IZT-Text 3-2016
Peer-to-Peer-Geschäftsmodelle
Charakteristiken und Herausforderungen
IZT-Text 3-2016
Peer-to-Peer-Geschäftsmodelle
Charakteristiken und Herausforderungen
Iris Bröse
Berlin, Juni 2016
© 2016 IZT - Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-941374-30-0
Herausgeber:
IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung gemeinnützige GmbH,
Schopenhauerstr. 26, 14129 Berlin
Tel.: 030-803088-0, Fax: 030-803088-88, E-Mail: info@izt.de
Coverabbildung: © Iris Bröse
Kurzfassung
Die Bank Credit Suisse schätzt, dass der Gesamtumsatz der Unternehmen in der Sharing
Economy von $15 Milliarden in 2013 auf bis zu $335 Milliarden im Jahr 2025 ansteigen wird
und bereits heute planen Millionen von Menschen weltweit ihre Städtereisen mit Übernachtungen bei privaten Gastgebern oder leihen sich über das Wochenende ein Privatauto. Die
vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dieser Art von Geschäftsmodellen, die den Austausch
von materiellen und immateriellen Ressourcen zwischen Privatpersonen fördern (Peer-toPeer bzw. P2P-Geschäftsmodelle). Es wird der Frage nachgegangen, wie profitorientierte
P2P-Geschäftsmodelle charakterisiert und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert
sind, um die bestehende Forschungslücke für diese noch jungen Geschäftsmodelltypen
zu füllen und Handlungsempfehlungen bei der Weiterentwicklung oder Neugründung von
P2P-Unternehmen zu geben.
Die Arbeit verfolgt mit dem multiplen Fallstudienansatz eine qualitative Forschungsmethodik,
bei der vier P2P-Geschäftsmodelle näher betrachtet werden. Auf Grundlage der Analyse
der Literatur zu zweiseitigen Märkten und Geschäftsmodellen, wurde das Business Model
Canvas (BMC) von Osterwalder und Pigneur (2011) als Rahmen für die Untersuchung der
Charakteristiken von P2P-Geschäftsmodellen ausgewählt. Die Identifikation von Herausforderungen erfolgt über problemzentrierte Interviews mit den Praxispartnern, für welche
zunächst die Herausforderungen von zweiseitigen Märkten, wie das Henne-Ei-Problem oder
das Schaffen von Vertrauen, untersucht und anschließend in den Interviews überprüft werden.
Als Zwischenergebnis der empirischen Analyse wurde ein generisches BMC für profitorientierte P2P-Geschäftsmodelle mit deren typischen Ausprägungen entwickelt. Hinsichtlich der
Herausforderungen konnten mithilfe der Interviews typische Probleme von P2P-Plattformen
identifiziert werden, die sowohl von extern auf die Geschäftsmodelle einwirken als auch
in diesen begründet liegen. Hierzu zählen Herausforderungen wie die Entstehung eines
Graumarkts, die wechselnde Angebotsqualität, rechtliche Rahmenbedingungen, das Schaffen von Vertrauen zu Neumitgliedern und Unsicherheit der Anbieter bei der Preisfestlegung.
Abstract
Already today, millions of people plan their weekend trips with stays at private hosts or rent
a private car from unknown neighbors. However, Swiss bank Credit Suisse estimates that
this is only the beginning: total revenues of Sharing Economy companies are supposed to
increase from $15 billion in 2013 up to $335 billion in 2025. The literature on the field about
typical characteristics and challenges of Sharing Economy copmanies is scarce though.
Therefore, this thesis aims to fill in this gap by exploring four companies, which expedite the
exchange of tangible and intangible ressources between peers (peer-to-peer (P2P) business
models).
The objective of this research is to answer the question of how profit-oriented P2P business
models can be characterized and which challenges they usually face, in order to develop guidance for managers of future P2P platforms. The framework used for the empirical analysis
is developed from a literature review on business models and two-sided markets. Osterwalder and Pigneur’s (2011) Business Model Canvas (BMC) is chosen as the backbone for
the comparison of four different P2P case studies and the identfication of their characteristics. To explore the companies’ challenges, problem-centered interviews are conducted
to gain insights into specifc challenges of P2P business models and to examine whether
P2P business models face the same challenges as other two-sided platforms (such as the
chicken-egg-problem or trust).
As a result of the empirical analysis, a generic BMC for profit-oriented P2P business models
with their typical characteristics is developed. With regard to the identification of typical
challenges, the interviews reveal challenges the companies face that are manifested in the
kind of business model as well as challenges that have external sources. These challenges
include the formation of a grey market, alternating quality of supply, legal issues, development
of trust in new users on the platform and peer suppliers’ uncertainty in setting prices.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
iii
Tabellenverzeichnis
iv
Abkürzungsverzeichnis
v
1 Einleitung
1
1.1 Hintergrund und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1.2 Fragestellung und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
1.3 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
5
2.1 Die Sharing Economy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
2.1.1
Definition, Systematisierung und Charakteristiken
. . . . . . . . . .
5
2.1.2
Peer-to-Peer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
2.1.3
Peer-to-Peer-Plattformen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . .
12
2.2 Geschäftsmodelle und deren Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
2.2.1
Definition und Abgrenzung von Strategie . . . . . . . . . . . . . . .
13
2.2.2
Geschäftsmodellelemente und Auswahl eines Frameworks . . . . .
15
2.3 Zweiseitige Plattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
2.3.1
Struktur und Charakteristiken
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
2.3.2
Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
3 Methodik
28
3.1 Fallstudien als qualitative Forschungsmethodik . . . . . . . . . . . . . . . .
28
3.2 Forschungsdesign
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
3.2.1
Komponenten des Forschungsdesigns . . . . . . . . . . . . . . . .
30
3.2.2
Theoretischer Bezugsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
3.2.3
Auswahl der Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
3.2.4
Konstruktion des Interviewleitfadens . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
3.3 Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
3.4 Datenanalyse und Anwendung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . .
35
i
Inhaltsverzeichnis
4 Analyse der Fallstudien
38
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business Model Canvas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
4.1.1
Drivy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
4.1.2
flinc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
4.1.3
Kleiderkreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
4.1.4
Wimdu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
4.1.5
Interfallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
4.1.6
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
4.2 Identifikation von Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
4.2.1
Externe Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
4.2.2
Herausforderungen nach den Elementen des BMC . . . . . . . . . .
63
4.2.2.1
Kundensegmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
4.2.2.2
Wertangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
4.2.2.3
Kundenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
4.2.2.4
Einnahmequellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
4.2.2.5
Schlüsselressourcen, -aktivitäten und Kostenstruktur
67
4.2.3
. . .
Spezielle Herausforderungen für zweiseitige Plattformen und P2PPlattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
4.3 Fazit zu den Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
4.4 Grenzen der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
5 Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen
76
6 Fazit
80
Literaturverzeichnis
83
Anhang
98
ii
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Systematisierung des Kollaborativen Konsums . . . . . . . . . . . . . . .
7
Abb. 2:
Überblick über ausgewählte Geschäftsmodellkomponenten . . . . . . . .
16
Abb. 3:
Business Model Canvas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
Abb. 4:
Multi-sided Platform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
Abb. 5:
Multi-sided Platform vs. Verkäufermodell . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Abb. 6:
Ablauf multiple Fallstudienanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
Abb. 7:
Business Model Canvas für P2P-Plattformen . . . . . . . . . . . . . . . .
60
Abb. 8:
Herausforderungen von P2P-Geschäftsmodellen (Heatmap) . . . . . . .
73
Abb. 9:
Business Model Canvas von Drivy
Abb. 10:
Business Model Canvas von flinc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Abb. 11:
Business Model Canvas von Kleiderkreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Abb. 12:
Business Model Canvas von Wimdu
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
iii
Tabellenverzeichnis
Tab. 1:
Vier Peer-to-Peer Austauschmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tab. 2:
Zusammensetzung der Fallstudien anhand der Peer-to-Peer Muster (materielle und immaterielle Güter) und den primären Nutzungsobjekten . . .
Tab. 3:
iv
33
Mögliche Herausforderungen für die verschiedenen Typen von P2PPlattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tab. 4:
11
69
Gekürzter Kodierleitfaden mit Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Abkürzungsverzeichnis
BMC Business Model Canvas
P2P Peer-to-Peer
v
1 Einleitung
1.1 Hintergrund und Problemstellung
In einer 2015 von PwC durchgeführten Studie erklärten 43 % der befragten US-Amerikaner,
dass sie Eigentum heutzutage als eine Bürde empfinden (PwC, 2015). Dieses Ergebnis
untermauert die seit einigen Jahren stattfindende Entwicklung weg vom eigentumsbasierten Individualkonsum hin zu innovativen Formen des kollaborativen Konsums, bei denen
der Zugang zu Produkten und Dienstleistungen im Vordergrund steht (Botsman & Rogers,
2011). Angetrieben durch die Verbreitung von sozialen Medien (Belk, 2014a), erleichtern
sogenannte Peer-to-Peer (P2P) Plattformen die zwischen Privatpersonen geteilte Nutzung
von materiellen und immateriellen Gütern. Gemeinhin wird mit diesen Plattformen ein nachhaltigerer und sozialerer Konsum verbunden, da die Menschen miteinander agieren und
die Ressourcennutzung intensiviert wird, denn teilen sich Menschen einen Gegenstand,
werden insgesamt weniger Gegenstände benötigt, um denselben Bedarf zu erfüllen. Andererseits gibt es kritische Stimmen, die die Nachteile der Sharing Economy sehen wie dem
übermäßigen Verschleiß der Gegenstände oder zusätzliche Transportaufkommen, wenn die
Gegenstände versendet oder von den Nutzern abgeholt werden müssen.
Welchen sozialen und ökologischen Nutzen die Geschäftsmodelle in der Sharing Economy tatsächlich haben, möchte das Forschungsprojekt PeerSharing – Internetgestützte Geschäftsmodelle für gemeinschaftlichen Konsum als Beitrag zum nachhaltigen Wirtschaften?
beantworten, in welches diese Masterarbeit eingegliedert ist. Geleitet wird das Projekt vom
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) gGmbh in Kooperation mit dem Institut
für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) gGmbH und dem Institut für Energie-
1
1 Einleitung
und Umweltforschung Heidelberg GmbH (IFEU). Des Weiteren besteht eine enge Zusammenarbeit mit P2P-Plattformen aus der Praxis (Drivy1 , flinc2 , Kleiderkreisel3 und Wimdu4 )
sowie dem internationalen Sharing-Netzwerk Ouishare und dem Onlineportal für nachhaltigen Konsum Utopia. Erste Ergebnisse aus dem Projekt zeigen, dass es in den letzten
Jahren zu einem starken Absinken in der Anzahl der Neugründungen von P2P-Plattformen
in Deutschland gekommen ist. Wurden in den Jahren 2011 bis 2013 über die Hälfte der identifizierten 79 P2P-Plattformen gegründet, nahm die Anzahl in den darauffolgenden Jahren
rapide ab (von 17 im Jahr 2013 auf 10 in 2014 und 6 in 2015) (Scholl et al., 2015). Vermuten
kann man hier, dass die Attraktivität von Neugründungen gehemmt wird, da viele bestehende P2P-Plattformen (auch die hier betrachteten) sich wirtschaftlich noch nicht selbst
tragen können und sie darüber hinaus besonderen Herausforderungen und Hindernissen
ausgesetzt sind. Da sich ein Teil des Projektes mit der Weiterentwicklung von den Geschäftsmodellen der Praxispartner beschäftigt, soll zunächst die Frage vorangestellt werden, ob
diese P2P-Plattformen bestimmten Herausforderungen ausgesetzt sind, die aufgrund ihrer Charakteristiken entstehen und wenn dies der Fall ist, wie diese überwunden werden
könnten.
1.2 Fragestellung und Methode
Der Begriff P2P ist ursprünglich mit der Informatik in Verbindung zu bringen und bezeichnet
Rechner-zu-Rechner-Verbindungen, bei denen jeder Rechner im P2P-Netzwerk entweder
Dienste annimmt oder zur Verfügung stellt (Schoder & Fischbach, 2002). Das Teilen von
digitalen Gütern und Ressourcen hat daher bereits eine signifikant höhere Aufmerksamkeit
in der wissenschaftlichen Forschung erlangt (Bergquist & Ljungberg, 2001; Hughes, Lang &
Vragov, 2005; Nunes & Correia, 2013; Xia, Huang, Duan & Whinston, 2012) als das Teilen
und der kollaborative Konsum von materiellen Gütern und Services zwischen Privatpersonen
(Andersson, Hjalmarsson & Avital, 2013).
Noch schwieriger verhält es sich, möchte man die Frage nach den Charakteristiken solcher
1
www.drivy.de
www.flinc.org
3
www.kleiderkreisel.de
4
www.wimdu.de
2
2
1.2 Fragestellung und Methode
P2P Geschäftsmodelle beantworten. Was sind typische Einnahmestrategien der Plattformbetreiber? Welches Wertangebot stellen sie zur Verfügung, dessen Bezahlung sich lohnt?
Wer ist bereit, für dieses Wertangebot zu zahlen? Antworten auf diese Fragen bestehen partiell (Dervojeda, Verzijil, Nagtegaal, Lengton & Rouwmatt, 2013; Fraiberger & Sundararajan,
2015; Kraus & Giselbrecht, 2015), doch gibt es kaum eine ganzheitliche Betrachtung dieser
Geschäftsmodelle.
Um diese Forschungslücke zu schließen und Handlungsempfehlungen für die Neugründung
oder Weiterentwicklung dieser Geschäftsmodelle zu geben, konzentriert sich diese Arbeit
auf die Identifikation von Charakteristiken und Herausforderungen der P2P-Plattformen und
stellt die Frage:
Wie sind Geschäftsmodelle internetgestützter Peer-to-Peer Plattformen charakterisiert
und mit welchen Herausforderungen werden sie konfrontiert?
Die für die Arbeit maßgebliche Fragestellung ergibt sich einerseits aus der beschriebenen
Annahme, dass P2P-Plattformen eine nachhaltigere Konsumform anbieten und die Gründung und Weiterentwicklung dieser Plattformen daher gestärkt werden sollte und andererseits aus der Feststellung, dass bekannte P2P-Plattformen scheitern (wie WhyOwnIt5 oder
Whipcar6 ) und die Anzahl der Neugründungen in Deutschland zurückgegangen ist. Die Arbeit fokussiert sich bei der Betrachtung der Charakteristiken und Herausforderungen auf die
Geschäftsmodelle von P2P-Plattformen. Geschäftsmodelle eignen sich für eine vergleichende Analyse von Unternehmen entlang mehrerer Dimensionen (wie Kundensegmente und
Erlösstruktur), da sie die wichtigsten Elemente der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens
und deren Beziehungen abbilden können. Die Herangehensweise zur Beantwortung der
Forschungsfrage ist qualitativer Art, da ein eingehendes Verständnis für die Charakteristiken
von P2P-Geschäftsmodellen geschaffen werden soll. Der erste Teil der empirischen Arbeit
zur Analyse der Charakteristiken wird auf Grundlage des Business Model Canvas (BMC)
durchgeführt und betrachtet vier P2P-Unternehmen aus unterschiedlichen Konsumbereichen. Da in der vorliegenden Arbeit auf der Grundlage eines theoretischen Bezugsrahmens
bedeutende Charakteristiken von P2P-Geschäftsmodellen herausgearbeitet werden sollen, ist eine Fallstudienanalyse geeignet (Yin, 2014). Im Rahmen der Fallstudienanalyse
5
6
www.whyownit.com/blog/we-failed-warum-die-verleih-app-why-own-it-nicht-funktioniert-hat
www.crunchbase.com/organization/whipcar
Iris Bröse
3
1 Einleitung
werden für die Identifikation der Herausforderungen Leitfadeninterviews mit Vertretern der
Praxispartner geführt und die Ergebnisse systematisch zusammengefasst. Ziel der Arbeit ist
es, Charakteristiken und Herausforderungen von P2P-Geschäftsmodellen zu identifizieren,
um mit diesem Wissen allgemeine Handlungsempfehlungen geben zu können, damit die
Hürden bei der Neugründung von P2P-Plattformen reduziert bzw. bestehende Plattformen
weiterentwickelt werden können.
1.3 Struktur
Die Arbeit beginnt mit der theoretischen Auseinandersetzung und Einordnung von P2P
in das Konzept der Sharing Economy. Anschließend wird die für die Arbeit geltende Definition für Geschäftsmodelle und deren Abgrenzung zur Strategie vorgestellt sowie durch
die Auswahl eines Geschäftsmodellframeworks die Grundlage für die Analyse von P2PGeschäftsmodellen gelegt. Unter der Annahme, dass P2P-Geschäftsmodelle als zweiseitige Plattformen angesehen werden können, werden die Charakteristiken und Herausforderungen dieser Art von Plattformen aus der Literatur beschrieben. Diese dienen nach der
Geschäftsmodellanalyse zur Feststellung, ob P2P-Geschäftsmodelle (a) gleiche Charakteristiken und Herausforderungen besitzen wie zweiseitige Plattformen und damit zu diesen
gezählt werden können und (b) ob diese eigene Charakteristiken und Herausforderungen
besitzen, die nur P2P-Geschäftsmodelle aufweisen. Im Anschluss an den Theorieteil folgt
die Vorstellung der Methodik sowie Eingrenzungen bei der Betrachtung der multiplen Fallstudien. Die Analyse selbst besteht aus zwei Teilen: der erste Teil beschäftigt sich mit den
Charakteristiken der vier Geschäftsmodelle von Drivy, flinc, Kleiderkreisel und Wimdu, welche mithilfe des Business Model Canvas analysiert werden. Dieser erste Teil schließt mit
einem generischen P2P Business Model Canvas. Der zweite Teil der Analyse beschäftigt
sich eingehender mit den Herausforderungen von P2P-Geschäftsmodellen und schließt eine
Befragung der Vertreter der vier Praxispartner ein. Zuletzt werden auf Grundlage der Ergebnisse aus der Analyse besonders von Herausforderungen betroffene Elemente des BMC für
P2P-Geschäftsmodelle identifiziert und allgemeine Handlungsempfehlungen vorgeschlagen,
um diese Herausforderungen zu überwinden.
4
2 Geschäftsmodelle in der Sharing
Economy
2.1 Die Sharing Economy
In diesem Kapitel soll ein Überblick über die Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit der
Sharing Economy gegeben sowie eine bestehende Systematisierung vorgestellt werden.
Aufbauend auf den Charakteristiken der Sharing Economy, konzentriert sich diese Arbeit auf die Austauschbeziehungen zwischen Privatpersonen, wobei insbesondere P2PGeschäftsmodelle in Deutschland betrachtet werden sollen.
2.1.1 Definition, Systematisierung und Charakteristiken
In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl neuer Plattformen entstanden, die den Verkauf
und die Kurzzeitmiete von Gütern zwischen Privatpersonen erleichtern. Die Güter, die auf
diesen Plattformen gehandelt werden, sind breit gefächert. Sie reichen von Autos (Drivy,
Tamyca7 ), Kleidung (Kleiderkreisel), Wohnungen (Airbnb8 , Wimdu) und Gebrauchsgegenständen (Leihdirwas9 ) bis hin zu Lebensmitteln (Foodsharing10 ) und frisch zubereitetem
Essen (Shareyourmeal). Doch es werden nicht nur materielle Güter bereit gestellt oder
verkauft, sondern auch Services angeboten wie Mitfahrten (BlaBlaCar11 ), die Erledigung
7
www.tamyca.de
www.airbnb.de
9
www.leihdirwas.de
10
www.foodsharing.de
11
www.blablacar.de
8
5
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
von Aufgaben (TaskRabbit12 ) sowie die Bereitstellung von Krediten (Lending Club13 ). Diese
Plattformen werden unter dem Begriff Peer-to-Peer-Plattformen zusammengefasst und sind
Teil der Sharing Economy (Botsman & Rogers, 2011; Gansky, 2010).
Angetrieben durch die Wirtschaftskrise 2008, ein steigendes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung sowie der Entwicklung von der „Generation Ich“ hin zur „Generation Wir“, hat eine
im Schumpeter’schen Sinne alte Idee (das Teilen) durch geänderte Begebenheiten wieder
Aufschwung erhalten (Botsman & Rogers, 2011; Kraus & Giselbrecht, 2015). Elementar für
diesen Aufschwung sind technologische Entwicklungen wie das Web 2.0, die das Teilen
von materiellen und immateriellen Gütern sowie Kollaborationen in Echtzeit ermöglichen
und vereinfachen (Belk, 2014a; Benkler, 2004; Hamari, Sjöklint & Ukkonen, 2015; Kaplan &
Haenlein, 2010).
Mit der Entwicklung der Sharing Economy entstanden verschiedene und oft auch inkompatible Definitionen der Sharing Economy sowie verwandter Konzepte wie dem Begriff des
kollaborativen Konsums (Belk, 2014a; Botsman & Rogers, 2011; Hamari et al., 2015). Einen
Vorschlag für eine Definition für die Sharing Economy (in der Definition als Shareconomy
bezeichnet), die sich nach der Analyse von verschiedenen Begriffsauslegungen herauskristallisiert hat, machen Richter, Kraus und Syrjä:
„Shareconomy is an economic model enabled by modern ICT, based on the sharing of
digital content, physical goods, or the participation in commercial, cultural or social
projects to access underutilized assets for monetary or non-monetary benefits“
(Richter et al., 2015; aus Kraus & Giselbrecht, 2015, S. 80)
Charakteristisch für die Sharing Economy und den kollaborativen Konsum ist damit die
Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien, um freie Kapazitäten oder
ungenutzte Güter mit der Nachfrage nach diesen zu verbinden (Botsman & Rogers, 2011;
PwC, 2015). Abbildung 1, S. 7, zeigt eine Systematisierung der Sharing Economy nach
Botsman (2013). In dieser stellt die Sharing Economy einen Teilaspekt des kollaborativen
Konsums (collaborative consumption) dar, unter dem „traditional sharing, bartering, lending,
trading, renting, gifting, and swapping, redefined through technology and peer communities“
(Botsman & Rogers, 2011, S. xv) verstanden wird. Auf Grundlage einer Analyse von mehr
als eintausend Internetplattformen leiten Botsman und Rogers (2011) vier Prinzipien ab,
12
13
6
www.taskrabbit.com
www.lendingclub.com
2.1 Die Sharing Economy
die dem kollaborativen Konsum zugrunde liegen. Zum einen ist dies die kritische Masse an
Nutzern, die benötigt wird, damit die Plattformen sich selbst tragen können, zum anderen die
vorhandenen freien Kapazitäten, die verteilt werden können. Ein drittes Prinzip ist „the belief
in the commons“, hinter dem die Idee steht, dass die Teilnahme an den Plattformen, ob als
Anbieter oder als Nutzer, Wert für die Gemeinschaft schafft. Das vierte und letzte Prinzip ist
das Vertrauen in Unbekannte, welche verstärkt durch die Plattformen zusammengebracht
werden.
Abb. 1: Systematisierung des Kollaborativen Konsums nach Botsman (2013)
Aufgeteilt wird der kollaborative Konsum über die zwei Dimensionen Austauschbeziehungen und Konsumsysteme. Die Austauschbeziehungen unterteilen sich in B2B (Business-toBusiness), B2C (Business-to-Customer) und P2P (Peer-to-Peer). Für die Sharing Economy
ist hierbei die Austauschbeziehung zwischen Unternehmen, wie dies bei Liquidspace und
getable der Fall ist, nicht von Bedeutung. Dagegen gehören B2C Modelle wie BMWs DriveNow oder P2P-Geschäftsmodelle wie das von Airbnb zur Sharing Economy. Letzteres
wird auch als B2C2C bezeichnet, denn die Abwicklung der Transaktionen zwischen den
Privatpersonen (C2C) wird durch einen Vermittler (B) ermöglicht und unterstützt (Zentes,
Freer & Beham, 2013).
Die Dimension Konsumsysteme wird in drei Kategorien geteilt: Produkt-Service-Systeme,
Redistributionsmärkte und gemeinschaftliche Lebensstile (Botsman & Rogers, 2011; Botsman, 2013). In einem Produkt-Service-System steht die Nutzung der Leistung oder Funktionalität eines Produkts als Service im Vordergrund und nicht der Erwerb des Eigentums
an diesem Produkt (Botsman & Rogers, 2011; Ericson, Müller, Larsson & Stark, 2009). Der
Anbieter bleibt der Eigentümer des Objektes mit allen damit verbundenen Pflichten der
Kostenübernahme, Instandhaltung, Lagerung und Risiken einer inkorrekten Wahl und der
Iris Bröse
7
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
technischen Weiterentwicklung (Berry & Maricle, 1973). Einen Teil der Rechte, die mit dem
Eigentum verbunden sind, behält der Anbieter (wie das Veränderungs-, Gewinnaneignungsund Veräußerungsrecht), andere wie das Nutzungsrecht und das Ausschlussrecht von Dritten gibt er temporär an den Kunden ab (Baines et al., 2007; Furubotn & Pejovich, 1972;
Silver, 1989). Die genutzten Produkte können entweder im Besitz eines Unternehmens (z.B.
Zipcar14 , pley15 ) oder einer Privatperson (z.B. PaulCamper16 , Peerby17 ) sein. Auf Redistributionsmärkten werden gebrauchte und nicht mehr benötigte Gegenstände umverteilt und
anderen, die diese benötigen, zur Verfügung gestellt (Botsman & Rogers, 2011). Der Unterschied zu Produkt-Service-Systemen besteht im Eigentumsübergang des Gutes. Je nach
Marktform werden die Güter entweder verkauft (z.B. ebay Kleinanzeigen18 ), kostenlos angeboten (z.B. Freecycle19 ) oder getauscht (z.B. SwapTrees20 ) (Botsman & Rogers, 2011). Die
Kategorie der gemeinschaftlichen Lebensstile befasst sich mit dem Teilen von tendenziell
immateriellen Gütern wie Zeit, Platz, Fähigkeiten und Aufgaben (Botsman & Rogers, 2011).
Zu dieser Kategorie zählen Organisationen wie Lend & Tend21 (Teilen von Gärten), Airbnb
(Teilen von Platz) oder TaskRabbit (Teilen von Aufgaben und Erledigungen).
Die Finanzierung der Unternehmen erfolgt über verschiedene Erlösmodelle. Im Folgenden
werden übersichtsartig fünf Modelle vorgestellt, um ein Bild von den Einnahmequellen der
kollaborativen Geschäftsmodellen zu erlangen:
(1) Servicegebühr: Ein Unternehmen nimmt einen prozentualen Anteil des Preises, der bei
einer erfolgreichen Vermittlung von Anbietern und Nachfragern auf der Plattform anfällt
(Collaborative Lab, 2015). Unternehmen wie Airbnb, BlaBlaCar und TaskRabbit nutzen
diese Art der Einnahmequelle.
