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O du strahlst gleich tausend Sonnen
In der weiten Nacht der Welt,
Selbst das Chaos ist zerronnen,
Da dein Licht cs aufgehellt.
r Trennt das Schicksal unsre Herzen,
Zürnt uns rauhe Uebcrmacht:
Dann bist Du es, die der Schmerzen,
Die der Gcißelhiebe lacht,
Die des Kerkers dunkle Wände
Schmückt mit ros'gcm Morgenlicht,
Sterbend einst um unsre Hände
Myrrhen seel'ger Wollust flicht.
Nächster an der Ew'gen Throne
In der holden Engel Schaar;
Heil'ge Unschuld! mit der Krone
Dusi'ger Lilien in dem Haar:,
O! vor deinem Lichlgefieder,
Don des Aethers Strahl gewebt.
Stürzt die Hölle machtlos nieder,
Und der Fürst der Lüge bebt.
Doch mit thränenvollen Blicken
Mitleid! schwebst du erdcnwäri«.
Und ein höheres Entzücken
Strömt in jedes Menschenherz,
Und auf deinen sanften Pfaden
Führst du wilder Löwen Brut,
Und an deinem seidnen Faden
Bändigst du des Tigers Wuth.
Dank sey unserm Gott gesungen!
Preist ihn hoch! lobflnget Ihm!
Stimmt mir Myriaden Zungen
In den Psalm der Seraphim!
Einen Kranz hat Er gebunden.
Einen Kranz von Cherubim
Um das Erdenrund gewunden:
Ehr und Preis gebührt nur Jhmk
Chor.
Klingt Schallmcyen! Lispelt Flöten!
Zn den strömenden Gesang!
Wirbelt Pauken! schallt Drommeten!
Schmettert in der Cymbeln Klang l
Rauschet Harfen! rauscht Ihm, Lieder!
Stürmt in der Posaune Hall!
Orgel brause! brause nieder
Donnernd wie des Bergstroms Fall.
T. H. Friedri ch.
Wie sich die Zeilen ändern.
fünfzehnten Jahrhunderte hciralhete Sire Col-
bin Campbell, ein berühmter Ritter in Schott»
band, die Tochter des Grafen von Angus.
Sie wurde für eine der reichsten Erbinnen im
Lande gehalten, weil fic sechshundert Mark, —
etwa zweihundert Thaler nach unserm Gelde,
— zur Mitgabe brachte, welches in den alten Familien»
Nachrichten eine prächtige Aussteuer genannt wird.
Kurfürst George Wilhelm von Branden
burg wurde zu einer Taufe als Taufzeuge gebeten.
Er trug dies Geschäft einem seiner Hofbedienren auf,
und die deshalb von ihm eigenhändig unterschriebene
Anweisung bestimmte zur Bestreitung der Kosten vier
Gulden, fünfzehn Groschen pr., nehmlich:
Einen Thaler als Parhengeschenk,
Einen Gulden dem Pfarrer und
F u n f z e h n G r o s ch e n der Hebamme.
Welch ein Abstand von den Sitten »unsrer Zeit! —
Jetzt kostet eine Hochzeit oft mehr als die ganze Mit
gift der reichsten Erbinn des Grafen von Angus,
und der geringste fürstliche Diener muß ein größere«
Pathengefchcnk spenden, als ein mächtiger Kurfürst.
Sind wir aber glücklicher, als unsre Vorfahren?
Wer wagt dies zu behaupten.
Nur dann werden wir uns wieder jener ver»
fchwundenen Zeilen edler Einfalt freuen können, wenn
wir uns von dem Entbehrlichen entwöhnen, wenn
wir die Tempel des Luxus zerstören, seinen Altaren
keinen Weihrauch mehr streuen, unsre Hausgötter,
Faulheit und Sucht nach Vergnügen, verjagen und
dafür Arbeitsamkeit und Sparsamkeit zu unsern Gör,
tinnen wählen; wenn wir aufhören, Sklaven einer
frevelhaften Pracht und eines niedrigen Hochmuth«
zu seyn, und unsre Ehre darin setzen, daß unsre Ein-.
nähme mit unsern Ausgaben nie in Mißverhältniß
komme^ Wahrlich, die jetzige Zeit ist ganz dazu ge
macht, uns diese heilsame Wahrheit mit lauter Stim
me zu predigen, aber wehe uns, wenn nur die bit
terste Armuth das einzige Mittel seyn sollte, bas tief
eingewurzelte Uebel auszurotten.
'1 m •■■■—
Altdeutsche Charakteristik einiger vater
ländischen Städte.
Es ist interessant zu sehen, wie unsre Vorältern
über sich selbst dachten, und mit welcher Naivetät
sie ihre Eigenheiten charakteriflrten.
Ein alter Reim schildert zum Beispiel einige
Märkische Städte auf folgende Weise: