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Full text: Unfälle mit Wohnmobilen (Rights reserved)

Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Unfälle mit Wohnmobilen Unfallforschung kompakt Nr. 64 UDV Unfallforschung der Versicherer Inhalt Inhalt Einleitung 4 Ausgangssituation 4 Unfallgeschehen allgemein 7 Vertiefte Unfallanalyse 8 Beladungszustände 10 Fahrversuche 12 Crashtest 13 Zusammenfassung und Folgerungen 15 Literatur 16 3 4 Unfallforschung kompakt 64 | Unfälle mit Wohnmobilen Einleitung • Ausgangssituation Einleitung Wohnmobile erfreuen sich in Deutschland wachsender Beliebtheit. Zum Unfallgeschehen von Wohnmobilen liegen zwar grundlegende Informationen aus der Straßenverkehrsunfallstatistik vor, es fehlt jedoch ein detailliertes Wissen über die aktuelle Struktur von Unfällen mit Wohnmobilen sowie deren Nutzung. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat daher in einem zweijährigen Projekt Wohnmobil-Unfälle mit Personenschaden analysiert, Beladungszustände gemeinsam mit der Polizei kontrolliert, die Fahrer befragt sowie Fahrdynamik-Versuche und Crash-Tests durchgeführt. Ausgangssituation Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Wohnmobilen und Caravans haben in Deutschland einen sehr geringen Anteil am Unfallgeschehen mit Personenschaden. Ihr Anteil liegt in diesem Kollektiv bei unter 0,3 Prozent. Laut einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) stellen Reisemobile und Pkw-Caravan-Gespanne keinen Schwerpunkt im Unfallgeschehen dar [1]. Dennoch zeigt die Betrachtung der Unfallfolgen bei Mitfahrern von Wohnmobilen ein gewisses Verbesserungspotential hinsichtlich der Fahrzeugsicherheit. Laut EG-Richtlinie 2007/46/EG ist ein Wohnmobil „ein Fahrzeug der Klasse M mit besonderer Zweckbestimmung, das so konstruiert ist, dass es die Unterbringung von Personen erlaubt und mindestens die folgende Ausrüstung umfasst: • Tisch und Sitzgelegenheiten, • Schlafgelegenheiten, die unter Umständen tagsüber als Sitze dienen können, • Kochgelegenheit, UDV Unfallforschung der Versicherer Ausgangssituation • Einrichtungen zur Unterbringung von Gepäck und sonstigen Gegenständen. Diese Ausrüstungsgegenstände sind im Wohnbereich fest anzubringen, mit Ausnahme des Tisches, der leicht entfernbar sein kann.“ Es gibt eine Vielzahl verschiedener Wohnmobiltypen, die in Abbildung 1 dargestellt und beschrieben sind. Nach den Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) nimmt der Bestand an Wohnmobilen stetig zu [5]. Tabelle 1 zeigt die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge zum 1. Januar der Jahre 2009 bis 2015. Die Veränderungen zum Vorjahr sind durchgehend positiv, wobei bereits 2012 ein deutlicher Anstieg des Bestandes von 2,6 Prozent zu verzeichnen war. In den Folgejahren zeigte sich ein weiterer Anstieg der zugelassenen Wohnmobile bis auf 6,2 Prozent für das Jahr 2015. Der Gesamtanstieg der zugelassenen Wohnmobile beläuft sich von 2009 bis 2015 mit 66.902 hinzugekommenen Fahrzeugen auf 20,6 Prozent (Pkw: 7,5 Prozent). Der jährliche Anstieg des Pkw-Bestands ist im Vergleich geringer (wenngleich auf anderem absoluten Niveau) und mit Werten zwischen 1,0 Prozent und 1,5 Prozent Wachstumsrate pro Jahr relativ konstant. Zur jährlichen Fahrleistung von Wohnmobilen liegen nur wenige Informationen vor. Im Jahr 2002 führte die BASt zusammen mit dem KBA eine Fahrleistungserhebung in Deutschland durch [2]. Aus dieser geht hervor, dass