Migration, Integration, Asyl
Politische Entwicklungen in Deutschland 2015
Jährlicher Bericht der deutschen nationalen Kontaktstelle
für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN)
Kofinanziert durch die
Europäische Union
Migration, Integration, Asyl
Politische Entwicklungen in Deutschland 2015
Jährlicher Bericht der deutschen nationalen Kontaktstelle
für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN)
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2016
Zusammenfassung
5
Zusammenfassung
Der Politikbericht 2015 der deutschen nationalen Kontaktstelle für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN)
gibt einen Überblick über die wichtigsten politischen
Diskussionen sowie politischen und legislativen Entwicklungen in den Bereichen Migration, Integration und Asyl
in der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2015.
Dabei nimmt der Bericht auch Bezug auf Maßnahmen,
die die Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung des
Gesamtansatzes für Migration und Mobilität, der EUStrategie zur Bekämpfung des Menschenhandels sowie
der Europäischen Agenda zur Integration von Drittstaatsangehörigen getroffen hat. Zudem stellt der Bericht die
allgemeine Struktur des politischen und rechtlichen
Systems in Deutschland dar.
Zentrale migrations-, integrations- und asylpolitische
Themen des Jahres 2015 waren die massiv gestiegene
Asylmigration und der Umgang damit. Wichtige Punkte
der Debatte waren dabei:
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■■
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Willkommensinitiativen und Unterstützungsnetzwerke
für Schutzsuchende,
Übergriffe auf und fremdenfeindliche Stimmungsmache gegen Schutzsuchende und ihre Unterkünfte,
Migranten und Muslime,
Grenzkontrollen, Grenzsicherung, Grenzschließung
und Obergrenzen,
Verschärfung des Asylrechts für einzelne Herkunftsgruppen und Erleichterungen für andere sowie
die Integration von Schutzsuchenden in die deutsche
Gesellschaft.
Der Bundestag hat im Laufe des Jahres 2015 eine Reihe
von gesetzlichen Änderungen beschlossen; diese umfassen
u. a. die folgenden Maßnahmen:
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■■
■■
■■
Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der
Aufenthaltsbeendigung (Inkrafttreten: 1. August 2015),
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz – Asylpaket I
(Inkrafttreten: 24. Oktober 2015),
Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (Inkrafttreten: 1. November 2015),
3. Opferrechtsreformgesetz (Inkrafttreten: 31. Dezember 2015).
Unterhalb der gesetzgeberischen Tätigkeit des Bundestags
hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
im Jahr 2015 die Beschäftigungsverordnung (BeschV) überarbeitet, welche die Grundlage der berufs- und qualifikationsgruppenspezifischen Zulassung von Erwerbsmigration
bildet.
Inhaltsübersicht
7
Inhaltsübersicht
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Zusammenfassung
5
Einleitung
13
Politische, rechtliche und institutionelle Entwicklungen
18
Legale Zuwanderung und Mobilität
21
Irreguläre Migration
37
Rückkehrmigration
41
Internationaler Schutz und Asyl
47
Unbegleitete Minderjährige und andere Gruppen
mit besonderen Schutzbedürfnissen
56
Maßnahmen gegen Menschenhandel
61
Migration und Entwicklung
66
Literaturverzeichnis
69
Abbildungsverzeichnis
84
Tabellenverzeichnis
84
Abkürzungsverzeichnis
85
Inhaltsverzeichnis
9
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
1
Einleitung
1.1
3
13
Allgemeine Struktur des politischen Systems und der Institutionen
im Bereich Migration und Asyl
14
Allgemeine Struktur des Rechtssystems im Bereich Migration und Asyl
16
Politische, rechtliche und institutionelle Entwicklungen
18
2.1
Allgemeine politische Entwicklungen
18
2.2
Überblick über die wichtigsten politischen Entwicklungen und Debatten
im Bereich Migration und Asyl
19
1.2
2
5
Legale Zuwanderung und Mobilität
21
3.1 Erwerbsmigration
21
3.1.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
21
3.1.2
Nationale Entwicklungen
22
3.1.3
Entwicklungen mit Bezug zur EU
24
3.2 Familienzusammenführung
24
3.2.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
24
3.2.2
Nationale Entwicklungen
25
3.2.3
Entwicklungen mit Bezug zur EU
26
3.3
Studium und Forschung
26
3.3.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
26
3.3.2
Nationale Entwicklungen
27
3.3.3
Entwicklungen mit Bezug zur EU
27
3.4
Sonstige legale Migration
27
3.4.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
27
3.4.2
Nationale Entwicklungen
28
3.5 Integration
29
3.5.1
Hintergrund und Kontext
29
3.5.2
Nationale Entwicklungen
30
10
4
5
6
Inhaltsverzeichnis
3.6
Staatsangehörigkeit und Einbürgerung
32
3.6.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
32
3.6.2
Nationale Entwicklungen
34
3.7
Management von Migration und Mobilität
34
3.7.1
Kontrolle der Grenzen
34
3.7.2 Frontex
36
Irreguläre Migration
37
4.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
37
4.2
Nationale Entwicklungen
38
4.3
Entwicklungen mit Bezug zur EU
40
Rückkehrmigration
41
5.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
41
5.2
Nationale Entwicklungen
42
5.2.1
Freiwillige Rückkehr
43
5.2.2
Zwangsweise Rückkehr
44
Internationaler Schutz und Asyl
47
6.1
Nationales Asylsystem
47
6.1.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
47
6.1.2
Nationale Entwicklungen
47
6.1.3
Entwicklungen mit Bezug zur EU
52
6.2
Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen
54
6.2.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
54
6.2.2
Entwicklung mit Bezug zur EU
54
6.3
Kooperation mit Drittstaaten, inklusive Neuansiedlung (Resettlement)
55
6.3.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
55
6.3.2
Nationale Entwicklungen
55
Inhaltsverzeichnis
7
8
9
11
Unbegleitete Minderjährige und andere Gruppen
mit besonderen Schutzbedürfnissen
56
7.1
Unbegleitete Minderjährige
56
7.1.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
56
7.1.2
Nationale Entwicklungen
56
7.1.3
Entwicklungen mit Bezug zur EU
59
7.2
Andere besonders schutzbedürftige Gruppen
59
7.2.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
59
7.2.2
Nationale Entwicklungen
60
Maßnahmen gegen Menschenhandel
61
8.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
61
8.2
Nationale Entwicklungen
62
8.3
Entwicklungen mit internationalem Bezug
64
Migration und Entwicklung
66
9.1
Hintergrund und allgemeiner Kontext
66
9.2
Nationale Entwicklungen
67
9.3
Entwicklungen mit Bezug zur EU
68
Literaturverzeichnis
69
Abbildungsverzeichnis
84
Tabellenverzeichnis
84
Abkürzungsverzeichnis
85
Einleitung
1
13
Einleitung
Aufbau und Inhalt
Der Politikbericht 2015 bietet einen Überblick über die
wichtigsten politischen Diskussionen sowie politischen
und legislativen Entwicklungen des Jahres 2015 im
Migrations-, Integrations- und Asylbereich in der Bundesrepublik, der aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit
stellen kann. Der Bericht wurde von der deutschen Kontaktstelle des Europäischen Migrationsnetzwerks (EMN)
beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
in Nürnberg erstellt.
derungen dieser Strukturen sowie allgemeine politische
Entwicklungen im Jahr 2015. Kapitel 2 skizziert themenrelevante politische und legislative Entwicklungen sowie
wichtige politische Debatten in Bezug auf Migration, Integration und Asyl. Die Kapitel 3 bis 8 sind den konkreten
politischen und rechtlichen Maßnahmen in spezifischen
Bereichen der Einwanderungs- bzw. Asylpolitik gewidmet. Kapitel 9 nimmt Entwicklungen in den Blick, die den
globalen Gesamtansatz zur Migrationsfrage betreffen.
Methoden
Gemäß Art. 9 Abs. 1 der Entscheidung 2008/381/EG des
Rates der Europäische Union vom 14. Mai 2008 über die
Einrichtung des EMN legt jede nationale EMN-Kontaktstelle jährlich einen Bericht über die „Migrations- und
Asylsituation in dem betreffenden Mitgliedstaat“ vor, in
dem neben rechtlichen Änderungen auch Weiterentwicklungen der Politik und einige grundlegende Statistiken
abgebildet werden. Dieser jährliche Bericht über die
Themenbereiche Migration, Integration und Asyl (kurz:
„Politikbericht“) soll den Informationsbedarf der Gemeinschaftsorgane der EU sowie der Behörden und Einrichtungen der Mitgliedstaaten durch „Bereitstellung aktueller,
objektiver, verlässlicher und vergleichbarer Informationen
zu Migration und Asyl“ decken und dadurch die Politikgestaltung in der EU unterstützen (Art. 1 Abs. 2 Entscheidung
2008/381/EG). Darüber hinaus sollen die im Rahmen des
EMN aufbereiteten Erkenntnisse auch der Öffentlichkeit
zur Verfügung gestellt werden. Die Europäische Kommission, die die Arbeit des EMNs koordiniert und kofinanziert,
erstellt zusätzlich zur Veröffentlichung der einzelnen
nationalen Politikberichte zu diesen Zwecken in eigener
Verantwortung auch themenspezifische EMN-Informs,
die auf den Politikberichten aus den einzelnen Mitgliedstaaten aufbauen und einen europäischen Vergleich der
nationalen Ergebnisse bieten.
Inhaltlich orientiert sich dieser mittlerweile elfte EMNPolitikbericht an den Berichten der Vorjahre. Er folgt dabei
weitgehend einer durch das EMN vorgegebenen Kapitelstruktur, die auch die anderen beteiligten EMN-Kontaktstellen der EU-Staaten bei der Erstellung ihrer nationalen
Berichte wählen.
Kapitel 1 gibt einen Überblick über die Struktur des politischen Systems, die bestehenden Institutionen, Verän-
Dem Politikbericht 2015 liegen zahlreiche Daten- und
Informationsquellen zugrunde. Die Ausführungen
basieren zum einen auf Informationen aus den Bundes
behörden sowie auf Sachinformationen aus den relevanten
Organisationseinheiten des BAMF. Zum anderen wurde
hinsichtlich politischer Debatten oder des Sachstandes zu
rechtlichen Entwicklungen vorrangig auf Publikationen
des BAMF und der Nationalen Kontaktstelle des EMNs
sowie auf Internetquellen zurückgegriffen, so etwa auf die
Drucksachen und Plenarprotokolle des Deutschen Bundes
tages und des Bundesrates, Verordnungs- und Gesetzesblätter sowie Verlautbarungen von Ministerien, Behörden
und Parteien in Presseerklärungen oder öffentlichen
Programmen. Themenbezogen wurden auch Mitteilungen
oder Publikationen von Nichtregierungsorganisationen
oder internationalen Organisationen einbezogen. Ergänzend wurde auch eine themenspezifische Auswertung
überregionaler Medien durchgeführt. Alle externen Quellen werden explizit ausgewiesen.
Die verwendeten Zahlen und Statistiken stammen überwiegend aus dem BAMF, dem Statistischen Bundesamt
(StBA) sowie der Bundesagentur für Arbeit (BA). Angesichts
der redaktionellen Fertigstellung des EMN-Politikberichts
2015 im März 2016 standen einige Daten zu Migrationssachverhalten für das Jahr 2015 noch nicht zur Verfügung.
Kriterium bei der Auswahl und Gewichtung der Ereignisse
war die Frage, welche Tatbestände bzw. Entwicklungen
besonders relevant für die Arbeit politischer Entscheidungs
träger – sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer
Ebene – sein könnten. Eine Eingrenzung musste insbesondere hinsichtlich des Abschnitts über „die wichtigsten politischen Entwicklungen und Debatten im Bereich Migration
14
Einleitung
und Asyl“ (Kapitel 2.2) erfolgen. Um das mögliche Themenspektrum nicht allzu breit zu fassen, wurden lediglich
solche Debatten als „wichtigste politische Debatten“ in
die Analyse aufgenommen, die ausführlich in Leitmedien
(überregionale Zeitungen, öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender) behandelt wurden und mit denen sich
die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag oder die
Landesparlamente befasst haben.
Begriffe und Definitionen
Die in diesem Bericht verwendete Terminologie orientiert
sich weitgehend am Glossar1 des EMNs. Begrifflichkeiten,
die speziell die Rechtslage in Deutschland betreffen, werden regelmäßig innerhalb des Textes bzw. in Fußnoten erläutert. Bei Zusammenhängen, die bereits Inhalt früherer
EMN-Politikberichte waren, wird auf die entsprechenden
Textstellen dieser Berichte verwiesen.
1.1 Allgemeine Struktur des politischen
Systems und der Institutionen
im Bereich Migration und Asyl
In der Bundesrepublik Deutschland erfolgen Politik
formulierung und Politikdurchführung im Rahmen eines
politischen Systems, in dem legislative und exekutive
Kompetenzen zwischen dem Bund und den 16 Ländern
aufgeteilt sind. Das exekutive System der Bundesrepublik
ist durch drei Arbeitsgrundsätze gekennzeichnet: das
Kanzlerprinzip, das Kollegialprinzip sowie das Ressortprinzip. Nach dem Kanzlerprinzip bestimmt die Bundes
kanzlerin bzw. der Bundeskanzler die Richtlinien der
Politik und leitet die Geschäfte der Bundesregierung.
Infolge des Kollegial- bzw. Kabinettsprinzips müssen
Fragen von allgemeiner politischer Bedeutung jedoch mit
den Ministerinnen und Ministern gemeinsam entschieden werden; das Kabinett muss mit Mehrheit zu einer
Entscheidung finden. Aus dem Ressortprinzip ergibt sich
schließlich eine spezielle Verantwortung für den jeweiligen ministeriellen Aufgabenbereich mit eigenen Handlungs- und Gestaltungsbefugnissen des Amtsinhabers.
Im Folgenden werden die Aufgaben- und Tätigkeitsfelder
der wichtigsten, in den Bereichen der Asyl-, Zuwanderungs- und Integrationspolitik zuständigen Akteure in
1 Glossar des Europäischen Migrationsnetzwerks: http://www.
bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/EMN/
Glossary/emn-glossary.html?nn=6144894 (21.03.2016).
knapper Form skizziert (für einen Überblick, siehe Fehsenfeld et al. 2008; Schneider 2012a).
Vorrangig ist das Bundesministerium des Innern (BMI)
zuständig. Es befasst sich neben der Vorbereitung von
Gesetzen auch mit der europäischen Harmonisierung und
übt die Dienst- und Fachaufsicht über das BAMF sowie die
Bundespolizei (BPOL) als zentrale operative Behörden aus.
Ein wichtiger Ort der Politikformulierung ist daneben die
Ständige Konferenz der Innenministerinnen und Innenminister sowie Innensenatorinnen und Innensenatoren
der Länder (IMK), an der beratend auch der Bundesminister des Innern teilnimmt. Die Konferenz findet gewöhnlich zweimal pro Jahr statt, wobei die jeweils einstimmig
gefassten Beschlüsse als politische Empfehlungen eine
hohe Bindungswirkung entfalten und sowohl auf Landeswie auf Bundesebene bei der Gesetzgebung und in der
Verwaltungspraxis berücksichtigt werden.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
befasst sich in Abstimmung mit dem BMI vor allem mit
den Grundlagen der Ausländerbeschäftigung sowie der
berufsspezifischen Integration in den Arbeitsmarkt.
Fragen der Arbeitsmigration und der Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt sind darüber hinaus Gegenstand der Konferenz der Ministerinnen und Minister bzw.
Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der
Länder (ASMK), die – ähnlich der IMK – der Zusammenarbeit und der Koordinierung der Länderinteressen im
Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik dient.
Im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes (AA) sind die
Auslandsvertretungen für Pass- und Visumangelegenheiten im Ausland zuständig.
Der bzw. die Beauftragte der Bundesregierung für Migra
tion, Flüchtlinge und Integration wird von der Bundes
regierung bestellt. Seit 2005 ist das Amt im Rang einer
Staatsministerin im Bundeskanzleramt angesiedelt. Die
Beauftragte hat die Aufgabe, „insbesondere die Bundes
regierung bei der Weiterentwicklung ihrer Integra
tionspolitik […] zu unterstützen“ (§ 93 Nr. 1 AufenthG)
und ist bei einschlägigen Gesetzgebungsvorhaben
einzubeziehen (§ 94 Abs. 1 AufenthG). Zu den weiteren
Aufgaben gehören die Förderung der Integration der in
Deutschland ansässigen Migranten sowie das Vorgehen
gegen Fremdenfeindlichkeit.2
2 Vgl. §§ 92 ff. des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).
Einleitung
Ähnlich der IMK treffen sich die für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister bzw. Senatorinnen und
Senatoren der Länder regelmäßig zu Konsultationen und
zur Abstimmung politischer Vorhaben im Bereich der
Integration (Integrationsministerkonferenz – IntMK).
Der bzw. die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ist beim BMI
angesiedelt und für die Koordinierung aller aussiedlerbezogenen Maßnahmen zuständig. Für nationale Minderheiten fungiert der Beauftragte als zentraler Ansprechpartner.
„Zusätzlich betreut er die in den Herkunftsgebieten der
Aussiedler verbliebenen Deutschen, koordiniert die Maßnahmen der Hilfenpolitik und übernimmt den Co-Vorsitz
der bestehenden Regierungskommissionen zu Angelegenheiten der deutschen Minderheiten“ (BMI 2016a).
Das BAMF ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMI und nimmt als Kompetenzzentrum für
Migration, Integration und Asyl vielfältige Aufgaben
wahr. Es prüft den in Deutschland verfassungsrechtlich
verankerten Schutz von Flüchtlingen vor Verfolgung und
führt alle Asylverfahren in Deutschland einschließlich
der Dublin-Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit
im Asylverfahren durch; es stellt sowohl die Flüchtlings
eigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)
als auch die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz
nach der Qualifikationsrichtlinie sowie für nationale
Abschiebungsverbote3 fest. Falls kein Schutzbedarf festgestellt wird, erlässt das BAMF ebenfalls die Abschiebungsandrohung und/oder -anordnung. Überdies koordiniert
das Bundesamt auch das humanitäre Aufnahmeprogramm des Bundes und der Länder sowie die Beteiligung
Deutschlands am Resettlement-Programm des UNHCR
(vgl. Kap. 6.3). Weitere Zuständigkeiten des BAMF betreffen
die Entwicklung und Durchführung des bundesweiten
Integrationsprogramms, angewandte bzw. politiknahe
Migrations- und Integrationsforschung, die Förderung
der freiwilligen Rückkehr (vgl. Kap. 5.2.1), die Führung des
Ausländerzentralregisters (Registerbehörde), die Anerkennung von Forschungseinrichtungen im Rahmen der sog.
3 Subsidiären Schutz erhalten Ausländer, weil ihnen im Her
kunftsland die konkrete Gefahr der Todesstrafe oder der
Folter oder anderer unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung droht oder weil sie im Herkunftsland durch einen
bewaffneten Konflikt erheblich gefährdet sind. Die Unzulässigkeit einer Abschiebung kann aus der Anwendung der
Europäischen Menschenrechtskonvention resultieren oder
wenn die Abschiebung zu einer erhebliche konkrete Gefahr
für Leib, Leben oder Freiheit im Zielstaat der Abschiebung
führen würde. Diese Gefahr kann auch aus einer schweren, im
Zielstaat nicht oder nicht angemessen behandelbaren Krankheit resultieren.
15
EU-Forscherrichtlinie, das Aufnahmeverfahren für jüdische Zuwanderer (vgl. Kap. 3.4), die Koordination zwischen
den für Erwerbsmigration zuständigen Behörden sowie
ausländer-, asyl- und staatsangehörigkeitsrechtliche Maßnahmen bei Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit
(detailliert: Fehsenfeld et al. 2008; Schneider 2012a).
Die rund 570 Ausländerbehörden der 16 Länder sind
zuständig für praktisch alle aufenthalts- und passrechtlichen Maßnahmen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)
und die Umsetzung der weiteren ausländerrechtlichen
Vorschriften, einschließlich Entscheidungen über
Abschiebungen und deren Organisation sowie für die
Prüfung von Abschiebungshindernissen, die außerhalb
der Zuständigkeit des BAMF liegen. Zweimal jährlich
findet ein Erfahrungsaustausch der Ausländerbehörden
der großen Städte statt.
Die BPOL ist eine Polizei des Bundes im Geschäftsbereich
des BMI. Ihr obliegt der grenzpolizeiliche Schutz des
Bundesgebietes (Grenzschutz), um unerlaubte Einreisen
zu verhindern und Schleusungskriminalität nachhaltig zu
bekämpfen. Der Grenzschutz umfasst dabei die polizei
liche Überwachung der Grenzen, die polizeiliche Kontrolle
des grenzüberschreitenden Verkehrs einschließlich der
Überprüfung der mitgeführten Grenzübertrittspapiere
und der Berechtigung zum Grenzübertritt. Darüber
hinaus gehören zum Grenzschutz die Grenzfahndung
sowie die Abwehr von Gefahren, die die Sicherheit der
Grenze beeinträchtigen (im Grenzgebiet bis zu einer
Tiefe von 30 km und an den Seegrenzen bis zu einer Tiefe
von 50 km). Die Aufgaben der BPOL ergeben sich aus
dem Gesetz über die Bundespolizei (BPolG) und anderen
Rechtsvorschriften des Bundes, z. B. aus dem AufenthG
(§ 71 Abs. 3 AufenthG) oder dem Asylgesetz (§ 18 AsylG).
Die aufenthaltsrechtlichen Zuständigkeiten der BPOL
beziehen sich u. a. auf die Einreiseverweigerung, die
Zurückschiebung und Abschiebung von Ausländern, die
nicht über ein Visum oder einen gültigen Aufenthaltstitel
verfügen, den Widerruf eines Visums in bestimmten Fällen sowie die damit einhergehenden ausländerrechtlichen
Begleitmaßnahmen (Schneider 2012a: 34). Im Rahmen
der Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die sich
unerlaubt im Bundesgebiet aufhalten, ist die BPOL u. a.
für die Koordination von begleiteten Rückführungen auf
dem Luftweg zuständig und arbeitet dabei eng mit anderen Behörden, insbesondere mit den Ausländerbehörden
(ABH), zusammen (Schneider 2012b: 34).
Das Bundesverwaltungsamt (BVA) ist – neben einer Vielzahl sonstiger administrativer Aufgaben im Bereich des
Bundes – für die Einreise- und Aufnahmeverfahren von
Spätaussiedlern zuständig. Ferner verarbeitet es die Daten
16
Einleitung
des Schengener Informationssystems (SIS),4 des VisaInformationssystems (VIS) sowie im Auftrag des BAMF die
Datensätze des Ausländerzentralregisters (AZR), bestehend
aus dem allgemeinen Datenbestand und der Visadatei.
1.2 Allgemeine Struktur des Rechts
systems im Bereich Migration und Asyl
Auch im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz sind
die Zuständigkeiten auf Bund und Länder verteilt. Grundsätzlich haben die Länder in allen Bereichen, für die nicht
explizit eine Bundeszuständigkeit festgelegt ist, das Recht,
Gesetze zu erlassen. Einige Bereiche unterliegen wiederum
der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes, während
der überwiegende Teil der sogenannten konkurrierenden
Gesetzgebung zugeordnet ist. Bei der konkurrierenden
Gesetzgebung haben die 16 Landesparlamente die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn der Bund von seiner
Zuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat
(Art. 70–74 GG). Faktisch sind die meisten Themen der
konkurrierenden Gesetzgebung durch ein Bundesgesetz
geregelt. Migrationsrelevante Fragen wie Staatsangehörigkeit, Freizügigkeit, Ein- und Auswanderung, Passwesen,
Melde- und Ausweiswesen sowie das Aufenthalts- und
Niederlassungsrecht für Eingewanderte sind in Gesetzen
auf Bundesebene geregelt. Gleichermaßen wurden alle
übergreifenden Gesetze im Bereich des Flüchtlings- und
Vertriebenenrechts bundesweit verabschiedet. Die einzigen bedeutsamen Politikfelder mit Migrationsbezug, die
nahezu ausschließlich im Kompetenzbereich der Bundesländer angesiedelt sind, sind Bildung, Forschung und das
Polizeiwesen, wobei Rückführungen ausreisepflichtiger
Personen und Dublin-Überstellungen in Zusammenarbeit
mit der BPOL bzw. dem BAMF organisiert werden.5
Auf der Ebene der Länder liegt die Zuständigkeit für
asyl- und ausländerrechtliche Fragen in der Regel bei
4 Daneben betreibt das Bundeskriminalamt (BKA) mit der
SIRENE-Datenbank eine Schnittstelle zwischen dem SIS und
nationalen Fahndungssystemen; siehe auch https://www.bka.
de/nn_196810/sid_1060E19D06B682598573AE8761A07191/
DE/ThemenABisZ/ElektronischeFahndungssysteme/elektro
nischeFahndungssysteme.html?__nnn=true (10.03.2015).
5 Aufenthaltsrechtliche Fragen werden darüber hinaus in einer
Vielzahl von Bund-Länder-Arbeitsgruppen erörtert. Vollzugsprobleme im Bereich der Rückführung von ausreisepflichtigen
Drittstaatsangehörigen sind Gegenstand der Arbeitsgruppe
Rückführung (AG Rück), einer Unterarbeitsgruppe der IMK
(siehe Kap. 1.1). In der AG Rück kooperieren die zuständigen
Organisationseinheiten der Innenministerien von Bund und
Ländern, wobei es auch zur Zusammenarbeit mit anderen
Behörden kommt.
den Innenministerien. In Baden-Württemberg besteht
seit Mai 2011 das Ministerium für Integration,6 das auch
für Grundsatzfragen der Ausländer-, Migrations- und
Integrationspolitik zuständig ist. Baden-Württemberg,
Berlin und Nordrhein-Westfalen verfügen über ein Integrationsgesetz.7 Auch wenn es ansonsten keine eigenen
Landesgesetze in den Bereichen Zuwanderung, Asyl und
Integration gibt, prägen die Bundesländer durch Erlasse
und Verwaltungsvorschriften insbesondere das Vollzugshandeln der Ausländerbehörden, also die administra
tive Umsetzung, nachhaltig mit. Außerdem nehmen sie
Einfluss auf die Gesetze des Bundes: Hier verfügen sie
mit dem Bundesrat, der aus Vertretern der 16 Landesregierungen gebildet wird, über umfassende Beteiligungsrechte und Veto-Möglichkeiten. Bei der Verabschiedung
von Gesetzen kommt dem Bundesrat eine ähnliche Rolle
zu wie den Oberhäusern oder Senatskammern in den
parlamentarischen Demokratien anderer Staaten. Im
Bundesrat wird jeder seitens des Deutschen Bundestages
gebilligte Gesetzentwurf beraten. Jedoch benötigen nur
diejenigen Gesetze die Zustimmung des Bundesrates, die
die Beziehungen zwischen Bund und Ländern besonders
berühren (sogenannte Zustimmungsgesetze). In allen anderen Fällen (bei sogenannten Einspruchsgesetzen) kann
die Ablehnung des Bundesrates durch eine qualifizierte
Mehrheit im Bundestag überstimmt werden. Da so gut
wie alle politischen Maßnahmen im Bereich Migration
und Asyl irgendeine Art von unmittelbarem Einfluss auf
die Bundesländer haben und ihnen zudem administrative
Aufgaben abverlangen, müssen entsprechende Gesetze in
der Regel die Länderkammer passieren.
Gesetze und Verordnungen
Die Grundlagen für das in Deutschland geltende Ausländerrecht finden sich im Völkerrecht, im europäischen
Gemeinschaftsrecht sowie im deutschen Verfassungsund Gesetzesrecht.
Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gewährt politisch
Verfolgten einen Anspruch auf Asyl. Die Prüfung des
Anspruchs findet im Rahmen des Asylverfahrens auf
6 www.integrationsministerium-bw.de (26.03.2016).
7 In Bayern beschloss das Kabinett am 23.02.2016, einen Entwurf für ein Bayerisches Integrationsgesetz in den Landtag
einzubringen, der bei den Oppositionsparteien umstritten ist
(Kirschner 2016). In Baden-Württemberg trat am 5.12.2015
das Partizipations- und Integrationsgesetz (PartIntG) in Kraft.
In Berlin trat am 28.12.2010 das Gesetz zur Regelung von
Partizipation und Integration in Berlin in Kraft. In NordrheinWestfalen gilt seit dem 14.02.2012 das Gesetz zur Förderung
der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration.
Einleitung
Grundlage des Asylgesetzes (AsylG; bis Oktober 2015 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG) statt.
Drittstaatsangehörigen, denen politische Verfolgung droht,
wird nach Maßgabe der Vorschriften im AsylG und im
AufenthG die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (GFK) zuerkannt. Auch die Regelungen zur Erteilung
von Aufenthaltstiteln an Asylberechtigte, anerkannte
Flüchtlinge, subsidiär Schutzberechtigte und Personen, bei
denen nationale Abschiebungsverbote festgestellt wurden,
finden sich im AufenthG (§ 25 Abs. 1 und 2 sowie Abs. 3
i. V. m. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG).
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist die gesetzliche Grundlage für Unterstützungsleistungen an Asylantragstellende während des laufenden Asylverfahrens sowie
an andere Ausländer, deren Aufenthalt nicht auf Dauer
angelegt ist.
Das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integra
tion von Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen
(Zuwanderungsgesetz – ZuwG),8 dessen Hauptinhalte am
1. Januar 2005 in Kraft traten, markiert eine grundlegende
Novellierung des Ausländerrechts.
Das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die
Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) –
Hauptbestandteil des Zuwanderungsgesetzes – ist die wichtigste Rechtsgrundlage für die Bereiche Einreise, Aufenthalt
und Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen. Es bestimmt
ferner den gesetzlichen Mindestrahmen staatlicher Angebote zur Förderung der Integration, der vor allem Sprach- und
Orientierungskurse vorsieht. Das AufenthG wird seit 2007
kontinuierlich überarbeitet. Die Ersteinreise von Drittstaatsangehörigen mit anschließendem Kurzaufenthalt richtet
sich hingegen nach den Regeln des Schengener Grenzkodex
(Verordnung (EG) Nr. 562/2006).9
Im Oktober 2009 trat die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AVwVAufenthG) in Kraft;
sie hat das vorrangige Ziel, die administrative Praxis bei
8 Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und
zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz – ZuwG) vom
30.07.2004 (BGBl. I S. 1950); einzelne Teile des Zuwanderungsgesetzes traten bereits am 06.08.2004 sowie am 01.09.2004 in
Kraft (vgl. Art. 15 Abs. 1 und 2 ZuwG).
9 Fragen des Aufenthalts und der Freizügigkeit von Bürgern
anderer EU-Staaten sind im zweiten Bestandteil des Zuwanderungsgesetzes geregelt, dem Gesetz über die allgemeine
Freizügigkeit von Unionsbürgern.
17
der Anwendung des AufenthG im gesamten Bundesgebiet
zu vereinheitlichen und entsprechende Mindeststandards
zu garantieren.10
Die wichtigste Rechtsgrundlage zur Verwaltung des behördlichen Datenbestandes über ausländische Staatsbürger
ist das Ausländerzentralregistergesetz (AZRG).
Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit wird durch
das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) geregelt. Es legt
unter anderem fest, unter welchen Voraussetzungen Zugewanderte eingebürgert werden können, unter welchen Bedingungen in Deutschland geborene Kinder ausländischer
Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten und
inwiefern eine mehrfache Staatsangehörigkeit möglich ist.
Unterhalb der Ebene der Bundesgesetze ist eine Reihe von
Verordnungen erlassen worden, die den rechtlichen Rahmen im Bereich des Aufenthaltes, der Beschäftigung und
der Integration von Eingewanderten sowie der Versorgung und der Verfahren beim Umgang mit Asylbewerbern
spezifizieren.
Die Aufenthaltsverordnung (AufenthV) regelt Detailfragen
in Zusammenhang mit der Einreise und dem Aufenthalt
im Bundesgebiet, mit Gebühren und Verfahrensvorschriften bei der Vergabe von Aufenthaltstiteln.
Die Beschäftigungsverordnung (BeschV) regelt die Verfahren der Zulassung zur Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt kraft Gesetz
haben.
Die Integrationskursverordnung (IntV) enthält Details zur
Umsetzung der Integrationskurse nach dem AufenthG,
darunter Teilnahmebedingungen, Datenübermittlung, Gebühren und die Grundstruktur der Kurse, Kursdauer sowie
Kursinhalte. Ferner regelt sie die Zulassungsverfahren für
öffentliche und private Kursanbieter.
Die Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung (AsylZBV)
enthält Bestimmungen zu den Kompetenzen und Zuständigkeiten der wichtigsten operativen Behörden im Asylverfahren. Dabei berücksichtigt sie wichtige Rechtsakte der
Europäischen Union wie die Dublin-Verordnung und die
‚EURODAC‘-Verordnung.