(2) Abonnement: Ein Unternehmen erhebt monatliche oder jährliche Mitgliedschaftsgebühren, die unabhängig von der Nutzung anfallen (Collaborative Lab, 2015). Borrow my
14
www.zipcar.de
www.pley.com
16
www.paulcamper.com
17
www.peerby.com
18
www.ebay-kleinanzeigen.de
19
www.freecycle.org
20
www.swaptrees.com
21
www.lendandtend.com
15
8
2.1 Die Sharing Economy
Doggy22 nutzt beispielsweise dieses Modell, um Hunde von Privatpersonen an andere
Privatpersonen zu vermitteln.
(3) Abgestuftes Abonnement: Ein Unternehmen bietet Abonnement-Optionen mit unterschiedlichen Beitragshöhen an. Diese hängen von der Häufigkeit der Nutzung oder der
Anzahl der gewünschten Güter ab (Collaborative Lab, 2015). P2P-Beispiele, die verschiedene Optionen offerieren, sind pley23 (verleiht, je nach Paket, eine unterschiedlich
hohe Anzahl an Spielen für einen bestimmten Zeitraum) und HUB24 (Co-working space,
bei dem die Arbeitenden eine Gebühr für eine bestimmte Anzahl an Stunden oder für
unbegrenzten Zugang zahlen).
(4) Mitgliedschaft + Nutzungsgebühr: Ein Unternehmen erhebt einen einmaligen oder jährlichen Mitgliedsbeitrag sowie Gebühren pro Nutzungseinheit (z.B. Minuten). Zusätzlich
können Pakete erworben werden, die die Gebühren pro Nutzungseinheit in Abhängigkeit
von der Nutzungshäufigkeit reduzieren können (Collaborative Lab, 2015). Unternehmen
wie DriveNow (B2C Carsharing ohne feste Stationen) und Barclays (der Verleih von
Fahrrädern an festen Stationen) nutzen diese Art von Erlösmodell.
(5) Freemium: Ein Unternehmen bietet einen Basis-Service an, der für die Nutzer kostenfrei
ist. Werden zusätzliche Services und exklusive Vorteile gewünscht, können die Nutzer für diese zahlen (als Mitgliedschaft oder einmalig) (Collaborative Lab, 2015). Ein
bekanntes Unternehmen, das dieses Erlösmodell verfolgt, ist Skype25 .
Wie in der Systematisierung erkennbar ist, kann zur Sharing Economy auch der Verkauf/Kauf
von gebrauchten Gütern gezählt werden (Redistribution), was einerseits die Übertragung von
Eigentum bedeutet und andererseits eine monetäre Transaktion voraussetzt. Diese Ansicht
wird allerdings nicht von allen Autoren gleichermaßen geteilt. Belk (2007) versteht Sharing
beispielsweise als qualitative Beziehung zwischen den am Sharing beteiligten Individuen,
welche keine Kompensation in Form von Geld benötigt. Andere Formen, bei denen eine
monetäre Kompensation der Leistung erbracht wird wie es z.B. bei Carsharing-Modellen,
wie DriveNow oder Drivy der Fall ist, bezeichnet Belk (2014b, S. 12) als „pseudo sharing“.
22
www.borrowmydoggy.com
www.pley.com
24
www.thehubcoworking.com
25
www.skype.com
23
Iris Bröse
9
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
Die Eigentumsübertragung wird hierbei von Belk nicht ausgeschlossen, doch darf diese nur
unentgeltich erfolgen, um zum Sharing gezählt zu werden (wie dies z.B. beim Tauschen der
Fall ist) (Belk, 2014b; Razeghian & Weber, 2015). Weiterhin ist ungewiss, wie kollaborativ
der Kollaborative Konsum in der Systematisierung von (Botsman, 2013) tatsächlich sein
kann – insbesondere dann, wenn es sich um eine B2C Beziehung handelt. Aber auch der
Austauschbeziehung zwischen Privatpersonen wird so eine Eigenschaft zugrunde gelegt,
die nicht immer vorhanden sein muss, denn es stellt sich die Frage, wie kollaborativ eine
Transaktion ist, bei der nur An- und Abreisezeiten für die Wohnungsschlüsselübergabe
abgefragt werden.
2.1.2 Peer-to-Peer
Wie beschrieben, sind P2P-Austauschbeziehungen ein Teil der Sharing Economy, welche
sich auf den Austausch zwischen Privatpersonen konzentrieren und somit die Bereitstellung von Gütern oder Services durch Unternehmen ausschließt. Im Folgenden soll sich
ausschließlich auf den P2P-Teil der Sharing Economy konzentriert werden.
P2P-Plattformen werden verstanden als Webseiten, mobile Apps oder eine Kombination
dieser, die kontinuierlich von Nutzern genutzt und gepflegt werden Hamari et al. (2015)26 .
Eine Webseite, die nur eine einmalige und komplett offline stattfindende Aktivität wie einen
Flohmarkt bewirbt, würde nicht darunter fallen, auch wenn ein Flohmarkt selbst eine Plattform für den Austausch zwischen Privatpersonen darstellt. Im Fokus der P2P-Plattformen
steht damit ausdrücklich der Online-Charakter (Hamari et al., 2015). Auf diesen Plattformen
befinden sich zwei Gruppen von Privatpersonen: die Peer Provider und die Peer-Consumer
. Die Peer Provider stellen das Angebot auf der Plattform zur Verfügung, sei es ein Vermögensgegenstand zum Teilen, ein digitales Gut oder ein Sachwert, währenddessen die
Peer-Consumer diese nutzen oder kaufen (Andersson et al., 2013). Wie in Tabelle 1, S. 11,
beschrieben, können diese Plattformen hinsichtlich der angebotenen Objekte unterschieden
werden.
26
Hamari et al. (2015) benutzen eine andere Systematisierung als die oben vorgestellte. Sie bezeichnen
P2P Plattformen als „Collaborative Consumption platforms“, wobei für sie auch der kollaborative Konsum
eine Unterkategorie der Sharing Economy darstellt und nicht umgekehrt. Dennoch entsprechen diese
Eigenschaften dem Verständnis von P2P-Plattformen in dieser Arbeit.
10
2.1 Die Sharing Economy
Tab. 1: Vier Peer-to-Peer Austauschmuster in Anlehnung an Andersson et al. (2013)
Austauschobjekt
Peer-to-Peer-
Peer-to-Peer-
Filesharing
Trading
Digitales Gut
Materielles Gut
Peer-to-Peer-
Peer-to-Peer-
Goods-
Service-
Sharing
Sharing
Materielles Gut
Nicht notwendi- Nicht notwendi-
Absprache
Nein
Treffen
Nein
Nein
Beispiel
Napster
eBay
gerweise
gerweise
Nicht notwendigerweise
Airbnb
Immaterielles
Gut
Ja
Ja
Avego
Eine Form ist das Teilen von Dateien, welches vordergründig in der Informatik angesiedelt ist (z.B. (Gummadi et al., 2003; Saroiu, Gummadi & Gribble, 2002), da es sich hierbei
um das Teilen von digitalen Medien über Rechner-zu-Rechner Verbindungen handelt. Da
die Dateien selbst durch Privatpersonen bereitgestellt werden, zählt das „P2P-Filesharing“
ebenfalls zur Sharing Economy. Weitere Muster nach Andersson et al. (2013) beinhalten sowohl das Teilen von materiellen Gütern als auch das Teilen von Services. Letzteres bezieht
sich beispielsweise auf Mitfahrgelegenheiten bei denen nicht vorrangig das Gut Auto geteilt
wird, sondern die Serviceleistung der Personenbeförderung im Vordergrund steht. Neben
dem Teilen von digitalen und physischen Gütern, sehen Kraus und Giselbrecht (2015) im
Crowdfunding ein weiteres Muster bzw. Dimension von P2P-Plattformen. Unter Crowdfunding (deutsch: Schwarmfinanzierung) versteht man die Finanzierung von Projekten durch
eine Vielzahl von Einzelpersonen, die über internetgestützte Plattformen wie Kickstarter
beworben werden (Bouncken, Komorek & Kraus, 2015).
In dieser Arbeit werden Geschäftsmodelle betrachtet, welche den von Andersson et al.
(2013) vorgestellten Dimensionen für materielle und immaterielle Güter entsprechen. Dies
bedeutet, dass sowohl Plattformen mit Eigentumsübergang (Kleiderkreisel) als auch ohne
Eigentumsübertragung (z.B. Wimdu) betrachtet werden. Des Weiteren konzentriert sich
die Arbeit im Folgenden auf P2P-Geschäftsmodelle in Deutschland, soll aber nicht darauf
beschränkt sein.
Iris Bröse
11
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
2.1.3 Peer-to-Peer-Plattformen in Deutschland
Im folgenden Abschnitt soll ein Blick auf erste Ergebnisse des Forschungsprojektes PeerSharing geworfen werden, in dem diese Arbeit eingebettet ist und welches sich auf P2PPlattformen in Deutschland fokussiert.
Im Projekt wurden 79 P2P-Plattformen mit Sitz oder Gründung in Deutschland erfasst (Stand:
Mai 2015). Von diesen wurden 57 % in den Jahren 2011 bis 2013 gegründet (Scholl et al.,
2015), was zeigt, welchen Aufschwung die Sharing Economy in den letzten Jahren zu verzeichnen hatte. In den Jahren 2014 und 2015 nahm die Zahl der Neugründungen allerdings
wieder rapide ab (von 17 auf 10 in 2014 und 6 in 2015)(Scholl et al., 2015), was die Frage
nach der Ursache für diese Abnahme aufwirft. Ein möglicher Grund für das Absinken der
Neugründungen könnte z.B. in den Herausforderungen liegen mit denen diese Art von Geschäftsmodellen konfrontiert sind und die die Neugründungen in diesem Bereich hemmen.
Diesen möglichen Herausforderungen widmet sich diese Arbeit als zweitem Schwerpunkt.
Die identifizierten Plattformen werden auf sechs Konsumbereiche aufgeteilt. Mobilitätsdienstleistungen (37 %), Gebrauchsgegenstände (30 %), Übernachtungsmöglichkeiten (11 %) und
Kleidung (10 %) nehmen dabei mit insgesamt 88 % den größten Anteil der P2P-Plattformen
ein, wohingegen die gemeinschaftliche Nutzung von Medien (8 %) oder das Teilen von Lebensmitteln (4 %) nur eine kleine Rolle spielen (Scholl et al., 2015). Im Hinblick auf die
Kommerzialisierung der Plattformen zeigt sich, dass die meisten der Plattformen profitorientiert arbeiten. Dies wird an den Indikatoren Rechtsform (AG oder GmbH) und der Ausstattung
mit Investorenkapital festgemacht und zeigt, dass 58 % der Plattformen eine Gewinnerzielungsabsicht aufweisen. 18 % der Plattformen sind nicht gewinnorientiert (non-profit) und
24 % können hinsichtlich ihrer Kommerzialisierung nicht eingeschätzt werden.
Erste Ergebnisse einer qualitativen Vorstudie im Projekt, für die erfahrene und unerfahrene Nutzer von P2P-Plattformen interviewt wurden, lassen die verschiedenen Motive und
Einschätzungen der ökologischen Wirkung der Sharing Economy erkennen. Entwickelte
Hypothesen, die in einer quantitativen Befragung überprüft werden sollen, sind u.a., dass
Unerfahrene häufiger ökologische Nutzungsmotive als theoretisch bedeutsam angeben als
Erfahrene und dass ökologische Vorteile bei der Nutzung als handlungsleitendes Motiv
kaum Bedeutung haben (Gossen, Henseling, Bätzing & Flick, 2016). Vielmehr überwiegen
12
2.2 Geschäftsmodelle und deren Elemente
bei den erfahrenen Nutzern deutlich pragmatische Nutzungsmotive wie finanzielle Vorteile
oder die Existenz eines Zusatznutzens im Gegensatz zu idealistischen Nutzungsmotiven
wie die Umsetzung von nachhaltigeren Konsumpraktiken (Gossen et al., 2016).
2.2 Geschäftsmodelle und deren Elemente
Da im Rahmen der Forschungsfrage ein Fokus auf die Geschäftsmodelle von P2PPlattformen gelegt wird, wird in diesem Unterkapitel die für diese Arbeit geltende Definition
eines Geschäftsmodells und dessen Abgrenzung zur Strategie vorgestellt. Die Betrachtung
von Geschäftsmodellen ist für die Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden sowie
nach Charakteristiken von P2P-Plattformen sinnvoll, weil sich Geschäftsmodelle zur vergleichenden Analyse der wichtigsten Elemente der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens
und deren Beziehungen eignen. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass der verwendete
Geschäftsmodellansatz aus generischen Elementen besteht, die für unterschiedliche Organisationstypen und Kontexte Gültigkeit besitzen (Baden-Fuller & Morgan, 2010; Demil
& Lecocq, 2010; zu Knyphausen-Aufseß & Meinhardt, 2002). Um diesen letzten Punkt zu
erfüllen, wird auf Grundlage eines Vergleichs verschiedener Ansätze für Geschäftsmodellelemente durch Wirtz, Pistoia, Ullrich und Göttel (2015), das Business Model Canvas nach
Osterwalder und Pigneur (2011) als Grundlage zur Analyse von P2P-Geschäftsmodellen
ausgewählt.
2.2.1 Definition und Abgrenzung von Strategie
Die Literatur um Geschäftsmodelle ist sehr breit gefächert. Sie reicht von der Verbindung zwischen Geschäftsmodellen und Strategien (Casadesus-Masanell & Ricart, 2010; Osterwalder,
Pigneur & Tucci, 2005; Richardson, 2008), Definitionen (Timmers, 1998; Magretta, 2002;
Osterwalder et al., 2005; Wirtz, 2010; Zollenkop, 2006), Systematisierungen (Osterwalder,
2004), Klassifikationen (Afuah & Tucci, 2003) und Ontologien (Hamel, 2000; Laudon &
Traver, 2015; Osterwalder et al., 2005) bis hin zur Weiterentwicklung und Innovation von
Geschäftsmodellen (Cavalcante, Kesting & Ulhøi, 2011; Demil & Lecocq, 2010; Voelpel,
Leibold & Tekie, 2004). Im Folgenden wird sich auf die Definition von Geschäftsmodellen,
Iris Bröse
13
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
deren Bestandteile (Ontologien) sowie der Abgrenzung zur Strategie konzentriert, damit
ein Rahmenwerk für die Fallstudienanalyse von P2P-Geschäftsmodellen ausgewählt und
vorgestellt werden kann.
Bisher hat sich noch keine einheitliche Definition von Geschäftsmodellen im wissenschaftlichen Diskurs herauskristallisieren können (Osterwalder et al., 2005; Teece, 2010; Zott, Amit
& Massa, 2011). Wirtz et al. (2015) zufolge, hat die Diskussion über Geschäftsmodelle allerdings eine Konsolidierungsphase erreicht, die in den letzten Jahren zu einem einheitlicheren
Verständnis von Geschäftsmodellen geführt hat. Gemeinsamkeiten der Definitionen liegen
im Verständnis eines Geschäftsmodells als Zusammensetzung aus Komponenten oder Elementen unter der Berücksichtigung der Bezugssysteme und Architektur des Unternehmens
(Wirtz et al., 2015). Weitgehende Einheit besteht zudem in der Ansicht eines Geschäftsmodells als eine aggregierte und vereinfachte Erklärung relevanter Unternehmensaktivitäten
zur Erstellung von Produkten und Dienstleistungen und zur Stiftung von Nutzen für Kunden
und Partner (Magretta, 2002; Osterwalder et al., 2005; Timmers, 1998; Wirtz et al., 2015).
Die geschaffenen Werte dienen der Differenzierung gegenüber Wettbewerbern und dem Erreichen von Profitabilität und Wettbewerbsvorteilen (Schallmo, 2013; Wirtz et al., 2015). Des
Weiteren wird auch auf eine dynamische Sichtweise eines Geschäftsmodells verwiesen,
denn in Anbetracht eines sich schnell verändernden Geschäftsumfeldes ist es notwendig,
das Geschäftsmodell wiederholt zu evaluieren und zu verändern, damit ein nachhaltiger
Wettbewerbsvorteil geschaffen oder ausgebaut werden kann (Voelpel et al., 2004; Wirtz et
al., 2015). Nach Wirtz et al. (2015) ergibt sich daher folgende Definition eines Geschäftsmodells:
„A business model is a simplified and aggregated representation of the relevant
activities of a company. It describes how marketable information, products and/or
services are generated by means of a company’s value-added component. In addition
to the architecture of creation, strategic as well as customer and market components
are taken into consideration, in order to achieve the superordinate goal of generating,
or rather, securing the competitive advantage. To fulfill this latter purpose, a current
business model should always be critically regarded from a dynamic perspective, thus
within the consciousness that there may be the need for business model evolution or
business model innovation, due to internal or external changes over time.“ (Wirtz et al.,
2015, S. 6)
14
2.2 Geschäftsmodelle und deren Elemente
Ein Kernpunkt, der von Autoren mit einer strategischen Sichtweise immer wieder aufgenommen wurde, ist die Frage nach dem Zweck und der Rolle von Geschäftsmodellen im
Verhältnis zu bestehenden Konzepten wie der Strategie. Unter einer Strategie wird generell ein Plan verstanden, um bestimmte, kontextabhängige Ziele zu erreichen. Sie bildet
den Bezugsrahmen für ein Geschäftsmodell, dessen Ausgestaltung die realisierte Strategie abbildet (Bieger, zu Knyphausen-Aufseß & Krys, 2011; Casadesus-Masanell & Ricart,
2010). Innerhalb einer Strategie sind daher unterschiedliche Konfigurationen der Elemente eines Geschäftsmodells möglich (Bieger et al., 2011). Neben dieser Einordnung des
Geschäftsmodell-Konzepts im Unternehmenskontext, werden darüber hinaus auch Unterschiede zwischen einer Strategie und einem Geschäftsmodell betrachtet. Eine Strategie
konzentriert sich auf die Differenzierung gegenüber Wettbewerbern und der Sicherung von
Wettbewerbsvorteilen (Bieger et al., 2011; Magretta, 2002), währenddessen Kooperationen,
Partnerschaften und die Schaffung von Kundennutzen im Fokus von Geschäftsmodellen
liegen (Bieger et al., 2011; Mäkinen & Seppänen, 2007).
Die Entwicklung von Geschäftsmodellen setzt voraus, dass die Geschäftsmodell- und Strategieplanung sinnvoll miteinander verknüpft werden. Eine Möglichkeit zur Innovation besteht
daher in einer bewussten Erneuerung der Strategie, woraufhin im Anschluss das Geschäftsmodell angepasst werden muss. Dieser Zusammenhang entspricht dem Ideal der strategischen Unternehmensführung (Zollenkop, 2006). Auf der anderen Seite eignet sich ein
Geschäftsmodell auch zur Entwicklung von strategischen Innovationen. Eine strategische
Innovation kann als fundamentale Neukonzipierung des Geschäftsmodells verstanden werden, die die Möglichkeit hat, ein existierendes Industriemodell so zu überdenken, dass neuer
Nutzen für Kunden entsteht, Wettbewerber überrascht und überholt werden und insgesamt
der Nutzen für alle Stakeholder steigt (Hamel, 1998; Schlegelmilch, Diamantopoulos & Kreuz,
2003). Dies bedeutet, dass das Geschäftsmodell der Strategie zeitlich vorgelagert ist und
sich aus der Geschäftsmodellinnovation eine Strategie ergeben kann (Zollenkop, 2006).
2.2.2 Geschäftsmodellelemente und Auswahl eines Frameworks
Nach der geltenden Geschäftsmodelldefinition von Wirtz et al. (2015) ist eine wichtige Eigenschaft die Zusammensetzung des Geschäftsmodells aus Komponenten, welche im Ganzen
Iris Bröse
15
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
die vereinfachte und aggregierte Repräsentation der relevanten Geschäftsaktivitäten ausmachen. Welche und wie viele Elemente ein Geschäftsmodell ausmachen, ist allerdings im
wissenschaftlichen Diskurs umstritten und vielfältig (Bieger et al., 2011; Laudon & Traver,
2015; Osterwalder et al., 2005; Teece, 2010; Voelpel et al., 2004). In dem Versuch, dieser
Vielfalt gerecht zu werden und zu einem einheitlicheren Verständnis dieser Elemente zu
gelangen, vergleichen Wirtz et al. (2015) die von verschiedenen Autoren vorgeschlagenen
Komponenten (siehe Abbildung 2, S. 16). Der Wert der Arbeit von Wirtz et al. (2015) liegt
darin, dass sie diesen Komponenten nicht nur Oberkategorien zuweisen (wie bei Bieger
et al. (2011); Schallmo (2013); Zott et al. (2011)), sondern bestehende Konzepte auch auf
deren Vollständigkeit hinsichtlich dieser Oberkategorien sowie auf die Intensität des Gebrauchs in der Literatur bewerten. Dieser Vergleich ist zwar keinesfalls erschöpfend, doch
gibt er Aufschluss auf die im wissenschaftlichen Diskurs bedeutenden Komponenten eines
Geschäftsmodells.
Abb. 2: Überblick über ausgewählte Geschäftsmodellkomponenten nach Wirtz et al.
(2015, S. 7)
16
2.2 Geschäftsmodelle und deren Elemente
Im Hinblick auf die Vollständigkeit der Elemente anhand der Oberkategorien, stechen die
Ansätze von Hedman und Kalling (2002), Wirtz (2000), Yip (2004), Osterwalder et al. (2005)
und Osterwalder, Pigneur und Clark (2010) heraus. Allerdings muss bereits hier festgestellt
werden, dass die Oberkategorie „Strategie“ nach der obigen Differenzierung von Strategie und Geschäftsmodell keine Komponente von Geschäftsmodellen sein dürfte, da das
Geschäftsmodell selbst eine Ausprägung der Strategie darstellt. Dies spricht damit gegen
die Verwendung der Ansätze von Hedman und Kalling (2002), Wirtz (2000), Yip (2004).
Osterwalder und Pigneur (2011) (letzteres bei Wirtz et al. (2015) referenziert in der englischen Version von 2010) stimmen hingegen mit der obigen Abgrenzung überein und bezeichnen das Geschäftsmodell als Implementierung oder Blaupause einer Strategie. Ein weiterer
Grund gegen die Verwendung der genannten Ansätze wird deutlich, wenn man einen Blick
auf die zweite Bewertungsdimension wirft, die sich mit der Intensität des Gebrauchs beschäftigt. Hier zeigt sich, dass das Element „Procurement“ in der Literatur unterrepräsentiert
zu sein scheint. Diese Komponente beschäftigt sich mit den Lieferantenbeziehungen und
den Produktionsinput für die Herstellung von Produkten. Dieser Punkt ist für die Betrachtung
von P2P-Geschäftsmodellen ebenso zweitrangig wie vernachlässigbar wie es auch in der
Literatur zu sein scheint. Bei P2P-Geschäftsmodellen sind Privatpersonen die „Lieferanten“
bzw. Anbieter der Produkte, währenddessen die Plattformen als Vermittler agieren und sich
nicht damit auseinandersetzen, wie diese Produkte hergestellt werden. Nimmt man daher
diese Komponente aus der Betrachtung der Ansätze heraus, bleiben zwei Ansätze bestehen, die beide von Alexander Osterwalder (et al.) stammen. Aus den genannten Gründen
soll daher das Business Model Canvas (BMC) und dessen Geschäftsmodellelemente nach
Osterwalder und Pigneur (2011) vorgestellt werden, da dieses als eine Weiterentwicklung
der 2005 vorgestellten Ontologie und in der Dissertation von Osterwalder (2004) erarbeiteten Konzepts angesehen werden kann (Osterwalder et al., 2005; Osterwalder & Pigneur,
2011; Schaltegger, Hansen & Luedeke-Freund, 2016). Darüber hinaus gilt der Ansatz als
stark verbreitet, da mit dessen visueller Unterstützung Geschäftsmodelle komfortabel diskutiert, hinterfragt und (neu-)gestaltet werden können (Fueglistaller, Müller, Müller & Volery,
2012; van Vliet, 2014).
Dem Business Model Canvas liegt das Prinzip zugrunde, das ein Geschäftsmodell in der
Entstehung- und Entwicklungsphase zunächst nur aus einer Reihe von Annahmen besteht,
Iris Bröse
17
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
die im Gespräch mit potentiellen Kunden validiert werden sollten (Blank, 2013). Es dient
damit als Werkzeug zur Feststellung eines Status Quo und kann genutzt werden, um die
Hypothesen, die damit einhergehen, in einem systematischen Prozess
27
zu überprüfen.
Die bestehenden Hypothesen zum Geschäftsmodell werden hierfür zunächst den neun Bestandteile des Business Model Canvas zugeordnet. Diese Bausteine sind nach Osterwalder
und Pigneur (2011):
(1) Kundensegmente: definiert, welche Personengruppen oder Organisationen erreicht und
bedient werden sollen;
(2) Wertangebote: beschreibt die Produkte und Dienstleistungen, die das Unternehmen den
Kundensegmenten anbietet, um Wert für diese zu schaffen;
(3) Kanäle: legt fest, wie die Kundensegmente angesprochen werden sollen, um das Wertangebot zu vermitteln;
(4) Kundenbeziehungen: beschreibt die Arten von Beziehungen zu den Kundensegmenten,
die das Unternehmen eingeht;
(5) Einnahmequellen: zeigt, wie die Einkünfte aus den einzelnen Kundensegmenten generiert werden;
(6) Schlüsselressourcen: stellt die wichtigsten Wirtschaftsgüter dar, die für das Funktionieren des Geschäftsmodells notwendig sind;
(7) Schlüsselaktivitäten: umschreibt die elementaren Aktivitäten, die ein Unternehmen
durchführen muss, damit das Geschäftsmodell funktioniert;
(8) Schlüsselpartnerschaften: zeigt das Netzwerk von Partnern und Lieferanten, die dazu
beitragen, dass das Geschäftsmodell funktioniert;
(9) Kostenstruktur: beschreibt alle Kosten, die bei der Ausführung des Geschäftsmodells
anfallen.
Als Unterstützung zur Bearbeitung des BMC wurden darüber hinaus für jeden Baustein
Leitfragen formuliert, welche in Abbildung 3, S. 19, aufgeführt sind.
27
wie beispielsweise vorgeschlagen von Maurya (2012), der in seinem Buch Lean Startup das Business
Model Canvas als Grundlage nimmt, das Lean Canvas zu entwerfen. Das Buch gehört zu der Lean Startup
Series, welche Anleitungen für eine möglichst zeit-, geld- und ressourcenarme Suche nach dem passenden
Geschäftsmodell geben.