Wohnmobile im Jahr 2002 insgesamt ca. 4,044 Milliarden Kilometer zurückgelegt haben. Bei einem Bestand von etwa 360.000 Wohnmobilen in Deutschland entspricht dies rechnerisch 11.233 km pro Wohnmobil und Jahr. Aktuellere Zahlen liegen im Moment nicht vor. Im Vergleich dazu betrug die Gesamtfahrleistung von Pkw (n = 43.851.230) im Jahr 2014 insgesamt 627,2 Milliarden Kilometer; dies entspricht einer Jahresbilanz von rund 14.303 km pro Pkw. Tabelle 1: Zugelassene Wohnmobile in Deutschland von 2009 bis 2015 im Vergleich zum Pkw [5] Zugelassene Fahrzeuge (zum 1. Januar des Jahres) Veränderung gegenüber Vorjahr Wohnmobil Pkw Wohnmobil Pkw 2009 325.101 41.321.171 -- -- 2010 330.664 41.737.627 + 1,7 % + 1,0 % 2011 332.169 42.301.563 + 0,5 % + 1,4 % 2012 340.788 42.927.647 + 2,6 % + 1,5 % 2013 353.663 43.431.124 + 3,8 % + 1,2 % 2014 369.087 43.851.230 + 4,4 % + 1,0 % 2015 392.003 44.403.124 + 6,2 % + 1,3 % Jahr Laut einer Leserumfrage der Zeitschrift Promobil [3] betrug die durchschnittliche, jährliche Fahrleistung der Leser mit dem Wohnmobil ca. 11.200 km. Dieser Wert ist zwar nicht repräsentativ, vermittelt jedoch einen guten Eindruck über die Höhe der Fahrleistung und deckt sich mit dem ermittelten Wert in der BASt-Studie aus dem Jahr 2002 [2]. 5 6 Unfallforschung kompakt 64 | Unfälle mit Wohnmobilen Ausgangssituation Typ Beschreibung Wohnkabine Bei Wohnmobilen mit einer Wohnkabine handelt es sich um Pritschenwagen, bei denen auf die Ladefläche eine Wohnkabine montiert werden kann. Diese kann auf dem Campingplatz, ähnlich wie ein Caravan, zurückgelassen werden. Kastenwagen Bei Kastenwagen handelt es sich um ausgebaute Transporter, welche mit einem Wohnraum und Küche oder sanitären Anlagen ausgestattet sind. Meist besitzen diese Fahrzeuge zusätzlich ein Ausstell- oder ein Hochdach. Campingbus Alkoven teilintegriert Der alltagstaugliche Campingbus verfügt selten über eine sanitäre Ausstattung und ist für das Wintercamping eher ungeeignet. Ein Wohnmobil mit Alkoven besitzt einen separaten Schlafraum oberhalb des Fahrerhauses. Darüber hinaus ist das Fahrerhaus vom Wohnraum abtrennbar. Bei einem teilintegrierten Wohnmobil wird das Fahrerhaus in seinem Serienzustand als Teil des Wohnraums verwendet. vollintegriert Ein vollintegriertes Wohnmobil wird auf Fahrgestelle ohne Fahrerhaus aufgebaut. Das Fahrerhaus entspricht nicht der Serie des Basisfahrzeugs, ist dabei gedämmt und Bestandteil des Wohnraums. Wohnbus Beim Wohnbus handelt es sich um einen für Reise- und Wohnzwecke umgebauten Bus bzw. Lkw. Lkw-Basis Bei Wohnmobilen auf Lkw-Basis sind Wohneinheiten auf Lkw-Gestellen montiert und zum Teil auch mit dem Fahrerhaus zusammengeführt. Abb. 1: Darstellung und Beschreibung unterschiedlicher Wohnmobiltypen Schematische Darstellung UDV Unfallforschung der Versicherer Unfallgeschehen allgemein 1 UKO 64 Unfallgeschehen allgemein Im Jahr 2014 ereigneten sich 505 Unfälle mit Beteiligung von mindestens einem Wohnmobil [4]. Dies entspricht 0,17 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden in Deutschland (Abbildung 2). Im Vergleich dazu sind in über 80 Prozent der Unfälle Pkw beteiligt. Die absolute Anzahl an Personenschadensunfällen mit Wohnmobilbeteiligung in Deutschland sinkt stetig und Wohnmobile zeigen insgesamt stärkere Rückgänge bei den Unfallzahlen als andere Verkehrsteilnehmer. Tabelle 2 zeigt, wie sich die Anzahl der Verunglückten in den letzten Jahren entwickelt hat: Seit dem Jahr 2000 