Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.
Fahrradstraßen und
geöffnete Einbahnstraßen
Unfallforschung kompakt
Nr. 60
UDV Unfallforschung der Versicherer
Inhalt
Inhalt
Hintergrund
4
Ziel
5
Methodik
5
Erkenntnisse zu Fahrradstraßen
5
Empfehlungen für Fahrradstraßen
9
Erkenntnisse zu geöffneten Einbahnstraßen 10
Empfehlungen für geöffnete Einbahnstraßen 12
Anmerkungen
13
Quellen
13
3
4
Unfallforschung kompakt 60 | Fahrradstraßen und geöffnete Einbahnstraßen
Hintergrund
Hintergrund
Fahrradstraßen und für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffnete Einbahnstraßen gehören mittlerweile
zum Standardrepertoire der Radverkehrsplanung in
Deutschland. Beide Infrastrukturelemente wurden bereits mit einer Novelle der Straßenverkehrsordnung
(StVO) aus dem Jahre 1997 eingeführt. Der Einsatzzweck
und Erkenntnisstand zur Sicherheit beider Anlagentypen
ist jedoch unterschiedlich. Der Zweck der Öffnung von
Einbahnstraßen für Radfahrer in Gegenrichtung liegt vor
allem in der Erhöhung der Durchlässigkeit des Nebenstraßennetzes für den Radverkehr, um dadurch Umwege
für diesen zu minimieren. Die Verkehrssicherheit geöffneter Einbahnstraßen wurde bereits mehrfach und umfassend untersucht und deren grundsätzliche Verkehrssicherheit nachgewiesen. Fahrradstraßen dienen
dagegen vorwiegend dem Zweck der Bündelung und Bevorrechtigung des Radverkehrs auf besonders geeigneten Straßen und sollen vor allem ihren Einsatz bei
hohen Radverkehrsstärken finden. Während in den Anfangsjahren nach Einführung der Fahrradstraßen diese
eher verhaltenen Einzug in die Radverkehrsplanung
hielten, wurden in den letzten Jahren vermehrt Fahrradstraßen ausgewiesen. Im Gegensatz zu geöffneten Einbahnstraßen wurde die Verkehrssicherheit von Fahrradstraßen bislang jedoch nicht umfassend untersucht.
UDV Unfallforschung der Versicherer
Ziel • Methodik • Erkenntnisse zu Fahrradstraßen
Ziel
Im Auftrag der Unfallforschung der Versicherer wurde
vom Planerbüro Südstadt und dem Planungsbüro VIA ein
Forschungsprojekt durchgeführt, welches neue Erkenntnisse zur Verbreitung, zu den Anwendungsbereichen
und zur Verkehrssicherheit beider Infrastrukturelemente
erarbeiten sollte. Da zur Verkehrssicherheit für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffneter Einbahnstraßen
bereits gesicherte Erkenntnisse vorliegen, lag der
Schwerpunkt der Untersuchungen auf den Fahrradstraßen. Die Analyse zu Einbahnstraßen beschränkte sich auf
vorhandene geöffnete Einbahnstraßen, in denen möglicherweise überdurchschnittlich viele Unfälle passierten.
Methodik
Die Untersuchungen zu beiden Infrastrukturelementen
wurden getrennt durchgeführt, wobei die Bearbeitung
dem gleichen Schema folgte. Nach einer Literaturanalyse
wurde eine bundesweite Online-Befragung von 359
Kommunen unterschiedlicher Größe durchgeführt, um
einen Überblick über die Verbreitung sowie die entwurfstechnische und betriebliche Gestaltung in der kommunalen Praxis zu gewinnen. Dabei wurden auch Streckenbeispiele erfragt, um für die weitere Bearbeitung
konkrete Untersuchungsstrecken zu erhalten. Für die benannten 177 Fahrradstraßen und 31 von den Kommunen
als problematisch genannten geöffneten Einbahnstraßen wurden anschließend die Unfalldaten aus den Jahren 2008 - 2012 makroskopisch [1] und mikroskopisch [2]
untersucht und ins Verhältnis zu den infrastrukturellen
Gegebenheiten vor Ort gesetzt. Aus den Ergebnissen der
Kommunalbefragung und der Unfallanalyse wurden 26
Standorte für eine Verhaltensbeobachtung ausgewählt,
davon 21 in Fahrradstraßen und fünf in geöffneten Einbahnstraßen. An 21 Knotenpunkten und fünf Streckenabschnitten wurden Verkehrs- und Verhaltensdaten (Verkehrsmengen, Geschwindigkeiten, Interaktionen und
Konflikte) ermittelt und ausgewertet. Für die Fahrradstraßen wurde ergänzend vor Ort eine Befragung von
Radfahrern, Kraftfahrzeugführern und Fußgängern (insgesamt 452 Verkehrsteilnehmer) zur Regelkenntnis und
zum subjektiven Sicherheitsgefühl durchgeführt. Abschließend wurden aus den gewonnenen Erkenntnissen
Empfehlungen für die verkehrssichere Gestaltung von
Fahrradstraßen und geöffneten Einbahnstraßen abgeleitet.
