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BAUDENKMAL
ORTSTEILE
BODENDENKMAL
OFFENE THEMEN
DUISBURGER
DENKMALTHEMEN 6
FEURIGES VERMÄCHTNIS
Ein Friedhof der Eisenzeit
in Rheinhausen-Bergheim
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Ein Friedhof der Eisenzeit an der
Julius-Leber-Straße
Obwohl die Stadt Duisburg mit ihren verschiedenen Ortsteilen seit gut einem
Jahrhundert einen rasanten Wandel von einem eher ländlich geprägten Siedlungsgefüge zur industriellen Metropole vollzogen hat, bietet der derart überprägte Stadtgrund so einige Überraschungen (Abb. 1). Mit einem großen,
noch intakten Gräberfeld hatten jedoch nicht einmal die größten Optimisten
in der Unteren Denkmalbehörde-Stadtarchäologie gerechnet. In der Julius-Leber-Straße, Duisburg-Bergheim, wurde mit der Aufstellung eines Bebauungsplans für 27 Ein- und Doppelhäuser eine archäologische Untersuchung des
Baugrundes notwendig. Die Ausgrabung überraschte mit über 140 Grabstellen aus der Eisenzeit (ca. 700 – 500/450 v. Chr.) und Spuren aus der Kaiserzeit aber auch des Frühmittelalters. Vielleicht ist sogar ein kleiner Hinweis auf
den ehemaligen Ort Oestrum geglückt (Abb. 1). Von Mitte September 2009
bis Mitte Dezember 2009 war der Verfasser mit seinem Team im Auftrag der
Stadtarchäologie Duisburg vor Ort und barg Urne um Urne (Abb. 2, 3). Die
Urnen erhielten mit samt ihrer Füllung einen Gipsmantel und wurden in die
Restaurierungswerkstatt gebracht. Dort sollen sie jetzt, abseits der Hektik der
Baustelle, unter besten Bedingungen für die Wissenschaft untersucht und dokumentiert werden.
Die Grabung im eisenzeitlichen Gräberfeld an der Julius-Leber-Straße in Bergheim stellt nicht nur für Duisburg, sondern für die gesamte Region einen unschätzbaren Wissenszuwachs dar. Es gibt nur wenige vergleichbare, gut erPreußische Generalstabskarte
1816-1847
Abb. 1
Unter genauer Beobachtung der Archäologen wird der Oberboden mit
dem Bagger abgetragen...
Abb. 2
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Bodendenkmal
... dann folgt die genau dokumentierte Freilegung der Urnen
Abb. 3
Bekannte Bronze- und eisenzeitliche
Fundstellen im Raum Duisburg:
Rot markiert Friedhof an der
Julius-Leber-Straße
Abb. 4
forschte Gräberfelder, die neue Einblicke in die Eisenzeit bieten. Wovon lebten die Leute? Was machte die Rheinauen und die Nähe zum Wasser für die
Siedler der Eisenzeit so interessant? Die Graburnen werden uns helfen, solche
Fragen zu beantworten.
Ein Dank gebührt allen Beteiligten. Durch die hervorragende Zusammenarbeit
aller, vom Eigentümer über die Stadtverwaltung bis hin zum Bauträger, war
die Bergung dieses sensationellen Fundes erst möglich.
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Das Gräberfeld
„... Viele gemästete Schaf` und viel schwerwandelndes Hornvieh/Zogen sie ab
und bestellten sie; aber von allen/Nahm er das Fett und bedeckte den Freund,
der edle Achilleus,/Ganz vom Haupt zu den Füßen; die abgezogenen
Leiber/Häuft er umher; auch Krüge voll Honiges stellt` er und Öles/Nah um
das Leichengewand; und vier hochhalsige Rosse/Warf er mit großer Gewalt
auf das Totengerüst, lautstöhnend/Neun der häuslichen Hund`, ernährt am Tische der Herrscher/Deren auch warf er aufs Totengerüst er zweene geschlachtet;/ ... /Ließ dann der Flamme Gewalt mit eiserner Wut sich verbreiten./ ...