ist die Anzahl der Verunglückten, Getöteten, Schwer- und Leichtverletzten bei Unfällen mit Wohnmobilbeteiligung etwa um die Hälfte zurückgegangen. Von den insgesamt 3.377 getöteten Verkehrsteilnehmern im Jahr 2014 [4] starben lediglich 15 Personen (0,4 Prozent) bei Unfällen mit Wohnmobilbeteiligung. Unfallstatistik – DESTATIS (2014) 2.406.685 Unfälle mit Personenschaden 100% 302.435 Unfälle gesamt Unfälle mit Personenschaden 2000 29 316 1.440 1.785 2001 22 275 1.400 1.697 2002 18 242 1.268 1.528 2003 39 285 1.257 1.581 2004 26 273 1.171 1.470 2005 24 255 1.183 1.462 2006 30 281 1.275 1.586 2007 24 240 1.311 1.575 2008 16 2009 15 200 1.023 1.238 2010 19 202 919 1.140 1.115 2011 keine Informationen verfügbar 2012 keine Informationen verfügbar 2013 keine Informationen verfügbar 2014 15 147 660 1.335 822 – 54 % Verunglückte gesamt – 54 % Leichtverletzte – 53 % Schwerverletzte – 48 % Getötete 204 Unfälle mit Unfälle mit Pkw und Wohnmobil Personen- u. Personenschaden schaden r Abb. 2: Deutsche Unfallstatistik 2014 [4] Bei Unfällen mit Personenschaden und Wohnmobilbeteiligung ... 13% 0,17% 505 © UDV 2016 Tabelle 2: Verunglückte bei Unfällen mit Personenschaden 9% und Wohnmobilbeteiligung in Deutschland [4] Jahr 81,1% 245.412 7 8 Unfallforschung kompakt 64 | Unfälle mit Wohnmobilen Vertiefte Unfallanalyse 3 UKO 64 Unfall im Längsverkehr Einbiegen / Kreuzen-Unfall Sonstiger Unfall Fahrunfall U (GT) (n = 15) U (SV) (n = 103) Abbiege-Unfall U (LV) (n = 387) Unfall durch ruhenden Verkehr Überschreiten-Unfall 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% © UDV 2016 Abb. 3: Wohnmobilunfälle mit Personenschaden nach Unfalltyp und Verletzungsschwere in Deutschland 2014 [4] Vertiefte Unfallanalyse Abbildung 3 stellt für alle 2014 in [4] enthaltenen Unfälle den Zusammenhang zwischen Unfalltyp und Verletzungsschwere dar. Es zeigt sich, dass Unfälle im Längsverkehr den häufigsten Unfalltyp repräsentieren. Diese Konfliktsituationen umfassen vor allem Auffahrsituationen sowie Unfälle beim Fahrstreifenwechsel. Darüber hinaus wird deutlich, dass über alle Verletzungsschweregrade hinweg, also bei Getöteten sowie Schwer- und Leichtverletzten, dieser Unfalltyp dominiert. Für eine vertiefte Unfallanalyse wurde die Unfalldatenbank (UDB) der Unfallforschung der Versicherer herangezogen; die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf entsprechende Auswertungen der UDB. Abbildung 4 zeigt die Verteilung der Verletzungsschwere, getrennt für Wohnmobilinsassen und Unfallgegner. Zwei Drittel der Wohnmobilinsassen in der Unfalldatenbank (UDB) der UDV blieben unverletzt. Etwa 10 Prozent der Insassen wurden stationär aufgenommen (schwer verletzt). In den 125 untersuchten Unfällen mit Personenschaden starb kein einziger Wohnmobilinsasse. Bei den Unfallgegnern wurde fast jede vierte Person schwer verletzt, 5 Prozent (dies entspricht acht Personen) wurden getötet. Somit lässt sich ableiten, dass die Unfallgegner von Wohnmobilen deutlich höhere Verletzungsschweren aufweisen als die Wohnmobilinsassen selbst. Dies liegt nicht ausschließlich an der Beteiligung ungeschützter Verkehrsteilnehmer, auch bei Kollisionen zwischen Wohnmobilen und Pkw ist die Verletzungsschwere im Pkw höher. Diese Tatsache kann unter anderem mit der höheren Masse des Wohnmobils im Vergleich zum Pkw erklärt werden. UDV Unfallforschung der Versicherer Vertiefte Unfallanalyse 4 UKO 64 Wohnmobilinsassen Alle verunglückten Unfallgegner