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Full text: Berliner Jugendliche und Drogen (Rights reserved)

Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin Abteilung Familie, Gesundheit und Personal Berliner Jugendliche und Drogen Alkohol, Tabak und Cannabis im Fokus Ergebnisse einer Befragung an Schulen in Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Steglitz-Zehlendorf in Zusammenarbeit mit der Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit Gesundheitsplanung Herausgeber: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin Abteilung Familie, Gesundheit und Personal Frankfurter Allee 35/37, 10247 Berlin 1 1 2 Bearbeitung: Dr. Horst-Dietrich Elvers Olga Prieb , Garrit Güldenpfennig , Alexander Neu2 1 bert , Steffen Künzel Auskünfte: Telefon: (030) 90298-3541 E-Mail: gespl@ba-fk.berlin.de Redaktionsschluss: 15. November 2015 Koordinator, Datenhalter: Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg für die Gesamtstudie Die jeweiligen Bezirksämter für die bezirklichen Teilstudien Zitiervorschlag: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin (2016), Berliner Jugendliche und Drogen 2014: Alkohol, Tabak und Cannabis im Fokus. Berlin: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Abteilung Familie, Gesundheit und Personal. Download: http://www.berlin.de/gesundheit-fk © Bilder Deckblatt: DWP – Fotolia.com (li.), Monkey Business – Fotolia.com (mi.), lassedesignen – Fotolia.com (re.) Danksagung Wir danken den befragten Schülerinnen und Schülern dafür, dass sie uns Einblicke in ihren Drogenkonsum gewährt haben, sowie den Schulleitungen und Lehrkräften, dass sie uns die Befragung an ihren Schulen und in ihren Klassen ermöglicht haben. Ohne die Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH wäre die Studie nicht möglich gewesen. Vielen Dank für die Unterstützung und die Zusammenarbeit! 1 Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit 2 TU Berlin, BA-Studiengang Soziologie Vorwort der Bezirksbürgermeisterin und Stadträtin für Familie, Gesundheit und Personal Im Jahr 2013 fanden in den Berliner Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Steglitz-Zehlendorf die „JugendFilmTage Nikotin und Alkohol: Alltagsdrogen im Visier“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) statt. Die drei Bezirke haben diese Veranstaltung zum Anlass genommen, um gemeinsam eine Befragung von Schülerinnen und Schülern zu ihrem Substanzkonsum auf den Weg zu bringen, deren Ergebnisse nun in Form dieses Endberichtes vorliegen. In diesem Jahr werden die „JugendFilmTage“ erneut zu Gast in Friedrichshain-Kreuzberg sein. Die teilnehmenden Mädchen und Jungen aus unseren Schulen werden sich dabei auch damit befassen, welche Rolle der Konsum von Drogen in unserer Gesellschaft spielt – und dass er offenbar zu bestimmten Anlässen wie selbstverständlich zum Erwachsensein dazugehört. Mein Ziel ist eine Drogenpolitik, die diese nicht immer spannungsfreie Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt. Wir sollten uns deshalb auch nicht darauf beschränken, jungen Menschen den Konsum von Drogen unter Androhung von Strafe zu verbieten. Denn wir wissen nicht zuletzt aufgrund von Studien wie der vorliegenden, dass und warum dies nicht ausreicht. Psychoaktive Substanzen sind bereits im frühen Jugendalter weit verbreitet. Dies ist zunächst kein neuer Befund. Aber wann, in welchem Umfeld und mit welcher Selbstverständlichkeit der Einstieg in den Konsum von Substanzen beginnt, die nach heutigem Stand der Wissenschaft zweifellos erhebliche gesundheitliche Risiken mit sich bringen, ist immer wieder aufs Neue aufrüttelnd. Wir müssen genau hinschauen, wo und wann unsere Kinder und Jugendlichen ihre ersten Erfahrungen mit Alltagsdrogen machen. Denn unser Ziel ist es, den Einstieg in den Konsum von psychoaktiven Substanzen so weit wie möglich hinauszuzögern und den Konsum insgesamt, insbesondere aber bei Jugendlichen, deutlich zu reduzieren. Inhalt Verzeichnis der Textboxen..................................................................................................... 6 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................... 6 Tabellenverzeichnis ............................................................................................................... 7 Zusammenfassung ................................................................................................................ 9 1 2 3 Einleitung ...................................................................................................................... 13 1.1 Hintergrund ............................................................................................................ 13 1.2 Methodisches Vorgehen ........................................................................................ 15 1.3 Zur Reichweite der Ergebnisse .............................................................................. 16 Ergebnisse im Überblick ............................................................................................... 18 2.1 Demographie ......................................................................................................... 18 2.2 „Image“ von Drogen und Konsumerfahrung ........................................................... 19 2.3 Konsumhäufigkeit im Überblick .............................................................................. 20 2.4 Konsumhäufigkeit nach Alter ................................................................................. 22 Substanzkonsum im Detail ........................................................................................... 26 3.1 Alkoholkonsum ...................................................................................................... 26 3.2 Tabakkonsum ........................................................................................................ 32 3.3 Cannabiskonsum ................................................................................................... 35 4 Zum Freizeitverhalten ................................................................................................... 39 5 Vergleiche mit anderen Berliner Studien ....................................................................... 42 6 5.1 Berliner ESPAD-Studie .......................................................................................... 42 5.2 Epidemiologischer Suchtsurvey für Berlin .............................................................. 43 5.3 Studie „Jugend, Drogen, Hintergründe“ ................................................................. 44 Schlussbetrachtung ...................................................................................................... 45 Literatur ............................................................................................................................... 46 Verzeichnis der Textboxen (In Textboxen werden wichtige Schlussfolgerungen abschnittsweise zusammengefasst.) Box 1: Suchtpotenzial von Drogen ................................................................................ 13 Box 2: „JugendFilmTage“-Flyer für Friedrichshain-Kreuzberg (Ausschnitt) .................... 14 Box 3: Genehmigung empirischer Studien an Berliner Schulen ..................................... 15 Box 4: Quellen für die Fragen ........................................................................................ 15 Box 5: Auswertbare Fragebögen ................................................................................... 16 Box 6: Repräsentative Stichproben ............................................................................... 16 Box 7: Ergebnisse und Weiterentwicklung ..................................................................... 17 Box 8: Wahrgenommenes Image von Drogen und Konsumerfahrung ........................... 20 Box 9: Konsumhäufigkeit der legalen und illegalen Drogen ........................................... 21 Box 10: Lebenszeitprävalenz .......................................................................................... 23 Box 11: Gelegentlicher Konsum ...................................................................................... 24 Box 12: Regelmäßiger Konsum ....................................................................................... 24 Box 13: Einstiegsdroge Alkohol? ..................................................................................... 25 Box 14: Eltern im Spannungsfeld? .................................................................................. 28 Box 15: Konsequenzen für die Prävention: Hilft „Abschreckung“? ................................... 31 Box 16: Geschlechterunterschiede beim Tabakkonsum .................................................. 33 Box 17: Sozialschichtunterschiede beim Tabakkonsum .................................................. 34 Box 18: Zur „Einstiegshypothese“.................................................................................... 36 Box 19: Cannabiskonsum und Tabakkonsum.................................................................. 38 Box 20: Freizeitaktivitäten ............................................................................................... 40 Box 21: Spielsucht?......................................................................................................... 41 Box 22: Vergleich BJD – ESPAD Berlin (2011) ............................................................... 43 Box 23: Vergleich BJD – ESS Berlin (2012) .................................................................... 43 Box 24: Vergleich BJD (2014) – JDH (2012/13) .............................................................. 44 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: „Image“ von Drogen und Konsumerfahrung ................................................ 19 Abbildung 2: Konsumhäufigkeit der legalen und illegalen Drogen .................................... 21 Abbildung 3: Konsumhäufigkeit nach Alter ....................................................................... 22 Abbildung 4: Häufigkeit des Alkoholkonsums ................................................................... 26 Abbildung 5: Erster Alkoholkonsum: Anlass ..................................................................... 27 Abbildung 6: Erster Alkoholkonsum: Bezugsquelle .......................................................... 27 Abbildung 7: Häufigkeit des Tabakkonsums .................................................................... 32 Abbildung 8: Häufigkeit des Cannabiskonsums ............................................................... 35 Abbildung 9: Substanzkonsum nach Cannabiskonsumhäufigkeit..................................... 37 Abbildung 10: Häufigkeit von Freizeitaktivitäten ............................................................. 39 Abbildung 11: Spielaktivitäten – „Wie häufig spielst Du…“ ............................................. 40 Abbildung 12: Lebenszeitprävalenz im Vergleich: ESPAD und BJD ............................... 42 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Demographische Grunddaten der BJD-Studie ................................................ 18 Tabelle 2: Wirkerwartung des Alkoholkonsums ............................................................... 29 Tabelle 3: Korrelation zwischen Wirkerwartung und starkem Alkoholkonsum.................. 30 Tabelle 4: Gegenwärtiges Rauchen von Tabak nach Klassenstufe und Geschlecht........ 33 Tabelle 5: Gegenwärtiges Rauchen von Tabak nach Schultyp ........................................ 34 Tabelle 6: Faktorenanalyse zum Substanzkonsum ......................................................... 38 Tabelle 7: Vergleich Substanzkonsum 15- bis 17-jähriger Berlinerinnen und Berliner ..... 43 Tabelle 8: Vergleich BJD und JDH: Alkohol, Tabak, Cannabis ........................................ 