/und es knatterte mächtig umher Glut./Siehe, die ganze Nacht durchwühlten
sie zuckende Flammen,/Sausend zugleich in das Totengerüst. ...“ (Abb. 5)
Tötung gefangener Trojaner am
Scheiterhaufen für den toten
Patroklos. Darstellung auf einer
griechischen Vase aus der 2. Hälfte
des 4. Jh v. Chr.
Abb. 5
So dramatisch schildert die Ilias, die älteste Erzählung aus der antiken Welt,
die Verbrennung des Leichnams des Patroklos durch seinen Freund Achill im
Zuge des trojanischen Krieges. Auch wenn diese Dichtung einem anderen
Kulturkreis entstammt, illustriert sie doch anschaulich einen Teil der komplexen Vorgänge bei einer Brandbestattung im 1. Jahrtausend v. Chr.
Alle der 142 archäologisch noch sicher nachweisbaren Bestattungen auf dem
Areal an der Julius-Leber-Straße waren Brandbestattungen. Die Verstorbenen
wurden auf einem Scheiterhaufen aufgebahrt und verbrannt. War der Scheiterhaufen heruntergebrannt, sammelte man die Bruchstücke der weiß kalzinierten Knochen auf und bestattete sie in einem Behältnis. In 97 % der Fälle
erfolgte die Beisetzung des Leichenbrandes in einer Urne, einem schlichten
Tongefäß (Abb. 6). Meist verschloss man mit einem zweiten Gefäß die Öffnung der Urne und setzte sie in einer Grube bei. Manchmal, so legen zwei
Befunde nahe, stand das Gefäß in der Grube auf einem Steinpflaster aus
Rheinkieseln.
Neben diesen Urnengräbern ließen sich archäologisch aber noch andere
Grabformen beobachten: Selten (3 % der Bestattungen) lag der Leichenbrand als faustgroße Anhäufung ohne umhüllendes Gefäß in einer Grube, ein
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Bodendenkmal
sogenanntes Knochenlager. Bei diesen Knochenlagern vermutet man, dass
der Leichenbrand ursprünglich in einem organischen Behälter, z. B. einem
Urnenbestattung: Unten die
eigentliche Urne, oben die
Deckschale
Abb. 6
Knochenlager: Die Leichenbrandkonzentration ist im Boden nur
schwer zu erkennen
Abb. 7
Brandschüttung: Die Holzkohle
vom Scheiterhaufen färbt die
Grube um die Urne dunkel
Abb. 8
so genanntes Knochenlager. Bei diesen Knochenlagern vermutet man, dass
der Leichenbrand ursprünglich in einem organischen Behälter, z. B. einem
Beutel aus Stoff, in das Grab gelegt wurde (Abb. 7). Die organischen Behältnisse haben im Boden keine Spuren hinterlassen. Den Urnengräbern nahe
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verwandt sind die so genannten Brandschüttungsgräber. Hier gelangten in
die Grabgrube nicht nur das Erdreich der Umgebung, sondern zusätzlich
Holzkohle und Reste des Scheiterhaufens (Abb. 8). Diese Grabform ist mit
3 % aller Bestattungen ebenso selten wie einfache Knochenlager.
Obwohl die eingegipsten Urnen noch nicht untersucht werden konnten, erlaubten beschädigte Gefäße bereits einen Blick in das Innere (Abb. 9). Neben
dem Leichenbrand enthalten manche Urnen Beigaben. Darunter sind etwa
tönerne Miniaturgefäße und Spinnwirtel zu finden. Tierknochen und die Zähne eines Hundes erinnern an das eingangs zitierte Beispiel aus dem Trojanischen Krieg, bei dem auch Rinder, Schafe und Hunde zusammen mit dem Toten auf den Scheiterhaufen gelangten.
Beigabe: Ein Miniaturgefäß inmitten
einer zerstörten Urne mit Leichenbrand
Abb. 9
Ganz im Norden des Friedhofs wurde ein beeindruckender Kreisgraben mit
ursprünglich 10 m Innendurchmesser und mindestens 70 cm Breite beobachtet (Abb. 10). In der Mitte der Anlage hatte man die mit einer Deckschale verschlossene Urne beigesetzt. Bei der Beisetzung wurde die Urne in eine ovale
Grube gestellt, die man mit Erde und Holzkohle vom Scheiterhaufen verfüllte. Über der Bestattung erhob sich ehemals zusätzlich ein Hügel, der mit dem
Aushubmaterial des Grabens aufgeschüttet worden war.
Hügelgrab
unten: Grabungsbefund mit Urne,
Pfostengrube und Kreisgrabensegment von der Julius-Leber-Straße
oben: rekonstruierter Hügel mit
stelenartigem Pfosten
Abb. 10
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Bodendenkmal
Ungewöhnlicherweise befand sich die Bestattung nicht genau im Zentrum
der Grabanlage, sondern etwas nach Nordosten versetzt. Direkt in der Mitte
fand sich der Abdruck eines senkrechten Holzpfahles. Es ist anzunehmen,
dass der Pfahl als Holzstele den Hügel deutlich überragte. Eine derart mit Hügel und Stele markierte Bestattung war weithin sichtbar. Wahrscheinlich diente der Pfahl zusätzlich einem ganz praktischen Zweck. Mit einer am Holz befestigten Schnur konnten wie mit einem Zirkel Kreisbögen für die Anlage des
Hügels und des Grabens geschlagen werden.
Idealbild einer bronze- und eisenzeitlichen Friedhofslandschaft mit einer
Bestattungsszene
Abb. 11
Viele der nachgewiesenen Bestattungen waren ehemals wahrscheinlich mit
Hügeln und durch Gräben verschiedener Form sowie Holzstelen markiert, sodass eine regelrechte Friedhofslandschaft entstand (Abb. 11).
Obwohl die untersuchte Fläche mit den freigelegten Gräbern das imponierende Maß von drei Fußballfeldern umfasst, muss sich der Friedhof ursprünglich
über ein viel größeres Areal erstreckt haben. Die Belegungsdichte deutet darauf hin, dass sich das Gräberfeld mit Sicherheit nach Osten in den Bereich
der Geschwister-Scholl-Straße und der dahinter liegenden Wohnsiedlung ausgedehnt hat. Durch die Untersuchung wurde eine Gräberfeldgrenze nur ganz
im Südwesten erreicht.
Archäologe legt eine Urne frei und
birgt sie im Block
Abb. 12
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Vorstellungswelt und Gesellschaft
Stark verflachter Grabhügel auf dem
alten Friedhof am Sternbuschweg in
Duisburg-Neudorf
Abb. 13
Für den Archäologen ist es schwierig sich über die Beschreibung der Grabformen, der Bestattungs- und Beigabensitten hinaus der Vorstellungswelt der eisenzeitlichen Bevölkerung zu nähern. Für den seit der mittleren Bronzezeit
einsetzenden Wandel von der Körper- zur Brandbestattung werden unterschiedlichste Beweggründe diskutiert, von der „Furcht vor Wiedergängern“
bis zur „Befreiung der Seele vom Körper“. Es scheint auf der Hand zu liegen,
dass für die Jenseitsvorstellung die diesseitige Körperlichkeit keine Rolle spielte. Ähnliches dürften auch die mitgegebenen und ebenso verbrannten Tieropfer signalisieren. Die Beigabe von Miniaturgefäßen, die durch ihre Verkleinerung nicht wirklich nützlich sind, ist vermutlich als Symbol für das vergangene Leben aufzufassen. Trotz ihrer Gebrauchstüchtigkeit scheint die Spinnwirtelbeigabe (s. u.) auch symbolischen Charakter zu haben: zu denken ist an
ein Zeichen für intensive Schafhaltung und Nutzung der Wolle.