n=175 n=158 10% 8 Getötete 11% schwerverletzt leichtverletzt 22% unverletzt 68% getötet 5% schwerverletzt unverletzt © UDV 2016 © UDV 2016 Wohnmobilinsassen Verunglückte im Unfallgegner Pkw n=85 n=102 9% 3% 5 UKO 64 getötet 9% leichtverletzt schwerverletzt leichtverletzt unverletzt 65% Abb. 4: Verletzungsschweren der Wohnmobilinsassen und Unfallgegner nach Zahlen der Unfalldatenbank der Versicherer (UDB) 3 Getötete 13% schwerverletzt 26% leichtverletzt 23% 61% unverletzt 75% © UDV 2016 © UDV 2016 5% 16% Fahrer (n=116) 79% schwerverletzt leichtverletzt unverletzt © UDV 2016 29% Fondinsassen 19% 29% 42% Beifahrer (n=7) 32% (n=37) 49% © UDV 2016 Abb. 5: Verletzungsschweren auf verschiedenen Sitzplätzen im Wohnmobil nach Zahlen der Unfalldatenbank der Versicherer (UDB) 9 10 Unfallforschung kompakt 64 | Unfälle mit Wohnmobilen Beladungszustände Doch auch innerhalb der Wohnmobile treten unterschiedliche Verletzungsmuster und -schweren auf. Die Analyse der Verletzungsschweren für verschiedene Sitzplätze im Wohnmobil zeigt (Abbildung 5), dass sowohl die Beifahrer als auch die Fondinsassen schwerer verletzt werden als die Personen auf dem Fahrersitz, wenngleich die vorliegenden Fallzahlen klein sind und keine robusten Ergebnisse liefern können. Darüber hinaus wurden auch 238 Messdaten von Wohnmobilen und Caravangespannen durch die Polizeidirektion Freiburg erfasst. Hierbei ist zu bemerken, dass die dortigen Erhebungen seit langer Zeit etabliert sind und regelmäßig stattfinden. Teilweise nehmen Fahrer von Wohnmobilen und Caravangespannen das Angebot aktiv selbst wahr, und lassen ihre Fahrzeuge hinsichtlich Masse und Achslasten freiwillig wiegen. Dies stellt, neben der Erfassung von Caravangespannen, eine Besonderheit und gleichzeitig eine Abweichung vom Vorgehen in Dresden dar. Beladungszustände Seit Jahren wird aus unterschiedlichen Kreisen immer wieder die Meinung geäußert, dass die Nutzer von Wohnmobilen teilweise Probleme hätten, das Wohnmobil nicht zu überladen, da die erlaubte Zuladung nur sehr gering ist. Zur Überprüfung dieser These wurden im Rahmen des Wohnmobilprojekts daher auch Beladungsmessungen durchgeführt. Diese erfolgten in Zusammenarbeit mit der Polizeidirektion Dresden auf einem Autobahn-Rastplatz. Durch den Einsatz mobiler Messtechnik konnten die Beladungszustände im Realverkehr genau erfasst werden. Zudem ergab sich die Möglichkeit, im Nachgang an die Kontrollen mit den Wohnmobilnutzern Kontakt aufzunehmen und sie zu diversen Aspekten zu befragen. Darüber hinaus öffneten viele der kontrollierten Wohnmobilfahrer bereitwillig die Türen zum Wohnbereich, was den Studienbearbeitern eigene Eindrücke zur Ladungssicherung, Bestückung und zu mitgeführten Gegenständen verschaffte. Die Messkampagne in Sachsen wurde an der BAB 4 am Rastplatz Dresdner Tor in beiden Fahrtrichtungen durchgeführt. Hierbei stellte die Verkehrspolizeiinspektion Dresden zwei Teams. Die Messungen fanden an zwei Terminen im Sommer 2015 zur Ferien- und Reisezeit Ende Juli und Anfang August statt. Jeweils an einem Vormittag und Nachmittag wurden mittels Radlastwaagen und Lkw-Messmatten 35 Wohnmobile auf Überladung und Ladungssicherung kontrolliert (Abbildung 6). Abb. 6: Wohnmobil bei der Messung des Beladungszustands Abbildung 7 zeigt die bei den Beladungskontrollen in Sachsen ermittelten Ergebnisse im Vergleich zu den Kontrollen im Raum Freiburg. Bei der Messkampagne in Dresden (nur Wohnmobile, zufällig aus dem