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Staat« körp er« hineindenken, weil Ihr, auf Euren
engen häuslichen Wirkungskreis beschränkt, für da»
Allgemeine zu wenig Sinn und Interesse habt, und
weil die Natur Euch mit allen Banden Eure» leben«
digen Gefühls an Han» und Kinder gefesselt hat.
Jetzt aber solltet Ihr doch wirklich mit allem Ernste
diese Idee Eurer Seele einprägen, denn e« könnte ja
kommen, daß der Staat noch etwas weit Größeres,
als Gold und Silber von Euch begehrte, die Lieb«
Unze Eure« Herzens, die hoffnungsvollen Söhne, die
Ihr mit Sorge und Selbstverleugnung aufgezogen
habt; und wie wird es dann um Eure Herzensruhe
stehen, wenn die Trennung von dem, was der Rost
verzehr«, wonach die Diebe graben und stehlen, schon
Eurem Herzen so viel Seufzer erpreßt und so viel
Kummer bereitet? — „O, lieber Mann, nimm es
mir nicht übel, wie sehr du auch sonst alle Verfiel«
lung hassest, dicßmal ist deine Ergcbring und Groß,
muth nichts weiter, als eine Rolle, die du spielst,
um dich über mich zu erheben, und mich deine mann«
liche Ucbcrlcgenheit fühlen zu lassen, oder auch, um
mich ei» wenig zu quälen, denn boshaft seyd ihr
Männer alle." — Ich sehe wohl, meine Beste, ich
muß dir die Fabel erzählen, welche der Römer Me«
nenius Agrippa einst einem Volkshaufen erzähl«
re, der im Begriff war, durch aufrührerische Unter,
nchmungen die Ruhe und das Glück des Staats zu
zerstören; nur will ich zum voraus bitten, daß du
mich nicht gleich anfangs mit dem Ausruf unter«
brichst, den ick) kommen sehe: ach die abgedroschene
Fabel habe ich längst zum UcbcrLruß gehört und
gelesen; denn ich weiß in der That für dich mid
für alle die, welche deine« Sinnes find, keinen atu
deren Rath, als daß sie sich diese Fabel erzählen
lassen, zuvor aber auch sich ernstlich vornehmen,
daß sie nicht nur fein geduldig, und hübsch auf«
merksam zuhören, sondern auch dann so- reiflich, als
es ihnen nur möglich ist, nachdenken, erwägewund
prüfen wollen. — „Nun, ich will mich entschließen^
die Fabel des Herrn Agrippa, den ich nicht kenne,
geduldig anzuhören, besonders da ich mich diesen Au,
genbliL nicht erinnern kaun, sie schon gehört zu hg«
ben. Also erzähle!"
„In alten Zeilen^ da jede« Glied de» Leibe»
noch für sich selbst denken und wählen konnte, be,
schloffen einst alle Glieder cinmüthig ^ sich wider den
Bauch zu empören. Warum, sprachen sie unwillig, ^
sollen wir un« denn vom Morgen bi« jum Abend aiu
strengen und abarbeiten, um dem Bauch, der alle« arr
sich reißt, nur immer neue Genüsse zu bereiten, damit
er wollüstiger Ruhe pflegen könne? Sie wurden dem«
nach eins, ihn nicht weiter zu unterhalten. Die Hand
sollte von nun an keine Speise mehr zum Munde
führen, der Mund die Speise nicht mehr annehmen,
der Zahn sie nicht mehr zermalmen. Eine Zeit lang
führten sie auch diesen Entschluß beharrlich aus. Doch
endlich wurden sie mit Schrecken gewahr, daß dieser
Anschlag, anstatt den Bauch zu demüthigen, und
ihnen ersprießlich zu werden, vielmehr sie selbst
mit dem Bauche zugleich in'» Verderben stürzte.
Nun wurden sie inne, daß der Bauch ihnen eben sa
wohl, wie sic ihm, nützlich und dienstbar sey, und
daß er nicht bloß von ihnen genährt werde', sondern
auch sie nähre, indem von ihm aus Nahrungssaft in
alle Adern und alle Glieder ströme, und daß sie ihm
gerade eben so viel verdankten, wie er ihnen. Nun
schämten sie sich ihrer Verblendung und ihres Unwil«
lens, und kehrten freudig zu ihrem Dienst zurück."
Da hast du die Fabel des Römer« Agrippa, lic»
be» Weib! mache damit, was du willst; ich bemerke
nur noch, daß du keineswegcs gemeint bist, und daß
sie auf dich ganz und gar nicht paßt; zugleich bitte
ich de« und wehmüthig um den edel» Hausfrieden,
und gebe dir in Demuth zu bedenken, was du wohl
thun würdest, wenn dein Magen, auf den du, wir
ich weiß, große Stücke hältst, und dem zu Ehren du
neulich da» theure Kochbuch für a Thaler in Courant
gekauft hast, einmal so schwach und hinfällig werden
sollte, daß du sein gänzliches Hinsinken in Ohnmacht
fürchten müßtest; ich denke doch, du würdest das Lehr
re, was du noch hättest, und wäre es auch noch f»
kostbar-, mit Freuden hingeben, wenn du ihm dadurch
Stärkung erkaufen und seine gesunkene Kraft wieder
herstellen könntest — würdest glauben, wenn du für
ihn recht eifrig sorgtest, hättest du auch für dich
gesorgt, weil du doch nun einmal von Kindheit ait
mit ihm in einer so innigen uill> unauflöslichen Vers
biitdung lebst. Was meinst du dazu? —„Ich meine
nicht«, lieber- Reinhold r aber ich danke dir, daß du
mir die alte Fabel wieder ins Gedächtniß gebracht
hast, weil'» wirklich keine wahre Geschichte gieb«,
die e» mit dieser Fabel an Wahrheit aufnehmen
könnte. Mein heilere« Gesicht möge dir für dcii»
Erzählung danken."