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Volume Nr. 22., 18. März 1809

Full text: Berlin oder der preußische Hausfreund (Public Domain) Issue3.1809 (Public Domain)

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Staat« körp er« hineindenken, weil Ihr, auf Euren 
engen häuslichen Wirkungskreis beschränkt, für da» 
Allgemeine zu wenig Sinn und Interesse habt, und 
weil die Natur Euch mit allen Banden Eure» leben« 
digen Gefühls an Han» und Kinder gefesselt hat. 
Jetzt aber solltet Ihr doch wirklich mit allem Ernste 
diese Idee Eurer Seele einprägen, denn e« könnte ja 
kommen, daß der Staat noch etwas weit Größeres, 
als Gold und Silber von Euch begehrte, die Lieb« 
Unze Eure« Herzens, die hoffnungsvollen Söhne, die 
Ihr mit Sorge und Selbstverleugnung aufgezogen 
habt; und wie wird es dann um Eure Herzensruhe 
stehen, wenn die Trennung von dem, was der Rost 
verzehr«, wonach die Diebe graben und stehlen, schon 
Eurem Herzen so viel Seufzer erpreßt und so viel 
Kummer bereitet? — „O, lieber Mann, nimm es 
mir nicht übel, wie sehr du auch sonst alle Verfiel« 
lung hassest, dicßmal ist deine Ergcbring und Groß, 
muth nichts weiter, als eine Rolle, die du spielst, 
um dich über mich zu erheben, und mich deine mann« 
liche Ucbcrlcgenheit fühlen zu lassen, oder auch, um 
mich ei» wenig zu quälen, denn boshaft seyd ihr 
Männer alle." — Ich sehe wohl, meine Beste, ich 
muß dir die Fabel erzählen, welche der Römer Me« 
nenius Agrippa einst einem Volkshaufen erzähl« 
re, der im Begriff war, durch aufrührerische Unter, 
nchmungen die Ruhe und das Glück des Staats zu 
zerstören; nur will ich zum voraus bitten, daß du 
mich nicht gleich anfangs mit dem Ausruf unter« 
brichst, den ick) kommen sehe: ach die abgedroschene 
Fabel habe ich längst zum UcbcrLruß gehört und 
gelesen; denn ich weiß in der That für dich mid 
für alle die, welche deine« Sinnes find, keinen atu 
deren Rath, als daß sie sich diese Fabel erzählen 
lassen, zuvor aber auch sich ernstlich vornehmen, 
daß sie nicht nur fein geduldig, und hübsch auf« 
merksam zuhören, sondern auch dann so- reiflich, als 
es ihnen nur möglich ist, nachdenken, erwägewund 
prüfen wollen. — „Nun, ich will mich entschließen^ 
die Fabel des Herrn Agrippa, den ich nicht kenne, 
geduldig anzuhören, besonders da ich mich diesen Au, 
genbliL nicht erinnern kaun, sie schon gehört zu hg« 
ben. Also erzähle!" 
„In alten Zeilen^ da jede« Glied de» Leibe» 
noch für sich selbst denken und wählen konnte, be, 
schloffen einst alle Glieder cinmüthig ^ sich wider den 
Bauch zu empören. Warum, sprachen sie unwillig, ^ 
sollen wir un« denn vom Morgen bi« jum Abend aiu 
strengen und abarbeiten, um dem Bauch, der alle« arr 
sich reißt, nur immer neue Genüsse zu bereiten, damit 
er wollüstiger Ruhe pflegen könne? Sie wurden dem« 
nach eins, ihn nicht weiter zu unterhalten. Die Hand 
sollte von nun an keine Speise mehr zum Munde 
führen, der Mund die Speise nicht mehr annehmen, 
der Zahn sie nicht mehr zermalmen. Eine Zeit lang 
führten sie auch diesen Entschluß beharrlich aus. Doch 
endlich wurden sie mit Schrecken gewahr, daß dieser 
Anschlag, anstatt den Bauch zu demüthigen, und 
ihnen ersprießlich zu werden, vielmehr sie selbst 
mit dem Bauche zugleich in'» Verderben stürzte. 
Nun wurden sie inne, daß der Bauch ihnen eben sa 
wohl, wie sic ihm, nützlich und dienstbar sey, und 
daß er nicht bloß von ihnen genährt werde', sondern 
auch sie nähre, indem von ihm aus Nahrungssaft in 
alle Adern und alle Glieder ströme, und daß sie ihm 
gerade eben so viel verdankten, wie er ihnen. Nun 
schämten sie sich ihrer Verblendung und ihres Unwil« 
lens, und kehrten freudig zu ihrem Dienst zurück." 
Da hast du die Fabel des Römer« Agrippa, lic» 
be» Weib! mache damit, was du willst; ich bemerke 
nur noch, daß du keineswegcs gemeint bist, und daß 
sie auf dich ganz und gar nicht paßt; zugleich bitte 
ich de« und wehmüthig um den edel» Hausfrieden, 
und gebe dir in Demuth zu bedenken, was du wohl 
thun würdest, wenn dein Magen, auf den du, wir 
ich weiß, große Stücke hältst, und dem zu Ehren du 
neulich da» theure Kochbuch für a Thaler in Courant 
gekauft hast, einmal so schwach und hinfällig werden 
sollte, daß du sein gänzliches Hinsinken in Ohnmacht 
fürchten müßtest; ich denke doch, du würdest das Lehr 
re, was du noch hättest, und wäre es auch noch f» 
kostbar-, mit Freuden hingeben, wenn du ihm dadurch 
Stärkung erkaufen und seine gesunkene Kraft wieder 
herstellen könntest — würdest glauben, wenn du für 
ihn recht eifrig sorgtest, hättest du auch für dich 
gesorgt, weil du doch nun einmal von Kindheit ait 
mit ihm in einer so innigen uill> unauflöslichen Vers 
biitdung lebst. Was meinst du dazu? —„Ich meine 
nicht«, lieber- Reinhold r aber ich danke dir, daß du 
mir die alte Fabel wieder ins Gedächtniß gebracht 
hast, weil'» wirklich keine wahre Geschichte gieb«, 
die e» mit dieser Fabel an Wahrheit aufnehmen 
könnte. Mein heilere« Gesicht möge dir für dcii» 
Erzählung danken."
	        
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