Die Einbürgerungstestverordnung (EinbTestV) regelt das
Testverfahren bei Einbürgerungen.
10 GMBl. Nr. 42–61 vom 30.10.2009, S. 877.
18
2
Politische, rechtliche und institutionelle Entwicklungen
Politische, rechtliche und
institutionelle Entwicklungen
2.1 Allgemeine politische Entwicklungen
Bürgerschaftswahl in Bremen
2015 wurden die Bürgerschaften (Landesparlamente) in
Hamburg und Bremen neu gewählt.
Bei den Bürgerschaftswahlen in der Freien Hansestadt
Bremen am 10. Mai 2015 entfielen 32,8 % der abgegebenen Stimmen auf die SPD, 22,4 % auf die CDU, 15,1 % auf
Bündnis 90 / Die Grünen, 9,5 % auf die Partei DIE LINKE
sowie 6,6 % auf die FDP. Mit 5,5 % gelang der AfD im ersten
Versuch der Einzug in die Bürgerschaft. Mit 3,2 % konnte
sich zudem die Partei BiW (Bürger in Wut) einen Parlamentssitz sichern (Landeswahlleiter Bremen 2015).
Die Parteien SPD und Bündnis 90 / Die Grünen einigten
sich auf die Fortsetzung ihrer Koalitionsregierung und
wählten Carsten Sieling (SPD) als Nachfolger von Jens
Böhrnsen (SPD) zum Bürgermeister. Als Innensenator
wurde Ulrich Mäurer (SPD) im Amt bestätigt. Vorsitzender der staatlichen Deputation für Soziales, Jugend und
Integration wurde Klaus-Dieter Möhle (SPD), zuständige
Senatorin Anja Stahmann (Bündnis 90 / Die Grünen).
Bürgerschaftswahlen in Hamburg
Am 15. Februar 2015 fanden die Wahlen zur Hamburger
Bürgerschaft statt. Dabei erhielt die SPD 45,6 % der abgegebenen Stimmen. Die CDU konnte 15,9 % der Stimmen
auf sich vereinen. Die Partei Bündnis 90 / Die Grünen erhielt 12,3 % und die Partei DIE LINKE 8,5 % der Stimmen.
Auf die FDP entfielen 7,4 % der Wählerstimmen, während die Alternative für Deutschland (AfD) mit 6,1 % den
erstmaligen Einzug in das Hamburger Landesparlament
schaffte (Statistisches Amt für Hamburg und SchleswigHolstein 2015). Die SPD verlor ihre alleinige Mehrheit aus
der vorigen Legislaturperiode und einigte sich mit der
Partei Bündnis 90/Die Grünen auf die Bildung einer Koalition. Als Erster Bürgermeister wurde Olaf Scholz (SPD) im
Amt bestätigt. Als Innensenator wurde Andy Grote (SPD)
gewählt, während das Ressort für Arbeit, Soziales, Familie
und Integration von Melanie Leonhard (SPD) übernommen wurde.
In Bezug auf die Themen Migration, Integration und Asyl
wollen die Regierungsparteien laut Koalitionsvertrag u. a.
die Forderung einer generellen Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft festhalten, nicht zuletzt, um den
Eingewanderten volle politische Mitspracherechte zu
ermöglichen (SPD / Bündnis 90 / Die Grünen 2015a: 79).
Desweiteren soll die „Willkommenskultur in Hamburg“
ausgebaut werden, wozu „die weitere interkulturelle Öffnung der Hamburger Behörden, Ämter und öffentlichen
Unternehmen“ gehört (SPD / Bündnis 90 / Die Grünen
2015a: 80). Zudem sollen Sprach-, Alphabetisierungs- und
Integrationskurse für Personen unabhängig von ihrem
Aufenthaltsstatus geöffnet werden (SPD / Bündnis 90 / Die
Grünen 2015a: 80). Ferner soll für die Beratung und Behandlung von Folteropfern und traumatisierten Geflüchteten ein koordinierendes Zentrum aufgebaut werden, das
die bereits im Feld tätigen Akteure in ihrer Arbeit unterstützt (SPD / Bündnis 90 / Die Grünen 2015a: 103 f.).
In Bezug auf die Themen Migration, Integration und Asyl
hielten die regierenden Parteien im Koalitionsvertrag u. a.
fest, dass die Integration von Flüchtlingen über eine Unterbringung hinaus auch die Bereiche Bildung, Gesundheit und Arbeit betrifft (SPD / Bündnis 90 / Die Grünen
2015b: 6). Desweiteren wurde die Forderung festgehalten,
„das Asylbewerberleistungsgesetz auf Bundesebene abzuschaffen und stattdessen die Regelungen der Leistungen
für Einwanderinnen und Einwanderer in der Grund
sicherung zu verankern“ (SPD / Bündnis 90 / Die Grünen
2015b: 71). Letztlich will sich die Regierung für „eine
grundlegende medizinische Versorgung von papierlosen
Migranten und Migrantinnen, für Personen die im Wege
des Familiennachzuges einreisen, nicht-krankenversicherten EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern und Asylsuchenden“ einsetzen (SPD / Bündnis 90 / Die Grünen 2015b: 71;
vgl. Kap. 4.2).
Neue Leitung des Bundesamts
Nachdem der Präsident des BAMF, Manfred Schmidt,
am 17. September 2015, seinen Rücktritt erklärt hatte,
übernahm der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur
für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, am 18. September
Politische, rechtliche und institutionelle Entwicklungen
neben seiner Tätigkeit für die BA die Leitung des Bundesamts. Seitdem wird das Bundesamt einem umfassenden
Reformprozess unterzogen, um die steigenden Asyl
antragszahlen zu bewältigen. Neben der Schaffung neuer
operativer Abteilungen im Asylbereich und dem Aufbau
neuer Außenstellen kam es zu erheblichen Personalzu
wächsen (vgl. Kap. 6).
2.2 Überblick über die wichtigsten
politischen Entwicklungen und
Debatten im Bereich Migration
und Asyl
Die migrationspolitische Debatte 2015 wurde vor allem
durch das Thema der Asylmigration dominiert. Hinter
grund waren die steigenden Asylantragszahlen im
gesamten Jahresverlauf, aufgrund derer die offiziellen
Prognosen über die zu erwartende Flüchtlingsmigration
mehrfach nach oben korrigiert werden mussten. Der
Anstieg der Asylbewerberzahlen zog große Herausforderungen für Bund, Länder und Kommunen sowohl bei
der Registrierung, Unterbringung und Versorgung der
schutzsuchenden Menschen als auch bei der Durchführung der Asylverfahren nach sich. Ausgangspunkt für die
Potenzierung der Debatte im letzten Quartal 2015 war die
Entscheidung der Bundesregierung, das Dublin-Verfahren
zeitweise auszusetzen, um den sich in Ungarn stauenden
Schutzsuchenden die Weiterreise nach Deutschland zu
ermöglichen und so eine humanitäre Krise zu verhindern.
In der Folge kam es zu einem sprunghaften Anstieg der
Einreisen von Schutzsuchenden und stellte die Behörden
in den Grenzregionen sowie das Bundesamt vor immense
Herausforderungen. Um eine zügige Registrierung der
Eingereisten zu ermöglichen, führte Deutschland am
13. September 2015 vorübergehende Grenzkontrollen an
den Grenzen zu Österreich ein. Im Zuge dieser Entwicklungen kam es in Deutschland zu einer anhaltenden
gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung über die
Ausrichtung der Flüchtlingspolitik. Ein Schwerpunkt der
Debatte kreiste um die Frage, ob die Herausforderungen
der Flüchtlingskrise im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit unter prinzipieller Beibehaltung des Systems
offener Grenzen bewältigt werden sollen oder ob nationale
Lösungen inklusive Grenzschließungen angezeigt seien.
Während sich die Bundesregierung mehrheitlich innerhalb des ersten Lagers verortete, vertrat vor allem die
Regierung des besonders von der steigenden Einreise
betroffenen Freistaats Bayern die zweite Position. Die
CSU und Teile der CDU unterstützten dabei die Linie der
bayerischen Regierung.
19
Nichtsdestotrotz einigten sich die Koalitionsparteien in
der Folge auf verschiedene Reformgesetze. Hauptsächlich
handelte es sich dabei um:
■■
■■
■■
das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und
der Aufenthaltsbeendigung, mit dem u.a. das Ausweisungsrecht neu geregelt und eine alters- und stichtags
unabhängige Bleiberechtsregelung für geduldete
Ausländer eingeführt wurde, wodurch insbesondere
nachhaltige Integrationsleistungen berücksichtigt
werden,
das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, mit dem
u. a. Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren
Herkunftsländern erklärt, die Höchstdauer für den
Verbleib in Aufnahmeeinrichtungen erhöht, die Versorgung dort neu geregelt und Integrations- sowie
Arbeitsförderungsangebote für Personen mit hoher
Bleibewahrscheinlichkeit geöffnet wurden, sowie
das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung,
Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und
Jugendlicher, das sicherstellen soll, dass die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen gleichmäßig innerhalb
Deutschlands verteilt werden und das zudem das
Mindestalter zur Begründung der Handlungsfähigkeit
im Asylverfahren von 16 auf 18 Jahre anhebt.
Weitere Gesetze im Asyl- und Aufenthaltsrecht sind bzw.
sollen im Jahr 2016 verabschiedet werden.
Kritik an den Grenzkontrollen sowie den asyl- und auf
enthaltsrechtlichen Verschärfungen kam dagegen von den
Oppositionsparteien DIE LINKE sowie Bündnis 90 / Die
Grünen (vgl. u.a. Bündnis 90 / Die Grünen 2015; Deutscher
Bundestag 2015e; Deutscher Bundestag 2015 f; Jelpke 2015).
Neben den Auseinandersetzungen über rechtliche Maßnahmen war die Fluchtmigration auch Gegenstand intensiver gesellschaftspolitischer Debatten, die sich vor allem
im außerparlamentarischen, publizistischen Raum sowie
in den sozialen Medien abspielten, jedoch auch ihren
Widerhall in den Parlamenten fanden. Auf der einen Seite
konstituierte sich eine breite Willkommensbewegung für
Flüchtlinge, die sich für eine prinzipielle Öffnung der deutschen Gesellschaft gegenüber Schutzsuchenden einsetzte.
Sie reichte von ehrenamtlichen Flüchtlingshelferinnen
und -helfern, die bei der Registrierung und Versorgung
von Neuankömmlingen halfen, über zivilgesellschaftliche
Gruppen zur Förderung der Integration vor Ort bis zu
politischen Initiativen, die sich gegen pauschale Ablehnung und rassistische Stimmungsmache sowie gegen die
Verschärfungen des Asylrechts wandten. Unter anderem
gründeten sich Unterstützungsnetzwerke für Schutzsuchende, die neuankommende Geflüchtete mit Essen,
20
Trinken und Kleidung versorgten, medizinische Erstversorgung leisteten und/oder bei der Errichtung von Notquartieren halfen (Bendixen/Häusler 2015; Flüchtlingshilfe München 2015; McGuinness 2015;Connolly 2015;
Pleitgen/Mortensen 2015). Ein zentraler Bestandteil vieler
Unterstützungsangebote der Flüchtlingshilfe waren
kostenfreie oder vergünstigte Deutsch- und/oder Alpha
betisierungskurse, an denen sich auch Universitäten
beteiligten. Im Rahmen dieses Engagements entstanden
auf kommunaler Ebene eine Vielzahl neuer Strukturen
zur Integration Schutzsuchender.11 Nach einer von der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegebenen Studie engagierte sich Ende 2015 mehr als jeder
zehnte Bürger für Geflüchtete (Ahrens 2015).
Dem entgegen stand eine erstarkende zuwanderungs
kritische bis fremdenfeindliche Bewegung, die sich gegen
Zuwanderung und Flüchtlinge aussprach und von der
gesellschaftlichen Mitte bis zu rechtsnationalistischen und
neonazistischen Kreisen reichte. Ihren Ausdruck fand sie
in dem Verein Pegida (‚Patriotische Europäer gegen die
Islamisierung des Abendlands‘) in Dresden und dessen
diversen Ablegern in anderen deutschen Städten. Im
Umfeld dieser Bewegung kam es zu zahlreichen Demons
trationen, die oftmals auf gesellschaftlichen Widerstand in
der Form von Gegendemonstrationen stießen. Im Lauf des
Jahres 2015 fand diese Bewegung einen Bündnispartner
in der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Diese war
zunächst mit Euro-Kritik hervorgetreten, thematisierte
jedoch im Laufe des Jahres 2015 zunehmend die Kritik an
der Asylzuwanderung und -politik.
Das gesamte Spektrum von zuwanderungskritischer bis
offen rassistischer Bewegung zeichnete sich durch eine
hohe Präsenz in den sozialen Medien aus. In ihrem Umfeld kam es aber auch in der Praxis häufig zu Übergriffen
gegen Schutzsuchende, vermeintlich Nicht-Deutsche und
Flüchtlingshelferinnen und -helfer. Laut Bundeskriminal
amt (BKA) wurden im Jahr 2015 1.027 Straftaten gegen
Asylunterkünfte begangen, bei denen es sich in 177 Fällen
um Gewaltdelikte handelte. Damit vervierfachten sich die
Übergriffe und Angriffe auf Asylunterkünfte im Vergleich
zum Vorjahr (BKA 2016: 3; vgl. auch Blickle et al. 2015).
11 Ein Überblick zu lokalen und überregionalen Unterstützungs
initiativen findet sich unter http://www.proasyl.de/de/ueberuns/foerderverein/mitmachen/ sowie unter http://helpto.de/de.
Politische, rechtliche und institutionelle Entwicklungen
Legale Zuwanderung und Mobilität
3
21
Legale Zuwanderung
und Mobilität
3.1 Erwerbsmigration
3.1.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, die aktuell be
stehenden regionalen, berufsspezifischen und sektoralen
Arbeitskräftebedarfe und Fachkräfteengpässe vorrangig
durch das inländische Erwerbspersonenpotential zu
decken. Zu den bedeutenden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Handlungsfeldern gehören dabei die
verstärkte Aus- und Weiterbildung der vorhandenen
inländischen Arbeitskräfte, die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen, die Senkung
der Abbrecherquote unter Studierenden und Auszubildenden sowie die (Nach-)Qualifizierung der bereits in
Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Zuwanderung aus der Europäischen Union und
aus Drittstaaten soll laut Bundesregierung ergänzend
erfolgen, da angenommen wird, dass der Bedarf an
Fachkräften selbst durch eine bessere Mobilisierung des
inländischen Erwerbspersonenpotentials nicht vollständig gedeckt werden kann (BMAS 2015a). In diesem
Zusammenhang wird zudem davon ausgegangen, dass
sich Fachkräfteengpässe aufgrund der demographischen
Situation und dem damit verbundenen Rückgang des
Erwerbspersonenpotentials in Deutschland mittel- und
langfristig verschärfen könnten (Vollmer 2015).
Die §§ 16 bis 21 des Aufenthaltsgesetzes eröffnen in
Verbindung mit der Beschäftigungsverordnung und dem
Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz Drittstaats
angehörigen zahlreiche Wege für temporäre oder dauerhafte Aufenthalte in Deutschland – etwa zum Zweck der
Erwerbstätigkeit, für ausländische Absolventen deutscher
Hochschulen und Berufsausbildungsgänge oder für
Fachkräfte, Hochqualifizierte, Forscher und Selbständige,
die ihre Berufsqualifikationen teilweise oder vollständig
im Ausland erworben haben.
Nachdem es bereits 2009 zu zahlreichen Neuerungen u. a.
durch das Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz gekommen
war (BAMF/EMN 2010: 25 ff.), trat am 1. August 2012 das
Gesetz zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der
Europäischen Union in Kraft, mit dem die Blaue K
arte EU
in Deutschland eingeführt und der Arbeitsmarktzugang
für Hochqualifizierte und ausländische Studierende erleichtert wurde (BAMF/EMN 2013: 23).
Die Blaue Karte EU hat sich dabei auch im Jahr 2015 zu
einem aufenthaltsrechtlichen Instrument entwickelt, das
sich wachsender Nachfrage erfreut. Waren am 31. Dezember 2014 insgesamt 20.421 Drittstaatsangehörige mit einer
Blauen Karte EU in Deutschland aufhältig, so stieg ihre
Zahl nach Angaben des Ausländerzentralregisters (AZR)
bis zum 31. Dezember 2015 auf 26.679 Personen (Schmidt/
Rühl 2016: 28), wobei hier die Personen nicht mit inbegriffen sind, die 2015 in einen anderen Aufenthaltstitel
wechselten.12
Am 1. April 2012 trat zudem das Gesetz zur Verbesserung
der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen (sog. Anerkennungsgesetz,
BQFG) in Kraft. Es bezieht sich mittlerweile auf mehr als
600 Berufe, die durch Bundesrecht geregelt sind (BAMF/
EMN 2013: 22 f.). Damit war auf Bundesebene erstmalig
ein allgemeiner Rechtsanspruch auf Überprüfung der
Gleichwertigkeit eines ausländischen Berufsabschlusses
mit dem deutschen Referenzberuf geschaffen und die
Verfahren sowie die Kriterien für die bundesrechtlich
geregelten Berufe vereinheitlicht und erweitert worden.
Neben dem Bund haben mittlerweile auch alle Bundes
länder Gesetze zur Anerkennung von ausländischen
Bildungsabschlüssen für die landesrechtlich geregelten
Berufe (bspw. Lehrer, Erzieher, Ingenieure, Sozialpädagogen, etc.) in Kraft gesetzt. Als letztes Bundesland hat
Sachsen-Anhalt am 1. Juli 2014 ein entsprechendes Gesetz
erlassen (vgl. BMBF 2015: 38).
12 In der Gesamtzahl der Blaue Karte EU-Inhaber nicht enthalten
sind 2.813 Drittstaatsangehörige, die zuletzt mit einer Blauen
Karte EU im AZR registriert, zum Stichtag 31. Dezember 2015
jedoch nicht mehr in Deutschland aufhältig waren. Daneben
wurde an 8.211 Personen, die ab dem 1. August 2012 zunächst
eine Blaue Karte EU erhalten haben, in der Zwischenzeit ein
anderer Aufenthaltstitel vergeben. Von ihnen verfügen mittlerweile 7.571 Personen über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht;
den meisten davon wurde eine Niederlassungserlaubnis nach
§ 19a Abs. 6 AufenthG erteilt (6.669 Personen).
22
Mit den zahlreichen Erleichterungen zur Einreise und
Arbeitsaufnahme für Hochqualifizierte in den vergangenen Jahren gehört Deutschland laut OECD mittlerweile
zu den OECD-Ländern „mit den geringsten Hürden
für die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte“
(OECD 2013).
Im Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes
am 1. April 2012 und dem Stichtag 31. Dezember 2014
wurden insgesamt 44.094 Anträge auf Anerkennung von
im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen gestellt.
Diese Zahlen erfassen dabei nur Berufe, die in die Zuständigkeit des Bundes fielen, d. h. dass die Gesamtzahl der
in Deutschland durchgeführten Anerkennungszahlen
deutlich darüber liegt.13
Legale Zuwanderung und Mobilität
Tabelle 1: Die 20 wichtigsten Herkunftsstaaten
der geprüften Berufsqualifikationen (2014)
Land der erworbenen
Berufsqualifikation
Anzahl
der Anträge
Polen
1.662
Rumänien
1.614
Bosnien-Herzegowina
1.020
Spanien
921
Russische Föderation
780
Ungarn
726
Österreich
639
Griechenland
552
Italien
546
Kroatien
510
Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufs
qualifikationen
Niederlande
495
Syrien
480
Im Jahr 2014 wurden insgesamt 19.806 Anerkennungs
verfahren bearbeitet (darunter 17.628 Neuanträge). Wie in
den Vorjahren betraf der überwiegende Teil der Anträge
auf Anerkennung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen medizinische Gesundheitsberufe (14.895 von
19.806 Anträgen). Von den im Jahr 2014 bearbeiteten
Verfahren entfielen allein 6.807 auf Ärztinnen und Ärzte,
5.352 auf Gesundheits- und Krankenpflegepersonal und
weitere 681 auf Physiotherapeutinnen und -therapeuten.14
In rund der Hälfte aller Fälle handelte es sich um ausländische Abschlüsse, die innerhalb der Europäischen Union
erworben wurden (10.293 Fälle), wobei die Liste der 20
wichtigsten Herkunftsländer von Rumänien (1.446) und
Polen (1.359) angeführt wurde. Weitere 5.016 Verfahren
beschäftigten sich mit Abschlüssen aus dem übrigen europäischen Ausland, 4.497 mit Qualifikationen, die außerhalb Europas erworben wurden. Tabelle 1 zeigt hierzu die
wichtigsten Ausbildungsstaaten der Antragsteller.
Serbien (ohne Kosovo)
480
Türkei
471
Ukraine
453
Bulgarien
447
Tschechische Republik
360
Ägypten
333
Slowakei
264
Iran
255
3.1.2 Nationale Entwicklungen
Beratungsleistungen zur Anerkennung von im Ausland
erworbenen Berufsqualifikationen
Die parallel zum Anerkennungsgesetz 2012 eingeführten Informations- und Beratungsangebote (BAMF/EMN
2013: 23) zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifi-
13 Vgl. https://www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/
statistik_zum_bundesgesetz.php (01.02.2016).
14 Vgl. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Presse
mitteilungen/2015/09/PD15_365_212.html (01.02.2016).
Quelle: Statistisches Bundesamt 2015
kationen wurden auch in den Jahren 2014 und 2015 rege
genutzt. Die Nachfrage ist hoch und in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Neben dem Online-Portal
www.anerkennung-in-deutschland.de wurde u. a. die
zentrale Hotline ‚Arbeiten und Leben in Deutschland‘ des
BAMF häufig von Interessierten aus dem In- und Ausland
kontaktiert. Im Rahmen der Demographie-Strategie der
Bundesregierung hat die genannte Hotline15 am 1. Dezember 2014 ihren Servicebetrieb aufgenommen, wodurch ein
mehrsprachiges Angebot geschaffen wurde, das einwanderungsinteressierten Fachkräften, Studierenden und
Auszubildenden eine persönliche telefonische Beratung
zu Themen wie Einreise, Aufenthalt, Ausbildungsmöglichkeiten, Arbeitsplatzsuche und Berufsanerkennung bietet.
15 Vgl. http://www.make-it-in-germany.com/de/fuer-fachkraefte/
make-it-in-germany/hotline (07.04.2016).
Legale Zuwanderung und Mobilität
Zwischen dem 2. April 2012 und dem 30. September 2015
hat es über diesen Informationskanal insgesamt 39.650
telefonische Beratungen zu 454 Referenzberufen mit Personen aus 170 verschiedenen Staaten gegeben. Zum Vergleich: Zum Stichtag 30. September 2014 waren es 23.931
Beratungsgespräche zu 395 Berufen mit Staatsangehörigen
aus 164 Ländern gewesen.16 Wie im Vergleichszeitraum
des Vorjahres – wenngleich auch mit leicht sinkender
Tendenz – verfügte dabei rund ein Drittel aller Ratsuchenden über Abschlüsse, die in Polen (7,9 %), der Russischen
Föderation (7,5 %), in der Türkei (5,6 %), in Rumänien (4,8 %)
oder in der Ukraine (4,8 %) erworben wurden.17
Bereits seit 2005 arbeitet das Förderprogramm ‚Integration durch Qualifizierung (IQ)‘ an einer Verbesserung der
Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Migrationshintergrund. In der Förderperiode 2015–2018 ist das Qualifizierungsprogramm um den Schwerpunkt ‚ESF-Qualifizierung
im Kontext des Anerkennungsgesetzes‘ erweitert worden,
wobei das zentrale Interesse darin besteht, dass im Ausland
erworbene Berufsqualifikationen häufiger zu einer dem
Beruf entsprechenden Beschäftigung führen. In den gut
40 Erstanlaufstellen, die im Rahmen des vom BMAS, BMBF
und der BA getragenen Programms gefördert werden,
wurden Erstinformationen für jene Personen bereitgestellt,
die an einer Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Berufsqualifikation interessiert waren (BAMF/EMN
2013: 23). Im Zeitraum zwischen dem 1. August 2012 und
dem 30. September 2015 sind 55.921 Personen aus 175 Ländern zu 486 Referenzberufen von IQ-Anlaufstellen beraten
worden. Da viele Interessenten mehrere Beratungskontakte hatten, liegt die Beratungsleistung mit insgesamt 86.679
Beratungskontakten noch weit darüber. Auch hier der
Vergleich: Im Zeitraum zwischen dem 1. August 2012 und
dem 30. September 2014 wurden 32.674 Personen aus 165
Ländern zu 428 deutschen Referenzberufen beraten. Die
Gesamtzahl der Beratungsgespräche lag bei 48.951, wobei
sich in den Gesprächen herauskristallisierte, dass die meisten Anerkennungsverfahren für die Berufe Lehrer (11,2 %)
und Ingenieur (8,4 %) angestrebt werden. Insgesamt verfügte rund ein Drittel aller Ratsuchenden über Abschlüsse,
die in Polen (10,8 %), in der Russischen Föderation (10,2 %),
in Syrien (6,1 %) oder in der Ukraine (6,0 %) erworben
wurden.18
23
Änderung des Anerkennungsgesetzes
Das Anerkennungsgesetz des Bundes ist am 22. Dezember
2015 gemäß den Vorgaben der Richtlinie 2013/55/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 geändert worden. Dabei wurde zum einen das
Spektrum von Qualifikationsnachweisen, die anerkannt
werden können (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 und § 9 Abs. 2 Nr. 3 BQFG),19
erweitert, zum anderen wurde ein Rechtsanspruch auf
einen schnelleren Zugang zu einer im Zuge des Anerkennungsverfahrens notwendigen Eignungsprüfung implementiert. In § 11 Abs. 4 BQFG heißt es nun:
„Hat sich die Antragstellerin oder der Antragsteller für
eine Eignungsprüfung nach Absatz 3 entschieden, muss
diese innerhalb von sechs Monaten abgelegt werden
können. Legt aufgrund entsprechender berufsrechtlicher Regelungen im Sinne des Absatzes 3 die zuständige
Stelle fest, dass eine Eignungsprüfung zu absolvieren
ist, so muss diese innerhalb von sechs Monaten ab dem
Zugang dieser Entscheidung abgelegt werden können.“
Änderung des Aufenthaltsrechts
Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen ist Teil der Gesamtstrategie der Bundesregierung zur mittel- und langfristigen Sicherung der
Fachkräftebasis in Deutschland. (Neu-)Zuwanderern mit
ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen soll durch
die formale Anerkennung ihrer Qualifikationen insbesondere in Bereichen, in denen sich schon heute Fachkräfteengpässe abzeichnen, eine berufsadäquate Beschäftigung
ermöglicht werden. In diesem Zusammenhang wurde das
AufenthG geändert. Der am 1. August 2015 in Kraft getretene § 17a AufenthG sieht vor, dass Drittstaatsangehörige
zum Zwecke der Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen eine Aufenthaltserlaubnis für
die Durchführung von Bildungsmaßnahmen und einer
sich daran anschließenden Prüfung in Deutschland erhalten können. Wenn von einer „nach den Regelungen des
Bundes oder der Länder für die berufliche Anerkennung
zuständigen Stelle festgestellt wurde, dass Anpassungsmaßnahmen oder weitere Qualifikationen
1. für die Feststellung der Gleichwertigkeit der Berufs
qualifikation mit einer inländischen Berufsqualifikation
oder
16 Vgl. www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/891.php
(25.02.2014).
17 Vgl. http://www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/
daten_bamf_hotline.php (13.01.2015).
18 Vgl. https://www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/
daten_beratung.php (02.02.2016).
19 In der Neufassung ist nicht mehr nur von „Befähigungsnachweisen“ oder „Berufserfahrung“ die Rede, sondern zugleich von
„sonstigen nachgewiesenen einschlägigen Qualifikationen“.
24
2. in einem im Inland reglementierten Beruf für die
Erteilung der Befugnis zur Berufsausübung oder für
die Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufs
bezeichnung
erforderlich sind“ (§ 17a Abs. 1 AufenthG), dann kann eine
Aufenthaltserlaubnis für eine Dauer von bis zu 18 Monaten
erteilt werden. Um Missbrauch zu verhindern, muss im Falle
einer überwiegend betrieblich durchgeführten Bildungsmaßnahme ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegen.
Der Aufenthaltstitel erlaubt eine von der Ausbildungsmaßnahme unabhängige Beschäftigung von bis zu zehn Stunden
pro Woche und soll ganz allgemein dazu beitragen, jene
fachlichen, praktischen und/oder (fach-)sprachlichen Defizite zu beseitigen, die einer berufsadäquaten Beschäftigung
entgegenstehen (Dienelt 2015: XXVIII).
3.1.3 Entwicklungen mit Bezug zur EU
Volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Kroaten
Während für Angehörige der im Jahr 2007 der EU beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien bereits seit
dem 1. Januar 2014 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit
gilt (Hanganu/Humpert/Kohls 2014), galten für Angehörige der am 1. Juli 2013 der Gemeinschaft beigetretenen
Republik Kroatien diesbezüglich Einschränkungen. Die
Arbeitnehmerfreizügigkeit war von der Bundesregierung
zunächst nach der sogenannten ‚2+3+2-Regelung‘ eingeschränkt worden. Nach dieser Regelung kann die Gewährung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit – gerechnet
ab dem Beitrittszeitpunkt – zunächst um zwei, danach
um drei und gegebenenfalls nochmals um weitere zwei
Jahre hinausgeschoben werden. Die erste Phase dieser
Übergangsbestimmung endete am 30. Juni 2015. Mit Verweis auf die positive wirtschaftliche Gesamtlage hat die
Bundesregierung der EU-Kommission mitgeteilt, dass sie
von der rechtlich möglichen Verlängerung der bis dahin
geltenden Einschränkungen keinen Gebrauch machen
wird. Seit 1. Juli 2015 gilt daher auch für Staatsangehörige
der Republik Kroatien die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. War in dieser ersten Phase auch die Dienstleistungsfreiheit für kroatische Staatsangehörige eingeschränkt,
so dürfen kroatische Bauunternehmen, Gebäudereinigungs- und Innendekorationsfirmen seit dem 1. Juli 2015
Dienstleistungen in Deutschland erbringen und ihre
Arbeitnehmer uneingeschränkt entsenden.20
20 Vgl. https://www.bundesregierung.de/Content/DE/
Artikel/2015/06/2015-06-17-arbeitnehmerfreizuegigkeitkroatien.html (03.02.2016).
Legale Zuwanderung und Mobilität
3.2 Familienzusammenführung
3.2.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Ehe und Familie unterliegen in Deutschland dem besonderen Schutz durch das Grundgesetz (Art. 6 GG). Daher
kann Drittstaatsangehörigen der Aufenthalt bei ihren in
Deutschland aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (im Wesentlichen bezogen auf die Kernfamilie) erlaubt
werden. Einreise und Aufenthalt von ausländischen
Ehegatten und Kindern sowie von Eltern und sonstigen
Familienangehörigen von Deutschen und in Deutschland
lebenden Drittstaatsangehörigen sind in den §§ 27–36 AufenthG geregelt. Der Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen zu in Deutschland lebenden EU-Staatsbürgern
findet dagegen auf Grundlage der §§ 3 und 4 FreizügG/
EU statt.
Um die Integration von Ehegatten in Deutschland zu
erleichtern, müssen ausländische Ehepartner von in
Deutschland lebenden Drittstaatsangehörigen und
Deutschen vor der Einreise nach Deutschland unter
bestimmten Voraussetzungen einfache Sprachkenntnisse
nachweisen. Diese Regelung soll auch dazu beitragen,
Zwangsheiraten zu verhindern. Beim Nachzug zu Personen aus bestimmten Ländern wird auf den Nachweis
von Sprachkenntnissen verzichtet (bspw. Australien,
Japan, Kanada und USA), gleiches gilt beim Nachzug zu in
Deutschland aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, die Inhaber bestimmter Aufenthaltstitel sind, etwa
einer Blauen Karte EU. Das Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG) hat am 4. September 2012 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass das gesetzliche Erfordernis des
Nachweises deutscher Sprachkenntnisse beim Nachzug
ausländischer Ehegatten zu Deutschen nur eingeschränkt
gilt. Das Visum zum Ehegattennachzug muss demnach
auch dann ausgestellt werden, wenn Bemühungen zum
Erwerb einfacher Sprachkenntnisse im Einzelfall nicht
möglich, nicht zumutbar oder nicht innerhalb eines Jahres erfolgreich sind. Beim Nachzug von Ehegatten zu ausländischen Staatsangehörigen gilt diese Regelung nicht,
im Einzelfall kann eine unverhältnismäßige Trennung
der Ehegatten jedoch durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Spracherwerb im Bundesgebiet vermieden
werden (BVerwG 10 C 12.12, Urt. v. 04.09.2012; vgl. auch
BAMF/EMN 2013: 24 f.). In der Regel müssen Antragstellende für ein Visum zum Zweck der Familienzusammenführung bereits vor der Einreise nach Deutschland einen
Sprachnachweis über einfache Deutschkenntnisse auf
der Kompetenzstufe A1 des Gemeinsamen europäischen
Referenzrahmens für Sprachen (GER) erbringen (BAMF/
EMN 2011: 25; BAMF/EMN 2012: 33, 41 f.).