Die Anlage von Friedhöfen in der Nähe der Siedlung und die oberirdische individuelle Kennzeichnung von Gräbern belegen deutlich, wie sehr die Erinnerung an die Verstorbenen in das tägliche Leben eingebunden war – sicher
weitaus mehr als heute.
Angesichts der Unterschiede zwischen den einzelnen Grabformen drängt sich
die Frage nach der gesellschaftlichen Struktur der eisenzeitlichen Bevölkerung
auf, die ihre Toten an der Julius-Leber-Straße bestattete. So ist die Herstellung
eines organischen Behälters für ein Knochenlager sicher weniger aufwendig
als das Töpfern und Brennen einer Urne. Außerdem fehlen in Duisburg bei
den Knochenlagern jegliche Beigaben. Aber sind die in einem Knochenlager
Bestatteten deshalb tatsächlich weniger wohlhabend gewesen, als diejenigen, die sich ein Urnengrab leisten konnten? Auch verschieden aufwendige
Grabbauten, wie etwa Gräber mit oder ohne Hügel bzw. unterschiedlich große Hügel, ließen sich mit „arm oder reich“ erklären. Es könnte aber auch die
gesellschaftliche Stellung oder der politische Einfluss eine Rolle spielen. Vielleicht lag aber auch die Unterscheidung nach “alt oder jung“, “Mann oder
Frau“ der jeweiligen Bestattungspraxis zu Grunde. Schließlich muss angesichts der räumlichen Verteilung der Bestattungen auf dem Areal darüber
nachgedacht werden, ob der Friedhof nach Familien gegliedert belegt wurde.
Im Vorfeld all dieser Überlegungen ist aber zunächst die zeitliche Ordnung,
die Chronologie des Gräberfeldes zu klären. So geben die einzelnen Grabgruppen auf dem Gräberfeld etwa auch nur die zeitliche Abfolge der Fried-
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Bodendenkmal
hofsanlage wieder. Vielleicht stehen die Knochenlager nur für einen frühen
Belegungsabschnitt des Gräberfeldes, als es noch nicht üblich war, in Urnen
mit Deckgefäßen zu bestatten. Beim jetzigen Bearbeitungsstand der Grabfunde sind diese Zusammenhänge leider noch nicht ausreichend geklärt, sodass
an dieser Stelle mehr Denkanstöße als fundierte Antworten gegeben werden
können.
Die Siedlung zum Gräberfeld?
Angesichts des ausgedehnten Friedhofs wird man in der näheren Umgebung
die zugehörige Siedlung vermuten dürfen. Andere Grabungen in unserem
Raum lassen ein Muster aus kleinen, selbstständig wirtschaftenden Gemeinschaften erkennen. Diese dörflichen Siedlungen bestanden aus mehreren hofartigen Wohn- und Wirtschaftskomplexen, aber auch Einzelgehöfte sind bekannt (Abb. 14).
Idealbild einer eisenzeitlichen
Siedlung am Fluss
Abb. 14
Auch in der Julius-Leber-Straße gab es Hinweise auf eine dem Gräberfeld benachbarte Siedlung. Im Nordosten des Areals, einem Bereich, in dem nur wenige Bestattungen lagen, konnte eine ca. 1,7 x 1,4 m und 0,3 m tiefe Grube
untersucht werden, die wohl in einen eisenzeitlichen Siedlungszusammenhang einzuordnen ist.
Nördlich gab es etliche Pfostengruben, die ehemals zu Gebäuden gehört haben könnten. Unter den Funden befanden sich Reste von Lehmputz, wie er
bei den hölzernen Pfostenhäusern als Bewurf der Flechtwerkwände verwendet wurde. Auch Teile von Webgewichten weisen auf eine Siedlung hin.