44 Zusammenfassung Zur Einordnung Dem Substanzgebrauch im Jugendalter muss im Hinblick auf die Vermeidung der Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung im späteren Leben besonderes Augenmerk gelten. Die Datenlage für Berlin und für unseren Bezirk ist diesbezüglich vor allem für die Altersgruppen der unter 16-Jährigen ausbaufähig. Aus diesem Grund wurden zwischen Dezember 2013 und Mai 2014 an acht Schulen der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und SteglitzZehlendorf schriftliche Klassenverbands-Befragungen zum Substanzkonsum durchgeführt. Für den nun vorliegenden Ergebnisbericht konnten Antworten von 1.436 Schülerinnen und Schülern der Klassenstufen 7 bis 12 ausgewertet werden. Das Hauptaugenmerk haben wir dabei auf Alkohol, Tabak und Cannabis gelegt. Die Ergebnisse der Studie „Berliner Jugendliche und Drogen“ (BJD) zeigen Tendenzen im Substanzkonsum, die auch Vergleichen mit anderen Studien über das Konsumverhalten junger Berlinerinnen und Berliner standhalten können (vgl. hierzu Kap. 5). Sichtbar werden grundlegende soziale Zusammenhänge des Drogengebrauches. Unsere Studie stellt durch die Erweiterung des Blicks auf die Altersjahrgänge der 12- bis 15-Jährigen zudem eine notwendige Ergänzung zur existierenden Befundlage dar. Unser Vorhaben diente zugleich als Machbarkeitsstudie. Unsere Erfahrungen sind positiv, so dass wir diese Befragung künftig wiederholen möchten. Wir halten dies für empfehlenswert, um eine regionale Berichterstattung zum Substanzkonsum im Jugendalter aufzubauen. Ergebnisse im Überblick (vgl. Kap. 2) Ein großer Anteil der befragten Jugendlichen gibt Erfahrungen im Umgang mit Alkohol (47 %), Tabak (29 %) und Cannabis (18 %) an. Dabei werden diese Drogen unabhängig davon konsumiert, ob sie im sozialen Umfeld „angesagt“ sind oder nicht. Im verhaltenspräventiven Bereich ist damit der individuellen Motivlage ein höheres Gewicht beizumessen, als der vermuteten sozialen Erwünschtheit des Konsums bestimmter Substanzen, wenn sie als „angesagt“ gelten. Drogenkonsum gehört bei jungen Menschen vor allem an den Wochenenden und im Partysetting dazu. Hieraus leitet sich Bedarf an Präventionsmaßnahmen ab, die Konsumkompetenz fördern. Repressive Maßnahmen im Bereich des Betäubungsmittelrechtes können dies nicht erfüllen. Die legalen Drogen Alkohol und Tabak stehen lebenszeitlich gesehen „vor“ dem Konsum von Cannabis, so dass man diese durchaus als „Einstiegsdrogen“ bezeichnen kann. Zugleich hängt das Risiko für eine Abhängigkeit von Cannabis stark davon ab, ob bereits vorher eine Tabak- oder Alkoholabhängigkeit besteht. Um den Cannabiskonsum im Jugendalter zu reduzieren, ist daher eine bessere Tabak- und Alkoholprävention sinnvoll. 9 Der gelegentliche 3 Cannabis- und der gelegentliche Tabakkonsum sind ab dem 14. Lebensjahr annähernd gleich häufig. Auch die Tendenz der Konsumentwicklung im weiteren Jugendalter deutet ein ähnliches Niveau im Konsum von Tabak und Cannabis an. Bezüglich des regelmäßigen 4 Gebrauchs von Drogen kehren sich die Trends um. Hier dominiert eindeutig der Tabakkonsum, wohingegen Alkohol- und Cannabiskonsum in der Häufigkeit dicht beieinander liegend auf einem vergleichsweise geringen Niveau bleiben. Die These, der zufolge Cannabis ein „Türöffner“ für andere illegale Drogen sei, können wir nicht stützen. Um problematischen Konsumverläufen im späteren Leben wirksam vorbeugen zu können sollte glaubhafte Suchtprävention im Jugendalter nicht nur auf das „ob“ des Konsums einwirken, sondern stärker auf das „wie“. Die Unterscheidung in „illegal“ und „legal“ greift aktuell hier nicht – dies gilt ganz besonders für die illegale Droge Cannabis. Daher ist die Vermittlung von Wissen über Substanzen, über die Wirkung und Risiken von Mischkonsum und das Fördern einer reflektierten Selbsteinschätzung zur Frage der Auslöser für den Konsum von psychoaktiven Substanzen erforderlich. Aufklärungsarbeit sollte sich nicht nur an die Jugendlichen, sondern viel stärker auch an Familien richten. Flankiert werden müssen diese auf eine Entwicklung von Risikokompetenz zielenden Maßnahmen der Verhaltensprävention durch eine konsequente Durchsetzung von verhältnispräventiven Maßnahmen des Jugendschutzes – wie strikte Werbeverbote – an Einrichtungen, in denen sich Minderjährige häufig aufhalten. Alkoholkonsum (vgl. Kap. 3.1) Die Lebenszeitprävalenz für Alkohol beträgt in den von uns befragten Altersgruppen insgesamt 47 %. Einen regelmäßigen Konsum von Alkohol geben 3 % (davon 1 % „täglich“ und 2 % „mehrmals in der Woche“) der von uns befragten Schülerinnen und Schüler der 7. bis 12. Klassen an. Einen gelegentlichen Konsum berichten 37 % (davon 14 % „mehrmals im Monat“ und 23 % „einmal im Monat oder seltener“). Der Probierkonsum und der gelegentliche Gebrauch von Alkohol sind unter Jugendlichen weit verbreitet. Schon 10 % der 12-Jährigen und jede/r Fünfte der 13-Jährigen konsumiert anlassbezogen Alkohol. Dies ist insbesondere dahingehend mit Sorge zu betrachten, als Alkoholkonsum besondere gesundheitliche Gefahren birgt: „Alkohol ist ein höchst gesundheitsgefährdendes Produkt. Dies ist die Folge seiner Eigenschaften als Zellgift, als Rauschmittel und Suchtmittel sowie seiner enthemmenden Wirkung. Die Gesundheitsrisiken betreffen jedes alkoholische Getränk und jeden Konsum.“ (DHS 2015). Das Risiko, eine Abhängigkeitserkrankung zu entwickeln ist umso größer, je früher der Konsum beginnt; gleichzeitig sinkt die Wahrscheinlichkeit, diese Abhängigkeit zu überwinden. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) fordert daher, Alkoholkonsum grundsätzlich erst ab 18 Jahren zu erlauben (ebd.). Der erste Kontakt mit Alkohol geschieht nicht im Partysetting oder in der Peer-Group, sondern vollzieht sich überwiegend im familiären Umfeld. Es gibt offenbar eine ausgeprägte Toleranz der Eltern gegenüber dem ersten Probierkonsum ihrer Kinder. Jugendlichen unter 16 3 „mehrmals im Monat“ oder „einmal im Monat oder seltener“ 4 „täglich“ oder „mehrmals pro Woche“ 10 Jahren aktiv Alkohol anzubieten, verstößt aber nicht nur gegen das Jugendschutzgesetz, sondern es erhöht auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass junge Menschen Alkohol als akzeptierte „Gesellschaftsdroge“ bewerten und Gefahren unterschätzen. Ein Drittel der Jugendlichen assoziiert eigenen Alkoholkonsum mit einem tendenziellen Kontrollverlust. Dies zeigt, dass der gelegentliche Konsum von Alkohol im Jugendalter bei einem nicht geringen Teil der Schülerinnen und Schüler in der Selbsteinschätzung offenbar problematische Züge annimmt. Tabakkonsum (vgl. Kap. 3.2) Die Lebenszeitprävalenz für Tabak beträgt in den von uns befragten Altersgruppen insgesamt 29 %. Einen regelmäßigen Konsum von Tabak geben 11 % (davon 8 % „täglich“ und 3 % „mehrmals in der Woche“) der von uns befragten Schülerinnen und Schüler der 7. bis 12. Klassen an. Einen gelegentlichen Konsum berichten 9 % (davon 2 % „mehrmals im Monat“ und 7 % „einmal im Monat oder seltener“). Fokussiert man diejenigen, die mit dem Tabakkonsum beginnen, so fällt die Regelmäßigkeit des Konsums auf. Der Anteil derer, die regelmäßig rauchen, ist sehr viel höher als der Anteil derer, die regelmäßig Alkohol trinken. Wenn Tabak wiederholt konsumiert wird, dann ist das Risiko der Entwicklung einer Abhängigkeit höher als beim Konsum von Alkohol und Cannabis (vgl. Lopez-Quintero et al. 2011). Tabak ist eine weit verbreitete Alltagsdroge, die von den Jugendlichen ohne speziellen Anlass, also gleichsam „nebenbei“, konsumiert wird. Da der Unterschied zwischen der Lebenszeitprävalenz und dem gelegentlichen bzw. regelmäßigen Tabakkonsum ausgeprägt ist, nehmen wir allerdings auch an, dass ein Großteil derer, die Erfahrungen mit dem Tabakkonsum angibt, es zunächst beim einmaligen Probierkonsum belässt. An Gymnasien wird weniger geraucht, als an Sekundarschulen. Allerdings rauchen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten aus unserer Studie im Vergleich zum Bundesdurchschnitt häufiger. Möglicherweise kann dies aber auch ein Indikator für eine andere sozialstrukturelle Zusammensetzung der Schülerschaft an Berliner Gymnasien als im Bundesvergleich sein. Cannabiskonsum (vgl. Kap. 3.3) Die Lebenszeitprävalenz für Cannabis beträgt in den von uns befragten Altersgruppen insgesamt 18 %. Einen regelmäßigen Konsum von Cannabis geben 3 % (davon 1 % „täglich“ und 2 % „mehrmals in der Woche“) der Schülerinnen und Schüler der 7. bis 12. Klassen an. Einen gelegentlichen Konsum berichten 9 % (davon 3 % „mehrmals im Monat“ und 6 % „einmal im Monat oder seltener“). Cannabis gilt unter den befragten Berliner Jugendlichen als die am meisten „angesagte“ Droge. Offenbar gibt es aber keinen starken Zusammenhang zwischen dieser Einschätzung und dem Konsum. Deutlich weniger als die Hälfte derer, die Cannabis für „angesagt“ halten, konsumieren diese Droge auch tatsächlich oder haben dies schon einmal getan. Entscheidende Weichenstellungen für den Einstieg in den Cannabiskonsum finden bereits zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr statt. Dabei ist Tabak offenbar die Einstiegsdroge für Cannabis. Zugleich scheint dieser Pfad nicht automatisch zu anderen illegalen Drogen zu 11 führen – die Zusammenhänge sind eindeutiger zwischen Tabak und Cannabis als zwischen Cannabis und anderen illegalen Drogen. In unserer Studie haben 97 % der Schülerinnen und Schüler, die noch nie Tabak geraucht haben, angegeben, dass sie noch nie Cannabis probiert haben. Umgekehrt konsumieren diejenigen Jugendlichen, die Cannabis zu sich nehmen, es mit hoher Wahrscheinlichkeit in Situationen, in denen sie auch Tabak und – nicht ganz so häufig – Alkohol gebrauchen. Cannabis ist durch seine starke Korrelation mit dem Tabakkonsum offenbar nicht nur Partydroge sondern wird auch im Alltag konsumiert. Das Zigarettenrauchen ist ein Risikofaktor für einen späteren Konsum von Cannabis. Für Tabak und Cannabis gilt weniger ein „entweder – oder“, sondern vielmehr ein „sowohl – als auch“. Ein wirksamer Schutz vor dem Einstieg in einen starken Konsum von Cannabis liegt demnach auch in der Tabakprävention. Freizeit- und Spielverhalten (vgl. Kap. 4) Elektronische Medien spielen einen dominierenden Part in der Freizeitgestaltung junger Schülerinnen und Schüler in Berlin. Allerdings ist nicht jedes längere Spielen am Computer oder über das Internet als süchtiges Verhalten aufzufassen. Ein großer Teil der Jugendlichen findet weiterhin großen Gefallen an sportlicher Betätigung, an kreativen Hobbies und am Lesen. Ein knappes Drittel engagiert sich darüber hinaus regelmäßig sozial. Überzogen scheint es angesichts unserer Ergebnisse, der Jugend ein Desinteresse an kreativen, „nicht digitalen“ Freizeitaktivitäten zu unterstellen. Nicht zutreffend ist es auch, angesichts der Dominanz neuer Medien den Abgesang des Fernsehens herbeizureden: nach wie vor läuft bei den allermeisten Schülerinnen und Schülern in der Freizeit der Fernseher. Für einen kleinen Teil der Schülerinnen und Schüler lassen sich Hinweise auf einen problematischen Umgang mit Geldautomaten-Spielen finden. Dies weist auf Lücken im Jugendschutz hin. 12 1 Einleitung 1.1 Hintergrund Erkenntnisinteresse Der Substanzkonsum im Jugendalter erhöht – neben anderen Faktoren wie psychische Gesundheit und familiäre Vorbelastung – die Wahrscheinlichkeit, im späteren Leben eine Abhängigkeitserkrankung zu entwickeln (vgl. Box 1). Im Hinblick auf die Verhaltensprävention ist es daher wichtig, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, in welchem Alter und zu welchen Gelegenheiten Kinder und Jugendliche mit dem Konsum von Drogen beginnen, welche Wirkungen sie mit dem Konsum von Drogen verbinden und wie häufig sie psychoaktive Substanzen konsumieren. Für Berlin ist die Datenlage zum Gebrauch von Alltagsdrogen im Jugendalter ausbaufähig. Die Abbildung allgemeiner Trends und die Ableitung von Maßnahmen auf Landesebene auf empirischer Grundlage sind für Jugendliche ab 16 Jahren möglich. 5 Die Fallzahlen, die in den vorliegenden Untersuchungen erreicht werden, sind aber zum einen nicht hoch genug, um regionale Unterschiede herauszuarbeiten. Zum anderen fehlen Daten für die Altersjahrgänge in der kritischen Zeit des Übergangs von der Kindheit zum Jugendalter. Die Studie „Berliner Jugendliche und Drogen“ (BJD) sollte diesbezüglich die Datenlage verbessern. Box 1:  Suchtpotenzial von Drogen Nach Analysen des US-amerikanischen „National Epidemiological Survey on Alcohol and Related Conditions“ (NESARC) entwickeln 68 % der Personen, die jemals eine Zigarette 6 geraucht haben, eine Abhängigkeit. Für Alkohol und Cannabis beträgt dieses „Suchtpotenzial“ entsprechend 32 % bzw. 9 %. Allerdings ist die Dauer für die Zeitspanne zwischen Erstkonsum und Abhängigkeit beim Cannabiskonsum geringer als für Alkohol- und Nikotinkonsum. Zugleich hängt das Risiko für eine Abhängigkeit von Cannabis stark davon ab, ob bereits vorher eine Tabak- oder Alkoholabhängigkeit besteht. Auch der psychische Gesundheitszustand beeinflusst die Entwicklung einer Drogensucht. Dem Substanzgebrauch im Jugendalter muss daher im Hinblick auf die Vermeidung der Entwicklung einer Abhängigkeit besonderes Augenmerk gelten. Dies betrifft vor allem den Gebrauch von Tabak, Alkohol und Cannabis und es erfordert einen Blick auf verschiedene Altersgruppen. Anbindung der Studie an die „JugendFilmTage Nikotin und Alkohol“ Im Dezember 2013 fanden in den Berliner Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Steglitz-Zehlendorf die „JugendFilmTage Nikotin und Alkohol – Alltagsdrogen im Visier“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) statt. Mit diesem Format sollen Schulen dabei unterstützt werden, 5 Vgl. insbes. IFT 2012, IFT 2014 und Fachstelle 2014. 