18
Abb. 3: Business Model Canvas adaptiert von Osterwalder und Pigneur (2011, S. 20-45)
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Business Model Canvas als eine Möglichkeit angesehen werden kann, ein Geschäftsmodell vereinfacht und anhand der wichtigsten
Elemente der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens sowie deren Beziehungen darzustellen. Unter dieser Voraussetzung lassen sich verschiedene Geschäftsmodelle anhand der
generischen Elemente, die für verschiedene Organisationstypen und Kontexte Gültigkeit
haben, analysieren (Demil & Lecocq, 2010). Des Weiteren eignet sich das Business Model Canvas durch seine übersichtliche Struktur auch gut als Kommunikationsmittel für z.B.
Investoren, da es dabei hilft, abstrakte Strategien zu verdeutlichen und mit konkreten Mechanismen zur Wertschaffung und Wertschöpfung zu untermauern (Beha, Göritz & Schildhauer,
2015; Bieger et al., 2011). Abschließend ist auch die dynamische Sichtweise eines Geschäftsmodells im Business Model Canvas Ansatz vertreten, da die Annahmen, auf denen
das Geschäftsmodell basiert, überprüft und weiterentwickelt werden sollen (Blank, 2013;
Osterwalder & Pigneur, 2011).
In Bezug auf die zu betrachtenden Geschäftsmodelle lässt sich festhalten, dass diese eine
Ausprägung der realisierten Strategie der Fallbeispiele darstellen. Jede Veränderung des
Geschäftsmodells, die sich beispielsweise auf Grundlage der Fallstudienanalyse ergeben
könnte, wäre eine Geschäftsmodellentwicklung und hiermit eine strategische Innovation des
Geschäftsmodells. Eine strategische Innovation ist dann notwendig, wenn Wettbewerbsvorteile bedroht werden, weshalb sich ein Blick auf die Herausforderungen der Unternehmen
lohnt, um im Anschluss strategische Optionen zu entwickeln, Wettbewerbsvorteile sicherzustellen und die Marktposition auszubauen.
2.3 Zweiseitige Plattformen
Multi-sided Platforms sind nach Osterwalder und Pigneur (2011) ein Typ von Geschäftsmodellen, der sich dadurch auszeichnet, dass sie mindestens zwei voneinander unabhängige Kundengruppen zusammenbringen28 . Eine dieser Arbeit zugrunde liegende Annahme
ist, dass P2P-Plattformen Multi-sided Platforms ähneln, aber dennoch eigene charakteristische Ausprägungen und Herausforderungen besitzen. Um diese Hypothese betrachten
28
Multi-sided Platforms ist ein feststehender Begriff, der auch in der deutschen Version des Buches nicht
übersetzt wurde
20
2.3 Zweiseitige Plattformen
zu können, werden in diesem Unterkapitel die Eigenschaften und Herausforderungen von
zweiseitigen Plattformen und deren Geschäftsmodellen vorgestellt. Für diese allgemeine
Betrachtung von zweiseitigen Plattformen wird zunächst vernachlässigt, ob eine der Seiten
ein Unternehmen oder eine Privatperson ist.
2.3.1 Struktur und Charakteristiken
Zweiseitige Märkte (oder allgemeiner: mehrseitige Märkte; im Englischen two-sided markets
oder multi-sided markets) sind Märkte, in denen mehrere Plattformen existieren, die die
Interaktionen zwischen zwei unabhängigen Kundengruppen ermöglichen. Um dies zu erreichen, versuchen die Plattformen für beide Seiten angemessene Preise und Wertangebote
zu generieren und sie auf diese Weise auf die Plattform zu holen (Hagiu & Wright, 2015;
Rochet & Tirole, 2006). Ob Preise festgelegt werden, gilt unter der Voraussetzung, dass die
Plattformen Gewinn erwirtschaften oder zumindest keinen Verlust machen möchten. Eine
Plattform in diesem Markt wird als zweiseitige Plattform bezeichnet und stellt die Infrastruktur und Regeln zur Verfügung, welche die Interaktion der zwei Seiten bedingen (Eisenmann,
Parker & van Alstyne, 2006). Zweiseitige Plattformen sind nicht nur Webseiten wie eBay
Kleinanzeigen29 oder Monster30 , die als Vermittler auftreten. Auch physische Güter inklusive
deren Services wie Spielekonsolen (verbinden Spieler und Spieleentwickler), Einkaufszentren (verbinden Konsumenten und Verkäufer) oder Kreditkarten (verbinden Kartenbesitzer
mit Händlern) zählen zu dieser Art von Plattform.
Eine Multi-sided Platform ist nach Osterwalder und Pigneur (2011) ein besonderer Typ
von Geschäftsmodell, welcher verschiedene Ausprägungen des Business Model Canvas
verlangt, die in Abbildung 4, S. 22, dargestellt sind. Diese charakteristischen Ausprägungen
hängen eng mit der Tatsache zusammen, dass es sich um eine Plattform handelt und
die Schlüsselressource des Unternehmens damit die Plattform selbst darstellt. Um die
Plattform drehen sich daher auch die Schlüsselaktivitäten wie das Plattform-Management,
das Marketing der Plattform und die Bereitstellung der Services, aus denen sich wiederum
der Kostenblock Plattform-Management ableitet. Auf der Seite der Kunden werden immer
29
30
www.ebay-kleinanzeigen.de
www.monster.de
Iris Bröse
21
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
zwei (oder mehrere) Kundengruppen betreut, auf die unterschiedliche Erlösstrukturen und
Wertangebote zutreffen (Osterwalder & Pigneur, 2011).
Abb. 4: Multi-sided Platform in Anlehnung an Osterwalder und Pigneur (2011, S. 91)
Eine weitere Eigenschaft von zweiseitigen Plattformen ist die Existenz von Netzwerkeffekten.
Generell werden zwei Arten von Netzwerkeffekten (auch Netzwerkexternalitäten genannt)
unterschieden: Effekte zwischen Teilnehmern auf derselben Seite (same-side effects) und
Effekte zwischen Teilnehmern auf verschiedenen Seiten (cross-side effects) (Eisenmann et
al., 2006).
Same-side effects liegen vor, wenn der Anstieg der Teilnehmer auf der einen Seite der Plattform dazu führt, dass Teilnehmer auf derselben Seite die Plattform entweder mehr oder
weniger schätzen. Oft sind diese Effekte negativ (Anbieter schätzen nicht mehr Anbieter),
sie können aber auch positiv sein, wenn beispielsweise das Tauschen von Videospielen
durch viele Spieler einfacher wird (Eisenmann et al., 2006). Cross-side effects sind andererseits vorhanden, wenn der Anstieg der Teilnehmer auf der einen Seite dazu führt, dass die
Teilnehmer auf der anderen Seite die Plattform entweder mehr oder weniger zu schätzen
wissen. Hier sind die Effekte oft positiv (Anbieter schätzen mehr Nachfrager), doch sind auch
22
2.3 Zweiseitige Plattformen
negative Effekte möglich (z.B. Fernsehzuschauer, die weniger Werbung sehen möchten)
(Eisenmann et al., 2006).
Diese Effekte sind zwar Eigenschaften von zweiseitigen Märkten, doch reichen sie nicht aus,
um sie gänzlich von anderen Modellen abzugrenzen. Beispielsweise können auch normale
Händler diese Effekte feststellen, denn auch in Supermärkten schätzt die Kundschaft die
Vielfalt von angebotenen Waren und die Lieferanten schätzen Supermärkte mit einer hohen Anzahl an Kunden (cross-side effect) (Hagiu, 2007). Ein wichtiger Unterschied dieser
Plattformen zu Händlern wie Walmart oder Edeka ist, dass die Händler das Eigentum am
Verkaufsgut besitzen und vollständige Kontrolle darüber haben, wie das Gut dem Endkonsumenten präsentiert und verkauft wird. Währenddessen erlangt eine zweiseitige Plattform
weder das Eigentum an den gehandelten Gütern noch die Kontrolle über deren Präsentation
oder den Preis (Hagiu, 2007; Hagiu & Wright, 2015). Diese genannten Unterschiede sind in
Abbildung 5, S. 23, verdeutlicht. Die Bedingungen der Interaktion oder des Austauschs von
Gütern werden demnach von den zwei oder mehr Seiten direkt ausgehandelt und kontrolliert, was einen wichtigen Bestandteil einer mehrseitigen Plattform darstellt (Hagiu & Wright,
2015).
Abb. 5: Multi-sided Platform vs. Verkäufermodell in Anlehnung an Hagiu und Wright
(2015, S. 167)
2.3.2 Herausforderungen
Wie oben bereits erwähnt, entspringen den Netzwerkeffekten eine Reihe von Herausforderungen für zweiseitige Plattformen. In der Literatur häufig festgestellte Herausforderungen
Iris Bröse
23
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
sind das Henne-Ei-Problem, das Erreichen einer kritischen Masse, die Preisbildung, Multihoming und das Schaffen von Vertrauen. Diese sollen im Folgenden vorgestellt werden.
Henne-Ei-Problem:
Netzwerkeffekte führen in zweiseitigen Märkten zu der Frage, bei
welcher Seite die Anzahl der Teilnehmenden zuerst erhöht werden muss bzw. welche Seite
das Wachstum der anderen Seite bedingt. Beispielsweise werden Händler keine Kreditkarten akzeptieren, dafür Autorisierungsprozesse umsetzen und Anschaffungen tätigen, wenn
es nicht genügend Kreditkartenbesitzer gibt. Kunden auf der anderen Seite, werden sich
nicht für eine Karte entscheiden, wenn sie nur von wenigen Händlern angenommen wird.
Dieses Problem wird in der Literatur als Henne-Ei-Problem bezeichnet (Rochet & Tirole,
2003; Evans, 2003).
Kritische Masse:
Ein weiteres Problem bei bestehenden Netzwerkeffekten auf Plattfor-
men ist das Erreichen einer kritischen Masse. Die kritische Masse beschreibt hierbei den
Punkt, nach dem die Nutzerzahlen stark zu wachsen beginnen und die Zunahme auf beiden
Seiten zum Selbstläufer wird (Oliver, Marwell & Teixeira, 1985). Der Begriff der kritischen
Masse ist eng verbunden mit dem positiven Feedback-Effekt. Dieser Effekt beschreibt, dass
die stärkere Plattform, die z.B. 60 % Marktanteil hält, immer mehr an Attraktivität gewinnt
bis sie nahe 100 % hält, während eine zweite Plattform mit einem Marktanteil von 40 %
beginnt Marktanteile zu verlieren. Diese positive (sich selbst verstärkende) Rückkopplung
entspringt dem Wunsch der Nutzer, diejenige Technologie oder Plattform auszuwählen, die
dauerhaft die größte Marktmacht besitzt (Shapiro & Varian, 1999). Im extremen Fall kann
es hierdurch zu einem Winner-takes-all Markt kommen, bei dem es zur Verdrängung von
konkurrierenden Plattformen oder Technologien durch ein einziges vorherrschendes Unternehmen kommt (Eisenmann et al., 2006). Als Beispiel kann aus dem Bereich der sozialen
Netzwerke Facebook31 angeführt werden, das es geschafft hat, andere Plattformen für die
Online-Vernetzung von Freunden wie StudiVZ zu verdrängen.
Preisbildung:
Die Preisbildung und damit die Frage, wie viel jede Seite für die Nutzung
der Infrastruktur und Regeln der Plattform bezahlen sollte, ist elementar, um alle Seiten
auf die Plattform zu bekommen (Evans, 2003). In vielen mehrseitigen Märkten müssen die
verschiedenen Seiten unterschiedliche Preise für die angebotene Leistung bezahlen, da die
Plattformen bei der Preisfindung die Zahlungsbereitschaft sowie die Auswirkungen auf das
31
www.facebook.de
24
2.3 Zweiseitige Plattformen
Wachstum der anderen Seite berücksichtigen müssen (Weyl, 2010). Oft gibt es hierbei eine
subventionierte Seite und eine bezahlende Seite, wobei die subventionierte Seite, wenn in
großer Anzahl vorhanden, sehr wichtig für die bezahlende Seite ist. Ziel ist es, sogenannte
cross-side Netzeffekte zu generieren, d.h. genügend Teilnehmer auf der subventionierten
Seite zu vereinen, damit die bezahlende Seite viel dafür zahlt, an diese Gruppe heranzukommen (Eisenmann et al., 2006). Eine grundsätzliche Frage für die Plattformen ist daher zu
Beginn, welche Seite subventioniert und welche Seite zahlen soll. Eisenmann et al. (2006)
zufolge ist die Sensitivität der Nutzer für Qualität und Preis ein entscheidendes Kriterium für
die Beantwortung dieser Frage. Statt die Seite zahlen zu lassen, die nach hoher Qualität
verlangt, sollte diejenige Seite für die Nutzung der Infrastruktur zahlen, die die Qualität liefern
muss. Als Beispiel gelten Videospiele, denn hier zahlen die Spielentwickler hohe Lizenzkosten für die Nutzung der Plattform und müssen strikte Lizenzvorgaben erfüllen – zusätzlich
zu den hohen Fixkosten, die sie für die Entwicklung von Spielen aufbringen müssen. Um
ihre Kosten decken zu können, müssen sie sicher sein können, dass genügend Spieler auf
der Plattform sind, welche damit zur treibenden Größe des Wachstums werden und subventioniert werden sollten. Hinsichtlich der Preissensitivität gilt, dass die Seite, die weniger
preissensitiv ist, auch für die Infrastruktur zahlen sollte (Eisenmann et al., 2006). Bei den
relativ jungen Nutzern von Spielekonsolen würde eine zusätzliche Gebühr für den Gebrauch
der Plattform wahrscheinlich zu einem Einbruch der Nutzerzahlen auf der Plattform führen,
was wiederum die Entwickler abhalten würde, die hohen Kosten für die Entwicklung auf sich
zu nehmen.
Darüber hinaus können zwei weitere Faktoren die Preisstruktur beeinflussen: die Existenz
von sogenannten Marquee Käufern (Rochet & Tirole, 2003) und Kundenloyalität (Evans,
2003). Ein Marquee Käufer ist sehr wertvoll für die Kunden auf der anderen Seite des
Marktes. Ein Beispiel ist die Kreditkarte von American Express, insbesondere deren Geschäftskundenkarte, da die Händler die Kunden von American Express als zahlungsstarke
Zielgruppe wahrnehmen. Die Geschäftskunden sind damit Marquee Käufer und ermöglichten es American Express, höhere Transaktionsgebühren von den Händlern zu verlangen
als andere Kreditkarten. Im Allgemeinen führt sowohl die Existenz von Marquee Käufern als
Iris Bröse
25
2 Geschäftsmodelle in der Sharing Economy
auch eine hohe Kundenloyalität (vermutlich durch Langzeitverträge oder irreversible Investitionskosten) zu geringeren Preisen für die Nutzer und höheren Preisen auf der Verkäuferseite
(Evans, 2003).
Multihoming:
Multihoming beschreibt die Tatsache, dass ein Teil der Nutzer auf der einen
oder sogar auf beiden Seiten mehrere Plattformen für denselben Zweck benutzen (Rochet &
Tirole, 2003). Im Sinne des Kreditkartenbeispiels oben würde Multihoming bedeuten, dass
ein Kartenbesitzer von Kreditkarte A gleichzeitig auch eine Kreditkarte B besitzt. Ein Händler
auf der anderen Seite würde Multihoming betreiben, wenn er verschiedene Kreditkarten für
die Zahlung akzeptiert. Dies erschwert die Preisfindung für die Plattform, da der Preis, den
die eine Seite zahlt, das Verhalten der anderen Seite beeinflussen kann (Roson, 2005). Ist
z.B. die Transaktionsgebühr für die Kreditkarte A höher als die von B, kann der Händler
die Annahme von Kreditkarte A verweigern und damit dem Kunden die Nutzung seiner
präferierten Kreditkarte aufzwingen. Für die Seite, die Multihoming betreibt, kann außerdem
der Preis steigen, währenddessen er für die single-homing Seite sinkt, da die Plattformen
stärker um diese Seite konkurrieren (Armstrong, 2006).
Vertrauen:
Das Schaffen von Vertrauen spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg
von Online-Unternehmen (Bloch & Catfolis, 2001; Corritore, Kracher & Wiedenbeck, 2003)
und gilt sowohl für B2C als auch für P2P-Transaktionen. Im Kontext von Online-Interaktionen
zwischen verschiedenen Seiten kann Vertrauen verstanden werden als eine zuversichtliche
Einstellung zu einer Transaktion auf Grundlage von positiven Erwartungen hinsichtlich der
Intentionen oder des Verhaltens von anderen Teilnehmern, dass die eigene Verwundbarkeit
nicht ausgenutzt wird (Chang, Cheung & Tang, 2013; Corritore et al., 2003). Chang et al.
(2013) untersuchten drei Vertrauen schaffende Mechanismen (Verifizierung durch Dritte,
Reputation und Rücknahmegarantie) in einem B2C Verhältnis und fanden heraus, dass alle
drei einen positiven Effekt auf das Vertrauen zum Verkäufer haben. Bei P2P-Plattformen
ist das Schaffen von Vertrauen besonders entscheidend, da die beiden Seiten oft die mit
den Transaktionen verbundenen Risiken selbst tragen müssen, ohne dass es eine Verifizierung von Dritten gibt (Xiong & Liu, 2002). Dies spiegelt auch eine Befragung von PwC
(2015) wider, bei der 89 % der befragten US-Amerikaner erklären, dass die Sharing Economy für sie auf Vertrauen zwischen den Peer-Consumer n und den Peer Providern basiert.
Dieses Vertrauen kann auf vielfältige Art hergestellt werden wie z.B. durch das Feedback
26
2.3 Zweiseitige Plattformen
von vergangenen Transaktionen, das genutzt wird, um Urteile über die potentiellen Partner
treffen zu können (Xiong & Liu, 2002). Dabei sollten die Plattformen sich bewusst sein, dass
jegliche Bewertungen von Anbietern zu Erwartungen hinsichtlich deren Verlässlichkeit und
Qualität führen (ob gut oder schlecht) und diese auch Einfluss auf die Gesamteinschätzung
der Plattform haben (Nosko & Tadelis, 2015).
Iris Bröse
27
3 Methodik
3.1 Fallstudien als qualitative Forschungsmethodik
Die Analyse von Geschäftsmodellen in der Sharing Economy wird anhand einer qualitativen Forschungsmethodik vorgenommen. Diese Vorgehensweise wurde gewählt,
da die Forschungsfrage nach den Charakteristiken und Herausforderungen von P2PGeschäftsmodellen auf das Beschreiben und Verstehen von Subjekten fokussiert. Dies
entspricht dem Ziel dieser Arbeit, die Geschäftsmodellelemente und die Eigenschaften von
P2P-Geschäftsmodellen zu beschreiben sowie Herausforderungen dieser zu identifizieren.
Als Methodik wird die Fallstudienanalyse gewählt, da eine Fallstudie sich als empirische
Untersuchung eignet „[...] zeitgenössische Phänomene innerhalb ihres realen Kontextes
[zu untersuchen], besonders wenn die Grenzen zwischen Phänomen und Kontext nicht
eindeutig zu unterscheiden sind“ (Yin, 2014, S. 16). Fallstudien werden besonders dann als
wissenschaftliche Erhebungsmethode verwendet, wenn die Forschungsfragen mit einem
Wie oder Warum verbunden sind, es sich um ein aktuelles Phänomen handelt und der
Untersuchende kaum oder keine Kontrolle über dieses Phänomen besitzt (Yin, 2014).
Dies trifft auf den ersten Teil der Forschungsfrage im Hinblick auf die Charakteristiken
zu (Wie sind Geschäftsmodelle internetgestützter P2P-Plattformen charakterisiert?), wobei diese auch umformuliert werden kann zu: Was sind Charakteristiken/Eigenschaften
von P2P-Geschäftsmodellen? Der zweite Teil der Forschungsfrage bezieht sich auf die
Identifikation von Herausforderungen dieser Geschäftsmodelle und fragt nach „welche?“.
Die Untersuchung von Fallstudien ist hierbei nicht auf Fragen nach dem Wie oder Warum
begrenzt, sondern verweist lediglich darauf, dass sich bei diesen Arten von Fragen eine
Fallstudienanalyse anbietet (Benbasat, Goldstein & Mead, 1987). Darüber hinaus eignen
28
3.2 Forschungsdesign
sich fokussierte Fallstudien (hier fokussiert auf das Geschäftsmodell), wenn die Fragestellung sich mit Mustern, Kategorien und Schlüsselelementen beschäftigt (Handfield, 1998),
wie es bei der Frage nach übergreifenden Charakteristiken und Herausforderungen von
P2P-Geschäftsmodellen der Fall ist. Des Weiteren kann von der Sharing Economy und
der damit einhergehenden Entwicklung neuer Geschäftsmodelle von einem aktuellen
Phänomen gesprochen werden, über das der Untersuchende keinerlei Kontrolle besitzt.
In Anlehnung an (Rowley, 2002) und Yin (2014) wird der in Abbildung 6, S. 29, dargestellte
Ablauf für eine multiple Fallstudienanalyse verfolgt.
Abb. 6: Ablauf multiple Fallstudienanalyse in Anlehnung an Rowley (2002) und Yin
(2014)
3.2 Forschungsdesign
Die Erstellung eines Forschungsdesigns ist für den konsistenten Ablauf der Datenerhebung und die Verbindung mit den Forschungsfragen wichtig. Ein Forschungsdesign kann
Iris Bröse
29
3 Methodik
verstanden werden als ein Plan, der festlegt, wie man von den Fragestellungen über die
Datenerhebung zu den Schlussfolgerungen gelangt (Rowley, 2002). In dieser Arbeit setzt
sich das Forschungsdesign aus vier Bereichen zusammen: den fünf Komponenten nach Yin
(2014) für das Design einer Fallstudie, der Erläuterung des theoretischen Bezugsrahmens,
der Begründung für die Auswahl der Fallstudien und der Konstruktion des Interviewleitfadens.
3.2.1 Komponenten des Forschungsdesigns
Forschungsfrage(n):
Ein grundlegender Schritt, bevor mit der Datenerhebung begonnen
werden kann, ist die Festlegung der Forschungsfrage(n) (Yin, 2014). Wie oben bereits
beschrieben, eignen sich die folgenden Fragestellungen für die Analyse von Fallstudien:
(1) Wie sind internetgestützte Geschäftsmodelle von P2P-Plattformen charakterisiert?
(2) Mit welchen Herausforderungen sind diese P2P-Geschäftsmodelle konfrontiert?
Hypothesen und Ziel:
Yin (2014) stellt fest, dass die Formulierung von Thesen oder
Behauptungen notwendig ist, um festzustellen, was oder welcher Aspekt der Fragestellung
im Umfang der Arbeit genau untersucht werden soll. Diese Behauptungen können als eine
Art Brücke zwischen den Ergebnissen der Literaturrecherche und dem Ergebnis der Arbeit
verstanden werden (Rowley, 2002). Die Arbeitsthesen, die dieser Arbeit zugrunde liegen,
sind:
(1) Die Analyse der Fallstudien wird zeigen, dass P2P-Geschäftsmodelle gleiche Charakteristiken haben wie die Multi-sided Platforms nach Osterwalder und Pigneur (2011) und
daher zu diesen gezählt werden können.
(2) Die Analyse der Fallstudien wird zeigen, dass die typischen Herausforderungen von
zweiseitigen Plattformen auch bei P2P-Plattformen auftreten.
(3) Durch die Analyse der Fallstudien werden darüber hinaus inhärente Ausprägungen und
spezielle Herausforderungen von P2P-Geschäftsmodellen identifiziert werden.
Gegenstand der Analyse:
Eine dritte Komponente beim Design des Vorgehens ist die
Definition, was der zu untersuchende Fall ist. Dies kann beispielsweise ein Individuum sein
30
3.2 Forschungsdesign
oder ein politisches Programm. Im Falle dieser Arbeit werden P2P-Unternehmen untersucht,
wobei sich auf die Charakteristiken und Herausforderungen konzentriert wird, die im Geschäftsmodell begründet liegen.
Logische Verbindung zwischen Daten und Hypothesen:
In dieser Arbeit werden zu-
nächst aus der Literatur bekannte Charakteristiken und Herausforderungen von zweiseitigen
Plattformen betrachtet und anhand der Analyse der Fallstudien festgestellt, welche Charakteristiken und Herausforderungen typisch für P2P-Plattformen sind und ob diese denen von
zweiseitigen Plattformen ähneln.
Gütekriterien:
Fallstudien müssen genauso wie andere Methoden in der empirischen
Forschung einer kritischen Bewertung standhalten können. Im Folgenden wird daher der
von Yin (2014) entwickelte Kriterienkatalog vorgestellt, der sich eng an die klassischen
Bewertungskriterien der empirischen Forschung orientiert (s. z.B. (Lienert & Raatz, 1998)):
(1) Konstruktivität: Die Konstruktivität bei Fallstudien kann durch die Etablierung von korrekten, operationalen Maßnahmen für das zu studierende Konzept sichergestellt werden.
Dies kann durch die Verwendung von verschiedenen Datenquellen, dem Aufbau von
Beweisketten sowie dem Einbezug von wichtigen Informanten in die Durchsicht der
Fallstudien erfüllt werden.
(2) Interne Validität: Die interne Validität ist hauptsächlich für erklärende Fallstudien von
Bedeutung, da hier aus Beobachtungen Kausalzusammenhänge abgeleitet werden und
die interne Validität überprüft, ob diese korrekt abgeleitet wurden und alle notwendigen
Erklärungsansätze Berücksichtigung finden.
(3) Externe Validität: Da Fallstudien keine repräsentativen Forschungsergebnisse erbringen,
muss die Verallgemeinerung der Ergebnisse von Fallstudien auf einem anderen Wege
sichergestellt werden. Wird eine Verallgemeinerung auf Grundlage eines Einzelfalles
entwickelt, so ist dies eine analytische Verallgemeinerung anstelle einer statistischen
und bedarf weiterer Fundierung durch die Wiederholung der Analyse in anderen Kontexten (multipler Fallstudienansatz).
(4) Reliabilität: Reliabilität liegt vor, wenn der Fallstudienprozess wiederholt werden kann
Iris Bröse
31
3 Methodik
und die Wiederholung zu denselben Ergebnissen kommt. Dies kann sichergestellt werden, indem die Fallstudie detailliert dokumentiert und die Anwendung einer breiten Datenbasis sichergestellt wird.
