*1.
oder
d e r Preußische Hausfreund.
Dienstag, den 20. Z u n i.
Ueber die Gutmütigkeit.
3" strenge Grundsätze gleichen den Lampen des Al
terthums, die man in den Gräbern bei de» Urnen
der Verstorbenen hinstellte. Wenn man sie an die
frische Luft brachte, so entzündeten fle fich zu einer
hellen Flamme, aber einige Minuten darauf waren
pe auch erloschen. Man lebt nie so lange, um von
seinen Fehlern Nutze» ziehen zu können, und höch
sten« bringt man es nach einer Reihe von Verirrun
gen dahin, gebessert zu sterben. Inzwischen entspringt
viele» Ungemach in vermenschlichen Gesellschaft le
diglich aus zu großer Strenge unserer Urtheile. Wo
her wohl die Neigung des Menschen, zu dem Unglück,
da« er leidet, stch noch mit der Vorstellung von zu
künftigen Uebeln zu quälen, und bei den Irrthümern,
die er nicht in Abrede stellen kann, noch seinen ss)e-
Henmcnschen ihm hnbekannie zu beschuldigen?
Glücklich ist, wer von.diesem Hange nicht« weiß,
er ist in dem Besitz einer schonen Tugend, der G u «
müthigkeit.
Gutmäthigkeit ist das-zarteste Band der
Gesellschaft, fle verschönert alles, was fle liebt, sie
bestreu« die schroffe Bahn de« Lehens mit Blumen.
Sie ist ein angebornes Naturgcschcnk, aber wir wis
sen eS nicht zu benutzen, und suchen cS aus unserem
Herzen zu vertilgen. Man hat die Gutmülhigkcit als
Schwäche verschrieen, doch die se Lästerung kommt nur
von den Lippen hartherziger Menschen; so wie die
Schwachen au« Neid das Große lästern, weil sie r«
nicht erreichen können.
Bei Männern, die an dem Ruder de« Staat«
sitzen, darf die Gutmüthigkrit nicht» anders seyn,
als die Furch», ungerecht zu handeln; aber im gesell,
schaftlichen Leben ist ihr WirkungSkrei« umfassender,
hier liegt ct ihr ob, den Zwist zu schlichten, den Auf,
gebrachten zu besänftigen, den Haß zu vertilgen, den
Unglücklichen zu trösten, und ihn mit neuerHoffnung
zu beleben. Tine unerbittliche Strenge ist das hassen«,
wertheste und dabei lächerlichste in der ganzen mensch,
lichen Natur. Wie viel Schaden stiftet fle nicht. Die
Eulmüthigkei« darf darum nicht Fehler mit Lastern,
Irrthümer mit Bosheit verwechseln. Sie darf nicht
in rohe Gleichgültigkeit ausarten, die, ohne er zu
wollen, oft viel Unheil stiftet, und Gute» thut, ohne
davon, selbst Genuß zu haben. Wenn dies der Fall ist,
so ist der sogenannte Gutmüthige nur ein schwacher
Mensch, und wenn er nicht geradezu Döse« thut, so
laßt er doch viel Böse» »»gerügt geschehen. Die echte
Gulmüthigkeit beobachtet, urtheilt und handelt dar,
nach. E» ist eine Anlage der Natur, aber die Erzie
hung bftdct sie erst au«. Sie vereint sich mit Sre-
lengrößc, Muth, Festigkeit, Gerechtigkeit und verschö
nert alle gesellschaftliche Tugenden. Beispiele von
Güte gefallen daher auch immer in der Geschichte,