6 Vgl. Lopez-Quintero et al. 2011 13 • über die gesundheitlichen Folgen und das Abhängigkeitspotenzial des Rauchens und des Alkoholkonsums zu informieren, • Nichtraucher*innen weiter zu stärken, • Raucher*innen beim Aufhören zu begleiten und • zu einem risikobewussten und Konsum mindernden Umgang mit Alkohol zu motivieren. 7 Die „JugendFilmTage“ richten sich an Schülerinnen und Schüler ab der 7. Klassenstufe. In den im Jahr 2013 drei teilnehmenden Berliner Bezirken fand die Veranstaltung in je einem großen Kino statt. Mit Kinofilmen, einem begleitenden Quiz und Mitmach-Aktionen zu den Themen Nikotin und Alkohol sollte eine reflektierte Einstellung gegenüber diesen Alltagsdrogen befördert werden (Box 2). Box 2: „JugendFilmTage“-Flyer für Friedrichshain-Kreuzberg (Ausschnitt)  © BZgA Die beteiligten Bezirke führten im Nachgang an die „JugendFilmTage“ schriftliche Befragungen von Berliner Schülerinnen und Schülern zu ihrem Suchtmittelkonsum und zu ihrer Einstellung gegenüber Drogen und Sucht durch. Die Durchführung der Befragungen in den Bezirken wurde in jeweiliger bezirklicher Verantwortung realisiert. Die Koordination der Gesamtstudie – von der Genehmigung bis hin zur Erstellung des vorliegenden Endberichtes – erfolgte durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. 7 Zitat vom Flyer der BZgA-JugendFilmTage. 14 1.2 Methodisches Vorgehen Genehmigungsverfahren Empirische Studien an Berliner Schulen setzen die Genehmigung der für das Bildungswesen zuständigen Berliner Senatsverwaltung voraus, die konkrete Vorgaben zum Verfahren macht (vgl. Box 3). Box 3:  Genehmigung empirischer Studien an Berliner Schulen Bestandteile des Genehmigungsverfahrens bei der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft waren: • ein ausführliches Exposé für die Studie • der Fragebogenentwurf • das Informationsschreiben für Lehrkräfte • das Informationsschreiben für Eltern • die Erklärung der jeweiligen Schulleitungen, dass sie die Befragung an ihrer Schule genehmigen • die Einwilligung des Berliner Beauftragten für den Datenschutz Fragebogen Die Befragung sollte sich an Schülerinnen und Schüler ab der 7. Klassenstufe aus Regelklassen der öffentlichen, allgemeinbildenden Schulen der Bezirke Friedrichhain-Kreuzberg, Pankow und Steglitz-Zehlendorf richten. Unter Federführung der Fachstelle für Suchtprävention wurde ein 2-seitiger Fragebogen entwickelt, der auf bewährte Fragen zurückgriff (vgl. Box 4) 8. Die Teilnahme an der anonymen Befragung war freiwillig. Die Durchführung der Befragungen erfolgte im Zeitraum zwischen Dezember 2013 und April 2014. Box 4:  Quellen für die Fragen • Europäische Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD-Studie) • BZgA-Studie „Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland“ • Studie des Ministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes 11 Brandenburg „Brandenburger Jugendliche und Substanzkonsum“ (3. Befragung) • Hamburger SCHULBUS-Studie • JAH-Studie und JDH-Studie der Fachstelle für Suchtprävention 9 10 12 13 8 Download auf www.berlin.de/gesundheit-fk, dort unter „Arbeitsgebiete“  „Gesundheitsplanung“ 9 http://www.drogenbeauftragte.de/drogen-und-sucht/suchtstoffuebergreifende-themen/espad-studie-2012.html, Zugriff: 17.11.2015 10 Vgl. BZgA 2014 11 „Brandenburger Jugendliche und Substanzkonsum. Aktueller Stand und Entwicklung in den letzten Jahren“ herausgegeben vom Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg 2009. Online: http://www.gesundheitsplattform.brandenburg.de/media_fast/5510/InPuncto_01.pdf, Zugriff: 17.11.2015. 12 Hamburger SCHULBUS (Schüler‐ und Lehrerbefragungen zum Umgang mit Suchtmitteln) 2012. Online: http://www.sucht-hamburg.de/uploads/docs/572.pdf, Zugriff: 17.11.2015. 13 Studien „Jugend – Alkohol – Hintergründe“ und „Jugend – Drogen – Hintergründe“ der Fachstelle für Suchtprävention Berlin. Online: http://www.berlin-suchtpraevention.de/Studien-c1-l1-k23.html, Zugriff: 17.11.2015 15 Dateneingabe und Auswertung Die Dateneingabe erfolgte auf der Grundlage eines Codeplans in der Fachstelle für Suchtprävention. Im Anschluss an die Dateneingabe wurden die Fragebögen datenschutzgerecht vernichtet. Die Auswertung der Daten erfolgte vorrangig in Form beschreibender Statistiken und stützte sich auf die statistischen Auswertungsprogramme SPSS und PSPP (vgl. Box 5). 14 Box 5:  Auswertbare Fragebögen Nach erfolgter Plausibilitätskontrolle konnten 26 von 1.462 zurückgesandten Fragebögen aus Gründen der Unvollständigkeit nicht berücksichtigt werden. Die Gesamtstudie enthält damit Aussagen von 1.436 Schülerinnen und Schülern aus Sekundarschulen, Gymnasien und Förderschulen der Berliner Bezirke Friedrichhain-Kreuzberg, Pankow und Steglitz-Zehlendorf. 1.3 Zur Reichweite der Ergebnisse Repräsentative Stichproben Mit empirischen Erhebungen wird in der Regel das Ziel verfolgt, basierend auf Informationen aus einer verhältnismäßig geringen Teilmenge von Befragten (sog. „Stichprobe“) verallgemeinerbare Schlussfolgerungen über die tatsächlichen Verhältnisse in der Bevölkerung oder großen Bevölkerungsgruppen (der sog. „Grundgesamtheit“) zu ziehen. Damit dies möglich ist, muss die Stichprobe so ausgewählt werden, dass sie die Grundgesamtheit tatsächlich repräsentiert (vgl. Diekmann 1995, Kromrey 1995). Die Stichprobenziehung muss dafür entweder auf einer Zufallsziehung oder auf einer zufallsbasierten Quotenauswahl beruhen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, dann gilt es als zulässig, aus den Häufigkeitsverteilungen aus der Stichprobe auf die Häufigkeitsverteilungen in der Grundgesamtheit zu schließen. Man spricht in diesem Falle von „repräsentativen Stichproben“ (vgl. Box 6). Box 6:  Repräsentative Stichproben Repräsentative Stichproben werden benötigt, wenn Erkenntnisse über die Bevölkerung bzw. von großen Bevölkerungsgruppen (z. B. erwerbstätige Frauen im Vergleich zu erwerbstätigen Männern) gewonnen werden sollen, eine Vollerhebung aber mit vertretbarem Aufwand nicht realisierbar ist. Beispiele sind der Mikrozensus des Bundesamtes für Statis15 tik oder das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor16 schung. Repräsentative Stichproben sind Voraussetzung für die Anwendung der „Inferenzstatistik“. Mit Verfahren der Inferenzstatistik wird aufgrund von Modellannahmen über die statistische Verteilung von Variablenausprägungen (z. B. die „Normalverteilung“ bzw. „Gauß’sche Glockenkurve“) geschätzt, wie wahrscheinlich ein beobachteter Wert in der Stichprobe auch in der Grundgesamtheit auftritt (sog. Signifikanztest). 14 PSPP: https://www.gnu.org/software/pspp/; Zugriff: 17.11.2015 15 www.destatis.de; Zugriff: 17.11.2015 16 www.diw.de; Zugriff: 17.11.2015 16 Reichweite unserer Ergebnisse Unsere Stichprobe ist nicht repräsentativ. Für die BJD-Studie wurden in Verantwortung der Bezirke unterschiedlich viele Schulen um ihre Teilnahme gebeten. Bezogen auf die Anzahl der Befragten in unterschiedlichen Klassenstufen gab es keine Auswahlkriterien. Das gleiche gilt für die Schulform. Das Ziel war es, eine möglichst große Zahl von Schülerinnen und Schülern für die Teilnahme an einer solchen Befragung zu gewinnen. Es sollte eine tendenzielle Abbildung der aktuellen Situation des Substanzkonsums von Schülerinnen und Schülern möglich sein und das Aufzeigen grundsätzlicher Entwicklungen. Angesichts der hohen Zahl an auswertbaren Fragebögen beanspruchen wir dennoch eine empirische Annäherung an den Substanzkonsum von Berliner Schülerinnen und Schülern in den befragten Altersgruppen leisten zu können. Dies wird nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass die Befragungen jeweils im gesamten Klassenverband durchgeführt worden sind. Die Erfahrungen, die wir mit unserem Vorhaben machen konnten, sind ferner hilfreich für den Fall, dass künftig vergleichbare Befragungen durchgeführt werden sollten. 17 Dies könnte im Ergebnis zu einem wachsenden Datenbestand in Berlin führen, der durch die Bezirke, das Land Berlin bzw. die Fachstelle für Suchtprävention oder sogar für wissenschaftliche Einrichtungen weiter nutzbar wäre (vgl. Box 7). Box 7:  Ergebnisse und Weiterentwicklung Die Auswertung der Befragung und die Aufbereitung der Ergebnisse im Rahmen der bezirklichen Gesundheitsberichterstattung sollen zu einer effektiveren bezirklichen und landesweiten Suchtprävention beitragen, um konkrete Gesundheitsziele zu formulieren. Für künftige Wiederholungen der BJD-Studie sollte allerdings eine repräsentative Stichprobe ausgewählt werden, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse – auch im Hinblick auf regionale Unterschiede oder zeitliche Entwicklungen – zu sichern. 17 Im Jahr 2014/2015 wurde der Fragebogen der Berliner Schülerstudie im Rahmen einer auf einer Quotenstichprobe beruhenden Befragung an Schulen des Bezirks Reinickendorf eingesetzt. 17 2 Ergebnisse im Überblick 2.1 Demographie Aus Schulen in Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Steglitz-Zehlendorf konnten Angaben von insgesamt 1.436 Schülerinnen und Schüler ausgewertet werden (vgl. Tab. 1). Tabelle 1: Demographische Grunddaten der BJD-Studie Auswertbare Fragebögen insgesamt 100 % N=1.436 Geschlecht (N=1.412) männlich weiblich 49,2 % 50,8 % 694 718 Alter in Jahren (N=1.259) bis 12 Jahre 13 14 15 ab 16 Jahre Median 19,1 % 23,1 % 17,1 % 19,3 % 21,4 % 254 308 228 184 285 14 Jahre Wohnbezirk (N=1.277) Friedrichshain-Kreuzberg Pankow Steglitz-Zehlendorf andere Bezirke außerhalb von Berlin 36,6 % 26,9 % 13,5 % 21,0 % 2,0 % 467 344 173 268 25 Befragungsbezirk (N=1.259) Friedrichshain-Kreuzberg Pankow Steglitz-Zehlendorf 58,1 % 21,4 % 20,4 % 835 308 293 Schultyp (N=1.436) Integrierte Sekundarschule/ Gemeinschaftsschule Gymnasium 18 Förderschule 48,7 % 50,0 % 1,3 % 681 700 18 Klassenstufen (N=1.356) 7 8 9 10 11 12Herkunftsländer 26,1 % 23,0 % 19,1 % 24,8 % 2,7 % 4,3 % 354 311 259 337 37 58 44,2 % 615 Migrationskontext Eltern/ Großeltern aus einem anderen Land Allein an Friedrichshain-Kreuzberger Schulen konnten 835 Schülerinnen und Schüler erreicht werden. Schülerinnen und Schüler aus den anderen beiden Bezirken sind mit jeweils etwa 20 % an der Gesamtstichprobe vertreten. 18 Hier nur Sekundarstufe I und II. 18 Das Geschlechterverhältnis ist mit 50,8 % (weiblich) und 49,2 % (männlich) ausgeglichen, ebenso wie das Verhältnis zwischen Schülerinnen und Schülern, die eine Integrierte Sekundarschule bzw. Gemeinschaftsschule (48,7 %) oder das Gymnasium (50,0 %) besuchen. Der Altersdurchschnitt 19 liegt bei 14 Jahren. Bezogen auf die Klassenstufen ist anzumerken, dass die Schülerinnen und Schüler aus den 11. und 12. Klassen mit insgesamt nur ca. 7 % an der Stichprobe unterrepräsentiert 20 sind. Ferner wurden die Befragten in den Klassenstufen 11 und 12 überwiegend nur in einem der drei beteiligten Bezirke erreicht. Hieraus resultiert eine Verzerrung der Stichprobe („Selection Bias“). Aus diesem Grund beziehen sich Analysen, die auf Altersunterschiede im Substanzkonsum eingehen, in der Regel nur auf die Befragten der Klassenstufen sieben bis zehn. Abschließend ist festzuhalten, dass mit 44 % vergleichbar viele junge Menschen mit Migrationskontext an der Befragung teilgenommen haben. 2.2 „Image“ von Drogen und Konsumerfahrung In der Eingangsfrage wurden die Schülerinnen und Schüler danach gefragt, welche Drogen ihrer Meinung nach derzeit „angesagt“ sind. Die Antworten wurden anschließend mit den Angaben zur tatsächlichen Konsumerfahrung verglichen (vgl. Abb. 1). Abbildung 1: „Image“ von Drogen und Konsumerfahrung 646 angesagt 610 373 irgendwann konsumiert 384 339 245 Anzahl der Nennungen 45 44 37 3 6 57 2 Räuchermischungen 20 GHB/GBL (sog. KO-Tropfen) 43 4 Ecstasy/MDMA Crystal Meth Kokain Alkohol Nikotin Cannabis 45 56 Badesalze 57 6 Halluzinogene (z.B. Pilze) 87 57 Heroin 124 Amphetamine/Speed 151 Alle Altersgruppen. 19 Hier: Median. Der Median ist ein Mittelwert, der in der Statistik auch als Zentralwert bezeichnet wird. Er teilt eine Population in zwei Hälften und ist damit robust gegenüber „Ausreißern“. 20 Vgl. hierzu die Erläuterungen zu Abb. 4 (Kap. 2.4). 