3.2.2 Theoretischer Bezugsrahmen
Ein theoretischer Bezugsrahmen für beschreibende Fallstudien bestimmt den Umfang und
die Tiefe des zu untersuchenden Gegenstandes der Analyse genauer und hilft dabei, den
Rahmen für eine solide Fallstudie zu schaffen (Yin, 2014). Für die Analyse der Charakteristiken von P2P-Geschäftsmodellen stellt das Business Model Canvas diesen Rahmen dar.
Den Rahmen für die Analyse der Herausforderungen auf Grundlage von Interviews stellen
ebenfalls die Elemente des BMC, allerdings unter Hinzunahme der beschriebenen Merkmale und Herausforderungen von zweiseitigen Plattformen. Die Herausforderung, die durch
Multihoming entsteht, kann jedoch nicht durch die Interviews mit Unternehmensvertretern abschließend geklärt werden, denn hierfür müsste zunächst festgestellt werden, dass Kunden
Multihoming betreiben, was eine Befragung dieser voraussetzt. Eine ähnliche Frage an die
Unternehmensvertreter selbst würde auf einer (möglicherweise verzerrten) Einschätzung
beruhen. Der Effekt, den Multihoming auf die Preisfindung hat, könnte zwar bei dieser Befragung festgestellt werden, wäre aber schwierig vom Preisfindungsproblem selbst zu trennen.
Aus diesen Gründen kann Multihoming bei den Interviews nur implizit festgestellt werden
und soll daher bei der Befragung vernachlässigt werden. Herausforderungen von zweiseitigen Märkten, die bei den Interviews überprüft werden, sind daher das Henne-Ei-Problem,
die kritische Masse, die Preisfindung und das Schaffen von Vertrauen.
3.2.3 Auswahl der Fallstudien
Für die Auswahl von Fällen aus einer Grundgesamtheit gilt, Fälle zu finden die möglichst
heterogene Ausprägungen haben, aber dennoch die (sich entwickelnde) Theorie bestätigen,
widerlegen oder ausbauen sollten (Eisenhardt, 1989). Die Fallstudienpartner für diese Arbeit
stammen aus dem Forschungsprojekt PeerSharing (Drivy, flinc, Kleiderkreisel und Wimdu)
und decken die Vielfalt von P2P-Geschäftsmodellen bereits gut ab. Die Fallstudien fokussieren sich auf die drei Kategorien Mobilitätsdienstleistungen, Übernachtungsmöglichkeiten
32
3.2 Forschungsdesign
und Kleidung von P2P-Unternehmen in Deutschland. Hinsichtlich dieser Kategorien sind
damit rund 66 % der im Projekt erfassten 79 P2P-Plattformen in Deutschland abgedeckt. Die
Fallstudienpartner decken darüber hinaus alle P2P-Muster für materielle und immaterielle
Güter nach Andersson et al. (2013) mindestens ein Mal ab (P2P-Goods-Sharing ist mit Drivy
und Wimdu zwei Mal vertreten). Für die Analyse konnte kein weiteres Unternehmen aus der
Kategorie Gebrauchsgegenstände gewonnen werden. In Tabelle 2, S. 33, ist die Aufteilung
der Plattform anhand der Kriterien aufgezeigt.
Tab. 2: Zusammensetzung der Fallstudien anhand der Peer-to-Peer Muster nach
Andersson et al. (2013) (materielle und immaterielle Güter) und den primären
Nutzungsobjekten (Quelle: Eigene Darstellung)
Peer-to-Peer-
Peer-to-Peer-
Trading
Goods-Sharing
Mobilitätsdienstleistung
Drivy
Übernachtungsmöglichkeiten
Wimdu
Kleidung
Peer-to-PeerServiceSharing
flinc
Kleiderkreisel
Alle Unternehmen sind profitorientiert (Rechtsform: GmbH), was für 58 % der im Forschungsprojekt identifizierten Plattformen gilt. Damit repräsentieren die Fallstudienpartner einen
Großteil der bestehenden Plattformen in Deutschland. Die Untersuchung kann auf diese
Weise jedoch nicht dem gesamten Spektrum der P2P-Plattformen gerecht werden, da es
Plattformen wie Foodsharing oder Freecycle gibt, die einen gemeinnützigen Zweck verfolgen.
3.2.4 Konstruktion des Interviewleitfadens
Als Interviewformat wurde ein problemzentriertes Interview mit offenen Fragen gewählt. Diese Art von Interview lässt den Interviewten möglichst frei zu Wort kommen, fokussiert aber
auf eine bestimmte Problemstellung, die vom Interviewer vorher analysiert wurde (Mayring,
2016). Bestimmte Aspekte dieses Problems wurden vorher bereits herausgegriffen und
in Form eines Interviewleitfaden zusammengestellt, der den Interviewten auf bestimmte
Fragestellungen hinlenkt (Mayring, 2016). Die offenen Fragen werden gestellt, um Herausforderungen aus Sicht der Befragten zu erfahren und um weitere Herausforderungen zu
Iris Bröse
33
3 Methodik
identifizieren, die möglicherweise P2P-Geschäftsmodellen inhärent sind. Um diese Offenheit
auch im Gesprächsverlauf sicherzustellen, wird ein teilstrukturierter Aufbau des Interviews
verfolgt, bei dem die Fragen vorformuliert sind, aber die Reihenfolge offen ist und sich dem
Gesprächsverlauf anpassen kann.
Die Oberthemen des Leitfadens (s. Anhang) orientieren sich an den Elementen des Business Model Canvas. Um zu überprüfen, ob die Herausforderungen von zweiseitigen Märkten
auch auf die Fallstudienpartner zutreffen, wurden diese in das BMC integriert: die Fragen
nach der kritischen Masse und dem Henne-Ei-Problem werden den Kundensegmenten
zugeordnet, die Preisfindung dem Element Einnahmequellen und die Herausforderung, Vertrauen zu schaffen, gehört zu dem Element Kundenbeziehungen. Der Leitfaden beginnt mit
einer einleitenden Frage zu den aktuellen Herausforderungen und geht über in die Kategorien Kundensegmente, Kanäle und Kommunikation, Beziehungen zu und zwischen den
Kunden, Einnahmequellen, Wertangebote, Partner und Kooperationen sowie Wachstum und
Branche. Das letzte Oberthema umfasst die BMC-Elemente Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten und Kostenstruktur, da die Annahme getroffen wird, dass diese insbesondere
dann zu Herausforderungen werden, wenn das Unternehmen stark wächst (z.B. die Akquise
von Fachpersonal).
3.3 Datenerhebung
Für die Analyse der Charakteristiken der P2P-Geschäftsmodelle werden Sekundärdaten
aus dem Forschungsprojekt PeerSharing genutzt, in dem bereits einige Komponenten der
Geschäftsmodelle von Drivy, flinc, Kleiderkreisel und Wimdu durch Interviews und Recherche erfasst wurden. Des Weiteren werden Informationen über die Unternehmenswebseiten,
Pressemitteilungen und veröffentlichten Interviews mit den Gründern oder Managern der
Unternehmen gesammelt. Um die Konstruktivität der Fallstudienanalyse zu erhöhen, wird
den befragten Unternehmensvertretern das vollständige Business Model Canvas aus der
Analyse zur Durchsicht vorgelegt.
Die Interviews zu den Herausforderungen der Geschäftsmodelle sollen grundsätzlich offen geführt werden, so dass der Interviewer nicht an die Reihenfolge der Oberthemen bzw.
34
3.4 Datenanalyse und Anwendung der Ergebnisse
Fragen im Leitfaden gebunden ist. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass der Interviewer sich vollständig auf das Gespräch konzentrieren kann und den Befragten Raum gibt,
Herausforderungen zu benennen, die noch nicht identifiziert wurde. Die Interviews wurden
aufgrund von Zeit- und Kostenvorteilen größtenteils (3 von 4) via Skype geführt und mit dem
Einverständnis der Gesprächspartner aufgezeichnet. Durchgeführt wurden die Interviews
im Februar 2016 und dauerten im Schnitt 45 Minuten.
3.4 Datenanalyse und Anwendung der Ergebnisse
Der empirische Teil der Arbeit wird durch die Analyse von vier Fallstudien abgedeckt und
stellt damit einen multiplen Fallstudienansatz dar. Multiple Fallstudien haben gegenüber
Einzelfallstudien den Vorteil, dass sie durch den Vergleich von mehreren Fällen zu überzeugenderen und robusteren Ergebnissen führen (Herriott & Firestone, 1983), da diese
der systematischen Untersuchung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden entspringen.
Hierdurch wird die externe Validität erhöht, da Verallgemeinerungen auf der Analyse von
mehreren Fällen beruhen. Andererseits kann bei Fällen, die selten, ungewöhnlich oder kritisch sind, eine vergleichende Analyse bereits per Definition ausgeschlossen werden. Ein
Nachteil von multiplen Fallstudien ist der hohe Zeit- und Ressourcenaufwand, den die vergleichende Analyse erfordert, da hier auf Grundlage eines theoretischen Bezugsrahmens
der Anspruch an die Reliabilität der Ergebnisse sichergestellt werden soll.
In dieser Arbeit ist die Analyse aufgeteilt auf die Untersuchung der Charakteristiken, welche
in Abschnitt 4.1 behandelt wird und die Analyse der Herausforderung auf Grundlage von
Interviews in Abschnitt 4.2. Für die Analyse der Charakteristiken wird im Anschluss an die
Einzelfallstudienanalyse eine Interfallstudienanalyse durchgeführt und Gemeinsamkeiten
und Unterschiede herausgearbeitet. Als Zwischenergebnis dieser Arbeit wird ein generisches BMC für P2P-Geschäftsmodelle vorgestellt.
Im Anschluss an die Durchführung der Interviews werden diese im Aufbereitungsverfahren
wörtlich transkribiert. Die Transkription erfolgt als Übertragung in das normales Schriftdeutsch, d.h. der Satzbau wird bereinigt und es wird kein Dialekt hervorgehoben, da die
inhaltlich-thematische Ebene im Vordergrund steht (Mayring, 2016). Außerdem wird der
Iris Bröse
35
3 Methodik
Umfang des Gesprächsmaterials bereits während der Transkription reduziert, indem Wiederholungen oder Ausschmückungen gekürzt werden.
Die Datenauswertung zur Identifikation von Herausforderungen für P2P-Geschäftsmodelle
erfolgt in Anlehnung an die zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
(2016, 2010). „Ziel der Analyse ist es, das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen,
der immer noch Abbild des Grundmaterials ist“ (Mayring, 2016, S. 115). Die zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse ist gekennzeichnet durch eine auf dem Textmaterial
basierende, induktive Kategorienbildung. Obwohl dadurch die Kategorien direkt aus dem
Material abgeleitet werden sollen, wird sich auch an vorhergehenden theoretischen Überlegungen orientiert. Da dieses Vorgehen deduktiver Art ist, müssen im Vorfeld theoretische
Überlegungen über den Gegenstand und das Ziel der Analyse angestellt werden, welche in
dieser Arbeit die Literaturanalyse zu den Elementen des Business Model Canvas und den
Herausforderungen von zweiseitigen Märkten darstellt. Die Elemente des BMC stellen grobe
Oberkategorien dar, die zur späteren Einordnung der genannten Herausforderungen in das
Geschäftsmodell dienen sollen. Die Herausforderungen von zweiseitigen Märkten sollen
wiederum Aufschluss auf mögliche Herausforderungen geben, die auch bei P2P-Plattformen
auftreten können.
Der erste Schritt besteht daher in der Suche nach Textstellen, die das Selektionskriterium
„Nennung einer Herausforderung von zweiseitigen Plattformen“ erfüllen. Hierfür werden
zunächst alle Textstellen angestrichen, die die Vermutung zulassen, dass das Henne-EiProblem, das Erreichen der kritische Masse, das Schaffen von Vertrauen und die Preisbildung auch für die Fallstudienpartner relevant sind. Um der Vielfalt der genannten Herausforderungen gerecht zu werden, werden bei einem zweiten Materialdurchgang weitere
Herausforderungen erfasst und aus ihnen induktiv Kategorien entwickelt. Werden im weiteren Verlauf zu diesen Kategorien passende Textstellen gefunden, so werden sie diesen
Kategorien zugeordnet. Falls die Textstelle zwar dem Kriterium entspricht, dass es sich um
die Erwähnung einer Herausforderung handelt, aber keiner Kategorie zuzuordnen ist, wird
eine neue Kategorie definiert (Mayring, 2016). Nach einem Teil des Durchgangs (10-15 %)
wird das Kategoriesystem überarbeitet und überprüft, ob es keine Überlappungen gibt und
der Abstraktionsgrad zur Fragestellung passt. Hierfür wird ein gekürzter Kodierleitfaden
36
3.4 Datenanalyse und Anwendung der Ergebnisse
verwendet, der die richtige Zuordnung von Textstellen zu den Kategorien während des Materialdurchgangs sicherstellt Mayring (2016, 2010). Der Kodierleitfaden, der im Anhang zu
finden ist, umfasst die Kategorien, ihre Definition und Ankerbeispiele aus dem Text. In einem
weiteren Materialdurchgang werden die entwickelten Kategorien und die Zuordnung der Herausforderungen zu diesen validiert und überprüft, ob möglicherweise weitere Kategorien
eine Rolle spielen.
Um die Analyse der Charakteristiken und Herausforderungen der Fallstudienpartner zu
verbinden, werden in einem letzten Schritt (wo möglich), die Kategorien den BMC Elementen zugeordnet und damit Elemente identifiziert, die besonders von Herausforderungen
betroffen sind. Im Anschluss werden Herausforderungen diskutiert, die speziell auf P2PPlattformen zutreffen sowie Handlungsempfehlungen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten
für P2P-Geschäftsmodelle vorgeschlagen.
Iris Bröse
37
4 Analyse der Fallstudien
4.1 Identifikation von Charakteristiken der
Geschäftsmodelle auf Basis des Business Model
Canvas
In den folgenden Abschnitten werden die Geschäftsmodelle von Drivy, flinc, Kleiderkreisel
und Wimdu anhand der Elemente des BMC vorgestellt, um danach Eigenschaften von
profitorientierten P2P-Geschäftsmodellen ableiten und ein P2P-BMC erstellen zu können.
4.1.1 Drivy
Drivy Germany GmbH ist eine internetgestützte Peer-to-Peer Autovermietung, bei der Privatpersonen ihr Auto inklusive Versicherungsschutz temporär an andere Privatpersonen
vermitteln können (Drivy, o.J.c). Das Unternehmen wurde 2010 als Voiturelib von Paulin Dementhon in Frankreich gegründet, trat 2014 in einer Beta-Phase in den deutschen Markt ein
und übernahm im Mai 2015 Autonetzer, einen deutschen Konkurrenten für privates Carsharing (Drivy, 20.02.2015; Bay, 28.05.2015). Durch diese Übernahme können mehr als 5.000
Fahrzeuge an ca. 100.000 Nutzern über Drivy vermietet werden, was Drivy zum Marktführer
im privaten Carsharing Bereich in Deutschland macht (Bay, 28.05.2015; heise online, 2016).
Das vollständige BMC von Drivy ist in Abbildung 9, S. 100, im Anhang zu finden.
Kundensegmente:
Drivy verbindet die Peer Provider (Autobesitzer), die ihr Auto (max.
3,5 t) gegen einen individuellen Preis zur Kurzmiete anbieten wollen und private Mieter, die
ein Auto für einen bestimmten Zeitraum nutzen möchten. Insbesondere fokussiert sich Drivy
38
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
auf die flexible und mehrtägige Miete eines PKWs, beispielsweise für den Umzug oder einen
Wochenendausflug (Scholl et al., 2015). Der durchschnittliche Drivy-Nutzer ist 36 Jahre alt,
mietet sich ein Auto für durchschnittlich drei Tage und zahlt dafür 29 Euro pro Tag (Schlicht,
17.11.2015).
Wertangebote:
Der Verkehrsclub Deutschland gibt an, dass ein Privatauto durchschnitt-
lich 23 Stunden pro Tag still steht (Verkehrsclub Deutschland, 2015). Dies ist ein Problem,
da der Fixkostenblock für Versicherungen, Wartung und Steuern drei Viertel der Nutzungskosten ausmachen kann (Verkehrsclub Deutschland, 2015). Für die Peer Provider auf Drivy
hat die Nutzung der Plattform daher den Vorteil, dass sie die Fixkosten für das eigene Auto vermindern oder sogar gänzlich abdecken können. Auf der anderen Seite sparen die
Peer-Consumer Anschaffungskosten und laufenden Kosten für ein eigenes Auto und haben
zusätzlich die freie Auswahl zwischen verschiedenen Fahrzeugmodellen. Nach eigenen
Angaben können damit in Deutschland ca. 25 % gegenüber Konkurrenten wie den klassischen Autovermietungen gespart werden (Jakobs, C. (18.04.2016 und 26.05.2016), E-MailKommunikation)32 . Des Weiteren stellt Drivy auch den ökologischen Nutzen des Teilens von
Gütern für eine effizientere Nutzung und gegen die Verschwendung von Ressourcen heraus
(Drivy, o.J.b).
Kanäle:
Neben der Plattform selbst als wichtigsten Kanal, werden weitere Kanäle in ver-
schiedenen Phasen eingesetzt. Bei der Bewältigung der ersten Schritte im System nach
der Registrierung werden die Autobesitzer von Drivy kontaktiert und auf Wunsch bei der
Erstellung ihres Profils unterstützt (meist telefonisch) (Scholl et al., 2015). Dies hat u.a. den
Zweck, die Qualität des Angebots sicherzustellen, was, wie oben beschrieben, bei zweiseitigen Märkten sehr wichtig ist, um die Preisfindung und die Wahrnehmung der Plattform zu
verbessern. Hierbei wird Wert auf die Präsentation der Autos durch hochauflösende Bilder
und genaue Beschreibungen gelegt (Scholl et al., 2015). Darüber hinaus unterhält Drivy
einen eigenen Blog und ist auf Social Media Kanälen wie Facebook und Twitter33 vertreten,
über die Tipps und aktuelle Entwicklungen vorgestellt werden. Die Nutzer selbst können
über ein Online-Nachrichtensystem miteinander in Kontakt treten. Sinkt jedoch das Aktivitätslevel der Nutzer auf der Plattform, werden ggf. Schritte zur Reaktivierung aufgenommen
32
33
Zahl für Deutschland (25 %) unterscheidet sich von der für Frankreich (30 %)
www.twitter.de
Iris Bröse
39
4 Analyse der Fallstudien
(E-Mail Benachrichtigungen) oder inaktive Profile entfernt, um die Antwortrate und damit die
Qualität der Plattform zu erhöhen.
Kundenbeziehungen:
Drivy beschreibt die Beziehung zu den Nutzern der Plattform als
partnerschaftlich (Scholl et al., 2015). Persönliche Unterstützung erhalten die Peer Provider
beim Onboarding-Prozess (s. Kanäle) und die Mieter und Vermieter haben die Möglichkeit,
sich gegenseitig auf einer Skala von null bis fünf Sternen plus kurzem Text zu bewerten.
Dieses transparente Bewertungssystem und die Versicherung der Allianz sind elementare Bestandteile für das Schaffen von Vertrauen zwischen Anbietern und Mietern auf der
Plattform. Generell kann die Beziehung zwischen Drivy und den Nutzern als automatisierte Dienstleistung beschrieben werden, da Drivy als Vermittler auftritt und die persönlichen
Online-Profile den Nutzern erst Zugang zur Dienstleistung geben. Darüber hinaus bietet
Drivy allerdings auch Offline-Events an, bei denen sich Mieter und Vermieter mit Vertretern
von Drivy treffen können, um das Team kennen zu lernen und Erfahrungen auszutauschen,
was zur Kundenbindung und Stärkung der Community beitragen soll (Scholl et al., 2015).
Einnahmequellen:
Wie bei zweiseitigen Plattformen üblich, hat auch Drivy eine differen-
zierte Preisstrategie. Die Mieter stellen die subventionierte Seite dar und zahlen nichts für
die Anmeldung und auch keine extra Gebühr für die Miete eines Autos. Um ihre Fixkosten
zu decken, erhalten Vermieter 70 % des erzielten Mietpreises und die restlichen 30 % gehen
anteilig an die Versicherung sowie an Drivy selbst (Drivy, o.J.f). Auch für die Vermieter ist die
Anmeldung auf der Plattform kostenlos. Als Zahlungsformen steht die Zahlung per Kreditkarte oder PayPal zur Verfügung, wobei letzteres nur bei Autos funktioniert, die in Deutschland
zugelassen sind (Drivy, o.J.d). Außerdem hat das Unternehmen 2012, 2014 und 2015 zur
Finanzierung und zur Umsetzung der Internationalisierung insgesamt 16 Millionen Euro von
Risikokapitalgebern einsammeln können (Drivy, 20.02.2015; Bay, 28.05.2015).
Schlüsselressourcen:
Zur Erfüllung des Nutzungsversprechens ist die Plattform für
Drivy elementar. Hinzu kommen Mitarbeiter für das Management der Kundenbeziehung
und zur Entwicklung der Plattform. Elf Mitarbeiter (von 68, Stand April 2016) der bei Drivy
Beschäftigten sind daher mit der technischen Entwicklung und Wartung der Plattform betraut
(Drivy, o.J.a). Annähernd ein Drittel der Mitarbeiter arbeitet darüber hinaus im Customer Relationship Bereich und ist damit für die Verbindung zwischen der Plattform und deren Kunden
sowie der Beziehung zwischen den zwei Seiten der Plattform zuständig (Drivy, o.J.a).
40
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
Schlüsselaktivitäten:
Die Schlüsselaktivitäten von Drivy hängen eng mit der Plattform
zusammen. Dazu gehören die Bereitstellung der Services (inkl. Kundenservice und Qualitätssicherung) durch das kontinuierliche Management der Plattform (u.a. die technische
Wartung) sowie das Marketing der Plattform.
Schlüsselpartnerschaften:
Drivy nennt zwei Partner auf ihrer Webseite:
die
Mitfahrgelegenheiten-Plattform BlaBlaCar und den Versicherungskonzern Allianz34 . Die
Partnerschaft mit BlaBlaCar scheint vor allem eine Partnerschaft zur gegenseitigen Bewerbung zu sein, denn auf beiden Plattformen wird auf die Möglichkeit verwiesen, die
Miete eines Autos über Drivy mit dem Einstellen der Strecke auf BlaBlaCar zu verbinden
(BlaBlaCar, 02.06.2015; Drivy, 02.06.2015), um so die anfallenden Kosten zu verringern und
das Auto effizienter zu nutzen. Dahingegen ist die Partnerschaft mit der Allianz elementar,
denn um die Vermietung von privaten Autos zu ermöglichen, tritt die Versicherung der
Allianz für die vereinbarte Mietdauer an die Stelle der privaten Versicherung des Vermieter.
Die Versicherung beinhaltet eine Haftpflicht-, Teil- und Vollkaskoversicherung mit einer
Selbstbeteiligung in Höhe von 800 Euro sowie einen Schutzbrief inklusive Pannendienst
(Drivy, 2015). Die Selbstbeteiligung kann gegen eine Zusatzzahlung auf 150 Euro reduziert
werden (Drivy, 2015).
Kostenstruktur:
Die Kostenstruktur bei Drivy setzt sich im Kern aus Kosten für das Hos-
ting, die Wartung und die Entwicklung der Plattform sowie den Personalkosten zusammen.
4.1.2 flinc
Die flinc GmbH ist eine Vermittlungsplattform für Mitfahrgelegenheiten, die dynamisch in
Echtzeit vermittelt werden oder regelmäßig über eher kurze Strecken stattfinden. Die Idee
entsprang einer Projektarbeit an der Hochschule Darmstadt 2008 und ging 2010 in der
Gründung der flinc AG durch Alexander Kuhn, Michael Hübl, Benjamin Kirschner und Dr.
Klaus Dibbern auf (flinc, 2015). Im Sommer 2011 öffnete flinc das Mitfahrernetz in Deutschland und konnte bereits in den ersten zwei Wochen 10.000 Registrierungen verzeichnen
(Scholl et al., 2015). Inzwischen haben sich über 250.000 Menschen auf flinc registriert und
nutzen monatlich mehr als 650.000 Fahrten bzw. Mitfahrten (flinc, 2015). Der Hauptsitz des
34
www.allianz.de
Iris Bröse
41
4 Analyse der Fallstudien
Unternehmens ist Ludwigshafen/Rhein. Das vollständige BMC von flinc ist in Abbildung 10,
S. 101, im Anhang zu finden.
Kundensegmente:
Peer Provider bei flinc sind Autofahrer, die spontan Fahrten anbieten
(auch Teilstrecken), kurze Strecken fahren oder die regelmäßig gleiche Strecken (Pendler)
zurücklegen. Die Peer-Consumer sind Pendler oder Mitfahrer, die Geld für den Transport
durch oder zur Stadt sparen möchten, da flinc nach eigenen Angaben preislich vergleichbar
mit dem Öffentlichen Nahverkehr ist und auf längeren Strecken auf einem ähnlichen Preisniveau liegt wie klassische Mitfahrgelegenheiten (Scholl et al., 2015). Nach einer eigenen
Befragung von über 300 Nutzern sind ca. zwei Drittel männlich und ein Drittel weiblich (Scholl
et al., 2015). Das Verhältnis von Anbietern und Nachfragern auf der Plattform ist 50/50 und
die Nutzer beschränken sich auch entweder auf das Anbieten oder das Suchen von Fahrten.
Zusätzlich zu diesen Kundensegmenten gibt es Großunternehmen wie u.a. Procter & Gamble, Opel und Bosch, die flinc als unternehmensinterne Mitfahrgelegenheiten-Applikation
einkaufen. Ein weiteres Kundensegment sind Regionen wie die LEADER-Region35 Limes
(Bundesanstalt für Landwirtschaft, 2012; LEADER Aktionsgruppe Limesregion, o.J.).