Erkenntnisse zu Fahrradstraßen
Gemäß der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) können Fahrradstraßen eingerichtet werden, wenn der Radverkehr die vorherrschende
Verkehrsart ist oder dieses alsbald zu erwarten ist. Der
Kraftfahrzeugverkehr in Fahrradstraßen darf dabei nur
gering sein. Die Ausweisung der Fahrradstraße erfolgt
mittels der Verkehrszeichen 244.1 und 244.2 der StVO
(Abbildung 1). Anderer Fahrzeugverkehr als der Radverkehr darf nur ausnahmsweise durch die Anordnung entsprechender Zusatzzeichen zugelassen werden (z. B. Anliegerverkehr). Die zulässige Höchstgeschwindigkeit in
Fahrradstraßen beträgt 30 km/h. Der Radverkehr darf in
Fahrradstraßen durch anderen Fahrzeugverkehr weder
gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der
Kraftfahrzeugverkehr die Geschwindigkeit weiter verringern. Das Nebeneinanderfahren mit Fahrrädern ist erlaubt. Zur Vorfahrt an den Knotenpunkten von Fahrradstraßen finden sich in den Richtlinien für die Anlage von
Stadtstraßen (RASt 2006) und den Empfehlungen für
Radverkehrsanlagen (ERA 2010) unterschiedliche Angaben. Während gemäß den RASt 2006 Fahrradstraßen
Vorfahrt gegenüber anderen Erschließungsstraßen erhalten sollten, empfehlen die ERA 2010 es jeweils von
den örtlichen Gegebenheiten abhängig zu machen, ob
eine Fahrradstraße Vorfahrt erhalten soll.
5
KO 60
6
Unfallforschung kompakt 60 | Fahrradstraßen und geöffnete Einbahnstraßen
Erkenntnisse zu Fahrradstraßen
3
Abb. 1: Beschilderung von Fahrradstraßen mittels der Verkehrszeichen
244.1 und 244.2 der StVO
Die kommunale Befragung zeigte, dass Fahrradstraßen
bundesweit im Einsatz sind und von den Kommunen
überwiegend als sicher bewertet werden. Obwohl nach
VwV-StVO in Fahrradstraßen der Kraftfahrzeugverkehr
nur ausnahmsweise zugelassen werden soll, ist das Befahren durch Kfz in 96 % aller untersuchten Fahrradstraßen erlaubt, in fast zwei Dritteln der Fahrradstraßen soohne Einschränkung auf Anlieger (Abbildung 2).
UKOgar60
Dagegen wurde bundesweit weder eine einheitliche Gestaltung noch eine einheitliche Vorfahrtsregelung in
Fahrradstraßen festgestellt (Abbildung 3).
Die im Rahmen der durchgeführten Literaturanalyse
ausgewerteten Untersuchungen zur Verkehrssicherheit
von Fahrradstraßen basierten jeweils auf sehr kleinen
Stichproben und ließen keine allgemeingültigen Schlüsse zu. Es war jedoch festzustellen, dass die bisher untersuchten Fahrradstraßen eher unauffällig in Bezug auf
Konflikte oder Unfälle waren.