19 Die Ergebnisse der subjektiven Einschätzung der „Popularität“ von legalen und illegalen Drogen spiegeln zum einen die aktuelle gesellschaftliche Diskussion wider. Demnach gilt Cannabis unter den Befragten als die am meisten „angesagte“ Droge. Sechs von 10 befragten Schülerinnen und Schülern schätzen Cannabis entsprechend ein. Das bedeutet eine fast doppelt so hohe „Popularität“ wie für Nikotin und Alkohol. Auffallend ist darüber hinaus die hohe Anzahl der Befragten, die angeben, Crystal Meth sei „angesagt“. Zum anderen zeigt sich eine zum Teil sehr ausgeprägte Diskrepanz zum geäußerten Konsumverhalten. Deutlich weniger als die Hälfte derer, die Cannabis für „angesagt“ halten, konsumieren diese Droge auch tatsächlich oder haben dies zumindest schon einmal getan. Eine ähnliche, proportional aber weitaus stärker ausgeprägte Diskrepanz zwischen Bewertung und tatsächlichem Verhalten zeigt sich für Crystal Meth. Während 124 Jungen und Mädchen meinen, diese Droge sei „angesagt“, haben nur sechs von 1.436 Befragten eine Konsumerfahrung mit Chrystal Meth angegeben. Gegen die Vermutung, dass diese Unterschiede alleine aus der sozialen Unerwünschtheit der Antworten bei illegalen Drogen resultieren, spricht das gespiegelte Muster bei den anderen psychoaktiven Substanzen. Hier konsumieren mehr Schülerinnen und Schüler, als diese für „angesagt“ halten. Gleiches zeigt sich auch sehr ausgeprägt beim Alkoholkonsum. Diese Ergebnisse legen nahe, dass das subjektiv eingeschätzte „soziale Image“ einer Substanz keinen eindeutig befördernden oder schwächenden Einfluss auf den Drogenkonsum bei Jugendlichen hat. Allerdings kann ein kausaler Effekt zwischen Image und Konsum letztlich nur in einer Wiederholungsbefragung empirisch sicher nachgewiesen werden (vgl. Box 8). Box 8:  Wahrgenommenes Image von Drogen und Konsumerfahrung Aus unseren Ergebnissen lässt sich kein deutlicher Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen dem sozialen Image einer Droge und ihrem tatsächlichen Konsum ableiten. Wenn eine Droge als „in“ gilt, fühlen sich Jugendliche offenbar nicht automatisch animiert, diese auch zu probieren oder gar regelmäßig zu konsumieren. Vor diesem Hintergrund können auch Kampagnen zur Verhaltensprävention bewertet werden, die den Drogenkonsum vorrangig über „negative Imagemaßnahmen“ reduzieren wollen. Im verhaltenspräventiven Bereich ist der individuellen Motivlage ein höheres Gewicht beizumessen als der eingeschätzten sozialen Akzeptanz von Substanzen. 2.3 Konsumhäufigkeit im Überblick Die insgesamt am weitesten verbreitete Substanz bei den befragten Jugendlichen ist der Alkohol (vgl. Abb. 2). Fast die Hälfte gibt an, bereits mindestens einmal Alkohol konsumiert zu haben und mehr als ein Drittel konsumieren zwischen einmal oder mehrmals im Monat. Der Tabakkonsum folgt an zweiter Stelle. Beim Lebenszeitkonsum und dem gelegentlichen Gebrauch erreicht Tabak zwar nicht die Dominanz des Alkohols. Dafür geben aber deutlich mehr – ca. 10 % – der Schülerinnen und Schüler an, Tabak regelmäßig zu konsumieren, das heißt „mehrmals pro Woche“ oder „täglich“. Im Hinblick auf den regelmäßigen Gewohnheitskonsum ist trotz der weiten Verbreitung damit nicht Alkohol, sondern Tabak die dominante Substanz. Auch zeichnet sich ab, dass hier nicht, wie bei den anderen Substanzen, mit zu- 20 nehmender Frequenz der Anteil der Konsumierenden geringer wird. Somit bleibt Nikotin – trotz bundesweit und altersübergreifend rückläufiger Konsumtrends in den letzten Jahren – das Suchtmittel „Nr. 1“ bei Jugendlichen, wenn man auf den regelmäßigen Gebrauch abstellt. Bezüglich der Konsumhäufigkeit von Cannabis zeigen sich Parallelen im Vergleich zu Alkohol und Tabak. Obwohl Cannabis unter das Betäubungsmittelgesetz fällt und der Erwerb und Besitz unter Umständen strafrechtlich geahndet wird, haben schon fast 20 % der Schülerinnen und Schüler Erfahrungen mit Cannabis gemacht. Der gelegentliche – auf wenige Anlässe im Monat beschränkte – Konsum ist genauso häufig wie beim Tabak, was vermutlich auch auf die Konsumart des Rauchens zurückzuführen ist. Der regelmäßige Cannabiskonsum ist hingegen genauso häufig – bzw. mit 2,4 % der Befragten genauso selten – wie der regelmäßige Alkoholkonsum. Somit weist der Konsum von Cannabis durchaus Parallelen zu den anderen legalen Drogen Alkohol und Tabak auf (vgl. Box 9). Abbildung 2: Konsumhäufigkeit der legalen und illegalen Drogen Lebenszeit gelegentlich regelmäßig 47,1% 37,2% 29,2% 18,4% 9,7% 10,6% 8,7% Tabak 8,6% 2,4% 2,2% Alkohol Cannabis 3,7% 0,9% Illegale Drogen ohne Cannabis Alle Altersgruppen. Lebenszeit: Konsum mindestens einmal im Leben (alle Angaben außer „noch nie“); gelegentlich: „einmal im Monat oder seltener“ oder „mehrmals im Monat“; regelmäßig: „mehrmals pro Woche“ oder „täglich“ Box 9:  Konsumhäufigkeit der legalen und illegalen Drogen Im direkten Vergleich wird deutlich, dass die Häufigkeitsverteilung des Gebrauches von Cannabis eher den legalen Drogen Alkohol und Tabak gleicht, als anderer illegaler Drogen. Sowohl die Lebenszeitprävalenz als auch der gelegentliche und regelmäßige Konsum von illegalen Drogen kommt etwa halb so häufig vor wie bei Cannabis. 21 2.4 Konsumhäufigkeit nach Alter Im Folgenden werden der Alkohol-, Tabak- und Cannabiskonsum im Hinblick auf ihren Zusammenhang mit dem Alter verglichen (vgl. Abb. 3). Über alle Substanzen hinweg und in Abhängigkeit von seiner Intensität nimmt der Konsum von Drogen unterschiedlich stark mit dem Alter zu. Konsumhäufigkeit nach Alter 21 Abbildung 3: Tabak Lebenszeitprävalenz 100% Alkohol Cannabis illegale Drogen 80% 60% 40% 20% 0% 12 Tabak 100% Gelegentlicher Konsum 13 14 15 Alter in Jahren Alkohol Cannabis 16 17 illegale Drogen 80% 60% 40% 20% 0% 12 13 14 15 16 17 Alter in Jahren Tabak Regelmäßiger Konsum 40% Alkohol Cannabis illegale Drogen 30% 20% 10% 0% 12 13 14 15 16 17 Alter in Jahren Alle Altersgruppen. „Lebenszeitprävalenz“: Konsum mindestens einmal im Leben; Gelegentlicher Konsum: „einmal im Monat oder seltener“ oder „mehrmals im Monat"; Regelmäßiger Konsum: „mehrmals pro Woche“ oder „täglich“ Beachten: „Selection-Bias“ ab dem 16. Lebensjahr ( vgl. Kap. 2.1), deswegen sind die Linien nicht durchgezogen (vgl. hierzu auch die vergleichende Betrachtung mit der „JDH-Studie“ in Kap. 5.3) Die gestrichelte Linie für „illegale Drogen“ resultiert aus den sehr geringen Fallzahlen für diese Substanzgruppe. 21 Bitte in der letzten Graphik (Abb. 3) die geänderte Skalierung auf der Abszisse beachten. 22 Lebenszeitprävalenz Bezogen auf die Lebenszeitprävalenz (Abb. 3, erste Grafik) dominiert der Konsum von Alkohol vor Tabak und Cannabis. Auffällig ist ferner der sich tendenziell abzeichnende steiler werdende Anstieg des Kurvenverlaufs beim Alkoholkonsum zwischen dem 14. und 15. Lebensjahr. Dies deutet darauf hin, dass in diesem Alter „Weichenstellungen“ im Hinblick auf den Erstkonsum erfolgen (vgl. hierzu auch die differenzierte Analyse in Kap. 3.1). Hinzuweisen ist auch auf die sich ab dem 14. Lebensjahr leicht an den Tabakkonsum angleichenden Gebrauchshäufigkeiten beim Cannabiskonsum. Inwiefern der sich abzeichnende steile Anstieg beim Konsum illegaler Drogen zwischen dem 16. und 17. Lebensjahr valide ist, lässt sich angesichts der verzerrten Stichprobe in dieser Altersgruppe nicht überprüfen. Box 10:  Lebenszeitprävalenz Die legalen Drogen Alkohol und Tabak stehen lebenszeitlich gesehen „vor“ dem Konsum von Cannabis. Die Konsumhäufigkeit von Cannabis und illegalen Drogen entwickelt sich mit zunehmendem Alter eher auseinander. Der Konsum von Cannabis scheint stärker in Zusammenhang mit legalen Drogen zu stehen, als mit anderen illegalen Drogen. Gelegentlicher Konsum Beim gelegentlichen Konsum von Alkohol (Abb. 3, zweite Grafik) lässt sich ein ähnliches Verlaufsmuster wie für die Lebenszeitprävalenz aufzeigen. Das heißt, dass die Mehrheit derer, die Alkohol ein erstes Mal probiert, Alkohol auch wiederholt, nämlich gelegentlich, konsumiert. Zugleich ist der hohe Alkoholkonsum im Jugendalter in der Breite anlassbezogener Konsum – er beschränkt sich in der Mehrheit auf einige Male pro Monat. Alkohol gehört für Jugendliche zu bestimmten Anlässen offenbar dazu. Dies spricht für eine nicht besonders ausgeprägte, mit dem Alter eher abnehmende Risikobewertung für diese Substanz bei Berliner Jugendlichen. Davon unterscheidet sich der gelegentliche Konsum von Tabak und Cannabis. Beide werden von deutlich weniger Schülerinnen und Schülern „gelegentlich“ konsumiert. Aus den Kurvenverläufen ergibt sich hier aber eine ausgeprägte Ähnlichkeit für den Gelegenheitskonsum von Tabak und Cannabis. Mit dem wiederholten Rauchen von Tabak wird etwa im 13. und 14. Lebensjahr begonnen. Der Einstieg in den wiederholten Konsum von Cannabis vollzieht sich zwischen dem 14. und 15. Lebensjahr. Der gelegentliche Konsum illegaler Drogen ist demgegenüber kein verbreitetes Phänomen. Er verbleibt in den Altersjahren unserer Stichprobe zum einen auf einem stabil niedrigen Niveau, das offenbar sogar weiter als bis in das 12. Lebensjahr zurückweist. Zum anderen lassen sich auch beim gelegentlichen Konsum keine Hinweise darauf finden, dass Cannabis eine Einstiegsdroge für andere illegale Drogen ist (vgl. Box 11). 23 Box 11:  Gelegentlicher Konsum Der gelegentliche Cannabis- und Tabakkonsum sind ab dem 14. Lebensjahr gleich häufig, und die Tendenz des Konsums im weiteren Jugendalter deutet ein stabiles, ähnliches Niveau im Konsum von Tabak und Cannabis an. Ein Tabakkonsum geht einem Cannabiskonsum möglicherweise voraus. Die Konsumfrequenz von Cannabis und anderen illegalen Drogen entwickelt sich tendenziell auseinander. Regelmäßiger Konsum Beim täglichen oder wöchentlichen Konsum dominiert Tabak. Der Einstieg in den Gewohnheitskonsum beginnt um das 13. Lebensjahr (Abb. 3, dritte Graphik). Der sich andeutende Befund einer Dominanz des regelmäßigen Konsums von Cannabis gegenüber Alkohol im 17. Lebensjahr ist aufgrund der verzerrten Stichprobe mit Vorsicht zu betrachten (vgl. Box 12). Box 12:  Regelmäßiger Konsum Bezüglich des regelmäßigen Gebrauchs von Drogen – also mindestens einmal wöchentlich – kehren sich die Trends um. Hier dominiert eindeutig der Tabakkonsum, wohingegen Alkohol- und Cannabiskonsum in der Häufigkeit dicht bei einander liegend auf einem vergleichsweise geringen Niveau bleiben. Häufigkeit des Drogenkonsums im Vergleich Aus dieser Gesamtschau lässt sich schlussfolgern, dass die „Einstiegsdroge Nr. 1“ Alkohol ist. Die Berührungsängste mit Alkohol scheinen vergleichsweise gering zu sein, obwohl es hier – ebenso wie beim Tabak – einen ausgeprägten gesetzlichen Jugendschutz gibt (vgl. auch Kap. 3.1). Die Tatsache, dass sowohl Alkohol als auch Tabak und Cannabis bereits ab einem Alter von 13 Jahren zunehmend konsumiert werden, lässt die mehr oder weniger restriktiven Verkaufsverbote für diese Drogen nicht als einziges Mittel zur Suchtprävention erscheinen. Das Jugendschutzgesetz etwa erlaubt die Abgabe und den Verzehr von alkoholischen Getränken wie Wein oder Bier im Alter zwischen 14 und 16 Jahren nur in Begleitung einer personensorgeberechtigten Person. 22 Somit sollte der Alkoholkonsum in diesem Alter nur gering verbreitet sein. Dennoch konsumieren viele 14-jährige und die Mehrzahl der 15-jährigen Berliner Schülerinnen und Schüler regelmäßig oder gelegentlich Alkohol. Ähnliches gilt für den weitaus strikteren Umgang mit Cannabis: obwohl Cannabis als nicht verkehrsfähige Droge gilt, gleichen sich die Gebrauchsmuster insbesondere bei Minderjährigen denen der legalen Drogen an. Dies hat erhebliche Bedeutung für die Frage der Wirksamkeit des Cannabisverbotes und die Suche nach alternativen und wirkungsvolleren Präventionsstrategien. 22 Eine übersichtliche Darstellung über die abgestuften gesetzlichen Regelungen zum Jugendschutz findet sich unter: http://www.kenn-dein-limit.info/gesetzliche-regelungen.html; Zugriff: 17.11.2015 24 Der Konsum von anderen illegalen Drogen ist im direkten Vergleich nachrangig und scheint weitgehend unabhängig vom Cannabiskonsum zu sein. Im Vergleich der Entwicklung der Konsumhäufigkeit mit dem Alter zeigt sich, dass offenbar Alkohol die „Einstiegsdroge Nr. 1“ ist (vgl. Box 13 und Kap. 3.1). Box 13:  Einstiegsdroge Alkohol? Der Probierkonsum und der gelegentliche Gebrauch von Alkohol sind unter Jugendlichen weit verbreitet. Schon 10 % der 12-Jährigen und jede bzw. jeder Fünfte der 13-Jährigen konsumiert anlassbezogen Alkohol. Alkoholkonsum birgt aber erhebliche gesundheitliche Risiken. Dies betrifft Schädigungen der Nerven und Organe und einen Einfluss auf das Risiko von Krebs und anderen Erkrankungen. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen kann starker Alkoholkonsum zu dauerhaften Schädigungen des Gehirns führen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) fordert daher, Alkoholkonsum grundsätzlich erst ab 18 Jahren zu erlauben (DHS 2015). Zugleich ist die so genannte „Therapielatenz“ – also die lebenszeitlich gesehene Dauer zwischen dem Alter des erstmaligen Konsums einer Droge und dem Eintritt in eine Behandlung einer Abhängigkeit – für Alkohol im Vergleich der Substanzen die größte (vgl. Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales 2011, S. 67). Dem Bewusstsein, möglicherweise ein Problem mit Alkohol zu haben, geht somit eine sehr lange Lebenszeit des Gewohnheitskonsums voraus, der als „normal“ bzw. noch nicht problematisch genug wahrgenommen wird. 23 Je früher aber der Konsum beginnt und je länger der Konsum andauert, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, diese Abhängigkeit überwinden zu können. 