Vermutlich hat die Grabung gerade noch den Randbereich der Siedlung erfasst. Ihr Zentrum ist weiter nordöstlich zu suchen, ist dann aber bereits durch
die angrenzende Bebauung zerstört.
Gefäßkeramik
Während Keramik in Siedlungen fast immer zerbrochen als Abfall in den Boden gelangte, wurden in Gräbern in der Regel intakte Gefäße als Leichenbrandbehälter oder als Beigabe in das Grab gestellt (Abb. 15-17). Dennoch
war nur ein Teil der in Bergheim gefundenen Gefäße vollständig, da der Pflug
die dicht unterhalb der Oberfläche im Boden steckenden Urnen erfasst hatte.
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Mehrere Tausend Scherben müssen nun gereinigt und wieder „zusammengepuzzelt“ werden.
Verschiedene Gefäßformen in den
Gräbern
Abb. 15-17
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Bodendenkmal
Anhand der wenig beschädigten Grabinventare lässt sich ein erster Überblick
über die Keramik des Friedhofs gewinnen. Unabhängig von den oft verwirrenden archäologischen Bezeichnungen für die Gefäße fallen auch dem Laien die Unterschiede zwischen Schale und Schüssel einerseits und den topfartigen Formen andererseits ins Auge. Erstere verfügen über einen im Vergleich
zur Höhe großen Durchmesser und eine weite Mündung. Letztere weisen einen im Vergleich zur Höhe geringeren Durchmesser an der breitesten Stelle
und eine engere Mündung auf. Die vielfältigen topfartigen Formen werden
dann nach der Gestaltung des Gefäßoberteils recht anschaulich z. B. als Zylinderhals-, Kegelhals-, Schrägrand- oder Trichterrandgefäße bezeichnet.
Schalen kamen auf dem Friedhof meist in Kombination mit den Hals- oder
Randgefäßen vor und dienten dann als “Deckel“ der topfförmigen Urnen.
Aber auch die Kombination Schale-Schale, bei der eine Schale als Urne für
den Leichenbrand genutzt wurde, liegt vor. Seltener vertreten sind Henkeltassen oder Miniaturgefäße, die sich als Beigefäße in den Urnen finden.
Die Oberfläche der Tonware hatte man oft geglättet, manchmal sogar poliert
oder aber bewusst mit einem rauen Überzug versehen. Fingertupfen auf den
Wandungen und Rändern, eingeglättete umlaufende Furchen, Besen- und
Kammstrichmotive sind Beispiele für Zierformen auf der Keramik (Abb. 18).
Trotz der oft hohen Qualität und der komplexen Formen wurden die Gefäße
von Hand und ohne schnell drehende Töpferscheibe geformt. Dies unterstreicht das hohe handwerkliche Niveau der eisenzeitlichen Töpfer. Nach der
Trocknung wurde die Keramik in einer Grube oder einem einfachen Ofen gebrannt.
Verzierungen mit Fingern und
Kamm an Keramikfunden aus dem
Friedhof an der Julius-Leber-Straße
Abb. 18
Die Keramik in ihrer Herstellung, Form und Verzierung liefert für den Archäologen das zeitliche Grundgerüst, die Chronologie der Fundstelle. Beim jetzigen Bearbeitungsstand lässt sich die Grabkeramik des Duisburger Gräberfelds
mehrheitlich in die frühe Eisenzeit, d.h. in die Zeit von ca. 700 - 500/450 v. Chr.
einordnen.
Tracht
Funde von Bestandteilen der ehemaligen Kleidung erlauben es uns, ein schemenhaftes Bild von der Tracht der auf dem Friedhof beigesetzten Menschen
zu entwickeln.
Vorwiegend erhalten sind nicht organische Gegenstände, die als Schmuckstücke am Körper getragen wurden, oft aber auch eine praktische Funktion erfüllten, z. B. bei der Befestigung einzelner Kleidungsstücke.
