftlichen Etikette“9, wie z.B. das
9
Kusenbach 2006
Lebenswelt „Nachbarschaft“ als lokales Potenzial städtischer Entwicklung
gegenseitige Erkennen und Grüßen auf der Straße,
oder das Wahren einer höflichen Distanz. Aber
auch Praktiken des gegenseitigen Helfens und das
Prinzip der Reziprozität stellen eine wichtige Norm
dar. Sei es das Entgegennehmen von Lieferungen,
das Ausborgen von Gegenständen, oder das Aushelfen in Notsituationen. Dabei geht es um Alltagshilfen der praktischen Art, die mit wenig Aufwand
verbunden sind und keine dauerhafte Verpflichtung
und Verantwortung bedeuten. Studienteilnehmende beschrieben diese nachbarschaftliche Hilfe als
etwas Selbstverständliches. Zugleich zeigte sich,
dass diese nur selten wahrgenommen wird. Sei es,
dass man nicht darauf angewiesen ist, oder eine
gewisse Distanz zu den Nachbar*innen aufrechterhalten möchte. Gerade die Inanspruchnahme
bestimmter Unterstützungen, wie das Blumen gießen bei Abwesenheit und das Betreten der Wohnung bedarf einer vertrauensvollen Beziehung. Ein
solches Vertrauen bedeutet nicht persönliche Nähe
zu entwickeln oder Privates über den Nachbarn
zu wissen, sondern ein Miteinander-Vertraut-Sein
und eine Einschätzbarkeit, die über Jahre durch
flüchtige Begegnungen und das Tür an Tür Wohnen
entstehen können. Auch wenn nachbarschaftliche
Hilfe selten in Anspruch genommen wurde, war es
von Bedeutung, zu wissen, dass im Notfall auf diese
zurückgegriffen werden kann.
Zur nachbarschaftlichen Etikette gehört auch die
soziale Rolle von Nachbar*innen als „achtsames
Auge“ und die daran geknüpfte Erwartung einer
Schutzfunktion gegen externe Faktoren (z.B.
Einbrüche, Diebstahl, Auffälligkeiten). Die mögliche soziale Kontrolle, die durch „wachsame Nachbar*innen“ entstehen kann, wird jedoch weniger
geschätzt. Das stellt letztlich eine Überschreitung
der im nachbarschaftlichen Kontext zu wahrenden
Distanz dar. Und gerade das Verhandeln und Austarieren von Nähe und Distanz ist für die untersuchten nachbarschaftlichen Beziehungen wesentlich.
Während sich die nachbarschaftlichen Beziehungen
vorwiegend als flüchtige Begegnungen oder lose
Beziehungen beschreiben lassen, kann die Bedeutung nachbarschaftlicher Netzwerke, Strukturen
und Ressourcen je nach Lebensphase, Lebenslage
und Lebensstil variieren.10 Insbesondere für ältere
Personen, Familien mit Kleinkindern und Erwerbslose im Untersuchungsraum war der nachbarschaftliche Kontext verstärkt von Bedeutung.
In einigen wenigen Fällen entstanden auch enge
Beziehungen zwischen Nachbar*innen. Gesprochen
wurde dann von Bekanntschaften und Freundschaften – Beziehungen, die über den nachbarschaftlichen Kontext hinausgehen.
10 Henning und Lieberg 1996
Nachbar*innen als Ko-Produzent*innen der Stadt
Während „Nachbarschaft“ als Interventionsebene
eine zunehmend wichtige Bezugsgröße darstellt,
organisieren sich Nachbar*innen in Form von
Initiativen und Vereinen zunehmend selbst und
positionieren sich als Akteur*innen in der Stadtentwicklung. Sie entwickeln und treiben ihre eigenen
Konzepte und Lösungsansätze für gesellschaftliche
und stadtentwicklungspolitische Fragestellungen
voran. Die Verankerung in und Bezugnahme auf das
eigene Wohnumfeld ermöglichen eine Greifbarmachung dieser übergeordneten Dynamiken, die sich
im Lokalen niederschlagen, und das Entwickeln und
Umsetzen lokaler Handlungs- und Lösungsansätze.
Zugleich können durch die Einbindung in nachbarschaftliche Netzwerke Ressourcen mobilisiert, und
eine hohe Akzeptanz und Öffentlichkeit hergestellt
werden. Faktoren, die für eine erfolgreiche Positionierung zentral sind. Ebenso spielen strukturelle
Rahmenbedingungen, Vernetzungen und Kooperationen eine tragende Rolle.
In ihrem Handeln und der Kooperation mit weiteren Akteur*innen, ob mit sozialen Trägern, Politik
oder Verwaltung, sind das Aufrechterhalten der
Unabhängigkeit, das „Gespräch auf Augenhöhe“,
und das Anerkennen der Akteur*innen als Expert*innen ihres eigenen Wohnumfeldes und als legitime Ko-Produzent*innen der Stadt, wesentliche
Dimensionen. Eine solche Anerkennung und das
Erschließen potentieller Einflussmöglichkeiten zur
Umsetzung der eigenen Vorstellungen, Konzepte
und Projekte, bringt zahlreiche Herausforderungen
mit sich und muss von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen immer erst erkämpft werden. Sprache,
Wissen und der Zugang zu Informationen wirken
hier als Differenzmechanismen zwischen den Akteur*innen und reproduzieren ungleiche Machtverhältnisse. Diese fordern ihr Recht auf Ko-Produktion jedoch kontinuierlich ein – durch Proteste und
Demonstrationen, Öffentlichkeitsarbeit, Initiierung
von und Beteiligung in Planungsprozessen, oder der
Durchführung von Projekten und Aktionen im Lokalen. Dabei nehmen sie vielfältige Rollen ein und
bewegen sich an unterschiedlichen Schnittstellen.
Die Rolle der professionellen
Nachbarschaftsarbeit
Lokale Eigeninitiative und „Nachbarschaft von
unten“ fördern, wurde von den befragten professionellen Akteur*innen als wichtige Aufgabe
der Nachbarschaftsarbeit benannt. Die Unterstützungsmöglichkeiten sind vielfältig: Beratung,
Information, Expertise und Erfahrung teilen, Kompetenzentwicklung, Raumangebote, technische
und organisatorische Unterstützung, Vernetzung,
Brückenbildung und Moderation an unterschiedli-
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
17
chen Schnittstellen (insbesondere zwischen Zivilgesellschaft und Politik und Verwaltung). Aufgabe
sei es, die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen
Akteur*innen zu suchen und Raum zu geben. Das
erfordert Offenheit, Kontinuität, gegenseitige
Anerkennung und Wertschätzung.
Das angebotsbezogene und aufsuchende Arbeiten
ist ein weiterer Handlungsansatz. Es benötigt kontinuierliche Beziehungsarbeit, Kommunikation und
Offenheit. Neben bedarfsgerechten Regelangeboten (z.B. Sozialberatung, Mieterberatung) braucht
es eine lokale Angebotsstruktur, die gemeinsam mit
der Nachbarschaft entwickelt wird. Ein Prozess, der
Zeit erfordert, möglichst offen gestaltet werden,
und sich durch hohe Experimentierfreudigkeit und
keine Leistungsorientierung auszeichnen sollte.
Gegenwärtige strukturelle Rahmenbedingungen
und Finanzierungsmöglichkeiten geben hier jedoch
nur eingeschränkte Möglichkeiten und Handlungsspielräume.
Ebenso von Bedeutung sind die Sicher- und Zurverfügungstellung von Räumen der alltäglichen Begegnung. Die Orte sozialer Träger sollten sich durch
Offenheit, Niedrigschwelligkeit und Unverbindlichkeit auszeichnen, und nicht (nur) angebotsbezogen
gestaltet sein.
Obgleich professionelle Nachbarschaftsarbeit das
Arbeiten mit und in Nachbarschaften auf lokaler
Ebene impliziert, verorten Studienteilnehmende
ihren Aktions- und Wirkradius auch darüber hinaus. Dabei wird die lokale Ebene „Nachbarschaft“
kritisch in gesamtgesellschaftliche und politische
Zusammenhänge eingeordnet und eine strukturelle
und systemische Veränderung als wesentliche Arbeitsaufgabe der professionellen Nachbarschaftsarbeit definiert.
H Simone Tappert ist Kultur- und Sozialanthropologin und promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität München im International PhD
Program «Transformations in European Societies». Sie hat gemeinsam mit Matthias Drilling
die vorgestellte Studie durchgeführt, in deren
Rahmen auf Basis teilnehmender Beobachtungen, go-alongs, informeller Gespräche und
qualitativer Interviews in Berlin sowie Workshops Nachbarschaft theoretisch verortet und
ein wissenschaftlich fundierter Analyserahmen
entwickelt wurde.
Literatur
Blokland, T./ Nast, J. (2014) From Public Familiarity
to Comfort Zone: The Relevance of Absent Ties for
Belonging in Berlin’s Mixed Neighbourhoods. In:
International Journal of Urban and Regional Research 38(4), 1142-1159.
Crow, G./ Allan, G./ Summers, M. (2002) Neither
Busybodies nor Nobodies: Managing Proximity and
Distance in Neighbourly Relations. In: Sociology
36(1), 127-145.
Drilling, M./ Oehler, P./ Käser, N. (2017) Potenziale
postmoderner Nachbarschaften. Eine Pilotstudie
im Auftrag des Bundesverband für Wohnen und
Stadtentwicklung e.V. Berlin.
Grannis, R. (2001) From Neighbors to Neighborhoods: Social Networks and Street Networks. Paper
presented at the American Sociological Association,
Anaheim, CA.
Granovetter, M. (1973) The strength of weak ties.
In: American Journal of Sociology, 78(6), 13601380.
Henning, C./ Lieberg, M. (1996) Strong ties or weak
ties? Neighbourhood networks in a new perspective. In: Scandinavian Housing and Planning Research, 13(1), 3-26
Kusenbach, M. (2006) Patterns of Neighboring:
Practicing Community in the Parochial Realm. In:
Symbolic Interaction 29(3), 279-306.
Oldenburg, R. (1999) The great good place: Cafes,
coffee shops, bookstores, bars, hair salons, and
other hangouts at the heart of a community. New
York: Marlowe.
Putnam (2000) Bowling alone: the collapse and
revival of American community. New York: Simon
and Shuster.
18
Lebenswelt „Nachbarschaft“ als lokales Potenzial städtischer Entwicklung
OLIVER FEHREN
Die Bedeutung einer Orientierung am
Gemeinwesen für die Potentiale von
Nachbarschaftshäusern
Vortrag auf dem Fachtag Stadtteilzentren Neukölln am 13.02.2019
Zusammenfassung
Über die Orientierung von Nachbarschaftshäusern
an Nachbarschaft und Stadtteil hinaus plädiere ich
in diesem Beitrag für eine stärkere Orientierung am
Gemeinwesen und arbeite die spezifischen Potenziale und fachlichen Anforderungen heraus, die
damit einhergehen. Ich schlage dazu ein Gemeinwesen-Verständnis vor, das anschließt an Traditionen
der Chicago School of Sociology1:
• Gemeinwesen meint immer eine Ansammlung
von Menschen und Institutionen;
• Gemeinwesen bezeichnet keinen abgeschlossenen Raum, sondern ist immer Teil größerer
Gemeinwesen;
• Gemeinwesen hat gleichzeitig eine formelle
(administrativ geprägte) Bedeutung (meist
mit Territorrial-Bezug), und eine informelle
(lebensweltlich-politisch-kulturell geprägte)
Bedeutung, die sich ständig weiterentwickelt
und verändert (hier z.B. auch virtuell vernetzte
Gruppen).
(z.B. Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten,
Grünflächen) und immateriellen (z.B. Qualität
sozialer Beziehungen, Partizipation, Kultur) Bedingungen unter maßgeblicher Einbeziehung der
Betroffenen.“3
Die mit diesem starken Beteiligungsanspruch verbundene, oft mühsame Suche nach handlungsbereiten, aktiven Bürger*innen nennen wir Aktivierung.
Aktivierung ist eine der zentralen Leistungen von
Gemeinwesenarbeit. Daher sehe ich hier besondere Potenziale für Nachbarschaftshäuser, wenn
diese sich noch deutlicher gemeinwesenorientiert
ausrichten. Dabei scheinen mir zwei Aktivierungsdimensionen besonders relevant:
Gemeinwesenarbeit als Beteiligungsmotor insbesondere benachteiligter Bevölkerungsgruppen
„Ziel ist die Verbesserung von materiellen (z.B.
Wohnraum, Existenzsicherung), infrastrukturellen
Beteiligungsprozesse im Kontext von Stadtteil‑
arbeit sind oft Wettbewerbe unter ungleichen
Bedingungen, die in aller Regel von jenen gesellschaftlichen Gruppen mit hohem sozialen und
kulturellen Kapital im Sinne von Besitzstandswahrung genutzt und auch gewonnen werden. Die
üblichen partizipativen Instrumente, wie Zukunftskonferenzen, Elternabende, Kinderparlamente und
Stadtteilfonds können in vielen Bereichen diese
Ungleichheitsdynamik nicht durchbrechen. Gerade
in von Armut geprägten Milieus haben Menschen
häufig keinen Anlass, sich für die gängigen Beteiligungsangebote zur Gestaltung ihrer Nachbarschaft
zu interessieren: Im Vordergrund stehen häufig
unmittelbarere und existenziellere Fragen: Wie
komme ich über die nächsten Tage? Wie wehre ich
mich gegen die Unverschämtheiten meines Nachbarn? Wie komme ich ohne Auto mit zwei Kindern
und einem Kinderwagen zum Jobcenter, zur Kita
und zum Wohnungseigentümer, um mich über die
feuchte Wand im Kinderzimmer zu beschweren?