23 Fachkräfte aus der Suchthilfe bestätigen, dass Jugendliche in der Beratungspraxis schwer erreicht werden. Sie begründen das unter anderem damit, dass eine Einsicht in die Behandlungsnotwendigkeit aufgrund der gesellschaftlichen Akzeptanz des Alkoholkonsums und angesichts der massiven gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen in der Regel viel zu spät kommt. 25 3 Substanzkonsum im Detail 3.1 Alkoholkonsum Konsum nach Alter und Geschlecht Von allen befragten Schülerinnen und Schülern gab etwa die Hälfte an, noch nie Alkohol konsumiert zu haben (53 %). Ein Viertel der Jugendlichen berichtet einen Konsum von einmal im Monat oder seltener (23 %). Mehr als jede bzw. jeder Zehnte trinkt Alkohol mehrmals im Monat (14 %) und 2 % der Befragten geben einen Konsum von mehrmals in der Woche an (vgl. Abb. 4). Abbildung 4: Häufigkeit des Alkoholkonsums Häufigkeit Mädchen Jungen Gesamt Noch nie 338 (52 %) 337 (54 %) 675 (53 %) 38 (6 %) 60 (10 %) 98 (8 %) Einmal im Monat oder seltener 166 (26 %) 132 (21 %) 298 (23 %) Mehrmals im Monat 97 (15 %) 82 (13 %) 179 (14 %) Mehrmals pro Woche 10 (2 %) 13 (2 %) 23 (2 %) Täglich 1 (0 %) 5 (1 %) 6 (1 %) Aktuell nicht, aber früher Noch nie Lebenszeit Gelegentlich Regelmäßig 100% 80% 60% 40% 20% 0% 7 8 9 10 Alkoholkonsum nach Klassenstufe Alle Altersgruppen (Tabelle) bzw. Klassenstufen 7 bis 10 (Grafik). Lebenszeit: Konsum mindestens einmal im Leben (alle Angaben außer „noch nie“); Gelegentlich: „einmal im Monat oder seltener“ oder „mehrmals im Monat"; Regelmäßig: „mehrmals pro Woche“ oder „täglich“ Nennenswerte Geschlechterunterschiede lassen sich für den Alkoholkonsum nicht aufzeigen, wobei Mädchen in der Tendenz geringfügig häufiger zum gelegentlichen Konsum („einmal im Monat oder seltener“ bzw. „mehrmals pro Monat“) neigen als Jungen. Deutliche Unterschiede in der Beantwortung zeigen sich aber in Abhängigkeit vom Alter: Während in den 7. Klassen fast neun von zehn Befragten noch nie Alkohol konsumiert haben, dreht sich das Verhältnis bis zur 10. Klasse fast um. Hier ist es nur noch jede oder jeder Fünfte, die oder der angibt, noch nie Alkohol getrunken zu haben. Für die Mehrheit (ca. 65 %) der Schülerinnen und Schüler in den 10. Klassen gehört Alkohol zum Leben dazu. Einerseits vermag dieser Befund angesichts der hohen Bedeutung des Alkohols in unserer Gesellschaft kaum für Erstaunen zu sorgen. Andererseits weist es doch auf erhebliche Lü- 26 cken im Jugendschutz beim Alkohol hin, wenn fast vier von fünf Schülerinnen und Schülern der zehnten Klassen – die mehrheitlich im Alter zwischen 15 und 16 Jahren sind – Erfahrungen mit Alkohol haben und mehr als zwei Drittel von ihnen Alkohol sogar wiederholt, also mindestens gelegentlich, konsumieren. Erster Alkoholkonsum: Anlässe und Bezugsquellen Die Tendenz der Antworten auf die Frage nach dem Anlass des ersten Alkoholkonsums fällt eindeutig aus (vgl. Abb. 5): Mehr als 80 % der befragten Schülerinnen und Schüler geben an, im Rahmen von familiären und sozialen Zusammenkünften und „jahreszeitbedingten“ 24 Feierlichkeiten das erste Mal Alkohol getrunken zu haben, wobei die Silvesterfeierlichkeiten in dieser Kategorie klar dominieren. Abbildung 5: Erster Alkoholkonsum: Anlass Gruppenzwang 0,8% Kummer/Sorgen/Stress 0,9% Versehen 3,4% Sonstige 7,2% Neugier/ zum Probieren 9,0% jahreszeitbedingte Feierlichkeiten (insb. Silvester) 23,2% nicht jahreszeitbedingte, familiäre und soziale Zusammenkünfte 57,1% Alle Altersgruppen. N=758 Nennungen Abbildung 6: Erster Alkoholkonsum: Bezugsquelle geklaut 0,7% aus häuslichem Umfeld genommen 3,2% vesehentlich genommen 3,4% Sonstige selbst gekauft 4,5% 12,5% von Freunden / Bekannten bekommen 27,6% von Familie bekommen 51,9% Alle Altersgruppen. N=758 Nennungen. Dass der Einstieg in den Alkoholkonsum zu einem nicht unwesentlichen Teil im familiären Zusammenhang passiert bestätigt sich, wenn der Blick ergänzend auf die Antworten zur 24 Zu der Kategorie „jahreszeitbedingte Feierlichkeiten“ wurden Feiertage wie Silvester, Neujahr, Weihnachten und Halloween zusammengefasst. 27 Frage gerichtet wird, woher die Schülerinnen und Schüler den Alkohol „beim ersten Mal“ bekommen haben (vgl. Abb. 6): Mehr als die Hälfte der Befragten verweist hier auf die Familie, ein weiteres Viertel auf Freunde und Bekannte. Die Antworten der befragten Jugendlichen sowohl zum Erstkonsum als auch zur Bezugsquelle spiegeln damit deutlich die hohe soziale Akzeptanz der legalen Droge Alkohol wider. Es sind insbesondere die familiären Zusammenkünfte und Feierlichkeiten, bei denen Kinder und Jugendliche zum ersten Mal Alkohol probieren, und es sind überwiegend Eltern, Familienmitglieder oder Bekannte, die den Alkohol erstmals aktiv anbieten oder den Zugang ermöglichen (vgl. Box 14). Box 14:  Eltern im Spannungsfeld? Eltern befinden sich in einem Spannungsfeld: Einerseits sollten sie dem Ausprobieren „erwachsener“ Verhaltensweisen ihrer Kinder aufgeschlossen und entspannt gegenüberstehen. Andererseits müssen Eltern erkennen, welche fatale Wirkung eigenes Verhalten auf ihre Kinder haben kann; vor allem wenn ein elterlicher Konsum von Drogen in der Familie als Normalität gilt, über die nicht gesprochen wird. Suchtprävention für Jugendliche kommt damit auch die Aufgabe zu, Eltern bei der Selbstreflektion ihrer eigenen Konsumgewohnheiten zu helfen. Es gilt, diese für den Fall eines Probierkonsums und gegebenenfalls sogar wiederholtem Drogenkonsums ihrer Kinder dahingehend zu unterstützen, eine verantwortungsvolle Balance zwischen Akzeptanz und Konsequenz beim Substanzkonsum der Kinder zu finden. Zugleich muss klar artikuliert werden, dass es gegen gesetzliche Regelungen verstößt, Jugendlichen unter 16 Jahren aktiv Alkohol anzubieten. Die Regelhaftigkeit dieser Verstöße im familiären Kontext macht die breite gesellschaftliche Akzeptanz des Alkoholkonsums deutlich und zeigt auf, dass Familien stärker in Präventionsprogramme für Minderjährige eingebunden werden müssen. Wirkerwartung des Alkoholkonsums Die Schülerinnen und Schüler wurden auch gefragt, welche Auswirkungen sie mit dem Konsum von Alkohol assoziieren (sog. „Wirkerwartung“, vgl. Tab. 2). Dabei wird Alkohol von Jungen und Mädchen in erster Linie mit Spaß, Geselligkeit und Entspannung assoziiert. Zugleich ist sich die Hälfte der Befragten (siehe Spalte „Gesamt“) bewusst, dass Alkoholkonsum schädlich für die Gesundheit ist bzw. nimmt dies in Kauf. Geschlechterunterschiede zeigen sich hierbei nur tendenziell. Mädchen verbinden Alkoholkonsum etwas häufiger mit Spaß und Wohlbefinden, wohingegen unter Jungen die negativen Auswirkungen häufiger geäußert werden. Die Vermutung, dass die hohe Frequenz des gelegentlichen Alkoholkonsums auf ein nicht besonders ausgeprägtes Risikobewusstsein hinweist, kann teilweise bestätigt werden. Die Hälfte der Jugendlichen ist sich nicht im Klaren über die enormen gesundheitlichen Risiken des Konsums von Alkohol. Die andere Hälfte nimmt diese wohl bewusst in Kauf. Andererseits müssen die Angaben zur Wirkerwartung aber auch so verstanden werden, dass diejenigen Jungen und Mädchen, die negative gesundheitliche und soziale Auswirkungen für unwahrscheinlich halten, möglicherweise der Überzeugung sind, sie würden in einem wenig gesundheitsgefährdenden Maß konsumieren. 28 Tabelle 2: Wirkerwartung des Alkoholkonsums „Wenn Du Alkohol trinkst, wie wahrscheinlich ist es für Dich persönlich, dass dir folgendes passiert?“ Mädchen Jungen Gesamt …habe eine Menge Spaß. 60% 53% 56% …empfinde mich als kontaktfreudiger. 48% 49% 48% …gefährde meine Gesundheit. 47% 48% 48% …fühle mich glücklich. 47% 44% 46% …fühle mich entspannt. 45% 43% 44% …vergesse meine Probleme. 38% 39% 38% …tue etwas, das ich bereuen werde. 29% 35% 32% …bekomme einen „Kater“. 25% 29% 27% …fühle mich krank. 17% 24% 21% …bekomme Schwierigkeiten mit der Polizei. 13% 24% 19% …kann nicht aufhören zu trinken. 13% 17% 15% Ich... Alle Altersgruppen. N= 930-950 (je nach Item). Zustimmende Antworten („sehr wahrscheinlich“ und „wahrscheinlich“) zusammengezählt. Insgesamt äußerten 15 % der befragten Schülerinnen und Schüler die Meinung, sie würden schwer ihre Grenze kennen, wenn sie Alkohol trinken. Der Anteil derer, die dies behaupten, ist sowohl unter den jüngeren Befragten mit wenig Konsumerfahrung sehr hoch als auch bei denen, die einen regelmäßigen, also vergleichsweise häufigen, Alkoholkonsum angeben. Die größte Gruppe, nämlich diejenigen mit gelegentlichem Konsum, äußerten zu 90 %, dass sie ihre Grenzen sehr wohl einhalten können. Dass Alkoholkonsum die Gesundheit schädigt, ist unumstritten; es gilt aber ganz besonders im Jugendalter. Aufgrund der in dieser Lebensphase laufenden neuro-physiologischen Reifungsprozesse gilt dies grundsätzlich unabhängig von der Trinkfrequenz und der Trinkmenge. Diese Befürchtung teilen daher die meisten Befragten unabhängig davon, ob sie regelmäßig, gelegentlich oder gar nicht zum Alkohol greifen. Allerdings ist der Anteil der Befragten mit Sorge um die Gesundheit unter denen am höchsten, die bisher keine Konsumerfahrung haben – und auch dies sind wiederum die jüngsten. Somit deutet sich hier schon an, dass abschreckende Eigenschaften des Alkohols vor allem bei Jugendlichen verbreitet sind, die entweder noch keine Konsumerfahrung haben oder – im Gegenteil – vergleichsweise häufig zum Alkohol greifen. In diesen Fällen tun sie dies dann also eindeutig wider besseres Wissen. 29 Schrecken negative Wirkungen vom Alkoholkonsum ab? Trinken Schülerinnen und Schüler, die mit Alkohol vor allem negative Auswirkungen assoziieren, tatsächlich seltener? Und konsumieren Jugendliche, die mit Alkoholkonsum vornehmlich positive Auswirkungen verbinden, entsprechend mehr? Um diese Fragen zu beantworten, wurde eine Spearman Rangkorrelation durchgeführt (vgl. Tab. 3). Die Ergebnisse sind eindeutig. Auf der einen Seite wird eine selbst eingeschätzte Auswirkung des Alkoholkonsums, die als verhaltensbegünstigend () angenommen werden kann, häufiger von den Schülerinnen und Schülern geäußert, die vergleichsweise häufig und viel Alkohol trinken. Die Korrelationskoeffizienten liegen hier jeweils zwischen -0,41 und -0,43 und zeigen mit diesen Werten einen für sozialwissenschaftliche Skalen sehr ausgeprägten Zusammenhang an. Auf der anderen Seite korreliert eine eher verhaltenshemmende Wirkerwartung des Alkoholkonsums () kaum mit der Häufigkeit eines hohen Alkoholkonsums in den letzten 30 Tagen. Mit anderen Worten: wenn Jugendliche der Meinung sind, dass Alkoholkonsum ihrer Gesundheit schadet oder sie sogar einen Kontrollverlust befürchten, dann hält sie das nicht stärker vom Trinken ab als andere, die keine negativen Auswirkungen befürchten (vgl. Box 15). Tabelle 3: Korrelation zwischen Wirkerwartung und starkem Alkoholkonsum Korrelation** mit starkem Konsum*** Wirkerwartung*   Wenn ich Alkohol trinke, fühle ich mich glücklich. -0,43 Wenn ich Alkohol trinke, habe ich eine Menge Spaß. -0,43 Wenn ich Alkohol trinke, empfinde ich mich als kontaktfreudiger. -0,42 Wenn ich Alkohol trinke, fühle ich mich entspannt. -0,41 Wenn ich Alkohol trinke, vergesse ich meine Probleme. -0,30 Wenn ich Alkohol trinke, bekomme ich einen "Kater". -0,09 Wenn ich Alkohol trinke, kann ich nicht aufhören zu trinken. -0,06 Wenn ich Alkohol trinke, tue ich etwas, das ich bereuen werde. -0,05 Wenn ich Alkohol trinke, gefährde ich meine Gesundheit. 0,04 Wenn ich Alkohol trinke, bekomme ich Schwierigkeiten mit der Polizei. 0,07 Wenn ich Alkohol trinke, fühle ich mich krank. 