fließenden Verkehr ausgewählt) lagen etwa gleich viele Fahrzeuge über bzw. unter ihrem zulässigen Gesamtgewicht. Etwa jedes fünfte überladene Fahrzeug (4 der 18 überladenen Wohnmobile) lag dabei über der Toleranzschwelle von 10 Prozent, welche die Polizei den Wohnmobilfahrern in Deutschland einräumt, ohne dass ein Bußgeld verhängt wird. Bei Überschreitung der Toleranz, muss die Weiterfahrt mit dem überladenen Fahrzeug untersagt bzw. das Gewicht des Wohnmobils reduziert werden. UDV Unfallforschung der Versicherer Beladungszustände 7 UKO 64 Beladungszustände Wohnmobile und Caravangespanne Beladungszustände Wohnmobile BAB 4 (Dresden), 2015, n=35 BAB 5 (Freiburg), 2015, n=238 9% 40% 9% kein Verstoß 49% 51% Toleranz ≤ 10% Toleranz > 10% 73% 75 % 27% 13% kein Verstoß 6% Toleranz 11 – 15% 8% 4% 11% rA bb. 7: Beladungsmessungen hinsichtlich des zulässigen Gesamtgewichts © UDV 2016 Toleranz 6 – 10% Toleranz 16 – 20% Toleranz > 20% © UDV 2016 s Abb. 8: Beispiele für falsche/fehlende Ladungssicherung 11 12 Unfallforschung kompakt 64 | Unfälle mit Wohnmobilen Fahrversuche Die Kontrollen im Großraum Freiburg zeigen tendenziell bessere Ergebnisse, wobei hier beachtet werden muss, dass neben Wohnmobilen auch Caravangespanne erfasst wurden und einige Fahrer bewusst die Kontrolle ansteuerten, um ihr Fahrzeug wiegen zu lassen. Hier ist davon auszugehen, dass niemand bewusst mit einem überladenen Fahrzeug zur Polizeikontrolle fährt. Es zeigt sich, dass dennoch über ein Viertel der 238 kontrollierten Fahrzeuge überladen war. Auffällig ist hierbei der hohe Anteil an Fahrzeugen außerhalb der Toleranz von 10 Prozent. Etwa 18 Prozent aller kontrollierten Fahrzeuge musste die Weiterfahrt untersagt werden. Bei 4 Prozent der Fahrzeuge lag die Toleranz über 20 Prozent, was bei einem typischen 3,5-t-Fahrzeug also ein reales Gesamtfahrzeuggewicht von über 4,2 t ausmacht. Eine weitere wichtige Erkenntnis betrifft die Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse der Wohnmobile. So wurden bei den Kontrollen auch einige Fahrzeuge erfasst, bei denen – trotz Einhaltung der zulässigen Gesamtmasse – eine Achse überladen war. In den meisten Fällen war dies die Hinterachse, da ein Großteil der mitgeführten Ladung eher die Hinterachse beaufschlagt. Die nicht achsgerechte Beladung kann negativen Einfluss auf die Fahrdynamik und somit auf die Verkehrssicherheit haben. Neben den Gewichtskontrollen der Fahrzeuge wurde auch der Innenraum auf korrekte Ladungssicherung und Beladung geprüft. Abbildung 8 zeigt einige Beispiele aus den kontrollierten Wohnmobilen und gibt einen Eindruck, wie fahrlässig teilweise Inventar und Gegenstände verstaut bzw. im Innenraum abgelegt werden. Diese Gebrauchsgegenstände wie TV-Geräte, Kaffeemaschinen, Küchenutensilien und Bürobedarf stellen potenzielle Gefahrenquellen im Innenraum der Wohnmobile dar, wobei das Bewusstsein über die möglichen Folgen bei einer starken Bremsung bzw. einer Kollision oft fehlt. Fahrversuche Die Analyse des Fahrverhaltens eines Wohnmobils in ausgewählten Manövern wurde durch das Dekra Testzentrum Klettwitz durchgeführt. Hierbei wurde das Fahrzeug im unbeladenen (ungefähr Leergewicht) sowie achsengerecht beladenen Zustand (zulässiges Gesamtgewicht + 10 Prozent) in vier fahrdynamischen Standardmanövern hinsichtlich seines Verhaltens geprüft. Bei dem zu prüfenden Fahrzeug handelte es sich um ein Wohnmobil in Alkovenausführung (Abbildung 9). Das technisch zulässige