Wie komme ich hinterher zu Aldi und wie kriege
ich den eingekauften Plunder anschließend nach
Hause?4. Für die Ermöglichung von bürgergetragenen Aktivitäten in benachteiligten Milieus ist es
1
Park, Burgess, McKenzie, 1925
3
Stövesand/Stoik 2013: 21
2
vgl. Müller, 1996
4
vgl. Preis 2004: 397
Als Gemeinwesenorientierung bezeichnen wir
partizipative und auf die ermächtigende Gestaltung
von Lebenswelten bedachte Handlungsansätze. Gemeinwesenorientierung kann verstanden werden
als fortwährende Suchbewegung (Sozialer Arbeit):
Heraus aus einem „nachgeordneten“ Agieren, hin
zu einer auch die Ursachen von Armut, Marginalisierung und Diskriminierung erfassenden und
adressierenden Fachlichkeit; die Einlösung und
Einforderung einer Gestaltungsperspektive (social
change) durch eine deutlich über den Einzelfall hinausgehende „systemdehnende Praxis“2 an mittleren
und großen Systemen.
Zentrales Anliegen der Gemeinwesenarbeit (GWA),
war und ist es, insbesondere den benachteiligten
Bevölkerungsgruppen eines lokalen Gemeinwesens
stärkere Teilhabemöglichkeiten zu eröffnen.
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
19
Gemeinwesenorientierte Nachbarschaftshäuser verstehen unter Aktivierung, genau jene (oft
konfliktbehafteteten) Themen der Menschen zu
erfahren, die Handlungsbereitschaft erzeugen, die
mit Energie versehen sind. Diese Themen erfährt
man allerdings nur zum Teil bei Aktivitäten und
Beratungsangeboten im Nachbarschaftshaus
(Komm-Prinzip). Oft muss man sich die Themen
immer wieder auch von der Straße holen. Nachbarschaftshäuser benötigen daher zwingend einen
hohen Anteil an Arbeitszeit für zugehende Arbeit.
Gemeinwesenorientierung bedeutet einen Teil der
Arbeitszeit für spezifische Methoden zugehender oder aufsuchender Beteiligung einzusetzen:
Hinterhofgespräche, Aktivierende Befragungen,
Wochenmarktaktionen, Treppenhausmeetings und
Bewohner*innenversammlungen.
Mit Gemeinwesenarbeit und Gemeinwesenorientierung verfügen wir über Beteiligungs-Know-how,
das andere so nicht haben. Es gibt da kein Erkenntnisproblem. Es gibt aber ein Umsetzungsproblem.
Denn diese spezifische Form der Beteiligung durch
zugehende Aktivierung betreiben nach meiner
Einschätzung allenfalls 50% der Nachbarschaftshäuser. Warum: weil diese aufsuchende, zeitintensive Form der Partizipation, die ein Verlassen der
Räumlichkeiten der Nachbarschaftshäuser erfordert, nicht konsequent beauftragt und erst recht
nicht finanziert wird. Die Kolleg*innen vor Ort
machen dann gute Nachbarschaftsarbeit aber nicht
unbedingt gute Gemeinwesenarbeit.
Aktivierung der Institutionen
Bei der derzeit teilweise euphorisch vorgenommenen Beschwörung der engagierten, aktiven Bürger*innen sollte nicht übersehen werden:
Den lokalen Institutionen kommt eine mindestens
ebenso hohe Bedeutung für die Stabilisierung
von Gemeinwesen zu. Die lokalen Schulen und
Kindertageseinrichtungen, Kirchengemeinden und
Moscheevereine, die örtliche Polizei, die Stadtteilbibliothek, Einzelhändler*innen und Wohnungsbaugesellschaften, die gewählten politischen Reprä20
sentant*innen und der Bereich der öffentlichen
Verwaltung können erheblich zur Ressourcenlage
eines Gemeinwesens beitragen und dürfen daher
bei der Aktivierung zur Gestaltung des lokalen
Gemeinwesens nicht ausgeklammert werden. Diese
Aktivierungsarbeit von gemeinwesenorientierten
Nachbarschaftshäusern bezogen auf Institutionen
kann sich vielfältig niederschlagen:
• der zerbröckelnde Wochenmarkt im Quartier
wird gemeinsam mit den lokalen Einzelhändler*innen stabilisiert
• das Zuständigkeitschaos im Umgang mit Verdacht auf ADHS wird überwunden durch den
Aufbau eines ADHS-Fallmanagements mit Kitas,
Jugendamt und Erziehungsberatungsstelle
• die lokale Kleiderkammer kriegt einen kritisch
zugewandten Hinweis, ihr Angebot endlich stärker auf eine sich verjüngende Wohnbevölkerung
auszurichten.
In dieser Form der Gemeinwesenorientierung wird
nicht gegen und schon gar nicht ohne die Regelinstitutionen des Stadtteils gearbeitet, sondern diese
immer wieder in die Pflicht nehmend. Erst durch
das Zusammenspiel beider Aktivierungsrichtungen,
Bürgeraktivierung und Institutionenaktivierung,
wird die Ressourcenlage des lokalen Gemeinwesens so erhöht, dass eine Stabilisierung der Situation im Quartier erreicht werden kann.
Nachbarschaftshäuser als Instanzen für horizontale und vertikale Vernetzung
Die Problemlagen in benachteiligten Stadtteilen betreffen in der Regel eine komplexe Vielfalt
verschiedener Handlungsfelder gleichzeitig. Die
Qualität der Schulen, die Struktur des lokalen Einzelhandels, Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche, Zusammenleben der Kulturen, Bausubstanz
der Wohnungen, Qualität öffentlicher Plätze, die
Anbindung an den Nahverkehr, müssen gleichzeitig
bearbeitet werden, um Quartiere zu stabilisieren.
Kluge Stadtteilentwicklung wirkt daher darauf
hin, dass verschiedene Akteure und Professionen
bei der Gestaltung eines benachteiligten Stadtteils „integriert“ im Sinne von „gebündelt“ zusammenwirken: das reicht von zivilgesellschaftlichen
Gruppen, über die kommunale Verwaltung bis hin
zur Wohnungswirtschaft. Dabei wird deutlich: Integriertes Handeln ist allein aufgrund der Vielzahl an
Akteursgruppen und ihren völlig verschiedenen Logiken, Rationalitäten, Zwängen und Sprechweisen
hochkomplex. Nachbarschaftshäuser scheinen mir
in besonderer Weise in der Lage, diese notwendige
Komplexität aufrecht zu erhalten. D.h. die Themen
und Ziele der Stadtteilentwicklung nicht allein den
Logiken von Fachexpert*innen und Investor*innen
zu überlassen, sondern auch die durchsetzungs-
Die Bedeutung einer Orientierung am Gemeinwesen für die Potentiale von Nachbarschaftshäusern
Clemens H. (Sänger, viele Jahre als Dozent in Brasilien, nach dem Mauerfall nach
Berlin zurückgekommen, Teilnehmer bei Ich werde älter)
von zentraler Bedeutung, dass Beteiligung für die
Engagierten einen spürbaren Gebrauchswert hat.
Hier liegt die wesentliche Aktivierungs-Leistung
von GWA: Die tatsächlich brennenden Themen vor
Ort herauszufinden und bearbeitbar zu machen.
Diese reichen vom Ärger über die überhöhten
Nebenkostenabrechnungen des Vermieters, dem
gemeinsamen Leiden unter Kriminalität oder
Vermüllung, den Erfahrungen der Schikanierung
durch Behörden bis hin zum Interesse an günstigen
Kleingartenparzellen, dem Wunsch nach Geselligkeit oder einer Verbesserung der Versorgung mit
Kinderarztpraxen oder Kitaplätzen.
schwächeren Interessen marginalisierter Gruppen
wirkmächtig einzubeziehen. Es gilt das Feld offen
zu halten für Interessenkonflikte um die Fragen:
Wer oder was gilt als Problem im Quartier, wer
hat darüber die Definitionsmacht und wie agiert
wer in diesem Kampf verschiedener Interessen?
Die spezifische Leistung der Nachbarschaftshäuser kann darin liegen, dass sie auch für eine der
kommunalen Politik und Verwaltung fremde Logik
öffentliche Foren schaffen. Als Intermediäre wird
ihre traditionelle Funktion der horizontalen Organisation der Interessen im Stadtteil ergänzt um eine
vertikal vernetzende Funktion zwischen Stadtteil
und Bezirk bzw. Kommune. Damit unterstützen
Nachbarschaftshäuser durch vielfältige Rückkopplungsschleifen zwischen top-down und bottom-up
Prozessen den Ansatz einer integrierten Stadtentwicklung weg von einer expertendominierten „richtigen Lösung“ hin zum „lernenden System“5. Eine
solide Verankerung von gemeinwesenorientierter
Arbeit in den Nachbarschaftshäusern erhöht damit
auch die Chance, dass die vorhandenen Ressourcen
und Programme von Bezirk, Land und Bund passgenau im Quartier implementiert werden.
5
vgl. Franke/Strauss, 2010
Vier Schlussfolgerungen
1. Räuberleiter-Funktion der GWA erklären
Ein wichtiges GWA-Prinzip lautet: GWA tut nichts,
was die Leute selber können und tut alles, damit
sie es selber können. Das ist für die finanzielle
Förderung der gemeinwesenorientierten Arbeit
von Nachbarschaftshäusern allerdings eher von
Nachteil, denn gute Gemeinwesenarbeit taucht bei
den medialen Berichterstattungen über Erfolge im
Stadtteil häufig nicht auf. Wenn z.B. eine Gruppe
engagierter Bewohner*innen es geschafft hat, dass
eine Wohnungsbaugesellschaft nach zähen, auch
konfliktreichen Verhandlungen Mietergärten zulässt, dann ist das der Erfolg dieser Gruppe. Das daran auch ein*e Mitarbeiter*in des Nachbarschaftshauses beteiligt gewesen ist, die diese begleitet
hat, muss bei der Berichterstattung in der Presse
im Hintergrund bleiben, um den Bewohner*innen
nicht ihren Erfolg zu nehmen. Entscheidungsträger*innen in lokaler Politik und Verwaltung nehmen
jedoch häufig nur diejenigen wahr, die im Vordergrund stehen, was für die finanzielle Förderung von
Gemeinwesenarbeit nicht unbedingt von Vorteil
ist. Diese wichtige Funktionsweise von GWA als
Beratung und Unterstützung im Hintergrund wird,
wie ich finde ganz treffend illustriert, mit der Räuberleiter-Analogie von Wolfgang Hinte: Ein guter
Gemeinwesenarbeiter ist – bildlich gesprochen
–jemand, der eine „Räuberleiter“ macht, damit der
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
21
oder die anderen eine Mauer überwinden können.
Während derjenige, der über die Mauer schaut,
der Held ist, wird der Anteil desjenigen, der unten
steht und ohne den das Ganze nicht funktioniert
hätte, zumeist nicht gewürdigt. Hier muss die
GWA selbst hinsichtlich der Kommunikation ihrer
Räuberleiter-Funktion sichtbarer, verstehbarer
und nachvollziehbarer werden, damit kommunale
Entscheidungsträger*innen genau diese oft weni-
vordergründig konsensuale Projekte) sondern
explizit auch methodisch eingesetzt werden. Wenn
ich im Stadtteil am runden Tisch keinen Konflikt
habe, kann das ein Hinweis sein, dass nicht alle
relevanten Gruppen am Tisch sitzen. GWA hält hier
als Akteurin das Feld in besonderer Weise offen für
die Interessen der weniger durchsetzungsmächtigen Bevölkerungsgruppen, die weniger versiert
im Agenda-Setting sind. Es ist wichtig, dass Politik
Am 03. April 1921 wurde die Bühnen- und Kostümbildnerin in Wuppertal geboren. Sie wuchs in
einer kreativen Atmosphäre auf: Kunst, Musik,
Literatur gehörten zum täglichen Brot. Die Eltern
Henriette und Franz Jordan erzogen ihre Tochter
ganz bewusst zur Freiheit des Denkens, Glaubens
und Handelns.
1935 schickten sie ihre Tochter auf das Quäker-Internat im niederländischen Eerde, einer 1934
eröffneten Exil-Schule für in Deutschland durch
die Nationalsozialisten bedrohte Kinder. Nach dem
Abitur 1939 studierte sie einige Semester Bühnenbild an der Folkwangschule in Essen. Als die Lage in
Deutschland für die jüdische Mutter und ihre Tochter zu gefährlich wurde, versteckten sich beide an
wechselnden Orten bei Freunden in Wuppertal um
im Bergischen Land.
Gleich nach Ende des Krieges engagierten sich
Henriette und Hanna Jordan beim Wiederaufbau
der Stadt. Sie wollten als Versöhnerinnen, nicht
als Verfolgte durchs Leben gehen. Gemeinsam mit
ihrer Mutter gründete Hanna Jordan das Nachbarschaftsheim Wuppertal e.V. am Platz der Republik.
Bis heute wird dort Kinder-, Jugend- und Seniorenarbeit geleistet.
Hanna Jordan starb am 26. Januar 2014 mit 92
Jahre in ihrem Elternhaus.
Quelle: Inschrift der Gedenktafel am Wohnhaus
von Hanna Jordan.
HANNA JORDAN
https://www.nachbarschaftsheim-wuppertal.
de/08_Verein/08_02_die_geschichte.html
ger sichtbare Tätigkeit finanzieren und nicht nur
einzelne Leuchtturmprojekte.