Legale Zuwanderung und Mobilität
25
3.2.2 Nationale Entwicklungen
Familiennachzug zu Resettlementflüchtlingen
Hinsichtlich der Familienzusammenführung hat es durch
das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der
Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 zahlreiche rechtliche Änderungen gegeben, etwa im Familiennachzug zu
subsidiär Schutzberechtigten, zu Resettlementflüchtlingen
oder zu gut integrierten Jugendlichen. Das Gesetz trat am
1. August 2015 in Kraft (vgl. BMI 2015c).
Flüchtlinge, die im Rahmen des Resettlementprogramms
in Deutschland aufgenommen werden, erhalten seit
dem 1. August 2015 eine Aufenthaltserlaubnis nach dem
neu geschaffenen § 23 Abs. 4 AufenthG. Sie sind seitdem
Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen in ihren
Rechten gleichgestellt und können ihre Familienangehörigen dementsprechend nach Deutschland holen. Es gelten
die gleichen Voraussetzungen wie bei Asylberechtigten
und anerkannten Flüchtlingen.
Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten
Das Gesetz umfasste auch ein Familiennachzugsrecht für
subsidiär Schutzberechtigte, wobei noch Ende des Jahres
eine Gesetzesinitiative zur erneuten Aussetzung gestartet wurde und Anfang 2016 durch Art. 2 des Gesetzes zur
Einführung beschleunigter Asylverfahren die Aussetzung
des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten für
zwei Jahre neu in Kraft trat (s. § 104 Abs. 13 AufenthG).
Das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und
der Aufenthaltsbeendigung hatte hingegen vorgesehen,
dass subsidiär Schutzberechtigte mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 AufenthG
bzw. Personen, die als subsidiär Schutzberechtigte eine
Niederlassungserlaubnis auf Grundlage von § 26 Abs. 4
AufenthG besitzen, „ihre Familienangehörigen unter
den gleichen Voraussetzungen wie Asylberechtigte und
anerkannte Flüchtlinge nachholen“ können (DRK 2015: 1).
Neu dabei war, dass im Falle von Kinder- oder Ehegattennachzug weder die Sicherung des Lebensunterhalts noch
das Vorhandensein ausreichenden Wohnraums nachgewiesen werden musste, wenn der Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb von drei Monaten nach der
„unanfechtbaren Anerkennung als Asylberechtigter“ oder
der „unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes oder nach Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 4 AufenthG gestellt“
wurde (§ 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG). Änderungen
ergaben sich auch beim Erfordernis des Sprachnachweises: Während der nachziehende Ehegatte von subsidiär
Schutzberechtigten mit einer Aufenthaltserlaubnis schon
vorher keinen Nachweis deutscher Sprachkenntnisse beibringen musste, galt dies seit dem 1. August 2015 bis zur
erneuten Aussetzung auch für nachziehende Ehegatten
von subsidiär Schutzberechtigten, die über eine Niederlassungserlaubnis verfügen, sofern die Ehe bereits bestand,
bevor der subsidiär Schutzberechtigte seinen Lebens
mittelpunkt nach Deutschland verlagert hatte (§ 30 Abs. 1
Satz 3 Nr. 1 AufenthG).
Familiennachzug zu Opfern von Menschenhandel
Der Familiennachzug zu Opfern von Menschenhandel,
die eine Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 25
Abs. 4a AufenthG besitzen, war bislang ausgeschlossen.
Seit dem 1. August 2015 kann dieser unter Umständen
erlaubt werden, sofern die allgemeinen Voraussetzungen
für einen Familiennachzug erfüllt sind und der Nachzug
von Ehegatten und Kindern zudem aus humanitären oder
völkerrechtlichen Gründen oder zur Wahrung politischer
Interessen Deutschlands erfolgt. § 29 Abs. 3 AufenthG
wurde entsprechend geändert. Diese Regelung gilt vornehmlich für Ehegatten und Kinder von in Deutschland
aufenthaltsberechtigten Opfern von Menschenhandel, für
Eltern gelten weiterhin Einschränkungen im Familiennachzug.
Familiennachzug zu gut integrierten Jugendlichen
und Heranwachsenden
Der Familiennachzug zu bleibeberechtigten Jugendlichen
und heranwachsenden Geduldeten, die eine Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 25a Abs. 1 AufenthG
erhalten haben, war bislang ausgeschlossen. Seit dem
1. August 2015 kann der Nachzug eines Ehegatten und von
minderjährigen ledigen Kindern nach Deutschland jedoch
gestattet werden, sofern die allgemeinen Voraussetzungen
für einen Familiennachzug erfüllt sind und der Nachzug
aus humanitären oder völkerrechtlichen Gründen oder
aufgrund der Wahrung politischer Interessen Deutschlands
erfolgt. § 29 Abs. 3 AufenthG wurde entsprechend geändert.
26
3.2.3 Entwicklungen mit Bezug zur EU
Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse
beim Ehegattennachzug
Mit Wirkung zum 1. August 2015 wurde eine allgemeine
Härtefallregelung beim Ehegattennachzug eingeführt.
Beim Nachzug zu deutschen oder zu ausländischen Ehegatten kann nun von einem Nachweis von Sprachkenntnissen abgesehen werden, wenn „es dem Ehegatten auf
Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht möglich
oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen
zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen“ (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG).
Mit dieser Regelung setzte der Gesetzgeber die Bestimmung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) um, der am
10. Juli 2014 im sogenannten ‚Doğan-Urteil‘ entschieden
hatte, dass das 2007 eingeführte Spracherfordernis beim
Nachzug türkischer Ehegatten nicht mit der sog. Stillhalte
klausel des Assoziierungsabkommens mit der Türkei
vereinbar ist (C-138/13). Die Stillhalteklausel verbiete die
Einführung neuer Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, so die Richter in ihrem Urteil, d. h. dass alle Beschränkungen, die nicht schon bestanden, als diese Klausel
am 1. Januar 1973 in Deutschland in Kraft trat, rechtswidrig sind. Der 2007 eingeführte Sprachnachweis im
Herkunftsland erschwere die Familienzusammenführung
und stelle deshalb eine neue Beschränkung der Niederlassungsfreiheit von türkischen Staatsangehörigen im Sinne
dieser Klausel dar, so das Urteil. Der EuGH hatte darin
hervorgehoben, „dass die Familienzusammenführung ein
unerlässliches Mittel zur Ermöglichung des Familienlebens
türkischer Erwerbstätiger ist, die dem Arbeitsmarkt der
Mitgliedstaaten angehören, und sowohl zur Verbesserung
der Qualität ihres Aufenthalts als auch zur Förderung ihrer
Integration in diesen Staaten beiträgt“ (EuGH 2014).
3.3 Studium und Forschung
3.3.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Studium
Ausländische Studierende benötigen vor der Einreise
nach Deutschland ein nationales Visum der zuständigen
deutschen Auslandsvertretung. Davon ausgenommen sind
neben Studierenden aus den Staaten der Europäischen
Union auch Studierende aus Australien, Israel, Japan,
Kanada, der Republik Korea, Neuseeland sowie den USA.
Studierende aus Drittstaaten müssen die Voraussetzungen
für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Studien
Legale Zuwanderung und Mobilität
zwecken (§ 16 Abs. 1 AufenthG) erfüllen. Im Regelfall
sind das der Zulassungsbescheid21 einer anerkannten
deutschen Hochschule sowie der Nachweis darüber, dass
das erste Studienjahr finanziell abgesichert ist und ein
ausreichender Krankenversicherungsschutz vorliegt. Für
die Zulassung an einer deutschen Hochschule wird in
der Regel ein Nachweis über vorhandene Kenntnisse der
Unterrichtssprache verlangt (Mayer et al. 2012: 24–28).
Visa für ausländische Studierende werden in einem
beschleunigten Verfahren erteilt. Das Visum bedarf dabei
zwar grundsätzlich der ausdrücklichen Zustimmung der
für den künftigen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde. Sofern die Behörde gegenüber der Auslandsvertretung, bei der das Visum beantragt wurde, jedoch
nicht innerhalb einer Frist von drei Wochen und zwei
Arbeitstagen (Verschweigefrist) Bedenken erhebt, gilt die
Zustimmung als erteilt und das Visum wird ausgestellt.
In bestimmten Fällen ist keine Zustimmung erforderlich,
etwa bei Studierenden mit einem Stipendium einer deutschen Wissenschaftsorganisation oder einer deutschen
öffentlichen Stelle (Mayer et al. 2012: 24–28).
Nach der Einreise wird dem ausländischen Studierenden
eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Dabei umfasst der Zweck
des Studiums im weiteren Sinne auch Sprachkurse und
andere studienvorbereitende Maßnahmen.
Die Zahl der an deutschen Hochschulen immatrikulierten
ausländischen Studierenden ist in den letzten Jahren stetig
gestiegen: Waren im Wintersemester 2013/14 301.350 ausländische Studierende (Bildungsinländer und -ausländer)
an deutschen Hochschulen eingeschrieben (StBA 2014),
waren es im Wintersemester 2014/15 bereits 321.569, von
denen wiederum knapp die Hälfte (158.064) weiblich war
(StBA 2015: 13). Laut Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen soll die Zahl bis 2020 auf 350.000 erhöht werden
(CDU/CSU/SPD 2013: 29).
Nach dem erfolgreichen Studienabschluss eröffnet sich
Drittstaatsangehörigen die Option auf eine längerfristige oder sogar dauerhafte Perspektive in Deutschland:
So dürfen sich erfolgreiche Hochschulabsolventen auf
Grundlage von § 16 Abs. 4 AufenthG bis zu 18 Monate zur
Suche nach einer dem Hochschulstudium entsprechenden
Arbeitsstelle aufhalten und – sofern die Suche erfolgreich
21 Wer noch auf den Zulassungsbescheid wartet oder eine Aufnahmeprüfung machen muss, hat die Möglichkeit, ein Studienbewerbervisum zu beantragen. In Deutschland angekommen,
muss das Visum dann bei der Ausländerbehörde am Studienort
vorgelegt werden, die es in eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken umwandelt.
Legale Zuwanderung und Mobilität
erläuft – in einen Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken
v
wechseln (bspw. §§ 18 oder 19a AufenthG). Ähnliches
gilt für Drittstaatsangehörige, die in Deutschland eine
anerkannte Berufsausbildung absolvieren oder absolviert
haben (§ 17 AufenthG). Sie dürfen sich nach dem erfolgreichen Abschluss für einen Zeitraum von bis zu 12 Monaten
im Land aufhalten, um nach einer der Ausbildung entsprechenden Stelle zu suchen und – sofern die Suche erfolgreich verläuft – in einen entsprechenden Aufenthaltstitel
zu Erwerbszwecken wechseln (Grote/Vollmer 2016: 13 f.).
Forschung
Rechtsgrundlage für die Zuwanderung zu Forschungszwecken von Drittstaatsangehörigen ist seit August 2007
§ 20 AufenthG, mit dem die sog. EU-Forscherrichtlinie
(RL 2007/71/EG) umgesetzt wurde. Voraussetzung für die
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Forschungszwecken ist eine wirksam abgeschlossene Aufnahmevereinbarung zur Durchführung eines Forschungsvorhabens mit
einer vom BAMF akkreditierten Forschungseinrichtung.
Die Aufenthaltserlaubnis ist nicht an das durchzuführende
Forschungsvorhaben gekoppelt und erlaubt Forschenden darüber hinaus auch Lehrtätigkeiten (§ 20 Abs. 6
AufenthG). Das Visum für eine Aufenthaltserlaubnis zu
Forschungszwecken wird in der Regel in einem beschleunigten Verfahren erteilt. Ehegatten von Forschenden sind
zur Erwerbstätigkeit berechtigt (§ 27 Abs. 5 AufenthG).
Am 31. Dezember 2015 hielten sich nach vorläufigen
Angaben des AZR insgesamt 978 Forscher auf Grundlage
von § 20 Abs. 1 AufenthG im Land auf; davon sind 278 nach
dem 31. Dezember 2014 nach Deutschland eingereist.
Neben der Aufenthaltserlaubnis nach § 20 AufenthG werden Forschungstätigkeiten auch (und überwiegend) im
Rahmen eines Aufenthalts auf Grundlage der §§ 16, 18, 19
oder 21 AufenthG ausgeübt (vgl. Klingert/Block 2013), seit
dem 1. August 2012 auch auf Basis einer Blauen Karte EU
gemäß § 19a AufenthG (Beirat für Forschungsmigration
2013: 22).
3.3.2 Nationale Entwicklungen
Im Jahr 2015 hat es in diesem Politikfeld auf nationaler
Ebene keine rechtlich relevanten Entwicklungen gegeben.
27
3.3.3 Entwicklungen mit Bezug zur EU
Die Justiz- und Innenministerinnen sowie Justiz- und
Innenminister haben sich am 4. Dezember 2015 auf
gemeinsame Einreise- und Aufenthaltsregeln für Studierende, Forscherinnen und Forscher, Praktikantinnen und
Praktikanten sowie für Teilnehmende des Europäischen
Freiwilligendienstes (EFD) geeinigt. Den Mitgliedstaaten steht es dabei frei, diese auch auf Schülerinnen und
Schüler, Au-pairs sowie auf jene Personen anzuwenden,
die außerhalb des EFD in die EU kommen, um hier einen
Freiwilligendienst abzuleisten. Ziel ist es, die Einreisebedingungen, die Rechte und die unionsinterne Mobilität
der genannten Gruppen zu harmonisieren. Europa als
Ganzes soll dadurch als Wirtschaftsstandort gestärkt und
für mobile Talente attraktiver gestaltet werden.
Die Richtlinie sieht dabei unter anderem höhere zulässige
Wochenarbeitszeiten für Studierende vor, einen erleichterten Familiennachzug und Arbeitsmarktzugang für
Angehörige von Forscherinnen und Forschern sowie eine
erleichterte Mobilität für Studierende aus Drittstaaten,
die in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie
eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, einen Teil ihres
Studiums absolvieren wollen (bspw. innerhalb bestimmter
Programme wie ERASMUS+).22
3.4 Sonstige legale Migration
3.4.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Neben der Migration aus humanitären Gründen, zu
Ausbildungs- und Erwerbszwecken sowie zu Zwecken der
Familienzusammenführung bestehen auch für jüdische
Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion und für
deutsche Spätaussiedler Wege für eine Zuwanderung nach
Deutschland.
Jüdische Einwanderer
Seit 1990 nimmt Deutschland jüdische Einwanderer und
ihre Familienangehörigen aus den Nachfolgestaaten der
ehemaligen Sowjetunion auf.23 Dabei soll die Integration
der Einwanderer sowohl in die jüdischen Gemeinden
als auch in die deutsche Gesellschaft gefördert werden,
22 Vgl. http://www.europa.eu/rapid/press-release_IP-15-6256_
de.pdf (10.02.2016).
23 Vgl. Beschluss des Ministerrats der DDR vom 11.07.1990,
Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991.
28
Legale Zuwanderung und Mobilität
wobei Aufnahmevoraussetzungen wie der Nachweis der
jüdischen Herkunft, eine positive Integrationsprognose,
Grundkenntnisse der deutschen Sprache (Niveau A1) und
die Aufnahmemöglichkeit in einer jüdischen Gemeinde
die Erreichung des Ziels gewährleisten sollen. Ausnahmeregelungen bestehen für Opfer des Nationalsozialismus.
Diese sind von der ansonsten verpflichtenden Integrationsprognose ebenso ausgenommen wie vom Nachweis von Deutschkenntnissen. Familienangehörige von
Antragstellern können ebenfalls aufgenommen werden.
Die Rechtsgrundlage für die Aufnahme jüdischer Einwanderer ist § 23 Abs. 2 in Verbindung mit § 75 Nr. 8 AufenthG
und der Anordnung (AO) des BMI vom 24. Mai 2007 sowie
der Neufassung der BMI-AO vom 21. Dezember 2011.
§ 23 Abs. 2 AufenthG gestattet es dem BMI unter Beteili
gung der obersten Landesbehörden, Ausländer aus
einem besonderen politischen Interesse aufzunehmen.
Mit dieser Regelung wurde eine Rechtsgrundlage für die
Aufnahme jüdischer Emigranten aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion geschaffen, um den Wegfall des
Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer
Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge auszugleichen
(Storr 2008: Rn. 2).
(Spät-)Aussiedler
Im Jahr 2015 kamen 378 jüdische Einwanderer aus den
Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, was einen
Anstieg von knapp 60 % zum Vorjahr darstellt (2014: 237).
Zu erklären ist der Anstieg unter anderem mit den Kampfhandlungen in der Ostukraine. Grundsätzlich ist die Zahl
der in Deutschland aufgenommenen jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion allerdings seit dem
Jahr 2002 stark rückläufig.24 So kamen im Jahr 2002 noch
19.262 jüdische Personen und ihre Familienangehörigen
aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion
nach Deutschland.
Aufgrund des andauernden Konflikts in der Ostukraine
wurde für jüdische Einwanderer aus den Bezirken
Lugansk und Donezk eine Aufnahmezusage erteilt, die
ihnen auch ohne den grundsätzlich zu erbringenden
Sprachnachweis (Niveau A1) ermöglicht nach Deutschland
zu kommen, sofern alle anderen Voraussetzungen erfüllt
sind. Der Sprachnachweis ist nach der Übersiedlung nach
Deutschland innerhalb von 12 Monaten bei der für den
Wohnort zuständigen Ausländerbehörde vorzulegen.
Die entsprechende Anordnung durch das BMI trat im
Einvernehmen mit den Bundesländern am 13. Januar 2015
in Kraft.27
Nach Stand Dezember 2015 sind seit Beginn der statistischen Erfassung im Jahr 1993 insgesamt 206.535 jüdische
Einwanderer einschließlich ihrer Familienangehörigen im
geordneten Verfahren nach Deutschland eingereist. Hinzu
kommen 8.535 Personen, die vor Beginn der Statistik bzw.
außerhalb des geordneten Verfahrens bis zum Stichtag
10. November 1991 einen Antrag gestellt hatten. Somit
sind bis 2015 in diesem Verfahren insgesamt circa 215.000
Personen in die Bundesrepublik eingereist.
24 Eine Ausnahme bildet lediglich das Jahr 2006.
Seit 1950 sind mehr als 4,5 Millionen (Spät-)Aussiedler25
einschließlich ihrer Familienangehörigen in Deutschland
aufgenommen worden. Sie bilden eine der größten Einwanderergruppen im Land, was vor allem auf die hohen
Zuzugszahlen während der 1990er Jahre zurückzuführen
ist. Während im Jahr 1990 noch 397.073 Personen als
(Spät-)Aussiedler nach Deutschland kamen, ging ihre Zahl
in den Folgejahren stark zurück. Ein vorläufiger Tiefpunkt
der Einwanderungen war 2012 mit 1.817 Personen erreicht (Worbs et al. 2013). Seitdem sind die Zahlen wieder
gestiegen. 2013 kamen 2.429 Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen nach Deutschland, im Folgejahr waren
es 5.649 und im vergangenen Jahr 6.118. Von letzteren
kamen 6.096 aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen
Sowjetunion, 13 Personen aus Polen und 7 Personen aus
Rumänien.26
3.4.2 Nationale Entwicklungen
Jüdische Einwanderer
(Spät-)Aussiedler
Für Spätaussiedler aus der Ostukraine gelten seit Mitte 2014
einige Erleichterungen im Aufnahmeverfahren. Anträge
von Personen, die von Kampfhandlungen betroffen waren
25 Bis Ende 1992 zugewanderte Personen werden als Aussiedler
bezeichnet, alle danach gekommenen als Spätaussiedler.
Grundlage dieser Unterscheidung ist das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG).
26 Vgl. http://www.bund-der-vertriebenen.de/informationstatistik-und-dokumentation/spaetaussiedler/aktuelleaussiedlerstatistik.html (10.02.2016).
27 Vgl. http://www.kiew.diplo.de/Vertretung/kiew/de/05/JE__
Kontakt__Oeffnungszeiten.html (10.02.2016).
Legale Zuwanderung und Mobilität
und dies auch glaubhaft darlegen, können im schriftlichen
Verfahren prioritär behandelt werden. Auf die grundsätzlich beizubringenden Sprach- und Abstammungsnachweise
wird dabei jedoch nicht verzichtet. Personen, die alle Voraussetzungen für eine Aufnahme in Deutschland erfüllen,
denen aber zugleich nicht zugemutet werden kann, die
Aufnahmezusage in der Ukraine abzuwarten, können in der
für Spätaussiedler zuständigen Außenstelle des Bundesverwaltungsamtes in Friedland eine Härtefallregistrierung
beantragen. Voraussetzung ist hierbei, dass sie sich bereits
in Deutschland aufhalten.
3.5 Integration
3.5.1 Hintergrund und Kontext
Integration ist eine Querschnittsaufgabe und bildet
einen politischen Schwerpunkt der Bundesregierung. Die
Grundsatzzuständigkeit für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Zuwanderung und Integration fällt in den
Aufgabenbereich des BMI. Daneben sind auch weitere
Ministerien zuständig: insbesondere das BMAS, das BMBF,
das BMFSFJ sowie das BMWi. Operativ zuständig für die
Integrationsmaßnahmen des Bundes ist das Bundesamt.
Daneben stellt Integrationspolitik jedoch auch ein Tätigkeitsfeld von Ländern und Kommunen dar.
Mit dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz wurden zum ersten Mal Integrationsangebote
auf Bundesebene gesetzlich verankert (§§ 43–45 AufenthG).
Integration wird in Deutschland als Aufgabe verstanden,
für die sowohl der Bund als auch die Länder und Kommunen Verantwortung übernehmen. Der erste Integrationsgipfel im Jahr 2006, der 2007 von der Bundesregierung
vorgestellte ‚Nationale Integrationsplan‘, das im Jahr 2010
erarbeitete bundesweite ‚Integrationsprogramm‘ sowie
der im Jahr 2012 vorgestellte ‚Nationale Aktionsplan In
tegration‘ (NAP-I) stellen einige zentrale bundespolitische
Ereignisse und Wegweiser der Integrationspolitik dar.
Dabei ist die Integrationspolitik über die Jahre mit einer
Fokusergänzung einhergegangen. Die vormals leitende
Vorstellung einer einseitigen Integrationsleistung der
Eingewanderten an die aufnehmende Gesellschaft wird
mittlerweile um die Rolle der aufnehmenden Gesellschaft
sowie ihrer strukturellen und institutionellen Voraussetzungen zur Teilhabe ergänzt. Die aufnehmende Gesellschaft und ihre Institutionen werden seither stärker in die
Integrationsarbeit mit einbezogen, etwa bei der Verwirklichung von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem und
am Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnungsmarkt, indem
29
interkulturelle Kompetenzen gestärkt und der Anteil von
Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund in Schule,
Verwaltung und Unternehmen gefördert werden. Darüber
hinaus trat im Jahr 2006 das Antidiskriminierungsgesetz in
Kraft, das auch ethnisch und religiös motivierte Diskriminierung umfasst, und die Antidiskriminierungsstelle des
Bundes (ADS) wurde eingerichtet.
Bundesweit gesetzlich verankert sind Integrationsmaß
nahmen in den §§ 43–45 AufenthG. Kernstück der Inte
grationsmaßnahmen des Bundes ist der Integrationskurs.
Neben dem allgemeinen Integrationskurs, der einen
600-stündigen Sprachkurs und einen 60-stündigen
Orientierungskurs28 umfasst, gibt es Integrationskurse
für Analphabeten, Frauen/Eltern, Jugendliche (die nicht
mehr der Schulpflicht unterliegen) und junge Erwachsene
sowie Förderkurse mit einem 900-stündigen Sprachkurs
und 60-stündigen Orientierungskurs. Daneben stehen sog.
Intensivkurse für Zugewanderte bereit, die 430 Stunden
umfassen (400 Std. Sprach- und 30 Std. Orientierungskurs)
und für Personen gedacht ist, die z. B. einen Schul- oder
Ausbildungsabschluss vorweisen können, welche der
Hochschulreife in Deutschland entspricht, oder die eine
zeitnahe Arbeitsaufnahme anstreben (vgl. BAMF 2013a: 10).
Die Integrationskurse werden bundesweit von ca. 1.500
Trägern durchgeführt (v. a. von Volkshochschulen,
privaten Sprach- und Fachschulen, Bildungsstätten,
betrieblichen Fortbildungsstäten, Initiativgruppen und
kirchlichen Trägern). Von 2005 bis Ende 2015 haben über
1,32 Millionen Personen einen Integrationskurs begonnen – inkl. Kurs-Wiederholenden waren es fast 1,5 Millionen Teilnehmende (BAMF 2016b: 2). Insgesamt wurden
für die Integrationskurse von Anfang 2005 bis Ende 2015
2,03 Mrd. € investiert.
Daneben existiert noch eine Vielzahl weiterer Integrationsmaßnahmen sowohl auf Bundes- und Landesebene
als auch auf kommunaler Ebene. Besonders zu erwähnen
ist hierbei die Migrationsberatung für erwachsene Zu
wanderer (MBE). Dabei handelt es sich um ein zeitlich
befristetes, individuelles Beratungsangebot, das mit dem
Aufenthaltsgesetz 2005 eingerichtet wurde (§ 75 Nr. 9 i. V. m.
§ 45 Satz 1 AufenthG) und sich an Neueinwanderer im
Alter von über 27 Jahren richtet. Bei einem „nachholenden
Integrationsbedarf“ werden auch bereits länger hier lebende Einwanderer in der MBE beraten.29 Zusätzlich zu den
gesetzlich verankerten Integrationsangeboten fördert die
28 Geplant ist, den Orientierungskurs auf 100 Stunden auszuweiten.
29 Eine detaillierte Untersuchung der MBE findet sich bei
Brandt et al. (2015).
30
Bundesregierung Projekte zur sozialen und gesellschaftlichen Integration von Einwanderern. Diese unterstützen
die gesellschaftliche Teilhabe vor Ort und stärken den
gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Ankommen in der
Kommune, Begegnungen zwischen Zugewanderten und
alteingesessener Bevölkerung sowie die niedrigschwellige
Vermittlung von Werten stehen im Fokus. Die Migrantenorganisationen sind dabei wichtige Partner und Brückenbauer, das Ehrenamt wird unterstützt.
Ebenfalls zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die
Deutsche Islam Konferenz (DIK). Dabei handelt es sich um
ein Dialogforum zwischen Staat und muslimischen Verbänden. Die DIK wurde 2006 ins Leben gerufen mit dem
Ziel, die religionsrechtliche Integration des Islams und
gesellschaftliche Teilhabe der muslimischen Gläubigen in
Deutschland zu fördern. Inhaltlich beschäftigt sich die DIK
in der aktuellen Legislaturperiode mit zwei Sachthemen:
die Stärkung islamischer Wohlfahrtspflege sowie die Klärung organisatorischer Rahmenbedingungen zur Einführung islamischer Seelsorge in Bund, Ländern und Kommunen (Militär, Justizvollzugsanstalten, Krankenhäuser).
Legale Zuwanderung und Mobilität
wurden über Beitragsmittel der Arbeitslosenversicherung
finanziert, wobei die Kosten auf 320 bis 400 Mio. Euro
beziffert werden. Bis Jahresende nahmen insgesamt
222.282 Teilnehmende bundesweit bei den entsprechenden Bildungsträgern an einem solchen Einstiegskurs teil –
deutlich mehr als ursprünglich erwartet (BA 2016).
Aufbau einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung
mit Bundesmitteln
Mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom
20. Oktober 2015 (BGBl. I Seite 1722) wurde erstmals die
berufsbezogene Deutschsprachförderung im Aufenthaltsgesetz verankert (§ 45a AufenthG). Mit der berufsbezogenen Deutschsprachförderung sollen die Chancen auf dem
Arbeitsmarkt verbessert werden, was durch eine engere
Verzahnung des Spracherwerbs mit einer Berufsausbildung, einer Beschäftigung oder mit den Maßnahmen der
aktiven Arbeitsmarktpolitik erreicht werden soll. Sie wird
Mitte des Jahres 2016 neben dem Ende des Jahres 2017
auslaufenden ESF-BAMF-Programm eingeführt. Mit der
Durchführung ist das BAMF beauftragt.
3.5.2 Nationale Entwicklungen
Integrations- und Einstiegskurse für Asylantragstellende
mit hoher Bleibeperspektive
Mit dem am 24. Oktober 2015 in Kraft getretenen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz wurde Asylantragstellern
aus Ländern mit hoher Bleibeperspektive (derzeit: Eritrea,
Iran, Irak, Syrien) sowie Personen mit einer Duldung
nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG oder einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG der Zugang u. a. zu
den Integrationskursen des BAMF ermöglicht (BAMF
2015c: 1 ff.). Schutzsuchende aus Syrien, dem Irak, Iran und
Eritrea müssen daher nicht mehr zunächst als schutzberechtigt anerkannt sein, um an einem der genannten Kurse
teilzunehmen; eine Teilnahme ist damit nun zeitlich früher
möglich.
Daneben bestand für Asylbewerber aus den oben genannten vier Herkunftsländern befristet bis zum 31. Dezember 2015 die Möglichkeit, gem. § 421 SGB III an einem
Einstiegskurs der BA teilzunehmen (BA 2016). Bei den
Einstiegskursen handelt es sich um zusätzliche Sprachkurse der BA, die von Personen in Anspruch genommen
werden konnten, die noch keinen BAMF-Integrationskurs
begonnen und den Sprachkurs vor dem 31. Dezember 2015 angefangen hatten. Um dieses zusätzliche und
befristete Angebot der Einstiegskurse zu ermöglichen, war
eine Rechtsänderung von § 421 SGB III nötig. Die Kurse
Erleichterter Praktikumszugang für Geduldete
und Asylantragstellende
Am 3. August 2015 beschloss das Bundeskabinett eine
Änderung von § 32 BeschV, wodurch Geduldeten sowie
Asylantragstellenden mit einer Aufenthaltsgestattung der
Zugang zu bestimmten mindestlohnfreien, berufs- und
studienbezogenen Praktika erleichtert wurde. Die Regelung gilt für: „Pflichtpraktika, Praktika mit einer Dauer
von bis zu drei Monaten, die zur Orientierung für die
Aufnahme einer Berufsausbildung oder eines Studiums
dienen, ausbildungs- bzw. studienbegleitenden Praktika
mit einer Dauer von bis zu drei Monaten sowie Einstiegsqualifizierungen oder Maßnahmen der Berufsausbildungsvorbereitung“ (BMAS 2015b). Durch die Änderungen
können geduldete Personen „bereits vom ersten Tag des
Aufenthalts und Personen mit einer Aufenthaltsgestattung30 nach drei Monaten Aufenthalt ohne Vorrangprüfung
und Arbeitsbedingungsprüfung durch die Bundesarbeitsagentur ein solches Praktikum beginnen“ (Flüchtlingsrat
Niedersachsen 2015a).
30 „Das Bundesamt erteilt Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, die sich noch im Asylverfahren befinden, eine Aufenthaltsgestattung. Diese berechtigt sie bis zum Abschluss des
Asylverfahrens, das heißt bis zur Entscheidung über den
Asylantrag, in Deutschland zu leben und unter bestimmten
Bedingungen zu arbeiten“ (BAMF 2016c).
Legale Zuwanderung und Mobilität
ESF-Bundesprogramm ‚Stark im Beruf – Mütter mit
Migrationshintergrund steigen ein‘
Das BMFSFJ hat am 9. Februar 2015 das Programm ‚Stark
im Beruf – Mütter mit Migrationshintergrund steigen
ein‘ 31 gestartet, wobei es sich um das Folgeprojekt des
Modellprojekts ‚Ressourcen stärken – Zukunft sichern‘
handelt (BMFSFJ 2014). Als Teil der Fachkräftestrategie der
Bundesregierung wird mit dem Programm das Ziel verfolgt, Mütter mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt
sichtbarer zu machen. Dafür sollen bundesweit im Zeitraum zwischen 2015 und 2020 rund 80 Projekte gefördert
werden, die Mütter mit Migrationshintergrund auf ihrem
beruflichen Weg individuell begleiten. Auch Asylbewerberinnen, die über einen nachrangigen Arbeitsmarktzugang
verfügen, sollen Wege in den Arbeitsmarkt eröffnet werden. Zudem sollen Arbeitgeber für eine Beschäftigung von
Müttern mit Migrationshintergrund gewonnen werden.