Gesamtgewicht beträgt 3.850 kg, wobei das Fahrzeug laut Fahrzeugschein auf 3.500 kg abgelastet wurde. Mit einem Alter von etwa sieben Jahren (Erstzulassung 05/2008) bei Versuchsdurchführung entspricht es zwar nicht der aktuellsten Fahrzeuggeneration, ist aber immer noch deutlich jünger als der deutsche Flottendurchschnitt, der bei 14 Jahren liegt [6]. Abb. 9: Prüffahrzeug – Alkoven-Wohnmobil Für die Messwerterfassung wurde ein hochgenaues Faserkreisel-System eingesetzt. Zudem wurden ein Geschwindigkeitssensor an der Fahrzeugfront, ein Messlenkrad sowie Pedalkraftsensoren installiert. Für die fahrdynamischen Messungen im beladenen Zustand wurden sowohl auf dem Fahrer- und Beifahrersitz als UDV Unfallforschung der Versicherer Crashtest auch auf den hinteren Sitzreihen mit Wasser befüllte Dummys platziert, um das Personengewicht abzubilden. Außerdem wurden mit Stahlkiessäcken in den Ablagebereichen zusätzliche Lasten hinzugefügt, um damit den Zustand eines beladenen (überladenen) Fahrzeuges herzustellen. Die Gesamtmasse im unbeladenen Zustand betrug 3.050 kg, bei den Fahrten mit Beladung 3.849 kg. Die ordnungsgemäße Beladung des Wohnmobils erwies sich als relativ schwierig, da die sachgemäße Verteilung auf Vorder- und Hinterachse nicht leicht zu bewältigen ist. Die Hinterachse kann sehr schnell überladen und die zulässigen Achslasten können überschritten werden, auch dann, wenn das zulässige Gesamtgewicht noch nicht erreicht ist. Das Wohnmobil wurde mit den folgenden fahrdynamischen Standardmanövern überprüft: • Doppelter Fahrspurwechsel nach ISO 3888-2 • Bremsung aus 100 km/h nach ECE-R13H Typ 0 • Bremsen in der Kurve nach ISO 7975 • Stationäre Kreisfahrt nach ISO 4138 Laut DEKRA-Prüfbericht [7] wurde folgende Einschätzung abgegeben: „Das beschriebene Wohnmobil wurde durch das DEKRA Automobil Test Center hinsichtlich seiner aktiven Fahrsicherheit im unbeladenen und beladenen Zustand untersucht. Im Ergebnis der durchgeführten Standardmanöver kann dem Fahrzeug bei Beachtung der allgemeinen Regeln zur Fahrzeugbeladung und zur Ladungssicherung ein sicheres Fahrverhalten bescheinigt werden. Die erzielten Ergebnisse gelten nur für das tatsächlich geprüfte Wohnmobil in den angegebenen Beladungskonfigurationen. Inwieweit die Ergebnisse auf andere Fahrzeug- und Beladungszustände übertragen werden können, kann nicht abgeschätzt werden. Generell lässt sich feststellen, dass kein sicherheitskritischer Eindruck entsteht. Das Wohnmobil weist jedoch fahrdynamische Einschränkungen auf und liegt unter dem Sicherheitsstandard aktueller Pkw. Bei Brems- und Ausweichmanövern haben Wohnmobile geringere Sicherheitsreserven und die erreichbaren Verzögerungen sind deutlich geringer als beim Pkw. Das heißt, in Verkehrssitua- tionen, die vom Normal-Pkw problemlos gemeistert werden können, bewegt sich das Wohnmobil bereits in fahrdynamischen Grenzbereichen. Es lässt sich jedoch festhal-. ten, dass die durchgeführten Standardmanöver unkritisch sind und den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Dennoch sind die fahrdynamischen Reserven in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit wesentlich kleiner als beim normalen Pkw. Als Schlussfolgerung bzw. Empfehlung lässt sich ableiten, dass Wohnmobilfahrer für die fahrdynamischen Besonderheiten dieser Fahrzeugart sensibilisiert werden sollten. Eine Anpassung der Fahrweise, insbesondere im Vergleich zum Verhalten mit einem klassischen Pkw, sollte stattfinden.