2. Beinfreiheit und Vertrauen gewähren und herstellen
Das integrierende und konstruktive Potential von
Konflikten sollte in der Gestaltung und Entwicklung benachteiligter Stadtteile nicht ausgeblendet
werden (z.B. durch zu schnelle Fokussierung auf
22
3. GWA als Regelstruktur in Nachbarschaftshäusern etablieren
Entscheidungsträger*innen in der Politik sind
geneigt, ständig mit der Entwicklung neuer Programme auf entstehende Problemlagen zu reagieren – für die Arbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen, für die Arbeit mit Geflüchteten, etc. – um
so Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Die
Effekte einer solchen Vorgehensweise sind in der
Regel viel schlechter, als wenn man dauerhaft eine
themen- und zielgruppenübergreifende Gemeinwesenarbeit in Nachbarschaftshäusern etabliert, die
dann immer die je aktuellen Themen aufnimmt und
bearbeitet. Meine These ist, dass man nach dem
Sommer der Migration 2015 in jenen Stadtteilen
deutlich weniger Probleme gehabt hat, in denen es
schon vorher gute und solide finanzierte themenund zielgruppenübergreifende Gemeinwesenarbeit
gegeben hat – unabhängig von den geflüchteten
Menschen. Was man braucht, sind regelhaft geförderte Strukturen, die unabhängig von Zielgruppenkonjunkturen immer wieder einen guten Boden,
einen Humus dafür schafften, dass Aktivitäten
im Quartier gedeihen können. Wir brauchen eine
kommunale Regelförderung für GWA ausgehend
von Nachbarschaftshäusern.
4. Bezirk und Kommune als starke Akteure in der
Stadtentwicklung fordern
Gemeinwesenarbeit schafft Raum für Themen,
die z.T. nicht oder nur am Rande auf der offiziellen
Agenda der Kommunalpolitik stehen. Es geht um
Menschen, die nicht so geübt sind im Agenda-Setting. Ich würde als Kommune immer dazu tendieren, Nachbarschaftshäuser für diese Aufgabe zu
engagieren. Erst diese subsidiäre Leistungserbringung erlaubt die für GWA notwendige Beinfreiheit.
Gleichzeitig sollten Kommunen aber die Entwicklung der Quartiere auf keinen Fall vollständig an andere Träger delegieren. Es braucht in den Bezirken
eine Prozessteuerung, eine ämterübergreifende
Andockstelle für die Themen und Akteure der
Quartiere und regelmäßigen dialogischen fachlichen Austausch mit den Nachbarschaftshäusern.
Der Erfolg von Gemeinwesenorientierung in Nachbarschaftshäusern hängt maßgeblich vom Engagement der kommunalen Politik und Verwaltung ab.
H Dr. Oliver Fehren ist seit 2011 Professor für
Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit mit dem
Schwerpunkt Gemeinwesenarbeit an der Alice
Salomon Hochschule Berlin. Nach dem Studium
der Erziehungswissenschaften hat er zunächst
als Gemeinwesenarbeiter in verschiedenen
Kommunen in NRW gearbeitet und an der
Universität Bielefeld promoviert, während er
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte
Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität
Duisburg-Essen war.
Literatur
Franke, Th. / Strauss, W. C. (2010): Integrierte
Stadtentwicklung in deutschen Kommunen – eine
Standortbestimmung. In: BBR – Bundesamt für
Bauwesen und Raumordnung (Hg.): Integrierte
Stadtentwicklung - politische Forderung und Praxis.
Informationen zur Raumentwicklung. Heft 4.2010,
S. 253-262.
Müller, C. W. (1996): Gemeinwesenarbeit. In: Kreft/
Mielenz (Hrsg.): Wörterbuch Soziale Arbeit. Weinheim, Basel, S. 232-233
Park, R. E./Burgess, E. W./McKenzie, R. D. (1987):
The City. Suggestions for Investigation of Human
Behaviour in the Urban Environment. Reihe: Morris
Janowitz (Hrsg): The Heritage of Sociology. Chicago, London [erstmalig erschienen 1925]
Preis, M. (2004): Endogene Potenziale und Gestaltungspessimisten. In: Außerschulische Bildung:
Zivilgesellschaft: Voraussetzung und Aufgabe
politischer Bildung, H. 4, S. 394-403
Stövesand, S./Stoik, C. (2013): Gemeinwesenarbeit
als Konzept Sozialer Arbeit. In: Stövesand/Stoik/
Troxler (Hrsg.): Handbuch Gemeinwesenarbeit.
Opladen, S. 14-36
und Verwaltung diesen Aspekt des „das Feld offen
halten“ durch GWA verstehen. Durch die Arbeit
der GWA wird Stadtteilentwicklung sozusagen
permanent aktualisiert. Dafür braucht es für die
Nachbarschaftshäuser Beinfreiheit und natürlich
Vertrauen, das diese wiederum fortwährend herstellen müssen.
Die Bedeutung einer Orientierung am Gemeinwesen für die Potentiale von Nachbarschaftshäusern
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
23
MARKUS RUNGE
KATHARINA KÜHNEL-CEBECI, TOM LIEBELT, HILLE RICHERS
Haltungen in der Gemeinwesenarbeit
entwickeln
Methoden in der Gemeinwesen - und
Nachbarschaftsarbeit
Seit mehr als 20 Jahren diskutiere ich mit
GWA-Kolleg*innen regelmäßig die Gratwanderung,
ob wir uns als Professionelle möglicherweise aus
Prozessen zurückziehen, wenn wir den Eindruck
gewinnen, die Menschen im Gemeinwesen übernehmen nicht selbst Verantwortung für ein von
ihnen gesetztes Thema oder ob wir unsererseits
etwas mehr pushen und unterstützen, um die
Menschen zu motivieren, sich selbst für ihr Thema
stark zu machen. Das allein hat schon viel mit der
„richtigen“ Haltung in der GWA zu tun.
Abschlussbericht einer Workshopreihe in Berlin
und Gütersloh
Professionelle Gemeinwesenarbeit stellt sich klar
allen Erscheinungsformen gruppenbezogener
Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit entgegen.
Das ist doch eine Frage der Haltung, wird dabei oft
formuliert. Doch welche Haltungen und welches
Wissen braucht es, um das gelingend zu tun? Und
wie erlernen Gemeinwesenarbeiter*innen die „richtigen“ Haltungen?
Es gibt keinen Katalog, keine Zusammenstellung
von A bis Z der „richtigen“ Haltungen in der Gemeinwesenarbeit. Und es gibt auch kein Workshop
angebot, in dem die „richtigen“ Haltungen in der
GWA der Reihe nach erläutert werden, um dann als
Checkliste ins Büro gehängt und fortan nicht mehr
aus den Augen verloren zu werden.
Die „richtige“ Haltung zu finden, kann nur in einem
ständigen Diskussions- und Aushandlungsprozess
gelingen – möglichst innerhalb eines größeren
GWA-Teams oder zwischen Gemeinwesenarbeiter*in und GWA-erfahrenen Kolleg*innen. Und
das ist ein ständiger Prozess, der nicht aufhört und
der sich jeweils auf die aktuelle Situation beziehen
muss.
Auf der Jahrestagung Stadtteilarbeit 2019 wurden in einem von mir und Jessica Vogel, Diakonie
Hasenbergl, geleiteten Workshop kleinere Gruppen gebildet, die sich als Team mit realen Praxisbeispielen aus dem urbanen Raum auseinandersetzen
sollten. Als Praxisbeispiele standen vier niedergeschriebene aktuelle Interessenkonflikte im Stadtteil bzw. Entwicklungsprozesse im Rahmen von
Gemeinwesenarbeit zur Verfügung. Ziel der Übung
war es, anhand dieser Ausgangssituationen eigene
demokratische Haltungen in Konfliktsituationen zu
entwickeln bzw. zu reflektieren und daraus mögliche Schritte der Bearbeitung dieser Konflikte aus
der GWA abzuleiten.
Die Praxisbeispiele aus Berlin-Kreuzberg beziehen
sich auf aktuelle Themen wie Nutzungskonflikte
im öffentlichen Raum, Konkurrenz benachteiligter
Gruppen im Stadtteil, Mehrheiten gut situierter
Mittelschicht und Vernetzungen im Stadtteil oder
über den eigenen Stadtteil hinaus. Sie dienten
als Anregung, um miteinander ins Gespräch über
die „richtigen“ Haltungen und Vorgehensweisen
der Bearbeitung solcher Themen in der GWA zu
kommen.
Je mehr Gemeinwesenarbeiter*innen in solchen
Diskursen ihre Haltungen entwickeln oder reflektieren und argumentativ zu vertreten lernen,
umso weniger Verunsicherung gibt es einerseits
und umso transparenter lässt sich andererseits das
daraus gemeinsam entwickelte Vorgehen verständlich machen.
Mehrere Teilnehmende äußerten nach dem Workshop den Wunsch, diesen Diskussionsprozess in
ihren Teams erproben zu wollen. Außerdem gab es
die Idee, den vier Praxisbeispielen weitere hinzuzufügen und im Rahmen des VskA eine Sammlung
zu eröffnen, um damit die thematische Breite der
Verständigung über Haltungen zu erweitern.
Wenn Sie also weitere Praxisbeispiele niederschreiben wollen, die Ihnen in Ergänzung zu den
vorhandenen sinnvoll erscheinen, freuen wir uns
auf Zusendung.
Die Idee
Nachbarschaften, Lebensformen und -abläufe sind
komplex und kaum noch durch gesellschaftliche
Rituale und Gewohnheiten geprägt. Den Zusammenhalt von Menschen in Nachbarschaften zu
schaffen und zu erhalten, verlangt deshalb aktive
und individuelle Anstrengungen. Anstrengungen, die unter anderem wir Nachbarschafts- und
Gemeinwesenarbeiter*innen leisten – idealerweise
zielgerichtet mit ausgewählten Methoden anhand
bestimmter Erfahrungswerte.
Eine Nachbarschaftsarbeiterin aus Berlin berichtet dazu: „Ich sollte im Rahmen eines Stadtteilarbeitsprojektes die Thematik des Mülls im öffentlichen Raum bearbeiten. Mit dem Thema war ich in
meiner Stadt nicht die Einzige und doch hatte ich
kaum Erfahrungswerte, wie ich das Thema angehen
sollte. Was ist die Ursache und was die Lösung?
Hilft ein Kiezputz? Helfen direkte Ansprachen der
Müllsünder*innen? Aktivierende Befragungen?
Wird der Müll im öffentlichen Raum dank Infoveranstaltungen oder leihbaren Lastenrädern weniger? Oder liegen Lösungspotenziale gar auf Stadtoder Landesebene? Sollte es beispielsweise mehr
Wertstoffhofe geben mit anderen Öffnungszeiten,
Verkehrsanbindungen oder anderen Sperrmüll-Abholmodellen geben?“
barschaftsarbeit1 oder der Gemeinwesenarbeit2
nötig machen.
Daher organisierten wir 2019 Erfahrungsaustausch
von Nachbarschaftsarbeiter*innen im Rahmen
eines GWA-Forums der LAG GWA Berlin3 und im
Rahmen zweier Workshops bei der Jahrestagung
Stadtteilarbeit des VskA. Wir stellten in den Workshops vor allem folgende Fragen:
• Welche Methoden4 wurden benutzt, um welche
Ziele zu erreichen?
• Welche Methoden waren erfahrungsgemäß
zielführend und haben zum gewünschten oder
einem anderen erfreulichen Ergebnis geführt?
• Was waren mögliche Gründe, dass die angewandten Methoden (nicht) zielführend waren?
Die Ergebnisse
In den Workshops gelang es, einen Austausch über
Methoden anzustoßen. Die Reflektion der eigenen
Methoden, Herangehensweisen, Ansichten und
Rollenverständnisse durch die Workshops wurde
als sehr bereichernd wahrgenommen.
1
„Gemeinwesenarbeit richtet sich ganzheitlich auf die
Lebenszusammenhänge von Menschen. Ziel ist die Verbesserung von materiellen […], infrastrukturellen […], und immateriellen Bedingungen unter maßgeblicher Einbeziehung der
Betroffenen. GWA integriert die Bearbeitung individueller
und struktureller Aspekte in sozialräumlicher Perspektive.
Sie fördert Handlungsfähigkeit und Selbstorganisation im
Sinne von kollektivem Empowerment sowie den Aufbau von
H Markus Runge ist seit 2019 Geschäftsführer
des Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. und
seit 1998 als Gemeinwesenarbeiter in Berlin-Kreuzberg für das Nachbarschaftshaus tätig. Nebenher unterrichtet er an verschiedenen
Hochschulen für Soziale Arbeit. Er ist Mitglied
im Vorstand des VskA Bundesverbandes.
In der Praxis sieht es also häufig schon anders aus:
Für Nachbarschafts- und Gemeinwesenarbeiter*innen stellt sich die Frage nach effektiven Methoden.
Außerdem werden Kolleg*innen immer wieder mit
Erwartungen und Aufgaben konfrontiert, die eine
Zielklärung und Selbstreflexion im Sinne der Nach-
Netzwerken und Kooperationsstrukturen. GWA ist somit immer sowohl Bildungsarbeit als auch sozial- bzw. lokalpolitisch
ausgerichtet […]“ siehe Stövesand/Stoik 2013: 21
2
„Nachbarschaftsarbeit ist gemeinwesenorientierte,
zielgruppen- und bereichsübergreifende soziale Arbeit.
