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die Zukunft sehe, weil ich keine Zukunft bin; meine
Tugend ist, daß ich auch schlechte Menschen zu Freun
den habe, bis sie mir nichts nützen; meine Ehrlich
keit ist nur für mich; meine Politik sorgt für meiye
Schmeichler; meine Wissenschaft ist in meiner hohen
Nase und in meinen Titeln; die Erziehung geht mich
nicht» an, sondern die Zukunft; und meine Ehe ist
ein freier Genuß. Nennet mich eine Sklavenseele.
Sklaven werden so alt als die Freien.
Eine Stimme aus dem Reiche der Ideen.
Bist du so, Gegenwart, so schäme dich. Ich mir
allen wahren Geistern bangen uns nach einer bessern
Zukunft; wer sich aber banget, der sitze nicht mäßig,
sondern helfe bauen. Lhmn.
Neuigkeiten und
Der zweite und dritte August in Potsdam.
Wie gehr es Ihnen, meine Freundinn, in F ..
wohin Sie da« unglückliche Schicksal Ihrer kranken
Mutter geführt hat? Möge der Himmel doch seinen
Gesundheit« -Luell auch wohlthätig für die Viellei-
dcnde wirken lqsscn! Ich bin am folgenden Tage so-
lcich nachJhnen abgereiset, weil ich dieser Zerstreuung
edurfre, und zwar noch Potsdam, das ich wohl in
zehn Jahren nicht gesehn haue. Das Wetter war
am Morgen sehr übel, erheiterte sich aber zur Freude
meiner Gesellschaft, der würdigen Familie I. Der
gute Vater derselben tröstete uns mit der Aussicht
auf einen blauen Himmel. Seine Ergebung und sein
Vertrauen auf seinen Herrn ließe» ihn weder Miß,
muth, noch Hoffnungslosigkeit äußern. Sein acht christ
licher Sinn, der alles mit einem ungestörten Gleich
mut!) ertragt und Fröhlichkeit mit einer liebenswür
digen Schwermulh vereinigt, erregte oft eine stille
Rühr-.ug in mir. Es gibt doch unter den Menschen
noch manchen Frommen, der den alten heiligen Glau
ben und die heilige Gesinnung in kindlicher Unschuld
bewahrt. Wir langte -ch einigen Stunden an den
Orr unserer Beftimmu.-g an. Die Familie, bei der
wir wohnten, war eine wohlhabende Bürgcrfamilie,
der Vater ein jovialer Mann, die Frau eine geschäf
tige Wirthschafterinn und der Kinder - Verein über
aus lustig, sie alle sehr hocherfreut über unsre An
kunft. Es ging sogleich an ein Erzählen von Haus-
angelegenhenen und an eine Einihcilung der drei
Tage, wie man sie für uns am angenehmsten machen
wollte. Der Nachinittag sollte auf einer Höhe der
reizcndlicgenden Äleinberge um die Stadt zugebracht
werden, Vorher begleitete ich die jüngste Tochter
zu einer ihrer Freundinnen, deren Gatte ein sehr an
genehm liegendes Gartenhaus außer dem Thore be
wohnt. Wir erreichten es kaum, als ein Regen ein
fiel, der bi« gegen Abend dauerte, und uns zwang,
ihn hier abzuwarten. Die schöne Aussicht über dis-
Havel und die daranstoßendcn Gärten der Stadt, die
mit einem grauen Nebel überzogen waren, so wie
das heitere Gespräch meiner anspruchlosen, übernatür
lich gebildeten Begleiterinn und ihrer Freundinn lie
ßen uns die üble Witterung vergessen. Nach unsrer
Wohnung zurückgekehrt, brachten wir den Abend in
der gastfreundlichen Gesellschaft unsre« Wirthe« zu,
der zu den sechzig ncuerwahlten Stadtverordneten ge
hörte, und der mit einem seiner Freunde, einem neu,
erwählten Siadtraihe, viel über die jetzige unglückliche
Lage der Stadt sprach, die durch die Bedrückungen
der Heere vielleicht mehr als irgend ein Or« in
der Monarchie gelitten hat. Zugleich hörte ich, daß
am Donnerstag, als am Geburtstage des Königs, der
neue Magistrat iniroduzirt werden sollte; eine schöne
Idee, diese Feierlichkeit gerade auf einen, für jeden
preußischen Unterthanen festliche» Tag zu verlegen.