Im Fokus des Programms stehen zudem Maßnahmen auf
struktureller Ebene mit dem Ziel, bestehende Arbeitsmarktinstrumente besser auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abzustimmen und die relevanten Arbeitsmarktakteure vor Ort besser zu vernetzen. Das Projekt wird
aus Mitteln des ESF gefördert (BMFSFJ 2015a).
31
Workshops als Qualifizierungsangebot für interessierte
Ausländerbehörden in 2016 fortgesetzt.
Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug
Das BMFSFJ hat beim zuständigen Bundesamt für Familie
und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) eine Erweiterung des Bundesfreiwilligendienstes um zunächst 10.000
Stellen veranlasst. Bundesfamilienministerin Manuela
Schwesig begründete die Maßnahme wie folgt: „Der neue
Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug ist ein
wichtiger Baustein für die nachhaltige Stärkung unserer
Willkommenskultur. Damit unterstützen wir das Engagement für Flüchtlinge genauso wie das Engagement von
Flüchtlingen, die bei uns ein neues Zuhause finden wollen“ (BMFSFJ 2015b). Teilnehmen können sowohl deutsche
Freiwillige als auch Asylberechtigte und Asylbewerber mit
guter Bleibeperspektive34 (BAFzA 2015a). Für das Programm sind bis Ende 2018 jährlich 50 Mio. Euro veranschlagt (BMFSFJ 2015b). Der Bundesfreiwilligendienst ist
eine Möglichkeit für junge Menschen in Deutschland sich
im Rahmen einer zeitlich befristeten und arbeitsmarktneutralen Tätigkeit für das Allgemeinwohl, z. B. im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich, einzubringen.35
Von Ausländerbehörden zu Willkommensbehörden
Am 3. November 2015 wurde mit der Abschlussveranstaltung das 2013 gestartete Modellprojekt ‚Ausländerbehörden-Willkommensbehörden‘ beendet. Die Erfahrungen
der zehn bundesweit verteilten Modellstandorte32 wurden
in einem „Werkzeugkoffer“33 zusammengeführt, der
seitdem allen Ausländerbehörden zur Verfügung steht
(BAMF 2015d). „Darin enthalten sind Instrumente, die im
Modellprojekt erfolgreich angewandt wurden: etwa interkulturelle Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, neue Terminmanagement-Systeme und mehrsprachige Formulare“, die zur interkulturellen Öffnung von
Ausländer- und Meldebehörden genutzt werden können
(BAMF 2015d). Das Modellprojekt wird aufbauend auf den
erarbeiteten Werkzeugen im Rahmen von bundesweiten
31 www.starkimberuf.de
32 Modellstandorte des Projekts waren: Bietigheim-Bissingen
(Baden-Württemberg), Deggendorf (Bayern), Potsdam (Branden
burg), Wetteraukreis (Hessen), Essen (Nordrhein-Westfalen),
Mainz (Rheinland-Pfalz), Chemnitz (Sachsen), Magdeburg
(Sachsen-Anhalt), Kiel (Schleswig-Holstein), Weimar (Thüringen). Die Ausländerbehörden Heidelberg (Baden-Württemberg), Erlangen (Bayern), Kassel und Wiesbaden (Hessen), Köln
(Nordrhein-Westfalen) und Dresden (Sachsen) standen dem
Projekt als Partnerbehörden zur Seite (BAMF 2015d).
33 www.bamf.de/werkzeugkoffer
Pauschales Verbot des islamischen Kopftuchs
im Schuldienst unzulässig
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied am
13. März 2015 über das im nordrheinwestfälischen
Schulgesetz verankerte pauschale Verbot für Lehrkräfte an
öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen ein Kopftuch zu tragen (BVerfG 2015, Az. 1 BvR 471/10 und 1 BvR
1181/10). Das Verbot in Nordrhein-Westfalen bezog sich
dabei generell auf politische, religiöse, weltanschauliche
oder ähnliche äußere Bekundungen, „die geeignet sind,
die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und
Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen
oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder
zu stören“ (§ 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW). Die „Darstellung
christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen“ war hiervon allerdings ausgenommen (§ 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW). Nach Verfassungsbeschwerde zweier Kopftuch tragender Pädagoginnen,
34 Ausgenommen sind grundsätzlich Personen aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten (Albanien, Mazedonien
(ehemalige jugoslawische Republik), Bosnien und Herze
gowina, Montenegro, Ghana, Senegal, Kosovo, Serbien.).
35 www.bundesfreiwilligendienst.de/der-bundesfreiwilligendienst/ueber-den-bfd.html
32
die auf Grundlage der Gesetze in NRW arbeitsrechtlich
sanktioniert wurden, weil sie sich weigerten das Kopftuch oder einen hierfür getragenen Ersatz in der Schule
abzulegen, entschied das BVerfG, dass ein generelles
Verbot das Grundrecht auf Religionsfreiheit nach Art. 4 GG
verletzt: „Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und
Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet
auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen
Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen
Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot
zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann“ (BVerfG 2015). Ein
Verbot könne nicht wie bisher pauschal, sondern lediglich
bei einer hinreichend konkreten Gefährdung des Schulfriedens ausgesprochen werden.
Unmittelbar betroffen von dem Beschluss ist das Land
NRW, das aufgefordert wurde, die Regelungen in § 57
Absatz 4 des Schulgesetzes zu ändern. Das Land kam dieser
Aufforderung am 25. Juni 2015 nach. Nur mittelbar vom
Beschluss betroffen sind die Länder Baden-Württemberg,
Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und das
Saarland, die ebenfalls pauschale Kopftuchverbote in ihren
Schulgesetzen verankert haben. Einige davon privilegieren auch christliche Symbole (vgl. DIK 2015). Eine Gesetzesänderung wie in NRW erfolgte bisher in keinem der
Länder, wobei einige zuständige Landesministerien durch
Erlasse bzw. Informationsschreiben an die öffentlichen
Schulen erklärten, dass kopftuchtragende Lehrerinnen an
öffentlichen Schulen fortan unterrichten dürfen (Bremen,
Niedersachsen, Hessen; vgl. hierzu die ausführliche Analyse
des ‚Aktionsbündnisses muslimischer Frauen‘36, AmF 2016).
Legale Zuwanderung und Mobilität
Raad van Beroep. Das Gericht bestätigte die Richtlinien
konformität verpflichtender Integrationsprüfungen auch
für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige,
da diese „gewährleisten, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen Kenntnisse erwerben, die unstreitig für die
Schaffung von Bindungen zum Aufnahmemitgliedstaat von
Nutzen sind“ (EuGH C-579/13: Rn 48). Gleichzeitig schränkte das Gericht die Sanktionierbarkeit eines nicht Bestehens
oder einer nicht Beteiligung an den Integrationsprüfungen
ein: „Allerdings dürfen die Modalitäten zur Umsetzung
dieser Pflicht auch unter Berücksichtigung insbesondere
des für die erfolgreiche Ablegung der Integrationsprüfung
geforderten Kenntnisstands, der Zugänglichkeit der Kurse
und des zur Prüfungsvorbereitung erforderlichen Materials, der Höhe der für Drittstaatsangehörige geltenden
Einschreibungsgebühren für die Prüfungsteilnahme oder
der Beachtung besonderer individueller Umstände, wie
Alter, Analphabetismus oder Bildungsniveau, nicht so gestaltet sein, dass sie diese Ziele gefährden“ (EuGH C-579/13:
Rn 48 f.; vgl. LTO 2015).
3.6 Staatsangehörigkeit und Einbürgerung
3.6.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Der EuGH entschied am 9. Juli 2015 (EuGH C-579/13),
dass auch langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige in den Mitgliedstaaten der EU zu Integrations
tests verpflichtet und hierfür in gewissem Rahmen auch
Bußgelder erteilt werden können und eine solche Verpflichtung nur unter bestimmten Bedingungen gegen die
europäische Daueraufenthaltsrichtlinie (2003/109/EG)37
verstößt. Der EuGH entschied dies im Rahmen eines Vorab
entscheidungsersuchens des niederländischen C
entrale
Am 1. Januar 2000 wurde die Regelung über den Erwerb
der deutschen Staatsangehörigkeit nach dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis) um das Geburtsortsprinzip
(ius soli) ergänzt. Seither erwerben in Deutschland geborene Kinder, deren beide Elternteile ausländische Staats
bürger sind, bereits mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, sofern sich mindestens ein Elternteil seit acht
Jahren rechtmäßig und gewöhnlich in Deutschland aufhält und über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt.
Diese Form des Staatsangehörigkeitserwerbs war bis zum
20. Dezember 2014 mit einer Optionspflicht verknüpft:
Gemäß § 29 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) mussten
sich diese Kinder nach dem Erreichen der Volljährigkeit
und einem entsprechenden Hinweis der zuständigen
Behörde bis zur Vollendung ihres 23. Lebensjahres
zwischen der deutschen und der im Regelfall über ihre
Eltern erworbenen ausländischen Staatsangehörigkeit
entscheiden. Das Gleiche galt auch für ab 1990 geborene
Kinder, die gemäß einer Übergangsregelung (§ 40b StAG)
durch einen im Jahr 2000 gestellten Antrag ihrer Eltern
die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatten.38
36 www.muslimische-frauen.de (23.03.2016).
37 Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003
betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen.
38 Für eine umfassende Analyse der bis Ende 2014 bestehenden
Optionsregelung und des Entscheidungsverhaltens der davon
betroffenen Personen siehe Worbs (2014).
Entwicklungen mit europäischem Bezug
Richtlinienkonformität verpflichtender Integrationsprüfungen
für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörigen
Einbürgerungen in 1000 Personen
Abb. 1
Legale Zuwanderung und Mobilität
33
Abbildung 1: Einbürgerungen in 1.000 Personen (2000 – 2014)
200
180
160
140
120
100
80
60
40
20
0
2000 2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
Quelle: StBA 2015
Mit der 2014 erfolgten gesetzlichen Neuregelung der
Optionspflicht wird diese Entscheidungspflicht für die
meisten Betroffenen entfallen, weil sie nach § 29 Abs. 1a
StAG als „im Inland aufgewachsen“ gelten. Trotz der
Tatsache, dass der Großteil der bislang optionspflichtigen
Personen damit künftig beide Staatsangehörigkeiten
behalten kann,39 wurde der Grundsatz der Vermeidung
von Mehrstaatigkeit im deutschen Recht beibehalten.
Einbürgerungsbewerber müssen damit weiterhin im
Regelfall ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben (§ 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG), allerdings auch hier mit zahlreichen Ausnahmeregelungen (§ 12 StAG). EU-Bürger und
Schweizer haben generell die Möglichkeit, ihre bisherige
Staatsangehörigkeit beizubehalten.
Neben dem ius soli können ausländische Staatsbürger, die
bereits seit längerer Zeit rechtmäßig in Deutschland leben,
die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung
erwerben. Eine Reihe von Bedingungen muss erfüllt sein,
damit ein Anspruch auf Einbürgerung erwächst. Dazu
gehören ein unbefristetes Aufenthaltsrecht sowie acht
(in Sonderfällen sieben oder sechs) Jahre rechtmäßiger
gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland, Sicherung des
39 Der Bundesminister des Innern hatte diesen Anteil bereits auf
Basis eines früheren Gesetzentwurfs mit strengeren Kriterien
auf 90 % geschätzt, vgl. http://www.zeit.de/politik/deutschland/
2014-02/doppelte-staatsbuergerschaft-kritik-de-maiziereoezuguz (18.12.2014).
Lebensunterhaltes aus eigener Kraft sowie keine Verurteilungen aufgrund von Straftaten (§ 10 Abs. 1 StAG). Die
Einbürgerung setzt weiterhin ausreichende Kenntnisse
der deutschen Sprache voraus (Niveau B1 GER). Seit
1. September 2008 müssen Einbürgerungswillige zudem
Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der
Lebensverhältnisse in Deutschland in einem bundeseinheitlichen Einbürgerungstest nachweisen. Ausgenommen
hiervon sind Personen mit deutschem Schulabschluss
(Weinmann et al. 2012: 209).
Abbildung 1 zeigt, dass die Zahl der Einbürgerungen
zwischen den Jahren 2000 und 2014 von rund 186.700 auf
rund 108.400 gesunken ist – ein Rückgang um knapp 42 %.
Der Tiefpunkt lag im Jahr 2008 bei rund 94.500 Einbürgerungen. Danach ist die Zahl bis 2013 wieder leicht angestiegen. Sie liegt seit 2010 wieder konstant über 100.000
jährlich, reicht jedoch noch nicht wieder an das Niveau in
den Jahren unmittelbar nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts heran.
Die Entwicklung des sog. ausgeschöpften Einbürgerungspotenzials zeigt einen sehr ähnlichen Verlauf. Diese vom
Statistischen Bundesamt berechnete Kennziffer bezieht
die Zahl der Einbürgerungen im Inland auf die Zahl der
Ausländer im Inland, die sich zu Beginn des Berichtsjahrs
seit mindestens zehn Jahren in Deutschland aufhielten.
Die Aufenthaltsdauer wird dabei vereinfachend mit dem
Sachverhalt gleichgesetzt, dass alle Anforderungen für
Ausgeschöpftes Einbürgerungspotential
Abb. 2
34
Legale Zuwanderung und Mobilität
Abbildung 2: Ausgeschöpftes Einbürgerungspotenzial in Prozent (2000 – 2014)
6,00
5,00
4,00
3,00
2,00
1,00
0,00
2000 2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
Quelle: StBA 2015
eine Einbürgerung erfüllt sind (StBA 2015: 7). Analog zu
den absoluten Zahlen ging auch das ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial zwischen den Jahren 2000 und 2013
von 4,9 % auf 2,2 % zurück; der Tiefpunkt von 2,1 % lag
dabei ebenfalls im Jahr 2008 (siehe Abbildung 2).
geborenen Kindern ohne Einschränkung die deutsche
Staatsangehörigkeit verliehen werden soll (Deutscher
Bundestag 2015g). Der Vorschlag wurde an den zuständigen Ausschuss überwiesen.
3.6.2 Nationale Entwicklungen
3.7 Management von Migration
und Mobilität
Rechtsprechung zur Ermessenseinbürgerung
3.7.1 Kontrolle der Grenzen
Wie das Bundesverwaltungsgericht am 28. Mai 2015 entschied (BVerwG 1 C 23.14), ist für die Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG eines Ausländers auch zu beachten,
ob dieser in der Lage ist, den Lebensunterhalt seiner noch
im Ausland lebenden unterhaltsberechtigten Familienangehörigen zu sichern – hier seine im Ausland lebende
Ehefrau und Kinder. Bei der Voraussetzung der Sicherung
des Lebensunterhalts kommt es nicht darauf an, ob diese
Angehörigen im Bundesgebiet leben oder ein Familiennachzug beabsichtigt wird. Zu beachten sind somit alle
unterhaltsberechtigten Angehörigen.
Gesetzesvorschläge der Opposition
Am 15. April 2015 legte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen einen Gesetzesentwurf zur Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts vor, nach dem in Deutschland
Hintergrund und allgemeiner Kontext
Seitdem am 21. Dezember 2007 die stationären Grenzkon
trollen zwischen Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik sowie am 18. Dezember 2008 auch zwischen Deutschland und der Schweiz weggefallen sind, führt
die Bundespolizei (BPOL) Grenzkontrollen nur noch an den
deutschen luft- und seeseitigen Außengrenzen durch.
An den Schengen-Binnengrenzen ist auch nach Wegfall
der stationären Grenzkontrollen die Ausübung polizeilicher Befugnisse zur Bekämpfung grenzüberschreitender
Kriminalität nach Maßgabe des Schengener Grenzkodex
ausdrücklich zulässig. Solche Kontrollen werden durch die
BPOL auf Basis von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung in Form von Stichproben auch auf dem
Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes, in
Legale Zuwanderung und Mobilität
35
Zügen sowie an Seehäfen wahrgenommen. Der Grenzschutz beinhaltet die Verhinderung und Unterbindung
unerlaubter Einreisen, die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Schleusungskriminalität und weiterer im
Zusammenhang mit grenzüberschreitender Kriminalität
stehender Deliktfelder. Wird eine Person im Zusammenhang mit der unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet in
einem 30-Kilometer-Korridor entlang der Grenze zu EUNachbarstaaten festgestellt, werden aufenthaltsbeendende
Maßnahmen vorgenommen.
Ausbau des Grenzkontrollsystems EasyPASS
Die Kontrolle der Außengrenzen erfolgt auf Grundlage der
Regularien des Schengener Grenzkodex. In Deutschland
sind moderne Dokumentenlese- und Dokumentenprüfgeräte im Einsatz, die eine effiziente Überprüfung der Dokumentenechtheit auf Basis optischer und digitaler Merkmale ermöglichen. In Zukunft wird der Einsatz biometrischer
Verfahren bei der Grenzkontrolle, insbesondere bei der
Überprüfung der Identität von Dokumenteninhabern, eine
immer wichtigere Rolle spielen (Visumkontrolle, Kontrolle
von ePässen, automatisierte Grenzkontrollsysteme).
Vor allem die Auslandsvertretungen und die BPOL sind an
der nationalen Umsetzung des europäischen Visa-Informationssystems (VIS) beteiligt (Parusel/Schneider 2012).
Mittlerweile sind alle deutschen Auslandsvertretungen an
das VIS angeschlossen.
Aufbau eines nationalen Evaluationssystems
Nationale Entwicklungen
Die nationale Sicherheit lässt sich in Zeiten der Globali
sierung nicht mehr allein innerhalb herkömmlicher
Landesgrenzen gewährleisten, sondern setzt auch eine
enge internationale (grenz-)polizeiliche Zusammenarbeit
voraus. Die Zusammenarbeit der BPOL mit Polizeibehörden der EU-Mitgliedstaaten und von Drittstaaten ist auf
die jeweils zuständigen Behörden mit grenzpolizeilichen
Aufgaben ausgerichtet.
Wiedereinführung von Grenzkontrollen
Am 13. September 2015 verkündete der Bundesminister
des Innern die temporäre Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen mit dem
Schwerpunkt an der deutsch-österreichischen Grenze
aufgrund des starken Anstiegs von illegal über die Schengen-Außengrenzen eingereisten Drittstaatsangehörigen
und Belangen der öffentlichen Sicherheit. Die Maßnahmen wurden mehrmals bis Mitte Mai 2016 verlängert
(BMI 2015b). Bereits vom 26. Mai bis zum 15. Juni 2015
hatte Deutschland im Rahmen des G7-Gipfels auf Schloss
Elmau Binnengrenzkontrollen mit Schwerpunkt an der
deutsch-österreichischen Grenze durchgeführt (Deutscher
Bundestag 2015h: 20). Zwar verfolgten diese Kontrollen
den Zweck, die Sicherheit des Gipfels zu gewährleisten,
es wurden jedoch vor allem Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz registriert (Lohse 2015a). 2015 kam es zu
4.168 Zurückweisungen und 568 Zurückschiebungen an
der Landgrenze mit Österreich (Deutscher Bundestag
2016c: 20).
Die Einführung der automatisierten Grenzkontrolle
EasyPASS an deutschen Flughäfen wurde auch 2015 fortgeführt. Zum Ende des Jahres waren 140 Kontrollspuren
an den Flughäfen München, Frankfurt a. M., Düsseldorf,
Hamburg, Berlin-Tegel und Köln-Bonn in Betrieb. Grundlage von EasyPASS ist das im Reisepass sowie optional im
deutschen Personalausweis gespeicherte Gesichtsbild.
In Umsetzung der Empfehlungen der Schengen-Evaluierung Deutschlands (Außengrenze) hat die BPOL ein
nationales Fachaufsichtsverfahren zur Qualitätssicherung
entwickelt. Dieses bezieht auch die mit der grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung beauftragten Behörden
(Bundeszollverwaltung, Wasserschutzpolizei Hamburg und
Polizei Bayern) mit ein. In diesem Rahmen ist es geplant,
die wesentlichen Grenzübergangsstellen nach einem
bundesweit einheitlichen Bewertungssystem in kontinuierlichen Abständen zu evaluieren.
Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich der Grenz
sicherung
Die grenzpolizeiliche Zusammenarbeit der BPOL mit
Drittstaaten stellt dabei – im Rahmen der eigenen Vorverlagerungsstrategie – einen wichtigen Teil des integrierten
Grenzmanagements zum Schutz der EU-Außengrenzen
dar und beinhaltet – neben den unterschiedlichen Perso
nalentsendungen – auch das Instrument der (grenz-)
polizeilichen Aufbauhilfe.
Diese umfasst im Wesentlichen die Ausbildungshilfe im
Rahmen von bilateralen Einzelmaßnahmen und EUgeförderten Projekten wie beispielsweise EU-Twinning
oder EU-TAIEX Projekte. Ziel dieser Maßnahmen – und
damit auch konkreter Mehrwert für die BPOL – ist die
Verbesserung der Zusammenarbeit mit den jeweiligen
ausländischen (Grenz-)Polizeibehörden unter Beachtung
von migrationsrelevanten Schwerpunkten. Sie dient im
36
Ergebnis dem Zweck, die grenzpolizeiliche Aufgabenwahrnehmung an der EU-Außengrenze effizienter durchzuführen und die irreguläre Migration sowie internationale
Schleuserkriminalität erfolgreicher bekämpfen zu können.
Zudem werden die grenzpolizeilichen Strukturen in den
Staaten gestärkt
Im Rahmen der Ausbildungs- und Ausstattungshilfe
wurden im Jahr 2015 insgesamt 100 Ausbildungs- und
18 Ausstattungshilfemaßnahmen in 24 Staaten umgesetzt. Geographisch bezog sich die Schwerpunktsetzung
der Ausbildungs- und Ausstattungshilfe auf die Staaten
des Westbalkans und der nordafrikanischen Region.
Zudem waren Staaten des südost- und osteuropäischen
Raums sowie des Nahen Ostens begünstigt.
3.7.2 Frontex
Hintergrund und allgemeiner Kontext
Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit
an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen
Union (FRONTEX)
FRONTEX koordiniert unter Wahrung der nationalen
Zuständigkeiten die operative Zusammenarbeit der EUMitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen, unterstützt
die Mitgliedstaaten als „Dienstleister“ bei der Ausbildung
von nationalen Grenzschutzbeamten mit dem Ziel der
Harmonisierung, erstellt Risikoanalysen und unterstützt
die Mitgliedstaaten technisch und operativ, insbesondere durch gemeinsame Einsätze oder sonstige Dienst
leistungen (Informationsnetzwerk EUROSUR, Forschung
und Entwicklung, Studien/Handlungsempfehlungen etc.).
Dabei kommt der strikten Beachtung der Grund- und
Menschenrechte, insbesondere der flüchtlingsrechtlichen
Vorgaben, hohe Bedeutung zu. Seit 2013 befassen sich
eine unabhängige Grundrechtsbeauftragte der Agentur
und das Konsultativforum für Grundrechtsfragen mit
der Beachtung der Grund- und Menschenrechte bei
allen FRONTEX-Aktivitäten. Grundlage hierfür ist eine
Änderung der FRONTEX-Verordnung aus dem Jahr 2011
(VO 1168/2011/EU). Dies wird durch ein etabliertes, kritisches Berichtswesen, Monitoring und Einsatzevaluierungen mit daraus resultierenden Handlungsempfehlungen
für Einsätze und Ausbildung oder ggf. Konsequenzen wie
der Aussetzung oder Beendigung gemeinsamer Maßnahmen ergänzt.
Legale Zuwanderung und Mobilität
Entwicklungen mit Bezug zur EU
Beteiligung an FRONTEX-Operationen
Die BPOL hat sich im Jahr 2015 mit Beamten an ca. 5.000
Einsatztagen an FRONTEX-koordinierten Maßnahmen
beteiligt. Schwerpunkte bildeten hierbei die Operationen
‚Western Balkan‘ im Bereich der ungarisch-serbischen
Landgrenze sowie die Operationen ‚Focal Points‘ an EULand- und Luftaußengrenzen. Des Weiteren beteiligte sich
die BPOL mit vierzig Beamten an dem Frontex-Einsatz im
Rahmen der Hotspot-Maßnahmen auf den griechischen
Inseln. Auf bilateraler Vertragsgrundlage unterstützte
die BPOL zur Bewältigung der stark gestiegenen Anzahl
an Schutzsuchenden auf der Balkanroute die serbische,
albanische sowie slowenische Grenzpolizei.
Irreguläre Migration
4
37
Irreguläre Migration
4.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Der Umgang mit irregulärer Einwanderung nach und dem
unerlaubten Aufenthalt in Deutschland umfasst vorbeugende Maßnahmen sowie Maßnahmen der Migrationskontrolle, etwa im Visumverfahren und bei der Sicherung
der Außengrenzen,40 Maßnahmen der Rückkehrförderung
bzw. der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht
durch Abschiebungen und Zurückschiebungen, aber auch
pragmatische Antworten auf die Situation unerlaubt aufhältiger Personen, deren Ausreisepflicht nicht durchgesetzt
werden kann. Dazu gehören unter anderem die Erteilung
von Aufenthaltstiteln an Geduldete sowie der erleichterte
Zugang zu Schulbildung und Gesundheitsversorgung für
irregulär aufhältige Migranten (Schneider 2012b).
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich der Umfang der
unerlaubt aufhältigen Bevölkerung in Deutschland nicht
verlässlich bestimmen lässt und lediglich eine Annäherung
an die tatsächliche Anzahl durch Schätz- und Hochrechnungen erfolgen kann. „Eine qualifizierte und methodologisch nachvollziehbare Schätzung über den Umfang der in
Deutschland irregulär aufhältigen Drittstaatsangehörigen
wird seit einigen Jahren durch das CLANDESTINO-Projekt
vorgenommen“ (Grote 2015: 16). Auf Grundlage des im
CLANDESTINO-Projekts entwickelten Schätzverfahrens
kann für das Jahr 2014 von zwischen 180.000 und 520.000
unerlaubt aufhältigen Drittstaatsangehörigen ohne Be
hördenkontakt in Deutschland ausgegangen werden
(vgl. Tabelle 2).
40 Eine detaillierte Darstellung der deutschen Maßnahmen zur
Verhinderung irregulärer Migration findet sich bei Schneider
2012b sowie BAMF/EMN 2012: 45 ff.
Die unerlaubte Einreise bzw. der unerlaubte Aufenthalt
sind strafbar und werden grundsätzlich mit einer Geldoder Freiheitsstrafe geahndet. Strafbar macht sich ebenfalls, wer einen anderen zur unerlaubten Einreise bzw.
zum unerlaubten Aufenthalt anstiftet bzw. dazu Hilfe
leistet und dafür einen Vermögensvorteil erhält oder sich
versprechen lässt oder wiederholt oder zu Gunsten von
mehreren Drittstaatsangehörigen handelt. Personen, die
im Rahmen ihres Berufes oder ihres sozial anerkannten
Ehrenamts tätig sind (insbesondere Apotheker, Ärzte,
Hebammen, Angehörige von Pflegeberufen, Psychiater,
Seelsorger, Lehrkräfte an Schulen, Sozialarbeiter) machen
sich in der Regel der Beihilfe nicht strafbar, soweit sich
ihre Handlungen objektiv auf die Erfüllung ihrer rechtlich festgelegten bzw. anerkannten berufs- oder ehrenamtsspezifischen Pflichten beschränken (Nummer 95.1.4
AVwV-AufenthG).
Erfolgen Einschleusungen gewerbs- oder bandenmäßig,
beträgt der Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn
Jahren Freiheitsstrafe (§ 96 Abs. 2 Nr. 1 und Nr.2 AufenthG).
Wird dabei der Tod des Geschleusten verursacht, erfüllt
dies einen Verbrechenstatbestand mit einer Mindestfreiheitsstrafe von nicht unter drei Jahren Freiheitsstrafe
(§ 97 Abs. 1 AufenthG, bei minder schwerem Fall gem. § 97
Abs. 3 AufenthG Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn
Jahren).
Zu den unerlaubt aufhältigen Personen zählen auch Personen mit einer Duldung, da diese über keine Aufenthaltserlaubnis verfügen und prinzipiell ausreisepflichtig sind,
die Abschiebung jedoch aus tatsächlichen oder rechtlichen
Gründen nicht möglich ist (§ 60a AufenthG). Die Duldung
bescheinigt, dass die Abschiebung vorerst ausgesetzt ist.
Geduldete dürfen nach drei Monaten mit Zustimmung der
Tabelle 2: Unerlaubt aufhältige Drittstaatsangehörige in Deutschland
(Untergetauchte und Personen ohne bisherigen Behördenkontakt; Schätzungen für 2010-2014)
Unerlaubt aufhältige Drittstaatsangehörige
(Untergetauchte und Personen ohne bisherigen
Behördenkontakt)
2010
2011
2012
2013
2014
136.000–
337.000
139.000–
381.000
151.000–
414.000
160.000–
443.000
180.000–
520.000
Quelle: Vogel 2015; Vogel/Aßner 2011; vgl. Grote 2015: 16
38
Bundesagentur für Arbeit eine Erwerbstätigkeit aufnehmen (§ 32 Abs. 1 BeschV), wobei diese Zustimmung weder
bei bestimmten Engpassberufen erforderlich ist noch bei
Personen, die sich seit 15 Monaten ununterbrochen erlaubt,
geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung in Deutschland aufhalten (§ 32 BeschV). Darüber hinaus soll „gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden“ sowie erwachsenen Geduldeten bei „nachhaltiger Integration“ eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn sie bestimmte
Bedingungen erfüllen (§§ 25a und 25b AufenthG).
Zum deutschen System der Migrationskontrolle und der
Verhinderung irregulärer Migration gehören auch externe
Kontrollen (z. B. über das Visumverfahren und Außengrenzkontrollen, vgl. Kap. 3.7) und ein System von internen Kontrollen der Aufenthaltserlaubnisse (Deutscher
Bundestag 2011). Eine der wesentlichen Voraussetzungen
für die Visumerteilung durch eine deutsche Auslandsvertretung ist die Bereitschaft der Visumantragstellenden,
vor Gültigkeitsablauf des Visums wieder in das jeweilige
Herkunftsland zurückzukehren. Hinzu kommen Kontrollmechanismen, die über Datenaustausch, Arbeitsplatzüberprüfungen, enge Behördenkooperation und Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen ablaufen.
Besondere Bedeutung kommt auf nationaler Ebene dem
Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM) zu, das von den beteiligten Behörden und
Stellen41 Erkenntnisse zur irregulären Migration sowie der
damit im Zusammenhang stehenden Kriminalitätsformen
im Sinne einer Informations-, Analyse-, Strategie- und
Frühwarnfunktion zusammenträgt. Informationsgewinnung im Ausland betreibt die BPOL durch den Einsatz von
grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten sowie den Einsatz von Dokumenten- und Visumberatern in ausgewählten Herkunfts- bzw. Transitländern der illegal eingereisten
Migranten. Ähnliches gilt für das Liaison-Personal und
die Verbindungsbeamten des BAMF in ausgewählten EUund Drittstaaten. Weiterer Bestandteil der Erkenntnis
gewinnung ist die Zusammenarbeit mit FRONTEX und
dem Europäischen Polizeiamt (Europol) durch Erarbeitung oder Übermittlung periodischer und/oder themenbezogener gemeinsamer Auswertungsprodukte.
Die BPOL und die mit der polizeilichen Kontrolle des
grenzüberschreitenden Verkehrs betrauten Behörden der
Bundesländer Bayern und Hamburg sowie die Zollverwal-
41 Am GASIM sind die folgenden Behörden beteiligt: Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge, Zoll – Finanzkontrolle Schwarzarbeit, Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und
Auswärtiges Amt.
Irreguläre Migration
tung registrierten im Jahr 2014 insgesamt 57.092 unerlaubt eingereiste nichtdeutsche Personen (2013: 32.533)
nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 1a AufenthG (BKA
2015a: 10). Dies betrifft unter anderem solche Personen,
die ohne erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3
Abs. 1 AufenthG oder ohne den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel eingereist sind. 1.481 Personen
(2014: 2.967) wurden im Jahr 2015 innerhalb von sechs
Monaten nach unerlaubter Einreise zurückgeschoben,
während 8.913 Personen im Jahr 2015 (2014: 3.612) bei
ihrem Versuch der Einreise noch an der Grenze zurückgewiesen wurden (Deutscher Bundestag 2016c: 1 ff.; vgl. für
Abschiebungen Kap. 5.2.2).
4.2 Nationale Entwicklungen
Aufenthaltserlaubnis für Geduldete
Am 1. August 2015 trat das Gesetz zur Neubestimmung des
Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung in Kraft. Mit
dem Gesetz gingen Erleichterungen für die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis für Geduldete einher. So wurde § 25a
AufenthG u. a. dahingehend geändert, dass „gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden“ bereits nach
vierjährigem Voraufenthalt in der Bundesrepublik und in
der Regel vierjährigem Schulbesuch oder einem anerkannten Schulabschluss eine Aufenthaltserlaubnis erteilt
werden soll (vgl. Grote/Vollmer 2016: 23 f.).