Wertangebote:
Flinc positioniert sich als Ergänzung zwischen dem Öffentlichen Perso-
nennahverkehr sowie innerstädtischen Angeboten wie Carsharing oder Taxis und Mobilitätsangeboten für längere Strecken wie Fernbusse oder die Bahn. Im Unterschied zu Drivy steht
bei flinc die Fahrt als Serviceleistung im Vordergrund und nicht das Auto und dessen Fixkosten selbst. Der Fahrer kann selbst entscheiden, ob die Fahrt kostenlos angeboten wird oder
ob der von flinc vorgeschlagene Preis für die Fahrt angenommen wird. Der Preis berechnet
sich aus 10ct/min für den Fahrtweg und 2ct/min für einen gefahrenen Umweg bis hin zur Tür
des Mitfahrers (flinc, 22.09.2011). Für die Fahrzeugbesitzer hat die Fahrt mit flinc demnach
den ökonomischen Vorteil, einen Teil der variablen Kosten für eine Fahrt, die er ohnehin
fahren müsste, abzudecken. Die von flinc im Dezember 2014 durchgeführte Befragung untermauert die Einschätzung, dass primär ökonomische Gründe bei der Nutzung von flinc
wichtig sind und weniger nachhaltige Motive. Die Nutzer gaben an, dass die größten Vorteile
von flinc die Möglichkeit zum Geldsparen sowie die Praktikabilität und der Komfort sind
(Scholl et al., 2015). Das zusätzliche Wertangebot von flinc für die Mitfahrer ist, dass diese
35
LEADER ist ein Förderprogramm der Europäischen Union und des Landes Baden-Württemberg für den
Ländlichen Raum. LEADER steht für „Liaison Entre Actions de Développement de L’Économie Rurale“ =
Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft
42
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
von Tür zur Tür gebracht werden und so den (möglicherweise) langen Fußweg zur nächsten Haltestelle des ÖPNV sparen können. Für die Unternehmen hat die Nutzung von flinc
den Vorteil, dass sich zum einen die Benzinkosten der Fahrzeugflotte reduzieren und zum
anderen damit CO2 gespart wird, was auch von Vorteil für den ökologischen Fußabdruck
der Unternehmen ist. Die Regionen erweitern durch die Nutzung von flinc ihr Angebot im
Öffentlichen Personennahverkehr und können sich insbesondere für junge Erwachsene und
Jugendliche als attraktivere Mobilitätslösung hervortun (Bundesanstalt für Landwirtschaft,
2012; LEADER Aktionsgruppe Limesregion, o.J.).
Kanäle:
Neben der Plattform (als Desktop- oder Appversion) nutzt flinc auch die Naviga-
tionssysteme, die über ihre NAVIGON und Bosch bereitgestellt werden, als Kanäle. Daher
ist es möglich, in Echtzeit Anfragen von potentiellen Mitfahrern zu bekommen und sich direkt zum Abholort navigieren zu lassen. Ähnlich funktioniert dies auch mit DriveNow, dem
B2C Carsharing Service von der BMW Group und Sixt, denn DriveNow-Nutzer können ihre
Fahrten direkt über den Boardcomputer im Auto bei flinc anbieten. Umgekehrt werden flincNutzern auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit die nächstgelegenen DriveNow-Autos
angezeigt (flinc, o.J.a). Weitere Kanäle sind Newsletter an die bestehenden Nutzer, Gewinnspiele über Social Media wie Twitter und Facebook sowie ein eigener Blog mit Themen rund
um das Thema Mobilität und Auto (flinc, o.J.e, o.J.d, o.J.b).
Kundenbeziehungen:
Für flinc ist das Schaffen von Vertrauen zwischen den Nutzern
zentral, denn ein Großteil der Erfahrungen, die mit flinc gemacht werden, liegen außerhalb
der Kontrolle des Unternehmens. Um dies zu verbessern, wurde ein Vertrauensnetzwerk
eingerichtet, in dem sich nur Personen befinden, die der Nutzer kennt oder Kontakte zweiten Grades sind. Auf diese Weise können die Personen im Netzwerk bei Vermittlungen
bevorzugt werden. Eine weitere Maßnahme ist die Bildung von Gruppen mit Personen, die
regelmäßig die gleichen Strecken zurücklegen (z.B. Mitarbeiter desselben Unternehmens).
Wie auch bei den anderen Plattformen, stellt flinc ein Bewertungssystem für die Fahrer und
Mitfahrer zur Verfügung. Dieses wird um Profilstatistiken wie Antwortzeit, Antwortrate und
Anzahl der Nutzer im Vertrauensnetzwerk ergänzt. I.A. kann die Beziehung von flinc zu
seinen Kunden als automatisiert beschreiben werden, da hier Profile angelegt werden und
automatisierte Services die Individuen und ihre Charakteristiken wiedererkennen können.
Iris Bröse
43
4 Analyse der Fallstudien
Auf Basis des Vertrauensnetzwerks ist es für flinc so möglich, persönliche Empfehlungen
für Fahrten zu geben.
Flinc finanziert sich aus Investorenkapital von der KfW, der ISB
Einnahmequellen:
Rheinland-Pfalz, der Deutschen Bahn und dem Risikokapitalfonds von General Motors
GM Ventures (Schlenk, 13.07.2015; Scholl et al., 2015). Seit 2012 bietet flinc auch eine
zugeschnittene Version der Plattform für Unternehmen und Regionen an (unternehmer.de,
13.08.2012). Die Unternehmen zahlen eine Pauschale für die Einführung und das Marketing
der Plattform sowie eine monatliche Gebühr, die sich nach der Größe des Unternehmens
richtet (Lachmann, 2013; Scholl et al., 2015). Die Regionen zahlen für die Einführung von
flinc ebenfalls einen festen Preis (Frank, 15.03.2012). Für die Nutzer der Plattform ist die Registrierung und die Vermittlung über flinc kostenlos, sie zahlen nur den von flinc berechneten
Preis für die Mitfahrt und für den möglicherweise gefahrenen Umweg.
Schlüsselressourcen:
Eine Schlüsselressource für flinc ist, ähnlich wie bei den anderen
Unternehmen, die Plattform selbst sowie die Mitarbeiter, die sich um das Produkt und dessen
Entwicklung (13) und Marketing (9) kümmern (flinc, o.J.c).
Schlüsselaktivitäten:
Schlüsselaktivitäten für flinc sind das Plattform-Management, die
Werbung für die Plattform sowie die Bereitstellung der Services.
Schlüsselpartnerschaften:
Flinc hat eine Vielfalt von Partnern aus dem Mobilitätsbe-
reich. Fahrer können über die Navigationssysteme von NAVIGON und Bosch in Echtzeit
Mitfahreranfragen von flinc erhalten und werden zum Abhol- und Zielort der Mitfahrer navigiert (flinc, o.J.a). Außerdem ist flinc serienmäßig im BMW i3 integriert und kann über den
Boardcomputer für das Anlegen von Fahrten und eingehender Mitfahrtengesuche genutzt
werden. Ähnlich funktioniert dies auch bei den Boardcomputern der DriveNow Autos (flinc,
o.J.a). Seit 2014 wurde auch die Deutsche Bahn als Kooperationspartner gewonnen und
möchte flinc in ihr neues Mobilitätsportal Qixxit integrieren (Scholl et al., 2015).
Kostenstruktur:
Die Kostenstruktur setzt sich zusammen aus den Personalkosten (ins-
besondere für Entwickler), dem Betrieb der Plattform und dessen Management sowie den
Marketingkosten, die in der Phase bis zum Erreichen der Netzwerkeffekte einen Großteil
der Gesamtkosten ausmachen.
44
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
4.1.3 Kleiderkreisel
Die Kleiderkreisel GmbH ist ein online Secondhandmarkt, auf dem Kleidung, Accessoires
und Kosmetik getauscht, weiterverkauft oder verschenkt werden können. Die Mutterfirma von Kleiderkreisel, Vinted, entstand 2008 in Litauen als Nebenprojekt der Gründer
(Kleiderkreisel, 31.10.2014). Heute gehören die Plattformableger in acht Ländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Litauen, Österreich, Polen, Tschechien und den USA) zu
der litauischen Vinted Limited (Kleiderkreisel, o.J.e; Scholl et al., 2015). Weltweit sind über
11 Millionen Menschen auf den Plattformen registriert, wobei Kleiderkreisel die größte Mitgliederanzahl in einem Land auf sich vereint (Kleiderkreisel, 31.10.2014; Li, 15.01.2015).
In München arbeiten 20 festangestellte Beschäftigte, weltweit sind es 240 Mitarbeiter (festangestellte und freie) (Kleiderkreisel, o.J.e; Scholl et al., 2015). Das vollständige BMC von
Kleiderkreisel ist in Abbildung 11, S. 102, im Anhang zu finden.
Kundensegmente:
Beide Seiten der Plattform sind zum Großteil junge Frauen im Alter
zwischen 14 und 24 Jahren, die ihre Kleidung nicht wegwerfen, sondern verkaufen, tauschen oder verschenken möchten bzw. die Interesse an günstigerer Secondhandware haben (Scholl et al., 2015). Der Verkauf von Kleidung ist hierbei, gemessen an der Anzahl der
Transaktionsarten, die wichtigste Form der Eigentumsübertragung (Scholl et al., 2015). Von
10 Millionen gehandelten Artikeln fallen 9,5 Millionen unter Damenmode und ca. 500.000
unter Herrenmode. Ein besonders wichtiges Kundensegment scheinen Mütter zu sein, denn
für diese entschied sich Kleiderkreisel 2012 eine eigene Plattform unter www.mamikreisel.de
einzurichten. (Kleiderkreisel, 22.10.2012) n (den Käufern) scheint kaum zu bestehen. Dies
ist nicht verwunderlich, denn da die Anschaffungskosten für z.B. ein Auto sehr viel höher
liegen als für Kleidung (mit Ausnahmen), ist die Verteilung zwischen Anbietern und Nutzern
klarer: Jemand, der ein Auto besitzt, wird eher selten als Mieter eines Autos auftreten. Anders ist dies bei Kleidung, da hier Anbieter einfacher zu Käufern und umgekehrt Käufer zu
Anbietern werden können. Diese unklare Trennung kann ein Problem bei der Preisfindung
für die Plattform und die zwei Seiten sein.
Wertangebote:
Ungenutzte Kleidung nimmt Platz im Kleiderschrank ein und stellt vie-
le Menschen regelmäßig vor die Frage, was man damit tun kann. Zum Wegwerfen sind
die Stücke oft zu gut erhalten, daher bleiben Spenden, Verschenken oder Verkaufen als
Iris Bröse
45
4 Analyse der Fallstudien
Optionen (Kleiderkreisel, 29.05.2013). Kleiderkreisel bietet die Möglichkeit, die Kleidung
zum Verkauf, Tausch oder zum Verschenken anzubieten (Kleiderkreisel, o.J.e). So ist es
möglich, zuerst den Marktwert durch das Einstellen zum Verkauf zu testen und wenn kein
Interesse besteht, die Artikel auch zum Tauschen oder Verschenken einzustellen. Durch die
hohe Anzahl an Mitgliedern wird die Reichweite des Online-Flohmarktes erhöht und somit
auch die Wahrscheinlichkeit, einen Käufer für die Secondhandkleidung zu finden. Auf der
Käuferseite mag das Problem bestehen, dass nicht ausreichend Geld für neue Kleidung
vorhanden ist oder das Bedürfnis existiert, nicht mehr Ressourcen für die eigene Kleidung in
Anspruch nehmen zu wollen (Kleiderkreisel, 29.05.2013). Da Kleidung aus zweiter Hand i.A.
günstiger als neue Kleidung ist, sparen Käufer Geld und Ressourcen, müssen aber auch
mehr Zeit in die Verhandlungen und Kommunikation investieren. Außerdem besteht auf der
Plattform die Möglichkeit, Tipps und Erfahrungen – auch abseits von Kleidung – mit anderen
auszutauschen (Kleiderkreisel, 29.05.2013).
Kanäle:
Wie auch bei Drivy ist die Plattform bzw. die App der Kernkanal, um die Verkäufer
und Käufer zu erreichen. Ein weiterer wichtiger Kanal für Kleiderkreisel ist die persönliche
Weiterempfehlung durch die Nutzer, wobei seit der Einführung des Bezahlsystems (s. Einnahmequellen) die Nutzerzahlen nicht mehr so stark zunehmen (Scholl et al., 2015). Dieser
Kanal der persönlichen Weiterempfehlung ist allerdings für alle Plattformen von hoher Bedeutung, denn 69 % der befragten US-Amerikaner stimmen darüber überein, dass sie keinen
Sharing Economy Plattformen vertrauen werden, bis sie von jemandem empfohlen werden,
dem sie selbst vertrauen (PwC, 2015). Überdies ist Kleiderkreisel auch auf Social Media
Seiten wie Facebook, Instagram36 und Twitter vertreten und nutzt diese Kanäle u.a. für
Gewinnspiele (Kleiderkreisel, 16.12.2015).
Kundenbeziehungen:
Zur Verbreitung von Neuigkeiten um Kleiderkreisel, Aktionen,
Beauty Tipps, für Feedback und viele weitere Themen bietet Kleiderkreisel ein Forum an
(Kleiderkreisel, o.J.a). Die Nutzungsquote der Plattform liegt nach eigenen Angaben bei
600.000 Nutzern pro Woche, was bei ca. 3 Millionen Nutzern ein hohes Engagement aufzeigt
(Scholl et al., 2015). Diese Community ist wichtig für Kleiderkreisel, da das Unternehmen so
direkten Kontakt zu den Nutzern aufnehmen und sich mit ihnen intensiv auseinandersetzen
kann. Vertrauen schafft Kleiderkreisel zwischen den Nutzern und zur Plattform durch das
36
www.instagram.com
46
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
Bewertungssystem und den Versandschutz, der mit Einführung des Bezahlsystems standardmäßig die Transaktionen bis zu 20 Euro absichert, falls z.B. der Käufer das Produkt
nicht erhält (Kleiderkreisel, o.J.b). Da Kleiderkreisel nicht aktiv an den einzelnen Transaktionen beteiligt ist, sondern die Mitglieder sich über ihre Onlineprofile vernetzen können,
kann die Beziehung von Kleiderkreisel zu den Nutzern als automatisierte Dienstleistung
beschrieben werden.
Einnahmequellen:
Sowohl für die potentiellen Käufer als auch für die Verkäufer ist die
Registrierung auf der Plattform kostenfrei. Um Artikel verkaufen bzw. kaufen zu können,
wird eine Gebühr in Höhe von 10 % des Verkaufspreises erhoben, die sofort mit dem Betrag für den Verkäufer verrechnet oder von seinem virtuellen Geldbeutel abgezogen wird
(Kleiderkreisel, o.J.f). Diese Gebühr wird seit Anfang 2016 erhoben, zuvor betrug die Gebühr 5 % (Kleiderkreisel, 19.01.2016a). Die Einführung des Bezahlsystems Ende 2014 führte
bereits zu harscher Kritik seitens der Nutzer (Kleiderkreisel, 26.10.2014; Plewinski, 2014)
und auch nach der Einführung der angekündigten 10 % wird die Kommerzialisierung der
Plattform zum Teil als Vertrauensverrat angesehen (Kleiderkreisel, 19.01.2016b). Bis dato
finanzierte sich die Plattform durch Investoren und konnte sich finanziell nicht selbst tragen
(Kleiderkreisel, 25.10.2014). Ca. 20 % der Einnahmen kamen durch Werbeeinnahmen und
andere Dienste zustande, die aber nach der Einführung des Bezahlsystems nicht mehr genutzt werden. Bisher gelang es dem Mutterunternehmen Vinted in mehreren Finanzierungsrunden von Investoren wie Insight Venture Partners, Accel Partners und Ende 2015 auch
Hubert Burda Media mehr als 60 Millionen US-Dollar einzusammeln (Rapoza, 09.12.2015).
Mit dem Investmentkapital wird der Großteil der Personalkosten, Betriebskosten usw. getragen (Kleiderkreisel, 25.10.2014).
Schlüsselressourcen:
Als Schlüsselressourcen können die Plattform sowie die Mitarbei-
ter der IT und der Forumsadministration angesehen werden (Stand Januar 2016 sind 27
Community Manager auf der Seite von Kleiderkreisel angegeben (Kleiderkreisel, o.J.e)).
Schlüsselaktivitäten:
Die Schlüsselaktivitäten von Kleiderkreisel sind die Entwicklung
und insbesondere die Wartung der Plattform, welche nach einigen technischen Problemen
(Kleiderkreisel, o.J.c, o.J.d) von hoher Bedeutung ist. Hinzu kommt die Bereitstellung der
Services mit der Betreuung des sehr aktiven Forums und dem Nutzerservice, da vermehrt
Iris Bröse
47
4 Analyse der Fallstudien
Betrugsfälle auftraten (Kleiderkreisel, 07.03.2014, 25.10.2014). Aktive Werbung für die Plattform ist in der Vergangenheit durch Weiterempfehlungen von geringerer Bedeutung gewesen
(Scholl et al., 2015).
Schlüsselpartnerschaften:
Auf der Kleiderkreisel-Webseite werden keine Partner be-
nannt.
Kostenstruktur:
Die Entwicklung, das Hosting sowie i.A. das Management der Plattform
inklusive der Administration des Forums und den dazugehörigen Personalkosten können
auch bei Kleiderkreisel als wichtige Kostenblöcke angesehen werden.
4.1.4 Wimdu
Die Wimdu GmbH ist eine Onlineplattform, die Reisende mit privaten Gastergebern für Wohnungen oder Zimmern zusammenbringt. Das Unternehmen wurde 2011 von Arne Bleckwenn und Hinrich Dreiling in Berlin gegründet (Wimdu, 2014). Seit Januar 2015 wird das
Unternehmen von Arne Kahlke (CEO) und Sören Kress (CEO) geführt und zählt nach fünf
Jahren über 250 Mitarbeiter (Wimdu, 2014). Nach eigenen Angaben sind in dieser Zeit 1,7
Millionen Gäste mit Wimdu verreist und haben in mehr als 300.000 Unterkünften in über 150
Ländern übernachtet (Wimdu, 2015b). Das vollständige BMC von Wimdu ist in Abbildung 12,
S. 103, im Anhang zu finden.
Kundensegmente:
Die Peer Provider auf der Plattform sind die Vermieter von (ungenutz-
tem) Wohnraum oder ganzen Wohnungen, die sich etwas dazu verdienen möchten. Auf
der anderen Seite sind die Peer-Consumer Städtereisende (50 % der Vermietungen fallen
auf zehn Großstädte) auf der Suche nach einer individuelleren, günstigen Unterkunft mit
guten bis sehr guten Qualitätsstandards hinsichtlich Komfort und Sauberkeit (Scholl et al.,
2015; Wimdu, 2015b). Mehr als die Hälfte der Nutzer sind weiblich, fünf bis zehn Prozent
sind Geschäftsreisende und der durchschnittliche Nutzer ist zwischen 35 und 55 Jahre alt
(Scholl et al., 2015). So zeigt sich, dass Wimdu vor allem bei Gästen „jenseits der Couchsurfing37 -Generation“ beliebt ist (Scholl et al., 2015). Die größten Märkte für Wimdu sind
Spanien und Deutschland (Scholl et al., 2015).
37
Onlineplattform, welche Menschen verbindet, die nach einer kostenlosen Unterkunft suchen bzw. eine
anbieten möchten; Internetseite: www.couchsurfing.com/
48
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
Wertangebote:
Zur Abgrenzung von Konkurrenten wie Airbnb legt Wimdu einen Fokus
auf City Apartments, ein hohes Qualitätsniveau und Professionalität (Scholl et al., 2015;
Wimdu, o.J.c). Nach einer Nutzerumfrage zum Thema Privatunterkünfte bei Reisen der Internationalen Tourismus-Börse in Zusammenarbeit mit der Hochschule Worms zeigte sich,
dass für 98,8 % die Lage und für 98,7 % Hygiene und Sauberkeit die höchste Bedeutung
bei der Wahl von Unterkünften haben, gefolgt von einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis
auf Rang drei (96,3 %) (Hochschule Worms & ITB, 2015). Wimdu und vergleichbare Plattformen für Privatunterkünfte können bis zu 50 % günstiger sein als vergleichbare Hotels
(nach einer für Wimdu durchgeführten Studie vom GfK (Wimdu, 2015c)). Gerade wenn
man zu zweit oder als Gruppe reist, können Privatwohnungen eine günstigere Alternative
sein (Hochschule Worms & ITB, 2015). Das Thema Nachhaltigkeit war für die Teilnehmer
der Befragung von geringerer Bedeutung (60,1 %) (Hochschule Worms & ITB, 2015). Das
Wertangebot für Reisende (speziell für Städtereisende) sind daher günstige und qualitativ hochwertige (Stadt-)Apartments. Für dieses Preis-Leistungs-Verhältnis erhielt Wimdu
im Dezember 2015 nach einer Befragung durch den TÜV Saarland die Testnote 1,9 (gut)
(TÜV Saarland, 01.12.2015). Ein weiterer Vorteil ist, dass die Gäste direkt mit den Einheimischen in Kontakt kommen können und so Tipps und Ratschläge oder auch eine private
Führung bekommen. Private Gastgeber hingegen können mit der Vermietung von (ungenutzten) Wohnungen oder Wohnraum zusätzlich Geld verdienen und einen Teil ihrer Mietkosten
abdecken. Vielerorts ist allerdings die Kurzmiete von Wohnungen rechtlich ein Problem,
insbesondere da die Vermutung geäußert wird, dass die Kurzmieten die durchschnittlichen
Mietpreise in einigen Gegenden erhöhen. In Berlin trat bereits im Dezember 2013 ein Zweckentfremdungsverbot für private Mietwohnungen in Kraft (Zweckentfremdungsverbot-Gesetz
- ZwVbG). Hiernach muss der Wohnraum, der wiederholt und entgeltlich über Tage oder
Wochen hinweg als Ferienwohnung oder zur gewerblichen Zimmervermietung genutzt wird,
genehmigt werden (Land Berlin, o. J., §2). Wird dies nicht getan, können Bußgelder in Höhe
von 50.000 Euro drohen (Land Berlin, o. J., §7). In anderen Städten wie Amsterdam oder
San Francisco wird pauschal eine Obergrenze an Tagen pro Jahr für die kurzzeitige Vermietung von Wohnraum festgelegt (z.B. 60 Tage pro Jahr)(Frenken, Meelen, Arets, van de Glind
& Pieter, 20.05.2015; San Francisco Business Portal, o.J.). Als Einnahmequelle erheben
die Städte dann Touristensteuern oder Gebühren für die Registrierung der Wohnung (City
and County of San Francisco, 04.01.2016; San Francisco Business Portal, o.J.).
Iris Bröse
49
4 Analyse der Fallstudien
Kanäle:
Wimdus wichtigster und reichweitenstärkster Kanal für die Gewinnung von Neu-
kunden ist, neben der Plattform, die Fernsehwerbung. Außerdem setzt Wimdu bei der Gewinnung von Neukunden auf ein Empfehlungssystem, bei dem bestehende Kunden Ermäßigungen oder andere Anreize bekommen, wenn sie neue Kunden werben. Melden sich
neue Gastgeber an, werden diese telefonisch unterstützt und verifiziert. Weitere Kanäle sind
Newsletter (Gäste und Gastgeber) sowie Social Media Plattformen wie Facebook, Twitter,
Google+38 und Youtube39 , über die Angebote, Stellenangebote und Reisefakten verbreitet
werden (z.B. (Wimdu, o.J.d)). Auf Wimdus Blog werden außerdem Empfehlungen und Vorschläge für verschiedene Städte und Situationen (Regen, Reisen mit Kindern etc.) gegeben
(Wimdu, o.J.b).
Kundenbeziehungen:
Besonders wichtig für Wimdu scheint das Schaffen von Vertrauen
zwischen den zwei Seiten und dem Unternehmen sowie die Sicherstellung der Qualität
des Angebots zu sein. Ein erster Schritt ist dafür die telefonische Verifizierung des Gastgebers. Die Qualität der Unterkünfte wird dann durch drei weitere Maßnahmen geprüft.
Unterkünfte werden zu Beginn vor Ort stichprobenartig über den firmeneigenen Fotoservice
überprüft, was aber nicht notwendigerweise vor dem ersten Inserat stattfindet (Scholl et al.,
2015; Wimdu, o.J.a). Außerdem gibt es den sogenannten „Mystery Check“, bei dem ein
Wimdu-Mitarbeiter die Qualität der angebotenen Unterkünfte überprüft und diese mit den
Bewertungen der Gäste abgleicht (Scholl et al., 2015; Wimdu, o.J.a). Als letzte Maßnahme
hilft das Bewertungssystem dabei, das Vertrauen in die Plattform und die jeweils andere
Seite zu erhöhen und vor schlechter Qualität des Angebots zu warnen (Wimdu, o.J.a). Falls
die Unterkunft nicht der Beschreibung des Gastgebers entspricht oder der Gast unzufrieden
ist, stellt Wimdu Ersatzunterkünfte zur Verfügung, damit die Gäste im Zweifelsfall nicht ohne
eine Unterkunft sind. Sollte es durch die Gäste zum Schadensfall kommen, ist die Unterkunft
über Wimdu bis zu einer Summe von 500.000 Euro versichert (Wimdu, 2015b). Allerdings
greift diese Versicherung nach Recherchen von ZEITONLINE nicht bei vorsätzlichen Straftaten des Mieters wie Diebstahl oder Vandalismus (ZEIT ONLINE GmbH, 20.01.2016) (siehe
auch (Wimdu, 26.01.2016)).
38
39
www.plus.google.com
www.youtube.com
50
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
Wie oben bereits erwähnt, wurde Wimdu vom TÜV Saarland auf das Preis-LeistungsVerhältnis geprüft und für gut befunden, was das Vertrauen der Nutzer in die Plattform
erhöhen soll. Insgesamt kann die Beziehung von Wimdu zu den Nutzern als automatisierte
Dienstleistung angesehen werden, da hier über Online-Profile der Zugang zu speziellen
Dienstleistungen angeboten wird, aber die meisten Prozesse automatisiert an die Nutzer
ausgelagert werden.
Einnahmequellen:
Wimdu veranschlagt eine Servicegebühr, die je nach Land und Saison
variiert und zwischen 10 und 15 % liegen kann (Scholl et al., 2015). Diese Gebühr wird
auf den vom Gastgeber festgelegten Preis aufgeschlagen und den Gästen wird der Preis
inklusive der Gebühr angezeigt, was darauf hindeutet, dass die Gäste die Servicegebühr
zahlen (Wimdu, 14.01.2015). Mit einem Umsatz von 98,7 Millionen Euro im Jahr 2014 strebt
Wimdu zeitnah an, profitabel zu werden (Wimdu, 21.05.2015). Bisher finanzierte sich das
Unternehmen u.a. aus den 90 Millionen US-Dollar von den Investoren Rocket Internet und
Investment AB Kinnevik, einer schwedischen Risikokapital-Beteiligungsgesellschaft (Scholl
et al., 2015; Wimdu, 2015b).
Schlüsselressourcen:
Die wichtigsten Ressourcen sind die Plattform und die Mitarbei-
ter, insbesondere diejenigen für die Entwicklung und Wartung der Plattform sowie für das
Kunden- und Qualitätsmanagement.