keine
Einmündung
13%
nicht
einheitlich
„Kfz frei“
bevorrechtigt
18%
28%
16%
28%
38%
63 %
„Anlieger frei“
n = 178 Fahrradstraßen
16 %
„Kfz frei“ und „Anlieger frei“
9%
95 %
rechts-vor-links
© UDV 2016
Abb. 3: Vorfahrtregelung an den
erhobenen Fahrradstraßen
sonstige Kombinationen
8%
„Landwirtschaftlicher Verkehr frei“
1%
keine anderen Verkehrsarten
4%
n=179 Fahrradstraßen
Abb. 2: Zufahrtserlaubnis für andere
Verkehrsarten in Fahrradstraßen
© UDV 2016
Die Unfallanalyse zeigte, dass Fahrradstraßen grundsätzlich verhältnismäßig sicher sind. Im Durchschnitt geschahen in fünf Jahren nur drei bis vier Unfälle mit Radverkehrsbeteiligung und Personenschaden je Fahrradstraße. Darüber hinaus ließ dabei nur etwa jeder dritte
dieser Unfälle einen offensichtlichen Zusammenhang
mit der Fahrradstraße erkennen. Etwa jeweils die Hälfte
der Unfälle geschah auf der Strecke bzw. am Knotenpunkt. Trotz der geringen Gesamtanzahl der Unfälle
zeigte sich dabei ein typisches Unfallgeschehen. So waren 80 Prozent der Radverkehrsunfälle an Knotenpunkten Einbiegen-/Kreuzen-Unfälle. Auf den Streckenabschnitten geschahen 56 Prozent der Unfälle im Zusammen-
UDV Unfallforschung der Versicherer
Erkenntnisse zu Fahrradstraßen
hang mit dem Kfz-Parken (Abbildung 4) und 19 Prozent
der Unfälle beim Überholen mit Beteiligung von Kraftfahrzeugen (Abbildung 5). Der häufigste Unfallgegner
UKO60
der Radfahrer
in Fahrradstraßen ist mit 76 Prozent der
Pkw, welcher dann bei drei von vier Unfällen auch der
Hauptverursacher des Unfalls war.
99 Prozent der ca. 6.500 bei der Verhaltensbeobachtung
ausgewerteten Interaktionen von Verkehrsteilnehmern
in Fahrradstraßen waren konfliktfrei. Die meisten der 80
identifizieren Konflikte betrafen die Vorfahrtsregelung
(76 Prozent).
4
Relevante
Radverkehrsunfälle
in Fahrradstraßen im
Zwischenknotenpunkt
(n=65)
Relevante
Radverkehrsunfälle
in Fahrradstraßen
auf Strecke
(n=63)
3%
17%
80%
Fahrunfall
Abbiege-Unfall
Einbiegen/Kreuzen-Unfall
3%
6%
3%
6%
3%
Unfall durch ruhenden Verkehr
Unfall im Längsverkehr
22%
56%
Überschreiten-Unfall
Sonstiger Unfall
0%
100%
© UDV 2016
Abb. 4: Unfalltypen relevanter Radverkehrsunfälle mit Personenschaden
in Fahrradstraßen an Knotenpunkten
und auf der Strecke (2008-2012)
2x
2x
1x
1x
1x
1x
1x
1x
1x
1x
© UDV 2016
Abb. 5: Unfälle mit Kfz beim Überholen in
Fahrradstraßen (12 von 63 Streckenunfällen)
7
8
Unfallforschung kompakt 60 | Fahrradstraßen und geöffnete Einbahnstraßen
Erkenntnisse zu Fahrradstraßen
Die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h
wurde in den beobachteten Fahrradstraßen von den
Kraftfahrzeugen nicht immer eingehalten (im Mittel
V85 = 36 km/h). Überhöhte Geschwindigkeiten konnten
dabei vermehrt in breiten Fahrradstraßen bei gleichzeitig geringem Radverkehrsanteil festgestellt werden
(V85 = 38 km/h). Hier fuhr mehr als jedes dritte Kraftfahrzeug schneller als 35 km/h (34 Prozent) und etwa jedes zwölfte Kraftfahrzeug schneller als 40 km/h (8 Prozent).
UKO 60
Die Ergebnisse der Verkehrsteilnehmerbefragung zeigten
große Wissenslücken bezüglich der Verkehrsregeln in
Fahrradstraßen bei allen Verkehrsteilnehmern. Dabei
wurden kaum Unterschiede zwischen Radfahrern, Fußgängern und Kraftfahrzeugführern festgestellt (Abbil-
dung 6). So wussten z.B. drei Viertel der Befragten nicht,
dass andere Fahrzeuge in Fahrradstraßen nur dann
fahren dürfen, wenn dies ausdrücklich mittels eines
Zusatzschildes zugelassen ist. Nur etwa jeder Zweite
wusste, dass Radfahrer in Fahrradstraßen nebeneinander fahren dürfen oder dass der Radfahrer an Kreuzungen in Fahrradstraßen nicht immer Vorfahrt hat.