Der folgende schöne Morgen am Mittwoch wurde
mit einer Parihie nach einem nahe liegenden Dörf- I
chen Bornstäkl zugebracht. Der Himmel war ganz heiler j
Korrespondenzen.
und wolkei/.ei und derAufgang der Sonne, die sich über
dunkle Wälder und Berge glühend erhob, war maje
stätisch. Der Weg ging über Höhen und durch Thä
ler und gewährte die schönsten Abwechselungen von
Naturgegcnständen und Kunstanlagen, durch welche
letztere der große Geist Friedrichs seine Residenz ver
schönerte. Auf dem Rückwege gingen wir über Sans
souci. Der Eindruck, den ich hier empfang, gehört
zu den unvergeßlichsten meines Leben«. Schon auf
dem Wege dahin hatte jede Höhe, die irgend ein
Tempel zierte, mein Gemüth mit den erhebendesten
Erinnerungen an eine große Vergangenheit erfüllt.
Ueberall Denkmähler eines tiefen schaffenden Geiste«
zu sehen, überall erinnert zu werden, auch hier auf
diesem Hügel war er rastlos geschäftig, eine wohl
thätige Spur seines Daseins zurückzulassen, um eine
heitere Aussicht zu eröffnen, sollte das den Wanderer
nicht zur Bewunderung und zumSlauncn hinreißen?
Und dann sich wieder sagen zu müssen, die alles wan
delnde Zeit ist auch über diese Denkmähler, über diese
Spuren nicht schonend hinweggeschrillcn; der Krieg
ist auch in diese Heiligthümer eingedrungen, und hat
auch da« Ehrwürdigste nicht verschont: ach, sollte da«
nicht mit Wehmuthslhrancn das freudige Auge wieder
erfüllen? —
Eingetreten in die stillen und dunkeln Gänge der
Friedrichsruhe, wanderte ich mir meiner Begleitung
durch die unwegsamsten Baumallee». Jedes Ruhe-
playchcn, jede sich eröffnende Aussicht rief mir gleich
sam zu: Hier stehst du, wo Er so oft ruhte, wo Er
so oft stand und in die weile Unendlichkeit hinaus
blickte, der Große! Der runde Play, mit Statuen
umgebe», lag vor mir, und Minervens wcishcitsvol-
lcr Blick und Mars streildrohcndes Antlitz, das den
Eintretenden empfängt, führte mich im Innern hin
zu Dem, der den Scepter über Europa lenkte mit tic,
fcm Verstände und Furchrgebielender Rechte. Die
hohe, über mehrere hundert Stufen führende Terrasse
lag vor mir auf dem grunprangenden Hügel, und die
stille Kuppel mit ihrem Tempel des Friedens glänzte
im freundlichen Morgenschimmer. Ich zitterte, die
heiligen Steine zu berühren. Du wirst c« mir vcr»
zeihen, mein Gott, wenn ich in diesem Augenblick
jene Stätte wie ein Heiligthum betrachtete, in da«
ich treten wollte. Könige sind ja nach der Schrift
auch deine Söhne, und dieser Friedrich war gewiß
auch einer deiner größten Gesandten, durch den du
einen Theil deine» verborgenen Willens hast kund
werden lassen auf Erden. Ich stieg langsam hinauf
dieselben Stufen, die der große Fürst so oft betreten
hatte, aber, dachte ich zugleich, die auch so mancher
Fuß entheiligt har. Ich betrat die letzte, und da lag
e« dicht vor mir das einsame Schloß mit seiner Ro
tunde.
E« ist da« edelste Gcbäu, da« ich kenne. Nicht« tritt
prunkend hervor, alle« athmet Friede» und Sorgen!» <
sigkeil und die einfachen goldenen Worte San, üouci
sprechen den gesummten innern und äußern Charakter