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Kropfnadel aus Bronze,
Julius-Leber-Straße
Abb. 19
Keltischer Glasarmring, Bruchstück,
Julius-Leber-Straße
Abb. 20
Vergleichsbeispiele für keltische
Glasarmringe und weiteren
Glasschmuck
Abb. 21
12
Zu dieser Fundgruppe gehört eine fast 10 cm lange Bronzenadel, die vermutlich aus einer völlig zerstörten Bestattung stammt oder auf dem Friedhof verloren wurde (Abb. 19). Sie zeigt keine Spuren großer Hitze und hat demnach
nicht auf einem Scheiterhaufen gelegen. Wegen des charakteristischen
“Knicks“ unterhalb des rillenverzierten Kopfs bezeichnet man diesen Fund
auch als Kropfnadel. Dieser Kropf verhinderte das Verrutschen der zu verbindenden Kleiderstoffe auf der glatten Nadel. Die Kropfnadeln datieren mehrheitlich in die frühe Eisenzeit. Am Ende dieser Periode werden Nadeln von Fibeln abgelöst, die heutigen Sicherheitsnadeln ähneln. Als Haarnadeln bleiben
sie aber noch einige Zeit gebräuchlich.
Unter ähnlichen Umständen ist vermutlich auch das Bruchstück eines
Glasarmrings in den Boden gekommen (Abb. 20-21). Das Glas hat eine tiefblaue bis fast schwarze Farbe und ist mit sieben Rippen verziert. Nur an den
Rändern, wo das Material aufgrund der geringeren Stärke durchscheinend ist,
ahnt man die farbliche Brillanz. Solche gläsernen Armringe wurden von keltischen Frauen von Frankreich bis Ungarn getragen. Von dort kamen die
Glasarmringe und die mit ihnen verbundenen Trachtsitten an den Niederrhein. Unser spezielles Stück könnte jedoch auch von einer regionalen Werkstatt aus dem Raum zwischen Maas und Niederrhein stammen. Gefertigt hat
man die nahtlosen Ringe durch ein Schleuderverfahren. Zeitlich ist das Stück
deutlich jünger als unsere Bronzenadel. Die zwei Schmuckstücke wurden
wahrscheinlich nie zusammen getragen. Ob sich noch weitere Trachtteile in
den Urnen befinden, werden zukünftige Untersuchungen zeigen.
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Bodendenkmal
Eiserne Lanzenspitze,
stark korrodiert, Julius-Leber-Straße
Abb. 22
Bewaffnung
Zu den bei den Baggerarbeiten entdeckten Funden gehört eine kleine eiserne
Lanzenspitze von 18 cm Gesamtlänge (Abb. 22). Das 10,8 cm lange, schlank
geformte Blatt geht in einen Dorn über, mit dem die Spitze im hölzernen
Schaft befestigt war. Auf dem Blatt ist noch ein nicht näher bestimmbarer Gegenstand festkorrodiert. Im jetzigen, nicht restaurierten Zustand sind leider
keine weitergehenden Aussagen möglich. Lanzen waren jedoch während der
Eisenzeit als Beigabe in Männergräbern üblich.
Spinnwirtel, Julius-Leber-Straße
Abb. 23
Textilherstellung
Einige Spinnwirtel aus Ton konnten als Lesefunde beim Anlegen der Grabungsflächen und aus zerstörten Bestattungen geborgen werden (Abb. 23).
Spinnwirtel sind Schwunggewichte für eine Handspindel, mit der Wolle versponnen wurde (Abb. 24). Von flach halbkugeligen über konische bis hin zu
komplexeren Formen lässt sich eine variantenreiche Gestaltung beobachten.