Etwa jeder dritte Verkehrsteilnehmer wusste nicht, dass
das Rechtsfahrgebot für Radfahrer auch in Fahrradstraßen gilt oder dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit
bei 30 km/h liegt. Darüber hinaus wurden die beobachteten Fahrradstraßen offenbar auch nicht von jedem Verkehrsteilnehmer als solche erkannt. So war etwa jedem
vierten der befragten Verkehrsteilnehmer gar nicht bewusst, dass er sich bei der Befragung gerade in einer
Fahrradstraße befand (bei Kfz-Führern sogar jeder dritte).
Andere Fahrzeuge dürfen in Fahrradstraßen nur dann
fahren, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist.
75 %
75 %
37 %
50 %
52 %
An Kreuzungen in Fahrradstraßen hat
34 %
der Radfahrer nicht immer Vorfahrt.
47 %
95 %
In Fahrradstraßen dürfen
42 %
Radfahrer nebeneinander fahren.
50 %
49 %
Die zulässige Höchstgeschwindigkeit
beträgt in Fahrradstraßen 30 km/h.
42 %
43 %
In Fahrradstraßen gilt auch für
Radfahrer das Rechtsfahrgebot.
37 %
Autos dürfen Radfahrer in
Fahrradstraßen überholen.
37 %
34 %
37 %
29 %
nicht gewußt – Kfz-Fahrer (n=120)
nicht gewußt – Radfahrer (n=268)
Abb. 6: Große Wissenslücken bezüglich
der Verkehrsregeln in Fahrradstraßen
© UDV 2016
UDV Unfallforschung der Versicherer
Empfehlungen für Fahrradstraßen
Empfehlungen für Fahrradstraßen
Wie in der VwV-StVO und den einschlägigen Regelwerken gefordert, kommen Fahrradstraßen dann in Betracht,
wenn der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist
oder dies alsbald zu erwarten ist. Der Kraftfahrzeugverkehr in Fahrradstraßen darf dabei gemäß VwV-StVO nur
gering sein und auch nur ausnahmsweise zugelassen
werden. Die Einrichtung einer Fahrradstraße sollte daher
auch nur dann erfolgen, wenn diese Kriterien erfüllt sind.
Ein gewisser, zwingend notwendiger, dann aber deutlich
geringerer Kraftfahrzeugverkehr (z.B. Anlieger) kann toleriert werden, wenn die im Folgenden genannten Bedingungen erfüllt sind.
Fahrradstraßen sind insgesamt betrachtet verhältnismäßig sicher. Die große Mehrheit der insgesamt wenigen
Radverkehrsunfälle in Fahrradstraßen geschehen jedoch
unter Beteiligung von Kraftfahrzeugen und das obwohl
die Zufahrtserlaubnis für Kraftfahrzeuge die Ausnahme
sein soll. Im Rahmen der Untersuchung wurde jedoch
festgestellt, dass in fast jeder Fahrradstraße das Befahren durch Kfz erlaubt ist, in fast zwei Dritteln der Fahrradstraßen sogar ohne Einschränkung auf Anlieger. Es
wird empfohlen, mit der Zufahrtserlaubnis für Kraftfahrzeuge in Fahrradstraßen restriktiver umzugehen. Dieses
bedeutet eine entsprechend konsequente Anwendung
der diesbezüglichen Vorgaben der VwV-StVO. Die generelle Zufahrtserlaubnis für Kraftfahrzeuge sollte möglichst vermieden werden. Sofern sie zur Erschließung anliegender Nutzungen unbedingt notwendig ist, sollte sie
ausschließlich auf Anlieger beschränkt sein. Dieses beinhaltet auch, dass vor Anordnung einer Fahrradstraße geprüft werden muss, ob für den auszuschließenden KfzDurchgangsverkehr geeignete alternative Verkehrsführungen vorhanden sind. Zum anderen müssen die entsprechenden Ein- bzw. Durchfahrtsverbote in Fahrradstraßen für nicht zugelassene Fahrzeuge überwacht und
geahndet werden.
