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Volume Nr. 78., 27. December 1806

Full text: Berlin oder der preußische Hausfreund (Public Domain) Issue1.1806 (Public Domain)

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schwebten die Töne durch die Nacht. Wehmüthige 
Klagen ergossen sich, und es war mir, als lägen wir 
alle auf den Knieen, voller Beschämung und Reue. 
Immer tiefer und tiefer stiegen die Töne hinab, 
als wollten sie verhallen; da erscholl die Melodie des 
Weihnachtsliedes. Auch in diesen Melodieen wohnt 
ein Gefühl erfüllter Sehnsucht, wie cs seit der alten 
Zeit kein Künstler wiederzugeben vermögt hat, und 
die daher um diese Zeit in allen Kirchen erschallen 
sollten. — Da zerfloß plötzlich die Nacht, es wurde 
Heller und Heller, es war, als konnte die Gemeinde 
die Empfindung nicht länger verbergen, und wir alle 
brachen hervor mit unserem Gesänge. Zch sahe den 
Fimmel sich öffnen, die Engel erschienen den Hirten, 
verkündend die große Freude, die allem Volke wie- 
derfahren sollte. Zch weinte Freudenthränen. Nach 
geendigtem Gesänge bestieg der Prediger die Kanzel, 
und in einer einfachen kindlichen Sprache erzählte 
er, was vor zweiZahrtausenden in dieser Nacht sich 
Wunderbares begeben habe. Der gute Alte machte 
wenige Worte, man sahe, er sprach aus dcmHerzen. 
Nachdem er geschlossen, fiel die Orgel wieder gewal 
tig ein. Der Prediger blieb stehen, und vereint mit 
der Gemeinde sang er die letzten Verse des Liedes. 
Mit diesem Wonnegefühl im Herzen kehrten wir alle 
nach Hause, das uns hell erleuchtet und freudenvoll 
aufnahm. Wir empfingen mancherlei schöne Geschen 
ke, die mich an die große Gabe des Himmels erin 
nerten, von der uns der Prediger erzählt hatte, und 
welchem Mißbrauch auch diese heilige Sitte ausge 
setzt seyn mag, so soll sie in meinem Kreise doch 
bleiben, denn sie verbirgt einen tiefen und hohen 
Sinn. Zeder, der nur etwas hätte, jeder Haus 
vater und jeder Freund, sollte an diesem Tage deit 
Seinigen Geschenke darreichen, zur Erinnerung an 
die große Schenkung de» Vaters der Menschheit. 
Die Worte der Mutter schienen einen allgemct- 
uen Eindruck hervorgebracht zu haben. Sophie, von 
neuem erheitert und belebt, rief aus: O herrlicher 
Tag für alle Christen, der sie den Krieg und alles 
Leiden vergessen lassen sollte! O Tag des Friedens, 
welcher der Menschheit verkündet ist, an dem die 
Gläubigen des Krieges nicht.gedenken werden, da 
ihnen die Ruhe des Herzens geschenkt ist! O Tag 
des Reichthums und der Fülle, an dem sie den Ver 
lust ihrer irrdischen Güter nicht betrauern werden, 
da ihnen der unvergängliche Schatz verliehen ist? 
O glänzender Tag eines neuen Lebens, an bem ne 
Ihre Dahingegangenen nicht beweinen werden, da 
ihnen das- Kind der neuen Schöpfung geboren wor 
den. Nein, es bedarf der äußern Ruhe, der ver 
gänglichen Schätze, der irrdischen Liebe nicht, um zu 
jenem innern Frieder,, zu jenem ewigen Kleinod, zu 
jener himmlischen Liebe »u gelangen. 
Die Kinder kehrten von ihrem Feste zunick, Freu 
de «nd Erwartung im Gesicht. Ei/ es war recht 
schön, riefen sie mit froher Entzückung; ials sie in 
dessen iden Bruder erblickten, riefen sie wie erschreckt: 
der will un« Kindern aber keine Freude ginnen. Er 
sagte gar, ein Tag wäre wie der andere, und das 
ist doch nicht wahr! er ist ja heut Weihnachten. 
O ihr Glücklichen, sagte der Alte, wie beneide 
ich euch in eurer Unschuld! Könnte ich doch werden 
wie ihr! Bei diesen Worten küßte er sie, und die 
Kinder schlungen ihre Lermchen um ihn, und hin, 
gen sich an ihn. Auch Sophie trat zu ihm und küßte 
ihn. O meine Tochter, — sie unterbrach ihn: ich bin 
nicht mehr unglücklich, Vater, mein Gatte sank als 
Opfer, wie ja jeder Mensch ein Opfer seyn sollte 
für alle, wie unser Herr, dessen Tag wir heute 
feiern, auch ein Opfer ward feines Glaubens für 
nns glle. 
Da öffneten sich die beiden Flügelthürm zu dem 
kleinen Saale des Hauses. Die Mutter hatte in der 
Stille alles anordnen lassen. Die Tische waren schön 
erleuchtet, die Kronen glänzten darüber. Den Haupt 
tisch schmückte ein stille Landschaft, Hirten weideten 
ihre Heerden, und chatten ihren Blick nach der neu 
aufgehenden Sonne gerichtet. Mancherlei wohlbe 
kannte Gestalten aus der heiligen Geschichte schmück 
ten das Ganze. Rundherum standen kleine Tische, 
auf denen ein jeder seine Gabe fand. Die Freude 
der Kinder war ohne Gränzen. Dem alten Vater 
perlten Thränen in den Augen, er dankte der Gat 
tinn herzlich für den überraschenden Augenblick. O 
wäre nur Einer hier, so wäre ich wieder der alte 
glückliche Dorste». Sophie' that einen Schrei des 
Entsetzens, als ihr Herrmann herein trat. Er war 
in seiner gewöhnlichen weißen Kleidung, und hielt ei 
nen grünen Zweig in der Hand. Die helle Erleuch 
tung des Saals verwandelte die Gestalt in eine über, 
irdische Erscheinung. Der muchig« Alte schrie freudig: 
Alsa war es nur eine Täuschung für uns,, eine 
schreckliche Verwechselung des Trauerboten? — Zch 
komme meinem Volke und euch heut als Friedensbote 
meines geliebten Königs, sagte der Erschienene, und 
überreichte der erschrockenen Gattinn den Oehkzweig. 
Nein, rief diese, es ist der Lorbeer deines Heldento 
des aus jener Welt. Er umarmte die Gattin innig. 
O der doppelten Gabe» des heutigen Tages, rief die 
Mutter, so kaun nur des Himmels Gnade unsere 
Schmerzen trösten. Der ältere Sohn und der Lehrer 
sahen die,em wunderbaren Schm,spiele kalt und gleich 
gültig zu. Vater und Mutter mngaben die ne» sich 
Wiedergefundenen, denen der Oehlzweig als eine neu- 
aufgehende Sonne glänzte. Die Kinder jauchzten 
ihrer Schwester emgegen: Siehst du, der Vater hat . 
dir den lieben Herrmann wicdergeschenkt, weil wir 
ihn darum gebeten haben. Er hat dir auch einen 
Kranz mitgebracht. Wäre es doch, rief der alte Va 
ter, der wahrhafte Kranz des Friedens, so wäre ich 
wieder der alte glückliche Dorsten.
	        
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