Nachbarschaftsarbeit trägt dazu bei, Lebensbedingungen so
zu gestalten, dass Menschen entsprechend ihrer Bedürfnisse
å m.runge@nachbarschaftshaus.de
im Stadtteil zufrieden(er) leben können. Nachbarschaftsarbeit
findet in und durch Nachbarschaftshäuser statt.“ siehe VskA
Arbeitsmaterial
2018
ā Die erwähnten Praxisbeispiele sind als Arbeitsblätter unter www.vska.de veröffentlicht.
senarbeit und Soziale Stadtentwicklung Berlin
3
4
LAG GWA Berlin: Landesarbeitsgemeinschaft Gemeinwe-
Methoden sind „bewusst gewählte Verhaltensweise[n] zur
Erreichung eines bestimmten Zieles [und] erprobte, überlegte
und übertragbare Vorgehensweisen zur Erledigung bestimmter Aufgaben und Zielvorgaben“ siehe Schilling 1993: 65
24
Haltungen in der Gemeinwesenarbeit entwickeln
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
25
Vladimir K. (Bibliotheksangestellter aus Tschechien, nimmt aufgrund einer
Zeitungsanzeige am Projekt Ich werde älter teil)
„Es ist wichtig, immer wieder rauszugehen aus den
Einrichtungen, die Menschen zu fragen und zuzuhören.“ und „Fragt nach dem Willen und den Interessen, nicht nach den Bedarfen und Wünschen.“
1. Anlässe und Rahmen für gemeinsame Erlebnisse
schaffen
Beispiele: kochen, musizieren, Spaziergänge,
Sprachcafés, gemeinsam über Bedarfe im Stadtteil
sprechen, Stadtteilfeste organisieren, Kiez Karaoke
International, Erzählcafés
Erwähnt wurden Methoden, die Räume schaffen,
in denen Anwohner*innen durch das gemeinsame
Handeln mit Spaß und Kreativität niedrigschwellig
zusammenkommen und Verständnis füreinander
entwickeln können.
„Man muss nicht immer „ALLE“ zusammenbringen
an einem Ort, wenn es verschiedene Interessen
gibt, sind auch verschiedene Orte und Anlässe ok.“
2. Rausgehen aus dem Büro für Gespräche mit
Anwohner*innen
Beispiele: Aktivierende Befragung/ aufsuchende
Einzelgespräche, (Info-/Mitmach-)Stand an öffentlichen Orten, Kiezbankgespräche, an Türen klingeln
oder Flyer an Türen kleben, Eiswagen zur Umwerbung eines neuen Angebotes
Genannt wurden Methoden, durch die auf Menschen in den Nachbarschaften zugegangen wurde.
26
Methoden unterschiedlich ausgewählt und angewendet und nach anderen Erfolgskriterien
bewertet. Deshalb ist es wichtig, sich gerade
bei Misserfolg einer Methode Gedanken über
die eigene Haltung zu machen.
„Neugier auf andere Menschen und Kulturen
lässt sich nicht „verordnen““
03. Die Teilnehmer*innen der beiden Workshops
auf der Jahrestagung Stadtteilarbeit des
VskA hatten zu ca. 90% nur bis zu zwei Jahre
Berufserfahrung in der Gemeinwesen- und
Nachbarschaftsarbeit. Viele waren Quereinsteiger*innen unterschiedlichen Alters. So
überrascht es nicht, dass unter den vorgestellten Methoden, vor allem die interessierten, welche ein (erstmaliges) Erreichen und
„Aktivieren“ von Bewohner*innen ermöglichen. Das unterstreicht die Notwendigkeit von
regelmäßigen, immer wiederkehrenden Inputs
und Austauschen über Methoden für die Neueinsteiger*innen, wie sie z.B. in den Workshops
auf der Jahrestagung Stadtteilarbeit oder im
GWA-Forum in Berlin erfolgten.
04. Deutlich wurde, dass es unterschiedliche Vorstellungen über die Begriffe „Nachbarschaftsarbeit“, „Stadtteilarbeit“ und „Gemeinwesenarbeit“ bei Professionellen in dem Arbeitsfeld
und noch mehr bei den Auftrag- und Geldgeber*innen gibt. Hier sollten wir Professionelle
Klarheit haben oder mindestens die Unklarheiten kennen. Obwohl Nachbarschaftsarbeit und
Gemeinwesenarbeit von den Grundprinzipien
3. Gestaltung von Kommunikationsprozessen
Beispiele: Einzelgespräche, Ideenwerkstatt, Bürgerversammlungen, Begleitung von Initiativen
Die Bedeutung der Gestaltung von Kommunikationsprozessen wurde mehrfach betont. Je nach
Anlass ist dabei eine neutrale oder eine parteiliche Haltung, bzw. eine reflektierte Parteilichkeit
notwendig.
„Jede klare Position ist besser als keine. In der
Auseinandersetzung mit Menschen, die sich menschenverachtend äußern: die eigenen persönlichen
Grenzen authentisch rüberbringen. „Damit bin ich
nicht einverstanden.“ und „Da sind wir offensichtlich ganz verschiedener Meinung.“ und „Ich muss
nicht alles begründen.“
Andrea K. (Teilnehmerin bei Stadt Inklusive!)
Folgende Methoden wurden besonders positiv
bewertet:
oder nicht. Viele Workshop-Teilnehmer*innen
fanden es deshalb wichtig, zu reflektieren, welche Ziele sie mit der eigenen Arbeit verfolgten
und ob die Interessen der Bewohner*innen
ausreichend beachtet wurden. Eine Ehrenamtliche sagte während eines Workshops zu den
hauptamtlichen Nachbarschaftsarbeiter*innen:
„Traut eurem Gefühl! Wenn ihr merkt, dass ihr
Leuten etwas aufdrängen müsst, sind deren
Interessen und Energie vielleicht einfach
woanders.“
Wichtig ist an dieser Stelle nachzufragen, wo
die Interessen (auch Frust und Wut zeugen
von Interesse für ein Thema) und der Wille der
Person liegen und was die Person bereit wäre,
zu tun, um an der Situation etwas zu verändern.
02. Im Austausch über Methoden und beim Versuch, sie zu beschreiben, ging es immer wieder
um Fragen nach der eigenen Haltung, aus der
heraus diese Arbeit getan wird. Sowohl in der
Nachbarschaftsarbeit, als auch der Gemeinwesenarbeit darf die soziale Bindung(sarbeit)
nicht aus dem Blick verloren gehen. Empathie,
Klarheit in der Kommunikation, die Bereitschaft zur eigenen und insbesondere interkulturellen Reflexion sowie Interesse für weitere
politische Zusammenhänge gehören zu den
zentralen Voraussetzungen für professionelle
Fachkräfte, um im Stadtteil mit Menschen
zusammenzuarbeiten. Je nach Haltung werden
Unsere Schlussfolgerungen
01. Häufig sind Professionelle mit mehreren Zielvorstellungen konfrontiert: denen des Trägers,
des Geldgebers und denen der Bewohner*innen und den eigenen. Daraus ergeben sich
auch unterschiedliche Bewertungen, ob die
Anwendung einer Methode zielführend war
Methoden in der Gemeinwesen - und Nachbarschaftsarbeit
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
27
Berichte und Erfahrungen aus der Praxis
her sehr ähnlich sind, sich gut ergänzen und
gemeinsam gedacht werden sollten, gibt es
durchaus Unterschiede in der alltäglichen Arbeit, im Selbstverständnis und in den Zielen.5
Wir würden uns deshalb über einen verbands
internen Austausch zu den Begrifflichkeiten
freuen.
05. Die Workshops waren ein guter Startpunkt
von Reflexionsprozessen und es haben sich
zahlreiche Anschlussmöglichkeiten für weitere
mögliche Fachaustausche ergeben.
Praxisbeispiele zum
Arbeitsfeld Nachhaltigkeit
MITTELHOF E.V. BERLIN
Rahmenthema „Es ist 5 vor 12 – Klima wandeln!“
H Katharina Kühnel-Cebeci ist Vereinsberaterin
im Nachbarschaftsheim Neukölln e.V., sowie
Geschäftsstellenleitung der BAG GWA6. Aufbauend auf ihren internationalen Erfahrungen
in San Francisco und Istanbul hat sie zuvor das
Nachbarschaftshaus am Körnerpark geleitet.
Literatur
H Tom Liebelt ist als Gemeinwesenarbeiter beim
Gemeinwesenverein Heerstraße Nord e.V. in
Berlin tätig. Er unterstützt verschiedenste Anwohner*innen(gruppen) bei der Selbstorganisation und Bearbeitung stadtteilbezogener
Themen.
Runge, Markus (2017): Nachbarschaftshäuser und
Gemeinwesenarbeit. In: Forum Wohnen und Stadtentwicklung 4/2017
H Hille Richers engagiert sich für die Themen
Aktivierung, Gemeinwesenarbeit, Organisationsentwicklung und Community Organizing.
Sie hat das Forum Community Organizing e.V.
(fo-co.info ) mitgegründet und arbeitet jetzt im
Bereich „Profil“ für die SozDia Stiftung Berlin.
Stövesand, Sabine; Stoik, Christoph; Troxler, Ueli
(Hg.) (2013): Handbuch Gemeinwesenarbeit. [Traditionen und Positionen, Konzepte und Methoden
; Deutschland - Schweiz - Österreich]. Opladen
(Buchreihe Theorie, Forschung und Praxis der sozialen Arbeit, 4), S.21
Lüttringhaus, Maria/ Richers, Hille: Handbuch
Aktivierende Befragung, 4. aktualisierte, ergänzte
Auflage, 2019 oder www.buergergesellschaft.de/
praxishilfen/aktivierende-befragung
Schilling, Johannes (1993): Didaktik/Methodik der
Sozialpädagogik. Luchterhand, Neuwied
Wegweiser Bürgergesellschaft, www.buergergesellschaft.de/mitentscheiden/methoden-verfahren/
meinungen-einholen-buergerinnen-und-buerger-aktivieren/
Mit dem diesjährigen Rahmenthema „Es ist 5 vor
12 – Klima wandeln“ stellt sich der Mittelhof mit
seinen über 400 Mitarbeiter*innen einer der drängendsten sozialen Fragen überhaupt, dem durch
uns Menschen verursachten Klimawandel. Neben
Fragestellungen wie zum Beispiel der klimaschutzfreundlichen Sanierung unserer Gebäude, der
Umstellung unseres Fuhrparks auf E-Mobilität und
Einrichtung einer Ausleihstelle für Lastenfahrräder,
beschäftigen wir uns mit dem Thema vor allem im
Kontext unserer pädagogischen Arbeit mit Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen in unseren Kitas,
Schulkooperationen, Jugendfreizeiteinrichtungen
oder im Stadtteilzentrum an mehr als 30 Standorten. In einer gemischt zusammengesetzten Projektgruppe engagierter und fachlich versierter Mitarbeiter*innen aus den verschiedenen Bereichen
wird Wissen gebündelt, das Handlungssicherheit
schafft und Aktionen & Projekte vorbereitet, die
zum Handeln ermuntern und deutlich machen, das
es auf jede/n Einzelnen ankommt. Zwei Leuchttürme der Projektarbeit sind eine Broschüre „Bildung
für nachhaltige Entwicklung – Methoden und
Übungen für die pädagogische Arbeit im Mittelhof
e.V.“ mit einer Sammlung von handlungspraktisch
aufbereiteten Methoden/Übungen im Bereich
Natur- und Erlebnispädagogik für Kita, Schule und
Erwachsene, deren Fertigstellung für das Frühjahr
geplant ist. Ebenfalls im Frühjahr ist eine World-Café-Veranstaltung geplant, die alle Mitarbeiter*innen
adressiert. Unter Bezugnahme auf das Leitbild des
Mittelhof e.V. „Wir. Leben. Vielfalt“ soll der Klimawandel als in erster Linie soziale und kulturelle Herausforderung gemeinsam diskutiert und Ansatzpunkte im eigenen Handeln reflektiert werden.
T Mittelhof e.V.
Königstraße 42 - 43
14163 Berlin
¶ 030 80 19 75 11
5
Runge 2017
6
Bundesarbeitsgemeinschaft Soziale Stadtentwicklung
NACHBARSCHAFTSHEIM DARMSTADT
Nachbarschaftsgarten
Der Nachbarschaftsgarten ist ein Projekt des
Nachbarschaftsheims Darmstadt e.V.. Durch das
Engagement von Firmen und Bürger*innen sind
auf 4.000 m² Fläche acht Saisongärten und zwölf
Hochbeete entstanden. 2018 entstand eine Bühne,
Leseinseln und ein Kunstatelier. In den Sommermonaten von Mai bis September ist der Garten
geöffnet. Es finden Konzerte, Kindertheater,
Lesungen, Sportangebote, Kunstausstellungen statt
und verschiedene Foodtrucks bieten kulinarische
Angebote. Die Organisation und Koordination
der Veranstaltungen des Gartens findet durch das
Nachbarschaftsheim Darmstadt e.V. als sozial-kultureller Verein statt. Ein wesentlicher Bestandteil
des Gartens ist das tatkräftige, ehrenamtliche
Engagement von Bürger*innen. Der Nachbarschaftsgarten in Bessungen soll zur Vermittlung
eines nachhaltigen Lebensgefühls und Verantwortungsbewusstseins im Stadtteil beitragen. Er ist
wichtiger Treffpunkt für eine aktive Nachbarschaft
und Besucher*innen.
T Nachbarschaftsheim Darmstadt e.V.