“ Crashtest In einem abschließenden Crashtest wurde die häufigste Unfallkonstellation (Auffahren auf einen stehenden Pkw) nachgestellt. Der Crashtest erfolgte bei der Firma CTS (CrashTestService) in Münster. Hierbei fuhr ein Wohnmobil (Fiat Ducato) mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 t ungebremst auf einen stehenden Pkw auf. Die Kollision auf das Heck des Pkw wies einen Überdeckunsgrad von 100 Prozent und einen Kollisionswinkel von 0° auf. Die Kollisionsgeschwindigkeit lag bei ca. 70 km/h. Das Wohnmobil war beladen. Die Ausstattungsmerkmale sind in Abbildung 10 veranschaulicht und bildeten ein Szenario aus dem Realverkehr nach. Neben einem Fahrer und Beifahrer wurde ein instrumentierter Dummy auf die hintere Sitzreihe gesetzt. Dieser war ungesichert, während die Dummys im Frontbereich angeschnallt waren. Neben diversen Küchen- und Wohnutensilien (TV, Töpfe, Geschirr) wurden ein rund 20 Kilogramm schwerer Hundedummy sowie Getränkekisten ungesichert im Wohnmobil platziert. 13 Unfallforschung kompakt 64 | Unfälle mit Wohnmobilen Crashtest Ausstattung Wohnmobil Dummys Frontbereich s Abb. 11: Fahrzeuginsassen nach dem Crash; oben: PKW-Insasse; unten: Wohnmobilinsassen Pkw rA bb. 10: Ausstattung des Wohnmobils für das Crashszenario Dummy Fondbereich Wohnmobil 14 Abbildung 11 zeigt die Endlagen der Fahrzeuginsassen nach dem Crash. Im oberen Teil ist die Lage des Pkw-Insassen dargestellt. Durch die beim Aufprall gebrochene Rückenlehne des Pkw hat sich der Fahrer in eine fast waagerechte Position begeben und die unteren Extremitäten wurden nach oben geschleudert. Die Insassen des Wohnmobils zeigen im vorderen Bereich den gegurteten Fahrer und Beifahrer (unten links) im Rückhaltesystem hängend. Der Beifahrer hat zudem eine leicht verdrehte Sitzposition eingenommen. Im mittleren Bild ist der Fondinsasse abgebildet und zeigt die erheblichen Folgen des Nichtangurtens. Während des Aufpralls wur- de der Fondinsasse aus dem Sitz geschleudert und prallte mit dem Oberkörper an den vor ihm befindlichen Tisch und anschießend mit dem Kopf an die obere Querstrebe des Alkovenbereiches. Danach fiel er in die Sitzgruppe zurück und wurde von Teilen der Inneneinrichtung „begraben“. Der hinten im Wohnbereich platzierte Hund und auch diverse Einrichtungsgegenstände sowie Utensilien des täglichen Gebrauchs flogen unkontrolliert durch das gesamte Fahrzeug in den vorderen Bereich des Wohnmobils (unten rechts) und trafen die vorne sitzenden Dummys, was in realen Unfallsituationen zu schweren Verletzungen führen kann. UDV Unfallforschung der Versicherer Zusammenfassung und Folgerungen Zusammenfassung und Folgerungen Unfälle mit Beteiligung von Wohnmobilen stellten im Jahr 2014 mit einem Anteil von 0,17 Prozent an allen Personenschadensunfällen und insgesamt 15 Getöteten keinen Schwerpunkt im deutschen Verkehrsunfallgeschehen dar. Der häufigste Unfalltyp sind Unfälle im Längsverkehr. Hierzu zählen vor allem Auffahrunfälle, bei denen das Wohnmobil einem anderen Verkehrsteilnehmer auffährt und somit eine Frontalkollision erleidet. Pkw stellen die häufigsten Kollisionsgegner dar, die in diesen Fällen am Heck getroffen werden. Es wurde festgestellt, dass die Unfallgegner von Wohnmobilen höhere Verletzungsschweren als die Wohnmobilinsassen erleiden, was nicht nur für ungeschützte Verkehrsteilnehmer gilt. Im Wohnmobil selbst werden die Fondinsassen tendenziell schwerer verletzt als Fahrer