Auch wenn im Rahmen des Forschungsprojektes keine
direkten Zusammenhänge zwischen Fahrgassenbreiten
und dem Unfallgeschehen untersucht wurden, lassen
sich aus den Ergebnissen der Untersuchungen Empfehlungen für Fahrgassenbreiten von Fahrradstraßen ableiten. Bei den Unfällen auf der Strecke, haben zwei Unfallursachen die größte Bedeutung: Unfälle mit parkenden
und überholenden Kraftfahrzeugen. Unfälle mit parkenden Kraftfahrzeugen treten in erster Linie in schmalen Fahrgassen auf, Unfälle mit überholenden Kfz wurden eher in Straßen mit breiteren Fahrgassen festgestellt.
Folglich spielt die Breite der Fahrgasse für die Verkehrssicherheit in Fahrradstraßen vor allem bei zugelassenem
Kraftfahrzeugverkehr eine besondere Rolle. Die entsprechend notwendigen Fahrgassenbreiten lassen sich dabei
aus den erforderlichen Lichtraumprofilen gemäß RASt
2006 ableiten. Um das gleichzeitige Begegnen von jeweils zwei nebeneinander fahrenden Radfahrern sicher
zu ermöglichen, sollte die Fahrgasse von Fahrradstraßen
demzufolge mindestens 4 m zuzüglich der notwendigen
Sicherheitsabstände zu ggf. parkenden Fahrzeugen
(beim Längsparken 0,75 m) betragen. In diesem Fall sind
außerdem ausreichend Sicherheitsabstände zum Überholen eines Radfahrers oder zum Begegnen eines Radfahrers mit einem Pkw vorhanden. Soll gewährleistet
werden, dass auch zwei nebeneinander fahrende Radfahrer einem Pkw sicher begegnen können, so ist eine
Fahrgassenbreite von mindestens 4,6 m zuzüglich der
notwendigen Sicherheitsabstände zu ggf. parkenden
Fahrzeugen erforderlich.
Von deutlich größeren Fahrgassenbreiten ist dagegen
abzusehen, da sonst überhöhte Geschwindigkeiten der
Kraftfahrzeuge aufgrund vermehrter Überholungen provoziert werden können. Nur, wenn das Befahren der Fahrradstraße für Kraftfahrzeuge nicht erlaubt ist oder das
Überholen bereits durch hohe Radverkehrsstärken weitgehend unterbunden wird, können auch größere Fahrgassenbreiten Anwendung finden.
Um den notwendigen Sicherheitsabstand zu parkenden
Fahrzeugen zu verdeutlichen, bietet es sich an, einen entsprechenden Sicherheitsstreifen neben den parkenden
9
10
Unfallforschung kompakt 60 | Fahrradstraßen und geöffnete Einbahnstraßen
Erkenntnisse zu geöffneten Einbahnstraßen
Fahrzeugen zu markieren (bei Längsparken 0,75 m). Auch
kann es zusätzlich zur vorgeschriebenen Beschilderung
sinnvoll sein, Piktogramme mit dem Sinnbild „Fahrrad“
oder das Verkehrszeichen 244.1 - „Fahrradstraße“ auf der
Fahrbahn zu markieren, um den Verkehrsteilnehmern
nochmals zu verdeutlichen, dass sie sich in einer Fahrradstraße befinden.
Darüber hinaus sollten Fahrradstraßen über den gesamten Streckenzug möglichst einheitlich gestaltet sein.
Dieses betrifft vor allem die Vorfahrtregelung an den
Knotenpunkten. An diesen sollte der Radverkehr, abgesehen von Kreuzungen mit Hauptverkehrsstraßen, möglichst Vorfahrt erhalten, damit die Fahrradstraße auch ihrer Bedeutung als Infrastrukturelement mit Vorrang für
Radfahrer gerecht wird. Die Unterordnung der Nebenzufahrten muss dabei jeweils eindeutig erkennbar sein, z.B.
durch Beschilderung, Aufpflasterung, abgesenkte Bordsteine, Einengungen o.ä.