0,13 Alle Altersgruppen. * Wirkerwartung: „1“ (sehr wahrscheinlich) bis „5“ (sehr unwahrscheinlich); **Spearman Rangkorrelationskoeffizient, wobei: R > 0, wenn mit starker Erwartung der jeweiligen Wirkung die 30-TageFrequenz des starken Konsums sinkt, R < 0, wenn mit starker Erwartung der jeweiligen Wirkung die 30-Tage Frequenz des starken Konsums steigt. *** 30-Tage-Frequenz des Konsums von fünf oder mehr Einheiten Alkohol bei einer Gelegenheit: „1“ (niemals) bis „6“ (10 x oder öfter) 30 Box 15:  Konsequenzen für die Prävention: Hilft „Abschreckung“? Dass insgesamt etwa ein Drittel der Jugendlichen den Alkoholkonsum mit Handlungen gleichsetzt, die hinterher bereut werden, zeigt, dass der weit verbreitete Konsum von Alkohol im Jugendalter bei einem nicht geringen Teil der Schülerinnen und Schüler in der Selbsteinschätzung durchaus problematische Züge annimmt (vgl. Tab. 2). Dass die Befürchtung negativer Konsequenzen – sei es Angst vor Kontrollverlust oder Sorge um die Gesundheit – mit zunehmendem Alter insgesamt abnimmt, werten wir als Indiz dafür, dass Präventionskampagnen, die mit derart gelagerten Botschaften arbeiten, vorrangig nicht konsumerfahrene Jugendliche darin bestärken, weitgehend konsumfrei zu bleiben. Sie stützen damit die empirische Minderheit derer, die aus gutem Grund auf Alkohol verzichten. Sie entfalten aber offenbar weder universalpräventive Breitenwirkung, noch scheinen sie jene anzusprechen, die verhältnismäßig oft Alkohol konsumieren. Diese Ergebnisse zeigen damit zweierlei: 1. Zum einen kann ein positives soziales Image des Alkohols den Konsum in der Tat befördern. Dieser Befund legt nahe, dass auf der verhältnispräventiven Ebene ein striktes Werbeverbot für Alkohol durchgesetzt werden muss. 2. Reine „Abschreckungsmaßnahmen“ hingegen, also zum Beispiel Kampagnen, die die negativen Folgen des Alkoholkonsums in den Mittelpunkt stellen, scheinen kaum tauglich zu sein, um Jugendliche in der Breite vom frühen Alkoholkonsum abzuhalten. Glaubhafte Suchtprävention im Jugendalter muss daher sehr viel stärker – und vor allem bei Jugendlichen ab 16 Jahren – auf das „wie“ des Konsums hinwirken, um problematischen Konsumverläufen und gesundheitlichen Schäden im späteren Leben vorbeugen zu können. Denn sie wachsen in einer Gesellschaft auf, in der Alkohol als Kulturgut gilt. 25 25 In der so genannten „Cannabis-Entscheidung“ von 1994 hat das Bundesverfassungsgericht u. a ausgeführt: „Alkoholhaltige Substanzen dienen als Lebens- und Genussmittel; in Form von Wein werden sie auch im religiösen Kult verwandt. [...] Weiterhin sieht sich der Gesetzgeber auch vor die Situation gestellt, dass er den Genuss von Alkohol wegen der herkömmlichen Konsumgewohnheiten in Deutschland und im europäischen Kulturkreis nicht effektiv unterbinden kann.“ (BVerfGE 90; 145: 197). 31 3.2 Tabakkonsum Konsum nach Alter In unserer Befragung haben 7 von 10 Schülerinnen und Schülern geäußert, noch nie Tabak konsumiert zu haben (vgl. Abb. 7). Damit kommen wir zu ähnlichen Ergebnissen wie eine aktuelle Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA 2015). 26 Sowohl in der BZgA-Studie als auch in unserer BJD-Studie liegt der Anteil der 12- bis 17-Jährigen, die noch nie geraucht haben, bei 72 %. Abbildung 7: Häufigkeit des Tabakkonsums Häufigkeit Mädchen Jungen Gesamt Noch nie 461 (70 %) 459 (71 %) 920 (71 %) Aktuell nicht, aber früher 51 (8 %) 64 (10 %) 115 (9 %) Einmal im Monat oder seltener 51 (8 %) 44 (7 %) 95 (7 %) Mehrmals im Monat 19 (3 %) 12 (2 %) 31 (2 %) Mehrmals pro Woche 28 (4 %) 10 (2 %) 38 (3 %) Täglich 47 (7 %) 54 (8 %) 101 (8 %) Noch nie Lebenszeit Gelegentlich Regelmäßig 100% 80% 60% 40% 20% 0% 7 8 9 10 Tabakkonsum nach Klassenstufe Alle Altersgruppen (Tabelle) bzw. nur Klassenstufen 7 bis 10 (Grafik). Lebenszeit: Konsum mindestens einmal im Leben (alle Angaben außer „noch nie“); Gelegentlich: „einmal im Monat oder seltener“ oder „mehrmals im Monat“; Regelmäßig: „mehrmals pro Woche“ oder „täglich“ Im Vergleich zum Alkoholkonsum (vgl. Abschnitt 3.1) fällt auf, dass weitaus mehr Jugendliche täglich zur Zigarette greifen, als täglich Alkohol zu trinken. Während nur 6 unserer befragten Schülerinnen und Schüler angegeben haben, täglich Alkohol zu sich zu nehmen, geben 17-mal so viele an, täglich Tabak zu konsumieren. Beim Tabakkonsum zeigt sich ebenfalls, dass mit steigender Klassenstufe der Anteil derer, die rauchen, zunimmt und der Anteil derer, die abstinent bleiben, geringer wird. Dennoch gibt sogar etwas mehr als die Hälfte der befragten Zehntklässler an, noch nie zur Zigarette gegriffen zu haben (vgl. Abb. 7). Damit ist zum einen – wie bereits in Abschnitt 2 ausgeführt – die Zigarette die Droge des täglichen Gebrauchs. Zum anderen ist Tabak bei den Schülerinnen und Schülern aber insgesamt nicht so weit verbreitet wie Alkohol. Auch ist der Unterschied in 26 Vgl. BZgA 2015. Der Anteil 12- bis 17-Jähriger in Deutschland, die noch nie geraucht haben, wird mit 72,3 % ausgewiesen. 32 den Anteilswerten derer, die mindestens schon einmal geraucht haben (Lebenszeit) und denen, die regelmäßig oder gelegentlich rauchen, groß (vgl. Abb. 7). Dies spricht dafür, dass ein Großteil derer, die Erfahrungen mit dem Tabakkonsum angeben, es beim einmaligen Probierkonsum belassen hat. Diejenigen aber, die wiederholt zur Zigarette greifen, werden schnell zu regelmäßigen Raucherinnen und Rauchern. Zu ähnlich hohen Anteilen äußerten sich die Befragten, die zwar aktuell nicht, aber früher bereits geraucht hatten (9 %) und die täglich (8 %) oder selten (7 %) zur Zigarette greifen. In Bezug auf das tägliche Rauchen liegen unsere Ergebnisse geringfügig über denen der aktuellen BZgA-Studie, die hier einen Anteil von 5 % ausweist. Geschlechterunterschiede beim Tabakkonsum Aus dem gelegentlichen und regelmäßigen Konsum wurde für weitere Analysen die Variable „gegenwärtiger“ Konsum gebildet. Beim Vergleich des Tabakrauchens nach Geschlecht und Klassenstufe zeichnet sich eine schwache Tendenz dahingehend ab, dass Mädchen etwas später anfangen zu rauchen als Jungen, diese dann aber offenbar mit zunehmendem Alter „überholen“ (vgl. Tab. 4). Tabelle 4: Gegenwärtiges Rauchen von Tabak nach Klassenstufe und Geschlecht Klassenstufe Mädchen Jungen 7. Klasse 36 % (4) 64 % (7) 8. Klasse 51 % (20) 49 % (19) 9. Klasse 59 % (33) 41 % (23) 10. Klasse 55 % (62) 45 % (50) Klassenstufen 7 bis 10. N=255. Gegenwärtiges Rauchen: gelegentlich („einmal im Monat oder seltener“ oder „mehrmals im Monat“) oder regelmäßig („mehrmals pro Woche“ oder „täglich“) Dieser Befund lässt sich zumindest mit der BZgA-Tabakstudie nicht replizieren und sollte künftig überprüft werden. Er weist darauf hin, dass gendersensible Suchtprävention auch dann nötig ist, wenn sich in einer Gesamtschau über mehrere Altersjahre keine gravierenden Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen zeigen (vgl. Box 16). Box 16:  Geschlechterunterschiede beim Tabakkonsum In Studien zum Tabakkonsum junger Menschen wird festgestellt, dass der Tabakkonsum seit Jahren insgesamt rückläufig ist. Dabei gleichen sich die Konsummuster von Jungen und Mädchen an – während der Tabakkonsum von Jungen ebenfalls rückläufig ist, hat der Tabakkonsum von Mädchen in den letzten Jahren auf das Niveau der Jungen zugenommen. Die Ergebnisse unserer Berliner Stichprobe zeigen insgesamt betrachtet nur geringe Geschlechterunterschiede, wobei es eine schwache Tendenz dahingehend gibt, dass Mädchen später anfangen, dann aber sogar etwas häufiger rauchen als Jungen. 33 Konsum nach Schultyp Bei den Befragten unserer Stichprobe zeichnet sich ferner ein Unterschied dahingehend ab, dass an Sekundar- und Gemeinschaftsschulen der Anteil der Raucherinnen und Raucher höher ist als an Gymnasien, insbesondere bezogen auf das tägliche Rauchen (vgl. Tab. 5). Tabelle 5: Gegenwärtiges Rauchen von Tabak nach Schultyp Häufigkeit Sekundar-/Gemeinschaftsschule Gymnasium Noch nie geraucht 68,4 % 76,2 % Gegenwärtiges Rauchen 22,3 % 15,5 % darunter: tägliches Rauchen 10,3 % 4,1 % Klassenstufen 7 bis 10. N= 1.114. Gegenwärtiges Rauchen: gelegentlich („einmal im Monat oder seltener“ oder „mehrmals im Monat“) oder regelmäßig („mehrmals pro Woche“ oder „täglich“) Die Sozialschichtabhängigkeit im Rauchverhalten wird in repräsentativen Studien (vgl. BZgA 2015) sowohl für Minderjährige als auch für Erwachsene bestätigt. Laut der BZgA-Studie ist der Anteil der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten in der Sekundarstufe I (also bis zur 10. Klasse), die „noch nie“ geraucht haben, allerdings bundesweit mit 83 % höher als in unserer Studie (76 %). Der Anteil der täglich rauchenden Jungen und Mädchen an Gymnasien in der Sekundarstufe I ist hingegen bundesweit mit 1,3 % erheblich niedriger als in unserer Befragung (vgl. Box 17). 27 Box 17:  Sozialschichtunterschiede beim Tabakkonsum In unserer Studie konnten wir den Befund stützen, dass an Gymnasien weniger geraucht wird, als an Sekundarschulen. Dies bestätigt, dass unsere Stichprobe durchaus in der Lage ist, allgemeine Trends und Tendenzen im Substanzkonsum von Schülerinnen und Schülern aufzuzeigen. Dafür spricht auch der im Vergleich ähnlich hohe Anteil derer, die angeben, noch nie geraucht zu haben, den wir in unserer Stichprobe für die Altersjahrgänge der 12- bis 17-Jährigen zeigen konnten. Das in der Berliner Studie im Vergleich zum Bundesdurchschnitt gezeigte tendenziell stärkere Rauchen von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten könnte auch ein Indikator für eine andere sozialstrukturelle Zusammensetzung der Schülerschaft an Berliner Gymnasien als im Bundesvergleich sein. 27 Vgl. BzgA 2015, S. 23 34 3.3 Cannabiskonsum Konsum nach Alter und Geschlecht Insgesamt gibt eine überwiegende Mehrheit aller befragten Schülerinnen und Schüler an, noch nie Cannabis konsumiert zu haben (82 %). Einen gelegentlichen Konsum berichtet ein Zehntel der Schülerinnen und Schüler (9 %) und ein regelmäßiger Konsum findet bei 3 % der Befragten statt (vgl. Abb. 8). Zur Einordnung sei darauf hingewiesen, dass Cannabis damit in der Frequenz des regelmäßigen Konsums dem Alkohol gleicht, beim gelegentlichen Konsum in der Häufigkeit hingegen dem Tabakkonsum ähnelt (vgl. Abb. 4 und 7). Abbildung 8: Häufigkeit des Cannabiskonsums Häufigkeit Mädchen Jungen Gesamt Noch nie 548 (82 %) 526 (81 %) 1074 (82 %) Aktuell nicht, aber früher 53 (8 %) 43 (7 %) 96 (7 %) Einmal im Monat oder seltener 36 (5 %) 38 (6 %) 74 (6 %) Mehrmals im Monat 24 (4 %) 18 (3 %) 42 (3 %) Mehrmals pro Woche 5 (1 %) 19 (3 %) 24 (2 %) Täglich 0 (0 %) 7 (1 %) 7 (1 %) Noch nie Lebenszeit Gelegentlich Regelmäßig 100% 80% 60% 40% 20% 0% 7 8 9 10 Cannabiskonsum nach Klassenstufe Alle Altersgruppen (Tabelle) bzw. nur Klassenstufen 7 bis 10 (Grafik). Lebenszeit: Konsum mindestens einmal im Leben (alle Angaben außer „noch nie“); Gelegentlich: „einmal im Monat oder seltener“ oder „mehrmals im Monat“; Regelmäßig: „mehrmals pro Woche“ oder „täglich“ Während Schülerinnen und Schüler in den siebten Klassen kaum Erfahrungen mit Cannabis berichten, sind es in den 10 Klassen schon etwas mehr als 30 %, die Cannabis entweder probiert haben oder wiederholt konsumieren (Abb. 8). Ein täglicher Konsum wurde von unseren befragten Jugendlichen erst ab der 9. Klassenstufe, und hier von ca. 3 %, angegeben. Somit verdichten sich die Hinweise darauf, dass spätestens ab der 7. Klasse der „Einstieg“ in den Cannabiskonsum stattfindet. Zwischen dem zwölften und vierzehnten Lebensjahr finden entscheidende Weichenstellungen für den Konsum von Cannabis statt (vgl. auch Abb. 3). Zieht man zum Vergleich eine BZgA-Studie zum Cannabiskonsum unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland heran, so haben bundesweit insgesamt 8 % der Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren mindestens schon einmal im Leben Cannabis kon- 35 sumiert (vgl. BZgA 2012). 28 Wie oben gezeigt, liegt dieser Wert in unserer Studie mit einem Anteil von insgesamt 18 % der Jugendlichen mit Konsumerfahrungen um mehr als das doppelte höher. Eine ähnliche Diskrepanz zum Bundesdurchschnitt stellt im Übrigen auch die ESPAD-Studie für Berlin fest (vgl. IFT 2011 und Kap. 5.1). Geschlechterunterschiede lassen sich in Bezug auf den Cannabiskonsum kaum feststellen. Die Angabe „aktuell nicht, aber früher“ wird von 8 % der Mädchen und 7 % der Jungen gewählt. Hingegen geben mit 4 % mehr Jungen an, regelmäßig („mehrmals pro Woche“ bzw. „täglich“) Cannabis zu konsumieren, als Mädchen. Cannabiskonsum und der Konsum anderer Drogen Im gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Diskurs über Drogen, insbesondere aber über die Frage der Notwendigkeit der Repression, wird immer wieder mit dem Argument gearbeitet, dass Cannabis eine „Einstiegsdroge“ für den Konsum von anderen illegalen Drogen sei. Die These ist, dass der Konsum von Cannabis die Hürden senke, auch andere illegale Drogen zu probieren und schließlich deren Suchtpotenzial zu erliegen. Diese Vermutung wird auch herangezogen, um ein Festhalten an der strafrechtlichen Sanktionierung des Cannabisbesitzes zu begründen (vgl. Box 18). Box 18:  Zur „Einstiegshypothese“ In der Suchtforschung ist die sog. „Einstiegshypothese“ bzw. „Gateway-Hypothese“ umstritten. Ein biochemischer Wirkmechanismus in unserem Körper, der vom Konsum von Cannabis direkt zum Konsum stärkerer illegaler Drogen führt, ist nicht nachweisbar. Angesichts der hohen Prävalenz des Cannabiskonsums müsste die Häufigkeit des Konsums stärkerer Drogen in diesem Fall um ein Vielfaches höher sein. Andererseits argumentieren die Gegner der Legalisierung von Cannabis, dass im sozialen Setting des illegalen Drogenmarktes die Gefahr eines Einstieges in den Konsum anderer illegaler Drogen durch den Kauf von Cannabisprodukten steige. Davon zu unterscheiden ist allerdings die nachweisbare Feststellung, dass der Einstieg in den Drogengebrauch offenbar stufenweise praktiziert und erlernt wird. Cannabis muss dabei wahrscheinlich in einer Abfolge des Probierens von Drogen gesehen werden: wer Cannabiserfahrungen hat, hat in der Regel vorher bereits Erfahrungen mit Alkohol und Tabak gemacht; und wer Opiaterfahrungen hat, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bereits Cannabiserfahrungen. 