und Beifahrer. Ein großes Sicherheitsrisiko stellt die falsche Beladung und die unzureichende Ladungssicherung dar. Viele Wohnmobile werden, nicht zuletzt aufgrund ihres bereits hohen Leergewichts, überladen, so dass fahrdynamische Grenzbereiche schneller erreicht werden als beim Pkw. Aufklärungsbedarf besteht zudem beim Thema Ladungssicherung, das oft vernachlässigt wird. Generell sollten Wohnmobilfahrer für die Besonderheiten der Fahrzeuge sensibilisiert werden und Empfehlungen zur Anpassung der Fahrweise gegeben werden. Aus den Ergebnissen der Studie lassen sich Maßnahmen und Empfehlungen ableiten, die den Sicherheitsstandard von Wohnmobilen erhöhen und im Sinne gesteigerter Fahrzeug- und Verkehrssicherheit zu empfehlen sind. Dabei steht einerseits die Sensibilisierung und Aufklärung der Fahrer im Fokus, andererseits werden technische Aspekte von Wohnmobilen adressiert: • Die Fahrzeuge müssen so konstruiert sein, dass bei für Wohnmobile üblichen Zuladungen das zulässige Gesamtgewicht und die Achslasten nicht überschritten werden. • Die Bremsleistung von Wohnmobilen ist unakzeptabel. Ziel muss eine Bremsleistung nahe an modernen Pkw sein • Ausstattung mit Notbremsassistenten und ESP sollte serienmäßig erfolgen • Personen im Wohnabteil brauchen angemessene Sitz- und Rückhalteeinrichtungen • Rückhalteeinrichtungen für Fahrer und Beifahrer auf Pkw-Niveau • Zustand und Alter der Reifen müssen im Auge behalten werden • Aufklärung über Gefahren durch ungesicherte Gegenstände / Tiere 15 16 Unfallforschung kompakt 64 | Unfälle mit Wohnmobilen Literatur Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen. Unfallbeteiligung mit Wohnmobilen – 2000 bis 2010. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 236, Martin Pöppel-Decker, Stefanie Langner [2] Bundesanstalt für Straßenwesen. Fahrleistungserhebung 2002 – Inlandsfahrleistung und Risiko. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrstechnik, Heft V 121, Heinz Hautzinger, Wilfried Stock, Jochen Schmidt [3] Fachzeitschrift „Promobil“, Heft Juli 2014 [4] Statistisches Bundesamt. Verkehrsunfälle 2014. Fachserie 8, Reihe 7, Wiesbaden, Juli 2015 [5] Kraftfahrt-Bundesamt. Marken, Hersteller – Bestand an Wohnmobilen. Internet: www.kba.de/DE/Statistik/ Fahrzeuge/Bestand [6] Gesellschaft für Technische Überwachung. Mängelreport 2012, Pressemitteilung Juni 2012. Wohnmobile: hohes Alter – viele Mängel. Internet: www.gtue.de [7] DEKRA. Untersuchung Fahrverhalten Wohnmobil im leeren (messfertigen) und beladenem Zustand. DEKRA-Prüfbericht Nr. 201537206, unveröffentlicht UDV Unfallforschung der Versicherer Impressum Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Wilhelmstraße 43/43 G, 10117 Berlin Postfach 08 02 64, 10002 Berlin Telefon 030 . 20 20 - 58 21 Fax 030 . 20 20 - 66 33 unfallforschung@gdv.de www.udv.de www.gdv.de Facebook: facebook.com / unfallforschung Twitter: @unfallforschung YouTube: youtube.com / unfallforschung Redaktion: Dipl.-Ing. Thomas Hummel Dr.-Ing. Matthias Kühn Gestaltung: pensiero KG, www.pensiero.eu Bildquellen: Die Nutzungsrechte der in dieser Broschüre abgebildeten Fotos liegen bei der Unfallforschung der Versicherer bzw. beim GDV. Erschienen: 01/2017 19 Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Wilhelmstraße 43 / 43G, 10117 Berlin Postfach 08 02 64, 10002 Berlin Tel.: 030 / 20 20  - 50 00, Fax: 030 / 20 20 - 60 00 www.gdv.de, www.udv.de
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