Ist es, z.B. aus verkehrstechnischen oder baulichen Gründen nicht möglich, einer Fahrradstraße an der überwiegenden Mehrheit der Knotenpunkte Vorfahrt einzuräumen, dann sollte hinterfragt werden, ob die Einrichtung
der Fahrradstraße auf diesem Streckenzug wirklich sinnvoll ist. Im Rahmen der durchgeführten Untersuchung
hat sich gezeigt, dass sich das Unfallgeschehen in Fahrradstraßen nicht wesentlich von dem in Tempo-30-Zonen unterscheidet. Die Ausschilderung von Fahrradstraßen auf einstigen Streckenzügen von Tempo-30-Zonen,
in deren Zuge an den Knotenpunkten immer noch die Regel Rechts-vor-Links gilt, ist daher zumindest aus Sicht
der Verkehrssicherheit, aber auch vor dem Hintergrund
einer durch die Einrichtung von Fahrradstraßen angestrebten Priorisierung des Radverkehrs, zumindest fragwürdig.
Wie die Ergebnisse des Projektes zeigen, sind außer der
Beachtung der genannten planerischen Aspekte auch
polizeiliche Kontrollen zum regelkonformen Verhalten
sowie eine entsprechende Aufklärungsarbeit zu den Verkehrsregeln in Fahrradstraßen notwendig.
Erkenntnisse zu geöffneten
Einbahnstraßen
In einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen aus
dem Jahre 2001 (PGV/BIS 2001) wurde bereits festgestellt, dass die Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung einen positiven Einfluss auf
die Verkehrssicherheit in Einbahnstraßen hat. So fahren
die Kraftfahrzeuge in den Einbahnstraßen bei Begegnungen mit entgegenkommenden Radfahrern langsamer, während Sie beim Überholen von Radfahrern i.d.R.
beschleunigten. Auch wurde ein Sicherheitsgewinn für
Fußgänger ermittelt. So konnten Konflikte mit illegal auf
dem Gehweg in Gegenrichtung der Fahrbahn fahrenden
Radfahrern reduziert werden, da diese nach Öffnung der
Einbahnstraße in Gegenrichtung meistens legal auf der
Fahrbahn fuhren.
Im Rahmen der vorliegenden UDV-Untersuchung konnte
nun mittels einer deutschlandweiten kommunalen Befragung aufgezeigt werden, dass für den Radverkehr in
Gegenrichtung geöffnete Einbahnstraßen bundesweit
sehr verbreitet sind (Abbildung 7). 84 Prozent der Kommunen (260 von 311 antwortenden Kommunen) gaben
an, insgesamt 2.373 Einbahnstraßen für den Radverkehr
in Gegenrichtung geöffnet zu haben. Dabei wurden lediglich 25 der genannten geöffneten Einbahnstraßen
(1 Prozent) von den Kommunen als problematisch in Bezug auf die Verkehrssicherheit eingeschätzt.
UDV Unfallforschung der Versicherer
Erkenntnisse zu geöffneten Einbahnstraßen
teilnehmende Kommunen mit
geöffneten Einbahnstraßen
teilnehmende Kommunen ohne
geöffneten Einbahnstraßen
© UDV 2016
Abb. 7: Geöffnete Einbahnstraßen sind sehr weit verbreitet
11
12
Unfallforschung kompakt 60 | Fahrradstraßen und geöffnete Einbahnstraßen
Empfehlungen für geöffnete Einbahnstraßen
Die für die als problematisch eingeschätzten geöffneten
Einbahnstraßen durchgeführte Unfallanalyse zeigte darüber hinaus, dass nur etwa jeder dritte Radverkehrsunfall in diesen Einbahnstraßen ein Unfall mit Radverkehr
in Gegenrichtung war. Auch die Analyse von Unfällen in
einem zu Vergleichszwecken herangezogenen Untersuchungsraum der Kölner Innenstadt bestätigte die sehr
geringen Unfallzahlen mit Radverkehr in Gegenrichtung
in geöffneten Einbahnstraßen. In insgesamt 200 geöffneten Einbahnstraßen der Kölner Innenstadt geschahen
pro Jahr im Mittel nur etwa 13 Unfälle mit Radfahrern in
Gegenrichtung.
Wenn an Knotenpunkten Unfälle mit Radverkehr in Gegenrichtung geschahen, dann typischer Weise beim Einbiegen oder Kreuzen (>70 Prozent der Unfälle mit Radverkehr in Gegenrichtung und Personenschaden). Auf
der Strecke konnten vor allem in Einkaufsstraßen mit hohem Querungsbedarf häufiger Überschreiten-Unfälle
mit Fußgängern festgestellt werden.