Neu geschaffen wurde auch § 25b AufenthG, wonach
einer geduldeten Person eine Aufenthaltserlaubnis erteilt
werden soll, wenn sie sich „nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat“
(§ 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Die Aufenthaltserlaubnis
wird in dem Fall für längstens zwei Jahre erteilt. Voraussetzung zur Erteilung ist im Regelfall, dass der betreffende
Geduldete „sich seit mindestens acht Jahren oder, falls
er zusammen mit einem minderjährigen ledigen Kind
in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs
Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer
Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat“
(§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG). Darüber hinaus müssen u. a. der Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit gesichert sein,42 mündliche Deutschkenntnisse
42 Unter bestimmten Bedingungen ist für Studierende, Auszubildende, Familien mit minderjährigen Kindern, Alleinerziehende
mit minderjährigen Kindern sowie Personen, die pflegebedürftige nahe Angehörige pflegen, ein vorübergehender Bezug
von Sozialleistungen in der Regel unschädlich (§ 25b Abs. 1
Satz 3 AufenthG).
Irreguläre Migration
auf A2-Niveau sowie Grundkenntnisse der Rechts- und
Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet vorliegen sowie bei schulpflichtigen Kindern der
Schulbesuch nachgewiesen werden (§ 25b Abs. 1 Nr. 2–5).
Unter bestimmten Voraussetzungen soll auch dem Ehegatten, dem Lebenspartner sowie minderjährigen ledigen
Kindern der begünstigten Person eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn diese in familiärer Lebensgemeinschaft zusammenleben (vgl. § 25b Abs. 4 AufenthG).
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Ausländer die Aufenthaltsbeendigung
durch vorsätzlich falsche Angaben, durch Täuschung über
Identität oder Staatsangehörigkeit verhindert oder verzögert. Bei Vorliegen bestimmter Straftaten ist die Aufenthaltserlaubnis ebenfalls nicht zu erteilen (vgl. § 25b Abs. 2
i. V. m. § 54 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG.
Nachhaltig integrierte Geduldete, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG erteilt wurde,
können Familienangehörige nach Deutschland nach
holen, sofern die allgemeinen Voraussetzungen für einen
Familiennachzug erfüllt sind und der Nachzug von
Ehegatten und Kindern zudem aus humanitären oder
völkerrechtlichen Gründen oder aufgrund der Wahrung
politischer Interessen Deutschlands erfolgt. § 29 Abs. 3
AufenthG wurde entsprechend geändert (DRK 2015: 3).
Verkürzung der Duldung von sechs auf drei Monate
Mit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes zum 21. Oktober 2015 wurde der Zeitraum, in
dem die oberste Landesbehörde ohne Einvernehmen des
Bundesministeriums des Innern einen Abschiebungsstopp verfügen kann, von ehemals sechs auf drei Monate
verkürzt (§ 60a Abs. 1 AufenthG).
Einjährige Duldung bei qualifizierter Berufsausbildung
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neubestimmung des
Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung kann zudem
eine einjährige Duldung erteilt werden, wenn ein ausländischer Jugendlicher vor Vollendung des 21. Lebens
jahres eine qualifizierte Berufsausbildung in Deutschland
aufnimmt. Die Aufenthaltserlaubnis soll anschließend
um jeweils ein Jahr verlängert werden, sofern die Ausbildung fortbesteht (§ 60 Abs. 2 AufenthG). Ausgeschlossen
von dieser Neuregelung sind allerdings Zugewanderte aus
sicheren Herkunftsstaaten.
39
Ge- und verfälschte Grenzübertrittsdokumente
Im Jahr 2015 wurden von der BPOL 4.973 ge- oder verfälschte Grenzübertrittsdokumente festgestellt. 3.357 dieser Fälle stellten zudem einen Identitätsbetrug dar. Knapp
die Hälfte dieser Fälle entfiel auf Personen aus Somalia,
Syrien und Iran.
Anonyme Krankenscheine für Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität
Mit einem anonymen Krankenschein soll es Migranten
ohne regulären Aufenthaltsstatus ermöglicht werden, sich
in den jeweiligen Bundesländern ärztlich behandeln zu
lassen, ohne wie bisher auf ehrenamtliche, unentgeltliche,
kostenreduzierte und/oder spendenbasierte medizinische
Versorgung angewiesen zu sein oder beim zuständigen
Sozialträger Behandlungsausweise beantragen zu müssen
(vgl. für eine Übersicht zur medizinischen Versorgung
von irregulär aufhältigen Migranten in Deutschland:
Mylius 2016). Während ärztliches Personal, inkl. des Ver
waltungspersonals öffentlicher Krankenhäuser, Apotheker sowie Angehörige von Heilberufen der ärztlichen
Schweigepflicht unterliegen und bis auf in Ausnahme
situationen keine Patientendaten an die Ausländerbehörde
übermitteln darf (vgl. Ärztekammer Nordrhein 2015), sind
Mitarbeitende von Sozialträgern wiederum verpflichtet,
die nicht aufenthaltsberechtigte Person an die Ausländerbehörde zu melden, was in der Folge zu einer Abschiebung
der betreffenden Person führen kann. Aus diesem Grund
vermeiden oder verzögern irregulär aufhältige Personen
oftmals notwendige medizinische Behandlungen, was laut
Bundesärztekammer (BÄK) „zu einer Verschlimmerung
und sogar Chronifizierung von Erkrankungen“ führen
kann (BÄK 2013).
Die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geführte Regierung in Niedersachsen hatte aufgrund dessen Mitte 2014
Planungen für ein Modellprojekt in Kooperation mit der
medizinischen Flüchtlingshilfe zur Einführung eines
anonymen Krankenscheins in Göttingen begonnen, wobei
auch die Oppositionsparteien CDU und FDP die Pläne zunächst befürworteten (HAZ 2014). Auf Grundlage der Ergebnisse des Göttinger Modellprojekts beschloss schließlich die Landesregierung im Jahr 2015 die Einführung
eines dreijährigen Modellversuchs zur Einführung des anonymen Krankenscheins mit einer zentralen Ausgabestelle in Verantwortung der medizinischen Flüchtlingshilfe in
Göttingen43. Der Modellversuch startete Mitte Januar 2016
43 Medizinische Flüchtlingshilfe Göttingen e. V.: www.mfh-goe.org.
40
und sieht eine Gesamtinvestition von 1,5 Mio. Euro für
die Kosten der medizinischen Versorgung (Höland 2016a)
sowie 120.000 Euro für „Legalisierungsberatungen“ vor
(Höland 2016b). Während Vertreter der Landesregierung
den Modellversuch als „weiteren Baustein einer teilhabe
orientierten Migrationspolitik“ lobten (SPD 2015), kritisierte die Landes-CDU selbiges als „verheerendes Signal
für Menschen ohne Papiere“ (Höland 2016a).
Vorschlag einer stichtagsgebundenen Legalisierung
Guntram Schneider (SPD), Minister für Arbeit, Inte
gration und Soziales in Nordrhein-Westfalen, schlug am
25. März 2015 eine stichtagsgebundene Legalisierungskampagne für irregulär aufhältige Migranten vor. Bundesinnenminister de Maizière (CDU) lehnte die Forderung
strickt ab und bezeichnete diese als „grundfalschen Weg,
Zuwanderung zu steuern“. Eine Legalisierung würde zudem „massiv neue Anreize für illegale Migration schaffen“
(Sanchez 2015).
4.3 Entwicklungen mit Bezug zur EU
Siehe Kap. 3.7 und Kap. 5.
Irreguläre Migration
Rückkehrmigration
5
41
Rückkehrmigration
5.1 Hintergrund
und allgemeiner Kontext
werden können, wenn sie aus Mitgliedstaaten der EU oder
visafreien Drittstaaten kommen.
Rückkehrpolitik ist ein Steuerungsinstrument der Mi
grationspolitik. Sie zielt darauf, dass diejenigen, die kein
Aufenthaltsrecht haben, das Bundesgebiet bzw. das
Unionsterritorium verlassen. Zur Rückkehrpolitik gehören sowohl Maßnahmen zur Förderung der freiwilligen
Rückkehr bzw. Weiterwanderung, der Reintegration sowie
der Rückübernahme durch die Herkunftsländer als auch
Maßnahmen zur zwangsweisen Rückführung (Zurückweisung, Zurückschiebung, und Abschiebung). Die freiwillige
Rückkehr hat dabei Vorrang vor der zwangsweisen Rückführung, was sowohl im nationalen Recht (u. a. § 58 Abs. 1
AufenthG) als auch in verschiedenen EU-Richtlinien und
Verordnungen festgelegt ist (z. B. Rückführungsrichtline
2008/115/EG).
Daneben existiert eine Vielzahl von transnationalen,
bundes- und landesweiten sowie kommunalen Projekten, die die Rückkehr und Reintegration in das jeweilige
Herkunftsland fördern sollen und die auch Leistungen
neben sowie über REAG/GARP hinaus gewähren (vgl.
für eine Übersicht der Akteure: Grote 2015). Ein Beispiel
eines internationalen Rückkehr- und Reintegrations
projekts unter Beteiligung Deutschlands ist das European
Reintegration Instrument Network (ERIN). „ERIN ist ein
gemeinsames Rückkehr- und Reintegrationsprojekt von
sieben europäischen Partnerstaaten (Niederlande, Belgien,
Deutschland, Finnland, Frankreich, Vereinigtes Königreich
und Nordirland sowie Norwegen als Nicht-EU-Staat).
Das Netzwerk bietet unter Leitung der Niederlande Re
integrationsunterstützung für freiwillig Rückkehrende
sowie zwangsweise Rückgeführte im Herkunftsland in
Form von sozialer Begleitung und beruflicher Unterstützung durch Vertragspartner in den jeweiligen Ländern an.
Reintegrationsleistungen für Rückkehrende aus Deutschland stehen für Afghanistan, Iran, Nigeria, Pakistan und
Somaliland zur Verfügung“ (Grote 2015: 40).
Im Bereich der freiwilligen Rückkehr/Weiterwanderung
verfügt Deutschland seit 1979 über das Bund-LänderRückkehrförderprogramm REAG – seit 1989 ergänzt durch
GARP.44 Das REAG/GARP-Programm stellt das zahlenmäßig wichtigste Rückkehrförderprogramm dar und bietet
neben der Übernahme von Reisekosten auch Reisebei
hilfen und ggf. Starthilfen zur Wiedereingliederung, deren
Höhe abhängig vom Herkunftsstaat ist. Im Jahr 2015
hatten die folgenden Personengruppen die Möglichkeit
unterschiedliche Leistungen im Rahmen von REAG/GARP
zu erhalten: Asylbewerber, abgelehnte Asylbewerber,
anerkannte Flüchtlinge, Bürgerkriegsflüchtlinge, irreguläre Aufhältige und Opfer von Zwangsprostitution oder
Menschenhandel. Ausschließlich Beförderungskosten und
keine Reisebeihilfe oder Starthilfe erhalten Staatsangehörige europäischer Drittstaaten, d. h. Nicht-EU-Staaten, aus
denen eine visumfreie Einreise in das Bundesgebiet möglich ist und deren Staatsangehörige nach dem Beginn der
jeweiligen Visumfreiheit nach Deutschland eingereist sind
(insbesondere visafreie Länder des Westlichen Balkans
sowie der Republik Moldau). Ausgenommen von diesen
Vorgaben sind Opfer von Menschenhandel, die im Rahmen des REAG/GARP-Programms auch dann unterstützt
44 REAG: Reintegration and Emigration Program for AsylumSeekers in Germany; GARP: Government Assisted Repatriation
Program; s. im Detail zu REAG/GARP, aber auch zu weiteren
transnationalen, bundes- und landesweiten sowie kommunalen Rückkehrprogrammen: Grote 2015.
Neben den unterstützenden Maßnahmen zur freiwilligen
Rückkehr haben die zuständigen Behörden Zwangsmittel
zur Verfügung, um die Ausreisepflicht durchzusetzen: die
Zurückschiebung und die Abschiebung. Zurückschiebung
und Abschiebung zählen zu den aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen. Nach § 57 AufenthG erfolgt eine Zurückschiebung, wenn die unerlaubte Einreise bereits erfolgt ist
und die Person im grenznahen Raum festgestellt wurde.
Dabei darf eine Zurückschiebung nur dann erfolgen, wenn
kein Asylantrag gestellt wurde und keine Abschiebungsverbote vorliegen. Ist die unerlaubte Einreise aus einem
Mitgliedstaat der Europäischen Union erfolgt, soll die
betreffende Person dorthin zurückgeschoben werden.
Im Unterschied zur Zurückschiebung stellt die Abschiebung keine unmittelbare Reaktion auf die illegale Einreise
dar, sondern setzt voraus, dass zum einen die Ausreisepflicht vollziehbar ist und zum anderen die freiwillige
Ausreise in der eingeräumten Frist nicht erfolgt ist oder
eine Überwachung der Ausreise als nötig erachtet wird.
Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn die Ausreisefrist
verstrichen ist und keine Rechtsmittel mit aufschiebender
42
Rückkehrmigration
Wirkung gegen die Versagung eines Aufenthaltstitels bzw.
die Ablehnung eines Asylantrags eingelegt werden können.
Mit der Ausweisung existiert ein weiteres Instrument,
das zur Beendigung des Aufenthalts führen soll und auch
Mittel der zwangsweisen Rückführung nach sich ziehen
kann; hier stellt die Beendigung des Aufenthalts jedoch
kein Mittel zur Durchsetzung der Migrationspolitik dar.
Stattdessen handelt es sich um ein Instrument, mit dem
Ausländer, von denen eine Gefährdung der Ordnung
und Sicherheit oder der Interessen der Bundesrepublik
ausgeht, des Landes verwiesen werden können. In diesem
Fall führt erst die Ausweisung zum Verlust des Aufenthaltstitels. Ein noch stärkeres, im Aufenthaltsrecht
verankertes Instrument stellt die Abschiebungsanordnung
dar (§ 58a AufenthG und § 34a AsylG). Es ermöglicht den
obersten Landesbehörden bzw. dem Bundesministerium
des Innern, einen Ausländer „auf Grund einer besonderen
Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr“ abzuschieben
(§ 58a Abs. 1 und 2 AufenthG) und als letztes Mittel auch
in Abschiebungshaft zu nehmen. Ausweisung, Ab- und
Zurückschiebung ziehen zudem ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG nach sich. Auch für den
Fall, dass ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat oder in
einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, ordnet das BAMF die
Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie
durchgeführt werden kann (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Zur Erleichterung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hat
der Bund mit einigen Herkunftsstaaten Rückübernahmeabkommen geschlossen, durch die die Verpflichtung zur
Rückübernahme eigener Staatsangehöriger konkretisiert
wird. Darüber hinaus enthalten die in den letzten Jahren
geschlossenen Abkommen regelmäßig die an bestimmte
Voraussetzungen geknüpfte Verpflichtung zur Übernahme
und Durchbeförderung von ausreisepflichtigen Personen,
die nicht Staatsangehörige der jeweiligen Vertragspartner
sind (Drittstaatsangehörige und staatenlose Personen).45
Darüber hinaus finden sich auch im Bereich der zwangsweisen Rückführung Austausch- und Kooperationsnetzwerke, an denen auch Deutschland beteiligt ist. Dies
betrifft beispielsweise das EURINT-Netzwerk, ein Zusammenschluss aus 21 EU-Mitgliedstaaten sowie Frontex. Für
Deutschland beteiligt sich die Bundespolizei.
45 Eine Auflistung sämtlicher Rückübernahmeabkommen ist auf
der Internetseite des Bundesministeriums des Innern veröffentlicht: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/
DE/Themen/MigrationIntegration/AsylZuwanderung/Rueck
kehrFluechtlinge.pdf?__blob=publicationFile (31.03.2016).
5.2 Nationale Entwicklungen
Bund-Länder-Koordinierungsstelle
zum Integrierten Rückkehrmanagement
Nach der gemeinsamen Erklärung der Innenministerinnen und Innenminister sowie Innensenatorinnen und
-senatoren der Länder wurde zum Jahresende 2014 die
Bund-Länder-Koordinierungsstelle zum Integrierten
Rückkehrmanagement (BLK-IRM) beim BAMF eingerichtet. Die Stelle soll sowohl die Abstimmung zwischen den
Maßnahmen der freiwilligen und der zwangsweisen Rückkehr als auch die Kooperation zwischen Bund und Ländern verbessern und so zu einer stärkeren Kohärenz der
Rückkehrmaßnahmen beitragen. Darüber hinaus erstreckt
sich das Mandat der BLK-IRM auch auf den Bereich der
Dublin-Überstellungen in andere Mitgliedstaaten.
Einen ersten Bericht mit Empfehlungen zur Überarbeitung
praktischer Rückkehrmaßnahmen legte die Koordinierungsstelle den Innenministerien der Länder anlässlich ihrer
Konferenz am 25./26. Juni 2015 in Mainz vor. Unter anderem
wurden eine engere Verzahnung von freiwilliger Rückkehr
und Rückführungen in der Öffentlichkeitsarbeit, die Vereinheitlichung der Passersatzpapierbeschaffung sowie die Zentralisierung der Aufenthaltsbeendigung vorgeschlagen. Des
Weiteren wurden ein strukturiertes Vorgehen gegenüber
unkooperativen Herkunftsländern sowie eine Verbesserung
der Zusammenarbeit mit Ärzten bei der Feststellung der
Reisefähigkeit vorgeschlagen.46 Die Innenministerien der
Länder – mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz – beauftragten
die BLK-IRM, die Umsetzung dieser Maßnahmen zu prüfen
(IMK 2015: 22). Der nächste Bericht der BLK-IRM wird der
Innenministerkonferenz im Frühjahr 2016 vorgelegt.
Neuregelung des Ausweisungsrechts
Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und
der Aufenthaltsbeendigung, das am 1. August 2015 in Kraft
trat, regelte der Bundestag das in den §§ 53–56 AufenthG
verankerte Ausweisungsrecht neu. An die Stelle des bisherigen, dreistufigen Ausweisungssystems trat eine Regelung,
die den Ausländerbehörden eine am Einzelfall orientierte
Abwägung zwischen dem individuellen Bleibeinteresse
und dem staatlichen Ausweisungsinteresse auferlegt. In der
bisherigen Fassung wurde zwischen der zwingenden Ausweisung sowie der Regel- und der Ermessensausweisung
46 http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/
Infothek/Rueckkehrfoerderung/2014-bund-laender-koordi
nierungsstelle.pdf?__blob=publicationFile (24.02.2016).
Rückkehrmigration
unterschieden, mit der die Behörden auf Bedrohung der
öffentlichen Ordnung und Sicherheit reagieren konnten
bzw. mussten. Ebenso war geregelt, welche Personengruppe besonderen Ausweisungsschutz genoss. Mit der Neu
regelung reagierte der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung,
die das bisherige Ausweisungsrecht zunehmend in Frage
gestellt hatte (siehe auch Marx 2015).
5.2.1 Freiwillige Rückkehr
43
18 %), Mazedoniens (2.901, rd. 8 %) sowie Bosnien und
Herzegowinas (1.699, rd. 5 %).
Am 26. Februar 2015 wurde aufgrund des sprunghaften
Anstiegs der Asylzugangszahlen entschieden, auch kosovarischen Staatsangehörigen, die nach dem 31. Dezember 2014 eingereist waren, keine Reisebeihilfe und keine
Starthilfe mehr, sondern nur noch Beförderungskosten
zu gewähren, wie dies bereits für Personen aus Ländern
des Westbalkans eingeschränkt wurde, seit für diese eine
visumsfreie Einreise gilt.
Rückkehrförderung REAG/GARP
Im Jahr 2015 wurden insgesamt 35.514 Förderungsbewilligungen zur freiwilligen Ausreise über das Programm
REAG/GARP erteilt. Dies bedeutet im Vergleich zum
Vorjahr eine Zunahme um rund 242 % (2014: 10.375 Förderungsbewilligungen). Abbildung 3 zeigt, dass das Gros der
Bewilligungen auf Staatsangehörige Albaniens (absolut:
11.378, d. h. rd. 32 % aller Bewilligungen) und des Kosovo
(8.026, rd. 23 %) entfiel. Weitere wichtige Gruppen unter
den Rückkehrern waren Staatsangehörige Serbiens (6.155:
Leitlinien zur Rückkehrberatung
Die Arbeitsgruppe ‚Freiwillige Rückkehr‘ der BLK-IRM
(siehe oben), die sich aus dem BAMF sowie Vertretern der
für freiwillige Rückkehr zuständigen Stellen der Bundesländer zusammensetzt, hat im April 2015 Leitlinien für
die Rückkehrberatung erarbeitet und veröffentlicht. Ziel
ist, die Rückkehrberatung flächendeckend an einheitlichen Standards und Zielen auszurichten. Dies soll bereits
Abbildung 3: Förderungsbewilligungen REAG/GARP 2015
Gesamtzahl: 35.514
11.378 Albanien
8.026 Kosovo
6.155 Serbien
2.901 EJR Mazedonien
1.699 Bosnien und Herzegowina
884 Russische Föderation
723 Irak
635 Montenegro
566 Georgien
381 Iran
2.166 Sonstige
Quelle: IOM Deutschland
44
Rückkehrmigration
Tabelle 3: Vollzogene Abschiebungen, Zurückschiebungen und Zurückweisungen (2011-2015)
2011
2012
2013
2014
2015
Abschiebungen
7.917
7.651
10.198
10.884
20.888
Zurückschiebungen
5.281
4.417
4.498
2.967
1.481
Zurückweisungen
3.378
3.829
3.856
3.612
8.913
Quelle: Deutscher Bundestag 2012, 2013, 2014c, 2015i, 2016c
während des Asylverfahrens einsetzen und am Einzelfall
orientiert sein. Ebenso soll sie neutral und unter der
Berücksichtigung der aufenthaltsrechtlichen Situation
ergebnisoffen sein.47
Projekt URA 2 im Kosovo
Im Anschluss an ein von Januar 2006 bis Oktober 2008
durch die Europäische Kommission gefördertes Rückkehrprojekt startete im Januar 2009 im Kosovo ‚URA 2‘
als national gefördertes Folgeprojekt des Bundes in
Zusammenschluss mit mehreren Bundesländern (mittlerweile Baden-Württemberg, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen). Im
Jahr 2016 kamen weiterhin die Bundesländer Berlin und
Bremen hinzu. Ziel des Projektes ist es zurückkehrenden
Personen die Reintegration in der Republik Kosovo zu
erleichtern und das Rückkehrmanagement insgesamt
weiter zu verbessern. Das Projekt bietet neben Sozial
beratung und Arbeitsvermittlung auch psychologische
Betreuung für Rückkehrende an. Im Jahr 2015 wurden
4.310 Sozialberatungen geleistet und 805 Personen finanziell unterstützt (2014: 234 finanzielle Unterstützungen).
Integrierte Reintegration im Irak
(Autonome Region Kurdistan – ARK)
Zum 1. Juni 2015 starteten das BAMF und IOM das Projekt
‚Integrierte Reintegration im Irak (Autonome Region
Kurdistan – ARK)‘. Mit dem Programm werden freiwillige
Rückkehrer und Reintegration in die ARK gefördert, die
die Voraussetzungen für eine Förderung über das REAG/
GARP-Programm erfüllen müssten. Unterstützt werden
können unter anderem die Gründung von Mikrounternehmen, eine Berufsausbildung sowie die Wohnungs- und
47 http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Rueckkehrfoerderung/leitlinien-zurr%C3%BCckkehrberatung.pdf?__blob=publicationFile
(24.02.2016).
Schulsuche. Darüber hinaus können spezielle Hilfen für
besonders Schutzbedürftige bereitgestellt werden. Ko
finanziert wird das Projekt durch den Asyl-, Migrationsund Integrationsfonds (AMIF).48 Bereits zwischen 2012
und 2015 hatten das Bundesamt und IOM mit Unterstützung des Europäischen Rückkehrfonds ein Reintegrationsprojekt in der Region durchgeführt.
Rückkehrprogramme der Länder, Kommunen
und von nicht-staatlichen Akteuren
Neben den staatlichen Programmen zur freiwilligen Rückkehr haben eine Vielzahl von Ländern und Kommunen
sowie nicht-staatlichen Organisationen weitere Programme aufgelegt, die sich teils auf bestimmte (besonders
vulnerable) Zielgruppen, spezifische Herkunftsregionen
oder besondere Förderleistungen und Rückkehrvorbereitungsmaßnahmen konzentrieren (vgl. Grote 2015).
5.2.2 Zwangsweise Rückkehr
Statistiken
Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 20.888 Abschiebungen, 1.481 Zurückschiebungen und 8.913 Zurückweisungen vollzogen (vgl. zu den Vorjahren Tabelle 3).
Zugriff auf die Daten von Internetanbietern
Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und
der Aufenthaltsbeendigung ermöglicht der Gesetzgeber
den Behörden, Daten bei Telekommunikationsanbietern
abzufragen (§ 48a AufenthG), „soweit dies für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers
und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rück-
48 http://www.bamf.de/DE/Rueckkehrfoerderung/ProjektNord
irak/projekt-nordirak-node.html (26.02.106).
Rückkehrmigration
führungsmöglichkeit in einen anderen Staat […] erforderlich ist und der Zweck der Maßnahme nicht durch mildere
Mittel erreicht werden kann“ (§ 48 Abs. 3a). Vor Inkrafttreten des Gesetzes war es den Behörden lediglich möglich,
Datenträger im Besitz des Ausländers auszuwerten.
45
Mit § 62b AufenthG wurde darüber hinaus der Ausreise
gewahrsam geschaffen. Damit kann eine vollziehbar
ausreisepflichtige Person auf richterliche Anordnung für
bis zu vier Tage in Gewahrsam genommen werden, wenn
die Ausreisepflicht abgelaufen ist und er wiederholt seinen
Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist oder über
seine Identität getäuscht hat.
Neuregelung der Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam
Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts
und der Aufenthaltsbeendigung legte der Gesetzgeber
auch Kriterien vor, wann von einer Fluchtgefahr ausgegangen werden und dementsprechend Abschiebungshaft
verhängt werden kann. Nach § 2 Abs. 14 AufenthG sprechen nunmehr die folgenden Kriterien für das Vorliegen
einer Fluchtgefahr (im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5
AufenthG):
„1. d
er Ausländer hat sich bereits in der Vergangenheit
einem behördlichen Zugriff entzogen, indem er seinen
Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht
nicht nur vorübergehend gewechselt hat, ohne der
zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter
der er erreichbar ist,
2. d
er Ausländer täuscht über seine Identität, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von
Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben
einer falschen Identität,
3. d
er Ausländer hat gesetzliche Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität verweigert oder
unterlassen und aus den Umständen des Einzelfalls
kann geschlossen werden, dass er einer Abschiebung
aktiv entgegenwirken will,
4. d
er Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise
erhebliche Geldbeträge an einen Dritten für dessen
Handlung nach § 96 aufgewandt, die für ihn nach
den Umständen derart maßgeblich sind, dass darauf
geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung
verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht
vergeblich waren,
5. d
er Ausländer hat ausdrücklich erklärt, dass er sich
der Abschiebung entziehen will oder
6. d
er Ausländer hat, um sich der bevorstehenden
Abschiebung zu entziehen, sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen von vergleichbarem Gewicht
vorgenommen, die nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden können“.
Unangekündigte Abschiebungen
Zu Erleichterung von Abschiebungen hat der Gesetzgeber
mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz auch § 59
Abs. 1 AufenthG überarbeitet, sodass seit dem 21. Oktober 2015 Abschiebungen nicht mehr im Vorhinein angekündigt werden dürfen, wie es einzelne Bundesländer bis
dahin gehandhabt hatten.
Rückführungszentren
2015 richtete Bayern zwei Rückführungszentren für
Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten im Sinne des
§ 29a AsylG ein. Zur Erleichterung der späteren Abschiebung bringt Bayern Staatsangehörige der Balkanstaaten
nicht mehr in den regulären Aufnahmeeinrichtungen für
Asylbewerber unter, sondern in gesonderten Einrichtungen in Manching und Bamberg. Die dortigen Außenstellen
des Bundesamts bearbeiten ausschließlich Asylanträge
von Angehörigen der Westbalkanstaaten.
Diese Maßnahmen werden von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Nichtregierungsorganisationen aufgrund der
Unterbringungssituation, der Bedingungen für die Sozialberatung und dem dadurch angestoßenen Sonderverfahren, das vor allem Sinti und Roma trifft, kritisiert (Bayerischer Rundfunk 2016; Bayerischer Flüchtlingsrat 2015).
Neue Organisationseinheit zur Passbeschaffung
Am 5. November 2015 beschlossen die Parteivorsitzenden
der Regierungskoalition (CDU, CSU und SPD) in Berlin
bzw. Potsdam unter Fortentwicklung der bereits bestehenden Clearingstelle eine neue Organisationseinheit zu
schaffen, die in dauerndem Kontakt mit den Auslandsvertretungen der Herkunftsstaaten stehen soll, um diese
zur Rücknahme ihrer Staatsbürger zu bewegen sowie die
entsprechenden Passersatzpapiere zu beschaffen (CDU/
CSU/SPD 2015: 3; Lohse 2015b). Diese neue Organisationseinheit ist organisatorisch im Bundespolizeipräsidium
angebunden.
46
Rückkehrmigration
Arbeitsstäbe Rückführungen in den Bundesländern
Zur Ausweitung und Erleichterung von Abschiebungen
wurden in zahlreichen Bundesländern – meist angesiedelt
in den jeweiligen Innenministerien – sogenannte ‚Arbeits
stäbe Rückführungen‘ eingerichtet. Diese haben in der Regel die Aufgabe zur Beschleunigung aufenthaltsbeendender Maßnahmen beizutragen, wobei der Schwerpunkt auf
medizinische Abschiebehindernisse gelegt wird (FAZ 2015).
Keine Verlängerung der Winterabschiebestopps
Im Unterschied zu den Vorjahren erließen Thüringen
und Schleswig-Holstein keinen Abschiebestopp für
den Winter 2015/16. Diese Bundesländer hatten in den
Wintermonaten der vergangenen Jahre aufgrund humani
tärer Erwägungen keine Abschiebungen – insb. in die
Westbalkanländer – durchgeführt (vgl. BAMF/EMN 2015).
Internationaler Schutz und Asyl
6
47
Internationaler Schutz
und Asyl
6.1 Nationales Asylsystem
6.1.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Der Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder
politischen Gründen zählt zu den quantitativ bedeutendsten Aufenthaltszwecken in Deutschland. Die Voraussetzungen für die Aufnahme politisch Verfolgter sowie anderer Schutzsuchender sind in Art. 16a Grundgesetz (GG), in
den §§ 22–25 und 60 AufenthG sowie im Asylgesetz (AsylG)
geregelt. Das BAMF entscheidet über die Asylanträge.
Nach § 13 Abs. 2 AsylG wird mit jedem Asylantrag internationaler Schutz (Flüchtlingsschutz nach der Genfer
Flüchtlingskonvention und subsidiärer Schutz) und, wenn
der Antragsteller dies nicht ausdrücklich ablehnt, die
Anerkennung als Asylberechtigter nach dem Grundgesetz
beantragt. Außerdem wird von Amts wegen gemäß § 24
Abs. 2 AsylG festgestellt, ob Abschiebungsverbote nach § 60
Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (vgl. dazu auch Parusel
2010). Letzteres kann auch isoliert bei der zuständigen
Ausländerbehörde beantragt werden. Die Entscheidung
darf die Ausländerbehörde aber nach § 72 Abs. 2 AufenthG
nur nach vorheriger Beteiligung des BAMF treffen.
Dadurch kann die Sachkunde des Bundesamtes über die
Verhältnisse in den Herkunftsländern in die Entscheidung
einfließen.
Verantwortlich für die Unterbringung der Asylbewerber sowie die Gewährung der Geld- und Sachleistungen
zu ihrer Existenzsicherung sind die Bundesländer. Um
eine gleichmäßige Verteilung der Asylbewerber auf die
Bundesländer zu gewährleisten, wird für jedes Bundesland eine Aufnahmequote aufgrund der Einwohnerzahl
und des Steueraufkommens festgelegt (‚Königsteiner
Schlüssel‘). Zur Erstunterbringung haben die einzelnen
Bundesländer Aufnahmeeinrichtungen geschaffen, denen
jeweils eine Außenstelle des BAMF zugeordnet ist, wo der
Asylantrag gestellt wird. Die meisten Bundesländer haben
die langfristige Unterbringung an die Kommunen übertragen, die dazu sowohl auf Gemeinschaftsunterkünfte
als auch auf die dezentrale Unterbringung in Einzelwohnungen zurückgreifen.