Schlüsselaktivitäten:
Wichtige Aktivitäten schließen das Plattform-Management sowie
die Werbung für die Plattform ein. Für die Bereitstellung der Services und zur Sicherstellung der Qualität ist ebenfalls der 24/7 Kundenservice (Wimdu, o.J.a) als Schlüsselaktivität
aufzuführen.
Schlüsselpartnerschaften:
Ein Partner, der gleichzeitig auch Investor ist, ist der italie-
nische Medienkonzern Mediaset40 (Wimdu, 2015a). Außerdem kooperiert Wimdu mit dem
Fernbusunternehmen FlixBus, indem gemeinsame Gewinnspiele über soziale Netzwerke
beworben werden (FlixBus, 01.02.2016).
Kostenstruktur:
Das Schaffen und der Ausbau des Nutzenangebots steht bei Wimdu
im Vordergrund, daher kann das Unternehmen als wertorientiert eingeordnet werden. Zu
den Kosten des Betriebs der Plattform und den Personalkosten kommen Kosten für die
40
in Form einer Media-for-Equity-Kooperation, bei dem Unternehmensanteile für Werbemaßnahmen abgegeben werden
Iris Bröse
51
4 Analyse der Fallstudien
Fotografen, die die Zimmer und Wohnungen ablichten sowie für alternative Übernachtungsmöglichkeiten hinzu, wenn ein Anbieter nicht erscheint oder sonstige Probleme auftauchen.
Letztere sind für die Einhaltung der Qualität und damit des Nutzenversprechens wichtig.
4.1.5 Interfallstudie
Im Folgenden werden die vier Fallstudien in einer Interfallstudie auf Gemeinsamkeiten und
Unterschiede untersucht. Hierbei wird auf die neun Elemente des BMC zurückgegriffen,
welche auch den Rahmen für die Fallstudienanalyse gesetzt haben. Aufbauend auf die
Interfallanalyse wird die Zusammensetzung des generischen P2P-BMC diskutiert.
Kundensegmente:
Wie für P2P-Plattformen typisch, handelt es sich bei den Zielgruppen
von allen Plattformen um Privatpersonen, die aus soziodemographischer Sicht allerdings
weit gefächert sind. Die Altersspanne der Nutzer liegt zwischen 14 und 55 Jahren: bei Drivy
ist der durchschnittliche Nutzer 36 Jahre alt, Wimdu fokussiert sich auf Nutzer zwischen
30 und 55 Jahren und bei Kleiderkreisel liegt der Großteil der Nutzer zwischen 14 und 25
Jahren. Das Alter von flinc Nutzern ist nicht bekannt, doch verzeichnet flinc mehr Männer
als Frauen auf der Plattform. Drivy macht keine Angaben zum Geschlecht der Nutzer und
bei Wimdu und Kleiderkreisel sind die meisten Nutzer weiblich. Insgesamt kann damit nur
sehr grob die Zielgruppe von P2P-Plattformen als größtenteils weiblich und zwischen 14
und 55 Jahren alt beschrieben werden.
Peer Provider auf P2P-Plattformen können zusammengefasst werden als Besitzer von wenig
oder ungenutzten Ressourcen, die sie gegen eine monetäre Kompensation zur Verwendung
(inkl. Verkauf) bereit stellen. Dies gilt unter dem Einwand, dass in dieser Arbeit nur profitorientierte Unternehmen untersucht wurden und es viele nicht kommerzielle Plattformen
gibt, auf denen die Provider ihre Güter kostenlos anbieten. Peer-Consumer auf der anderen Seite können beschrieben werden als Menschen, die auf der Suche nach günstigeren,
individuelleren und sozialeren Alternativen (zu dem gewünschten Gut) sind.
Nur flinc zeichnet sich durch die Existenz von Unternehmen und Regionen als weitere Kundensegmente aus. Obwohl die Mitarbeiter der Unternehmen bzw. Anwohner in den Regionen
die Fahrzeuge und Mitfahrgelegenheiten zur Verfügung stellen, sind es die Unternehmen
und Regionen, die für diese Mobilitätslösung zahlen.
52
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
Wertangebote:
Die Wertangebote von P2P-Plattformen für die Peer Provider sind zum
einen die (teilweise) Deckung von Kosten, die ohnehin anfallen würden und zum anderen
die größere Reichweite für das Teilen (inkl. dem Verkauf) von Sach- und Vermögenswerten.
Dies zeigt sich sowohl bei Fixkosten (Drivy und Wimdu) als auch bei variablen Kosten (flinc).
Bei Kleiderkreisel steht vorwiegend die größere Reichweite beim Verkauf der Sachwerte als
Wertangebot im Vordergrund.
Für die Peer-Consumer auf den Plattformen ist der günstigere oder bequemere Zugang
zu Vermögens- und Sachwerten sowie Services von Bedeutung. Hinzu kommen Vorteile
wie das Sparen von laufenden Kosten oder Anschaffungskosten (z.B. Drivy) und die große
Auswahl an verschiedenen Güterarten (Drivy, Kleiderkreisel, Wimdu).
Kanäle:
Für alle vier Unternehmen ist die Plattform (als App oder Desktopversion) der
wichtigste Kommunikationskanal, um die verschiedenen Kundenarten zu erreichen. Weitere Kanäle, welche alle vier Unternehmen nutzen, sind Social Media Kanäle wie Facebook
und Twitter. Drei Unternehmen verwenden außerdem Newsletter, um mit den bestehenden
Kunden in Kontakt zu bleiben und sie zu binden. Darüber hinaus integrieren die Plattformen Blogs auf der eigenen Webseite, über die Tipps und Neuigkeiten rund um die Branche
verbreitet werden. Kleiderkreisels wichtigster Kanal ist die persönliche Weiterempfehlung,
auf die auch Wimdu durch Incentives bei der Empfehlung der Plattform setzt. Wimdu und
Drivy kontaktieren ihre Vermieter auch telefonisch nach der Registrierung um sie bei der
Verfeinerung ihres Profils zu unterstützen und ihre Identität zu verifizieren. Drivy veranstaltet
als einzige Plattform auch regelmäßige Offline-Events und für flinc sind die Navigationssysteme und Boardcomputer ihrer Partner ebenfalls wichtige Kundenkanäle. Insgesamt liegt
ein Fokus auf Onlinekanälen für das Marketing der Plattform und das Erreichen der Nutzergruppen. Dennoch sind diese Kanäle nicht spezifisch für P2P-Plattformen, denn ein Großteil
der Unternehmen nutzt diese und ähnliche Kanäle für ihr Marketing.
Kundenbeziehungen:
Bei allen untersuchten Plattformen spielt das Schaffen von Ver-
trauen eine wichtige Rolle bei der Kundenbeziehung. Hierbei muss allerdings zwischen der
Beziehung der Kunden zur Plattform und der Beziehung zwischen den Kunden unterschieden werden. Um Vertrauen zwischen den Nutzergruppen auf der Plattform zu schaffen,
setzen alle vier Unternehmen Bewertungssysteme ein. Des Weiteren stellen Drivy, Wimdu
Iris Bröse
53
4 Analyse der Fallstudien
und Kleiderkreisel auch Versicherungen zur Verfügung, die die Transaktionen bzw. die Nutzer gegenüber Betrug oder Schäden absichern. Als Vermittler für Vermögenswerte nimmt
Wimdu weitere Maßnahmen vor, wie die telefonische Verifizierung oder eine unangekündigte Überprüfungen der Wohnungen. Über flinc erfolgt eine Art soziale Absicherung, indem
man nur Fahrten aus dem individuellen Vertrauensnetzwerk zulassen kann. Bei noch unbekannten Fahrern oder Mitfahrern können die Profilinformationen oder Daten aus sozialen
Netzwerken (wenn sich die Teilnehmer über diese angemeldet haben) abgefragt werden.
Die grundsätzliche Beziehung zwischen den Nutzern und der Plattform ist durch das Anlegen von Onlineprofilen zunächst automatisiert. Weitere Maßnahmen zur Steigerung des
Vertrauens in die Plattform fallen sehr unterschiedlich aus. Flinc gibt durch das angegebene Vertrauensnetzwerk zugeschnittene, persönliche Empfehlungen bei der Vermittlung von
Fahrten geben. Drivy organisiert Events für die Mitglieder der Plattform, damit sie andere
Nutzer und Drivy persönlich kennen lernen können. Wimdu ist extern von einer unabhängigen Institution geprüft worden und führt ein TÜV-Siegel, das das Vertrauen in die Plattform
stärkt. Kleiderkreisel wiederum unterhält ein sehr aktives Forum mit einer großen Community
und kann auf diese Weise in direkten Kontakt mit den Nutzern treten.
Einnahmequellen:
Drivy, Kleiderkreisel und Wimdu sind alle mit Investmentkapital in
zweistelliger Millionenhöhe ausgestattet worden (Drivy: 16 (Euro), Vinted (Kleiderkreisel):
60 (US-Dollar), Wimdu: 90 (US-Dollar)). Auch flinc finanziert sich mit Investorenkapital von
der KfW, der Deutschen Bahn, dem Risikokapitalfonds von General Motors GM Ventures
und der ISB Rheinland-Pfalz (unternehmer.de, 13.08.2012). Gerade bei P2P-Unternehmen
braucht es Zeit, um genügend Anbieter und Nachfrager auf der Plattform zu haben, damit
das Geschäftsmodell funktionieren kann. Um diese Zeit zu überstehen, wird oft Kapital
benötigt. Bei Vinted, der Mutter von Kleiderkreisel, die von Beginn an mit den Plattformen
ein starkes Wachstum zu verzeichnen hatte, ist die aktuelle Finanzierungsrunde Ende 2015
vor allem für die Weiterentwicklung der Plattformen und der Erschließung neuer Märkte
ausgelegt (Hubert Burda Media, 09.12.2015).
Abgesehen vom Investmentkapital finanzieren sich drei der vier Plattformen über die für
zweiseitige Plattformen typische Preisdifferenzierung für die beiden Seiten. Kleiderkreisel
und Drivy erheben beide eine Gebühr für die anbietende Seite und subventionieren damit
die Nachfrager auf der Plattform. Wie unter Abschnitt 2.3 beschrieben, sollte diejenige Seite
54
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
bezahlen, die weniger preissensitiv ist und die Qualität bereitstellen muss (Eisenmann et al.,
2006). Bei Kleiderkreisel und Drivy sind die Nachfrager als preissensitiver einzuschätzen,
währenddessen die anbietende Seite für Kleidung oder Autos die Qualität liefern muss. Bei
Kleiderkreisel gab es in der Vergangenheit allerdings häufig Probleme mit der Qualität des
Angebots (falsche Ware) bzw. der Anbietenden (z.B. keine zuverlässige Lieferung). Für den
Erfolg der Plattform könnte dies eine große Herausforderung darstellen.
Wimdu und flinc gehen etwas andere Wege. Wimdu erhebt eine Servicegebühr auf den
Preis, den der Vermieter auf der Webseite angibt. Der Gesamtpreis wird dem potentiellen
Mietern inklusive der Servicegebühr angezeigt, die damit der Mieter zu tragen hat. Dies
bedeutet, dass die bezahlende Seite bei Wimdu die Nachfrager sind und die subventionierte
Seite die Anbieter. Bei P2P-Konkurrent Airbnb tragen beide Seiten der Plattform einen Teil
der Gebühren, wobei die Mieter einen größeren Anteil zahlen (6-12 %) als die Vermieter (3 %)
(Airbnb, o.J.a, o.J.b). Ein Grund hierfür könnte die erhöhte Preissensitivität der Vermieter
sein, die ihre Wohnungen z.T. kurzzeitig vermieten müssen, um ihre Lebenshaltungskosten
bezahlen zu können.
Im Gegensatz zu diesen zweigeteilten Erlösmodellen, erhebt flinc bislang für keine der
beiden Seiten eine Servicegebühr. Flinc subventioniert sein Geschäftsmodell für das Teilen von privaten Mitfahrgelegenheiten mit zwei weiteren Geschäftsmodellen: einem Angebot für Unternehmen, dass als B2B2C2C beschrieben werden kann und einem Businessto-Government-Modell für Regionen in Deutschland. Andere P2P-Plattformen sind reine B2C2C-Modelle und aus diesem Grund fällt flinc aus dem Rahmen typischer P2PGeschäftsmodelle. Es stellt sich die Frage, ob die privaten Nutzer von flinc zukünftig bereit
sind für flincs Service zu zahlen.
Schlüsselressourcen: Bei allen vier Fallstudienpartnern kann die Plattform als wichtigste
Ressource angesehen werden, denn ohne sie gäbe es keines der Unternehmen. Ebenso
wichtig ist das Personal aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens: der Entwicklung
(alle vier), dem Kundenservice (Drivy, Wimdu), der Forumsadministration (Kleiderkreisel)
und Marketing der Plattform (flinc). Dies sind keine unerwarteten Ergebnisse, da es sich
bei allen Unternehmen um relativ junge Unternehmen handelt, deren Hauptaufgabe in der
Vermittlung von Angebot und Nachfrage über eine Onlineplattform besteht.
Iris Bröse
55
4 Analyse der Fallstudien
Schlüsselaktivitäten:
Die wichtigsten Aktivitäten für alle Plattformen sind die Sicherstel-
lung und Bereitstellung der Services (inkl. dem Kundenservice) und das Plattform Management. Hierzu gehören die Sicherung der Angebotsqualität wie bei Wimdu und Drivy, für
die beide Plattformen hochauflösende Bilder von ihrer anbietenden Seite fordern bzw. diese
durch einen Fotoservice vor Ort selbst zur Verfügung stellen. Wimdu nimmt darüber hinaus
weitere Maßnahmen wie die unangekündigte Überprüfungen der Wohnungen vor. Außerdem ist besonders das Marketing für drei von vier Unternehmen wichtig; ein Unternehmen
(Kleiderkreisel) wurde bisher größtenteils über persönliche Weiterempfehlungen der Nutzer
bekannt.
Schlüsselpartnerschaften:
Die meisten offiziellen Partner hat flinc mit der Deutschen
Bahn, DriveNow, Bosch und Navigon. Diese Partner stellen komplementäre Services oder
Vertriebskanäle dar und sind im Falle der Deutschen Bahn auch Investoren. Drivy und
BlaBlaCar kooperieren als Werbepartner für die jeweils andere Plattform und auch die
Kooperation zwischen Wimdu und FlixBus beschränkt sich bisher auf das Anbieten von
gemeinsamen Gewinnspielen und dem Schaffen einer höheren Reichweite. Drivy, Wimdu
und Kleiderkreisel bieten Versicherungen als Services an, aber nur Drivy nennt den Versicherungspartner Allianz prominent auf der Webseite. Wimdu arbeitet darüber hinaus noch
mit dem italienischen Medienkonzern Mediaset zusammen, währenddessen Kleiderkreisel
keine strategischen Partnerschaften erwähnt. Insgesamt kann festgehalten werden, dass
ein Unternehmen (flinc) bereits auf komplementäre Partnerschaften setzt und Potential bei
zwei weiteren Unternehmen hierfür bestehen würde (Drivy, Wimdu). Außerdem scheinen
Partnerschaften für die beiden Fallstudienpartner aus dem Bereich Mobilität eine sehr viel
größere Bedeutung für das Geschäftsmodell zu haben, da z.B. die Versicherung der Allianz
kritisch für den Unternehmenserfolg von Drivy in Deutschland ist.
Kostenstruktur:
Die Kostenstruktur besteht bei allen vier Plattformen aus dem Plattform
Management und dessen Entwicklung. Hierfür fallen neben Hardwarekosten auch Personalkosten an. Weitere Kosten finden sich bei Wimdu hinsichtlich der Zusatzservices wie die
Bereitstellung von Ersatzunterkünften oder dem Fotoservice.
56
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
4.1.6 Zusammenfassung
Die Analyse lässt erkennen, dass es für P2P-Plattformen viele Parallelen zu den von
Osterwalder und Pigneur (2011) definierten Ausprägungen des BMC für Multi-sided Platforms gibt. Neben den Mitarbeitern ist die Plattform die wichtigste Schlüsselressource in den
Unternehmen und die Schlüsselaktivitäten drehen sich mit dem Plattform-Management, dem
Marketing für die Plattform sowie der Bereitstellung der Services um die Plattform selbst.
Das Plattform-Marketing ist bisher allerdings für ein Unternehmen (Kleiderkreisel) nicht von
großer Bedeutung gewesen; hier hat der Kanal der persönlichen Weiterempfehlung ohne
zusätzliches Marketing sehr gut funktioniert. Ein wichtiger Kostenblock für alle untersuchten P2P-Plattformen ist daher das Plattform-Management und die Weiterentwicklung der
Plattform. Soweit stimmen die P2P-Plattformen bei den Elementen Schlüsselaktivitäten,
Schlüsselressourcen und Kostenstruktur mit kleinen Abweichungen mit denen der Multisided Platforms überein.
Elementar für eine mehrseitige Plattform sind die Verbindungen zwischen den Blöcken Wertangebote, Kundensegmente und Einnahmequellen des BMC. Wie bei Multi-sided Platforms,
besteht bei den untersuchten P2P-Plattformen eine Differenzierung zwischen den Kundengruppen, dem Wertangebot, das für jeweilige Kundengruppe relevant ist und dem Preis, die
die Kundensegmente zu zahlen haben. Charakteristisch für P2P-Plattformen, die Güter oder
Services teilen, sind jedoch die Ausprägungen, die Wertangebote, Kundensegmente und
Erlösmodelle annehmen.
Wie bereits beschrieben, dreht sich das allgemeine Wertangebot für die Nachfrager auf
P2P-Plattformen sowohl um den (günstigen) Zugang zu Ressourcen, die vormals nicht zur
Verfügung standen als auch um die größere Reichweite beim Teilen (inkl. dem Verkauf) von
Sach- und Vermögenswerten. Für die Anbieter auf den Plattformen stellen die zusätzlichen
Einnahmen das Wertangebot dar, die durch die monetäre Kompensation für das Teilen
von wenig genutzten Gütern entstehen. Ein wichtiger Punkt, der insbesondere bei den auf
Kleiderkreisel vorhandenen Betrugsfällen deutlich wird, ist die Existenz einer wechselnden
Angebotsqualität. Da es sich bei den Transaktionsteilnehmern auf einer P2P-Plattform um
Privatpersonen handelt, die die Plattform tendenziell als Nebenverdienst ansehen, kann es
schneller zu einer geringeren Angebotsqualität kommen, worunter sowohl die Servicequalität
Iris Bröse
57
4 Analyse der Fallstudien
(Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit etc.) als auch die Qualität der Güter (Sauberkeit der Güter,
Hochwertigkeit des Material/ Verarbeitung etc.) fällt.
Spezifisch für P2P-Plattformen ist, dass beide Seiten immer Privatpersonen sind, die die
Leistungen austauschen. Auch im Fall von flinc ist dies der Fall. Obwohl die Unternehmen
und Regionen stellvertretend flinc für die Einführung bezahlen, sind es die Mitarbeiter oder
Anwohner, die die Fahrten bzw. Mitfahrten einstellen und durchführen.
Hinsichtlich der Erlösmodelle zeigt sich, dass vorwiegend (Drivy, Kleiderkreisel, Wimdu) eine
Transaktionsgebühr für eine der beiden Seiten erhoben wird. Dass nur eine Seite für die
Vermittlung bezahlt, entspricht den Beobachtungen aus der Literatur um mehrseitige Märkte.
Eine Transaktionsgebühr scheint darüber hinaus die gängigste Form der Einnahmequelle
für P2P-Geschäftsmodelle zu sein, denn andere Erlösmodelle aus dem B2C Bereich der
Sharing Economy, wie in Abschnitt 2.1 beschrieben, kommen nicht zum Einsatz.
Die Hypothese, dass P2P-Plattformen gleiche Merkmale wie die Multi-sided Platforms nach
Osterwalder und Pigneur (2011) aufweisen, kann daher bejaht werden. Darüber hinaus sind
Netzwerkeffekte auch für P2P-Plattformen charakteristisch, denn es treten besonders crossside effects auf, da die jeweils andere Seite von einer hohen Nachfrage/von einem hohen
Angebot profitiert. Was die P2P-Plattformen jedoch besonders macht, sind die Ausprägungen in den Bereichen Wertangebote und Kundensegmente. Aus diesem Grund können
P2P-Plattformen als eine Unterform der Multi-sided Platforms angesehen werden.
Während der Analyse konnte festgestellt werden, dass die Kundenbeziehung auf Multi-sided
Platforms nicht nur durch die Beziehung zwischen dem Unternehmen und den Kundensegmenten ausgedrückt wird, sondern auch durch die Beziehung zwischen den Kundensegmenten selbst. Vertrauen zwischen den Kundengruppen zu schaffen, spielt eine bedeutende
Rolle bei allen betrachteten P2P-Unternehmen, weswegen das Element Kundenbeziehungen in zwei Teile aufgeteilt werden soll: die Kundenbeziehung zwischen der Plattform und
den Kunden und der Beziehung zwischen den Kunden. Da das Schaffen von Vertrauen bei
zweiseitigen Plattformen allgemein als eine Herausforderung angesehen wird, kann davon
ausgegangen werden, dass auch für Plattformen, die keinen P2P-Markt bedienen, diese
Unterteilung sinnvoll ist (z.B. Amazon). Nichtsdestotrotz kann aus der Analyse geschlossen
werden, dass es insbesondere für P2P-Unternehmen, die Kundengruppen zusammenführen
58
4.1 Identifikation von Charakteristiken der Geschäftsmodelle auf Basis des Business
Model Canvas
möchten, welche keine öffentlich einsehbaren Organisationen sind, schwieriger ist, Sicherheit und Vertrauen auf der Webseite zu generieren.
Nach der Interfallstudienanalyse werden in einem generischen BMC (siehe Abbildung 7, S.
60), diejenigen Ausprägungen als typisch für P2P-Geschäftsmodelle aufgezeigt, die Güter
oder Services teilen, wenn drei der vier untersuchten Fallstudienpartner diese aufweisen. Außerdem werden die speziellen Ausprägungen der P2P-Geschäftsmodelle für das Teilen von
Gütern und Services wie die Wertangebote abstrahiert, damit sie unabhängig vom geteilten
Gut oder Service allgemeine Gültigkeit für diese Art von P2P-Plattformen erlangen. Unter
den Erlösmodellen weisen drei Unternehmen Transaktionsgebühren auf, wobei bei zwei
Unternehmen die anbietende Seite zahlt und bei einem Unternehmen die nachfragende
Seite. Daher wird die anbietende Seite als zahlende Seite im BMC dargestellt. Auffällig ist,
dass für das Element Schlüsselpartner keine ähnlichen Ausprägungen identifiziert werden
konnten und daher dieser Bereich leer bleibt. Allerdings kann festgehalten werden, dass bei
allen Plattformen der Zweck für Partnerschaften darin besteht, entweder die eigene Reichweite zu erhöhen oder komplementäre Services anzubieten und es starke Abweichungen
hinsichtlich der Anzahl der Partner zwischen den Fallstudienpartnern gibt.
Iris Bröse
59
4 Analyse der Fallstudien
60
Abb. 7: Business Model Canvas für P2P-Plattformen (Quelle: Eigene Darstellung, auf Basis des Business Model Canvas von
Osterwalder und Pigneur (2011))
4.2 Identifikation von Herausforderungen
4.2 Identifikation von Herausforderungen
Im folgenden Unterkapitel werden die Herausforderungen beschrieben, die durch die Interviews mit den Vertretern der Fallstudienpartner identifiziert wurden 41 (der gekürzte Kodierleitfaden ist in Tabelle 6, S. 104, im Anhang zu finden). Für die Analyse wird unter einer
Herausforderung ein Anlass verstanden, um tätig zu werden und mit einer fordernden Aufgabe verbunden ist. Hinsichtlich der Ergebnisse der Analyse ist es wichtig anzumerken, dass
die genannten Herausforderungen der Fallstudienpartner sich von den Herausforderungen
von P2P-Unternehmen in der Anfangsphase unterscheiden können, da diese bereits seit
einigen Jahren am Markt sind. Die genannten Herausforderungen werden aufgeteilt auf Herausforderungen, die von extern Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Unternehmen haben
und Herausforderungen, die im Einflussbereich der Unternehmen liegen. Es werden alle
Herausforderungen betrachtet, die von mindestens einem Unternehmen genannt wurden.
Im Anschluss werden spezielle Herausforderungen für P2P-Plattformen herausgegriffen und
diskutiert, inwiefern sie in den Geschäftsmodellen von P2P-Plattformen und zweiseitigen
Plattformen allgemein begründet liegen. Zuletzt werden die identifizierten Herausforderungen von P2P-Plattformen im BMC dargestellt.
4.2.1 Externe Herausforderungen
Die externen Herausforderungen beziehen sich auf alle Herausforderungen, die von außen
auf die Unternehmen einwirken und auf die reagiert werden muss, um die Marktposition
zu sichern. Genannt wurden in diesem Zusammenhang kulturelle Eigenschaften wie
ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis bei den Zielgruppen auf dem deutschen Markt sowie
städtespezifische Unterschiede und Eigenheiten. Drivy stellte hierzu fest:
„Hinzu kommt, dass sich die Städte stark unterscheiden. In Berlin sind wir extrem
erfolgreich, was sicherlich damit zu tun hat, dass Carsharing i.A. sehr gut funktioniert
und es in Berlin auch viele Menschen gibt, die offen gegenüber innovativen Produkten
sind.“ (Drivy)
41
Die Aussagen der Unternehmensvertreter werden als Aussagen im Sinne des Unternehmens verstanden,
weshalb im folgenden Abschnitt die Unternehmensnamen anstelle der Unternehmensvertreter genannt
werden. Wenn nicht anders gekennzeichnet, stammen die Aussagen aus den Interviews, die an folgenden
Tagen mit folgenden Personen stattgefunden haben: Drivy: Jakobs, C. (24.02.2016), flinc: Dibbern, K.