Allen Formen gemeinsam ist die mittlere Durchbohrung für die hölzerne Achse, auf die der Faden gewickelt wurde. In Siedlungen gehören die Wirtel zum
üblichen Fundinventar und belegen die häusliche Textilherstellung. Obwohl
die geborgenen Urnen noch nicht bearbeitet wurden, offenbarten stärker beschädigte Gefäße schon bei der Freilegung, dass Spinnwirtel den Toten als
Beigabe mitgegeben wurden.
Unter den Lesefunden befinden sich auch zahlreiche Bruchstücke von Webgewichten (Abb. 25). Diese Gewichte wurden aus Ton gefertigt und bei niedrigen Temperaturen gebrannt. Durch eine schräge Bohrung konnte der Kettfaden des Webstuhls gezogen und befestigt werden. In dem steil stehenden
Gewichtswebstuhl hing an einer Gruppe von Kettfäden je ein Webgewicht,
das die Fäden straffte (Abb. 26). Die Funde von Webgewichten auf dem Friedhofsareal dürfen als Hinweis auf eine nahe Siedlung gewertet werden, in der
Stoffe gewebt wurden. Möglicherweise entpuppen sich die Webgewichte im
Verlauf der weiteren Untersuchungen auch als Beigaben einzelner Gräber.
Gebrauch des Spinnwirtels
Abb. 24
Fragmente von Webgewichten,
Julius-Leber-Straße
Abb. 25
Rekonstruktion eines
Gewichtswebstuhls von den
Färöern-Inseln
Abb. 26
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Abbildungsnachweis:
Titelbild:
G. Jentgens
Abb. 1:
Stadt Duisburg, Untere Denkmalbehörde-Stadtarchäologie
Abb. 2, 3, 6-10, 12,
15-18, 20, 22, 23, 25:
G. Jentgens
Abb. 4:
Schönfelder 1992, Abb.14, aktualisiert.
Abb. 5:
Nationalmuseum Neapel Nr. H3254
Berg, Rolle, Seemann 1981, Abb. 135
Abb. 11:
Nach J. Frantz, LWL-Archäologie für Westfalen, AST Münster
Abb. 13:
Stadt Duisburg, Untere Denkmalbehörde-Stadtarchäologie
Abb. 14:
Ch. Worringer, LWL-Archäologie für Westfalen, AST Münster
Abb. 21:
Museum Plassenburg, Kulmbach
www.landschaftsmuseum.de/glas_kelt-2jpg
Abb. 24:
B. Freudenberg 1990, Abb. 2
Abb. 26:
H. Lorenz 1986, Abb. 64
Literatur:
H. Lorenz, Rundgang durch eine keltische "Stadt" (Pfaffenhofen 1986) Abb. 64.
B. Freudenberg, Vom Vlies zum Faden. In: Staatl. Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Oldenburg (Hrsg.), Experimentelle Archäologie in Deutschland. Archäologische
Mitteilungen aus Nordwestdeutschland, Beiheft 4 (Oldenburg 1990) 450-452, Abb. 2.
St. Berg, R. Rolle, H. Seemann, Der Archäologe und der Tod. Archäologie und Gerichtsmedizin (München und Luzern 1981) 137, Abb. 135.
U. Schönfelder, Untersuchungen an Gräberfeldern der späten Bronze- und beginnenden Eisenzeit am unteren Niederrhein. Studies in Modern Archaeology 5 (Bonn 1992) Abb. 14.
IMPRESSUM
Herausgeber:
Stadt Duisburg
Der Oberbürgermeister
Stadtentwicklungsdezernat
Untere Denkmalbehörde
Texte:
Dr. Gerard Jentgens
Redaktion:
Dr. Volker Herrmann, Dr. Brigitta Kunz,
Stadt Duisburg, Untere Denkmalbehörde-Stadtarchäologie
Satz und Layout:
ESD-Einkauf- und Service Duisburg / Amt für Stadtentwicklung und
Projektmanagement
Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der
Firma AREA & CLAVIS, Wohnungsbau GmbH
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c Stadt Duisburg 2010
ISBN-Nr. 978-3-89279-663-3
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