Die Versorgung von Asylbewerbern ist im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. Während der ersten
drei Monate ist Asylbewerbern die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit untersagt. Nach dieser Zeit kann die
Bundesagentur für Arbeit der Ausübung einer abhängigen Beschäftigung zustimmen, falls für den konkreten
Arbeitsplatz kein Deutscher, EU-Staatsbürger oder rechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger zur Verfügung
steht. Nach 15 Monaten genießen sie einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt.
Seit 1953 haben mehr als 4 Millionen Menschen in
Deutschland einen Asylantrag gestellt, davon mehr als
3 Millionen seit 1990. Nach einem vorläufigen Höchststand im Jahr 1992 (438.191 Asylanträge) war die Zahl der
Asylanträge stark rückläufig. Nach einem Tiefststand von
19.164 Erstantragstellern im Jahr 2007 zeigt sich seither
wieder ein Anstieg der Antragszahlen. Im Jahr 2015 wurden
441.899 Erstanträge erfasst und damit die Rekordmarke
von 1992 übertroffen. Im Vergleich zum Vorjahr (173.072)
bedeutete dies einen Zuwachs um 155,3 %. 2015 wurden
insgesamt 476.649 Erst- und Folgeanträge auf Asyl gestellt.
Dies entspricht einem Anstieg um 135 % gegenüber dem
Vorjahr (2014: 202.834 Asylanträge).
6.1.2 Nationale Entwicklungen
Entwicklung der Asylantragszahlen
Im Jahr 2015 wurden beim BAMF 441.899 Asylerstanträge
gestellt, 268.827 mehr als im Jahr 2014 (+155,3 %). Die
Asylbewerberzahlen stiegen dabei bereits das achte Jahr in
Folge an. Wie Tabelle 3 zeigt, ist bei allen Hauptherkunftsländern mit Ausnahme Serbiens (-472 Erstanträge, -2,7 %)
und Eritreas (-2.322 Erstanträge, -17,6 %) ein Anstieg zu
verzeichnen. Am stärksten fiel der Zuwachs bei Asylanträgen aus Syrien (+119.325 Erstanträge, +303,4 %), Albanien
(+45.940 Erstanträge, +584,1 %), Kosovo (+26.519 Erstanträge, 383,9 %), Afghanistan (+22.267 Erstanträge, +244,3 %)
und Irak (+24.439 Erstanträge, +457,2 %) aus, wobei der
prozentuale Zuwachs am stärksten bei Asylbewerbern aus
Albanien, Irak und Kosovo ausfiel.
48
Internationaler Schutz und Asyl
Tabelle 4: Asylerstanträge in den Jahren 2014 und 2015, Hauptherkunftsländer
2014
2015
Veränderung der
Asylerstanträge
in %
Veränderung der
Asylerstanträge
absolut
Asylerstanträge
Asylanträge
insgesamt
Asylerstanträge
Asylanträge
insgesamt
173.072
202.834
441.899
476.649
155,3%
268.827
39.332
41.100
158.657
162.510
303,4%
119.325
Albanien
7.865
8.113
53.805
54.762
584,1%
45.940
Kosovo
6.908
8.923
33.427
37.095
383,9%
26.519
Afghanistan
9.115
9.673
31.382
31.902
244,3%
22.267
Irak
5.345
9.499
29.784
31.379
457,2%
24.439
17.172
27.148
16.700
26.945
-2,7%
-472
3.421
3.678
11.721
12.166
242,6%
8.300
13.198
13.253
10.876
10.990
-17,6%
-2.322
Mazedonien
5.614
8.906
9.083
14.131
61,8%
3.469
Pakistan
3.968
4.226
8.199
8.472
106,6%
4.231
Insgesamt
Syrien
Serbien
Ungeklärt
Eritrea
Quelle: BAMF. Die Reihenfolge richtet sich nach den zehn quantitativ bedeutsamsten Herkunftsländern im Jahr 2015
Die Hauptherkunftsländer der Asylantragsteller des Jahres 2015 waren Syrien, Albanien, Kosovo, Afghanistan, Irak,
Serbien, Eritrea, und die EJR Mazedonien.
Bei weiteren 221 Personen aus Syrien wurden nationale
Abschiebeverbote festgestellt.
Die Gesamtschutzquote stieg gegenüber dem Vorjahr
von 31,5 % auf 49,8 % merklich an. Sowohl die absoluten
Zahlen derer, die einen Schutzstatus erhielten, als auch
der Anteil der Schutzberechtigten an den Asylsuchenden stieg gegenüber dem Vorjahr an: So wurden im
Jahr 2015 137.136 Personen entweder als asylberechtigt
nach Art. 16a GG oder als Flüchtlinge gemäß der Genfer
Flüchtlingskonvention (GFK) anerkannt (2014 33.310).
Subsidiären Schutz erhielten 1.707 Personen (2014: 5.174);
nationale Abschiebeverbote wurden in 2.072 Fällen fest
gestellt (2014: 2.079).
Änderung des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG)
zum Asylgesetz (AsylG)
Hinsichtlich der wichtigsten Herkunftsländer war die
Schutzquote im Jahr 2015 bei Asylsuchenden aus Syrien (96,0 %), Eritrea (92,1 %) und Irak (88,6 %) am höchsten.
Bei den Herkunftsländern Syrien, Irak, Afghanistan und
Eritrea wird zu einem Großteil Flüchtlingsschutz gemäß
der GFK gewährt, während subsidiärer Schutz hier nur eine
nachrangige Rolle spielt. Aufgrund des seit Januar 2012 in
Syrien eskalierenden Bürgerkriegs stellt das Bundesamt
bei Antragstellern aus Syrien nunmehr grundsätzlich
Flüchtlingsschutz fest. Von 105.620 Entscheidungen zum
Herkunftsland Syrien wurden 101.137 Personen als asylberechtigt oder als Flüchtling im Sinne der GFK anerkannt,
während 61 Personen subsidiärer Schutz gewährt wurde.
Mit dem Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes zum 24. Oktober 2015 wurden die zum
1. Januar 2015 in Kraft getretenen Erleichterungen bei der
räumlichen Beschränkung teilweise wieder revidiert. Zwar
gilt nach wie vor, dass nach § 59a Abs. 1 Satz 1 AsylG die
räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf den Bezirk
der zuständigen Ausländerbehörde „erlischt, wenn sich
der Ausländer seit drei Monaten erlaubt, geduldet oder
gestattet im Bundesgebiet“ aufhält. Durch die Änderungen
gilt die räumliche Beschränkung jedoch weiterhin für
Asylbewerber, die verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 59a Abs. 1 Satz 2 AsylG). Dies
betrifft Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern im
Mit dem Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleuni
gungsgesetzes zum 24. Oktober 2015 wurde das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in Asylgesetz (AsylG) umbenannt
(vgl. für die damit einhergegangenen rechtlichen Änderungen Kap. 2.2 und 7.1.2).
Residenzpflicht
Internationaler Schutz und Asyl
49
Sinne von § 29a AsylG für die Dauer des Asylverfahrens
bzw. im Fall einer Ablehnung für die gesamte Dauer des
Aufenthalts im Bundesgebiet; alle anderen betrifft diese
Regelung für höchstens sechs Monate (siehe unten).
auch der Vorrang von Sach- gegenüber Geldleistungen für
die Dauer des Aufenthalts in einer Aufnahmeeinrichtung
vorgeschrieben. Zu diesem Zweck wurde § 3 Abs. 1 AsylbLG
neu gefasst. Die Änderungen traten zum 24. Oktober 2015
in Kraft.
Handlungsfähigkeit im Asylverfahren
Den Verschärfungen im Zuge des Asylverfahrensbe
schleunigungsgesetzes waren Initiativen unter anderem
Bayerns vorangegangen, die Asylbewerberleistungen
für Staatsangehörige der durch Anlage II zu § 29a AsylG
(zu diesem Zeitpunkt noch AsylVfG) zu sicheren Herkunftsstaaten erklärten Länder auf das unabweisbare
Minimum zu reduzieren (Bundesrat 2015d). Dieser
Vorschlag konnte sich jedoch nicht durchsetzen und die
Verschärfungen erfolgten letztlich über den unbefristeten
Verbleib von Asylbewerbern aus sogenannten sicheren
Herkunftsstaaten in den Aufnahmeeinrichtungen und
dem dortigen Primat von Sachleistungen.
Mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz wurde die
Handlungsfähigkeit in asyl- und aufenthaltsrechtlichen
Verfahren auf 18 Jahre angehoben. Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes lag die Handlungsfähigkeit in asyl- und
aufenthaltsrechtlichen Belangen bei 16 Jahren, sodass
auch Minderjährige ohne die Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters rechtswirksame Handlungen, wie etwa
das Stellen eines Asylantrags, vornehmen konnten. Dies
war insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die
Situation unbegleiteter Minderjähriger von Menschenrechtsorganisationen wiederholt kritisiert worden (siehe
auch Müller 2014).
Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten
Bereits am 24. Februar 2015 hatte Bayern über den Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Einstufung Albaniens,
Montenegros und Kosovos als sichere Herkunftsstaaten
eingebracht. Da im Bundesrat die nötige Mehrheit verfehlt
wurde, wurde der Gesetzentwurf allerdings zu dem Zeitpunkt nicht in den Bundestag eingebracht. Auf Initiative
der Bundesregierung erklärte der Bundestag mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz am 15. Oktober 2015
schließlich doch Albanien, Kosovo und Montenegro zu
sicheren Herkunftsstaaten.
Verlängerung des Aufenthalts in Aufnahmeeinrichtungen
Um die Verfahrensdauer zu verkürzen wurde mit dem
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz auch die Höchstaufenthaltsdauer in einer Aufnahmeeinrichtung von drei
auf sechs Monate heraufgesetzt (§ 47 Abs. 1 AsylG). Für
Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten gilt gar keine
Höchstdauer; sie müssen bis zum Abschluss des Asylverfahrens bzw. im Fall der Ablehnung bis zur Ausreise in
einer Aufnahmeeinrichtung verbleiben (§ 47 Abs. 1a AsylG).
Änderungen bei der Versorgung von Asylbewerbern
Da der Gesetzgeber in den Asylbewerberleistungen einen
der Gründe für die steigende Zahl der Asylgesuche sah,
wurde mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz
Erst zum 1. März 2015 waren Änderungen bei der Versorgung von Asylbewerbern in Kraft getreten, mit denen der
Bundestag den Vorrang von Geld- vor Sachleistungen nach
dem Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung vorschrieb
(§ 3 Abs. 2 AsylbLG; siehe auch BAMF/EMN 2015: 52 f.).
Einreisesperre bei offensichtlich unbegründeten
Asylanträgen
Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts
und der Aufenthaltsbeendigung, das am 1. August 2015
in Kraft trat, wurde § 11 AufenthG neu gefasst, sodass das
BAMF die Möglichkeit hat, im Fall der Ablehnung eines
Asylantrags als offensichtlich unbegründet eine befristete
Wiedereinreisesperre zu verhängen. Diese Maßnahme
ist Teil der Strategie, Asylanträge von Personen aus den
sicheren Herkunftsstaaten des Westbalkans zu reduzieren,
da diese Anträge im Fall einer Ablehnung kraft Gesetz als
offensichtlich unbegründet abgelehnt werden.
Darüber hinaus wurde dem Bundesamt die Aufgabe
übertragen, von Amts wegen die Befristung eines Einreiseund Aufenthaltsverbots im Dublin-Verfahren anzuordnen,
in denen eine Überstellung des Drittstaatsangehörigen in
einen EU Mitgliedstaat erfolgt.
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1
AufenthG entfaltet seine Wirkung kraft Gesetzes mit der
tatsächlichen Abschiebung (sowie Ausreise nach Ausweisung und Zurückschiebung) des Drittstaatsangehörigen.
Daher muss weder in Dublin-Verfahren noch in den
übrigen ablehnenden Bescheiden, in denen eine Abschiebungsandrohung oder Anordnung erlassen wurde, eine
50
Internationaler Schutz und Asyl
Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erlassen
werden, sondern lediglich das Einreise- und Aufenthaltsverbot (nach Ermessen) befristet werden.
initiative in den Bundesrat eingebracht, diese dann jedoch
mit Verweis auf das durch die Bundesregierung vorgelegte
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz zurückgezogen
(Bundesrat 2015e).
Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Bundesländern
Auf eine Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit zielte
auch ein Vorstoß des Freistaats Sachsen. Angesichts der zunehmenden Belastung der Verwaltungsgerichte aufgrund
von Klagen gegen negative Asylbescheide beabsichtigte das
Bundesland, Richter auf Probe als Einzelrichter über einfach gelagerte Asylfälle entscheiden zu lassen; der Vorgang
wurde an den Innen- und Rechtausschuss überwiesen
(Bundesrat 2015f).
Mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz wurde § 45
Abs. 2 AsylG neu geschaffen, um bei Aufnahmeengpässen
Kooperationen zwischen den Ländern zu ermöglichen.
Damit wird es möglich, dass zwei oder mehr Länder
vereinbaren können, „dass Asylbegehrende, die von einem
Land entsprechend seiner Aufnahmequoten aufzunehmen
sind, von einem anderen Land aufgenommen werden“
(§ 45 Abs. 2 AsylG).
Vereinfachte Schaffung neuer Asylbewerberunterkünfte
Verfahrensänderungen bei der Registrierung
Asylsuchender
Am 15. Dezember 2015 brachte die Bundesregierung
einen Gesetzentwurf zur Registrierung Schutzsuchender
in den Bundestag ein und schuf mit der Neufassung von
§ 63a AsylG die rechtliche Grundlage für den Ankunftsnachweis. Mit diesem Dokument wird die Registrierung
ankommender Asylsuchender vereinfacht, indem alle
beteiligten Behörden – BAMF, Aufnahmeeinrichtungen,
Grenzpolizeien und Ausländerbehörden – die Daten zur
Registrierung und Ausstellung des Ankunftsnachweises in
einer für alle Behörden zugänglichen Datenbank abrufen können (BAMF 2015e). Damit werden die Verfahren
vereinfacht, da nur ein einzelner Registrierungsvorgang
erfolgt, statt Asylsuchende bei allen Behörden jeweils neu
zu registrieren. Gleichzeitig ist der Ankunftsnachweis die
Voraussetzung für den Bezug voller Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz. Das Gesetz ist am 06. Februar 2016 in Kraft getreten. Der Bundestag stimmte dem
Gesetz am 14. Januar 2016 zu. Bereits Ende Dezember 2015
wurde an vier Standorten des BAMF mit der Erprobung
des Ankunftsnachweises begonnen, Berlin, Heidelberg,
Bielefeld und Zirndorf (BAMF 2015e).
Verwaltungsgerichtsreform
Mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz schuf
der Bundestag die Grundlage dafür, dass die Bundes
länder mittels Rechtsverordnung festlegen können, dass
sich Verwaltungsgerichte bei Asylsachen auf bestimmte
Herkunftsländer spezialisieren und Streitfälle aus den
Bezirken anderer Verwaltungsgerichte übernehmen können (§ 83 AsylG). Bereits am 14. September 2015 hatte das
Bundesland Brandenburg eine ähnlich lautende Gesetzes-
Im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes
ermöglichte der Gesetzgeber den Bundesländern und
Landesaufnahmebehörden bei der Schaffung neuer
Unterkünfte für Schutzsuchende bislang geltende Bauvorschriften zu unterschreiten. Zu diesem Zweck wurden
Änderungen im Bauplanungsrecht sowie im ErneuerbareEnergien-Wärmegesetz vorgenommen.
Entlastung von Ländern und Kommunen
Bereits im Dezember 2014 einigten sich Bund und Länder
darauf, dass der Bund den Ländern und Kommunen 2015
zusätzliche 500 Mio. € zur Verfügung stellt, um die mit der
Aufnahme von Asylbewerbern verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Im Fall weiterer, hoher Antragszahlen sind auch für das Jahr 2016 500 Mio. € vorgesehen
(Bundesrat 2015g). Vorgesehen sind die Mittel sowohl zur
Deckung der Aufwendungen für Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern als auch für die
Gewährleistung eines adäquaten Aufnahmesystems für
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Am 21. Mai 2015
stimmte der Bundestag und am 12. Juni 2015 der Bundesrat dem Gesetz zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von Ländern
und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung
von Asylbewerbern zu. Kern des Artikelgesetzes ist das neu
geschaffene Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Kommunalinvestitionsförderungsfonds“, mit dem
der Bund das vereinbarte Sondervermögen zur Verfügung
stellt. Zu diesem Zweck wurde auch ein Nachtragshaushalt
für das Jahr 2015 verabschiedet.
Im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes
wurde auch die Umsatzsteuerverteilung geändert, um Länder und Kommunen weiter zu entlasten. Ebenso erhöhte
Internationaler Schutz und Asyl
der Bund seine Beteiligung am sozialen Wohnungsbau,
um den mit der Asylzuwanderung verbundenen Mehrbedarf an günstigem Wohnraum zu begegnen.
Änderungen beim Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber
Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes lockerte die Bundes
regierung auch das Verbot der Leiharbeit für Asylbewerber
und Geduldete.49 Fachkräfte, denen eine Duldung oder
eine Aufenthaltsgestattung erteilt wurde, dürfen demzufolge bereits nach drei Monaten als Leiharbeiter tätig
werden; handelt es sich nicht um Fachkräfte, beträgt die
Frist 15 Monate (§ 32 Abs. 5 BeschV).
Dagegen verbot der Bundestag mit dem Asylverfahrens
beschleunigungsgesetz Asylbewerbern aus sicheren
Herkunftsstaaten im Sinne des § 29a AsylG, die nach dem
31. August 2015 ihren Asylantrag gestellt haben, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (§ 61 Abs. 2 AsylG).
Reformvorschläge der Oppositionsfraktionen
2015 brachten die Bundestagsfraktionen der Oppositions
parteien Bündnis 90 / Die Grünen sowie DIE LINKE mehrere Vorschläge zur Reform des Asylrechts ein.
51
gegen die asylrechtlichen Vorschriften – insbesondere bei
Verstößen gegen die Residenzpflicht – sowie bei der Verleitung zu missbräuchlichen Asylantragstellung verhängt
werden können (Deutscher Bundestag 2015k). Dagegen
forderte die Fraktion der Partei DIE LINKE den Bundestag
dazu auf, die illegale Einreise zu entkriminalisieren (Deutscher Bundestag 2015l).
Priorisierung der Antragsbearbeitung kosovarischer
Asylbewerber
Um die zu Jahresbeginn 2015 sprunghaft angestiegenen,
meist negativ beschiedenen Asylanträge von Kosovaren
zu reduzieren, wurden Anträge aus diesem Herkunftsland ab dem 18. Februar 2015 in den bayerischen und
baden-württembergischen Außenstellen des Bundesamts
sowie in den Außenstellen Karlsruhe und Braunschweig
gebündelt und prioritär entschieden. Offensichtlich
unbegründete Anträge sollten nach Möglichkeit innerhalb
von 14 Tagen entschieden werden. Über die erhoffte Signalwirkung sollte ein Rückgang der Asylanträge aus dem
Herkunftsland Kosovo bewirkt werden (Bröker 2015: 2).
Im weiteren Verlauf des Jahres zeigte die Maßnahme
Wirkung und die Antragszahlen aus dem Kosovo gingen
deutlich zurück.
Verfahrensbeschleunigung durch schriftliches Verfahren
Um den Arbeitsaufwand beim Bundesamt zu reduzieren,
schlug die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen vor, die
Widerrufsprüfung nach § 73 Abs. 2a AsylG abzuschaffen.
Zur Begründung führte die Partei an, dass in weniger als
3 % aller überprüften Asylberechtigungen bzw. Zuerkennungen von internationalem Schutz ein Widerruf erfolgte.
Die Kapazitäten beim Bundesamt sollten stattdessen für
die Prüfung und Bearbeitung von Asylanträgen genutzt
werden. Unterstützt wurde der Vorschlag von der Fraktion
DIE LINKE, scheiterte jedoch am Widerstand der Re
gierungsfraktionen (Deutscher Bundestag 2015j: 15489).
Zwei weitere, von Bündnis 90 / Die Grünen bzw. von der
Partei DIE LINKE eingebrachte Vorschläge sahen vor,
diejenigen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Straf- und
Bußgeldvorschriften abzuschaffen, die nur durch nichtdeutsche Staatsangehörige erfüllt werden können, bzw.
die illegale Einreise von der Strafbarkeit auszunehmen.
Der Vorschlag von Bündnis 90 / Die Grünen sieht unter
anderem vor, die §§ 84 bis 86 des AsylG zu streichen,
aufgrund derer Freiheits- bzw. Geldstrafen bei Verstößen
49 BGBl I, Nr. 14 vom 27.10.2015, S. 1789–1791.
Seit dem 26. Juni 2015 führte das Bundesamt auch bei eri
treischen Staatsangehörigen ein beschleunigtes Asylverfahren durch. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, auf
die Anhörung zu verzichten und stattdessen die Fluchtgründe schriftlich darlegen zu lassen. Dies setzt voraus,
dass der Asylantrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkt wird, keine Zweifel an der Identität
des Antragstellers bestehen und Deutschland nach den Bestimmungen der Dublin-III Verordnung zuständig für die
Durchführung des Asylverfahrens ist. Ähnlich beschleunigte Verfahren wurden ebenso bei Syrern sowie Christen,
Mandäern und Yeziden aus dem Irak durchgeführt. Nach
öffentlicher Kritik am beschleunigten Verfahren und Sicherheitsbedenken wird seit 1. Januar 2016 auch bei diesen
Herkunftsländern wieder standardmäßig eine Einzelfallprüfung mit Anhörung vorgenommen.
Veränderungen bei der Asylantragsbearbeitung
Um die Zunahme der Asylanträge bewältigen zu können,
nahm das Bundesamt – zum Teil in Abstimmung mit den
Ländern – eine Vielzahl von Veränderungen vor. So erhält
52
das Bundesamt 4.000 zusätzliche Stellen, mit deren Einstellung bis Ende 2016 gerechnet wird. Nach Abschluss des
Rekrutierungsprozesses sollen ca. 7.300 Personen für das
Bundesamt arbeiten.
Neben den personellen Veränderungen wurden auch in
Zusammenarbeit mit den Bundesländern die Verfahrensabläufe überarbeitet. So wurden durch das BAMF
und die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und
Niedersachsen sogenannte Ankunftszentren in Heidelberg, Bad Fallingbostel, Manching und Bamberg eingerichtet. Dort werden Fälle aus sicheren bzw. besonders
unsicheren Herkunftsländern entschieden, die eine vereinfachte Entscheidung ermöglichen und in den besagten
Zentren innerhalb von 48 Stunden entschieden werden
sollen. Aufbauend auf diese Pilotprojekte soll das Verfahren im Laufe des Jahres 2016 in allen Bundesländern
eingeführt werden (vgl. Abbildung 4). Daneben richtete
die BPOL sogenannte Bearbeitungsstraßen in Rosenheim,
Passau und Deggendorf ein, um über Bayern eingereiste
Asylbewerber zügig registrieren zu können (Winterer
2015; Bayerischer Rundfunk 2015; Decker 2015).
Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte
Im Jahr 2015 wurde durch das Bundeskriminalamt (BKA)
ein Höchststand der Gewalttaten gegen Schutzsuchende
und ihre Unterkünfte registriert (vgl. Abschnitt 2.2).
6.1.3 Entwicklungen mit Bezug zur EU
Aussetzung der Dublin-Überstellungen
Zur Vermeidung einer humanitären Krise setzte die
Bundesregierung am 4. September 2015 die Dublin-Regelungen für über Ungarn und Österreich nach Deutschland
einreisende Asylbewerber aus. Bereits ab dem 21. August 2015 überstellte das Bundesamt keine syrischen
Schutzsuchenden mehr an andere EU-Mitgliedstaaten.
Überstellungen in andere Mitgliedstaaten
Am 12. Januar 2015 verlängerte der Bundesminister des
Innern die Aussetzung der Überstellung von Asylbegehrenden nach Griechenland um ein weiteres Jahr bis zum
12. Januar 2016. Seit dem 16. Dezember 2013 überstellt
das BAMF keine Asylsuchenden mehr im Rahmen des
Dublin-Verfahrens nach Griechenland und übt stattdessen
auf Anweisung des Bundesministerium des Innern das
Selbsteintrittsrecht aus (BAMF 2015f: 7).
Internationaler Schutz und Asyl
Im Rahmen des Dublin-Verfahrens überstellte Deutschland im Jahr 2015 3.597 Personen an andere Staaten, die
meisten davon an Italien (861), Polen (556) und Frankreich (427). 44.892 Übernahmeersuchen stellte Deutschland insgesamt an die Mitgliedstaaten. Die Zahl der
Übernahmeersuchen der anderen Mitgliedstaaten an
Deutschland lag im Jahr 2015 bei 11.785 Personen.
Sicherungshaft bei Überstellungen in andere
Mitgliedstaaten
In Reaktion auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs
(BGH) zur Sicherungshaft vor Überstellungen in andere
Mitgliedschaft hat der Bundestag am 2. Juli 2015 im Rahmen des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts
und der Aufenthaltsbeendigung die Voraussetzungen
für die Sicherungshaft überarbeitet. Der BGH hatte am
26. Juni 2014 festgestellt, dass die Bestimmungen für das
Vorliegen einer Fluchtgefahr nicht hinreichend konkret
genug sind, um Ausländer zum Zweck der Überstellung
in einen anderen Mitgliedstaat, der nach der Dublin-III
Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens
zuständig ist, zu inhaftieren. Mit den zum 1. August 2015
in Kraft getretenen Änderungen im Aufenthaltsgesetz
beabsichtigte der Gesetzgeber diese Lücke zu schließen.
Seitdem wird in § 2 Abs. 14 AufenthG geregelt, was als konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Fluchtgefahr
im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gilt.
Umsetzung der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU
und der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU in nationales Recht
in Deutschland
Nach Vorgabe der Europäischen Union sollten sowohl
die Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragt
haben (2013/33/EU), als auch die Richtlinie zum gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung
des internationalen Schutzes (2013/32/EU) bis zum
20. Juli 2015 in nationales Recht umgesetzt werden. Da
dies in Deutschland bis zu dem Zeitpunkt nicht erfolgte
und das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung des
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems noch läuft,
finden die Richtlinien seit dem 20. Juli 2015 unmittel
bare Anwendung (Art. 288 AEUV), bis ihre Bestimmungen
in deutsches Recht umgesetzt worden sind. Das BAMF
veröffentlichte aufgrund dessen am 20. Juli 2015 einen
Leitfaden zur unmittelbaren innerstaatlichen Anwendung der Verfahrensrichtlinie. Dies betrifft vor allem den
Umgang mit Personen, die besondere Verfahrensgaran
tien benötigen.
Internationaler Schutz und Asyl
53
Abbildung 4: Aktive Standorte des BAMF zum Stand 31.12.2015
Quelle: BAMF
54
Am 1. Oktober 2015 wurde ein Referentenentwurf des
Bundesministeriums des Innern zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)50 vorgelegt,
der beide Richtlinien in nationales Recht umsetzen soll.
Internationaler Schutz und Asyl
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6.2 Europäisches Unterstützungsbüro
für Asylfragen
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6.2.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
■■
Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen
(EASO) ist eine Einrichtung des europäischen Rechts mit
Sitz auf Malta. Die Rechtsgrundlage für EASO bildet die
Verordnung (EU) Nr. 439/2010 vom 19. Mai 2010. Hauptaufgaben von EASO gemäß der Verordnung sind:
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■■
Beitrag leisten zur besseren Umsetzung des Gemein
samen Europäischen Asylsystems (GEAS) einschließlich
der externen Dimension des GEAS,
Stärkung der praktischen Zusammenarbeit zwischen
den Mitgliedstaaten im Asylbereich und
Unterstützung von Mitgliedstaaten, deren Asyl- und
Aufnahmesysteme besonderem Druck ausgesetzt sind,
mit operativen Maßnahmen und/oder Koordinierung
einer solchen Unterstützung.
Darüber hinaus koordiniert EASO neben der Hilfe im operativen Bereich auch die multilateralen Komponenten des
innereuropäischen Umverteilungsprogramms (Relocation),
über das EU-Staaten Flüchtlinge aus solchen Mitgliedstaaten aufnehmen, in denen eine besonders hohe Zahl an
Asylbewerbern ankommt.
6.2.2 Entwicklung mit Bezug zur EU
Gemäß seinem Jahresarbeitsprogramm 2015 hatte sich
EASO folgende Arbeitsschwerpunkte gesetzt:
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Stärkung der Rolle gemeinsamer Schulungen und
der beruflichen Entwicklung im Bereich Asyl;
Verbesserung der Qualität von Asylverfahren und
-entscheidungen;
Erstellung weiterer gemeinsamer Informationen
über Herkunftsländer (COI);
Weiterentwicklung der gemeinsamen Bearbeitung;
Förderung des Dialogs mit Richtern im Asylbereich;
50 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Gemeinsamen
Europäischen Asylsystems.
■■
Unterstützung einer besseren Ermittlung schutzbedürftiger Personen;
Sammlung und Austausch korrekter und aktueller
Informationen und Unterlagen über die Funktionsweise
des GEAS und Weiterentwicklung eines Frühwarn- und
Vorsorgesystems (EPS) für die Analyse von Tendenzen;
rechtzeitige und umfassende Bereitstellung operativer
Unterstützung für die Mitgliedstaaten;
Förderung angemessener Aufnahmebedingungen und
Integrationsmaßnahmen;
Förderung von Synergien zwischen Vorgehensweisen
in den Bereichen Migration und Asyl, einschließlich der
Rückführung abgelehnter Asylbewerber;
Unterstützung der externen Dimension des GEAS.
Darüber hinaus lag im Verlauf des Jahres 2015 ein immer
größer werdender Schwerpunkt auf dem sogenannten
Hotspot-Ansatz. In Krisensituationen, ausgelöst durch unverhältnismäßig hohen Migrationsdruck, ist es den einzelnen Mitgliedstaaten nun möglich, Unterstützung zu
beantragen. EASO, FRONTEX und EUROPOL sollen dann
vor Ort helfen, ankommende Migranten schnell zu identifizieren und zu registrieren. Migranten, die offensichtlich
internationalen Schutz benötigen, sollen identifiziert und
in den europaweiten Verteilungsmechanismus (‚Relocation-Verfahren‘) einbezogen werden. Migranten ohne
Schutzbedürfnis sollen rückgeführt werden. In Zweifels
fällen soll der betreffende Mitgliedstaat selbst das Asylverfahren durchführen. Das BAMF hat mehrfach Mitarbeiter
zur Unterstützung der Hotspots in Italien und Griechenland entsandt.
Darüber hinaus wurden die AST-Unterstützungsleistungen (Asylum Support Team) für Bulgarien, Griechenland
und Zypern fortgesetzt.
Mitarbeiter des BAMF waren auch an den Aktivitäten des
Europäischen Schulungssystems im Rahmen von EASO
beteiligt. So fungierten sie bei verschiedenen Einsätzen als
Trainer für internationale Kollegen, arbeiteten an der Weiter- und/oder Neuentwicklung von Schulungsmodulen
mit oder nahmen selbst an Schulungen teil. Insbesondere
neue Mitarbeiter des BAMF wurden in den auf Deutsch
vorliegenden ETC-Core-Modulen geschult.
Zwei Mitarbeiterinnen des BAMF sind als nationale Experten dem EASO zugewiesen worden. Eine der Mitarbeiterinnen war als Koordinatorin für die Unterstützungsmaßnahmen für Griechenland und Zypern eingesetzt,
die andere Mitarbeiterin mit der Administration der
Herkunftsländerinformationen betraut.
Internationaler Schutz und Asyl
6.3 Kooperation mit Drittstaaten,
inklusive Neuansiedlung
(Resettlement)
6.3.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Am 9. Dezember 2011 sprach sich die Innenministerkonferenz (IMK) im Interesse einer Fortentwicklung und
Verbesserung des Flüchtlingsschutzes für eine permanente Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der
Aufnahme und Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus Drittstaaten (Resettlement) aus. Die
Durchführung des Resettlements erfolgt regelmäßig in
Zusammenarbeit mit dem UNHCR, der IOM, den entsprechenden nationalen Stellen der Erstzufluchtsländer sowie
den dortigen deutschen Auslandsvertretungen sowie unter finanzieller Beteiligung der EU-Kommission. Die entsprechenden Aufnahmeanordnungen werden vom BMI
im Benehmen mit den Ländern erlassen. In den ersten
drei Jahren wurden im Pilotprojekt jeweils 300 Personen
aufgenommen. 2015 wurde das jährliche Aufnahmekontingent auf 500 Personen festgesetzt. „In den Jahren 2016
und 2017 erfolgt die Aufnahme von Resettlement-Flüchtlingen im Rahmen eines Resettlement-Pilotprogramms
der Europäischen Union. Deutschland hat sich verpflichtet im Rahmen dieses Pilotverfahrens innerhalb von zwei
Jahren insgesamt 1.600 Schutzbedürftige aufzunehmen.