Schlösschen im Prinz Emil Garten
Heidelberger Straße 56, 64285 Darmstadt
¶ 06151 13 61 30
å info@nbh-darmstadt.de
ā www.nbh-darmstadt.de
QUÄKER NACHBARSCHAFTSHEIM KÖLN
Nachhaltige Kita: Die Projekte „StERN“ und MehrwertKonsum
Eine wichtige Aufgabe in unserer Kita ist die Vermittlung von Ernährungsbildung. Bei uns werden
größtenteils Grundlagen der Geschmacksbildung
gelegt, denn die Kinder verbringen einen großen
Teil des Tages mit mehreren Mahlzeiten in der Kita.
Die Wertschätzung von Lebensmitteln und eine bewusste Ernährung sind fest im Konzept verankert.
Das gemeinsame Einkaufen, Kochen und Backen
gehört für unsere Kinder zum Alltag.
å kontakt@mittelhof.org
ā www.mittelhof.org
und Gemeinwesenarbeit e.V.
28
Methoden in der Gemeinwesen - und Nachbarschaftsarbeit
In unserer Küche wird täglich für bis zu 170 Kinder
frisch gekocht. Unsere Kinder erleben die Pro-
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
29
duktion vom frischen Gemüse zu einem leckeren
Mittagessen. Das gemeinsame Essen nehmen wir
täglich zum Anlass, um Fragen rund um die Ernährung mit den Kindern zu thematisieren. Woher
kommen unsere Lebensmittel? Wie werden sie
angebaut oder produziert? Was wächst bei uns in
den verschiedenen Jahreszeiten? Und was hat das
mit dem Klima zu tun?
Die Beteiligung am Projekt „StERN“ (Steigerung
von Ernährungsbildung, Regionalität und Nachhaltigkeit) zusammen mit anderen Kooperationspartnern war uns ein Anliegen.
Durch die Teilnahme am Projekt „StERN“ bekamen
wir Inspirationen und Ideen, damit wir uns stetig
verbessern können. Auf unserem Speiseplan stehen
nun vermehrt Gerichte aus regionalen und saisonalen Lebensmitteln, Lieferwege und Verpackungsmüll sollen weiter reduziert werden.
Im MehrwertKonsum-Projekt der Verbraucherzentrale haben wir über einen Zeitraum von zwei
Wochen täglich unsere anfallenden Teller- und
Ausgabereste des Mittagessens gewogen und festgestellt, dass wir bereits auf einem guten Weg sind.
Eine Ökotrophologin hat uns beraten, wie wir z.B.
durch eine noch bessere Kalkulation der Produktionsmenge noch bessere Ergebnisse erreichen können. Sie führte weiterhin einen Speiseplan-Check
unter Berücksichtigung klimafreundlicher Kriterien
durch.
Weiterhin ist in dem Projekt die Erstellung einer
Rezeptbroschüre mit klimafreundlichen Rezepten
für die Gemeinschaftsverpflegung in Kitas, Schulen
und Jugendherbergen in Planung, alle beteiligten
Institutionen wollen ihre besten Rezepte miteinander teilen.
T Quäker Nachbarschaftsheim e.V.
Kreutzer Str. 5-9
50672 Köln
Praxisbeispiele zum
Arbeitsfeld Partizipation und
Demokratie
BEISPIEL: NACHBARSCHAFTSBÖRSE ACKERMANNBOGEN „BÜRGERBETEILIGUNG AUS
DER QUARTIERSPERSPEKTIVE“
Nachbarschaftstreffs unterstützen Bürgerengagement im Wohnumfeld und können Zugang zu
bislang kaum erreichten Zielgruppen vermitteln.
In den derzeit 42 Münchner Nachbarschaftstreffs
wird Bürgerbeteiligung im Sinne von Teilhabe und
Bürgerengagement im Wohnumfeld praktiziert.
Anders als bei großen Planungsvorhaben, werden
mit diesem Ansatz quartiersbezogener Bürgerbeteiligung auch benachteiligte Bevölkerungsgruppen
erreicht. Könnten davon auch klassische Bürgerbeteiligungsverfahren profitieren?
Vom Eigennutz zum Gemeinwohl - die NachbarschaftsBörse Ackermannbogen
Mit Bezug der ersten Häuser im Neubaugebiet
Ackermannbogen ging 2005 auch die NachbarschaftsBörse in Betrieb. Gefördert von Sozialreferat der Stadt München arbeitet die NachbarschaftsBörse - ebenso wie derzeit 42 weitere
Nachbarschaftstreffs im ganzen Stadtgebiet - nach
dem Konzept der Quartierbezogenen Bewohnerarbeit.
Der Name NachbarschaftsBörse ist Anspruch und
Programm zugleich. Mit ihren drei Standorten
für rund 7000 Nachbar*innen, ist „die Börse“ die
zentrale Anlaufstelle im Quartier für alle Fragen
rund um Nachbarschaft und Wohnen. Leitmotiv
aller Unterstützungsangebote ist immer der Ansatz
„Hilfe zur Selbsthilfe“, sprich die Stärkung von
Selbstorganisationskräften und Eigenengagement
im und für das Wohnumfeld.
¶ 0221 951 54 0-0
å info@quaeker-nbh.de
ā www.quaeker-nbh.de
30
Dazu ein Beispiel aus dem Treff-Alltag am Ackermannbogen: Eine Muslima fragt im Quartiersbüro
nach, ob es möglich wäre, ein regelmäßiges Treffen
für migrantische Nachbarinnen im Quartier zu
organisieren. Dank vorhandener Gemeinschaftsräume und Netzwerke der Treffleitung zu anderen
Frauen mit Migrationsgeschichte ist so ein Angebot rasch etabliert. Die Themen bei den komplett
ehrenamtlich organisierten Treffen reichen von
Erziehungs- über Beziehungsthemen bis hin zu
Tipps für Stellen- und Qualifizierungsangebote.
Positiver Nebeneffekt: Eine Stärkung des nachbarschaftlichen Miteinanders und der gegenseitigen
Praxisbeispiele zum Arbeitsfeld Partizipation und Demokratie
Helene Schweida wurde am 11.05.1889 in Braunschweig geboren und verstarb am 6.9.1973 im
Borgfelder Familiensitz.
Ihr Vater war Tischler, die Mutter Köchin. 1890
wurde der Vater wegen seiner gewerkschaftlichen
und politischen Aktivitäten aus Braunschweig
ausgewiesen; die Familie zog nach Bremen. Helene Schweida besuchte die Volksschule und die
Handelsschule. Sie absolvierte eine kaufmännische
Lehre und arbeitete bis 1912 als Buchhalterin. Als
18jährige wurde sie Mitglied der SPD. Sie übernahm diverse Parteiämter und war eine vielbeschäftigte Rednerin.
Während des 1. Weltkrieges arbeitete Helene
Schweida zunächst im Zentral-Hilfs-Ausschuss
vom Roten Kreuz mit. Seit 1916 wandte sie sich
zunehmend von der Politik ihrer Partei ab und
wurde eine der Führerinnen der antimilitaristischen Frauenbewegung in Bremen und Mitglied
der oppositionellen Jugendbewegung.
Nach ihrer Heirat mit Wilhelm Kaisen zog sich
Helene Kaisen aus dem politischen Leben zurück,
wandte sich aber wiederum sozialen Angelegenheiten zu. Sofern sie nicht unmittelbar Mitbegründerin des Ortsausschusses für AWO war, gehörte
sie zumindest zu den tätigen Mitgliedern der
Organisation während der Weimarer Zeit.
Nach Kriegsende engagierte sich die „first lady“
Bremens (Wilhelm Kaisen wurde am 01.08.1945
zum Bürgermeister und Präsidenten des Bremer
Senats ernannt) erneuert für die AWO. Eine aktive
Rolle in der „Wohlfahrtspflege“ übernahm sie erst
mit der Gründung des Vereins Nachbarschaftshaus
Bremen e.V. Zwischen 1951 und 1964 war sie die
Vereinsvorsitzende.
HELENE SCHWEIDA
Der Plan eines „Nachbarschaftshauses“ geht auf
Kontakte zurück, die die AWO Deutschland kurz
nach Kriegsende in den USA zum Sozialwerk der
Unitarian Service Committee“ (USC), geknüpft
hatte. Das freireligiöse Sozialwerk hatte von
sich aus die Idee entwickelt, in Deutschland ein
Nachbarschaftshaus in Anlehnung an amerikanische Modelle aufzubauen und damit einen Beitrag
zur demokratischen Erneuerung Deutschlands zu
leisten.
Quelle: Von Friedrich Ebert bis Ella Ehlers
Zur Vorgeschichte und zur Geschichte der bremischen Arbeiterwohlfahrt
von Jürgen Blandow, Edition Temmen, Bremen
1995 1
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
31
Sebastian V. (Teilnehmer bei Stadt Inklusive!)
Unterstützung im Alltag – im Bedarfsfall reicht eine
whats-app-Nachricht in die Runde. Viele Teilnehmerinnen dieses Kreises erfahren hier erstmalig
den Mehrwert von Engagement, das über unmittelbares Eigeninteresse hinausreicht und bringen
gerne ihre Kompetenzen ein. Beim letzten Treffen erfuhren die Frauen von einer benachbarten
Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Spontan entschieden sie, diese zum Kochen
und Essen einzuladen. Ein Beispiel von „give back“,
Engagement bei einem aktuellen Thema.
In jedem Nachbarschaftstreff in München gibt es
Dutzende solcher Beispiele von gelungener Beteiligung im Quartierskontext – ein mit Blick auf breiter
angelegte Bürgerbeteiligungsthemen bislang kaum
genutzter Erfahrungsschatz.
Handlungsbefähigung im Kleinen als Grundlage
für Bürgerbeteiligung im Großen
Der Empowerment-Ansatz der Münchner Nachbarschaftstreffs ermöglicht benachteiligten Menschen
im Quartier die Erfahrung von Selbstwirksamkeit.
Sie merken, dass es sich lohnt, sich für eigene Belange einzusetzen und die Vernetzung mit Gleichgesinnten eine große Bereicherung für die eigene
Lebensqualität und Wohnzufriedenheit bringt. Sehr
oft handelt es sich dabei um Themen, die nicht nur
Einzelnen einen Mehrwert bringen, sondern grundlegende Gemeinwohl-Aspekte beinhalten. Die so
gestärkte Handlungsbefähigung ist eine notwendi32
ge Grundlage für den nächsten Schritt: Beteiligung
über persönliche oder wohnumfeldbezogene Anliegen hinaus. Außer einer Anpassung der oft ziemlich
akademischen Formate von Bürgerbeteiligungsprozessen, braucht es ein „Runterbrechen“ der großen
Themen auf alltagsrelevante Zusammenhänge und
die kontinuierliche und professionell unterstützte
Stärkung von „Wollen“ und „Können“ auf Seiten
benachteiligter Gruppen. Letzteres könnte der
Beitrag der Münchner Nachbarschaftstreff zu einer
selbstverständlicher praktizierten und breiter verankerten Kultur der Bürgerbeteiligung bei bislang
kaum erreichten Zielgruppen sein.
bereit sich für Quartiersbelange zu engagieren.
• Nachbarschaftstreffs erhöhen durch ihre quartierbezogenen Angebote die Identifikation mit
dem Wohnumfeld und damit auch das Interesse
für Quartiers- und Stadtteilthemen.
• Nachbarschaftstreffs identifizieren und „pflegen“ lokale Multiplikatoren, die Zugang zu
ansonsten nur schwer erreichbaren Zielgruppen
finden (Migranten, Kinder/Jugendliche, Menschen mit Beeinträchtigungen, bildungsferne
Gruppen)
• Nachbarschaftstreffs bespielen öffentliche Räume durch niedrigschwellige Mitmach-Angebote
und bieten damit auch jenen eine Bühne, die
sich sonst nicht beteiligen.
Schlussgedanken
Das Beispiel Ackermannbogen zeigt: Bürgerbeteiligung auf Quartiersebene funktioniert und wirkt
positiv auf die Entwicklung der Quartiere. Sie ist
außerdem auch ein Lernfeld: Bürger*innen aller
sozialen Schichten erfahren hier entlang ihrer
eigenen Themen den Mehrwert, die Methoden und
Potenziale, aber auch die Grenzen von Mitgestaltung und Beteiligung.
Die Münchner Nachbarschaftstreff agieren an der
Schnittstelle zwischen lokalen, lebensweltbezogenen Einzelanliegen und der - angesichts einer
immer disparater werdenden Stadtgesellschaft
- notwendigen Stärkung von Gemeinsinn und
Gemeinwohl. Diese Schnittstelle gilt es zu stärken.
Dazu braucht es eine entsprechende konzeptionelle Weiterentwicklung und langfristig gesicherte
Ressourcenausstattung der Quartierbezogenen
Bewohnerarbeit. Denn: Quartiere und Nachbarschaften sind für wichtige zivilgesellschaftliche
Themen wie Bürgerbeteiligung, Inklusion und
zeitgemäße Versorgungskonzepte die passende
Zugangs- und Umsetzungsebene.
Nachbarschaftstreffs als Akteure quartierbezogener Bürgerbeteiligung
• Nachbarschaftstreffs bieten niedrigschwelligen
und professionell unterstützen Zugang zum
Thema Bürgerbeteiligung im Quartierskontext.
• Multifunktionale Gemeinschaftsräume im
Quartier sind die strukturelle Basis für nachbarschaftliche Aktivitäten, Begegnung und Vernetzung und damit auch Basis für Teilhabe und
Beteiligung.
• Nachbarschaftstreffs ermöglichen vielfältige
Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, was wiederum die Bereitschaft zu Beteiligung und Engagement für‘s Gemeinwohl erhöht.