(24.02.2016), Kleiderkreisel: Schuffert, A. (12.02.2016), Wimdu: Schirmer, L. (12.02.2016)
Iris Bröse
61
4 Analyse der Fallstudien
Drivy, flinc und Wimdu sehen auch (uneindeutige) rechtliche Rahmenbedingungen als
Herausforderung für die Plattform an. Besonders schwierig wird diese Situation für manche
Sektoren, in denen neben der nationalen Gesetzgebung auch auf regionale Verordnungen geachtet werden muss (bekannte Fälle sind die Rechtssituationen in Barcelona und
Berlin, die die private Vermietung von Wohnraum untersagen bzw. beschränken, s. Unterabschnitt 4.1.4 zu Wimdu). Drivy erklärt, dass die Gesetzeslage für die gewerbliche Vermietung
von Autos nicht eindeutig sei und dort lediglich darauf hingewiesen werde, dass die Anschaffung eines Autos zur ausschließlichen Vermietung ein Gewerbe ist, weshalb z.B. die Anzahl
der Autos pro Nutzer auf Drivy begrenzt wird. Außerdem sei nicht eindeutig definiert, ab
welcher Anzahl von Vermietungen des privaten Autos ein Gewerbe entstehen kann. Flinc
sieht insbesondere Herausforderungen für seinen Service durch das Personenbeförderungsgesetz und versicherungs- und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen:
„Zum einen ist dies das Personenbeförderungsgesetz, was uns einen sehr engen
Rahmen für den Fahrpreis vorgibt und zum anderen werden Fahrer schnell zu Fahrern,
die eine Lizenz für die Mitfahrten benötigen würden. Wird z.B. eine regelmäßige Fahrt
angeboten, die nicht die Fahrt zur Arbeit ist, würde dies unter den Linienverkehr fallen
und der Linienverkehr fällt ebenso unter das Personenbeförderungsgesetz. Hinzu
kommen versicherungs- und steuerrechtliche Themen. Für die Fahrt zur Arbeit oder
wenn man Freunde mitnimmt, ist man ganz normal versichert, ohne dass man einen
zusätzlichen Versicherungsschutz bräuchte. Sobald man über das
Personenbeförderungsgesetz hinausgeht, ist die Versicherungssituation bereits
wieder fraglich.“ (flinc)
Im Zusammenhang mit rechtlichen Vorgaben ist eine weitere Herausforderung, die rechtlichen Bestimmungen auf der Plattform transparent und deutlich zu machen, sodass für
die Betroffenen keine rechtlichen Schwierigkeiten entstehen. Zwar wird in den Nutzungsbedingungen der Plattformen erklärt, welche Transaktionen auf der Plattform gestattet werden
und welche nicht, doch müssen u.a. Drivy und Kleiderkreisel die Durchsetzung der Regeln
verstärkt kontrollieren.
„Womit wir manchmal konfrontiert werden, sind Markenrechtsverletzungen, wenn
gefälschte Kleidung angeboten wird. Hier gibt es z.T. große Wissenslücken, denn
auch unter der Angabe, dass die Kleidung eine Fälschung ist, hat hiermit nichts zu tun,
denn der Verkauf von gefälschter Markenware ist per se verboten.“ (Kleiderkreisel)
62
4.2 Identifikation von Herausforderungen
Im Hinblick auf das Investmentkapital als Einnahmequelle erklärt flinc darüber hinaus, dass
auf dem deutschen Markt nicht ausreichend Wagniskapital zur Verfügung stehe und dies
ein Grund dafür sei, dass der Markt von zweiseitigen Plattformen von US-Unternehmen
dominiert wird.
„Ohne dieses Funding, welches in Deutschland in dem erforderlichen Volumen
praktisch nicht darstellbar ist, kann ein P2P-Marktplatz nicht schnell genug wachsen.“
(flinc)
Saisonale Schwankungen und die daraus folgenden personellen bzw. ressourcenseitigen
Anpassungen sind eine weitere Herausforderung, von der insbesondere Drivy und Wimdu betroffen sind, aber die sie nach eigenen Aussagen bisher gut unter Kontrolle bringen
konnten. Wimdu erwähnt darüber hinaus noch die positiven Feedbackeffekte (sich selbst
verstärkende Effekte durch eine höhere Marktmacht, s. Unterabschnitt 2.3.2) als Herausforderung, die der Konkurrent Airbnb bereits entwickelt und welche Wimdu durch eine erhöhte
Sichtbarkeit der eigenen Plattform zu relativieren versucht.
4.2.2 Herausforderungen nach den Elementen des BMC
Im folgenden Abschnitt werden die Herausforderungen erläutert, auf die die Unternehmen
direkten Einfluss nehmen und die den Elementen des BMC zugeordnet werden können.
4.2.2.1 Kundensegmente
Die Anzahl wiederkehrender und neuer Kunden zu erhöhen, ist eine wichtige Kategorie der
Herausforderungen, die in den Bereich der Kundensegmente fällt. An dieser Stelle spielt die
Herausforderung eine Rolle, die Nutzer nach der Anmeldung auf der Plattform zu behalten und zum Wiederkehren zu bewegen, insbesondere wenn die kritische Masse noch
nicht erreicht ist. Keines der Unternehmen hat eine Zahl für die kritische Masse genannt,
doch gibt es z.B. bei Wimdu Maßnahmen wie dem Abgleich von Angebot und Suchanfragen für eine Stadt, um einschätzen zu können, ob das Angebot aufgestockt werden muss.
In diesem Zusammenhang wird die Herausforderung genannt, die Reichweite kontinuierlich zu erhöhen, um beide Seiten auf die Plattform zu bekommen. Ein Henne-Ei-Problem
Iris Bröse
63
4 Analyse der Fallstudien
konnte nicht festgestellt werden, aber Kleiderkreisel verwies darauf, dass dieses Problem
normalerweise zu Beginn auftritt:
„Es ist allgemein schwierig, bei zwei Seiten mit Angebot und Nachfrage
herauszufinden, wo man zuerst ansetzen soll. Ohne Angebote kommen keine Käufer
auf die Plattform, aber ohne Käufer kommen auch keine Verkäufer. Es bedingt sich
also gegenseitig. Für uns ist es allerdings kein Problem mehr, da wir bereits eine
große Community haben und auch viel Angebot und viel Nachfrage.“ (Kleiderkreisel)
Generell versuchen die Plattformen (Drivy, flinc und Wimdu mit ausdrücklichen Nennungen
in den Interviews) zunächst ihr Angebot in den Städten bzw. Regionen zu erhöhen. Dies
scheint ein typisches Vorgehen von P2P-Plattformen zu sein. Kleiderkreisel benennt ein
solches Vorgehen nicht ausdrücklich, denn wie das Zitat oben zeigt, sind für den deutschen
Markt bereits gute Zahlen zu verzeichnen.
Um die Anzahl der wiederkehrenden Kunden zu erhöhen, ist für flinc ein Phänomen von
Bedeutung, dass sie als „Graumarkt“ bezeichnen. Obwohl nur flinc auf dieses Problem
hinwies, kann es in einem ähnlichen oder geringeren Maßstab auch für die anderen P2PPlattformen von Bedeutung sein:
„Im Unternehmenskontext gibt es aber auch verstärkt einen Graumarkt oder eine
graue Nutzergruppe. Darunter verstehen wir Nutzer, die flinc einmal nutzen, um
Mitfahrer oder Fahrer zu suchen und die Plattform danach nicht mehr brauchen, weil
der Kontakt hergestellt ist. Danach vermitteln sich die Nutzer dann über andere
Kanäle.“ (flinc)
Für die P2P-Plattformen scheint es keine Herausforderung zu sein, ihre Zielgruppe genau zu
definieren oder deren Motivationen zu identifizieren. Kleiderkreisel profitiert hierbei von der
aktiven Community, mit der die Plattform direkt in Kontakt treten kann. Wimdu und flinc führen bzw. führten bereits Interviews mit den Kundengruppen, um die hauptsächlichen Gründe
für die Nutzung der Plattform zu erfahren und auch Drivy gewinnt durch die Durchführung
von externen Events mit ihren Kundenseiten Einblicke in deren Motive.
4.2.2.2 Wertangebote
Die Weiterentwicklung des Wertangebots bildet eine Kategorie von Herausforderungen, die
mit dem Element Wertangebote verbunden ist. Beispielsweise gehört hierzu die technische
64
4.2 Identifikation von Herausforderungen
Umsetzung von neuen und speziellen Features, für die die Plattform bei der Konzeption
nicht ausgelegt wurde, die aber zur Bedürfnisbefriedigung der Kunden benötigt werden. Die
ständige Weiterentwicklung des Geschäftsmodells/ der Marke, um Kundenbedürfnisse
besser befriedigen zu können und sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, wird ebenfalls
unter dem Element Wertangebote eingeordnet, da die Entwicklung des Wertangebots eine
elementare Komponente bei der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells ist. Drivy stellt
zu dieser Herausforderung fest, dass „der Mobilitätsmarkt im Bereich Carsharing sich sehr
schnell [entwickelt], daher ist es wichtig, das Unternehmen voranzutreiben und selbstkritisch
zu bleiben“.
Eine weitere Kategorie von Herausforderungen bezieht sich auf die Sicherstellung des
Wertangebots. Hierzu zählt, Neumitglieder sichtbar zu machen, denn ein Wertangebot
der P2P-Plattformen ist die erhöhte Reichweite des Angebots bzw. die Vielfalt des Angebots.
Wie Kleiderkreisel erklärt, sind „die Artikel [von Neumitgliedern] kaum sichtbar für andere,
weil der Katalog recht groß ist und man als Neumitglied schnell untergeht“. Aus diesem
Grund ist es von großer Bedeutung, zu gewährleisten, dass neue Mitglieder nicht in der
Masse des Angebots verschwinden. Darüber hinaus wird die wechselnde Qualität der
angebotenen Güter und Services im Zusammenhang mit der kritischen Masse erwähnt,
die sich durch die verschieden hohen Aktivitätslevel der Anbietenden schwer bemessen
lässt. Auch Wimdu greift die wechselnde Qualität des Angebots auf und stellt fest:
„Viele bieten bereits tolle Services an wie z.B. Frühstück zu machen oder
Fußball-Tickets oder eine Playstation bereit zu stellen. Aber es ist tatsächlich etwas
schwierig zu standardisieren, denn es ist gar nicht unser Ansatz, wir wollen vor allem
vermitteln.“ (Wimdu)
Abseits von Problemen bei der Bestimmung der kritischen Masse und positiven, zusätzlichen Services, sind auch negative Auswirkungen eines wechselnden Angebots denkbar.
Hinsichtlich der Sauberkeit der Güter, der Verlässlichkeit und Pünktlichkeit der Anbietenden,
der Antwortzeit etc. können beispielsweise Defizite auftreten, die die Plattform im Zweifelsfall
ausgleichen sollte, um ihr Wertversprechen einhalten zu können (z.B. qualitativ hochwertige
City-Apartments).
Iris Bröse
65
4 Analyse der Fallstudien
4.2.2.3 Kundenbeziehungen
Das Schaffen von Vertrauen, das für viele zweiseitige Plattformen eine Herausforderung
darstellt, stellt für die Fallstudienpartner kaum ein Problem dar. Es werden viele Maßnahmen
ergriffen, um diese Herausforderung in ihrer Auswirkung zu reduzieren (siehe Abschnitte
zu den Kundenbeziehungen der Praxispartner in Abschnitt 4.1). Dennoch merken flinc,
Kleiderkreisel und Wimdu an, dass fehlendes Vertrauen oft ein Hindernis für Nutzer
darstellt, die neu auf der Plattform sind und noch keine Bewertungen haben.
„Beispielsweise hören wir oft, dass es für diese Neumitglieder schwieriger ist,
überhaupt Artikel zu verkaufen, weil sie noch keine Bewertungen haben und dann
andere Mitglieder kein Vertrauen in sie haben.“ (Kleiderkreisel)
4.2.2.4 Einnahmequellen
Die Herausforderungen hinsichtlich der Einnahmequellen beziehen sich auf Probleme, diese
sicherzustellen. Zunächst ist es für alle Unternehmen wichtig, rentabel zu werden bzw.
kostendeckend zu arbeiten, was für junge Unternehmen oft zugleich ein Ziel und eine
Herausforderung darstellt.
Die Einführung eines Bezahlsystems und dessen Kommunikation stellt bzw. stellte für
die Fallstudienpartner eine Herausforderung dar, die nicht von Beginn an ein Bezahlsystem vorgesehen hatten. Nachdem Kleiderkreisel Anfang 2014 eine Gebühr eingeführt hatte,
wurde schnell offensichtlich, dass diese von der Community so nicht akzeptiert wurde. Kleiderkreisel erklärt, dass sie erkannt hatten, dass sie „- bevor [sie] eine Gebühr einführen
[können] - erst einmal noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen“ und so dauerte es noch
zwei Jahre bis zur endgültigen Einführung einer 10 %- Gebühr. Flinc sieht ebenfalls „eine
grundsätzliche Herausforderung [in der] Sensibilisierung der Nutzer für ein Bezahlsystem“.
Die Preisbildung für die Kundensegmente der Plattform stellt ebenfalls besonders die Fallstudienpartner vor Herausforderungen, bei denen dies nicht von Beginn an im Geschäftsmodell angelegt war. Bei Kleiderkreisel wurde neben einer Servicegebühr auch eine Einstellgebühr diskutiert, die allerdings verworfen wurde, da diese eine zu große Hürde für die
Angebotsseite dargestellt hätte, überhaupt Artikel einzustellen. Auch flinc beschäftigt sich
mit verschiedenen Zahlungsmodellen, zu denen eine monatliche Gebühr für Vielfahrer, eine
66
4.2 Identifikation von Herausforderungen
Transaktionsgebühr, die unabhängig von der Fahrtstrecke anfällt oder auch eine freiwillige
Zahlung gehören. Ähnlich wie Kleiderkreisel möchte auch flinc die „Nutzer vorher fragen,
was sie als fairen Preis empfinden würden“. Für Drivy und Wimdu scheint die Preisbildung
zumindest im jetzigen Stadium keine Herausforderung mehr darzustellen. Wimdu erklärt,
dass sie bei der Preisfindung datengesteuert vorgegangen sind, d.h. pro Land verschiedene
Gebührenhöhen getestet haben und so ein gutes Niveau gefunden haben. Drivys Gebühr
wiederum setzt sich zusammen aus der Zahlung der Versicherung und einer Servicegebühr,
wobei sie festhalten, dass sie bisher „noch keine Rückmeldung bekommen [haben], dass
jemand diese Preisstruktur nicht anerkennt, denn man sieht, was Drivy dafür tut“.
Eine weitere Herausforderung, die eng mit der Sicherstellung der Einnahmequellen zusammenhängt, ist die Preisfestlegung durch die Nutzer auf den Mietplattformen von Drivy
und Wimdu. Bei flinc können die Nutzer frei entscheiden, ob sie die Fahrt kostenlos anlegen
möchten oder den von flinc errechneten Preis aktzeptieren möchten.
„Gerade wenn sich Gastgeber neu registrieren, stehen sie aber vor dem Problem,
einen Preis festlegen zu müssen. Der darf dann weder zu hoch noch zu niedrig sein beides ist nicht gut.“ (Wimdu)
Insbesondere neuen Mitgliedern auf der Plattform stellt sich demnach die Frage, wie viel
Miete sie für ihr Auto oder ihre Wohnung pro Tag/Nacht verdienen möchten. Wimdu plant
eine technische Lösung, indem ein Preis auf Grundlage von üblichen Mietpreisen in der Umgebung errechnet und dem Vermieter vorgeschlagen wird. Drivy gibt eine Orientierungshilfe
für die Vermieter an, die sich an das Fahrzeugmodell, Alter etc. anlehnt und verweist darauf,
dass gerade neue Mitglieder ihren Preis etwas geringer ansetzen sollten als Mitglieder, die
bereits Bewertungen haben (Drivy, o.J.e). Zwar verdienen die Plattformen durch höhere
Preise anteilig mehr, doch erklärt Drivy, dass sie bei zu hohen Mietpreisen für die Autos den
Anbietern realistischere Preise empfehlen, da sie sonst keine Anfragen mehr bekommen.
4.2.2.5 Schlüsselressourcen, -aktivitäten und Kostenstruktur
In den Bereichen Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten und Kostenstruktur können bei
einem starken Wachstum Herausforderungen entstehen. Hierunter fallen z.B. technische
Herausforderungen, wenn die Plattform nicht für die steigenden Nutzerzahlen oder den
Iris Bröse
67
4 Analyse der Fallstudien
Datenverkehr zu Stoßzeiten ausgelegt ist. Des Weiteren wird mit steigenden Nutzerzahlen
auch mehr Kundenservicepersonal benötigt, um die erhöhte Anzahl an Anfragen bearbeiten zu können.
„Der Kundenservice ist auch eine Herausforderung bei starkem Wachstum, da es
gerade in der Reisebranche eine Hoch- und Nebensaison gibt und dadurch die Anzahl
der Nachfragen schwankt.“ (Drivy)
Technische und personelle Anpassungen bei einem starken Wachstum haben Einfluss auf
die benötigten Ressourcen und die Kostenstruktur, da mehr Mitarbeiter eingestellt und die ITInfrastruktur angepasst werden muss. Die grundsätzlichen Schlüsselaktivitäten verändern
sich durch diese Herausforderungen nicht, doch wird es zeitweise zu einer Verschiebung
von Schwerpunkten innerhalb der Aktivitäten kommen, um der veränderten Situation gerecht
zu werden.
Eine weitere Herausforderung, die im Zusammenhang mit einem schnellen Wachstum genannt wurde, ist die Sicherstellung der Unternehmenskultur. Durch die kurzfristige Einstellung von neuen Mitarbeitern besteht die Gefahr, dass nicht alle am selben Strang ziehen
oder grundlegend andere Vorstellungen vom Weg oder Zweck der Unternehmung haben.
4.2.3 Spezielle Herausforderungen für zweiseitige Plattformen und
P2P-Plattformen
Nach der Analyse der bestehenden und vergangenen Herausforderungen der Fallstudienpartner soll in diesem Abschnitt diskutiert werden, ob bzw. inwiefern die Hypothesen hinsichtlich der Herausforderungen von P2P-Plattformen und zweiseitigen Plattformen zutreffend
sind. Des Weiteren wird ein Blick auf diejenigen Herausforderungen geworfen werden, die
insbesondere für P2P-Plattformen von Bedeutung sein könnten.
Wie aus der Analyse hervorgeht, sind alle vier für zweiseitige Plattformen typischen Herausforderungen bei mindestens einer untersuchten Plattform aufgetreten. Damit kann die
zweite Hypothese bestätigt werden, dass die typischen Herausforderungen von zweiseitigen Plattformen auch bei P2P-Plattformen auftreten. Nichtsdestotrotz konnte bei einer
Plattform (Drivy) keine dieser Herausforderungen identifiziert werden. Ein Grund hierfür
mag sein, dass Drivy in Frankreich gegründet wurde und die typischen Herausforderungen
68
4.2 Identifikation von Herausforderungen
zu dieser Zeit vorhanden waren, aber mit der Reife und Internationalisierung des Geschäftsmodells nach Deutschland, diese Herausforderungen überwunden wurden, weshalb sie im
Gespräch mit einem Unternehmensvertreter aus Deutschland nicht als Herausforderungen
wahrgenommen wurden.
Neben den Herausforderungen Henne-Ei-Problem, kritische Masse, Preisbildung und Vertrauen wurden eine Vielzahl weiterer Herausforderungen identifiziert, doch nicht alle sind
spezifisch für P2P-Plattformen. Unabhängig von der Unternehmensform und -größe sind
Herausforderungen wie die ständige Weiterentwicklung des Geschäftsmodells, den Bedürfnissen der Kunden gerecht werden, sich auf standortspezifische (oder städtespezifische)
Eigenheiten einzustellen oder technische Herausforderungen zu überwinden, Teil der Geschichte von vielen Unternehmen weltweit. Während der Analyse wurden allerdings fünf
Herausforderungen genannt, die typisch sein können für P2P-Plattformen allgemein und für
bestimmte Arten von P2P-Plattformen. Tabelle 3, S. 69, zeigt diese Aufteilung der Herausforderungen (rot).
Tab. 3: Mögliche Herausforderungen für die verschiedenen Typen von Peer-to-PeerPlattformen (Quelle: Eigene Darstellung)
Peer-to-Peer- Trading
Peer-to-Peer-
Peer-to-Peer-
Service-
Goods-Sharing
Sharing
Graumarkt
x
x
Vertrauen zu Neumitgliedern
x
x
x
x
Negative
Auswirkungen
der
wechselnden Angebotsqualität
Unklare Rechtslage
Unsicherheit bei der Preisfestlegung (Anbieter)
x
x
Die negativen Auswirkungen einer wechselnden Angebotsqualität abzufedern, ist eine Herausforderung, die nicht ausschließlich bei P2P-Plattformen auftritt, doch wird sie auf dieser
Art von Plattformen verstärkt, da es sich auf den P2P-Plattformen um Privatpersonen handelt, die den Handel oder die Vermietung ihrer Sach- und Wertgegenstände oft als Nebenverdienst betreiben und nur begrenzte Ressourcen in die Kommunikation und Abwicklung
mit den anderen Nutzern stecken können. Unter der Qualität des Angebots wird nicht nur
Iris Bröse
69
4 Analyse der Fallstudien
der Zustand des Objektes verstanden, sondern auch die Qualität des mit der Transaktion
verbundenen Services (schnelle Antwortzeiten, Freundlichkeit, Verlässlichkeit etc.). Auch
wenn die Anbieter auf der Plattform gute Bewertungen haben, kann es daher vorkommen,
dass der Service oder der Zustand des Objektes (wie die Wohnung) von Transaktion zu
Transaktion erheblich schwankt. Ist die Qualität des Services schlecht, erwarten die Nachfrager Hilfe von der Plattform bei der Vermittlung mit dem Anbietenden oder der Suche nach
Alternativen – und hier liegen in diesem Fall die Kosten für die Plattformbetreiber. Diese
können von Personalkosten, um den Fall zu bearbeiten bis hin zu Ausfallkosten reichen (im
Fall von Wimdu z.B. die Bereitstellung von Ersatzunterkünften).
Die Existenz eines Graumarkts scheint nicht für alle Plattformen von gleich hoher Bedeutung
zu sein, kann aber potentiell auf jeder P2P-Plattform auftreten, nachdem sich die Nutzer zum
ersten Mal vernetzt haben. Als fördernde Faktoren für die Entstehung eines Graumarkts
können eine gewisse Regelmäßigkeit sowie die geografische Nähe von Angebot und Nachfrage genannt werden. Diese Faktoren treffen u.a. bei Plattformen für Mitfahrgelegenheiten
zusammen, bei denen die Privatpersonen z.B. in der gleichen Stadt wohnen und jedes Wochenende in dieselbe Heimatregion fahren. Auch beim Verleih von Gebrauchsgegenständen
ist dies vorstellbar: weiß der Peer-Consumer , dass jemand in der Nähe das gewünschte
Werkzeug besitzt und über die Plattform bereits Kontaktdaten ausgetauscht wurden, wird
die Plattform nicht mehr benötigt. Gleiches gilt für Verkaufsplattformen, wenn Käufer und
Verkäufer geografisch eng beieinander wohnen und bereits über die Plattform vermittelt wurden. Nehmen die Plattformen eine Servicegebühr für die Vermittlung, bricht so der Umsatz
für diese Transaktionen weg.
Das Schaffen von Vertrauen zu Neumitgliedern gehört ebenfalls zu den Herausforderungen, die insbesondere P2P-Plattformen betreffen. Der Grund hierfür liegt in der fehlenden
Zugänglichkeit von Informationen über die interagierenden Privatpersonen. Während über
Unternehmen auf Plattformen potentiell weitere Informationen abgerufen werden können
(Unternehmenswebseite, andere Plattformen, Handelsregister etc.), ist dies bei Privatpersonen nicht möglich, wenn sie sich nicht über ein bestehendes soziales Netzwerk auf der
Plattform anmelden.
Des Weiteren ist die Unterstützung der Anbietenden bei der Preisfestlegung eine Herausforderung, die vor allem die P2P-Plattformen betrifft, die Güter teilen bzw. Services anbieten.
70
4.2 Identifikation von Herausforderungen
Der Verkauf von gebrauchten Gegenständen oder Kleidung hat bereits eine längere Tradition
als das private, kurzzeitige Vermieten von Vermögensgegenständen oder das systematische
Angebot von Mitfahrten, weswegen die Privatpersonen i.A. eine Anleitung benötigen, zu welchem Preis sie ihren Service, ihr Auto, ihre Wohnung etc. anbieten sollen. Hierunter fällt
auch die Beachtung von rechtlichen Anforderungen bei der Berechnung von Preisen (wie
flinc dies tut) bzw. die Decklung von Preisen bis zu einer festgelegten Obergrenze. Besonders zu Beginn, wenn noch keine durchschnittlichen Preise festgestellt werden können oder
die rechtlichen Grundlagen ungeklärt sind, kann dies eine Herausforderung für die Plattform
darstellen.
Wie bereits während der Analyse der Geschäftsmodelle für die Charakteristiken von P2PPlattformen deutlich wurde, sind die Plattformen, die das Teilen von Gütern und Services
ermöglichen mit rechtlichen Herausforderungen konfrontiert. Dies sind zum einen Unklarheiten in der nationalen Gesetzgebung im Hinblick auf die Anwendung für das eigene Geschäftsmodell und zum anderen eine Vielzahl von regional unterschiedlichen Verordnungen,
mit denen sich die Unternehmen auseinandersetzen müssen. Insbesondere sind hiervon
Unternehmen in der Sharing Economy betroffen, die alte Strukturen des Besitzes herausfordern und gleichzeitig alternative Strukturen anbieten, welche sich z.T. noch in Grauzonen der
Rechtsprechung befinden. Es ist allerdings zu erwarten, dass sich diese Herausforderungen
in Zukunft mit einer klareren Rechtsprechung in vielen Ländern verbessern werden.
Die letzte zu überprüfende Hypothese, dass durch die Analyse spezielle Herausforderungen
von P2P-Geschäftsmodellen identifiziert werden, kann nach dieser Betrachtung bestätigt
werden. Insbesondere der Graumarkt, das Schaffen von Vertrauen zu neuen Mitgliedern und
eine wechselnde Angebotsqualität auf den Plattformen sind Herausforderungen, mit denen
alle Formen von P2P-Unternehmen konfrontiert sein können. Für P2P-Goods-Sharing und
Service-Sharing-Unternehmen kommt hinzu, dass sie einer unklaren Rechtslage ausgesetzt
sind und die Anbietenden bei der Preisfindung unterstützen müssen.
Iris Bröse
71
4 Analyse der Fallstudien
4.3 Fazit zu den Fallstudien
Durch die Analyse der Fallstudien wurden Charakteristiken und Herausforderungen von
P2P-Geschäftsmodellen identifiziert, die in einem letzten Schritt aggregiert im BMC dargestellt werden sollen. Die Herausforderungen wurden den Elementen des BMC zugeordnet,
um eine Heatmap erstellen zu können, d.h. identifizieren zu können, in welchen Bereichen
des BMC vermehrt Herausforderungen genannt wurden. Die dargestellten Herausforderungen bilden dabei den Status Quo in P2P-Unternehmen ab, die über die Anfangsphase
der Gründung hinaus sind. Dies hat zur Folge, dass z.B. die Herausforderung „Vertrauen
schaffen“ von zweiseitigen Plattformen, bereits durch verschiedene Mechanismen auf den
Plattformen gelöst bzw. relativiert wurde. Wie Abbildung 8 auf S. 73 allerdings verdeutlicht,
besteht auch in späteren Phasen noch immer das Problem, Vertrauen zu neuen Mitgliedern
auf den Plattformen zu schaffen.