Dies wird unter Anrechnung des nationalen deutschen
Resettlement-Programms erfolgen, so dass in den Jahren
2016 und 2017 jeweils 800 Resettlement-Flüchtlinge aufgenommen werden“ (BMI 2016b). Resettlement-Flüchtlinge erhalten in Deutschland einen Aufenthaltstitel nach
§ 23 Abs. 4 AufenthG, der von Beginn des Aufenthalts zur
Ausübung jeder Erwerbstätigkeit und zum Bezug von Sozialleistungen nach SGB II bzw. SGB XII (‚Hartz 4‘) berechtigt. „Dazu gehört auch eine angemessene Unterkunft. Die
Sozialleistungen werden so lange gezahlt, bis die Betroffenen ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit
bestreiten können“ (BMI 2016b).
Neben dem Resettlement-Programm hatte die IMK in den
Jahren 2013 und 2014 humanitäre Aufnahmeprogramme
für jeweils 10.000 syrische Flüchtlinge aufgelegt, deren
Aufnahme sich bis ins Jahr 2015 andauerte (vgl. BMI 2013a,
BMI 2013b und BMI 2014d). Darüber hinaus ermöglichen seit 2013 die meisten Bundesländer den Nachzug
von einzelnen Verwandten von Syrern in Deutschland,
sofern letztere eine Verpflichtungserklärung (Bürgschaft)
abgeben, in der sie erklären und nachweisen können
jegliche Kosten des Aufenthalts der Familienangehörigen
zu tragen. In drei Bundesländern liefen die Programme
bereits 2014 wieder aus (Baden-Württemberg, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz), in sechs Bundesländern
55
bis 2015 (Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,
Niedersachsen, Saarland und Sachsen-Anhalt) und in
sechs weiteren Bundesländern wurden sie darüber
hinaus bis ins Jahr 2016 verlängert (Berlin, Brandenburg,
Hamburg, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen)
(vgl zu den jeweiligen Ländererlassen und Verlängerungen: Pro Asyl 2016). Bayern hatte von Beginn an nur eine
Aufnahme in Ausnahmefällen im Rahmen von Verpflichtungserklärungen angekündigt (STMI Bayern 2013).
6.3.2 Nationale Entwicklungen
Resettlement
Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts
und der Aufenthaltsbeendigung, das am 1. August 2015 in
Kraft getreten ist, wird auch das Resettlement-Verfahren
auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt. So wird
mit § 23 Abs. 4 AufenthG ein neuer Aufenthaltstitel für
Resettlement-Flüchtlinge geschaffen. Darüber hinaus
wurde die Rechtsstellung der Resettlement-Flüchtlinge
stärker an die der Asylberechtigten angeglichen. So haben
Flüchtlinge mit diesem Aufenthaltstitel nach drei Jahren
Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis;
ebenso werden die Voraussetzungen für den Familiennachzug erleichtert.
Im Rahmen der Beteiligung am Resettlement-Verfahren
nahm Deutschland im Jahr 2015 481 Flüchtlinge aus dem
Sudan und Ägypten auf. Es handelt sich dabei um Syrer,
Somali, Eritreer, Äthiopier, Iraker, Ugander, Sudanesen
und staatenlose Palästinenser, die zum Teil in Flüchtlingslagern untergekommen waren.
56
7
Unbegleitete Minderjährige und andere Gruppen mit besonderen Schutzbedürfnissen
Unbegleitete Minderjährige
und andere Gruppen
mit besonderen Schutz
bedürfnissen
7.1 Unbegleitete Minderjährige
7.1.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Ein ‚unbegleiteter Minderjähriger‘ (UM) bezeichnet einen
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen unter 18 Jahren,
der „ohne Begleitung eines für ihn nach dem einzelstaatlichen Recht oder den Gepflogenheiten des betreffenden
Mitgliedstaats verantwortlichen Erwachsenen in das
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreist, solange er sich
nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen
befindet; dies schließt Minderjährige ein, die nach der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort ohne
Begleitung zurückgelassen wurden“ (Art. 2 Buchstaben
d und e RL 2013/33/EU; vgl. auch Caritas 2016; Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter 2014: 7). UM kommen nach Deutschland, da sie vor Kriegshandlungen,
Menschenrechtsverletzungen oder wirtschaftlicher Not
fliehen. Manche verlieren ihre Angehörigen, andere
werden auf der Flucht von ihren Eltern getrennt, wieder
andere werden von ihren Familien nach Europa geschickt.
Die verschiedenen aufenthalts-, asyl- und sozialrechtlichen Maßnahmen und Verfahren, die im Zusammenhang
mit der Einreise, der Aufnahme und einer eventuellen
Rückkehr von UM zum Einsatz kommen, unterliegen
aufgrund nationaler und internationaler Vorschriften
zum Schutz von Kindern und Jugendlichen besonderen
Anforderungen. Nach erfolgter Inobhutnahme kommt
dem sogenannten ‚Clearingverfahren‘ eine wichtige Rolle
zu. Es dient u. a. dazu, den individuellen Bedarf an Jugendhilfemaßnahmen zu ermitteln und zu prüfen, ob die in
Obhut genommenen UM Verwandte in Deutschland oder
einem anderen EU-Land haben und ob die Stellung eines
Asylantrags sinnvoll erscheint. Aus diesem Grund ist die
Zahl der Inobhutnahmen von UM höher als die Zahl der
gestellten Asylanträge. Bislang wird das Clearingverfahren
je nach Bundesland unterschiedlich gehandhabt (Diakonie
2015b: 2). Das Asylverfahren folgt dagegen einheitlichen
Kriterien. Im BAMF sind Asylentscheider als „Sonderbeauftragte“ für den Umgang mit UM geschult, um sicherzustellen, dass die Anhörung bei UM weniger formal verläuft
als bei Volljährigen. Auch die Berücksichtigung kinderspezifischer Verfolgungsgründe sowie die Bescheidanfertigung erfordern die Beteiligung der Sonderbeauftragten.
Sie sind auch angehalten auf die Bedürfnisse Minderjähriger besonders sensibel einzugehen (Müller 2014: 19 f.).
7.1.2 Nationale Entwicklungen
Entwicklung der Asylantragszahlen unbegleiteter
Minderjähriger
Nach einem Rückgang der Asylantragszahlen von UM zwischen 2002 (873 Anträge) und 2007 (180) steigt die Zahl seit
2008 (324) wieder kontinuierlich an, wie Zahlen des BAMF
zeigen. 2014 lag die Zahl der unbegleiteten minderjährigen
Asylantragstellenden bereits bei 4.399 Personen, was einen
Anstieg um 77,0 % gegenüber dem Vorjahr bedeutete (2013:
2.485). 2015 hat sich die Anzahl der Asylerstanträge von UM
auf 14.439 mehr als verdreifacht (vgl. Abbildung 5). Die fünf
Hauptherkunftsländer 2015 waren Afghanistan (4.744 UM,
+351 % zum Vorjahr), Syrien (3.985 UM, +506,1 %), Eritrea
(1.349 UM, +46,3 %), Irak (1.340 UM, +811,1 %) und Somalia
(793 UM, +39,6 %). Im Jahr 2015 wurden zudem 123.040
Asylerstanträge von begleiteten minderjährigen Flüchtlingen gestellt (Deutscher Bundestag 2016d: 9 f.).
Die Gesamtschutzquote von UM gesamt, d. h. die Anzahl
der Asylanerkennungen, der Gewährungen von internationalem Schutz (Flüchtlingsschutz und subsidiärem
Schutz) sowie der Feststellung von Abschiebeverboten
bezogen auf die Gesamtzahl der Entscheidungen im
Jahr 2015 lag bei 90 %. Bei UM unter 16 Jahren lag sie mit
93,2 % noch darüber.
Erstantragsteller
in Personen–
Unbegleitete Minderjährige
Abb.
5
Erstantragsteller
in Personen
Unbegleitete Minderjährige und andere Gruppen mit besonderen Schutzbedürfnissen
Abb. 5
57
16.000
Abbildung 5: Unbegleitete Minderjährige, Erstantragsteller in Personen
16.000
14.000
14.000
12.000
12.000
10.000
10.000
8.000
8.000
6.000
6.000
4.000
4.000
2.000
2.000
0
0
2005
2005
2006
2006
2007
2007
2008
2008
2009
2009
2010
2010
2011
2011
2012
2012
2013
2013
2014
2014
2015
2015
Unbegleitete Minderjährige
Unbegleitete Minderjährige
– < 16 Jahren
Unbegleitete Minderjährige gesamt
Gesamtschutzquote
in Prozent
Unbegleitete
Minderjährige
Unbegleitete Minderjährige
– < 16 Jahren
Unbegleitete
Minderjährige
gesamt
Abb.
6
Gesamtschutzquote
in Prozent
Quelle: BAMF (bis einschließlich 2007 wurden 16- und 17-jährige UM nicht separat statistisch erfasst)
Abb. 6
Abbildung 6: Unbegleitete Minderjährige, Gesamtschutzquote in Prozent
100 %
100%%
90
8090%%
7080%%
6070%%
5060%%
4050%%
3040%%
2030%%
1020%%
010%%
0%
2005
2005
2006
2006
2007
2007
2008
2008
2009
2009
2010
2010
2011
2011
2012
2012
2013
2013
2014
2014
2015
2015
Unbegleitete Minderjährige < 16 Jahren
Unbegleitete Minderjährige gesamt
Unbegleitete Minderjährige < 16 Jahren
Unbegleitete Minderjährige gesamt
Quelle: BAMF (bis einschließlich 2007 wurden 16- und 17-jährige UM nicht separat statistisch erfasst)
58
Unbegleitete Minderjährige und andere Gruppen mit besonderen Schutzbedürfnissen
Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der
Aufenthaltsbeendigung
Am 1. August 2015 trat das Gesetz zur Neubestimmung
des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung in Kraft.
Neben einigen allgemeinen Neuregelungen des Bleiberechts wurde mit dem Gesetz „die bisher schon bestehende
Möglichkeit, einem gut integrierten jugendlichen oder
heranwachsenden Geduldeten legalen Aufenthalt zu
gewähren, erleichtert und von verzichtbaren Hemmnissen
bereinigt“ (Deutscher Bundestag 2015a: 1). Die Änderungen
des § 25a AufenthG sehen vor, dass gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende nicht mehr vor Vollendung des
14. Lebensjahres sondern vor ihrem 17. Lebensjahr in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist sein müssen sowie
sich nur noch vier statt sechs Jahre ohne Unterbrechungen
erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung in
Deutschland aufgehalten haben müssen, um ein Bleiberecht zu erhalten (NKR 2014: 5). Flüchtlingsorganisationen
sowie Wohlfahrtsverbände bewerteten die Neuregelungen
für UM positiv. Sie seien „grundsätzlich geeignet, den Begünstigtenkreis tatsächlich zu erweitern“ (PRO ASYL 2015e:
16; vgl. auch Flüchtlingsrat Niedersachsen 2015b; Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege 2015: 1).
Darüber hinaus kann nun „Jugendlichen und jungen
Erwachsenen eine Duldung für die Ausbildung erteilt werden, wenn diese vor dem 21. Lebensjahr begonnen wird“
(Schwarz 2015: 4).
Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung
und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher /
Gesetzesänderungen
Am 1. November 2015 trat das Gesetz zur Verbesserung der
Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer
Kinder und Jugendlicher in Kraft. Inhalt des Gesetzes ist zum
einen die Neuorganisation der Verteilung von UM auf die
einzelnen Bundesländer, womit die Regelung abgelöst wurde, dass diejenigen Jugendämter für UM zuständig waren, in
deren Kommunen die UM ankamen und wodurch sich die
Leistungsverantwortung auf einige wenige Kommunen in
Deutschland konzentrierte (Diakonie 2015b). Die Änderungen erlauben nun eine bundesweite Verteilung von UM nach
einer Quotenregelung entlang des Königsteiner Schlüssels51.
51 Mithilfe des Königsteiner Schlüssels wird festgelegt, wie viele
Asylsuchende ein Bundesland aufnehmen muss. Ermittelt
wird die Prozentuale Aufteilung der Asylsuchenden anhand
der Steuereinnahmen (2/3) und Bevölkerungszahl (1/3) des
Bundeslandes im Vergleich. Die Quote wird jährlich neu
berechnet (BAMF 2013b: 32).
Ziel der Bundesregierung ist es, mit der Gesetzesänderung
insbesondere Jugendämter in Kommunen entlang der
Transitrouten oder mit Erstaufnahmeeinrichtungen zu
entlasten und durch die Verteilung im gesamten Bundesgebiet die Unterbringung, Versorgung und Betreuung der UM
besser gewährleisten zu können. Als Maßstab des Gesetzes
gelte „ein landesinternes und bundesweites Verteilungsverfahren, das sich an den Bedürfnissen der Kinder und
Jugendlichen orientiert“ (Deutscher Bundestag 2015m: 2).
Zugleich wird das Übereinkommen der Vereinten Nationen
über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention)52
berücksichtigt (Deutscher Bundestag 2015m: 1).
Von Seiten verschiedener Fach- und Wohlfahrtsverbände
sowie einzelner Oppositionsparteien wurden die Um
verteilungspläne kritisiert. So etwa durch den Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (BumF),
demnach „mit einem solchen System die Vorrangigkeit
des Kindeswohls nicht gewährleistet wird bzw. werden
kann“ (BumF 2014: 1; vgl. für ähnlich lautende Kritik durch
DIE LINKE sowie Bündnis 90/Die Grünen: Deutscher
Bundestag 2015n; Deutscher Bundestag 2015o). Auch, dass
„vor der Umverteilung keine rechtliche Vertretung bestellt
werden [soll]“, war einer der Kritikpunkte (BumF 2015a;
vgl. hierzu auch Diakonie 2015b: 4).
Das Gesetz umfasst zum anderen die Anhebung der Altersgrenze für Verfahrenshandlungen bzw. das Mindestalter
zur Handlungsfähigkeit in aufenthalts- und asylrechtlichen Verfahren von 16 auf 18 Jahre (Deutscher Bundestag
2015m: 2). Die Gesetzesänderung wurde von Verbänden
sowie den Oppositionsparteien DIE LINKE und Bündnis
90/Die Grünen begrüßt – u. a. da mit der Änderung der
UN-Kinderrechtskonvention Rechnung getragen werde,
die allen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren das
Recht auf Schutz, Förderung und Beteiligung zuspricht
(IGfH 2015: 6; BumF 2015b: 10; Caritas 2015b: 13; AFET
2015: 2; PRO ASYL 2015f: 2).
52 Die UN-Kinderrechtskonvention sieht eine dem Kindeswohl
entsprechende Unterbringung, Versorgung und Betreuung vor,
wobei für UM das Gebot der Gleichstellung mit anderen Kindern gilt: „Können die Eltern oder andere Familienangehörige
nicht ausfindig gemacht werden, so ist dem Kind im Einklang
mit den in diesem Übereinkommen enthaltenen Grundsätzen
derselbe Schutz zu gewähren wie jedem anderen Kind, das aus
irgendeinem Grund dauernd oder vorübergehend aus seiner
familiären Umgebung herausgelöst ist“ (Art. 22 Abs. 2 Satz 2
UN-Kinderrechtskonvention).
Unbegleitete Minderjährige und andere Gruppen mit besonderen Schutzbedürfnissen
7.1.3 Entwicklungen mit Bezug zur EU
Innerstaatliche Anwendung der EU-Verfahrensrichtlinie
(2013/32/EU)
Soweit Richtlinien auf Grund nicht termingerechter
Umsetzung durch Mitgliedstaaten unmittelbare Richtlinienwirkung erlangen, sind die Folgen daraus durch
die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte von
Amts wegen festzustellen. Ein Leitfaden stellt für das
Asylverfahren dar, in wie weit die entsprechenden Normen in Deutschland noch einer richtlinienkonformen
Auslegung bedürfen (zur Richtlinienumsetzung siehe
Abschnitt 6.1.3).
Die Regelungen beziehen sich u. a. auf die Asylantragstellung von unbegleiteten Minderjährigen:
„Die Mitgliedstaaten stellen nach Art. 7 Abs. 4 VRL
sicher, dass geeignete Stellen (hier das Jugendamt) das
Recht haben, im Namen eines UM förmlich einen Antrag
auf internationalen Schutz zu stellen, wenn diese Stellen
auf der Grundlage einer Würdigung der persönlichen
Umstände des Minderjährigen der Auffassung sind,
dass der Minderjährige möglicherweise internationalen Schutz benötigt. Das Jugendamt kann für einen UM
auch dann wirksam einen Asylantrag stellen, wenn es
nicht als Vormund bestellt ist, sofern dieser möglicherweise internationalen Schutz benötigt. Die Verfahrensbetreuung muss allerdings durch den Vormund erfolgen.
Beantragt der bestellte Vormund später erneut Asyl, ist
er zu informieren, dass bereits ein wirksamer Asylantrag
durch das Jugendamt vorliegt“ (BAMF 2015g: 3).
Darüber hinaus wurde die Möglichkeit eingeschränkt,
Asylanträge von unbegleiteten Minderjährigen als
offensichtlich unbegründet abzulehnen. Dies ist nur
noch möglich, wenn ein UM aus einem sicheren Herkunftsland kommt oder wenn dieser „eine Gefahr für die
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine
Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen
eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens
rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens
drei Jahren verurteilt worden ist“ (§ 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG; Art. 25 Abs. 6 VRL i. V. m. Art. 31 Abs. 8 und Art. 32
Abs. 2 VRL; BAMF 2015g: 6).
59
7.2 Andere besonders schutzbedürftige
Gruppen
7.2.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Als besonders schutzbedürftige Personen gelten nach
Artikel 21 der europäischen Aufnahmerichtlinie (2013/33/
EU)53 neben UM sowie Minderjährigen in Begleitung
z. B. Menschen mit einer Behinderung, ältere Menschen,
Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren
körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen
Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung
oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer
oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z. B. Opfer der
Verstümmelung weiblicher Genitalien. Asylantragstellende im Alter von 65 Jahren und älter machten im Jahr
2014 0,8 % aller Antragstellenden aus (BAMF 2015h: 21).
Nach Schätzungen der Fachstelle MenschenKind sind
wiederum „zehn bis fünfzehn Prozent der Flüchtlinge und
Asylsuchenden in Deutschland krank oder behindert“
(MenschenKind 2015).
Im Asylverfahren werden bei der Bearbeitung von
Anträgen bestimmter Personengruppen (unbegleitete
Minderjährige, geschlechtsspezifisch Verfolgte, Opfer von
Menschenhandel, Folteropfer und traumatisierte Asylbewerber) sogenannte Sonderbeauftragte eingebunden.
Hierbei handelt es sich um besonders geschulte Asylsachbearbeitende, die mit den spezifischen Belangen der
einzelnen schutzwürdigen Personengruppen vertraut gemacht wurden. Diese Entscheiderinnen und Entscheider
verfügen zudem über spezielle rechtliche, kulturelle und
psychologische Kenntnisse, um die Verfahren einfühlsam
durchführen zu können.
Die Gesundheitsversorgung von Asylantragstellenden mit
besonderer Schutzbedürftigkeit wird durch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. § 4 AsylbLG
sieht eine medizinische Grundversorgung für alle Asylsuchenden vor. Besonders Schutzbedürftige können
darüber hinaus Leistungen erhalten, die ihre gesundheitlichen Bedürfnisse abdecken, „wenn sie im Einzelfall
zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit
unerlässlich“ sind (§ 6 Abs. 1 AsylbLG) (Schwalgin 2014;
vgl. zur Kritik an der Versorgung von Schutzsuchenden
mit Behinderung: MenschenKind 2015; Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. 2015).
53 Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen.
60
Unbegleitete Minderjährige und andere Gruppen mit besonderen Schutzbedürfnissen
Im Rahmen von Asylverfahren werden von den Antragstellenden regelmäßig auch gesundheitliche Beeinträchtigungen vorgetragen. Das BAMF prüft in derartigen Fällen,
wenn nicht bereits internationaler Schutz zuzuerkennen
ist, ob bei Rückkehr die Gefahr einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung droht und deshalb die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes in Betracht
kommt. Die Mitarbeitenden des BAMF sind selbst nicht
dafür ausgebildet, Erkrankungen zu diagnostizieren. Sie
sind jedoch geschult im Umgang mit besonders schutzberechtigten Gruppen auf Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer Erkrankung zu achten. Kommt es für die Verfahrensfähigkeit oder die Entscheidung in der Sache darauf
an, ob eine Erkrankung vorliegt, wird gegebenenfalls eine
ärztliche Stellungnahme berücksichtigt, die entweder vom
Antragstellenden selbst vorgelegt oder vom Bundesamt
angefordert wird.
7.2.2 Nationale Entwicklungen
Opfer von Menschenhandel
Vgl. Kap. 8.
Unterkünfte für besonders Schutzbedürftige
Unter anderem in Hamburg, Berlin und Durlach bei
Karlsruhe wurden im Jahr 2015 Unterkünfte eingerichtet,
die auf die spezifischen Bedürfnisse besonders Schutzbedürftiger eingehen, wie z. B. für Schwangere, alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern und/oder ältere
geflüchtete Frauen (vgl. Terre des Femmes 2015a), blinde
Schutzsuchende, Menschen mit Lähmungen sowie Traumatisierte. Weitere sind in Planung, wie beispielsweise
in Köln oder eine Einrichtung nur für Frauen in Volksdorf bei Hamburg, die ab Januar 2016 bezogen werden
soll (Deutschlandradio Kultur 2016; NDR 2015; Heimat
Echo 2015).
Maßnahmen gegen Menschenhandel
8
61
Maßnahmen gegen
Menschenhandel
8.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Das Strafgesetzbuch (StGB) unterscheidet im Bereich des
Menschenhandels folgende Tatbestände: Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (§ 232 StGB),
Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB) sowie Förderung des Menschenhandels
(§ 233a StGB).
Nach § 25 Abs. 4a AufenthG soll ausländischen Opfern des
Menschenhandels für einen vorübergehenden Aufenthalt
ein Aufenthaltstitel gewährt werden, auch wenn die betreffende Person vollziehbar ausreisepflichtig ist. Voraussetzung hierfür ist, dass die vorübergehende Anwesenheit der
betreffenden Person für die Durchführung eines Strafverfahrens als sachgerecht erachtet wird, dass sie jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat
begangen zu haben, abgebrochen hat und sie ihre Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat
als Zeuge auszusagen. Die Dauer der Aufenthaltserlaubnis
beträgt bei der erstmaligen Erteilung nach § 25 Abs. 4a
Satz 1 AufenthG ein Jahr. Ist das Strafverfahren beendet
und erfordern humanitäre oder persönliche Gründe oder
das öffentliche Interesse die weitere Anwesenheit, soll die
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a Satz 3 AufenthG um
zwei Jahre verlängert werden (vgl. § 26 Satz 5 AufenthG).
Zudem wird nach § 59 Abs. 7 AufenthG Opfern von
Menschenhandel eine Bedenk- und Stabilisierungsfrist
von drei Monaten gewährt, innerhalb derer sie nicht mit
aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen rechnen müssen,
unabhängig davon, ob sie später tatsächlich als Zeugen vor
Gericht auftreten (Diakonie 2015c: 38). Die Vorschriften
setzen dabei die Vorgaben der Richtlinie zur Regelung von
Aufenthaltstiteln für Betroffene von Menschenhandel
(2004/81/EG)54 sowie die am 31. Dezember 2015 in Kraft
getretene 3. Opferrechtsreformgesetz55, mit der auch Vor-
54 Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 über die
Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige,
die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe
zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den
zuständigen Behörden kooperieren.
55 Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz).
gaben der europäischen Opferschutzrichtlinie (2011/36/
EU)56 umgesetzt wurden, um.
Um die Bekämpfung insbesondere des Frauenhandels
besser zu koordinieren, wurde in Deutschland im
Jahr 1997 die ‚Bund-Länder-Arbeitsgruppe Frauenhandel‘
eingerichtet und im November 2012 in ‚Bund-LänderArbeitsgruppe Menschenhandel‘ umbenannt (BMFSFJ
2014b). Die Arbeitsgruppe setzt sich aus den zuständigen
Bundesressorts, dem Bundeskriminalamt (BKA), den
Vertretungen der Länder sowie Nichtregierungsorganisationen zusammen. Zu den Aufgaben der Arbeitsgruppe
gehören „ein kontinuierlicher Informationsaustausch
über die vielfältigen Aktivitäten in den Bundesländern
sowie in den nationalen und internationalen Gremien,
eine Analyse der konkreten Probleme bei der Bekämpfung des Menschenhandels“ sowie „die Erarbeitung
von Empfehlungen und gegebenenfalls gemeinsamen
Aktionen zur Bekämpfung des Menschenhandels“ (BMFSJ
2014b). Seit Bestehen der Arbeitsgruppe wurden unter
anderem Fortbildungen des BKA im Bereich der Polizei
durchgeführt, ein Kooperationskonzept für Zeuginnen,
die nicht im Zeugenschutzprogramm sind, erarbeitet, eine
Empfehlung zum Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes der Opfer von Menschenhandel für die
Bundesländer veröffentlicht sowie ein „Arbeitspapier zur
Standardisierung der Aus- und Fortbildung im Bereich
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“
erstellt (BMFSJ 2014b).
Eine der beteiligten Nichtregierungsorganisationen ist
der von der Bundesregierung geförderte ‚Bundesweite
Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e. V.‘ (KOK).
„Der KOK e. V. ist ein bundesweit einzigartiger Zusammenschluss aus 37 Frauenorganisationen und Fachberatungsstellen, die sich gegen Menschenhandel und Gewalt
an Migrantinnen einsetzen“ (KOK 2015a: 2). Zu einem der
Arbeitsschwerpunkte gehört die Sensibilisierung und Bildungsarbeit zum Themenfeld. So entwickelte das BMFSFJ
56 Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlamentes und
des Rates vom 5. April 2011 zur Bekämpfung und Verhütung
des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur
Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates.
62
bereits im Jahr 2007 in Zusammenarbeit mit KOK deutschlandweit abgestimmte Aus- und Fortbildungsprogramme
für Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung. Die Programme
richten sich an Polizei, Fachberatungsstellen, Justiz, Zoll,
Finanzkontrolle Schwarzarbeit, Justizvollzugsanstalten
und sonstige Behörden (BMFSFJ 2007).
Um wiederum die Bekämpfung des Menschenhandels
zum Zweck der Arbeitsausbeutung besser zu koordinieren, wurde im Februar 2015 die Bund-Länder-Arbeitsgruppe gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung
gegründet. Die Arbeitsgruppe baut auf dem Projekt
‚Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung‘
(BGMA) auf,57 hat sich allerdings zum Ziel gesetzt, die
Arbeit auf weitere Bundesländer zu erweitern und die
Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie
Ministerien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen
Akteuren zu verbessern und diese stärker zu vernetzen
(unsichtbar – BGMA 2015b).
Seit 1976 ist in der Bundesrepublik das Opferentschädigungsgesetz in Kraft, das 1993 und zuletzt 2009 aktualisiert wurde. Opfern von Gewalttaten kommen demnach
unabhängig von anderen Sozialleistungen die gleichen
Leistungen zu wie Kriegsopfern. Mit der Broschüre „Hilfe
für Opfer von Gewalttaten“ bringt das BMAS eine regelmäßig überarbeitete Handreichung für Betroffene, die
Polizei sowie Opferbetreuer heraus, durch die u. a. Opfer
von Menschenhandel über etwaige Entschädigungen
informiert werden können (BMAS 2016).
Seit März 2013 betreibt das Bundesamt für Familien und
zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) auf Grundlage
des Gesetzes zur Einrichtung und zum Betrieb eines
bundesweiten Hilfetelefons ‚Gewalt gegen Frauen‘ (Hilfe
telefonG) das ‚Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen‘. Dieses
ist täglich 24 Stunden und 365 Tage im Jahr besetzt. Unter
der Nummer 08000 116 016 erhalten Betroffene, aber
auch das soziale Umfeld, unentgeltliche und auf Wunsch
anonyme Beratung bei allen Formen von Gewalt gegen
Frauen einschließlich Frauenhandel, Gewalt im Rahmen
von Prostitution sowie spezielle Gewaltkontexte, wie u. a.
bei Migrantinnen. Auch Frauen mit Gewalterfahrung im
Kontext von Flucht und Unterbringung steht das Hilfstelefon zur Verfügung. Um auf die spezielle Situation von
geflüchteten Frauen und Frauen mit Migrationsgeschichte
eingehen zu können und diese gezielt anzusprechen, stellt
57 Das Projekt wurde nach dreijähriger Arbeit am 30.09.2015
eingestellt (unsichtbar – Bündnis gegen Menschenhandel zur
Arbeitsausbeutung 2015a).
Maßnahmen gegen Menschenhandel
das Hilfstelefon Informationsmaterial und Beratung in
15 Sprachen58 sowie für Gehörlose (Gebärdensprach
dolmetschdienst) bereit (BMFSFJ 2013: 1). Auch Beschäftigten aus Erstaufnahmeeinrichtungen bietet das Hilfstelefon Beratung an, wenn ihnen Fälle von Gewalt gegen
Frauen in ihrer täglichen Arbeit begegnen (BMFSJ 2015d).
Desweiteren kann Beratung über E-Mail und einen
Termin-Chat in Anspruch genommen werden. Die rund
70 weiblichen Fachkräfte des Hilfetelefons vermitteln
die betroffenen Frauen in erster Linie an Beratungsund Schutzeinrichtungen vor Ort. Im Jahr 2014 wurde
das Hilfetelefon knapp 50.000-mal kontaktiert, was zu
25.000 Beratungsgesprächen führte. 45 Frauen ließen sich
über das Hilfetelefon zum Thema Menschenhandel beraten (BAFzA 2015b: 49), wovon die Hälfte Menschenhandel
zum Zweck der sexuellen Ausbeutung Erwachsener, und
je knapp ein Fünftel Menschenhandel zum Zweck der
Arbeitsausbeutung sowie Menschenhandel zum Zweck
der sexuellen Ausbeutung Minderjähriger betraf (BAFzA
2015b: 55).
Das BAMF setzt seit 1996 in seinen Außenstellen für Opfer
des Menschenhandels besonders geschulte Sonderbeauftragte als Entscheider ein. Sonderbeauftragte gibt es
auch für geschlechtsspezifische Verfolgung, unbegleitete
Minderjährige, Folteropfer und traumatisierte Asylantragstellende. Die Sonderbeauftragten werden in die Entscheidung über den Asylantrag eingebunden (BAMF 2014c).
8.2 Nationale Entwicklungen
Im Jahr 2015 wurde die rechtliche Stellung der Opfer von
Menschenhandel durch drei Gesetzesnovellen unmittelbar tangiert, zum einen durch das Gesetz zur Änderung
des Asylbewerberleistungsgesetzes, durch das Gesetz zur
Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbe
endigung sowie durch das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz; vgl.
Kap. 8.3 zu Entwicklungen mit internationalem Bezug).
Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes
Am 1. Januar sowie 1. März 2015 traten Änderungen im
Asylbewerberleistungsgesetz in Kraft, die u. a. auch Opfer
von Menschenhandel betrafen. So haben sie seit Inkraft-
58 Arabisch, Bulgarisch, Chinesisch, Englisch, Französisch,
Italienisch, Persisch/Farsi, Polnisch, Portugiesisch, Russisch,
Serbisch/Serbo-Kroatisch, Spanisch, Türkisch, Vietnamesisch.
Maßnahmen gegen Menschenhandel
treten Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch und nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungs
gesetz (vgl. Der Paritätische Gesamtverband: 2015: 4).
Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts
und der Aufenthaltsbeendigung
Das Gesetz trat am 01. August 2015 in Kraft. Es verbessert unter anderem das Aufenthaltsrecht der Opfer von
Menschenhandel und schafft ihnen eine Aufenthalts
perspektive nach ihrer Beteiligung am Strafverfahren gegen die Täter. § 25 Abs. 4a Satz 1 AufenthG wurde dahingehend verändert, dass Opfern von Menschenhandel, die im
Strafverfahren aussagen, eine Aufenthaltserlaubnis nicht
mehr nur erteilt werden „kann“ sondern „soll“. Die ‚SollRegelung‘ betrifft auch die in § 25 Abs. 4a Satz 3 AufenthG
festgelegte Verlängerung des Aufenthalts nach dem Strafverfahren, die regelmäßig für zwei Jahre erteilt wird. Eine
weitere Neuerung betrifft die Länge der Befristung des
Aufenthaltstitels: Er wird für ein Jahr und nicht mehr für
sechs Monate erteilt.