• Nachbarschaftstreffs sorgen für eine Balance
zwischen Eigennutz und Gemeinsinn: wer bei
eigenen Anliegen unterstützt wird, ist auch eher
Praxisbeispiele zum Arbeitsfeld Partizipation und Demokratie
H Heidrun Eberle ist Sozial-Geographin und Moderatorin, sie leitet die NachbarschaftsBörse
am Ackermannbogen und hat die Geschäftsführung des Ackermannbogen e.V. inne.
T Ackermannbogen e.V.
Rosa-Aschenbrenner-Bogen 9
80797 München
¶ 089-307 496 34
å info@ackermannbogen-ev.de
ā www.ackermannbogen-ev.de
BEISPIEL: QUÄKER NACHBARSCHAFTSHEIM
KÖLN „UNS IST PARTIZIPATION WICHTIG. EIN
PROJEKT DER OFFENEN TÜR.“
Die Offene Tür (OT) des Quäker Nachbarschaftsheims ist eine Freizeiteinrichtung mit Übermittagsbetreuung für Kinder und Jugendliche. Derzeit
wird die OT im Durchschnitt von 83 Kindern und
Jugendlichen zwischen 10 und 24 Jahren täglich
besucht. Die Öffnungszeiten sind an Werktagen
zwischen 13 und 21 Uhr. Im Jahre 2019 nahmen
die Mitarbeiter*innen an einer Partizipations-Coaching-Maßnahme der Stadt Köln teil, um Partizipation kontinuierlich und nachhaltig in dem
pädagogischen Alltag zu verankern. Das Partizipationsprojekt, welches seit Anfang 2019 erfolgreich umgesetzt wird, besteht aus folgenden drei
Bausteinen:
01. Raumgestaltung
02. Ferienplanung
03. Kindervertretung
Begonnen wurde mit der Raumgestaltung. Hierbei
haben wir unseren Besucher*innen einen Raum zur
Verfügung gestellt, den sie nach ihren Vorstellungen und Wünschen gestalten konnten. Von der Planung über Akquise finanzieller Mittel, Wandfarbe,
Möbel, Festlegung der Regeln etc. wurde alles allein
von den Kindern entschieden. Bereits Mitte Juni
konnte der neue Raum, die „Quäker-Area“ feierlich
eröffnet werden.
Parallel dazu hatten die Kinder und Jugendlichen
der OT in den Oster-, Sommer- und Herbstferien
jeweils eine Woche, die sie selbständig gestalten
durften. Vorgabe von den Mitarbeiter*innen war
nur der zeitliche und finanzielle Rahmen. Viel positives Feedback der Kinder zeigte, dass Angebote, in
denen sie die Gestalter*innen ihrer eigenen Lebenswelt sein konnten, gerne angenommen wurden und
in der Regel zu erstaunlichen Ergebnissen führten.
Auf die Projekte „Raumgestaltung“ und „Ferienplanung“ folgte zu Beginn des neuen Schuljahres
19/20 die Wahl einer „Quäker Kinder Vertretung“.
Zuvor konnten sich die Besucher*innen mittels
eines kleinen Steckbriefes zur Wahl stellen. Am Tag
der Wahl trafen wir uns mit ca. 80 Kindern im Saal
des Quäker Nachbarschaftsheims. Hier präsentierten die Kinder sich mutig vor Publikum und
stellten sich und ihr Wahlprogramm vor. Aus den
über 20 Kindern, die sich zur Wahl stellten, wurden
nach geheimer Wahl 10 Kinder zur ersten „Quäker
Kinder Vertretung“ gewählt. Die Vertretung trifft
sich in regelmäßigen Abständen um neue Ideen
auszutauschen, Lösungsmöglichkeiten für Probleme zu finden und vieles andere. Die Pädagog*innen
sind auch hier nur Beisitzer und die Kinder können
im Mikrokosmos Jugendeinrichtung üben, wie
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
33
Demokratie funktioniert. Darüber hinaus lässt
sich feststellen, dass die Beteiligung von Kindern
und Jugendlichen sich in unserem Haus auch
zunehmend mehr im Alltag und anderen Bereichen
bemerkbar macht. Das Partizipationsprojekt war
auf vielen Ebenen ein voller Erfolg und wird auch im
neuen Jahr von uns fortgeführt.
T Quäker Nachbarschaftsheim e.V.
Kreutzer Str. 5-9
50672 Köln
¶ 0221 951 54 0-0
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Praxisbeispiele zum
Arbeitsfeld Digitalisierung
QUÄKER NACHBARSCHAFTSHEIM
Anders digital vernetzt.
Im Quäker Nachbarschafsheim e.V. in Köln überlegen wir uns seit einiger Zeit, wie wir uns abseits der
kommerziellen und etablierten Netzwerke, digital
mit unserer Nachbarschaft vernetzen können.
Grundsätze die uns in unser analogen Arbeit wichtig sind, zählen für uns auch in der digitalen Arbeit.
Wir würden es nicht tolerieren, wenn jemand mit
Kamera, Tonbandgerät und Notizblock vor unseren
Türen steht und ständig, 24 Stunden am Tag, 7 Tage
die Woche genau protokollieren würde, wer unser
Bürgerzentrum betritt und verlässt. Erst recht ist in
unserem Haus das Protokollieren der Anwesenheit
unserer Besucher*innen und deren Interessen für
Ausstehende streng untersagt.
Facebook & Co (und dazu gehört auch nebenan.de)
tun aber genau dieses, sie protokollieren diese Vorgänge und werten sie für ihre Geschäfte aus. Trotz
all ihren praktischen Funktionen sind solche Portale
aus diesem Grund für unsere offene Nachbarschaftsarbeit nicht akzeptabel, bzw. nur temporär
in geringem Maße vertretbar.
So werden wir Herr über eine Insel, die, wenn wir es
denn wollen, aber sehr wohl Verbindungen zu dem
Rest der Welt unterhält. Für unsere Insel und die
hier anfallenden Mitglieder- und Netzwerkdaten
übernehmen wir Verantwortung. Wir können so
den Besucher*innen des Bürgerzentrums vorleben
und schließlich vermitteln, wie man selber wieder
Kontrolle über seine Daten erlangt. Denn neben
dem Betreiben von eigener Hardwaretechnik, besteht der anstehende Prozess vor allen Dingen aus
Wissensvermittlung.
Es wird ein langer und sicher auch mühsamer
Lernprozess sein, denn viele in unserer Gesellschaft
haben sich in den letzten Jahren zwar immer mehr
digital vernetzt, aber die zu Grunde liegenden
Strukturen vernachlässigt. Viele sind gefangen in
abgeschlossenen Netzwerken und fast ohnmächtig und achselzuckend den Kräften des Marktes
ergeben.
Der Lernprozess wird bei den Mitarbeiter*innen
unseres Hauses anfangen. Wenn diese, die neue
Software beherrschen, wird eine Vermittlung gegenüber Interessierten gut möglich sein, weil gute
Argumente überzeugen können. Mit so gewonnenen Multiplikatoren hoffen wir uns in den nächsten
Jahren Schritt für Schritt von den kommerziellen und etablierten Netzwerken unabhängig zu
machen. Gleichzeitig könnten wir Impulse für eine
offene und freie digitale Gesellschaft geben.
Jedes Nachbarschaftsheim, Bürgerzentrum oder
auch Veedel Verein ist eingeladen, sich an diesem
Prozess zu beteiligen. Wir sind sehr an einem Austausch interessiert.
T Quäker Nachbarschaftsheim e.V.
Kreutzer Straße 5-9
50672 Köln
¶ 0221 951 54 0-0
å info@quaeker-nbh.de
ā www.quaeker-nbh.de
in Kooperation mit MuK Hessen, www.muk-hessen.de, organisisert das Nachbarschaftsheim
Darmstadt eine Schulungs- und Beteiligungsangebote für alle Generationen zu digitalen Themen:
Jugend mit Programm – Codier Dir was –
Ein Coding-Making-Workshop
Algorithmen bestimmen unser Leben, zumindest
beim Nutzen digitaler Geräte, Apps und Programme. Was bedeutet das eigentlich? Was ist ein Algorithmus und wie werden Maschinen oder das Denken des Computers über Codes gesteuert? In dem
Angebot gehen wir der Funktionsweise dieser in
allen digitalen Anwendungen steckenden Programmen auf den Grund. Auf iPads schreiben wir eigene
Codes, mit denen Drohnen gesteuert werden, kleine Roboter möglichst schnell einen vorher festgelegten Parcour abfahren oder definierte Aufgaben
erledigen. Mithilfe eines Einplatinen-Computers
entwickeln wir automatische Schreibmaschinen
oder elektronische Klaviere und andere verrückte
Dinge. Die Teilnehmer*innen bekommen mit spielerischen Elementen eine Einführung in unterschiedliche Programmiersprachen und werden am Ende
selbst eigene Codes programmieren können und
„Dinge zum Leben“ erwecken.
Schlösschengeister Kinder Redaktion – Kids Radio
Die „Schlösschengeister“ sind die Kinder-Radio-Redaktion des Prinz-Emil-Schlösschens. Einmal im
Jahr bringen die Kinder ihre eigenen Ideen in eine
bunte Radiosendung, die bei Radio Darmstadt
produziert und in die ganze Welt und natürlich in
das Empfangsgebiet von Radio Darmstadt gesendet wird. Die Themen werden von den Kindern
selbst bestimmt und gestaltet. Dabei erhalten sie
professionelle Unterstützung zu allen wichtigen
Themenbereichen rund ums Radio machen, wie
Jingle-Produktion, journalistische Grundlagen,
Interviewtechniken, Formate im Radio, Aufnahmetechnik mit Mikro unterwegs und Audioschnitt am
PC. Der letzte Ferienspieltag wird zum spannenden
Ausflug in das Studio von Radio Darmstadt, bei dem
die ganze Sendung produziert wird.
Mein erstes Smartphone
Du freust Dich riesig, dass Du Dein erstes Smartphone bekommen hast. Von nun an wird Dich
dieses Gerät ständig begleiten und es gibt viel zu
entdecken. Wir wollen zusammen über Tipps und
Tricks sprechen, die Ärger vermeiden und für den
richtigen Durchblick sorgen.
Wir testen deshalb andere Möglichkeiten, um uns
zu vernetzen und betreten dabei Neuland. Wir sind
dabei, eigene Server mit Open Source Software
zu installieren, die sich mit anderen Servern, in
Netzwerken mit dezentraler Struktur, verbinden.
34
NACHBARSCHAFTSHEIM DARMSTADT
Praxisbeispiele zum Arbeitsfeld Digitalisierung
Sicheres Surfen, Einkaufen und Banking im
Internet
Unser Alltag wird immer digitaler, das gilt auch für
die Informationsbeschaffung, das Shoppen und
auch für Bankgeschäfte. Erfahren Sie, welche Herausforderungen und Gefahren hier lauern und wie
Sie sich sicher und ohne Sorge im Netz bewegen
können.
Digitales Kaffeekränzchen
Beim digitalen Kaffeekränzchen geht es um Austausch und Lernen in einer digitalisierten Welt.
Jung und Alt beschäftigen sich mit den Einstellungen und Funktionen von Smartphone und Tablet,
der Nutzung von Apps und sozialen Netzwerken.
Gemeinsam wird ausprobiert und nicht nur über
Technik diskutiert, sondern auch über menschliche
Werte und Haltungen, die bei der Diskussion um
die Digitalisierung oft zu kurz kommen.
Das erste Smartphone. Was Eltern wissen müssen
Der Wunsch nach einem Smartphone besteht bei
Kindern zunehmend früher. Viele Eltern sind damit
überfordert und können Ihr Kind beim Umgang mit
dem mobilen Gerät nicht ausreichend unterstützen.
Peter Holnick gibt Ratschläge, referiert und diskutiert über gute und schlechte Erfahrungen mit dem
Smartphone in Schule und Familie.
T Nachbarschaftsheim Darmstadt e.V.
Schlösschen im Prinz Emil Garten
Heidelberger Straße 56
64285 Darmstadt
¶ 06151 13 61 30
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ā www.nbh-darmstadt.de
Zusatzmaterial
Im Rahmen einer Workshopreihe mit Kolleginnen
und Kollegen aus Nachbarschaftshäusern hat der
VskA ein Konzept für digitale Tools und Arbeitsprozesse entwickelt, das unter vska.de veröffentlicht
ist.
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
35
Praxisbeispiele zum
Arbeitsfeld Begegnung
es von der Planung zur Umsetzung dauern wird.
Abschließend wurden die Teilnehmenden gebeten,
sich an den Tischen gemischt zu verteilen, was sehr
gut gelang. Jeder Arbeitsgruppe wurde eine Moderatorin zugeteilt, um ggfs. Hilfestellung zu geben.
Arbeitsphasen des Beteiligungs-Workshops
Gestaltung der Grünfläche am Mehrgenerationenhaus Rostock Lütten Klein
Das Mehrgenerationenhaus mit einer sehr großen
Außenfläche befindet sich am Rande des Stadtteiles, die allerdings nicht über Spielgeräte oder feste
Sitzmöglichkeiten, so dass es kaum als Begegnungsort genutzt werden kann.
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In einem ersten Schritt wurde eine Terrasse gepflastert, einzelne Bänke aufgestellt, Obstbäume
gepflanzt und ein Sandkasten geschaffen. Bis zum
letzten Jahr konnten Kinder und Jugendliche aus
dem offenen Treff die Spielmöglichkeiten auf dem
Gelände der gegenüberliegenden Grundschule nutzen. Seit dem Neubau eines Erweiterungsgebäudes
entfällt nun diese Möglichkeit auch noch.