Auch bei den Verhaltensbeobachtungen in fünf geöffneten Einbahnstraßen wurden nur sehr wenige Konflikte
mit in Gegenrichtung fahrenden Radfahrern festgestellt.
Mit 12 Konflikten bei 475 beobachteten Interaktionen lag
die Konfliktrate bei etwa 2,5 Prozent. Die Konflikte entstanden dabei aufgrund von Vorfahrtsmissachtungen
(8 Konflikte) oder durch falsche Fahrbahnbenutzung
(4 Konflikte [3]).
Empfehlungen für geöffnete
Einbahnstraßen
Geöffnete Einbahnstraßen sind also grundsätzlich sehr
sicher. Bei der Freigabe des Radfahrens in Gegenrichtung ist jedoch auf die Einhaltung der Vorgaben zur
Öffnung von Einbahnstraßen gemäß VwV-StVO und
den RASt 2006 zu achten. Das betrifft vor allem die Beschilderung an den Knotenpunkten mit dem Zusatzzeichen „Radverkehr aus beiden Richtungen“. In Einkaufsstraßen mit hohem Querungsbedarf ist darüber hinaus
auch den Fußgängern der Radverkehr in Gegenrichtung
zu verdeutlichen (z.B. durch Piktogramme und Pfeile auf
der Fahrbahn). An den entsprechenden Querungsstellen
muss dabei für ausreichende Sicht auf den Radverkehr in
Gegenrichtung gesorgt werden. Unter Umständen muss
hier auch das Parken neu geordnet werden, um die entsprechenden Sichtfelder freizuhalten.
UDV Unfallforschung der Versicherer
Anmerkungen • Quellen
Anmerkungen
Quellen
[1] 607 Radverkehrsunfälle mit Personenschaden in Fahrradstraßen und 152 in geöffnete Einbahnstraßen
ERA 2010 – Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, Ausgabe 2010. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Köln.
[2] 186 Unfälle mit Radverkehrsbeteiligung und Personenschaden in 75 Fahrradstraßen und 54 Unfälle mit Radverkehr in Gegenrichtung und Personenschaden in 20 geöffneten Einbahnstraßen
[3] Kraftfahrzeug kommt beim Abbiegen auf die Gegenfahrbahn, Kraftfahrzeug wendet auf der Kreuzung oder
der Radfahrer benutzt Gehweg
PGV/BIS; Planungsgemeinschaft Verkehr, Hannover/
Büro für integrierte Stadt- und Verkehrsplanung, Bonn
(2001): Verkehrssicherheit in Einbahnstraßen mit gegengerichtetem Radverkehr, Berichte der Bundesanstalt für
Straßenwesen Heft V83; Bergisch Gladbach
RASt 2006 – Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen,
Ausgabe 2006. Forschungsgesellschaft für Straßen- und
Verkehrswesen (FGSV), Köln.
StVO - Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (BGBl.
I S. 367), die durch Artikel 2 der Verordnung vom 15. September 2015 (BGBl. I S. 1573) geändert wurde.
VwV-StVO – Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung vom 22. Oktober 1998, i.d.F. vom
22. September 2015.
13
14
Unfallforschung kompakt 60 | Verkehrssicherheit von Fahrradstraßen und geöffneten Einbahnstraßen
1. Überschriften der jeweiligen Seite • 2. Überschrift • 3. Überschrift
UDV Unfallforschung der Versicherer
Impressum
Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft e.V.
Wilhelmstraße 43/43 G, 10117 Berlin
Postfach 08 02 64, 10002 Berlin
Telefon 030 . 20 20 - 58 21
Fax 030 . 20 20 - 66 33
unfallforschung@gdv.de
www.udv.de
www.gdv.de
Facebook: facebook.com / unfallforschung
Twitter: @unfallforschung
YouTube: youtube.com / unfallforschung
Redaktion:
Dipl.-Ing. Marcel Schreiber
Gestaltung:
pensiero KG, www.pensiero.eu
Bildquellen:
Titelfoto: UDV
Erschienen: 08/2016
15
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
Wilhelmstraße 43/43G, 10117 Berlin
Postfach 08 02 64, 10002 Berlin
Tel.: 030 / 20 20 - 50 00, Fax: 030 / 20 20 - 60 00
www.gdv.de, www.udv.de