72
Iris Bröse
Abb. 8: Herausforderungen von P2P-Geschäftsmodellen (Heatmap) (Quelle: Eigene Darstellung, auf Basis des Business Model
Canvas von Osterwalder und Pigneur (2011))
4.3 Fazit zu den Fallstudien
73
4 Analyse der Fallstudien
4.4 Grenzen der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Analyse geben einen umfangreichen Überblick über die Situation von
P2P-Unternehmen, ihren Charakteristiken und Herausforderungen. Dennoch entstanden
durch die Wahl der Fallstudienmethodik Einschränkungen, die die Grenzen der Ergebnisse
sowie weiteres Forschungspotential aufzeigen.
Eine oft genannte Grenze von Fallstudien ist der Mangel an statistischer Generalisierbarkeit.
Dieses Argument kann nicht vollständig entkräftigt werden, doch wurde der Kritik in dieser
Arbeit durch die Betrachtung von mehreren Fällen entgegengewirkt, was es möglich machte,
die Ergebnisse analytisch herzuleiten. Damit ist die Anforderung an die externe Validität
erfüllt. Die Anforderungen an die Konstruktivität der Arbeit konnte durch eine umfangreiche
Recherche in verschiedenen sekundären Datenquellen (Webseiten, Pressemitteilungen,
Forumsbeiträge, Interviews usw.), der primären Befragung von Unternehmensvertretern
sowie der Einbeziehung dieser in die Durchsicht der Fallstudien, erfüllt werden.
Die Reliabilität der Arbeit wurde sichergestellt, indem die Analyse auf Basis des BMC detailliert beschrieben wurde, öffentlich zugängliche sekundäre Daten genutzt wurden und
die Identifikation von Herausforderungen auf Grundlage der Interviews durch prägnante
wörtliche Zitate untermauert wurde. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass der
Fallstudienprozess wiederholt werden kann und dieselben Ergebnisse ermöglicht werden.
Darüber hinaus eignet sich das BMC zur visuellen Konzentration der Ergebnisse, was die
Kommunikation dieser vereinfacht.
Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Akquise weiterer Unternehmen, konnte kein P2PUnternehmen aus dem Bereich der Gebrauchsgegenstände gewonnen werden, der allerdings nach den Analysen aus dem Forschungsprojekt PeerSharing über 30 % des Gesamtmarktes von P2P-Plattformen in Deutschland ausmacht. Des Weiteren vereint alle
betrachteten Fallstudienpartner, dass sie gewinnorientiert arbeiten und daher nicht die gesamte Bandbreite an P2P-Unternehmen durch diese Arbeit abgedeckt werden konnte. Die
Ergebnisse der Arbeit können im Hinblick auf die weitere Forschung als Fundament für eine
quantitative Überprüfung der Herausforderungen von P2P-Plattformen weltweit dienen. Der
praktische Nutzen der Analyse besteht in einem besseren Verständnis der Charakteristiken
74
4.4 Grenzen der Ergebnisse
und Herausforderungen von P2P-Unternehmen und kann dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bzw. die Auswirkungen beim Eintritt von Problemen zu reduzieren
und die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells systematisch zu voranzutreiben.
Iris Bröse
75
5 Schlussfolgerungen und
Handlungsempfehlungen
Auf Grundlage der empirischen Ergebnisse aus der Analyse der Charakteristiken und Herausforderungen von P2P-Plattformen, können Empfehlungen und Best Practices extrahiert
werden, die für Manager und Gründer von zukünftigen bzw. existierenden P2P-Plattformen
von Nutzen sein können. Im folgenden Kapitel sollen diese vorgestellt und erläutert werden.
Ein gutes Beschwerdemanagement einführen:
Für Plattformen, bei denen auf der An-
gebotsseite hohe Qualitätsunterschiede bestehen können, ist es elementar die Kunden
während den Transaktionen bei Problemen und negativen Erfahrungen zu unterstützen.
Auch wenn die Kunden verstehen, dass die Plattform nicht dafür verantwortlich gemacht
werden kann, wenn jemand kurzfristig absagt oder die Unterkunft nicht sauber ist, erwarten
die Nutzer Hilfe beim Umgang mit diesen Situationen. Im Hinblick auf das Beschwerdemanagement sind Kunden dann damit zufrieden, wenn sie sich fair behandelt fühlen (Garding
& Bruns, 2015). Ob dies erfüllt wird, hängt von drei verschiedenen Komponenten ab: der
Gerechtigkeit des Prozesses, der Gerechtigkeit der Interaktion und der Gerechtigkeit der
Verteilung (McCole, 2004). Die Gerechtigkeit des Prozesses bezieht sich auf die vom Kunden wahrgenommene Fairness der Unternehmensrichtlinien und -abläufe beim Umgang mit
Beschwerden, währenddessen sich die Gerechtigkeit der Interaktion auf das Verhalten der
Unternehmensvertreter zum Kunden entlang des Prozesses bezieht (z.B. Freundlichkeit und
Hilfsbereitschaft) (McCole, 2004). Für die letzte Komponente, der Verteilungsgerechtigkeit,
bewertet der Kunde das Ergebnis der Beschwerde und die mögliche Entschädigung als fair
oder nicht fair (McCole, 2004). Das Ergebnis eines als schlecht wahrgenommenen Services
führt nach einer Studie American Express 2014 Global Customer Service Barometer dazu,
dass die Betroffenen im Durchschnitt 21 Personen von ihrer schlechten Erfahrung erzählen
76
– im Gegensatz zu 8 Personen, wenn es sich um eine gute Erfahrung handelt (American
Express 2014 Global Customer Service Barometer, 2014). Abgesehen davon geben 89 %
der für den Customer Experience Impact Report 2011 befragten US-Amerikaner an, dass
sie nach einer schlechten Erfahrung mit dem Kundenservice eines Unternehmens zur Konkurrenz gewechselt sind (RightNow Technologies, 2012). Sowohl die klaren Richtlinien als
auch das Training von Kundenservice-Mitarbeitern für den Umgang mit Beschwerden sind
daher wichtige Grundsätze für ein gutes Beschwerdemanagement.
Kombinieren von Informationen aus anderen sozialen Netzwerken:
Vertrauen zu
Mitgliedern zu schaffen, die neu auf einer Plattform sind und noch keine Bewertungen haben, ist eine Herausforderung, der sich die Plattformen bewusst sind. Aus diesem Grund
besteht bei Drivy, Kleiderkreisel und flinc bereits die Möglichkeit, sich über das soziale Netzwerk Facebook anzumelden. Dadurch ist es für die Neumitglieder zwar einfacher, als reale
Person wahrgenommen zu werden, lässt aber keine Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit
der Person zu. Um dieses Problem zu lösen, haben sich in den letzten Jahren Unternehmen entwickelt, die P2P-Transaktionen sicherer und vertrauenswürdiger machen wollen,
indem z.B. transaktionsbezogene und persönliche Daten von verschieden Marktplätzen und
sozialen Netzwerken gesammelt und in einer Art tragbaren Online-Ausweis zusammengeführt werden. Das Unternehmen Traity42 bietet beispielsweise einen solchen Service an, für
den Nutzer gebeten werden, sich auf verschiedenen sozialen Netzwerken und Marktplätze
einzuloggen oder sich per Ausweis zu identifizieren (Traity, o.J.). Durch die gesammelten
Informationen kann Traity auch einschätzen, ob die Personen vertrauenswürdig genug sind,
um eine Versicherung zu bekommen und wenn ja, individuelle Versicherungsbeträge zu
berechnen (Traity, o.J.). Trustcloud43 , ein weiteres Unternehmen in diesem Umfeld, konzentriert sich ähnlich wie Traity auf das Sammeln von Informationen, um eine Versicherung
(Garantie) für die P2P Transaktion geben zu können (TrustCloud, o.J.).
Mit dem Angebot beginnen und die Angebotsqualität sicherstellen:
Drei der vier
Plattformen beginnen ausdrücklich mit dem Erhöhen des Angebots, bevor daraufhin die
Nachfrager für die Plattform akquiriert werden. Wie Drivy im Interview beschreibt, sollen die
Autobesitzer auf der Plattform nicht mit zu vielen Anfragen überfordert werden und die Mieter
42
43
www.traity.com
www.trustcloud.com
Iris Bröse
77
5 Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen
nicht frustriert sein, dass sie kein Auto finden, was bei wenig Angebot und zu viel Nachfrage
passieren könnte. Außerdem ist bei der Akquise von Nachfragern ein großes Angebot ein
entscheidendes Kriterium für die Attraktivität der Plattform. Auch für Tailster, einem OnlineMarktplatz, der Hundebesitzer mit Menschen verbindet, die sich gerne um Hunde kümmern,
ist die Erhöhung des Angebots auf der Plattform ebenfalls der erste Schritt – denn wenn das
Angebot nicht ausreichend zur Verfügung steht, helfen auch keine hohen Besucherzahlen
auf der Webseite (Guralp, 01.07.2015). Tailster44 verweist darüber hinaus auf die Bedeutung
der Angebotsqualität, die, wie auch in der Analyse festgestellt wurde, wechseln kann und
die Erfahrung der Kunden direkt mit der Sicht auf Tailster korreliert (Guralp, 01.07.2015).
Um sowohl die Angebotsqualität auf der Seite sicherzustellen als auch die Anzahl des Angebote zu erhöhen, wurden zunächst bestehende Hundesitter-Unternehmer angesprochen
und die Bewerbungen von anderen potentiellen Hundesittern streng überprüft (5 von 6 Bewerbungen werden nicht angenommen) (Guralp, 01.07.2015). Für die Hundesitter bestand
der Vorteil in einer potentiell höheren Reichweite ihres Angebots sowie der Übernahme aller
Zahlungsabwicklungsprozesse durch Tailster (Guralp, 01.07.2015).
Die rechtliche Lage auf der Plattform transparent machen:
Insbesondere bei P2P-
Plattformen, die Kurzmiete von Sach- oder Vermögensgegenständen fördern möchten, ist
die gesetzliche Grundlage in vielen Ländern noch unklar. Diese gesetzlichen Unklarheiten
beziehen sich auf vielfältige Themenbereiche im Umfeld der Sharing Economy, die von
Fragen des Steuerrechts (Einkommens,- Umsatz- und Gewerbesteuer) über Arbeitsbedingungen bis hin zum Versicherungsschutz reichen. Wichtig ist hierbei, dass sowohl den
Anbietern als auch den Nachfragern auf den Plattformen diese Unklarheiten transparent
gemacht werden und sie über neue Entwicklungen informiert werden. In diesem Zusammenhang sind auch für die Plattformen zugeschnittene Versicherungen zu nennen, die mögliche
Lücken in der Rechtsprechung füllen können.
Zusatzservices einrichten, um das Wertangebot zu stärken:
Die geografische Nähe
und eine gewisse Regelmäßigkeit bei den Transaktionen zwischen den Anbietern und Nachfragern können das Entstehen eines Graumarkts begünstigen. Sind diese Eigenschaften
auf der Plattform potentiell vorhanden, muss für alle Beteiligten klar ersichtlich sein, welche
Vorteile es hat, die Transaktion über die Plattform laufen zu lassen und nicht über private
44
www.tailster.com
78
Verabredungen. Auch bei Tailster besteht potentiell die Gefahr eines Graumarkts, da die
Hundebesitzer und Hundesitter nicht weit voneinander entfernt wohnen können und die Hundebesitzer hin und wieder den Service in Anspruch nehmen werden (z.B. während sie auf
Reisen sind). Tailster hat erkannt, dass so ein Graumarkt entstehen kann und stellt zusätzliche Services wie die treuhänderische Verwaltung von Zahlungen und Versicherungen für
die Transaktionen über Tailster zur Verfügung (Guralp, 01.07.2015). Ähnlich machen dies
auch Drivy, Kleiderkreisel und Wimdu, die zusätzliche Versicherungen anbieten, durch die
es einen klaren Vorteil gibt, die Transaktionen online und nicht offline durchzuführen.
Iris Bröse
79
6 Fazit
Im Rahmen dieser Masterarbeit wurden auf Grundlage des Business Model Canvas Charakteristiken und Herausforderungen von P2P-Geschäftsmodellen identifiziert. Hierfür wurde
eine multiple Fallstudienanalyse mit vier P2P-Geschäftsmodellen auf Basis von umfangreichen Sekundärdaten durchgeführt und mithilfe von problemzentrierten Interviews zu bestehenden und vergangenen Herausforderungen ergänzt.
Die Analyse der Charakteristiken hatte das Ziel, die Forschung um die Sharing Economy
systematisch fortzuführen und nützliche Anstöße für die Ausarbeitung der Geschäftsmodelle in der Praxis geben zu können. Durch die Analyse konnte festgestellt werden, dass
P2P-Geschäftsmodelle zu zweiseitigen Märkten gezählt werden können, da aus der Wissenschaft bekannte Eigenschaften dieser auch bei P2P-Geschäftsmodelle auftreten. Besonders
macht P2P-Modelle allerdings die zusätzliche Aufgabe, nicht nur Vertrauen zur eigenen Plattform aufzubauen, sondern auch kontinuierlich das Vertrauen zwischen den Privatpersonen
zu verbessern, da dies elementar für die Nutzung und die Außenwirkung der Plattform ist.
Die Ergebnisse aus der Identifikation von Charakteristiken wurden in einem BMC verdichtet, das die typischen Ausprägungen von profitorientierten P2P-Plattformen aufzeigt, deren
Austauschobjekte materieller oder immaterieller (Services) Natur sind. Das P2P-BMC gibt
somit u.a. eine Antwort darauf, welches Wertangebot P2P-Geschäftsmodelle zur Verfügung
stellen und auf welche Art und Weise die Kundensegmente für dieses Wertangebot zahlen.
Hinsichtlich der Herausforderungen von P2P-Geschäftsmodellen zeigte sich in der Analyse, dass die meisten Herausforderungen von zweiseitigen Märkten ebenfalls bei P2PUnternehmen auftreten (Henne-Ei-Problem, kritische Masse, Preisfindung). Darüber hinaus
konnten mithilfe der problemzentrierten Interviews weitere, spezielle Herausforderungen
von P2P-Geschäftsmodellen identifiziert werden. Zu diesen gehören die Existenz eines
Graumarkts, das Schaffen von Vertrauen zu Neumitgliedern, die negativen Auswirkungen
80
einer wechselnden Angebotsqualität, die unklare Rechtslage und die Unsicherheit der Anbieter bei der Preisfestlegung. Diese Herausforderungen treffen auf P2P-Plattformen zu, die
Güter oder Services teilen, wobei die unklare Rechtslage und die Unsicherheit der Anbieter
bei der Preisfestlegung als Herausforderungen bei P2P Verkaufsplattformen (wie Kleiderkreisel) nicht auftreten. Besonders interessant ist das Ergebnis, dass bei manchen Plattformen
ein Graumarkt entsteht, auf dem sich die Nutzer der Plattformen offline verabreden können,
da sie bereits Kontaktdaten bei vorangegangen Transaktionen ausgetauscht haben und so
mögliche Gebühren umgehen. Dies scheint speziell bei Plattformen der Fall zu sein, bei
denen die Nutzer regelmäßig Transaktionen durchführen und sich in räumlicher Nähe mit
den Anbietern befinden. Auch wenn dies ein größeres Problem beim Teilen von Gütern und
Services darstellen sollte, können auch Verkaufsplattformen wie Kleiderkreisel betroffen
sein, wenn sie aus ökologischen und sozialen Gründen die Verbindung von Nutzern durch
Offline-Treffen fördern.
Alle in den Interviews genannten Herausforderungen wurden im BMC festgehalten, was
es möglich machte, Hotspots zu identifizieren, auf die angehende und existierende P2PUnternehmen besonders Acht geben sollten. Mithilfe der Analyse der Geschäftsmodelle
und den Ergebnissen aus den Interviews konnten so wichtige Einblicke in die Funktionsweise von P2P-Geschäftsmodellen gewonnen werden, die zu den Vorschlägen in Kapitel 5
zusammengefasst wurden.
Da der Fokus der Arbeit auf der Exploration von Charakteristiken und Herausforderungen
von P2P-Geschäftsmodellen lag, konnte keine quantitative Analyse hinsichtlich der identifizierten Herausforderungen und Eigenschaften durchgeführt werden. Die Überprüfung, ob
die Herausforderungen auf einen Großteil der P2P-Geschäftsmodelle zutreffen oder ob eine
feinere Einteilung der P2P-Typen mit ihren Herausforderungen möglich ist, kann daher ein
Ausgangspunkt für die zukünftige Forschung in diesem Bereich sein.
Im Hinblick auf das Forschungsprojekt, in das diese Masterarbeit eingebunden ist, werden
auf Grundlage der vorgestellten Ergebnisse Weiterentwicklungsmöglichkeiten für die Geschäftsmodelle der Praxispartner evaluiert werden. Dabei wird auch die Frage nach der
Integration von nachhaltigen Komponenten im Geschäftsmodell eine stärkere Rolle spielen,
denn wie eingangs erwähnt, haben P2P-Plattformen das Potential, einen Beitrag zu einer
nachhaltigeren Entwicklung durch die Intensivierung der Ressourcennutzung zu leisten.
Iris Bröse
81
6 Fazit
Nach der Betrachtung der Geschäftsmodelle der Fallstudienpartner in dieser Arbeit kann
allerdings festgehalten, dass die P2P-Plattformen zunächst ein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln bzw. ausbauen müssen, damit die bestehenden Potenziale auch
weiterhin Gültigkeit besitzen. In Bezug auf die Nachhaltigkeit in einem P2P-Geschäftsmodell
verwies flinc im Interview darauf, dass besonders Early Adopter den ökologischen Nutzen
wertschätzen. Die breite Masse an Nutzern hingegen erkenne zwar den ökologischen Vorteil
an, aber ändere ihr Verhalten nicht. Die Kommunikation der Plattformen als nachhaltigere
Konsumalternative wurde deshalb möglicherweise nicht als eine Herausforderung genannt,
da die betrachteten Plattformen bereits seit einigen Jahren auf dem Markt sind und die
Rolle von Nachhaltigkeit bei der Ansprache der breiteren Masse unwichtiger wird. Welche
Bedeutung daher die Integration von nachhaltigeren Ansätzen im Geschäftsmodell für die
Fallstudienpartner und deren Nutzer haben wird, muss im weiteren Verlauf des Forschungsprojekts festgestellt werden.
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C3%BChren-f%C3%A4llig-Warum-schl%C3%A4gt-Wimdu-eine -Geb%C3%BChr-auf
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Iris Bröse
97
Anhang
Interviewleitfaden
1. Einleitende Fragen
Mit welchen Herausforderungen ist Ihr Geschäftsmodell (Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten, Partner, Wertangebot, Kunden, Kundenkanäle und- beziehung, sowie Kosten und
Ertragsstruktur) zu Beginn des Unternehmens konfrontiert gewesen?
Mit welchen ist das Geschäftsmodell heute konfrontiert?
Welches ist Ihr momentan größtes Problem in Bezug auf das Geschäftsmodell und warum?
2. Kundensegmente
Haben Sie Erkenntnisse erlangt, in welchem Verhältnis die Anbietenden und Nachfragenden
stehen müssen, damit die Plattform funktioniert?
Standen Sie je vor dem Problem, dass Sie nicht wussten, auf welcher Seite (Anbieter bzw.
Nachfrager) die Anzahl der Teilnehmenden zuerst erhöht werden muss bzw. welche Seite
das Wachstum der anderen bedingt (Henne-Ei-Problem)?
3. Kanäle/Kommunikation
Gibt es Probleme, Ihre Zielgruppen zu erreichen bzw. zu gewinnen?
Gibt es Unterschiede bei der Ansprache und Gewinnung der Nutzergruppen (Anbieter und
Nachfragende)?
Ggf. nachfragen: Wenn ja, warum ist dies nötig (z.B. unterschiedliche Motive) und welche
unterschiedlichen Maßnahmen sind das?
98
4. Beziehung zu bzw. zwischen den Kunden
Stellt oder stellte das Schaffen von Vertrauen zur Plattform bzw. zwischen den interagierenden Seiten eine Herausforderung für die Plattform dar?
Welche Vertrauen schaffende Maßnahmen sind besonders wichtig (gewesen)?
Besteht noch Bedarf zum Schaffen von mehr Vertrauen auf einer der Seiten (Anbieter oder
Nachfrager)? Sind weitere Maßnahmen geplant?
5. Erlösstruktur
War oder ist die Preisfindung für die Anbieter und Nachfrager ein Problem?
Ggf. nachfragen: Wenn ja, warum war/ist dies der Fall?
Gibt oder gab es Probleme bei der Einführung eines Bezahlsystems?
Ggf. nachfragen: Wenn ja, welche? Wie konnten diese überwunden werden?
6. Wertangebote
Welche Rolle spielen Zusatz-Services bei der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells?
7. Partner/Kooperationen
Welche Gründe hatte die Auswahl Ihrer Partner?
Ggf. nachfragen: Hing dies mit der Lösung von bestehenden Problemen zusammen?
Wenn ja, welchen?
Welche strategische Bedeutung haben Kooperationen bei der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells?
8. Wachstum/Skalierung der Branche
Gibt es Herausforderungen, die durch die Branche impliziert sind (Wohnung, Kleidung, Mobilität, Gebrauchsgegenstände?)
Gibt es Herausforderungen, die durch ein starkes Wachstum entstanden sind?
Iris Bröse
99
Anhang
100
Abb. 9: Business Model Canvas von Drivy (Quelle: Eigene Darstellung, auf Basis des Business Model Canvas von Osterwalder und
Pigneur (2011))
Iris Bröse
Abb. 10: Business Model Canvas von flinc (Quelle: Eigene Darstellung, auf Basis des Business Model Canvas von Osterwalder und
Pigneur (2011))
101
Anhang
102
Abb. 11: Business Model Canvas von Kleiderkreisel (Quelle: Eigene Darstellung, auf Basis des Business Model Canvas von
Osterwalder und Pigneur (2011))
Iris Bröse
Abb. 12: Business Model Canvas von Wimdu (Quelle: Eigene Darstellung, auf Basis des Business Model Canvas von Osterwalder
und Pigneur (2011))
103
Sicherheitsbedürfnis gerecht werden
Städtespezifische Eigenschaften
Rechtliche Rahmenbedingungen
Anpassung an saisonale Schwankungen
Rechtliche Regularien auf der Plattform transparent
machen
Sichtbarkeit/ positive Feedbackeffekte von Konkurrenten
Verfügbarkeit von (Wagnis-)Kapital
Kritische Masse erreichen/ Reichweite erhöhen
Nutzer nach der Anmeldung auf der Plattform behalten
Graumarkt
Technische Umsetzung spezieller, neuer Features
Ständige Weiterentwicklung des Geschäftsmodells/ der Marke
Sichtbarkeit von Neumitgliedern
Preisfestlegung durch die Nutzer
Wechselnde Qualität des Angebots
Einführung eines Bezahlsystems und dessen Kommunikation
Rentabel werden, Kostendeckend arbeiten
Preisbildung
Technische Herausforderungen
Sicherstellung des Kundenservices (bei schnellem
Wachstum)
Sicherung der Unternehmenskultur (bei schnellem
Wachstum)
Kategorien
Definition
Ankerbeispiele
Zuordnung zu BMC
Externe Herausforderungen
Herausforderungen, die von
außen auf die Unternehmen
einwirken und auf die sie
reagieren müssen, um ihre
Marktposition zu sichern.
„Rechtlich gesehen stellt sich beim privaten
Carsharing die Frage, ab wann dies gewerblich
betrieben wird und wie man dies versteuert. Dafür
gibt es für das P2P Carsharing keine eindeutige
Gesetzgebung.“ (Drivy)
Extern
Alle Herausforderungen, die mit
der Kundenakquise und dem
Halten der Kunden auf der
Plattform einhergehen.
Herausforderungen, die sich um
die Entwicklung der Plattform als
Wertangebot/ Marke und den
Erhalt des Wertversprechens
drehen.
„[Unter einem Graumarkt] verstehen wir Nutzer,
die flinc einmal nutzen, um Mitfahrer oder Fahrer
zu suchen und flinc danach nicht mehr brauchen,
weil der Kontakt hergestellt ist.“ (flinc)
„Gerade wenn sich Gastgeber neu registrieren,
stehen sie aber vor dem Problem, einen Preis
festlegen zu müssen.“ (Wimdu)
Wertangebote
Alle Herausforderungen, die
entstehen, wenn aus dem
Wertangebot Umsatz generiert
werden soll.
Alle Herausforderungen, die
durch ein schnelles Wachstum
der Plattform entstehen.
„Wir haben eben gesehen, dass wir, bevor wir eine
Gebühr einführen, erst einmal noch viel
Aufklärungsarbeit leisten müssen.“ (Kleiderkreisel)
Einnahmequellen
Anzahl wiederkehrender und
neuer Kunden erhöhen
Weiterentwicklung des
Wertangebots
Sicherstellung des
Wertangebots
Einnahmequellen
sicherstellen
(Zeitweises) schnelles
Wachstum der Plattform
Henne-Ei-Problem
ginn)
(zu
Be-
Vertrauen zu Neumitgliedern
schaffen
Herausforderung in zweiseitigen
Märkten, bei der unklar ist, welche
Seite das Wachstum der anderen
Seite bedingt.
Herausforderung für die Plattform,
Vertrauen zu Neumitgliedern herzustellen.
Kundensegmente
„Der Kundenservice ist auch eine Herausforderung
bei starkem Wachstum, da es gerade in der
Reisebranche Hoch- und Nebensaison gibt und
dadurch die Anzahl der Nachfragen schwankt.“
(Wimdu)
„Es ist allgemein schwierig, bei zwei Seiten mit Angebot und Nachfrage herauszufinden, wo man zuerst ansetzen soll.“ (Kleiderkreisel)
Schlüsselressourcen,
Schlüsselaktivitäten,
Kostenstruktur
„Beispielsweise hören wir oft, dass es für diese
Neumitglieder schwieriger ist, überhaupt Artikel zu
verkaufen, weil sie noch keine Bewertungen haben
und dann andere Mitglieder kein Vertrauen in sie
haben.“ (Kleiderkreisel)
Kundenbeziehungen
Kundensegmente
Anhang
104
Tab. 4: Gekürzter Kodierleitfaden mit Zuordnung (Quelle: Eigene Darstellung)
Genannte Herausforderungen