Gemeinsam mit einem Architekturbüro haben
Besucher*innen des Hauses eine grobe Planung für
das Außengelände erstellt. Aufgrund der begrenzten finanziellen Mittel, wurde so geplant, dass einzelne „Räume“ entstehen, die Schrittweise, je nach
verfügbarem Budget, einzeln umgesetzt werden
können.
Partizipative Planung
Die Planung und Durchführung übernahmen drei
Mitarbeiterinnen von IN VIA Rostock e.V.
Am wichtigsten war ihnen, dass sich alle Beteiligten
gleichermaßen einbringen konnten. Kinder und
Jugendliche, Familien bis hin zu Erwachsenen einschließlich Senior*innen sollten beteiligt werden.
Je nach Altersgruppe mussten die unterschiedlichen Voraussetzungen der Teilnehmenden bei der
Methodenwahl berücksichtigt werden: Schreibkompetenz, Sachverstand, Nachvollziehbarkeit,
Zeitumfang.
Nun wurden drei Pläne mit dem Außengelände visualisiert, die als Arbeitsgrundlage für die
Teilnehmenden dienten und an drei Tischen
bearbeitet werden sollten. Zu Beginn des Beteiligungsworkshops durften sich die Beteiligten frei
an den Tischen verteilen und erhielten eine kurze
Einweisung: Sie sollten in Räumen planen, damit die
Abschnitte mit unterschiedlichen Finanzvolumen
umgesetzt werden können. Sie erhielten eine realistische Darlegung, was möglich ist und wie lange
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Begrüßung
Gruppeneinteilung
Erklären des Arbeitsauftrages
Arbeitsphase: Jede Person bekommt drei Moderationskarten, um drei Ideen aufzuschreiben.
Arbeitsphase: Die Ideen werden in der Gruppe
vorgestellt und thematisch geordnet.
Arbeitsphase: Arbeiten an der Geländeskizze:
Was wollen wir wo verwirklichen?
Arbeitsphase: Was ist uns besonders wichtig?
Pause
Vorstellen der Ergebnisse der Gruppenarbeit
auf den Geländeskizzen.
Gewichtung herstellen: Aufgabenstellung
„Bepunkten“ (4 Punkte für die besten Ideen. Ein
Punkt pro Idee)
Wie geht es weiter?
Verabschiedung
Michael S. (Architekt, setzt sich für barrierefreies Bauen ein,
Teilnehmer bei Stadt Inklusive!)
BEGEGNUNGSORT SCHAFFEN
Vor der Durchführung
Ergebnis der Beteiligung
Jede Gruppe arbeitete in ihren Plan Lage und
Prioritäten ein. Verschiedene Nutzungsbedürfnisse wurden in Themenbereiche zusammengefasst.
Nachdem alle Beteiligten ihren Plan vorgestellt
hatten, wurde mittels Punktvergabe eine Gesamtprioritätenliste erstellt. Diese diente als Grundlage
für das Gespräch mit einem Architekten.
Eine Erkenntnis der Partizipation zur Umgestaltung
der Fläche des Mehrgenerationenhauses ist, dass
es im Stadtteil insbesondere an Spielflächen für
kleinere Kinder fehlt. Die in Lütten Klein vorhandenen Spielplätze sind für Kinder ab 6 Jahren ausgelegt, denen es an Sitzmöglichkeiten für begleitende
Erwachsene fehlt. Aus Sicht der Erwachsenen
mangelt es an ausreichenden Abgrenzungen zu
Straßen und Wohngebäuden, was aus lärm – und sicherheitsrelevanten Gründen unumgänglich ist. Mit
der Umsetzung des Konzeptes auf der Fläche des
Mehrgenerationenhauses werden diese Bedenken
ausgeräumt, da der Wunsch nach einer weiträumigen Auslauffläche, Sitzgelegenheiten neben der
Spielfläche sowie ein angrenzendes ehrenamtliches
Café, erfüllt wurde.
Praxisbeispiele zum Arbeitsfeld Begegnung
Im Gespräch mit dem Architekten wurde deutlich,
dass es viel zu bedenken gibt und nicht alle Schritte
der Bauphase durch pädagogische Fachkräfte oder
ehrenamtliche Fachleute begleitet werden können.
Daher stand nun die Bauplanung mit externen
Experten an.
Verantwortung für das Gelände und das Gemeinschaftsgefühl der heterogenen Gruppen wird
gestärkt.
Sobald die Finanzierung endgültig gesichert ist, beginnt der Bau und entsteht ein neuer Begegnungsort in Rostock Lütten Klein.
Beginn der Durchführung
Gemeinsam mit einem Architekten wurde anhand
der Beteiligungsergebnisse ein Entwurfsplan erstellt. Hierbei wurde großer Wert auf eine inklusive
Form der Umsetzung von Ideen gelegt. Beeinträchtigen Menschen soll die Nutzung des Außengeländes gleichermaßen möglich sein. Wege und Plätze
sollen so gestaltet werden, dass der Zugang mit
Rollator, Kinderwagen oder sonstigen Mobilitätseinschränkungen problemlos erfolgen kann. Das
Miteinander der Generationen sowie die Begegnung der Bewohner*innen aus Lütten Klein mit
und ohne Beeinträchtigungen soll durch inklusive
Umsetzung weiter gestärkt werden. Bestehende,
zum Teil gespendete Bepflanzungen und vorhandene Geräte, wie Tischtennisplatten sollen erhalten
bleiben, um Ressourcen zu schonen.
IN VIA Rostock e.V. begleitet seit 1992 als anerkannter Träger der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere junge Menschen und Bewohner*innen
in Lütten Klein auf ihrem Weg zu einem eigenverantwortlichen Leben und bestärkt sie, aktiv an der
Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens mitzuwirken. Seit 2007 ist IN VIA Rostock e.V. Träger
des Stadtteil- und Begegnungszentrums in Rostock
Lütten Klein, welches seit 2008 auch Mehrgenerationenhaus ist.
Bei der Umsetzung soll darauf geachtet werden,
dass die Nutzer*innen des Hauses durch gemeinsames Mitarbeiten eingebunden werden. Beispielsweise können sie Beete anlegen, Pflanzungen
vornehmen. Hieraus entsteht eine gemeinsame
¶ 0381 – 77 88 03-0
T IN VIA Rostock e.V.
Danziger Str. 45d
18107 Rostock
å info@invia-rostock.de
ā www.invia-rostock.de
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
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Netzwerk- und Kompetenzprojekt zur Förderung
des interreligiösen und interkulturellen Dialogs im
Bezirk Mitte.
Das Leben im Bezirk Mitte und vor allem seinen
Ortsteilen Moabit, Wedding und Gesundbrunnen
ist von kultureller und religiöser Vielfalt geprägt.
Diese Vielfalt bietet seinen Bewohner*innen viele
Möglichkeiten und Freiräume, es stehen aber auch
Fragen zu grundlegenden Themen des Zusammenlebens im Raum. Wo liegen Gemeinsamkeiten und
Unterschiede der Bewohner*innen? Welche Anliegen und Bedürfnisse haben die Menschen?
Wie kann ein respektvolles und lebendiges Zusammenleben gelingen?
Das Bezirksamt Mitte von Berlin hat das Dialogund Kompetenznetzwerk MITTE IM DIALOG
initiiert. Umgesetzt wird MITTE IM DIALOG von
der Fabrik Osloer Straße e.V. in Zusammenarbeit
mit Network African Rural and Urban Development
(NARUD) e.V. und dem Zentrum für interreligiösen
Dialog Berlin Moabit (ZiD) e.V. Das Projekt startete
im August 2018 und läuft bis Ende 2021. MITTE
IM DIALOG wird über das Teilprogramm „Soziale
Stadt“ (Netzwerksfonds) des Programms Zukunftsinitiative Stadtteil II gefördert.
Peter S. (ehem. Koch, Teilnehmer des Projektes
Lebensgeschichten Wohnungsloser)
„MITTE IM DIALOG”
Georg Zinner steht für die „Bürgerinitiative“ freier
sozialer Arbeit, also soziale und gesundheitliche
Dienstleistungen und Aufgaben nachbarschaftlich
organisiert.
Er wurde 1948 und verstarb plötzlich und unerwartet 2014. Georg Zinner war Bankkaufmann,
Diplom-Sozialarbeiter und Diplom-Soziologe.
Nach Berufserfahrungen in der behördlichen Sozialarbeit wurde er 1978 Geschäftsführer des Nachbarschaftsheims Schöneberg, das er in mehr als
35-jähriger Tätigkeit zu einem der größten sozialen
Unternehmen in Berlin entwickelte. Gleichzeitig
engagierte er sich in den Jahren 1974 bis 1985 als
Lehrbeauftragter im Bereich Theorie und Praxis
der Sozialarbeit an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin. Neben dieser Tätigkeit war Georg
Zinner ehrenamtlich seit 1979 im Vorstand des
Paritätischen Berlin, lange Jahre davon als Vorsitzender. Im Paritätischen Gesamtverband wirkte er
zwischen 1987 und 2003 in verschiedenen Funktionen, im Vorstand, im Beirat, in der Paritätischen
Akademie. Seit 2001 war er Mitglied im Vorstand
des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit, dem
Fachverband für Nachbarschafts- und Stadtteilzentren, und übernahm 2005 dessen Vorsitz.
GEORG ZINNER
„Angesichts der beängstigenden Unfähigkeit
von Politik und Verwaltung, Aufgaben zu lösen
und Dienstleistungen qualitativ angemessen zu
erbringen, wird gesellschaftliches Engagement an
Bedeutung gewinnen (müssen). Gemeinnütziges
Engagement und gemeinnützige Vereine als Träger
bieten sich deshalb an, weil die Gemeinnützigkeit eine besondere Form des Einsatzes und der
Verwaltung gesellschaftlichen Vermögens ist:
Es ist nicht staatlich, aber es ist auch nicht privat
verfügbar.“ 1997
Quelle: Georg Zinner: Nachbarschaftshäuser in
ihrem Stadtteil. Schriften, Aufsätze, Reden, Interviews zu Sozialpolitik und Gesellschaft, 2017
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Praxisbeispiele zum Arbeitsfeld Begegnung
Im Bezirk gibt es zahlreiche kulturelle, religiöse und
soziale Organisationen und Vereine, die sich engagieren. Viele sind gut miteinander vernetzt und in
Gremien vertreten, andere Stimmen und Perspektiven fehlen noch im Diskurs. Die unterschiedlichen
Perspektiven der Organisationen und auch der
Bildungseinrichtungen und Verwaltungen zusammenzubringen, ist das Ziel von MITTE IM DIALOG.
Projektverlauf
Bedarfe ermitteln, ein Dialog- und Kompetenz-Netzwerk aufbauen und ein gemeinsames
Leitbild entwickeln.
In der ersten Phase hat das Projekt mit einer Befragung die Lebensrealitäten, Bedarfe und Wünsche
der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und
Akteur*innen in Mitte in den Blick genommen. Die
Auswertung der Befragung ist auf der Internetseite
www.mitteimdialog.de abrufbar oder als Printversion in der Fabrik Osloer Straße erhältlich.
Durch regelmäßige Veranstaltungen und Arbeitsgruppen wird im weiteren Verlauf ein Dialog- und
Kompetenz-Netzwerk gebildet, um den Kontakt
zwischen den relevanten Organisationen und Akteur*innen im Bezirk zu verstärken, den fachlichen
Austausch anzuregen und die gegenseitige Unterstützung zu fördern.
Eine jährliche Veranstaltungswoche „Mitte im Dialog” sowie Fortbildungen und Qualifizierungen von
Fachkräften und Zivilgesellschaft stellen weitere
wichtige Projektbestandteile dar. Unter Einbeziehung der Perspektiven möglichst vieler Akteur*innen und Bewohner*innen wird in 2020 ein Leitbild
für das Zusammenleben im Bezirk entwickelt.
Kooperationen in Vielfalt ganz praktisch können in
der im Februar 2020 startenden Qualifizierungsreihe „Miteinander im Kiez“ erprobt werden.
T Mitte im Dialog – Fabrik Osloer Straße e.V.
Osloer Straße 12
13359 Berlin
H Ansprechpartnerin: Bettina Pinzl
¶ 030 495005-26
å pinzl@mitteimdialog.de
ā www.fabrik-osloer-strasse.de
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
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Praxisbeispiel zum Arbeitsfeld
Nachbarschaftshilfe
NACHBARSCHAFTSHILFE STEGLITZ-ZEHLENDORF – FÜREINANDER NAH
„Normalerweise hatten wir für Anfang April eine
große Nachbarschaftsbörse geplant. Wir wollten
die Nachbarschaft einladen, sich auszutauschen,
Ideen und Tipps mitzubringen und Neues mitzunehmen. Da wäre der Laden voll gewesen“, berichtet Nora Buncsak, Sozialarbeiterin und Mitarbeiterin der Nachbarschaftshilfe Steglitz-Zehlendorf.