Auch die Möglichkeit eines Familiennachzugs zu Opfern
von Menschenhandel, der bis zu dem Zeitpunkt ausgeschlossen war, wurde durch das Gesetz ermöglicht:
„Durch die Aufnahme des Verweises auf § 25 Abs. 4a
Satz 1 wird der Familiennachzug zu Opfern von
Menschenhandel auch bereits während des laufenden
Strafverfahrens unter den Voraussetzungen von § 29
Abs. 3 Satz 1 [Nachzug nur aus humanitären oder anderen höherrangigen Gründen] zugelassen. Neben einem
besseren Schutz der Betroffenen soll dadurch auch die
Kooperationsbereitschaft im Strafverfahren erhöht werden: Zum einen wird die Erpressbarkeit der Betroffenen
durch Drohungen gegen Angehörige im Herkunftsstaat
verringert, zum anderen wirkt sich die Anwesenheit der
Kernfamilie stabilisierend auf die Betroffenen aus. Für
Opfer von Menschenhandel mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 3, d.h. nach Beendigung
des Strafverfahrens, gelten die zusätzlichen Anforderungen von § 29 Abs. 3 nicht. Der Familiennachzug richtet
sich in diesen Fällen nach den allgemeinen Regeln der
§§ 27 ff.“ (Gemeinsam gegen Menschenhandel 2015;
BMI 2014c: 30).
Desweiteren wurde der Zugang zu Integrationskursen
für Opfer von Menschenhandel erleichtert. So haben nun
auch diejenigen Personen Anrecht auf den Besuch von
Integrationskursen, deren Aufenthalt nach § 25 Abs. 4a
Satz 3 AufenthG verlängert wurde (§ 44 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1c AufenthG). Eine weitere Erleichterung betrifft die
63
Abschaffung des Widerrufsgrunds nach § 52 Abs. 5 Nr. 3,
wonach der Aufenthaltstitel bei Einstellung des Verfahrens widerrufen wurde (vgl. KOK 2015b: 3).
Einzelne zivilgesellschaftliche Organisationen äußerten
sich grundsätzlich positiv zu den Neuregelungen, übten
jedoch auch die Kritik, dass die Aufenthaltserlaubnis
für Opfer von Menschenhandel nach wie vor von der
Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden abhänge
(Terre des Femmes 2015b). Auch KOK e. V. befürwortete die
Änderungen grundsätzlich, wies aber ebenfalls darauf hin,
dass es bedauernswert sei, dass an dem Erfordernis der
Kooperationsbereitschaft seitens der Betroffenen mit den
Strafverfolgungsbehörden festgehalten werde, insbesondere wenn es sich um minderjährige Menschenhandels
opfer handele (KOK 2015b).
Statistik
Seit 1999 erstellt das BKA jedes Jahr ein „Bundeslagebild“
zum Thema Menschenhandel. Es enthält in gestraffter
Form die jeweils aktuellen Erkenntnisse zur Lage und Entwicklung in den Bereichen Menschenhandel zum Zweck
der sexuellen Ausbeutung sowie Menschenhandel zum
Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft.
Im Berichtsjahr 2014 wurden 392 Ermittlungsverfahren mit insgesamt 507 registrierten Tatverdächtigen im
Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen
Ausbeutung abgeschlossen. Im Vergleich zum Vorjahr
bedeutet dies einen Rückgang von 8 % bei den Ermittlungsverfahren und einen Rückgang von 19 % hinsichtlich
der Tatverdächtigen. Die Anzahl der offiziell erfassten
Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen
Ausbeutung stieg im Vergleich zu 2014 hingegen um rund
3 % an, nachdem im Vorjahr insgesamt 557 Personen als
Opfer sexueller Ausbeutung ermittelt wurden. Bei den
Opfern handelte es sich überwiegend um Frauen (95 %).
Zwei Drittel der 2014 erfassten Opfer hatte einen osteuropäischen Migrationshintergrund, wobei die Mehrzahl der
Opfer nicht deutscher Herkunft aus Rumänien (37,9 %),
Bulgarien (16,0 %), Ungarn (7,2 %), Polen (3,8 %) und Nigeria (3,2 %) kamen. 266 Opfer (48 %) waren unter 21 Jahre
alt, während 57 Betroffene minderjährig und fünf von
diesen unter 14 Jahre alt waren (BKA 2015b: 5 f.).
Im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB) wurden im Jahr
2014 insgesamt 11 Ermittlungsverfahren abgeschlossen (2013: 53) wobei 16 Tatverdächtige ermittelt wurden
(2013: 23). In diesem Zusammenhang wurden 26 Opfer
von Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der
64
Arbeitskraft registriert (2013: 35). Grund für den verzeichneten Rückgang ist laut BKA, „dass in das letztjährige
Lagebild ein umfangreiches Sammelverfahren einfloss“
(BKA 2015a: 8). Die Zahlen aus 2014 bewegten sich wieder
auf dem Niveau der Jahre 2012 und früher. Opfer kamen
2014 aus Bulgarien (9) und jeweils fünf aus Rumänien und
Vietnam. Sie wurden hauptsächlich auf dem Bau (9) oder
in der Gastronomie (8) aufgegriffen (BKA 2015a: 8).
8.3 Entwicklungen
mit internationalem Bezug
3. Opferrechtsreformgesetz
Mit dem 3. Opferrechtsreformgesetz, das am 31. Dezember 2015 in Kraft trat, wurden Verpflichtungen der Bundesrepublik aus der europäischen Opferschutzrichtlinie
(2012/29/EU) umgesetzt, wobei „Umsetzungsbedarf nur
in Teilbereichen, insbesondere bei den Verfahrens- und
Informationsrechten“ bestand (BMJV 2015). „Ein Meilenstein für den Opferschutz ist die Einführung der psychosozialen Prozessbegleitung. Damit bekommen besonders
schutzbedürftige Opfer die Möglichkeit, vor, während und
nach der Hauptverhandlung professionell begleitet zu
werden. Insbesondere Kinder und Jugendliche, die Opfer
schwerer Sexual- oder Gewaltdelikte geworden sind,
erhalten einen Rechtsanspruch auf kostenlose psycho
soziale Prozessbegleitung. Für andere Opfer von schweren
Gewalt- und Sexualstraftaten soll das Gericht nach Lage
des Einzelfalls entscheiden, ob psychosoziale Prozessbegleitung erfolgen soll. Die Regelungen zur psychosozialen
Prozessbegleitung treten am 1. Januar 2017 in Kraft“
(BMJV 2015). Die Neuregelungen wurden von zivilgesellschaftlichen Akteuren begrüßt, allerdings „das Fehlen
bundesweiter Standards für die Prozessbegleitung sowie
die Beschränkung der Prozessbegleitung auf kindliche
und jugendliche Opfer von Sexual- und Gewalttaten
[bedauert]“ (KOK 2016).
Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie
zur Bekämpfung des Menschenhandels
Am 15. April 2015 verabschiedete die Bundesregierung
den Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur
Bekämpfung des Menschenhandels (2011/36/EU)59 und
59 Richtline 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des
Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur
Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates.
Maßnahmen gegen Menschenhandel
leitete diesen dem Bundestag zu. Der Gesetzesentwurf
sieht insb. zwei Maßnahmen zur Umsetzung der Richt
linie vor. Zum einen die „Erweiterung der Strafvorschrift
des § 233 des Strafgesetzbuchs (StGB) auf die Fälle des
Menschenhandels zum Zweck der Begehung strafbarer
Handlungen und der Bettelei; zudem soll der Menschenhandel zum Zweck des Organhandels, der derzeit
lediglich als Beihilfe zu Straftaten nach dem Transplantationsgesetz strafbar ist, ausdrücklich in §233 StGB unter
Strafe gestellt werden“. Zum anderen die „Erweiterung des
Qualifikationstatbestandes des § 233a StGB auf die Fälle,
in denen das Opfer unter 18 Jahre alt ist, und auf die Fälle
der grob fahrlässigen Gefährdung des Lebens des Opfers;
da in der Sache ein Gleichklang erforderlich ist, sollen
diese Erweiterungen auch für die entsprechenden Qualifikationstatbestände der §§ 232 und 233 StGB gelten“
(Bundesrat 2015i: 1).
Informationskampagnen
über Reise- und Aufnahmebedingungen
in wichtigen Herkunftsländern
Am 9. November 2015 beauftragte der Rat der Europäischen Union die Europäische Kommission, „eine
Informationsstrategie für Asylbewerber und Migranten zu entwickeln, in der auch auf die Gefahren durch
Schleuser und Menschenhändler hingewiesen wird.
Die Generaldirektion Migration und Inneres hat zu
diesem Ziel eine Arbeitsgruppe eingerichtet und führt
Konsultationen mit relevanten Generaldirektionen der
Europäischen Kommission, dem Europäischen Auswärtigen Dienst und internationalen Organisationen
durch“ (Deutscher Bundestag 2015p: 2). Der Vorschlag,
eine solche Informationsstrategie zu entwickeln, wurde
durch die Bundesregierung dabei unterstützt. Durch
eine solche Informationsstrategie werden laut Bundesregierung „Gegendiskurse und Richtigstellungen zu den
Falschinformationen und Gerüchten der Menschenhändler und Schleuser entwickelt“, was zu begrüßen
sei (Deutscher Bundestag 2015p: 2). „Nach Kenntnis der
Bundesregierung werden die Aktivitäten im Kontext der
Informationsstrategie im Rahmen vorhandener Mittel
aus dem EU-Haushalt finanziert, unter anderem im
Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds
(AMIF)“, wobei über die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Aktivitäten noch keine näheren Informationen
vorlagen (Deutscher Bundestag 2015p: 3).
Maßnahmen gegen Menschenhandel
Darüber hinaus hat das BAMF die folgenden Informations
maßnahmen getroffen:
■■
■■
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„Anzeigen in sechs albanischen Tageszeitungen […].
Interview mit der Deutschen Welle mit dem ehemaligen Leiter des BAMF, Dr. Manfred Schmidt, online
erschienen in Albanisch und Serbisch, sowie im größten
albanischen TV-Sender Top Channel TV und mit bosnischen und kosovarischen Medien.
Facebook-Anzeigen in Albanien und Serbien in den
Landessprachen. Internetmeldungen/Pressemitteilungen zu relevanten Aspekten, etwa zur Wiedereinreisesperre und beschleunigten Verfahren.
Internetseiten in den Landessprachen, die über die
Bedingungen für Schutzgewährung in Deutschland, die
Unmöglichkeit, Schutz aufgrund von wirtschaftlicher
Not zu erhalten, sowie über Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr informieren und außerdem darauf hinweisen, dass bei nicht erfolgender freiwilliger Rückkehr
rückgeführt wird“ (Deutscher Bundestag 2015p: 5).
65
66
9
Migration und Entwicklung
Migration und Entwicklung
9.1 Hintergrund und allgemeiner Kontext
Während die Wechselwirkungen zwischen Migration
und Entwicklung in der wissenschaftlichen Debatte seit
längerem thematisiert werden, wird in Deutschland auf
politischer Ebene erst seit 2006/07 verstärkt über eine
engere Verzahnung von Migrations- und Entwicklungspolitik diskutiert. Als Referenzrahmen gelten die Millenniumsziele der Vereinten Nationen (VN) sowie der Gesamtansatz der EU zu Migration und Mobilität (GAMM).
In den vergangenen Jahren ist der deutsche Ansatz zur
Migrations- und Entwicklungspolitik thematisch auf ein
deutlich breiteres Fundament gestellt worden. Standen
zu Beginn des Jahrtausends die „Zusammenarbeit mit der
Diaspora“ oder die „Erleichterung des Geldtransfers“ im
Vordergrund, so werden mittlerweile verstärkt Themen
wie „Migrationspolitikberatung für Partnerländer“,
„Privatwirtschaftsförderung durch Migration“, „entwicklungsorientierte Arbeitsmobilität“, „Klimawandel und
Migration“ sowie „ländliche Entwicklung und Migration“
abgedeckt (Deutscher Bundestag 2014d: 3).
Dennoch können sich in den Bereichen der Migrationsund Entwicklungspolitik sehr unterschiedliche Ziele und
Interessen gegenüberstehen, die nicht immer miteinander
in Einklang zu bringen sind und die daher einer besonderen Koordination bedürfen, um die Widersprüche der
einzelnen Politikfelder aufzulösen und zu einer stärkeren
Kohärenz beizutragen. Herausforderungen ergeben sich
beispielsweise aus den unterschiedlichen Zielvorstellungen
der beiden Politikfelder: Während Migrationspolitik vor allem auf die Steuerung von Migrationsbewegungen abzielt
und dabei auch das Instrument der gezielten Anwerbung
nutzt, steht in der Entwicklungspolitik die Förderung
von Strukturen in den ärmeren Ländern im Vordergrund
(Baraulina/Hilber/Kreienbrink 2012).
Der Anspruch, beide Politikbereiche stärker zu verzahnen, erhöht auch den Koordinationsbedarf zwischen
den beteiligten Akteuren. Auf Bundesebene sind dabei
vor allem das Bundesministerium des Innern sowie das
für die Entwicklungspolitik zuständige Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zu nennen. Auf operativer Ebene spielen die
Durchführungsorganisationen und -behörden der beiden
Ministerien eine herausgehobene Rolle. Im Bereich
des BMZ handelt es sich dabei um die Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und das Centrum
für internationale Migration und Entwicklung (CIM) als
Arbeitsgemeinschaft zwischen der GIZ und der Bundesagentur für Arbeit. Zentraler Akteur für die Umsetzung
der Migrationspolitik ist das BAMF.
Zur Entwicklungsförderung kann dabei auch die Verhinderung oder Einschränkung der Migration eine Rolle spielen, etwa um einen ‚Brain Drain‘ zu verhindern, bei dem
im Herkunftsland selbst benötigte Fachkräfte auswandern.
So wird beispielsweise in der Beschäftigungsverordnung
darauf verwiesen, dass „die Anwerbung in Staaten und die
Arbeitsvermittlung aus Staaten, die in der Anlage zu dieser
Verordnung aufgeführt sind, […] für eine Beschäftigung in
Gesundheits- und Pflegeberufen nur von der Bundesagentur für Arbeit durchgeführt werden [darf]“ (§ 38 BeschV).
Die auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) beruhende Liste umfasst 57 Staaten, in denen ein
Mangel an Gesundheitsfachkräften besteht.
Migrationspolitisch relevant ist vor allem das Entwicklungsprogramm ‚Rückkehrende Fachkräfte‘ sowie das
Sektorvorhaben ‚Migration und Entwicklung‘, zu dem
auch das Programm ‚Förderung des entwicklungspolitischen Engagements von Migrantenorganisationen‘ zählt.
Im Rahmen von ‚Rückkehrende Fachkräfte‘ fördert CIM
(akademisch) qualifizierte Rückkehrer in Entwicklungsländern durch finanzielle Unterstützung, Vermittlungsangebote und ein Netzwerk von Beratern vor Ort. 473
rückkehrende Fachkräfte wurden 2014 finanziell oder
durch Beratungs- und Serviceleistungen unterstützt (GIZ
2015: 13). Im Rahmen des Programms ‚Förderung des
entwicklungspolitischen Engagements von Migrantenorganisationen‘ können sich seit 2011 Migrantenorganisationen in Deutschland um Fördergelder für entwicklungspolitische Projekte in ihren Herkunftsländern
bewerben. Bis Mai 2014 wurden insgesamt 43 Projekte
gefördert – insbesondere in Ländern Subsahara-Afrikas
(Deutscher Bundestag 2014d: 4 f.). Daneben gibt es das
REAG/GARP-Programm sowie zahlreiche weitere humanitäre Programme auf EU-, Bundes- und Landesebene,
die die Rückkehr- und Reintegration von Asylbewerbern
fördern, Starthilfen bieten und/oder auch schon vor
der Ausreise ansetzen und Qualifizierungsmaßnahmen
bieten, um den Reintegrationsprozess im Herkunftsland
zu erleichtern (vgl. Kap. 5).
Migration und Entwicklung
Um eine engere Abstimmung zwischen den Ressorts im
Rahmen des Migrationsmanagements zu gewährleisten,
hatte sich am 15. Oktober 2014 unter Vorsitz des Auswärtigen Amtes (AA) und des BMI die Staatsekretärs-Arbeitsgruppe ‚Internationale Migration‘ konstituiert, an der
auch das BMZ und die Beauftragte der Bundesregierung
für Migration, Flüchtlinge und Integration beteiligt waren. Eine Unterarbeitsgruppe dieses Forums widmete sich
dabei dem Themenschwerpunkt ‚Migration und Entwicklung‘ (Deutscher Bundestag 2014e). Unter dem Eindruck
von aktuellem Migrationsgeschehen und Fluchtbewegungen konzentriert sich die weitere Arbeit in diesem
Rahmen auf einen Aktionsplan zur Außendimension
der Migrations- und Flüchtlingspolitik sowie eine damit
verknüpfte Strategie für Migration und Entwicklung.
9.2 Nationale Entwicklungen
Drei Sonderinitiativen des BMZ
Das BMZ ist mit drei Aktionsfeldern im Bereich Flucht und
Entwicklungszusammenarbeit aktiv und hat die im Jahr
2014 initiierten drei Sonderinitiativen ‚Fluchtursachen
bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren‘, ‚Stabilisierung und
Entwicklung in Nordafrika und Nahost‘ sowie ‚EINEWELT
ohne Hunger‘ im Jahr 2015 weiter ausgeweitet. Das Engagement gliedert sich dabei in drei Aktionsfelder:
Aktionsfeld 1 – Bekämpfung von Fluchtursachen
„Deutschland unterstützt Krisenländer dabei, ihre politische und wirtschaftliche Situation zu stabilisieren, zerstörte Strukturen wiederaufzubauen und Bildungs- und
Beschäftigungschancen zu verbessern. Arbeits- und Ausbildungsprogramme bieten vor allem jungen Menschen
Perspektiven und fördern den sozialen Zusammenhalt“
(BMZ 2016: 16).
67
direkt in die Infrastruktur vor Ort – auch in die Wasserversorgung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Schaffung
von Arbeitsplätzen. […] Neben dem Aufbau der Infrastruktur fördert Deutschland den Dialog zwischen den
Neuankömmlingen und der ansässigen Bevölkerung“
(BMZ 2016: 22).
Aktionsfeld 3 – Integration und Reintegration von Flücht
lingen, Binnenvertriebenen und Rückkehrern
„Ziel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist es,
sowohl für die Flüchtlinge im Aufnahmeland als auch für
die Rückkehrer Perspektiven zu schaffen. Dazu investiert
Deutschland unter anderem in den Wiederaufbau von
Schulen und Gesundheitszentren“ (BMZ 2016: 28).
Deutscher Informationspunkt Migration, Ausbildung,
Karriere in Kosovo
Im Mai 2015 richtete die GIZ im Auftrag des BMZ den
Deutschen Informationspunkt Migration, Ausbildung,
Karriere (DIMAK)60 im Kosovo ein. Im DIMAK werden
ausreiseinteressierten Kosovaren Informationen darüber vermittelt, „welche legalen Möglichkeiten es gibt, in
Deutschland eine Ausbildung zu machen oder Arbeit zu
finden und welche Voraussetzungen sie dafür erfüllen
müssen“ (GIZ 2016). Zudem werden in Kooperation mit
dem kosovarischen Arbeitsministerium auch Rückkehrende bei der Arbeitssuche in Kosovo unterstützt: „Ob
Ausbildungen, Weiterqualifizierungen oder Jobangebote –
im DIMAK laufen dazu etliche Informationen zusammen,
die vielen, die zu uns kommen, vorher nicht bekannt
waren. Erst im Dezember haben wir gemeinsam mit
kosovarischen Unternehmen eine Job-Messe veranstaltet,
bei der 300 Stellenangebote zur Vermittlung standen. Der
DIMAK hat außerdem eine Fülle an Workshops im Angebot – unter anderem zum Thema Existenzgründung oder
Bewerbungstrainings“ (GIZ 2016).
Aktionsfeld 2 – Stabilisierung der Aufnahmeregionen
Website zum Gebührenvergleich für Rücküberweisungen
„Die meisten Flüchtlinge suchen in Ländern Schutz, die
in der Nähe ihrer ursprünglichen Heimat liegen. Zu den
Ländern, die besonders viele Menschen aufnahmen,
gehören die Türkei, Pakistan, der Libanon, Äthiopien,
Jordanien, Kenia, der Tschad und Uganda. Der kurzfristige Zuzug von sehr vielen Menschen auf der Flucht
führt aber gerade in Entwicklungsländern zu massiven
Problemen: Es fehlt an Unterkünften und Arbeitsmöglichkeiten, die Schulen können nicht alle Kinder aufnehmen, Wasser und Nahrungsmittel werden oft knapp. […]
Um die Situation zu stabilisieren, investiert Deutschland
Im Jahr 2015 wurde die Webseite www.geldtransfair.de
vom Projekt Migration und Entwicklung der GIZ im
Auftrag des BMZ ins Leben gerufen. GeldtransFAIR.de
ermöglicht einen kostenfreien Preisvergleich für Geldtransfers in über 20 Länder. Die Daten werden alle zwei
Monate aktualisiert.
60 Vgl. http://dimak-kosovo.blogspot.de/ (31.03.2016).
68
9.3 Entwicklungen mit Bezug zur EU
Mobilitätspartnerschaften
Mobilitätspartnerschaften zwischen der Europäischen
Union und Drittstaaten sind Teil der EU-Migrationspolitik,
deren Grundlinien 2005 im GAMM festgelegt wurden. Ein
Schwerpunkt des GAMM besteht darin, für eine bessere
Wiedereingliederung von Migranten in ihren Herkunftsländern zu sorgen, „um die Entwicklung der Herkunftsstaaten wirkungsvoll voranzutreiben“ (Hitz 2014: 2).
Migrations- und Entwicklungspolitik sollen auf diese
Weise miteinander verknüpft werden. Gleichzeitig sind die
Mobilitätspartnerschaften für die Bundesregierung „ein
wichtiges Instrument, um irreguläre Migration einzudämmen und Menschenhandel zu bekämpfen, die Auswirkungen von Migration und Mobilität auf die Entwicklung
zu maximieren, legale Migration besser zu organisieren
und Mobilität zu fördern sowie den Flüchtlingsschutz
zu stärken“ (Deutscher Bundestag 2015q: 2). So werden
beispielsweise in Marokko qualifizierte Rückkehrer darin
unterstützt, sich selbständig zu machen. Gleichzeitig
sollen diese Abkommen den Weg für Visa-Erleichterungen
ebnen. Mobilitätspartnerschaften sind bisher mit Kap Verde (2008), Moldau (2008), Georgien (2009), Armenien (2011),
Aserbaidschan (2013) und Marokko (2013) geschlossen
worden. Im Jahr 2014 wurden Abkommen mit Tunesien
(März) und Jordanien (Oktober) unterzeichnet. Mit Ausnahme von Kap Verde und Aserbaidschan ist Deutschland
an allen Mobilitätspartnerschaften beteiligt.
Im Jahr 2015 begannen Verhandlungen über eine Mobili
tätspartnerschaft mit Weißrussland und es wurden sog.
Common Agendas on Migration and Mobility (CAMMs) mit
Nigeria (EU 2015a) und Äthiopien (EU 2015b) abgeschlossen. Im Gegensatz zu Mobilitätspartnerschaften beinhalten CAMMs keine Verhandlungen über Visaerleichterung
und Rückübernahmeabkommen (Europäische Kommission 2015).
Migration und Entwicklung
Literaturverzeichnis
69
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Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Doris Wagner, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Katja Keul, Renate Künast,
Monika Lazar, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Hans-Christian
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http://www.buendnis-gegen-menschenhandel.de/aktuelles/konstituierende-sitzung-der-bund-laenderarbeitsgruppe-gegen-menschenhandel-zur (11.11.2015).
Vogel, Dita (2015): Update report Germany: Estimate number of irregular foreign residents in Germany (2014), Database on
Irregular Migration, update report. Online: http://irregular-migration.net/ (05.04.2016).
Vogel, Dita / Aßner, Manuel (2011): Umfang, Entwicklung und Struktur der irregulären Bevölkerung in Deutschland.
Expertise im Auftrag der deutschen nationalen Kontaktstelle für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN) beim
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg: BAMF.
Vogel, Dita / Kovacheva, Vesela (2008): Classification report: Quality assessment of estimates on stocks of irregular
migration. Database on Irregular Migration. Working paper No. 1, Hamburg: Hamburg Institute of International
Economics (HWWI).
Vollmer, Michael (2015): Mobilitätsbestimmungen für Investoren, Selbständige und sonstige Wirtschaftsvertreter in
Deutschland. Studie der deutschen nationalen Kontaktstelle für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN). Working
Paper 61 des Forschungszentrums des Bundesamtes, Nürnberg: BAMF.
Weinmann, Martin / Becher, Inna / Babka von Gostomski, Christian (2012): Einbürgerungsverhalten von Ausländerinnen
und Ausländern in Deutschland sowie Erkenntnisse zu Optionspflichtigen. Ergebnisse der BAMF-Einbürgerungsstudie 2011. Forschungsbericht 15, Nürnberg: BAMF.
Winterer, Paul (2015): Flüchtlinge in Rosenheim: Vom Aufgriff zur „Bearbeitungsstraße“. Online: http://www.pnp.de/
nachrichten/bayern/1767962_Fluechtlinge-in-Rosenheim-Vom-Aufgriff-zur-Bearbeitungsstrasse.html (02.02.2016).
Worbs, Susanne (2014): Bürger auf Zeit. Die Wahl der Staatsangehörigkeit im Kontext der deutschen Optionsregelung.
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Worbs, Susanne / Bund, Eva / Kohls, Martin / Babka von Gostomski, Christian (2013): (Spät-) Aussiedler in Deutschland.
Eine Analyse aktueller Daten und Forschungsergebnisse. Forschungsbericht 20, Nürnberg: BAMF.
84
Abbildungsverzeichnis / Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Einbürgerungen in 1.000 Personen (2000–2014)
Abbildung 2: Ausgeschöpftes Einbürgerungspotenzial in Prozent (2000–2014)
Abbildung 3: Förderungsbewilligungen REAG/GARP 2015
Abbildung 4: Aktive Standorte des BAMF zum Stand 31.12.2015
Abbildung 5: Unbegleitete Minderjährige, Erstantragsteller in Personen
Abbildung 6: Unbegleitete Minderjährige, Gesamtschutzquote in Prozent
33
34
43
53
57
57
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Die 20 wichtigsten Herkunftsstaaten der geprüften Berufsqualifikationen (2014)
Tabelle 2: Unerlaubt aufhältige Drittstaatsangehörige in Deutschland
(Untergetauchte und Personen ohne bisherigen Behördenkontakt; Schätzungen für 2010–2014)
Tabelle 3: Vollzogene Abschiebungen, Zurückschiebungen und Zurückweisungen (2011–2015)
Tabelle 4: Asylerstanträge in den Jahren 2014 und 2015, Hauptherkunftsländer
22
37
44
48
Abkürzungsverzeichnis
85
Abkürzungsverzeichnis
AA
Auswärtiges Amt
AAH
Ausbildungs- und Ausstattungshilfe
ABH
Ausländerbehörde
ADS
Antidiskriminierungsstelle des Bundes
AEUV
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AfD
Alternative für Deutschland
AFET
Bundesverband für Erziehungshilfe
AGDW
Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt
AG Rück
Arbeitsgruppe Rückführung (Unterarbeitsgruppe der IMK)
AmF
Aktionsbündnis muslimischer Frauen e. V.
AMIF
Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds
AO
Anordnung
ASMK
Konferenz der Ministerinnen und Minister bzw. Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder
AsylbLG
Asylbewerberleistungsgesetz
AsylG
Asylgesetz (ehemals Asylverfahrensgesetz – AsylVfG)
AsylVfG
Asylverfahrensgesetz
AsylZBV
Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung
AST
Asylum Support Teams (Asyl-Unterstützungsteam)
AufenthG
Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz)
AufenthV
Aufenthaltsverordnung
AVwV
Allgemeine Verwaltungsvorschrift
AWO
Arbeiterwohlfahrt
AZR
Ausländerzentralregister
AZRG
Gesetz über das Ausländerzentralregister
BA
Bundesagentur für Arbeit
BAFzA
Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben
BÄK
Bundesärztekammer
BAMF
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
BDA
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
BeschV
Beschäftigungsverordnung
BGH
Bundesgerichtshof
BGMA
Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung
BiW
Bürger in Wut
BKA
Bundeskriminalamt
BLK-IRM
Bund-Länder-Koordinierungsstelle zum Integrierten Rückkehrmanagement
BMAS
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
BMBF
Bundesministerium für Bildung und Forschung
86
Abkürzungsverzeichnis
BMFSFJ
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
BMI
Bundesministerium des Innern
BMJV
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
BMWi
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
BMZ
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
BPOL
Bundespolizei
BPolG
Bundespolizeigesetz
BüMA
Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender
BumF
Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge
BQFG
Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz
BVA
Bundesverwaltungsamt
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BVFG
Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz)
CDU
Christlich Demokratische Union
CIM
Centrum für internationale Migration und Entwicklung
COI
Country of Origin (Herkunftsland)
CSU
Christlich-Soziale Union
DAV
Datenabgleichverfahren
DFB
Deutscher Fußballbund
DIK
Deutsche Islam Konferenz
DIMAK
Deutscher Informationspunkt Migration, Ausbildung, Karriere
DRK
Deutsches Rotes Kreuz
EASO
European Asylum Support Office (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen)
EFD
Europäischer Freiwilligendienst
EG
Europäische Gemeinschaft
EinbTestV
Einbürgerungstestverordnung
EKD
Evangelische Kirche in Deutschland
EMN
Europäisches Migrationsnetzwerk
ESF
Europäischer Sozialfonds
EU
Europäische Union
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EURODAC
European Dactyloscopy (Europäische Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken)
Europol
Europäisches Polizeiamt
EU-TAIEX
Technical Assistance and Information Exchange instrument (Informationsaustausch und technische Unterstützung)
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FDP
Freie Demokratische Partei
FRONTEX
Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen
GAMM
Gesamtansatz für Migration und Mobilität / Gesamtansatz zur Migrationsfrage
GASIM
Gemeinsames Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration
GEAS
Gemeinsames Europäisches Asylsystem
Abkürzungsverzeichnis
87
GER
Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen
GFK
Genfer Flüchtlingskonvention
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GIDA
Gegen die Islamisierung des Abendlandes
GIZ
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
HAZ
Hannoversche Allgemeine Zeitung
IDSUB
Institut „Integration durch Sport und Bildung“
IGfH
Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen
IMK
Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder
IntMK
Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder
IntV
Integrationskursverordnung
IOM
Internationale Organisation für Migration
IQ
Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung“
JMD
Jugendmigrationsdienste
KOK
Bundesweiter Koordinationskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess
KOM
Europäische Kommission
LSB NRW
Landessportbund Nordrhein-Westfahlen
MDR
Mitteldeutscher Rundfunk
MBE
Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer
NAP-I
Nationaler Aktionsplan Integration
NKR
Nationaler Normenkontrollrat
NPD
Nationaldemokratische Partei Deutschland
PartIntG
Partizipations- und Integrationsgesetz von Baden-Württemberg
Pegida
Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes
REAG/GARP
Reintegration and Emigration Programme for Asylum-Seekers in Germany / Government Assisted Repatriation Programme
RL
Richtlinie
SchulG NW
Schulgesetz Nordrhein-Westfalen
SIS
Schengener Informationssystem
SGB
Sozialgesetzbuch
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
StAG
Staatsangehörigkeitsgesetz
StBA
Statistisches Bundesamt
StGB
Strafgesetzbuch
UM
Unbegleitete Minderjährige
UN
Vereinte Nationen (United Nations)
UNHCR
Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen
VIS
Visa-Informationssystem
VO
Verordnung
VRL
Verfahrensrichtlinie
WHO
World Health Organisation (Weltgesundheitsorganisation)
ZuwG
Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von
Unionsbürgern und Ausländern
Impressum
Herausgeber:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Nationale EMN-Kontaktstelle und Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl
90461 Nürnberg
Gesamtverantwortung:
Dr. Axel Kreienbrink (Migrationsforschung)
Birgit Gößmann (Nationale EMN-Kontaktstelle)
Bezugsquelle:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Referat GF 1
Frankenstraße 210
90461 Nürnberg
www.bamf.de
E-Mail: info@bamf.bund.de
Redaktion:
Janne Grote
Dr. Andreas Müller
Dr. Michael Vollmer
Redaktionelle Mitarbeit:
Rafael Bohlen, Christopher Camps, Mario Dentice, Ráhel Meisel, Elisabeth Primavera,
Isabelle Suchowitz und Jonas Weber
Stand:
Februar 2016
Layout:
KonzeptQuartier GmbH
Bildnachweis:
iStock | Santiago Rodriguez
Zitat:
EMN/BAMF – Europäisches Migrationsnetzwerk / Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2016):
Migration, Integration, Asyl. Politische Entwicklungen in Deutschland 2015. Jährlicher Bericht der
deutschen nationalen Kontaktstelle für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN). Nürnberg:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge kostenlos herausgegeben. Für nichtgewerbliche Zwecke sind Vervielfältigungen und
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