29 Vor dem Hintergrund dieser Diskussionen wollten wir wissen, welche Zusammenhänge zwischen dem Konsum von Cannabis und anderen Drogen in unserer Stichprobe nachgewiesen werden können (vgl. Abb. 9). 28 Bei jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren sind es 34,8 %. 29 Eine Zusammenfassung der Diskussion zur Gateway-Hypothese http://www.drugcom.de/topthema/mai-2011-vom-kiffen-zum-heroin/ 36 bietet das BZgA Infoportal Abbildung 9: Substanzkonsum nach Cannabiskonsumhäufigkeit noch nie gelegentlich regelmäßig Tabakkonsum (gesamt) regelmäßig Cannabis - Tabak: gelegentlich Cannabis - Tabak: noch nie Cannabis - Tabak: Alkoholkonsum (gesamt) regelmäßig Cannabis - Alkohol: gelegentlich Cannabis - Alkohol: noch nie Cannabis - Alkohol: Illegale Drogen ohne Cannabis (gesamt) regelmäßig Cannabis - andere ill. Drogen: gelegentlich Cannabis - andere ill. Drogen: noch nie Cannabis - andere ill. Drogen: 0% 20% 40% 60% 80% 100% Alle Altersgruppen. Kein Cannabiskonsum N=1074; Gelegentlicher Cannabiskonsum N=116; Regelmäßiger Cannabiskonsum N=32. Kein Konsum: „noch nie“ bzw. „aktuell nicht, aber früher“; gelegentlicher Konsum: „einmal im Monat oder seltener“ bzw. „mehrmals im Monat“; regelmäßiger Konsum: „mehrmals pro Woche“ bzw. „täglich“. Über alle Substanzen hinweg zeigt sich, dass Jugendliche mit zunehmender Häufigkeit ihres Cannabiskonsums auch häufiger Tabak, Alkohol oder andere illegale Drogen konsumieren. Dabei sind die Zusammenhänge für den Tabakkonsum am stärksten ausgeprägt: fast alle, die regelmäßig Cannabis konsumieren, nehmen zugleich auch regelmäßig Tabak zu sich. Auch wer nur gelegentlich zu Cannabis greift, raucht zugleich Tabak. Im Vergleich dazu wird zwar auch von fast allen Cannabiskonsumierenden Alkohol getrunken, aber im Vergleich zum Tabakrauchen weniger oft. Wenn auf den gleichzeitigen Konsum von Cannabis und anderen illegalen Drogen geschaut wird, dann zeigt sich, dass insgesamt und im Vergleich zu legalen Drogen nur eine Minderheit derer, die regelmäßig oder gelegentlich Cannabis konsumieren, auch zu anderen illegalen Drogen greift. Was die Abbildung im Hinblick auf die Verbindung von Tabak und Cannabis andeutet, bestätigt sich, wenn man den Cannabiskonsum in Abhängigkeit von der Häufigkeit des Tabakkonsums beleuchtet (Ergebnisse hier nicht gezeigt): während die Lebenszeitprävalenz in unserer Studie für Cannabis insgesamt bei 18 % liegt, haben unter den Jugendlichen, die noch nie Tabak geraucht haben, nur 3 % Cannabiserfahrung. Verglichen damit haben 55 % derer, die bereits Tabakerfahrung haben, auch Cannabiserfahrung. Weiterhin steigt mit der Häufigkeit des Tabakkonsums nicht nur der Anteil der Cannabiskonsumierenden, sondern es nimmt auch deren Konsumhäufigkeit zu. Tabak – so lässt sich hieraus schlussfolgern – ist ein Risikofaktor für den Konsum von Cannabis. Und im Gegenzug wird, wer sich gegen den Tabak entscheidet, auch kaum zu Cannabis greifen (vgl. Box 19). 37 Box 19:  Cannabiskonsum und Tabakkonsum Cannabiskonsum gehört zum Tabakkonsum offenbar untrennbar dazu. Das weist zum einen auf die bevorzugte Konsumart für Cannabis hin: das Rauchen von Haschisch oder Marihuana als „Beigabe“ zum Tabak. Zum anderen hat dieser Befund Implikationen für die Suchtprävention und für die Einschätzung der gesundheitlichen Risiken aus dem Cannabiskonsum: 1. Tabak kann durchaus als Einstiegsdroge für Cannabis gelten. Allerdings führt dieser „Pfad“ nicht automatisch zu anderen illegalen Drogen (siehe dazu auch unten, Tab. 6). 2. Cannabis ist durch seine starke Korrelation mit dem Tabakkonsum auch eine Alltagsdroge. Für überdurchschnittlich viele Jugendliche, die zum Tabak greifen, gehört auch Cannabis früher oder später dazu. 3. Für Tabak und Cannabis gilt also nicht ein „entweder – oder“, sondern eher ein „sowohl – als auch“. Eine wirksame Tabakprävention kann daher erhebliche Potenziale im Hinblick auf die Prävention des Cannabiskonsums entfalten. Mit Hilfe einer Faktorenanalyse konnten wir die Vermutungen zum Zusammenhang von illegalen und legalen Drogen bestätigen. Der Substanzkonsum Berliner Jugendlicher lässt sich im Wesentlichen auf zwei Substanzgruppen zurückführen. Demnach wird Cannabis vor allem in Zusammenhang mit Alkohol und Tabak konsumiert und weniger stark mit anderen illegalen Drogen (vgl. Tab. 6). Auch dies spricht dafür, diese Substanz als eine Alltagsdroge zu begreifen und entsprechende Präventionsangebote auszubauen. 30 Tabelle 6: Faktorenanalyse zum Substanzkonsum Faktorladungen der rotierten Komponentenmatrix Faktor 1 2 Tabak 0,14 0,86 Alkohol 0,06 0,80 Cannabis 0,27 0,78 Amphetamine/Speed 0,85 0,24 Ecstasy 0,84 0,24 Kokain 0,84 0,15 GHB/GBL (sog. KO Tropfen) 0,85 0,13 Halluzinogene (z. B. Pilze) 0,90 0,14 Räuchermischungen 0,70 0,21 Badesalze 0,78 0,02 Alle Altersgruppen. Binäre Variablen mit den Ausprägungen 0=„noch nie Konsum“ – 1=„Lebenszeitkonsum“. Methode: Faktorenanalyse mit dichotomen Variablen, Extraktion der Faktoren mittels Hauptkomponentenanalyse und auf der Grundlage der Korrelationsmatrix. Es wurden 2 Faktoren mit einem Eigenwert > 1 extrahiert, die zusammen > 70 % der Varianz erklären. 30 Am Beispiel der „JugendFilmTage“ würde das etwa bedeuten, künftig auch in die Auseinandersetzung mit Cannabiskonsum zu gehen. 38 4 Zum Freizeitverhalten Im Zusammenhang mit Suchtgefährdungen im Jugendalter ist auch das Freizeitverhalten relevant. So werden vor allem Freizeitaktivitäten, die in Zusammenhang mit elektronischen Medien stehen und das Glücksspiel als potenziell riskant im Hinblick auf die Entwicklung einer Abhängigkeit gesehen. Inwiefern bestimmtes Spielverhalten bezüglich der Computerund Internetnutzung unter den Begriff „Sucht“ zu fassen ist, ist nicht eindeutig zu bestimmen (vgl. z. B. Drogenbeauftragte 2010, S. 26). Unumstritten ist aber, dass sich ein sehr zeitintensives Spielen problematisch auf die Gesundheit auswirken kann (vgl. z. B. Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie 2009, S. 10). Gemeinhin gelten Freizeitaktivitäten wie das Lesen oder kreative Hobbies als weitaus weniger riskant im Hinblick auf die Entwicklung von problematischer Abhängigkeit als der intensive Umgang mit neuen Medien. Allerdings verweist die gesellschaftliche Wahrnehmung der Entwicklung des jugendlichen Freizeitverhaltens im Sinne von „erwünscht“ oder „riskant“ stets auch auf zugrundeliegende Wertvorstellungen der Erwachsenengeneration. Die Auswertung der Befragungsergebnisse hinsichtlich der Freizeitaktivitäten der Schülerinnen und Schüler aus den 7. bis 10. Klassenstufen zeigt zunächst die hervorgehobene Bedeutung des Internets für die Freizeit (vgl. Abb. 10): Die überwiegende Mehrheit Jugendlichen „surfen“ täglich (63 %) oder mehrmals in der Woche (23 %). Nahezu genauso häufig wird das Fernsehen als Freizeitbeschäftigung angegeben – 55 % schauen täglich und 29 % mehrmals pro Woche fern. Abbildung 10: nie Häufigkeit von Freizeitaktivitäten einmal im Monat oder seltener mehrmals im Monat mehrmals pro Woche täglich Soziales Engagement Lesen Computerspiele kreative Hobbies Sport treiben Freunde treffen Fernsehen Im Internet surfen 0% 20% 40% 60% 80% 100% Klassenstufen 7 bis 10. N=1.341 Verglichen mit dem Fernseher und dem Internet sind alle anderen Freizeitbeschäftigungen in der Häufigkeit nachrangig. Dennoch spielt auch das Treffen von Freundinnen und Freunden und der Sport eine wichtige Rolle im Alltag der Schülerinnen und Schüler, denn jeweils ca. 80 % geben an, dies mehrmals in der Woche zu tun. Computerspiele sind demgegenüber zwar insgesamt untergeordnet. Ein Fünftel der Befragten praktiziert dies aber täglich. 39 Ein tägliches oder wöchentliches soziales Engagement wird zwar von vergleichsweise wenigen Jugendlichen genannt. Allerdings gibt auch die Hälfte der Jugendlichen an, sich mehrmals im Monat sozial zu engagieren (vgl. Box 20). Box 20:  Freizeitaktivitäten „Die Jugend sitzt vor der Glotze und surft nebenbei mit dem Smartphone im Netz“ – lassen sich unsere Befunde so interpretieren? Wenn man die Allgegenwart mobiler Kommunikationsgeräte und die hohe Bedeutung sozialer Medien wie „Facebook“, „Twitter“ oder dergleichen anerkennt, dann scheint dieser Satz durchaus nachvollziehbar. Dennoch findet ein überwiegender Teil der Jugendlichen auch großen Gefallen an sportlicher Betätigung, an kreativen Hobbies und am Lesen. Ein knappes Drittel engagiert sich darüber hinaus regelmäßig sozial. Das Freizeitverhalten Jugendlicher ist damit geprägt von neuen Medien, die bei den meisten der Befragten aber „klassische“ soziale Aktivitäten nicht ersetzen. Überzogen wäre es daher, der Jugend ein generelles Desinteresse an kreativen, „nicht digitalen“ Freizeitaktivitäten zu unterstellen. Ebenfalls nicht zutreffend ist es, angesichts der Dominanz der neuen Medien den Abgesang des Fernsehens herbeizureden: nach wie vor läuft bei den allermeisten Schülerinnen und Schülern in der Freizeit der Fernseher. „Poker, Sportwetten, Glücksspiele: Viele Jugendliche zocken online. Psychologen sind alarmiert, denn die Zahl der Spielsüchtigen steigt – zunehmend geraten auch Mädchen in den Strudel der Sucht.“ – so der Aufmacher eines Artikels aus dem Jahr 2015, der auf „SpiegelOnline“ erschienen ist. 31 Bezug nehmend auf die darin vorgestellte Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Glücksspielverhalten in Deutschland (BZgA 2014) wollten wir wissen, wie sich das Suchtrisiko der Schülerinnen und Schüler aus unserer Studie einschätzen lässt (vgl. Abb. 11). Abbildung 11: noch nie Spielaktivitäten – „Wie häufig spielst Du…“ einmal im Monat oder seltener mehrmals im Monat mehrmals pro Woche täglich an Geldautomaten Online-Spiele 0% 20% 40% 60% 80% 100% Klassenstufen 7 bis 10. N=1.261 Insgesamt gibt eine knappe Mehrheit von ca. 60 % der Mädchen und Jungen aus den 7. bis 10. Klassenstufen an, dass sie regelmäßig so genannte „Online Spiele“ spielen. Spiele an Geldautomaten werden hingegen überwiegend gemieden. 31 http://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/spielsucht-bei-jugendlichen-jugend-zockt-online-a1027322.html; Zugriff: 17.11.2015 40 Die Häufigkeit des Online-Spielens nimmt mit zunehmendem Alter tendenziell ab (Ergebnisse hier nicht gezeigt), wohingegen die Verbreitung des Spielens an Geldautomaten mit zunehmendem Alter der Jugendlichen auf einem geringen Niveau zunimmt. Es beschränkt sich größtenteils auf die Kategorie „einmal im Monat oder seltener“. Über alle Altersgruppen hinweg hat ein Anteil von etwa 6 % unserer Schülerinnen und Schüler bereits mindestens einmal an Geldspielautomaten gespielt. Ein problematisches Spielverhalten – also eine tägliche oder wöchentliche Nutzung – weisen insgesamt nur jeweils knapp 1 % der Jugendlichen auf. Der Großteil der Jungen und Mädchen aus der BJD-Studie praktiziert Spiele an Geldautomaten nach eigener Auskunft höchstens einmal im Monat oder seltener (4 %) (vgl. Box 21). Box 21:  Spielsucht? Elektronische Medien nehmen einen wesentlichen Platz in der Freizeitgestaltung junger Schülerinnen und Schüler in Berlin ein. Allerdings ist nicht jedes längere Spielen am Computer oder über das Internet als süchtiges Verhalten aufzufassen. Problematisch werden Computer- und Onlinespiele dann, wenn sie mit Kontrollverlust und finanziellen Risiken einhergehen oder infolgedessen zentrale Verpflichtungen wie der Schulalltag oder die sozialen Kontakte leiden. Für einen kleinen Teil der Schülerinnen und Schüler lassen sich Hinweise auf einen problematischen, zu häufigen, Umgang mit Geldautomaten-Spielen finden. Dies weist auch auf Lücken im Jugendschutz hin, der diesbezüglich aber für die ganz überwiegende Mehrheit wirkt. 41 5 Vergleiche mit anderen Berliner Studien Wie stellen sich unsere Ergebnisse im Vergleich mit den Erkenntnissen dar, die aus anderen Befragungen zum Substanzkonsum von Berliner Jugendlichen gewonnen werden konnten? Um diese Frage zu beantworten, werden im Folgenden zentrale Ergebnisse unserer Studie verglichen mit der Berliner ESPAD-Studie (Datenstand: 2011), dem epidemiologischen Suchtsurvey für Berlin (Datenstand: 2012) und der Studie „Jugend-Drogen-Hintergründe“ der Berliner Fachstelle für Suchtprävention (Datenstand: 2012/2013). 