„Stattdessen prangt an unserer Tür ein Geschlossen-Schild und wir vermitteln im Schwerpunkt
Corona-Einkaufshilfen.“
Die Nachbarschaftshilfe Steglitz-Zehlendorf ist Teil
des Stadtteilzentrums Villa Mittelhof. Drei Mitarbeiterinnen koordinieren seit Juni 2019 in einem
kleinen Laden direkt am S-Bahnhof Rathaus Steglitz
in der Nähe einer großen Berliner Einkaufsstraße
das Geschehen. Selma Weigelt, Ergotherapeutin
und ebenfalls Mitarbeiterin zählt auf, worum es
bisher geht: „Die bereits 70 ehrenamtlich engagierten Nachbarschaftshelfer*innen, die ebenfalls rund
70 Nachbar*innen mit Unterstützungsbedarf, die
Tandembildungen, die Schulungen und Austauschtreffen für die Nachbarschaftshelfer*innen und die
vielfältigen Veranstaltungen für alle Nachbar*innen
haben wir im Blick. Dabei ist der persönliche Kontakt zu allen Beteiligten immer ein ganz wichtiger
Baustein. Nun müssen wir sehen, wie wir für diesen
Kontakt neue Wege finden.“
Denn ganz aktuell verändert die Corona-Krise
natürlich auch die Nachbarschaftshilfe: Der Mittelhof hat mit dem Stadtteilzentrum Steglitz und der
Freiwilligenagentur die Koordinierung der Corona-Nachbarschaftshilfe im Bezirk übernommen.
Schwerpunkt ist die Vermittlung der Einkaufshilfe
für Betroffene und Risikogruppen. Auch telefonische Gespräche werden vermittelt, um der Einsamkeit entgegen zu wirken.
getragene Nachbarschaftshilfe zum wichtigen Baustein werden. Teilhabe, Mobilität, Zusammenhalt
und Freude werden gefördert.“
Im Zuge der Corona-Krise bekommt Nachbarschaftshilfe nochmal einen ganz besonderen Stellenwert. Es geht darum, sich und andere zu schützen und gleichzeitig füreinander da zu sein. Es geht
darum, gerade keinen Besuchsdienst zu vermitteln
und trotzdem etwas für einsame Menschen zu
tun. Die drei Mitarbeiterinnen haben bereits erste
Ideen, die sie gemeinsam mit den vielen Menschen
angehen wollen, die jetzt bereit sind zu helfen: Ein
kleiner Blumenstrauß gegen den Spätwinterblues.
Eine Brieffreundschaft, die das Gefühl von Verbundenheit gibt. Ein Märchenabend auf CD, weil
gerade alle Veranstaltungen entfallen. Vieles wird
sich hier neu finden, altes auf Dauer wieder möglich
werden.
So ist Nachbarschaftshilfe im Wandel und funktioniert auch in Zukunft natürlich nur dann, wenn
sich Menschen finden, denen ihre direkte Nachbarschaft weiterhin wichtig ist.
T Nachbarschaftshilfe Steglitz-Zehlendorf
– füreinander nah –
Mittelhof e.V.
Berlinickestr. 9
12165 Berlin
¶ 030 27 97 97 27
å nachbarschaftshilfe@mittelhof.org
Die „Nachbarschaftshilfe Steglitz-Zehlendorf“
des Mittelhof e.V. wird durch die SKala-Initiative
gefördert.
Zur Entstehung der Nachbarschaftshilfe berichtet
Nina Karbe, Sozialpädagogin und Projektkoordinatorin: „Stadtteilzentren sind ja schon immer auch
für Menschen in Not da und nehmen aktuelle Bedarfe auf. Die Nachbarschaftshilfe ist ein Resultat
des Prozesses „Gut älter werden in Steglitz-Zehlendorf“, der bereits 2015 im Mittelhof e.V. initiiert
wurde. Ältere Menschen äußerten in Workshops
den Wunsch, so lange wie möglich zuhause zu wohnen. Das wird durch ein sorgendes familiäres oder
nachbarschaftliches Netzwerk unterstützt. Dort,
wo die familiäre Unterstützung nicht oder nicht
ausreichend vorhanden ist, kann die ehrenamtlich
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Neues aus Verband und Mitgliedschaft
Vorstellung neuer Mitglieder
In 2018 und 2019 wurden neu aufgenommen:
ACKERMANNBOGEN E.V., MÜNCHEN
Der Ackermannbogen ist ein gemeinnütziger Quartiers- und Nachbarschaftsverein mit den inhaltlichen Schwerpunkten Nachbarschaft, Umwelt und
Kultur. Er versteht sich als Plattform für Gemeinsinn und bürgerschaftliches Engagement im Wohnumfeld. Zeitgleich mit der Bebauung des Neubaugebietes Ackermannbogen ab dem Jahr 2000
wurden von engagierten (künftigen) Nachbar*innen
die Grundlagen für die heutige Vereinsstruktur
geschaffen. Aktuell ist der Verein Träger von drei
Nachbarschaftstreffs, des Kulturbüros und des
Gemeinschaftsgartens StadtAcker. Darüber hinaus
bildet der Verein das organisatorische Dach für
mehrere thematische und rein ehrenamtlich tätige
Projektgruppen. Der Verein hat z.Zt. 590 Mitglieder.
BÜRGERKIEZ GGMBH, GÜTERSLOH
Die Bürgerkiez gGmbH ist Trägerin der Weberei
in Gütersloh. Die Weberei ist seit 1984 das sozio
kulturelle Zentrum im Herzen Güterslohs. Die
Gastronomie mit ihrem groß angelegten Biergarten
direkt an der Dalke lädt zum Verweilen ein. Das
Restaurant wurde erst Anfang 2017 im urbanen Stil
renoviert, um die Geschichte des Hauses besonders
herauszuarbeiten. Die drei Hauptveranstaltungsräume (Halle, Kesselhaus & Backstage) bieten
ihren Besucher*innen ein abwechslungsreiches
Kulturprogramm. Neben Lesungen, Comedyshows
und Theateraufführungen finden sich regelmäßig
nationale wie internationale Musiker*innen auf der
Hallenbühne ein. Am Wochenende verwandelt sich
das außergewöhnliche Gelände der Weberei in den
Anlaufpunkt der Gütersloher Nachtszene. Tagsüber finden zahlreiche Kurse für alle Generationen
statt und Einrichtungen wie die Gütersloher Tafel
erhalten die Möglichkeit, die Bürger*innen unkompliziert zu erreichen. Ebenfalls auf dem Gelände,
doch eigenständig fungierend, befinden sich der Jugendtreff Bauteil 5 und das Programm-Kino Bambi.
DIAKONISCHES WERK DER EV.-LUTH. KIRCHE
IN OLDENBURG E.V.
Das Diakonische Werk Oldenburg ist Träger
mehrerer Nachbarschaftsbüros und gemeinwesenorientierter Integrationsarbeit. Sie möchten ihre
Arbeit insgesamt stärker gemeinwesenorientiert
ausrichten und erwarten sich von einer
Praxisbeispiel zum Arbeitsfeld Nachbarschaftshilfe
Mitgliedschaft einen Erfahrungsaustausch, fachliche Weiterentwicklung und die Möglichkeit von
Mitarbeiter*innenfortbildungen sowie eine effektivere Interessenvertretung.
INTERKULAR GGMBH, BERLIN
interkular findet und fördert die Fähigkeiten junger
Menschen verschiedener Herkunft und begleitet
sie und alle Partner*innen bei einer gelungenen
Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft.
Unsere Vision ist es, dass wir vorhandene Ressourcen optimal nutzen und dass alle ihre Potentiale
unabhängig ihres Hintergrunds entfalten und einbringen können. Aus unserer Erfahrung entstehen
die erfolgreichsten Lösungen immer dann, wenn
alle Beteiligten auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
Deshalb bündeln wir die in unserer Gesellschaft
vorhandenen Ressourcen, vernetzen und begleiten
alle beteiligten Partner*innen und gehen Integration gemeinsam an. interkular sehen wir dabei als
Verbindungsstück: Zwischen engagierten jungen
Menschen verschiedener Herkunft, die ihren Weg
finden wollen und Halt brauchen, Arbeitgeber*innen, die Nachwuchs suchen und den Menschen in
der Nachbarschaft, die an aktivem Zusammenleben
interessiert sind.
KIEZOASE SCHÖNEBERG E.V., BERLIN
Die KiezOase fördert die sozial-kulturelle Stadtteilarbeit im Schöneberger Norden. Sie ist nicht
selbst Träger von Einrichtungen und Projekten.
Die Trägerschaften wurde in der Zeit von 2013 bis
2016 auf das Pestalozzi-Fröbel-Haus übertragen,
seitdem unterstützt die KiezOase durch Spenden,
Veranstaltungen und ehrenamtliche Arbeit und
setzt kleinere Vorhaben der Gemeinwesen- und
Nachbarschaftsarbeit um. Von der Mitgliedschaft
im VskA erhofft sie sich kollegiale Unterstützung
und Möglichkeiten zum Fachaustausch in ihrer
neuen Entwicklungsphase.
KULTURCAFÈ GGMBH, LÜBECK
„S O F A“ ist ein Stadtteiltreff / Kulturcafé im
Aegidienviertel, mitten im Weltkulturerbe Lübecker Altstadt. Der gemeinnützige Anwohnerverein
Aegidienhof e.V. gründet gerade mit dem gemeinnützigen Verein Mittendrin Lübeck e.V. die gemeinnützige ‚Kulturcafé gGmbH‘. Unser Traum ist eine
‚kulturelle Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft‘.
Ein gemütlicher Ort für Begegnung, Kultur und
Bildung. Die eine Hälfte unserer Räume wird
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
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Gemeinschafts- und Konferenzraum, die andere
Hälfte Kulturcafé. Die dritte Hälfte ist im Sommer
der lauschige Außenbereich am Chor der Aegidienkirche.
Wir gratulieren in 2018
NACHBARSCHAFTSHAUS BREMEN E.V.
• Zukunftswerkstatt Heinersdorf,
Bürgerverein Berlin-Heinersdorf e.V., Berlin
• Mehrgenerationenhaus
Pestalozzi-Fröbel-Haus, Berlin
• Mehrgenerationenhaus
Phönix des Mittelhof e.V., Berlin
Das Nachbarschaftshaus Bremen soll jedem ermöglichen, durch praktische Erfahrungen und unmittelbares Erleben den inneren Gehalt einer echten
demokratischen Gesellschaft kennen zu lernen.
Das Nachbarschaftshaus wurde auf den Fundamenten der ehemaligen, dann ausgebombten Schule
am Ohlenhof 10 in Gröpelingen errichtet. Am 11.
Dezember 1951 wurde Richtfest gefeiert. Nur
ein halbes Jahr später, am 26. Mai 1952, fand die
Einweihungsfeier mit Schlüsselübergabe statt. Von
der Öffentlichkeit wurde das Haus, schon seiner
Einrichtung wegen, bewundernd bestaunt: Es gab
mehrere Zimmer für Kinder, ein Lesezimmer, ein
Feierabendzimmer, Werkräume und einen großen
Vortrags- und Versammlungsraum. Es war etwas
entstanden, das Bremen über viele Jahre hinweg,
wie auch geplant, zum `Pilgerort` für Menschen auf
der Suche nach `neuen Wegen` wurde.
SCI : MOERS GGMBH
Die Arbeit in und an einzelnen Stadtteilen ist für
den SCI:Moers seit jeher ein wichtiges Aufgabenfeld: Angefangen hat der SCI 1979 mit seinem
ersten Programm für Migranten-Familien in der
Moerser Bergarbeiterkolonie Meerbeck. In den
letzten 30 Jahren hat sich das Feld erheblich ausgeweitet – thematisch und geographisch. So gehören,
längst nicht mehr nur in Meerbeck, vielfältige Maßnahmen der Reinigungs- und Verschönerungsarbeiten, der Wohnumfeldverbesserung, der Instandsetzung von Park- und Freizeitanlagen oder auch
die Graffiti-Beseitigung zum aktuellen Portfolio des
SCI. Auch die Anlaufstellen in den Stadtteilen sind
gewachsen, etwa das Nachbarschaftshaus in der
Annastraße, welches der SCI:Moers seit betreibt.
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ZU 10 JAHREN
ZU 25 JAHREN
Impressum
DER RUNDBRIEF WIRD HERAUSGEGEBEN VON
VSKA // VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT E.V. – BUNDESVERBAND
H Vorsitzender: Thomas Mampel,
H Renate Wilkening (stellv.)
Ź Registernummer: VR 28242 B
T Tucholskystr. 11
10117 Berlin
• Kiezspinne FAS Nachbarschaftlicher
Interessenverbund e.V. , Berlin
å info@vska.de
ZU 30 JAHREN
ā www.vska.de
• Gemeinwesenverein Heerstraße Nord e.V.,
Berlin
ZU 70 JAHREN
• Nachbarschaftsheim Wuppertal e.V.
in 2019
ZU 10 JAHREN
• Haus am See, LebensWelt gGmbH, Berlin
• Stadtteilzentrum Pankow,
BüHa Bürgerhaus gGmbH, Berlin
Layout und Satz
Rainer Krassa
Büro für maßgeschneiderte Mediengestaltung
www.rainer-krassa.de
Fotografie
Titelbild und Seite 5, 8, 13, 16, 21, 26, 27, 32, 37, 39
Manfred Zimmermann
Bildbearbeitung: Petra Lippmann
Druck
Saxoprint.GmbH
zu 20 Jahren
•
ViSdP
Barbara Rehbehn
Stiftung Pfefferwerk, Berlin
54. Jahrgang, Heft Nr. 1
ISSN 2510-5132 | 5 €
zu 25 Jahren
•
Nachbarschaftsladen Sprengelkiez, Berlin
•
Nachbarschaftshaus Wannseebahn e.V., Berlin
Neues aus Verband und Mitgliedschaft
Rundbrief 1-2020 | Verbundene Vielfalt // Innovation und Tradition in der Nachbarschaftsarbeit
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Neues aus Verband und Mitgliedschaft