Nr. 6g.
iZo6.
Berlin
0 d t t
d c r Preußische Hausfreund.
Sonnabend, den 22. November.
Die Einwohner Berlins
im Monath Oktober 1806.
§)en 9t-?n Oktober fliegt daS Manifest des Königs von
Preußen in viel taufend Exemplaren durch Europa.
Aller Lippen offnen nw jutn Scegtii für die Armee,
Aller Wünsche verschmelzen in Einen — Erhaltung
K) BaterlandeS. Kaum hat die gesoannte Erwartung
dessen, was kommen soll, begönne,!: so fäürun auch
schon von allen Seiten Unglück verkündend« Nachrich«
tcn herbei. „Der König har esse Hauptschlacht ver
loren" liest man an ben Eile» Berlin», der Bürger
verhalte sich ruhig.', Vergebens forscht man, etwas
Näheres zu erfahren; tauseno Gerüchte, eben so un
vereinbar als unverbürgt, durchschwärmen die Stra
ße». Kaum eine» Moment von beruhigenden Nach
richten getäuscht, bald wieder von Wahrheit und kluge
gemartert, wissend und nicht wissend, verleben wir
drei Tage der Quaal. Nur die Gewißheit de« Un
glücks ist im Steigen. All« Bande der Ordnung lö
sen sich. Die ersten Staatsbehörden hören in ihrer
Wirksamkeit auf. Jedes öffentliche Geschäft stockt.
Die Kostbarkeiten und Schätze des H»f«S werden fort-
geschickt. Die Beamten cntftrnen sich. Furcht, Schrek-
ken und Angst jagt den verzagten Bürger au« seiner
Werkstatt in geschäftigem Müßiggang durch die Stra
ßen der Stadt. Der Sohn verläßt seinen Vater, der
()>»»embrr. III.)
Gatte sein Weib und seine Kinder. Jeder flüchtet
und rettet Eigenthum und Leben, und wie «ine aus
gerollte Staubwolke stürzen sich Menschen und Wagen
durch die Thore Berlins.
Furchtbar wehmüthiger Anblick! EineKinigSstadt,
fängst noch stolz auf die Majestät ihrer Beherrscher,
setzt hirrenlos im ängstlichen Gefühl einer bedrohten
Unterwürfigkeit; so eben noch sorglos durch tteberfluß
erheiternder Lebensbedürfnisse, setzt geängstigt durch die
Furcht vor einer schrecklichen Zukunft; ehemals freund,
lich durch die Einflüsse der Kunst und Wissenschaft, jetzt
den trüben Blick nur.aus da« Eine, was Noth thut,
hingerichtet; bisher ein Müller der Ordnung und Ge
setzlichkeit, setzt rin Bild der Verwirrung und Anar
chie! da» Vertrauen jiir Armee wie zu sich selbst ist
verloren, der Muth gesunken, die Hoffnung auf ein
günstige« Schicksal gebrochen, und selbst die Sehnsucht
nach dem Besseren erstirbt unter der Kälte des allge-
mcincii Schreckens.
Doch, wie die Wogen des Meeres sich beruhigen,
weun der erste Sturm sich legt, so dampft sich dar
wilde Getümmel Berlins, fohald die erste Bestürzung
die Scmülher erschöpft hat. Aber ein »euer Orkan
reget sich auf. Schrecklicher al« der äußere Feind dro
het der innere. Derläumdung und Haß und Lüg« und
Schadenfreude, und wie alle im Finstern schleiche de
Feinde im Gefolge der Bosheit heiße» mögen, craeuern
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