5.1 Berliner ESPAD-Studie Die Europäische Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen („The European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs“) wird seit 1995 durchgeführt. Aktuell nehmen 40 europäische Staaten an diesem Survey teil. Die deutsche Teilstudie wird vom Institut für Therapieforschung München 32 in den Bundesländern Bayern, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen durchgeführt. In repräsentativen telefonischen Umfragen werden umfangreiche Informationen zum Substanzkonsum von Schülerinnen und Schülern der neunten und zehnten Klassenstufen erhoben. Der aktuellste Datenstand ist derzeit das Jahr 2011. Wir vergleichen an dieser Stelle die Lebenszeitprävalenz des Tabak-, Alkoholund Cannabiskonsums aus der ESPAD-Studie mit den Angaben der Befragten der 9. und 10. Klassen aus der BJD-Studie (vgl. Abb. 12). Abbildung 12: Lebenszeitprävalenz im Vergleich: ESPAD und BJD ESPAD Jungen 100% 89% ESPAD Mädchen BJD Jungen BJD Mädchen 88% 80% 66% 67% 60% 64% 55% 42% 41% 40% 35% 30% 24% 24% 20% 0% Lebenszeitprävalenz Alkohol Lebenszeitprävalenz Tabak Lebenszeitprävalenz Cannabis ESPAD-Studie Berlin, 2011: N=862 (9. Jahrgangsstufe: N=589,10. Jahrgangsstufe: N=273) BJD-Studie 2014: N=596 (9. Jahrgangsstufe: N=259,10. Jahrgangsstufe: N=337) Dabei ergeben sich für Tabak und Alkohol deutliche Unterschiede. Anteilig haben weniger Befragte der 9. und 10. Klassenstufen aus der BJD-Studie mindestens schon einmal Alkohol konsumiert. Ähnlich ausgeprägt sind die Unterschiede bezogen auf den Tabakkonsum. Auch 32 www.ift.de; Zugriff: 17.11.2015 42 hier ist die Häufigkeit in der Berliner Schülerstudie deutlich geringer als in der ESPADStudie. Beim Cannabiskonsum hingegen nähern sich die Werte der beiden Studien tendenziell an. Bezüglich der Lebenszeitprävalenz des Cannabiskonsums sind die Anteile der Mädchen aus beiden Studien vergleichbar (vgl. Box 22). Box 22:  Vergleich BJD – ESPAD Berlin (2011) Im Vergleich mit der repräsentativen ESPAD-Studie Berlin aus dem Jahr 2011 berichten die im Jahr 2013/2014 durch uns befragten Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Klassenstufen einen niedrigeren Konsum von Alkohol und Tabak. Die Lebenszeitprävalenz für Cannabis gleicht sich tendenziell an, insbesondere bei Mädchen. 5.2 Epidemiologischer Suchtsurvey für Berlin Seit den 1980er Jahren ergänzt der bundesweite epidemiologische Suchtsurvey (ESS) die Gesundheitsberichterstattung des Bundes um eine Repräsentativerhebung zum Konsum von Alkohol, Tabak, illegalen Drogen und Medikamenten in der 18- bis 64-jährigen deutschen Bevölkerung. Berlin hat im Jahr 2012 zum vierten Mal eine Zusatzerhebung beauftragt, für die die Altersuntergrenze auf 15 Jahre herabgesetzt wurde (vgl. IFT 2014). Zum Vergleich mit den Aussagen aus der BJD-Studie werden die Altersgruppen der 15- bis 17-Jährigen herangezogen (vgl. Tab. 7). Tabelle 7: Vergleich Substanzkonsum 15- bis 17-jähriger Berlinerinnen und Berliner Häufigkeit Noch nie Alkohol konsumiert Rauchen in den letzten 30 Tagen Cannabis Lebenszeitprävalenz BJD ESS 24,6 % 33,7 % 13 % (siehe Erläuterungen im Text) 31,9 % 11,7 % 17,2 % Berliner Jugendliche und Drogen (BJD): N=509, Epidemiologischer Suchtsurvey (ESS): N=145 Der Konsum von Alkohol und Cannabis ist bei den 15- bis 17-jährigen Schülerinnen und Schülern aus unserer Stichprobe deutlich höher, als im epidemiologischen Suchtsurvey. Der Tabakkonsum ist nicht direkt vergleichbar, weil das „Rauchen in den in den letzten 30 Tagen“ in der BJD-Studie nicht erhoben worden ist. Wenn man in unserer Studie hilfsweise alle diejenigen zusammenfasst, die angeben, mindestens mehrmals im Monat zu rauchen, dann liegt der entsprechende Anteil in unserer Studie mit 13 % etwas höher als im epidemiologischen Suchtsurvey (vgl. Box 23). Box 23:  Vergleich BJD – ESS Berlin (2012) Im Vergleich zum epidemiologischen Suchtsurvey (Altersgruppe der 15- bis 17-jährigen Befragten) kommt unsere Studie „Berliner Jugendliche und Drogen“ zu einer zum Teil erheblich höheren Konsumprävalenz für Cannabis bzw. Alkohol. 43 5.3 Studie „Jugend, Drogen, Hintergründe“ Für die Studie „Jugend, Drogen, Hintergründe“ (JDH) der Fachstelle für Suchtprävention und der Alice Salomon Hochschule Berlin wurden zwischen November 2012 und März 2013 in der Hauptgruppe 310 Berlinerinnen und Berliner im Alter zwischen 16 und 27 Jahren zu ihrem Substanzkonsum befragt (vgl. Fachstelle 2014). Die Befragten der Hauptgruppe wurden in allgemeinbildenden Schulen, Jugendvereinen, Jugendclubs, Hochschulen und durch Ansprache auf öffentlichen Plätzen erreicht. Für den Vergleich mit unserer Schülerstudie wählen wir hieraus die Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen. Wir wollten wissen, welche Trends des Substanzkonsums über die in unserer Studie gut erreichten Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 11 und 15 Jahren (7. bis 10. Klassen) hinaus zu erhalten sind, wenn man die JDH-Studie als Referenz für die in unserer Studie nicht gut erreichten Altersgruppen hinzuzieht (vgl. Tab. 8 und Abb. 3). Tabelle 8: Häufigkeit Lebenszeit regelmäßig Vergleich BJD und JDH: Alkohol, Tabak, Cannabis Alter Alkohol Tabak Cannabis 12- bis 13-Jährige (BJD)* 19 % 12 % 4% 14- bis 15-Jährige (BJD)* 55 % 34 % 21 % 16- und 17-Jährige (JDH)** 87 % 59 % 43 % 12- bis 13-Jährige (BJD)* 0% 2% 0% 14- bis 15-Jährige (BJD)* 2% 11 % 3% 16- und 17-Jährige (JDH)** 10 % 37 % 8% BJD: N=1.046; JDH: N=97 (gewichtetes N=31) * Angaben bezogen auf „gültige Fälle“ (ohne „keine Angabe“); ** Angaben bezogen auf „alle Fälle“ (mit „keine Angabe“) Der Vergleich der beiden Alterskohorten weist auf eine zum Teil deutliche Zunahme des Substanzkonsums mit dem Alter hin. Darüber hinaus stützen die Ergebnisse der JDH-Studie auch die aus der BJD-Studie ermittelten tendenziellen Ergebnisse für die 16- und 17-jährigen Befragten (vgl. z. B. Abb. 3, Box 24). Box 24:  Vergleich BJD (2014) – JDH (2012/13) Die Unterschiede zwischen den beiden Alterskohorten der BJD-Studie und der JDH-Studie bezüglich Alkohol, Tabak und Cannabis sind ausgeprägt. Allerdings wird nicht nur innerhalb der beiden Alterskohorten der BJD-Studie ein jeweils erheblicher Anstieg im Substanzkonsum deutlich, sondern die Ergebnisse der JDH-Studie gleichen auch denen, die wir für die 16- und 17-jährigen Schülerinnen und Schüler herausarbeiten konnten. Vor dem Hintergrund einer transparenten und dokumentierten Methode der Stichprobenauswahl erlauben beide Studien substanzielle und weiterführende Einsichten in die Muster des Konsums von Alltagsdrogen junger Berlinerinnen und Berliner. 44 6 Schlussbetrachtung Je mehr verschiedene Studien zur Bewertung des Drogenkonsums im Jugendalter herangezogen werden, umso differenzierter aber zum Teil auch umso vielfältiger wird die Befundlage zum Substanzkonsum. Insgesamt ist diesbezüglich die Datenverfügbarkeit für Berlin als gut zu bewerten. Mit dem europäischen Suchtsurvey, der ESPAD-Studie und den Studien der Fachstelle für Suchtprävention ist die empirische Grundlage zur Ableitung von Präventionszielen für die Gesamtstadt ausreichend. Dabei sind die einzelnen Studien allerdings nur schwer miteinander vergleichbar. Die Gründe dafür liegen in der Regel in der Art der Stichprobenziehung und der unterschiedlichen verwendeten Instrumente zur Erfassung des Substanzkonsums. Benötigt es vor diesem Hintergrund eine weitere Studie, um Einblicke in den Drogenkonsum von Berliner Jugendlichen zu erhalten? Wir sind der Meinung: „Ja“. Denn angesichts der Bevölkerungszahl und der spezifischen Sozialstruktur in den Berliner Bezirken ist eine regionale, bezirkliche Berichterstattung notwendig. Dies entspricht auch dem gesetzlichen Auftrag, der sich aus dem Gesundheitsdienst-Gesetz des Landes Berlin (GDG) ableiten lässt: „Bei der Gesundheits- und Sozialberichterstattung handelt es sich um eine verdichtete, zielorientierte und zielgruppenorientierte Darstellung und beschreibende Bewertung von Daten und Informationen, die für die Gesundheit und die soziale Lage der Bevölkerung […] und für die, die gesundheitliche und soziale Situation beeinflussenden, Lebens- und Umweltbedingungen bedeutsam sind.“ (§ 5 Abs. 1 GDG). Mit unserer Studie „Berliner Jugendliche und Drogen“ ist es möglich, Unterschiede des Konsums von Alkohol, Tabak und Cannabis in Abhängigkeit vom Alter der Befragten sowie soziale Zusammenhänge des Drogengebrauches zu beleuchten. Sie stützt Ansätze der Suchtprävention, mit denen Risiko- und Konsumkompetenz junger Menschen im Umgang mit psychoaktiven Substanzen gestärkt wird. Ein entscheidender Vorteil im Vergleich zu den existierenden Studien ist – neben der Stichprobengröße – der Umstand, dass sie jüngere Schülerinnen und Schüler einbezieht. Die Ergebnisse, die wir zum Einstiegsalter in den Substanzkonsum herausarbeiten konnten, zeigen, dass dies erforderlich ist. Die BJD-Studie ist damit ein wertvoller Baustein für eine regionale Gesundheitsberichterstattung in Berlin, die sich schwerpunktmäßig Suchtrisiken im frühen Jugendalter zuwendet. Sie sollte künftig auch in anderen Bezirken wiederholt werden, um das Wissen über den Substanzkonsum von Berliner Jugendlichen zu vertiefen. 45 Literatur Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin (Hrsg.), Gesundheits- und Sozialbericht für Friedrichshain-Kreuzberg 2014. Darstellung ausgewählter Zielgruppen und Handlungsfelder. Berlin, online: www.berlin.de/gesundheit-fk BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2012): Der Alkoholkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland 2012. Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativbefragung und Trends. Köln, online: http://www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/suchtpraevention/ BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2012): Der Cannabiskonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland 2012. Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativbefragung und Trends. Köln, online: http://www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/suchtpraevention/ BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2014). Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland. Ergebnisse des Surveys 2013 und Trends. Köln, online: http://www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/suchtpraevention/ BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2015): Rauchen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland 2014. Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativbefragung und Trends. Köln, online: http://www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/suchtpraevention/ DHS – Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (2015), Kein Alkohol unter 18 Jahren. Positionspapier der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V., online: http://www.dhs.de/dhs-stellungnahmen.html Diekmann, Andreas (1995), Empirische Sozialforschung: Grundlagen, Methoden, Anwendungen, Reinbek. Drogenbeauftragte der Bundesregierung (Hrsg.) (2010), Moderne Drogen- und Suchtpolitik. Der Mensch im Mittelpunkt. Berlin, online: http://tinyurl.com/j5rzgmq (Link verweist auf www.drogenbeauftragte.de) Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH (2009), Berliner JAH-Studie. JugendlicheAlkohol-Hintergründe. Berlin, online: http://www.berlin-suchtpraevention.de/Studien-c1-l1-k23.html Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH (2014), Berliner JDH-Studie. Jugend – Drogen – Hintergründe. Ergebnisse einer Befragung junger Menschen in Berlin zu Einstellungen und Haltungen zum Drogenkonsum. Berlin, online: http://www.berlin-suchtpraevention.de/Studien-c1-l1-k23.html IFT – Institut für Therapieforschung (2011), Europäische Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen 2011 (ESPAD). Befragung von Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klassen in Bayern, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. München 46 IFT – Institut für Therapieforschung (2014), Epidemiologischer Suchtsurvey 2012. Repräsentativerhebung zum Gebrauch und Missbrauch psychoaktiver Substanzen bei Jugendlichen und Erwachsenen in Berlin. München Kromrey, Helmut (1995), Empirische Sozialforschung, 7. Aufl., Opladen. Lopez-Quintero, C., de los Cobos, J. P., Hasin, D., Okuda, M., Wang, S., Grant, B. & Blanco, C. (2011). Probability and predictors of transition from first use to dependence on nicotine, alcohol, cannabis, and cocaine: Results of the National Epidemiologic Survey on Alcohol and Related Conditions (NESARC). Drug and Alcohol Dependence, 115 (1-2), 120-130. Online: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3069146/ Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie (Hrsg.) (2009), Brandenburger Jugendliche und Substanzkonsum. Zossen, online: http://www.gesundheitsplattform.brandenburg.de/media_fast/5510/InPuncto_01.pdf Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Hrsg.) (2011), Suchthilfestatistik 2010. Jahresreport zur aktuellen Situation der Suchthilfe in Berlin mit einer Sonderauswertung zur Inzidenz substanzbezogener Störungen. Berlin 47
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